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Aus Bayerns Geschichte Forschungen als Festgabe zum 70. Geburtstag von Andreas Kraus herausgegeben von Egon Johannes Greipl . Alois Schmid- Walter Ziegler Redaktion: Ferdinand Kramer EOS VERLAG ERZABTEI ST.OTTILIEN 1992

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Aus Bayerns Geschichte

Forschungen als Festgabezum 70. Geburtstag

vonAndreas Kraus

herausgegeben vonEgon Johannes Greipl . Alois Schmid- Walter Ziegler

Redaktion: Ferdinand Kramer

EOS VERLAG ERZABTEI ST.OTTILIEN1992

A/ois Schmid

UNTERSUCHUNGEN ZU GAU,GRAFSCHAFf UND VOGTEIIM VORDEREN BAYERISCHEN WALD

Die Probleme von Gau und Grafschaft des frühen und hohen Mit-telalters sind gerade in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten wiederzu einem heiß umstrittenen Thema deutscher Mittelalterforschunggeworden. Die Diskussion wurde neu entfacht durch die 1973 er-schienene Untersuchung von Hans Kurt Schulze über »Die Graf-schaftsverfassung der Karolingerzeit in den Gebieten östlich desRheins«, die im Widerspruch zur damals allgemein anerkanntenTheorie von den Königsgutgrafschaften den Blick wieder zur in derklassischen deutschen Verfassungsgeschichte entwickelten Lehrevon der Grafschaftsverfassung des fränkischen Reiches in karolingi-scher Zeit zurücklenken zu müssen glaubtet. Schulze hat 1983 weit-hin Zustimmung von Ulrich Nonn in einer Detailstudie über den nie-derlothringischen Raum erhalten-. Besonders intensiv wurde in denfolgenden Jahren das Herzogtum Alemannien bearbeitet. Dabei ge-langte aber Michael Borgolte in seinen sehr breit angelegten Studienzu Ergebnissen, die denen Schulzes und Nonns nur zum Teil ent-

t Hans K. Schulze, Die Grafschaftsverfassung der Karolingerzeit in den Gebietenöstlich des Rheins (Schriften zur Verfassungsgeschichte 19) Berlin 1973.2 Ulrich Nonn, Pagus und Comitatus in Niederlothringen. Untersuchungen zur poli-tischen Raumgliederung im frühen Mittelalter (Bonner Historische Forschungen 49)Bonn 1983.

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sprachen und in zentralen Punkten Einspruch anmeldeten 3. Seither istdie Diskussion nicht mehr zur Ruhe gekommen, sie wurde sehr regeweitergeführt+ Der Jubilar hat ihr wegweisende Impulse verliehene,Trotzdem gilt weithin noch heute, was vor drei Jahrzehnten PankrazFried von der Grafschaft des hohen Mittelalters gesagt hat; sie isteine »große Unbekannte-o, über deren Wesen und Funktion nochkeine übereinstimmenden Aussagen erzielt werden konnten. Dasmachen nicht zuletzt die Artikel in den neuesten historischen Fach-

3 Michael Borgolte, Die Geschichte der GrafengewaIt im Elsaß von Dagobert I. bisOtto dem Großen (Zeitschrift für die Geschichte des Oberrhein 131) 1983, 3-54;ders., Geschichte der Grafschaften Alemanniens in fränkischer Zeit (Vorträge undForschungen Sonderband 31) Sigmaringen 1984; ders., Die Grafen Alemanniens inmerowingischer und karolingischer Zeit. Eine Prosopographie (Archäologie und Ge-schichte 2) Sigmaringen 1986.4 Karl Ferdinand Werner, Missus-Marchio-Comes. Entre I'administration centrale etI'administration locale de I'Empire carolingien, in: Werner Paravicini -Karl Fer-dinand Werner (Hg.), Histoire comparee de I'administration (IVe_XVIIIe siecles).Actes du XIve colloque historique franco-allemand Tours 1977 (Beihefte der Fran-cia 9) Sigmaringen 1980, 191-239; Ingo Toussaint, Die Grafen von Leiningen. Stu-dien zur leiningischen Genealogie und Territorialgeschichte bis zur Teilung von1317/18, Sigmaringen 1982; Theodor Ruf, Die Grafen von Rieneck. Genealogie undTerritorienbildung, 2 Bände (Mainfränkische Studien 32) Würzburg 1984; HansK. Schulze, Grundprobleme der Grafschaftsverfassung (Zeitschrift für württember-gisehe Landesgeschichte 44) 1985, 265-282; Folker Reichart, Landesherrschaft,Adel und Vogtei. Zur Vorgeschichte des Ständestaates im Herzogtum Österreich,Köln - Wien 1985; Thomas Zotz, Grafschaftsverfassung und Personengeschichte(Zeitschrift für die Geschichte des Oberrhein 136) 1988, 1-16; Pankraz Fried-Hein-rich Winterholler, Die Grafen von Dießen-Andechs, München-Zürich 1988.s Andreas Kraus, Marginalien zur ältesten Geschichte des bayerischen Nordgaus(Jahrbuch für fränkische Landesforschung l= JbfrkLf] 34/35) 1974n5, 163-184;ders., Grundzüge der Geschichte Bayerns (Grundzüge 54) Darrnstadt 1984, 31 f.;ders., Geschichte Bayerns. Von den Anfangen bis zur Gegenwart, München 21988,25, 62f., 87, 127f. u. Ö.6 Pankraz Fried, Grafschaft, Vogtei und Grundherrschaft als Grundlagen der wit-telsbachischen Landesherrschaft in Bayern (Zeitschrift für Bayerische Landesge-schichte l= ZBLG] 26) 1963, 112; ders., Verfassungsgeschichte und Landesge-schichtsforschung in Bayern: Probleme und Wege der Forschung, in: KarlBosl (Hg.), Zur Geschichte der Bayern (Wege der Forschung 60) Darrnstadt 1965,540.

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lexika und die einschlägigen Abschnitte in zusammenfassenden Dar-stellungen? deutlich.Die entscheidenden Beiträge zu diesem Arbeitsfeld kommen heute

nicht mehr - wie früher - von der allgemeinen Mediävistik, son-dern von der Landesgeschichte. Eher als die in der Regel auf norma-tiven Quellen aufgebauten generalisierenden Darstellungen vermö-gen kleinräumige, auf überschaubare historische Landschaften be-grenzte Untersuchungen Klarheit in die Verfassungswirklichkeit desMittelalters zu bringen. Deswegen wird heute auf diesem Gebietüberwiegend auf regionaler Basis gearbeitet. Am besten untersuchtist in Deutschland sicherlich das durch eine gute Quellenlage ge-kennzeichnete Herzogtum Alemanniens, Umfassende Untersuchun-gen sind aber auch in anderen Räumen durchgeführt worden: inSachsens, Thüringen», Hessen», im Ardennengauu, Bereits seit Jahr-

7 Hans K. Schulze, Gau, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte I,hrsg. von Adalbert ErIer und Ekkehard Kaufmann, Berlin 1971, 1392-1403; Diet-mar Willoweit - Elmar Wadle, Graf, Grafschaft, in: ebenda, 1775-1795; MichaelBorgolte, Comes, in: Lexikon des Mittelalters Ill, hrsg. vom Artemis-Verlag, Mün-chen - Zürich 1984, 70-76; ders., Comitatus, in: ebenda, 78f.; ders., Gau, in:ebenda IV, München-Zürich 1988, 1141; ders., Graf, in: ebenda, 1633-1635; ders.,Grafschaft, in: ebenda, 1635f. - Bei Gerhard Taddey (Hg.), Lexikon der deutschenGeschichte. Personen - Ereignisse - Institutionen, Stuttgart 1977 fehlen dieStichworte Gau und Grafschaft. - Friedrich Prinz, Grundlagen und Anfange.Deutschland bis 1056 (Neue deutsche Geschichte I) München 1985, 250-254;Eduard Hlawitschka, Vom Frankenreich zur Formierung der europäischen Staatenund Völkergemeinschaft 840-1046. Ein Studienbuch zur Zeit der späten Karolinger,der Ottonen und der frühen Salier in der Geschichte Mitte1europas, Darmstadt 1986,43-45; Peter Claus Hartmann, Bayerns Weg in die Gegenwart. Vom Stammesher-zogtum zum Freistaat heute, Regensburg 1989,49.8 Vgl, Schulze, Grafschaftsverfassung (wie Anm.l), 53-148; Borgolte, Grafschaf-ten (wie Anm.3); ders., Grafen (wie Anm.3); Wolfram Baer, FrühmittelalterlicheVerwaltungsorganisation im alemannisch-schwäbischen und bayerischen Raum(Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben 69) 1975,91-101; Heinz Bühler,Die Grafen von Kyburg, Freiburg 1981; ders., Studien zur Geschichte der Grafenvon Achalm und ihrer Verwandten (Zeitschrift für württembergische Landesge-schichte 43) 1984, 7-87; Dieter Kudorfer, Die Grafschaft Oettingen (HistorischerAtlas von Bayern l= HAB] Schwaben 1I, 3) München 1985; auch: Gertrud Kiefer,Grafschaften des Königs in Schwaben und Franken, Diss. masch. Tübingen 1954.9 Sabine Krüger, Studien zur sächsischen Grafschaftsverfassung im 9. Jahrhundert(Studien und Vorarbeiten zum Historischen Atlas Niedersachsens 19) Hannover

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zehnten werden diese Fragen an das Niederrhein-Gebiet heran-getragen 13. Eine wegweisende Studie hatte schon 1927 Erich Freiherrvon Guttenberg dem oberfränkischen Raum gewidmet 14.

Für Altbayern ist die Forschungslage weniger günstig, da sich hiernach den übereilten und nicht geglückten Bemühungen von ElisabethHamm 1949 um eine Gesamtschau» niemand mehr an eine ver-gleichbar umfassende Aufarbeitung der Thematik gewagt hat. Das istauch sinnvoll, weil hier seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges diesystematische Bearbeitung der Herrschaftsgeschichte durch den Hi-storischen Atlas von Bayern in Gang ist, der zumindest nach der

1950; Hans K. Schulze, Ade1sherrschaft und Landesherrschaft. Studien zur Verfas-sungs- und Besitzgeschichte der Altmark, des ostsächsischen Raumes und des Han-noverschen Wendlandes im hohen Mittelalter (Mitteldeutsche Forschungen 29)Köln- Wien 1963; WaIter Schlesinger, Die Entstehung der Landesherrschaft. Unter-suchungen vorwiegend nach mitteldeutschen Quellen, Darmstadt 31969; Karl-HeinzLange, Der Herrschaftsbereich der Grafen von Nordheim 950-1144 (Studien undVorarbeiten zum Historischen Atlas Niedersachsens 24) Göttingen 1969.10 Hans Patze, Die Entstehung der Landesherrschaft in Thüringen (MitteldeutscheForschungen 22) Köln - Wien 1962.11 Wolfgang Metz, Studien zur Grafschaftsverfassung Althessens im Mittelalter(Zeitschrift für Rechtsgeschichte GA 71) 1954, 167-208; ders., »Gau« und »pagus«im karolingischen Hessen (Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 5) 1955,1-23; Wilhelm Niemeyer, Der Pagus des frühen Mittelalters in Hessen (Schriftendes Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde 30) Marburg 1968.12 Manfred van Rey, Die Lütticher Gaue Condroz und Ardennen im Frühmittelalter(Rheinisches Archiv 102) Bonn 1977.13 Hermann Aubin, Die Entstehung der Landeshoheit nach niederrheinischen Quel-len. Studien über Grafschaft, Immunität und Vogtei (Historische Studien 143) Berlin1920 (Neudruck 1961); Albert K. Hömberg, Grafschaft-Freigrafschaft-Gaugraf-schaft, Bonn 1949; Albert K. Hömberg, Die Entstehung der westfälischen Freigraf-schaften als Problem der mittelalterlichen Verfassungsgeschichte (WestfälischeZeitschrift 101/102) 1953, 1-138; Waiter Schlesinger, Bemerkungen zum Problemder westfälischen Grafschaften und Freigrafschaften (Hessisches Jahrbuch für Lan-desgeschichte 4) 1954, 262-277; Georg Droege, Pfalzgrafschaften, Grafschaftenund allodiale Herrschaften zwischen Maas und Rhein in salisch-staufiseher Zeit(Rheinische Vierte1jahrsblätter 26) 1961, 1-21.14 Erich Frhr. von Guttenberg, Die Territorienbildung am Obermain (Berichte desHistorischen Vereins Bamberg 79) 1927, 1-539.IS Elisabeth Harnm, Herzogs- und Königsgut, Gau und Grafschaft im frühmittel-alterlichen Baiern, Diss. masch. München 1949.

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Konzeptionsausweitung in den sechziger Jahren in allen Heften einausführliches Kapitel dem Problemfeld Gau und Grafschaft zu wid-men hat=, Zweckmäßigerweise wird in Bayern jeder neue Versucheiner Synopse zunächst einmal den Abschluß der Untersuchungenzumindest eines Landesteiles abwarten; er erscheint für Altbayern inSicht. Diesem gilt es zum einen durch beständige Selbstreflexion inZwischenbilanzen 17, zum anderen durch möglichst viele Mikrounter-suchungen vorzuarbeiten, die den einschlägigen Problemen in über-schaubaren Räumen bis herauf zur Bildung der Landgerichte im 13.Jahrhundert nachgehen. Die räumliche Beschränkung ermöglichteinen größeren zeitlichen Rahmen, als ihn breiter angelegte Be-trachtungen haben können. Zusätzlich zu den üblichen Querschnittengilt es nämlich auch vermehrt Längsschnitte zu legen, um über dernotwendigen und sicherlich fruchtbaren Konzentration auf eine Epo-che die historische Gesamtdimension des Phänomens nicht aus denAugen zu verlieren. Die kritische Umschau in der derzeitigen For-schungsliteratur muß feststellen, daß sich die Diskussion weithin imKreis bewegt und deswegen nicht über die Karolingerzeit hinausge-kommen ist; über die Grafschaft des Hohen Mittelalters vermag siekaum mehr als wenig überzeugende Generalisierungen zu bieten 18.

Die folgenden Ausführungen gehen den Problemen um den Gau,die Grafschaft und die Vogtei des Mittelalters am Beispiel des Rau-

16 Historischer Atlas von Bayern, hrsg. von der Kommission für bayerische Landes-geschichte, München 1950ff.17 Pankraz Fried, Die Entstehung der Landesherrschaft in Altbayern, Franken undSchwaben im Lichte der Historischen Atlasforschung. Ein vorläufiger Überblick, in:Land und Reich - Stamm und Nation. Probleme und Perspektiven bayerischer Ge-schichte. Festgabe für Max Spindler zum 90. Geburtstag I, hrsg. von Andreas Kraus(Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte [= SchbLG] 78) München 1984,1-13; Wilhelm Volkert, Die Oberpfalz im Historischen Atlas von Bayern, in:ebenda, 35-54; Wolfgang Wüst, Geistliche und weltliche Staatlichkeit in Ostschwa-ben. Ergebnisse der Historischen Atlasforschung, in: ebenda, 55-68; WaIter Ziegler,Der Historische Atlas von Bayern - Teil Franken - und sein Ertrag für die Ge-schichtsforschung, in: ebenda, 69-88.18 Hermann Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte I, Karlsruhe 21962, 103f.; HeinrichMitreis -Heinz Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte. Ein Studienbuch, München131978,59-61 u.ö.

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mes östlich von Regensburg nach, der begrenzt wird von den Fluß-läufen der Donau und des Regens sowie der geotektonischen Struk-turlinie entlang der Altstraße Cham - Straubing. Die Geographen be-zeichnen ihn als Vorderen Bayerischen Wald oder den Vorwald. Erist nach den Methoden der Atlasforschung noch kaum behandeltworden 19, nachdem sich Max Piendls Heft Ch am als eines der erstender Reihe ganz im Sinne der ursprünglichen Konzeption stark auf dieStatistik des 18. Jahrhunderts konzentrierte> und auch DiethardSchmids Band Regensburg I den Schwerpunkt in die wittelsbachi-sehe Zeit setzte, um die Frühgeschichte im ebenfalls von ihm bear-beiteten Band Regensburg 11im Zusammenhang zu bieten». Am ein-gehendsten setzte sich innerhalb der Reihe Ingrid Schmitz-Pesch imHeft Roding mit dem Problemfeld auseinander», Der Band Straubingvon Wolfgang Freundorferv hatte kaum auf das Nordufer der Donauauszugreifen, weil dieses Rodungsland überwiegend zum Landge-richt Bogen/Mitterfels gehörte, dessen Behandlung Max Piendlübernommen hatte, der in seiner Dissertation über die Grafen vonBogen entscheidend vorgearbeitet hat>, Der Vordere BayerischeWald erweist sich bei näherem Zusehen als recht aussagekräftiges

19 Ein grober Überblick: Hans Schneider, Die Oberpfalz im frühen WittelsbacherLandesstaat, in: Gustl Lang. Leben für die Heimat, hrsg. von Konrad Ackermannund Georg Girisch, Weiden 1989, 185-212; Wilhelm Störmer, Zum Adel der mittel-alterlichen Oberpfalz, in: ebenda, 213-221. Unergiebig: Daniel Waldmann, Grund-herrschaften auf dem bayerischen Nordgau von der Karolingerzeit bis zum Unter-gang der Staufer (Die Oberpfalz 54) 1966, 174-180, 196-197, 241-246; Gust!Motyka, Der Landkreis Regensburg im Wandel der Zeiten, Mainburg 1975,44-66;ders., Der Landkreis Regensburg. Geschichte, Kunst und Kultur, Regenstauf 1984,132-149.20 Max Piendl, Das Landgericht Cham (HAB AItbayern 8) München 1955.21 Diethard Schmid, Regensburg I: Das Landgericht Stadtamhof, die Reichsherr-schaften Donaustaufund Wörth (HAB Altbayern 41) München 1976.22 Ingrid Schmitz-Pesch, Roding. Die Pflegämter Wetterfeld und Bruck (HAB Alt-bayern 44) München 1986, bes. 20-158.23 Wolfgang Freundorfer, Straubing. Landgericht, Rentkastenamt und Stadt (HABAltbayern 32) München 1974.24 Max Piendl, Die Grafen von Bogen. Genealogie, Besitz- und Herrschaftsge-schichte (Jahresbericht des Historischen Vereins für Straubing und Umgebung 55)1952,25-82 (= I); (56) 1953,9-88 (=II); (57) 1954,25-79 (= Ill).

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Beobachtungsfeld für eine Reihe von Fragen der Gau- und Graf-schaftsforschung. Vor allem um derartige verfassungsgeschichtlicheProbleme geht es im folgenden. Es wird keine umfassende Herr-schaftsgeschichte des Raumes angestrebt, die dem Historischen Atlasvorbehalten bleiben muß.

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Der Untersuchungsraum gehörte im frühen Mittelalter zum Do-naugau>. Dieser war sicherlich einer der ältesten bayerischen Gaue,weil das Donaubecken zwischen Regensburg und Deggendorf alsimmer offene und zudem äußerst fruchtbare Urlandschaft> einer derwichtigsten Siedlungsräume innerhalb des frühbajuwarischen Sied-lungsgebietes wurdest, Er führt bis heute die Bezeichnung »dasGäu«, gilt also als der Gau Bayerns schlechthin. Der Donaugau warjedenfalls einer der ausgedehntesten Gaue, ein ausgesprochenerGroßgau, der seinen Namen von der Donau als Schwerlinie führte;wie die meisten anderen bayerischen Gaue ist er nach einem Was-serlauf benannt. Die Siedlungsschwerpunkte lagen aber eindeutig aufdem rechten Ufer des Stromes. Der Donaugau ist durch eine Vielzahlvon Zeugnissen gesichert, die vom Beginn der karolingischen Herr-schaft in Bayern bis ins 11. Jahrhundert hinein breit durchlaufen; er

25 Problematische Versuche der kartographischen Darstellung der Grafschaftsver-hältnisse bei: Karl von Spruner, Atlas zur Geschichte von Bayern. München 1838.Karte 4; Erich Frhr. von Guttenberg, Die politischen Mächte des Mittelalters, in:Gau Bayerische Ostmark. Land, Volk und Geschichte, hrsg. von Hans Scherzer,München 1940, 215: Die Gaulandschaften; Hamm, Herzogs- und Königsgut (wieAnm.15), Kartenbeilagen 1,2. Instruktiv: Hans-Werner Goetz, »Dux« und»Ducatus«, Begriffs- und verfassungsgeschichtliche Untersuchungen zur Entstehungdes sog. »jüngeren« Stammesherzogtums an der Wende vom 9. zum 10.Jahrhundert,Diss. Bochum 1977. Kartenbeilage 1B: Komitatskarte.26 Max Spindler (Hg.), Bayerischer Geschichtsatlas, Redaktion Gertrud Diepolder,München 1969, Karte 8.21 Thomas Fischer, Römer und Bajuwaren an der Donau. Bilder zur FrühgeschichteOstbayerns, Regensburg 1988. Dazu Andreas Kraus: ZBLG 51.1988.937-942.

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ist einer der am dichtesten belegten Gaue», Allerdings betreffendiese fast ausschließlich das Gebiet südlich der Donau. In den Unter-suchungsraum fällt vor der Jahrtausendwende eine einzige Nennung.Um 790 taucht im Salzburger Indiculus Arnonis Besitz zu Krucken-berg (Lk Regensburg) auf, der in pago Tonagaoe lokalisiert wird»,Kruckenberg liegt in der Donauebene am Fuß der Ausläufer desBayerischen Waldes, muß also noch zur Altsiedelzone gerechnetwerden. Nennungen für das nördlich anschließende Waldland vor derJahrtausendwende gibt es nicht. Um 990 wird Schenkungsgut zuMainsbach als iuxta jluuium Regan gelegen angegeben'« Und nochunter Kaiser Konrad 11. werden 1025 Besitzungen nördlich der Do-nau selbst in einem Königsdiplom nicht in den Donaugau, in dem siezum Teil lagen, lokalisiert, sondern in septentrionali parte Danubiijluminis». Offensichtlich war es auch nach der Jahrtausendwendekeineswegs selbstverständlich, den Vorderen Bayerischen Wald demDonaugau zuzurechnen.Daß der Untersuchungsraum dennoch bereits damals zum Donau-

gau gehörte, kann indirekt aus dem Diplom Karls des Großen er-schlossen werden, mit dem er im Jahre 791 dem BendiktinerklosterKremsmünster seinen Besitz bestätigte. In der Reihe der Schen-kungsgüter werden auch Liegenschaften ad Nordfilusa aufgezählt»,Diese Angabe wird mit aller Wahrscheinlichkeit auf die oberpfälzi-sche ViIs bezogen» und belegt, daß in dieser Frühzeit noch das Vils-

28 Eine Zusammenstellung von Belegen: Hamm, Herzogs- und Königsgut (wieAnm.15) Anhang VII; Alfred Oesper, Zum Problem von Gau und Grafschaft imBayern des 11. und 12. Jahrhunderts (Zulassungsarheit Regensburg 1976, greifbarim Institut für bayerische Geschichte der Universität München), 24-27, 58-61.29 Salzburger Urkundenbuch I, hrsg. von Willibald Hauthaler, Salzburg 1910, 7;vg!. 20.30 Die Traditionen des Hochstifts Regensburg und des Klosters St. Emmeram, hearb.von Josef Widemann (Quellen und Erörtungen zur bayerischen Geschichte, NeueFolge [= QE NF] 8) München 1943,209 Nr.250.31 Monumenta Germaniae Historica l= MGH] D Ko n. 29.32 MGH D KdGr. 169: ad Nordfilusa tertiam ecclesiam cum rebus secum pertinenti-bus in Tonahgaoe.33 Das gegen den Auflösungsvorschlag des Herausgebers Engelbert Mühlbacher.Das gewichtigste Argument dafür ist die Parallelstelle: Vita Wynnebaldi abbatis

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becken dem Donaugau zugerechnet wurde, der demnach das gesamteAltsiedelland nördlich von Regensburg eingeschlossen haben muß>,Der Nordgau hatte seinen Schwerpunkt zu dieser Zeit im Ingolstadt-Eichstätter Raum, verlagerte sich aber von hier aus - ganz im Sinneder Guttenbergischen Urgautheorie - immer mehr nach Osten»,Dieses Vorrücken des Nordgaues hatte Verschiebungen im Gauge-füge nördlich der Donau zur Folge. Es kam zunächst zur Ausbildungder Westermannmark als bayerischer Gegenorganisation gegen denvordringenden fränkischen Einfluß im vorher völlig belegfreienRaum zwischen Eichstätt und unterer Naab», Um die Mitte des10. Jahrhunderts erreichte der Nordgau dann aber die Naablinie=, umdie Jahrtausendwende das Regental. Hier stießen der Donau- und derNordgau aufeinander. Der Nordgau drängte den Donaugau zurück.Früher zum Donaugau gehörige Gebiete wurden seit dem mittleren10. Jahrhundert zum Nordgau gerechnet. Der flußlauf des Regensbildete sich nun als lineare Gaugrenze aus. Dieser Vorgang ist in diespätottonische Epoche zu datieren und schließt die Veränderungenim Gaugefüge in diesem Raum ab. Der Vorwald wurde damals zumletzten Überrest des Donaugaues nördlich des Stromes.Die Flußgrenze ist erstmals im Jahre 1003 urkundlich faßbar.

Schenkungsgüter an den Bischof von Freising zu Hötzing undScharlau (beide Orte im Lk Cham) werden in Danachgowe lokali-

Heidenheimenis, hrsg. von Oswald Holder-Egger, MGH SS XV/I, Hannover 1887,no,34 Hans Dachs, Der Umfang der kolonisatorischen Erschließung der Oberpfalz biszum Ausgang der Agilolfingerzeit (Verhandlungen des Historischen Vereins filrOberpfalz und Regensburg l= VHVO] 86) 1936, 171-173.3~Kraus, Marginalien (wie Anm.5); ders., Bayern und der Nordgau. Eine Richtig-stellung (VHVO 116) 1976, 175-178; ders., Amberg und der bayerische Nordgauim 11. Jahrhundert, in: Amberg 1034-1984. Aus tausend Jahren Stadtgeschichte(Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 18) Amberg 1984,25-34.36 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm.30), 119 Nr. 153 (in pago Vue-starmannomarcha); MGH D LdK 11 (in pago Uvestarmann); vg!. zur Wester-mannmark: Guttenberg, Territorienbildung (wie Anm.I4), 218; Dachs, Kolonisato-rische Erschließung (wie Anm.34), 169; Hamm, Herzogs- und Königsgut (wieAnm.15), 130; Kraus, Marginalien (wie Anm. 5), 178-180.31 MGH DOl. 219: Premberg in pago Nortgouwe.

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siert, während mit gleicher Urkunde an den nämlichen Empfängergegebene Besitzungen im nahen Pösing und Frieding in Nordgoweliegen», Diese unterschiedliche Lokalisierung in zwei Gaue legtzwingend den Regen als Flußgrenze nahe, was durch eine Reihe vonUrkunden, die andere Schenkungen betreffen, bestätigt wird. 1007wird zum Beispiel Nittenau in pago Tonohkao lokalisiert», 1020Diepenried (Gern. Bodenstein, Lk Schwandorf) in pago Toneh-gouuaw: Der Regen muß eine recht lineare Grenze zwischen denzwei Gauen gebildet haben, die allerdings im Dotationsgut auchübersprungen werden konnte. Die Schenkung zu Nittenau an den Bi-schof von Bamberg betrifft überwiegend Güter nördlich dieserGrenze, obwohl sie ausgehend vom Hauptort als in pago Tonohkoagelegen bezeichnet wird-', Einzelne Pertinenzien konnten also offen-sichtlich durchaus außerhalb des genannten Gaues liegen. Maßgeb-lich für die Gauangabe war der Besitzmittelpunkt.Die genannten Urkunden beziehen sich ausschließlich auf das

mittlere Regental, das als Altsiedelland und wichtiger Verkehrswegnach Böhmen besondere herrschaftliche Bedeutung hatte. Doch istmit diesen Nennungen zugleich die Zugehörigkeit des dazwischen-liegenden Waldlandes zum Donaugau ausgesprochen, auch wenndieses überwiegend erst später erschlossen wurde. Dafür gibt es eineinziges direktes, freilich nicht unproblematisches Zeugnis. Für dieJahre zwischen 1022 und 1039 wird Kufberg (Gern. Wenzenbach, LkRegensburg) ausdrücklich in comitatu Tuonichkevvense lokalisierte,

38 MGH D H 11.56. Vg!. Günther Rinck, Der Edelsitz Hötzing und seine Besitzun-gen (Die Oberpfalz 66) 1978,285.39 MGH D H 11.145.40 MGH D H 11. 432.41 MGH D H n. 145.42 Acta Tirolensia. Urkundliche Quellen zur Geschichte Tirols I: Die Traditions-bücher des Hochstifts Brixen vom 10. bis in das 14. Jahrhundert, hrsg. von OswaldRedlich, Innsbruck 1886 (Neudruck 1973),27 Nr. 67. Zu den Problemen um dieseUrkunde vgl. Anm.114, lIS. - In MGH D Arn 13 wird ein Wolfersdorf im Do-naugau genannt (888). Herausgeber Paul Kehr hat es mit Wolfersdorf (Landkreisl= Lk] Freising) aufgelöst, was nicht zutreffen kann. Auch Wolfersdorf (Gern. Bern-hardswald, Lk Regensburg) erscheint ausgeschlossen. Alle Indizien sprechen für

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In einem ähnlichen Entwicklungsgang bildete sich ebenfalls erst im10. Jahrhundert der Regen unterhalb des Flußknies bei Marienthal alsnatürliche Grenze nach Westen hin aus. Auch das Gebiet westlichdes Regens bis hinüber zum Unterlauf der Naab muß ursprünglichzum Donaugau gehört haben, wie ebenfalls aus der Kremsmünster-Urkunde von 791 abzuleiten ist43• Doch wurde auch hier der Donau-gau im späteren 10. Jahrhundert verdrängt. Falls Maetingan in einerSchenkungsurkunde Ludwigs des Kindes von 901 auf Bergmatting(Gern. Sinzing, Lk Regensburg) zu beziehen ist, wofür alles spricht,wäre das ein erster Beleg hierfür=, 981 wird das im späteren Stadt-amhof aufgegangene praedium Scierstat in den Nordgau lokalisierte,Entsprechendes ist aus einem Diplom Ottos Ill. zu folgern, auchwenn dessen Gauangabe für das Kloster Prüfening letztlich dochnicht zutreffen kann-e, In spätottonischer Zeit wurde die Landzungezwischen Donau, Naab und Regen zum Nordgau gerechnet, der imNachbarraum östlich des Regen nie so weit nach Süden vorstieß.Damit wurde auch hier der Regen zur linearen Flußgrenze zwischendem Nord- und Donaugau.Doch muß es hier - am ehesten im Rahmen des Vorgehens König

Heinrichs Il. gegen den Markgrafen Heinrich von Schweinfurt1002/03 - zu Veränderungen gekommen sein. Zu Recht habenschon Michael Doeberlv und Sigmund von Riezlerv angenommen,daß damals dieser südliche Landkeil vom Nordgau abgetrennt wor-den sei. Denn er befindet sich nach der Jahrtausendwende in der Ver-fügungsgewalt der Burggrafen von Regensburg und nicht der jewei-

Wolfersdorf (Gern. Altenbuch, Lk Dingolfing -Landau), so daß auch dieser Belegdem oben entwickelten Zusammenhang nicht im Wege steht.43 MGH D KdGr. 169; s.Anm.32.44 MGH D LdK 11.45 MGH DOli. 247.46 MGH D 0 III. 351.41 Michael Doeberl, Die Markgrafschaft und die Markgrafen auf dem bayerischenNordgau, München 1894, 16f.48 Sigmund Riezler, Geschichte Baierns 1/2 (Geschichte der europäischen Staaten20, 1) Stuttgart 21927, 15. - Auffallenderweise behandelt Riezler in seiner Über-sicht über die bayerischen Gaue 1/2, 541-550 den Donaugau nicht.

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ligen Grafen auf dem Nordgau. Dadurch wurde hier die Flußgrenzedes Regens wieder gegenstandslos, weil nun die Gebiete westlichwie östlich des Flusses zur Burggrafschaft gehörten. Auch jetztwurde der Raum zwischen unterer Naab und Regen dennoch nichtwieder zum Donaugau geschlagen, wie am eindringlichsten das ge-nannte Diplom Konrads 11.von 1025 belegt. Vielleicht hängt dessenungewöhnliche Ortsangabe in septentrionali parte Danubii fluminisgerade mit der Lage des Schenkungsgutes in zwei Gauen zusam-men-', Vor allem veränderte dann aber der Aufstieg der Herren vonPettendorf - Lengenfeld - Hopfenohe ab der Mitte des 11. Jahrhun-derts die Verhältnisse hier abermals nachhaltig=, Ausgangspunkt ih-rer Herrschaftsbildung scheint der 1003 vom Nordgau abgetrennteLandkeil zwischen den Unterläufen von Naab und Regen gewesen zusein, dessen eigenständige Entwicklung erstmals in einem Königsdi-plom Heinrichs 11. aus dem Jahre 1007 greifbar wird, das Holzheimam Forst (Lk Regensburg) in pago Horevun lokalisiert». Diese Gau-bezeichnung ist - trotz einiger vergleichbarer Ortsangabens - sin-gulär und deswegen nicht mit Gewißheit aufzulösen. Als einzigerAnknüpfungspunkt bietet sich der Name des dortigen ausgedehntenForstes Raffa an. Falls dieser Zusammenhang zutrifft, würde sich dieGaubezeichnung hier an einen Forst anlehnen, wofür es im übrigen

49 MGH D Ko 11.29.SO Heinrich Wanderwitz, Das Mittelalter, in: Gemeinde Pettendorf. Geschichte undGegenwart, hrsg. von der Gemeindeverwaltung Pettendorf, Kallmünz 1991,29-43.51 MGH D H 11. 153. Vg!. Georg Thomas Rudhart, Aelteste Geschichte Bayerns,Hamburg 1841,514; Riezler, Geschichte Baierns 1/2 (wie Anm.48), 550; WilhelmStörmer, Früher Adel. Studien zur politischen Führungsschicht im fränkisch-deut-schen Reich vom 8. bis 11. Jahrhundert (Monographien zur Geschichte des Mittel-alters 6) Stuttgart 1973,406f.52 Vielleicht steht in Zusammenhang damit Schenkungsgut ad Horuun, das durchMGH D Ko 11.29 an den Bischof von Freising gegeben wird. Es muß in diesemRaum liegen. Vermutlich um den gleichen Ort handelt es sich bei dem anläßlich ei-nes Tauschgeschäftes 1145 erwähnten praedium in Horwenn: Monumenta BoicaXIII, München 1777, 212. Zwei Urkunden des Klosters Pettendorf (BayerischesHauptstaatsarchiv I= BayHStA] KU Pettendorf 27,28; 22.II.1303) nennen einenHof zu Horwen unmittelbar nach einem Gut zu Dollackenried (Gern. Dinau, Lk Re-gensburg). Auch diese Angabe führt in den genannten Raum.

Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 129

aber keine Parallele gibt. Doch zwingt diese Kleingaunennung zumSchluß, daß zumindest ein Teil des Gebietes zwischen Regen undNaab damals nicht mehr zum Donau- und auch nicht zum Nordgaugerechnet wurde, sondern als Kleingau seine eigene Organisations-form erhalten hatte, die sich allerdings nicht näher verfolgen läßt.Eine weitere auffallende Gaubezeichnung findet sich für den

Ostrand des Untersuchungsraumes. In der Vita S. Ermenfridi, die umdie Mitte des 7. Jahrhunderts angesetzt wird, ist von Erzählungen derBewohner des burgundischen Gaues Varasch, der Warasci, die Rede,die aus dem pagus Stadevanga am Fluß Regnus in dieses Land ge-kommen seien», Die Angabe wird als glaubhaft angesehen, zumalsie von entsprechend auswertbaren Toponymen bestätigt wird. Of-fensichtlich sind am Ausgang der Völkerwanderung ethnischeKleingruppen aus dem Siedlungsraum der Bajuwaren nach Burgundgekommen; Ernst Schwarz bringt sie mit den Naristen in Zusam-menhang>, Unklar und merkwürdig ist die Herkunftsangabe Stade-vanga». Sie ist verschiedentlich auf Stallwang (Lk Straubing - Bo-gen), ein Pfarrdorf an der Altstraße von Cham nach Straubing, bezo-gen worden. Ernst Schwarz sah dagegen keinen Ortsnamen zugrundeliegen, sondern eine Geländebezeichnung und löste deswegen andersauf: »Uferfelder am fluß Regen«. Er denkt an das Chamer Beckenals Herkunftsland=, Für die Erörterung der Gaufrage kann dieser

53 De S. Ennenfredo abbate autore Egilberto praeposito Cusatinensi, Acta Sane-torum, September VII, Antwerpen 1760, 117: qui olim de pago, utferunt, qui diciturStadevanga, qui situs est circa Regnum flumen, partibus Orientis Juerant ejecti. -Ein Chamgau wird auch vorausgesetzt in: Der Landkreis Charn, hrsg. vom KreistagCham, Regensburg 1966, 285 f. Einen solchen hat es im frühen Mittelalter nicht ge-geben.54 Ernst Schwarz, Sprache und Siedlung in Nordostbayern (Erlanger Beiträge zurSprach- und Kunstwissenschaft 4) Nürnberg 1960,46, 75; ders., Neues und Alteszur Geschichte der Naristen (JbfrkLf 22) 1962,288; ders., Die Naristenfrage in na-menkundlicher Sicht (ZBLG 32) 1969,401-403.55 Zu dieser Stelle weiterhin: Ernst KIebeI, Baierische Siedlungsgeschichte (ZBLG152) 1949. 79f.; Heinz Löwe, Die Herkunft der Bajuwaren (ZBLG 15) 1949, 27f.;Hans-Jörg Kellner, Raetien und die Markomannenkriege (Bayerische Vorge-schichtsblätter 30) 1965. 171-174.56 S.Anm. 54.

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Beleg aber ausgeschieden werden, obwohl er der weitaus ältestewäre. Die im fernen Burgund entstandene erzählende Quelle formu-lierte viel unpräziser als die späteren Urkunden. Daß sie nur auf demGerede der Leute aufbaut, sagt sie ausdrücklich: ut Jerunt. Pagusdient hier lediglich der geographischen Groborientierung und nichtder verfassungsgeschichtlich exakten Ortsangabe. Ein sehr früherGau am Regen darf aus dieser hagiographischen Quelle sicherlichnicht abgeleitet werden.Im Bereich des Vorderen Bayerischen Waldes griff also der 00-

naugau in einer weiten Ausbuchtung bis ins Regental aus. Er stießhier weit über die Donau nach Norden vor, was den Untersuchungs-raum jedoch vom östlichen Anschlußgebiet, dem Mittleren Bayeri-sehen Wald, unterschied. Denn jenseits der Altstraße Cham - Strau-bing erstreckte sich der Donaugau nicht mehr ins Gebiet nördlich desStromes hinein. Hier fehlt für das Waldland jeder Donaugau-Beleg,wenn man mit Piendl davon ausgeht, daß das Kloster Berg nicht aufden Bogenberg zu setzen istS7• Besitzungen werden in diesem Raumnach anderen Mustern lokalisiert, weil hier offensichtlich der Waldnicht mehr zum Donaugau gerechnet wurde. Das wird noch im Nie-deralteicher Urbar Abt Hermanns (1242-1273) deutlich, das Kloster-besitz nach pagi gegliedert verzeichnet. Doch beziehen sich die vonHermann genannten pagi ausschließlich auf die Donauebene. Die imWald gelegenen Güter werden im Gegensatz dazu in nemore lokali-siert», Dafür gibt es im Urkundenmaterial Bntsprechungen», DerGrund für diese unterschiedliche Behandlung des Vorderen und des

57 MGH DOli. 294; D H II. 408; ohne Gaubezeichnung: Widemann, Traditionen(wie Anm.30), 28 f. Nr.22. Zur Lokalisierung vor allem Piendl, Grafen von Bogen11(wie Anm.24), 62; Wilhelm Störmer, Adelsgruppen im früh- und hochmittelalter-lichen Bayern (Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte 4) Mün-chen 1972, 148-156; Friedrich Prinz, Frühes Mönchtum im Frankenreich. Kulturund Gesellschaft in Gallien, den Rheinlanden und Bayern am Beispiel der monasti-sehen Entwicklung (4. bis 8.Jahrhundert), Darmstadt21988, 439f.S8 BayHStA KL Niederalteich 39, fol. 1v.S9 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm.30), 188 Nr.208: Menach (LkStraubing-Bogcn), quod est prope saltum Nordwald situm (975-980); vgl. auch 214Nr.256: Stefling in silva communi Nordwald nuncupata.

Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 131

Mittleren Bayerischen Waldes kann nur in der unterschiedlichen Er-schließung zu suchen sein. Während der Vorwald, vermutlich wegenseiner Nähe zur Pfalzstadt Regensburg und zum Zentralort Cham,bereits im 11.Jahrhundert breit gerodet wurde, trugen die Grafen vonBogen ihre Kolonisationstätigkeit in den östlichen Nachbarraum erstin der folgenden Epoche hinein. Diese andersartige Entwicklungkommt in den unterschiedlichen Befunden bezüglich der Gaube-zeichnungen sachgerecht zum Ausdruck.Die genannten Belege sind alle, die sich für den Untersuchungs-

raum beibringen lassen. Sie sind vergleichsweise wenig und tretengehäuft lediglich nach der Jahrtausendwende unter Kaiser Heinrich11.auf. Im Unterschied zu anderen Räumen, in denen die Gaubelegeab der Mitte des 11. Jahrhunderts dann aber oftmals gänzlich ver-schwinden, werden sie in spätsalisch-staufischer Zeit zwar auch hiernoch seltener, sind aber weiterzuverfolgen. Es ist 1050 einmal vonpagus Camprichew die Rede oder im mittleren 12. Jahrhundert» vompagus Stoufa. Hier werden die Markgrafschaft Cham und der Herr-schaftsbereich des Bischofs von Regensburg, für den sich später dieBezeichnung comecia flndet=, angesprochen. Damit beinhaltet derpagus-Begriff nun etwas anderes, er hat seinen ursprünglichen Ge-halt abgelegt, indem er auf einen Herrschaftsbezirk verweist. Geradediese herrschaftliche Komponente aber fehlt den frühen pagus-Bele-gen in diesem Raum, in dem es vor der Jahrtausendwende keine Gra-fen gab. Deswegen kann hier für das frühe Mittelalter kein Zusam-menhang von pagus und comes bestehen. Die pagus-Angabe dienthier allein der geographischen Bezeichnung.

60 MGH D H Ill. 248.61 (Franz Michael) Wittmann, Schenkungsbuch des Stiftes Obermünster zu Regens-burg, in: Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte I,München 1856,157 Nr.5.62 Schmid, HAB Regensburg I (wie Anm.21), 109.

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II1. PERTINENZ DES FISCUS REGENSBURG

Grafen werden im Untersuchungsraum bis zur lahrtausendwendenicht genannt. Er stellt auf der Verbreitungskarte der comes-Zeug-nisse bis 1050 eine ausgesprochene Insel dar, die sich von den Nach-barräumen im Süden wie im Norden, die von auffallender Beleg-dichte gekennzeichnet sind, deutlich abhebt. Dieser Befund istmerkwürdig und verlangt Erklärung. Er hängt zum einen mit demGang der Siedlungsgeschichte zusammen. Der Untersuchungsraumwar bis zur lahrtausendwende weithin siedlungsleer. Lediglich anden Rändern entlang der Flußläufe von Donau und Regen sowie derAltstraße Ch am - Straubing ist mit agilolfingerzeitlicher Siedlung zurechnen, wie der Ortsnamenbestand» und die Verbreitungskarte derReihengräbers- zeigen. Das dazwischenliegende Waldland war dage-gen bis zur lahrtausendwende weithin unbewohnt; allein für dieWenzenbacher Mulde ist noch agilolfingerzeitliche Frühsiedlung be-zeugre, Hier gelangten schon in spätkarolingischer Zeit Güter an dieRegensburger Domkirche, die in der marca ad Menzinpab einen frü-hen Besitzschwerpunkt erhielt. Die Schenkungen stammten zumeinen aus königlichem Fiskalland, zum andern aus der Hand desAdels, der hier früh Ländereien an sich gebracht hatte=, Im übrigen

63 Schwarz, Sprache und Siedlung in Nordostbayern (wie Anm. 54); Schmitz-Pesch,HAB Roding (wie Anm.22), 16.MArmin Stroh, Die Reihengräber der karolingisch-ottonischen Zeit in der Oberpfalz(Materialhefte zur bayerischen Vorgeschichte 4) Kallmünz 1954 behandelt kein ein-ziges innerhalb des Untersuchungsraumes gelegenes Reihengräberfeld, auch nichtdie zu Wiesing und Altenmarkt im Regental bei Roding und Cham; Spindler, Baye-rischer Geschichtsatlas (wie Anm.26), Karte 9. Vgl. auch Klaus Schwarz, Derfrühmittelalterliche Landesausbau in Nordost-Bayern archäologisch gesehen, in:Ausgrabungen in Deutschland I/2 (Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Mono-graphien 1/2)Mainz 1975,338-409.6S Rudolf Ebneth (Red.), Wenzenbach. Junge Gemeinde mit langer Vergangenheit,Regensburg 1983,20-32.66 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm. 30), 49 f. Nr.45; 56 Nr.54; 59 f.Nr.59; 84 f. Nr.94; 87 Nr.96; vgl. 109f. Nr. 136; 119f. Nr. 153. - Auch das Re-gensburger Kloster SI.Paul war hier seit seiner Anfangszeit geringfügig begütert:

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war das Waldgebiet nur mit königlichen Rodungsbauern durchsetzt,die sich in besonderer Verdichtung im Ort Gonnersdorf (Gern.Grünthal, Lk Regensburg) befunden haben müssen, das seinen Na-men von Chuningesdorf i= Königsdorfjet herleiten dürfte=.Trotz der weitgehenden Siedlungsleere war der Raum aber keines-

falls herrschaftsleer. Er gehörte vielmehr zum breiten und sehr lang-gestreckten Gürtel von Königsforsten, die auf der Höhe von Regens-burg einsetzten und sich dann entlang des Nordufers der Donau bisweit hinunter in die Ostmark erstreckten. Sie waren den Pfalzen ander Donaulinie zugeordnete. Der Untersuchungsraum gehörte zurPfalz Regensburg. Er stellt einen weithin geschlossenen Fiskalland-gürtel dar, der aber vermutlich nicht auf dem Wege der Fiskalsukzes-sion an den Herzog gekommen ist und von diesem dann an das Kö-nigtum übergingv. Da sich für ein Ausgreifen der Römer, die denNordwald wegen seiner Unwirtlichkeit fürchteten, auf das Norduferder Donau in solcher Breite keine Anhaltspunkte ergeben", muß ge-schlossen werden, daß der Vorwald erst mit dem Aufbau der agilol-fingischen Pfalz in Regensburg an diese gebunden wurde. In karo-lingischer Zeit wurde die herrschaftspolitische Bedeutung des Rau-mes weiter intensiviert. Durch ihn führten mehrere Altstraßen, die im

Johann Geier, Die Traditionen, Urkunden und Urbare des Klosters St. Paul in Re-gensburg (QuE NF 34) München 1986,4 Nr.3 (Süssenbach, Lk Cham), 30 Nr.31und 34 f. Nr. 36 (Altenthann, Lk Regensburg), 44 Nr.47 (Höslgrub, Lk Regensburg),192.67 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm. 30), 49 f. Nr.45.68 Schmid, HAB Regensburg (wie Anm. 21).69 Karl Bosl, Pfalzen und Forsten, in: Deutsche Königspfalzen. Beiträge zu ihrer hi-storischen und archäologischen Erforschung I, hrsg. von Hermann Heimpel, Göttin-gen 1963, 1-29; ders., Pfalzen, Klöster und Forste in Bayern. Zur Organisation vonHerzogs- und Königsgut in Bayern (VHVO 106) 1966,43-62.70 Die Fiskalsukzession wurde erstmals nachgewiesen von: Hans Dachs, Römerka-stelle und frühmittelalterliches Herzogs- und Königsgut an der Donau, in: AusBayerns Frühzeit. Friedrich Wagner zum 75. Geburtstag (SchbLG 62) München1962, 293-320; wieder in: Bosl, Zur Geschichte der Bayern (wie Anm. 6),44-84. Ersah gerade die Verhältnisse im Regensburger Raum so eindeutig, daß er sie nichtweiter untersuchte. '.71 Karlheinz Dietz- Udo Osterhaus ~'Sabine Rieckhoff-Pauli - Konrad Spindler, Re-gensburg zur Römerzeit, Regensburg 21979.

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Zuge der Böhmenpolitik als Heereswege seit dem 9. Jahrhundertauch strategische Bedeutung erlangten»,Mit der Organisation des Königsgutes in der Umgebung des

Pfalzortes Regensburg hat sich 1977 ausführlich Peter Schmid be-schäftigt», Hauptergebnis seiner Untersuchung ist, daß der Raumnicht in die karolingische Grafschaftsorganisation einbezogen wurde,sondern alsfiscus seine eigene Verwaltung hatte, an deren Spitze einvicarius regis stand. Peter Schmid kam damit für den Zentralort Re-gensburg zu ähnlichen Resultaten, wie sie die vergleichende Pfalzen-forschung bereits an anderen Orten (Frankfurt, Ingelheim, Boppard,Aachen) ermittelt hatte> und wie sie seither noch für andere Zen-tralorte, z. B. Zürich», nachgewiesen wurden. Wenn sich der Unter-suchungsraum also durch eine auffallende Belegleere auf der Karteder Grafennennungen des frühen Mittelalters abhebt, erklärt sich dassehr einleuchtend durch den Nachweis einer derartigen Fiskalorgani-sation. Hier können keine Grafen begegnen, weil sie hier nicht zu-ständig waren. Ihre Kompetenzen waren im Bereich der Pfalzforstenanderen Organen der Krongutsverwaltung übertragen. Die auf-fallende Belegleere läßt sich bestens mit den Ergebnissen der jünge-ren Pfalzenforschung zur Deckung bringen. Sie entpuppt sich alssehr aussagekräftiges Indiz für die Erörterung der Grafschaftspro-blematik.Zuständig für den Untersuchungsraum war als Pertinenz der Pfalz

Regensburg der vicarius regis. Die Forsten unterstanden einem ei-

72 Ihr Verlauf ist im einzelnen noch nicht hinreichend geklärt, nachdem Anton DoIl-acker, Altstraßen der mittleren Oberpfalz (VHVO 88) 1938, 167-186 für diesenRaum nur mehr wenig bietet. Eine Verbindungsstraße durch den Vorwald erschließt:Schwarz, Landesausbau (wie Anm. 64),384 f.73 Peter Schmid, Regensburg. Stadt der Könige und Herzöge im Mittelalter (Regens-burger Historische Forschungen 6) KaIlmünz 1977, 193-271.74 Wolfgang Metz, Das karolingische Reichsgut. Eine verfassungs- und verwal-tungsgeschichtliche Untersuchung, Berlin 1960; Marianne Schalles-Fischer, Pfalzund Fiskus Frankfurt. Eine Untersuchung zur Verfassungsgeschichte des fränkisch-deutschen Königtums (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Ge-schichte 20) Göttingen 1969; Hans Schmitz, Pfalz und Fiskus Ingelheim (Untersu-chungen und Materialien zur Verfassungs- und Landesgeschichte 2) Marburg 1974.75 Borgolte, Grafschaften (wie Anm. 3),78-101.

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gens dafür benannten Unterbeamten, dem Jorestarius. Diese beidenFunktionsträger werden erstmals in der Chammünster-Urkunde von819 faßbar, mit der Abtbischof Baturich von Regensburg einenGrenzstreit zwischen seinem Eigenkloster und Rodungsbauern derUmgebung beilegte», Die Urkunde liefert sehr bezeichnende An-haltspunkte für den Inquisitionsprozeß des frühen Mittelalters", Indiesem Zusammenhang ist sie vor allem wegen der beteiligten Per-sonen von Belang. Das Verfahren wird abgewickelt vor dem Eigen-kirchenherrn: Abtbischof Baturich. Das ist im Grunde auffallend,weil Karl der Große mit dem Capitulare missarum generale 802 allenKirchen aufgetragen hatte, derartige Rechtsgeschäfte durch einenVogt wahrnehmen zu lassen», Tatsächlich wird der zuständige Vogtin der Urkunde auch genannt, aber an ganz versteckter Stelle inner-halb der Zeugenreihe und hier sogar in nachgeordneter Position>,Diese Beobachtung ist wohl so zu deuten, daß eineinhalb Jahrzehntenach der Erlassung des Capitulare dessen Bestimmungen in derGrenzprovinz Bayern noch nicht so weit durchgesetzt waren, daß sie

76 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm.30), 15-17 Nr.16. Über die Ur-kunde zuletzt: Reinhard Bauer, Die ältesten Grenzbeschreibungen in Bayern undihre Aussagen für Namenkunde und Geschichte (Die Flurnamen Bayerns 8) Mün-chen 1988, 129-139; Regensburg - Kelheim - Straubing, bearb. von Sabine Rieck-hoff-Pauli - Waiter Torbrügge (Führer zu archäologischen Denkmalen in Deutsch-land 6) Stuttgart 1984, 180-184 (Waiter Torbrügge); 1250 Jahre Chammünster.Festschrift der Pfarrei, Chammünster 1989.77 Heinrich Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte Il, neu bearbeitet von ClaudiusFrhr. von Schwerin, München-Leipzig 21928,689-692; Heinrich Brunner, Zeugen-und Inquisitionsbeweis der karolingischen Zeit, in: ders., Forschungen zur Ge-schichte des deutschen und französischen Rechts. Gesammelte Aufsätze, Stuttgart1894 (Neudruck 1969),88-247.78 Capitulare missorum generale, hrsg. von Alfred Boretius, MGH Capitularia I,Hannover 1883,93.79 Zu Vogt Immo, der in den Regensburger Traditionen mehrfach genannt wird (z. B.Nr.13, 14, 19, 20): Hermann Starflinger, Die Entwicklung der Domvogtei in denaltbayerischen Bistümern, Diss. München 1908, 12,81; Piendl, Grafen von Bogen I(wie Anm.24), 62 f.; Ill, 26; Christine Rädlinger-Prömper, SI. Emmeram in Regens-burg. Struktur und Funktionswandel eines bayerischen Klosters im früheren Mittel-alter (Thurn und Taxis-Studien 16) Kallmünz 1987, 131-133; Karl Hausberger, Ge-schichte des Bistums Regensburg I, Regensburg 1989,35.

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den Eigenkirchenherrn in den Hintergrund gedrängt hätten. Der Abt-bischof blieb die entscheidende Person in diesem Verfahren, die be-legt, daß mit der Schenkung der marca ad Champa durch die Her-zöge Odilo und Tassilo Ill. der übereignete Bereich wirklich aus derregulären Landesverwaltung ausschied und Immunität erhielt. DieseImmunität wurde auch von den Karolingern anerkannt. Doch ver-dient gerade die Frage der Rechtsqualität dieser Immunität eineneingehenderen Blick. Die marca war zwar weithin, aber nicht gänz-lich immun. Denn am Rande ist ein Graf durchaus noch an diesemVerfahren beteiligt. Er überwacht das Rechtsgeschäft als oberste In-stanz, zumal es sich um usurpiertes Gut handelt. Der Graf ist zwarnicht persönlich anwesend, aber durch einen missus vertreten. In die-ser Frühzeit blieb also offensichtlich dem zuständigen Grafen auchinnerhalb von Immunitätsbezirken noch immer die Oberaufsicht vor-behalten, die vor allem im Falle von Auseinandersetzungen wirksamwurde. Die kirchliche marca wird nicht gänzlich aus der gräflichenZuständigkeit eximiert. Auch diese Urkunde macht deutlich, daßImmunität ein Zustand von vielfacher Abstufung war=, Als Grafwird Hatto genannt. Grafen dieses Namens sind mehrfach belegt,ohne daß sich dadurch greifbare Hinweise zur Identifikation ergäben.Deswegen ist sein Zuständigkeitsbereich nur zu vermuten. Er wirdmit aller Wahrscheinlichkeit als Graf im Donaugau angesehen und indieser Funktion amtete er 819 in Chammünster, dessen Zuordnungnach Regensburg gerade durch diese Urkunde belegt wird», Daß ernicht selber in diesen äußersten Winkel des ihm unterstellten Gauesritt, könnte damit zusammenhängen, daß ihm hier lediglich das Rechtder Oberaufsicht zustand. Vielleicht deswegen begnügte er sich mitder Entsendung des missus Hiltiroh.

80 Metz, Das karolingische Reichsgut (wie Anm. 74).81 Karl Dinklage, Cham im Frühmitte1alter (VHVO 87) 1937, 173. Guttenberg, Diepolitischen Mächte (wie Anm.25), 222 rechnet ihn - mit wenig Wahrscheinlich-keit - dem Nordgau zu. Der Landkreis Cham, hrsg. vom Kreistag Cham (wieAnm.53), 285 spricht ihn als »Graf des Chamgaues« an; einen solchen hat es nichtgegeben.

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Außer dem Abtbischof, dem Vogt und dem Abgesandten des Gra-fen waren in dieses Rechtsgeschäft noch als Hauptzeugen der vena-tor Rodold und der vicarius Betto eingeschaltet. Bei beiden handeltes sich um verfassungsgeschichtlich bedeutsame Funktionsträger.Der venator wird als Oberaufseher über die Königsforsten im Re-gensburger Umland gedeutete. Dabei fällt seine Nennung vor allenanderen Funktionären auf. Er muß also in dieser Angelegenheit dienach dem Abtbischof wichtigste Person gewesen sein, zuständig fürdie Pfalzwaldungen bis in das Chamer Becken. Dieser venator ist ineine Reihe zu stellen mit dem princeps super omnes forestes, deneine Urkunde Ludwigs des Deutschen von 863-876 nennt», und demköniglichenJorestarius Sigifrid Konrads I. von 91484• Diese drei Di-plome dürfen in Zusammenhang miteinander gebracht werden undbelegen eine Königsforstverwaltung, für die nicht der Graf, sonderneigene Funktionäre zuständig waren, die in den Umkreis der Re-gensburger Pfalz gehören. In die gleiche Richtung deutet der zweiteZeuge: der vicarius Betto. In den Regensburger Traditionen ist einelange Reihe von Personen genannt, die diesen Titel führten», Erverweist aber sicher nicht auf ein einziges Amt. Vicarii können zurUmgebung des Bischofs, des Grafen und des Königs gehören. Dervicarius Betto ist letzterer Gruppe zuzurechnen, war also wohl derSpitzenbeamte des fiSCUS86• Daß er hier hinter dem venator eingestuft

82 Dinklage, Cham (wie Anm.81), 173.83 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm.30), 49 Nr.44 = MGH D LD152. Vg!. Alois Schmid, Zur Interpretation einer Urkunde König Ludwigs des Deut-schen für Abtbischof Ambricho von Regensburg (MGH DD LD 152) (ZBLG 44)1981,571-581.84 MGH D Ko I. 22. Vg!. Karl Bosl, Vorstufen der deutschen Königsdienstmann-schaft, in: ders., Frühformen der Gesellschaft im mittelalterlichen Europa. Ausge-wählte Beiträge zu einer Strukturanalyse der mittelalterlichen Welt, München -Wien 1964, 252f.8S Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm.30), Nr.16, 20, 36, 41, 45, 78,97. 103.988.86 So Schmid, Regensburg (wie Anm.73), 256-259. Zum Amt weiterhin: MichaelMitterauer, Wirtschaft und Verfassung in der Zollordnung von Raffelstetten(Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs 8) 1964,359-365. Unzutref-fend: Dinklage, Cham (wie Anm. 81), 173: Unterbeamter des Gaugrafen.

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wird, muß auffallen, ist aber vielleicht so zu erklären, daß der vena-tor der in erster Linie zuständige Fachmann war. Im vena tor Rodoldund vicarius Betto werden also zwei Funktionsträger greifbar, denender gesamte Vorwald unterstand. Sie, und nicht der Graf, hatten diePfalzforsten zu verwalten. Deswegen zeichnen die Quellen durchausein zutreffendes Bild, wenn sie für den Untersuchungsraum keineneinzigen Grafen, wohl aber anderes Königspersonal überliefern. Hierwar eine nach dem Fachprinzip arbeitende, hierarchisch abgestufteKrongutsverwaltung angesetzt. Zu dieser scheint auch der königlicheDienstmann Megingoz zu gehören, der 1003 einen Fiskalgutkomplexbei Roding (ministerium) verwaltete, ohne daß ein Graf genanntwürdev, Die Ausbuchtung des Donaugaues im Vorderen Bayeri-schen Wald hatte als Pertinenz zum fiscus Regensburg ihre eigeneVerwaltungsorganisation.

2. DER AUFBAU VON KIRCHLICHEN UND ADELIGENHERRSCHAFfEN

Diese Krongutsverwaltung wurde in der ausgehenden Ottonenzeitim Rahmen der Neuorganisation der Königsgastung umgebaut, diemit der Ausbildung des ottonisch-salischen Reichskirchensystemszusammenhängt. Auf diese Verschiebungen weist voraus die großeForstschenkung König Konrads I. von 91488, die unter unverkennba-ren politischen Vorzeichen steht. Der aus dem Herzogtum Bayernverdrängte König versuchte durch die Schenkung des Jorestum juxtaSulzipah seine Stellung in Regensburg und damit die Position des

87 MOH D H 11.56. Vgl. Schmid, Regensburg (wie Anm.73), 130,223,238, 242;Schmitz-Pesch, HAB Roding (wie Anm.22), 23 Anm.24. Eine Parallele, die denlocus Goldaron in ministerio Waltrammi allerdings in einen Gau und eine Graf-schaft lokalisiert, bietet: MOH D Ko I.31.88 MOH D Ko I. 22. Ferdinand Janner, Geschichte der Bischöfe von Regensburg Ill,Regensburg 1886,58 überschätzt den Umfang der Schenkung Konrads I. 914, wenner ihn anhand der Bestätigung von 1285 rekonstruieren will, weil er dem in der Zwi-schenzeit erfolgten Landesausbau nicht Rechnung trägt.

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Königtums in Bayern zu festigen=. Diese frühe königliche Schen-kung an einen bayerischen Bischof lehnte sich an ältere bischöflichePositionen in der Wenzenbacher Mulde an und wurde das Herz dessehr ausgedehnten Donaustaufer und Wörther Forstes, in dem dieBischöfe auf der Grundlage der Forsthoheit die Landeshoheit ausbil-den konntenw, Er wurde der Hauptbestandteil des späteren Regens-burger Hochstiftsterritoriums. Auf diesem Wege gelang als erstenden Bischöfen von Regensburg im Süden des Untersuchungsraumesein deutlicher Einbruch in den ursprünglich wohl ziemlich geschlos-senen Fiskallandgürtel des Vorderen Bayerischen Waldes. Sie wei-teten von diesem Ausgangspunkt aus ihr Herrschaftsgebiet durchRodung aus. Dessen Eckpfeiler waren die Orte Donaustauf, Wörth,Brennberg, Falkenstein und Schönberg, die nach 1050 wohl ziemlichgleichzeitig befestigt wurden. Rechtsgrundlagen der Herrschaft indiesem Gebiet, für das sich später sogar einmal die Bezeichnungcomecia findet, waren also zum einen königliche Schenkungen, zumanderen Landesausbau durch Rodungsarbeits.Die Herrschaftsrechte übten in diesem Immunitätsbezirk die Inha-

ber der Domvogtei aus. Sie verfestigte sich im beginnenden 11. Jahr-hundert in den Händen des Geschlechts, das sie dann ab etwa 1050als erbliches Lehen bis zu seinem frühen Aussterben 1148 be-hauptete. Es wurde immer als Nebenlinie der Grafen von Bogen an-

89 Kurt Reindel, Die bayerischen Luitpoldinger 893-989. Sammlung und Erläute-rung der Quellen (QuE NF 11) München 1953, 111-114 Nr.56.90 Im Wenzenbacher Tal (Anm.65, 66) und bei Wörth: Widemann, Traditionen (wieAnm.30), 2 Nr.2; MGH D LD 152 (Anm.83). Vgl. Josef Fendl, Die Burg Donau-stauf. »das beste und festeste Haus der Regensburger Kirche« (Die Oberpfalz 65)1977,7-12,51-53; ders. (Hg.), Wörth: Stadt zwischen Strom und Berg, Regensburg1979; Peter Morsbach, Die Reichsherrschaften, in: Ratisbona Sacra. Das BistumRegensburg im Mittelalter, München-Zürich 1989,85-88; Hausberger, Bistum Re-gensburg I (wie Anm.79), 170-177. Zur Datierung der Befestigung von Donaustaufwichtige Beobachtungen bei: Richard Strobel, Romanische Architektur in Regens-burg. Kapitell, Säule, Raum (Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwissenschaft20) Nürnberg 1965,51-55.91 Schmid, HAB Regensburg I (wie Anm.2l).

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gesehen=; erst in jüngster Zeit ist diese Zuordnung in Frage gestelltworden», Doch sind die Einwände nicht hinreichend beweiskräftig,so daß auch in Zukunft von einem Zusammenhang mit den Grafenvon Bogen auszugehen ist. Die Bedenken gegen die bisherige Zu-ordnung konnten nur deswegen entstehen, weil sich das Geschlechtmerkwürdigerweise nie - wie üblich - mit einer genauen Her-kunftsbezeichnung benannt hat, sondern in den Quellen - sowohlals Selbstaussage wie auch in Fremdbezeichnungen - immer nur alsGeschlecht der Domvögte von Regensburg aufscheint. Bei ihm istdie Funktionsbezeichnung zum Standesattribut und Namen gewor-den=, Den Grafentitel hat es nie geführt, obwohl Cosmas von Pragdie Familie ausdrücklich zu den vornehmsten im Herzogtum rech-netew, Dieser Fall ist in Bayern singulär, ohne daß gesagt werdenkönnte, warum die Entwicklung hier anders verlaufen ist als bei denübrigen Hochstiftsvögten. Als Erklärungsmöglichkeit bietet sich dieTatsache an, daß dieses Geschlecht immer auffallend stark auf dieHochstiftsvogtei konzentriert war. Es verdankte seinen Aufstieg die-sem Amt, mit dem es sich dann weithin begnügte, und hat außerOberalteich und Mallersdorf keine weiteren Kirchenvogteien an sichgebracht. Dadurch unterscheidet es sich von den übrigen bayerischenHochadelsgeschlechtern, die gerade in der Akkumulation von Vog-teien das wichtigste Mittel und vornehmlichste Ziel ihrer Territorial-politik sahen. Das Geschlecht der Domvögte von Regensburg hatsich in für die Zeit ungewöhnlicher Weise mit diesem Amt identifi-ziert. Es wurde wohl eine entscheidene Grundlage des Aufstieges

92 Kamillo Trotter, Die Domvögte von Regensburg und die Grafen von Bogen(Verhandlungen des Historischen Vereins für Niederbayern 64) 1931, 101-112;Franz Tyroller, Genealogie des altbayerischen Adels im Hochmittelalter, in: Wil-helm Wegener (Hg.), Genealogische Tafeln zur mitteleuropäischen Geschichte,Göttingen 1962- 1969, 234-245 Tafel 17; Piendl, Grafen von Bogen I (wieAnm.24); Hausberger, Bistum Regensburg I (wie Anm. 79),35.93 Cornelia Mohr, Die Traditionen des Klosters Oberalteich (QuE NF 30, 1) Mün-chen 1979, 110*-133*.94 Piendl, Grafen von Bogen III (wie Anm. 24),27.9S Cosmas von Prag, Die Chronik der Böhmen. hrsg. von Berthold Bretholz (MGHSrG NS 2) Berlin 1923, 231: inter Bavaricos primates famosissimo viro.

Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 141

auch der Hauptlinie der Bogener, für die das comes-Attribut erstmalsim Jahre 1104 nachgewiesen werden kann. Auch in Regensburg istsomit der Fall gegeben, daß die Hochstiftsvogtei nicht an die mäch-tigste Adelsfamilie der unmittelbaren Umgebung, sondern an ein fer-neres Geschlecht fiel, für dessen Aufstieg in den Grafenstand diesesAmt große Bedeutung erlangte. An den anderen bayerischen Bi-schofssitzen ist die Entwicklung in vergleichbaren Bahnen verlaufen.Ein Jahrhundert nach den Bischöfen von Regensburg im Süden

gelang im Norden den Bischöfen von Freising und Bamberg der Ein-bruch in den Königslandgürtel. Heinrich 11. übereignete 1003 mitdem Eisenhart südlich von Roding einen bedeutenden Bannforst anBischof Gottschalk von Freisingw, 1007 erhielt das neugegründeteBistum Bamberg mit Nittenau und Umgebung auch hier einen Teilseiner Grundausstattung=, Mit diesen beiden Schenkungen an wei-tere Bischofskirchen wurden ganz im Sinne des ottonisch-salischenReichskirchensystems spürbare Anteile aus dem Königsland desVorderen Bayerischen Waldes herausgeschnitten. In ihnen hattennun nicht mehr die Königsbeamten, sondern kirchliche Vögte - dieWittelsbacher und Sulzbacher - die Herrschaftsrechte auszuüben.Diese wurden natürlich von seiten der Regensburger Bischofskircheinfolge ihrer unmittelbaren Nähe viel intensiver wahrgenommen alsvon seiten der Freisinger und Bamberger Kirche, für die es sich umfernen Streubesitz von recht begrenzter Ausdehnung handelte.Ein ähnlicher Eingriff erfolgte auf anderer Grundlage und in ande-

rer Zielsetzung zur gleichen Zeit in der Nordostecke des Untersu-chungsraumes. Im Rahmen der von Heinrich I. und Otto I. intensi-vierten Ostpolitik gewann Böhmen einen erhöhten politischen Stel-lenwert. Die Feldzüge in den böhmischen Kessel nahmen in der Re-gel von Regensburg ihren Ausgang und führten entlang der Altstraßedes Regentals nach Osten. In diesem Zusammenhang wurde vermut-lich noch von Otto I. das Königsland um Cham militärisch neu ge-

96 MGH D H 11.55.97 MGH D H II. 145. Vg!. Josef Klose, 800 Jahre Nittenau, in: Stadt Nittenau, Miln-ehen 1972,47.

142 Alois Schmid

ordnet. Er setzte Wehrbauern an, die eine Marchfutterabgabe zu er-bringen hatten. Auf diesem Wege sollte der Unterhalt der zur Grenz-sicherung benötigten Soldaten gewährleistet werden. Deswegenwurde um die Jahrhundertmitte der Chamer Raum als Aufmarschba-sis gegen Böhmen effizienter organisiert. Die militärische Sonderab-gabe des Marchfutters» setzte eine Verwaltung voraus, die sie ein-trieb und bewirtschaftete. Es sind zwei Wege denkbar. Das Wirkendes vena tor Rodold und des vicarius Betto in Chammünster könntezur Annahme verleiten, daß ihre Amtsnachfolger diese Aufgabe zuleisten hatten. Doch ist das wenig wahrscheinlich, weil das March-futter nichts mit der Pfalz Regensburg zu tun hatte, sondern gezieltder Grenzsicherung diente. Da es die karolingische Markgrafschaftauf dem Nordgau, von der Michael Doeberl ausging, mit Sicherheitnicht gegeben hat, kann die Aufgabe auch nicht von Markgrafen er-füllt worden sein. Das Marchfutter ist ein Jahrhundert älter als dieMarkgrafschafte. Somit bleibt als einziges Organ der Marchfutter-verwaltung in spätottonischer Zeit nur der Donaugaugraf, der alsFunktionsträger im Chamer Raum bereits in der Chammünster-Ur-kunde von 819 belegt ist. Dieser Schluß wird von der Tatsache be-stätigt, daß das Marchfutter bis zur Neuorganisation der Grenzsiche-rung unter Heinrich Ill. um 1050 eingetrieben wurde, während derfiscus Regensburg um diese Zeit schon abgebaut war 100. Marchfutterwurde im Nordosten des Untersuchungsraumes erhoben. Hier er-hielten die Grafen im Donaugau ein neues Tätigkeitsfeld, das in den

98 Karl Bosl, Die Markengründungen Kaiser Heinrichs Ill. auf bayerisch-österreichi-schem Boden (ZBLG 14) 1943/44, 177-247; wieder in: ders., Zur Geschichte derBayern (wie Anm.5), 364-442; erneut in: ders., Oberpfalz und Oberpfälzer. Ge-schichte einer Region. Gesammelte Aufsätze, hrsg. von Konrad Ackermann undErich Laßleben, Kallmünz 1978, 47-99; vgl. Friedrich Prinz, Böhmen im mittelal-terlichen Europa, München 1984,62-112.99 Es ist quellenmäßig erst in den späteren Herzogsurbaren faßbar: MonumentaBoica XXXVI/I, München 1852, l lü, 438f. Zum Marchfutter. einer zur Versorgungvon Pferden zu entrichtenden Hafer-Abgabe: Max Spindler, Die Anfänge des baye-rischen Landesfürstentums (SchbLG 26) München 1937 (Neudruck 1973), 115f.100 Doeberl, Markgrafschaft (wie Anm.47). Dagegen: Bosl, Markgründungen (wieAnm.98), 377-385.

Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 143

Quellen nirgends direkt angesprochen wird, sondern nur zu erschlie-ßen ist.Das Marchfutter ist ein Zeugnis der ottonischen Grenzpolitik. Sie

wurde unter Heinrich Ill. von einer salischen Markenorganisationabgelöst, die im Zuge der weiter intensivierten Böhmenpolitik erfor-derlich wurde. Kaiser Heinrich Ill. hat um 1050 die MarkgrafschaftCham eingerichtet. Sie erstreckte sich im Osten weit über den Unter-suchungsbereich hinaus, den sie nur im Westen mit einem schmalenZipfel erreichte'«. Diese Mark Cham war 1055 einem comes Sizoübertragen, der mit den Sieghardingern im Chiemgau in Zusammen-hang gebracht wird=. Von ihm ging sie auf agnatischem Wege andie Diepoldinger über, die kurz vorher durch die große Forstbann-schenkung an die Bischöfe von Augsburg 1059 in ihren schwäbi-schen Ausgangslanden im Augstgau stark eingeengt worden wa-renl03• Sie wurden nun auf den Nordgau verpflanzt=, Die Markgraf-schaft blieb dann in ihren Händen bis zum Aussterben des Ge-schlechts im Jahre 1204. Gebildet wurde diese Markgrafschaft Chamaus Teilen des älteren Donau- und Nordgaues, aus denen sie um dieFlußachse des Regens förmlich herausgeschnitten wurde, ohne daßauf die älteren Gaugrenzen Rücksicht genommen wurde. Die Mark-grafschaft legte sich als neue Organisationseinheit über die älterenGaue.Ein ähnlicher Vorgang ist zur gleichen Zeit im Westen des Unter-

suchungsraumes festzustellen. Vermutlich seit den Eingriffen Hein-richs 11.im Nordgau gehörte der Landkeil zwischen Naab und Regenzum Herrschaftsraum der Paponen, die die Grafschaft im westlichenAbschnitt des von Otto 11.geteilten Donaugaues und die Burggraf-

101 Schmid, Regensburg (wie Anm.73), 267-270.102 Bosl, Markengründungen (wie Anm.98), 402-408: Piendl, HAB Cham (wieAnm. 20), 3 f.to3 MGH D H Ill. 248. Ob der bei Widemann, Regensburger Traditionen (wieAnm.30), 293 Nr.543 genannte Sizo mit ihm in Verbindung steht, muß offen blei-ben. Zu ihm: Lioba Throner, Die Diepoldinger und ihre Ministerialen, Diss. masch.München 1944, 3 f.104 Claudia Eisinger-Schmidt, Marktoberdorf (HAB Schwaben 14) München 1985,54-60.

144 Alois Schmid

schaft Regensburg innehattenw, Von diesen Ausgangspositionen ausstießen sie über den Regen in den Vorwald vor und bauten hier eineGrafschaft auf, deren entscheidende Grundlage die Rodung war. Siewar nicht mehr als der östliche Ausläufer einer ebenfalls viel umfas-senderen Herrschaft, die sich über die Naab nach Westen bis an dieuntere Altmühl erstreckte. Auch diese Grafschaft der Burggrafen vonRegensburg umfaßte also Teile des früheren Nordgaues und des Do-naugaues, ohne daß diese noch eine Rolle spielten. Auch hier wurdendie alten Gaue förmlich von der neuen Burggrafschaft überlagert.Im Jahre 1143 teilten die Paponen ihre Herrschaft. Ein Grund für

diese Maßnahme wird in den Quellen nicht genannt; doch hängt derVorgang vermutlich mit der beständigen Ausweitung der Grafschaftdurch Landesausbau zusammen. Der Anteil der Burggrafschaft amVorwald bildete von diesem Jahr an die Landgrafschaft der Paponenmit Hauptsitz in Stefling am Regen. Nach ihm hat sich das Ge-schlecht in Zukunft als Landgrafen von Stefling bezeichnen«, Es istder einzige Träger dieses Titels innerhalb des bayerischen Adels,darf aber nicht mit dem Landgrafen von Thüringen oder Hessen inVerbindung gebracht werden=, Den Landgrafen von Stefling kamkein anderer oder gar höherer Rang zu als anderen Grafen. DerLandgrafentitel diente bei ihnen lediglich zur Unterscheidung vonden Burggrafen, die ihren Herrschaftsschwerpunkt in der Stadt Re-

105 Pankraz Fried, Begegnung der Regionen. Historische Beziehungen zwischenSchwaben und der Oberpfalz in: Gust! Lang. Leben für die Heimat, hrsg. vonAckermann und Girisch (wie Anm.19), 313f.)06 Zum Geschlecht der Paponen: Manfred Mayer, Geschichte der Burggrafen vonRegensburg, Diss. München 1883; ders., Regesten zur Geschichte der Burggrafenvon Regensburg (VHVO 43) 1889, I-55; TyroJIer, Genealogie (wie Anm.92), 165-170 Tafel 11; Schmitz-Pesch, HAB Roding (wie Anm. 22), 68-96.107 Zu den Landgrafschaften: Theodor Mayer, Über Entstehung und Bedeutung derälteren deutschen Landgrafschaften (Zeitschrift für Rechtsgeschichte GA 58) 1938,138-162; Patze, Landesherrschaft in Thüringen (wie Anm.lO); Meinrad Schaab,Landgrafschaft und Grafschaft im Südwesten des deutschen Sprachgebiets (Zeit-schrift für die Geschichte des Oberrhein 132) 1984, 31-55.

Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 145

gensburg hatten 108. Der Titel ging von den Steflingern an die Leuch-tenberger überv=,Schließlich ist ein entsprechender Vorgang noch im Südosten des

Untersuchungsraumes zu beobachten. Hier rückten nach der Mittedes 11. Jahrhunderts die Bogener als Nachfolger der Babenberger indie östliche Donaugaugrafschaft ein 110. Von ihrer Stammburg aufdem Bogenberg aus schoben sie sich nach Norden und Westen in denBayerischen Wald hinein vor. So vergrößerten auch sie ihren Herr-schaftsbereich auf der Grundlage des Landesausbaues. Die Graf-schaft Bogen ist das Musterbeispiel einer Rodungsherrschaft, dieimmer weiter in den Vorderen und Mittleren Bayerischen Wald hin-einwuchs und so gerade in ihrem nördlichen Abschnitt keinen Bezugzu den früheren Gau- und Grafschaftsgrenzen mehr hattem. Sieüberlagerte diese und führte so auch hier zu einem völlig verändertenAussehen der Herrschaftsräume 112. Durch die Vogtei über das Haus-kloster Oberalteich wuchsen den Bogenern zersplitterte Herrschafts-rechte bis hinauf vor die Tore von Roding zu.Von allen Seiten her wurde also der Untersuchungsraum seit dem

10. Jahrhundert nach und nach herrschaftlich erfaßt und aufgeteilt.Von den vier Ecken her wurde nach dem Rückzug des Königtumsgezielte und intensive Rodungsarbeit in das wenig erschlosseneWaldland hineingetragen, wobei auf die älteren Gaue keine Rück-sicht mehr genommen wurde. Der Neuaufbau der Herrschaften er-folgte völlig unabhängig von den früheren Gaugrenzen im wesentIi-

108 Siegfried Rietschel, Das Burggrafenamt und die hohe Gerichtsbarkeit in dendeutschen Bischofsstädten während des früheren Mittelalters (Untersuchungen zurGeschichte der deutschen Stadtverfassung l) Leipzig 1905 (Nachdruck 1965),83-101; Mayer, Burggrafen von Regensburg (wie Anm. 106),31.109 Michael Doeberl, Die Landgrafschaft der Leuchtenberger. Eine verfassungsge-schichtliche Studie, München 1893; IIIuminatus Wagner, Geschichte der Landgrafenvon Leuchtenberg, 6 Bände, Kallmünz 1940-1956; Andreas Kraus, Die Landgraf-schaft Leuchtenberg (Die Oberpfalz 64) 1976, 129-138.110 Piendl, Grafen von Bogen (wie Anm. 24).III Zum territorialen Umfang der Grafschaft Bogen: Piendl, Grafen von Bogen III(wie Anm.24), 63-79.112 Den territorialen Wandel versuchten zu verdeutlichen die Skizzen von Gutten-berg, in: Scherzer, Gau Bayerische Ostmark (wie Anm.25), 215, 229 und 238.

146 Alois Schmid

chen ab der Mitte des 11. Jahrhunderts. Der nördliche Ausläufer desfrüheren Donaugaues wurde von den neuen Gebilden überlagert undso aufgelöst. Ein Zusammenhang zwischen dem früheren Gau undden neuen Adelsherrschaften besteht hier nicht. Die neugebildetenHerrschaften fußten auf sehr unterschiedlichen Rechtsgrundlagen.Die Stellung der Diepoldinger basierte im wesentlichen auf dem Kö-nigsgutcharakter der Markgrafschaft; sie war ein vom Königtum auf-gebauter und organisierter Herrschaftskomplex, der ihnen Einkünfte,Festungen und Gefolgschaft sicherte. Auch die Bogener und diePaponen verdankten ihre Position königlicher Einsetzung, doch ha-ben sie ihre Herrschaften im wesentlichen dann durch Kolonisationselber weiter ausgebaut; sowohl die Landgrafschaft als auch dieGrafschaft Bogen sind in starkem Ausmaß Rodungsgrafschaften. ImUnterschied dazu waren die Herrschaften Wörth und DonaustaufVogteibezirke, die auf der Rechtsgrundlage der Forsthoheit zur Lan-deshoheit aufstiegen 113.

Der Feststellung, daß der alte Donaugau ab der Jahrtausendwendeseine Bedeutung verloren habe, scheint vor allem eine Brixener Ur-kunde aus der Zeit zwischen 1022 und 1039 zu widersprechen, dieSchenkungsgut zu Kufberg und Wenzenbach in loco Chuffenberg incomitatu Tuonichkevvense lokalisiertu-, Ihr kommt eine Sonderstel-lung zu, weil sie den ersten Beleg für die Erstreckung des Donau-gaues ins Waldgebiet zwischen Donau und Regen bringt. Vor allemwird hier die Grafschaft nicht wie üblich mit dem Namen des zu-ständigen Grafen bezeichnet, sondern mit dem Namen des zugehöri-gen Gaues. Derartige Grafschaftsangaben sind äußerst selten 115. Die

113 Vgl. Michael Mitterauer, Formen adeliger Herrschaftsbildung im hochmittelal-terlichen Österreich (Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsfor-schung 80) 1972, 265-338; Karl Bosl, Forsthoheit als Grundlage der Landeshoheitin Bayern, in: Gymnasium und Wissenschaft. Festschrift des Maximiliansgymna-siums in München, München 1949, 1-55; wieder in: Zur Geschichte der Bayern,hrsg. von Bosl (wie Anm. 6), 443-509.114 S.Anm.42.m Parallelbezeichnungen aus der näheren Umgebung bieten: MGH D H H. 151(das Pförring in comitatu Nortgovve lokalisiert); Monumenta Boica XXVHI/2, Mün-chen 1829, 297: comitia in Ylskeu (vgI. Ludwig Veit, Passau. Das Hochstift, HAB

Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 147

Urkunde stammt aus Brixen. Da in der gleichen Stadt der innerhalbdes bayerischen Quellenmaterials einzige weitere ähnliche Belegentstanden ist, liegt hier offensichtlich eine Eigenheit der BrixenerKanzlei vor. Der dortige Notar kannte die komplizierten Zuständig-keiten in diesem fernen Raum nicht genau und lokalisierte deswegendas Schenkungsgut einfach nach dem ihm bekannteren Gau. DieIdentität von Gau und Grafschaft darf also auch aus diesem Zeugnisnicht abgeleitet werden. Sie war in diesem Raum nie gegeben.

3. DER KAMPF UM DEN KERNRAUM

Von allen Seiten her wurde also die Königsherrschaft in diesemRaum durch hochadelige und kirchliche Herrschaftsbildungen abge-löst. Der Vorgang setzt im beginnenden 10. Jahrhundert mit derSchenkung König Konrads I. an Bischof Tuto von Regensburg ein,wird ab der Jahrtausendwende im unteren Regental von den Burggra-fen fortgesetzt und erreichte nach der Mitte des 11. Jahrhundertsdurch die Diepoldinger und Bogener auch den Ostteil des Vorwal-des. Im Gebiet um Falkenstein prallten in der Folgezeit diese vierAdelsgeschlechter aufeinander. Hier kam es zu erbitterten Auseinan-dersetzungen um einen schmalen Landstreifen in westöstlicherRichtung in der Länge von etwa 20 Kilometern, der von Siegensteinüber Falkenstein, Michelsneukirchen bis hinüber nach Saueibogenreichte. Er war die Berührungszone von hochstiftischem Territorium,Landgrafschaft, Markgrafschaft und Grafschaft Bogen. Vor allem inder östlichen Hälfte dieses Streifens stießen die Interessen zusam-men. Hier kam es zu mehrmaligen herrschaftlichen Verschiebungen,weil jede der genannten Dynastenfamilien versuchte, ihren Einflußauszudehnen. Ab 1050 trat dieser Kernraum des Vorwaldes in einePhase auffallender Instabilität, die sich bis zur Mitte des 13. Jahrhun-

Altbayern 35, München 1978,41). Weitere Beispiele aus anderen Räumen bringt:Schulze, Grafschaftsverfassung (wie Anm.l), 88,110,318.

148 Alois Schmid

derts hinziehen sollte. Die einzelnen Abschnitte der Auseinanderset-zungen sind schwer zu durchschauen 116.

Diese Entwicklung nahm ihren Ausgang von der MarkgrafschaftCham. Auf dem Altsiedelland des Chamer Beckens wurde um 1050von Kaiser Heinrich Ill. im Rahmen der Intensivierung der Ostpolitikdie Mark Cham eingerichtet. Erster Markgraf war der SieghardingerSizo; von ihm ging sie an die verwandten Diepoldinger über. IhrUmfang kann aus der Verbreitung der -ing-Orte abgelesen werden,die zum Zeitpunkt der Einrichtung der Mark aber schon bestandenhaben. Damals muß die Aufsiedlung des Chamer Beckens bereitsabgeschlossen gewesen sein. Die Verbreitung der -ing-Orte decktsich recht genau mit dem Umfang des Dekanates Cham, dessenGrenzpfarreien im Untersuchungsraum Sattelpeilnstein, Michelsneu-kirchen, Martinsneukirchen, Wald und Unterzell waren. Gesichertwurde das markgräfliche Herrschaftsgebiet hier von den BurgenSattelpeilnstein, Neuhaus, Sengersberg, Lobenstein und Regenpeiln-stein. Die Hauptburgen waren die beiden Peilnstein-Orte. Diesessprechende Toponym wird als »ritterlicher Trutzname« für eine Burggedeutet, »vor der sich der Gegner zum Kampf stellen muß« I 17. Aufbeherrschender Höhe gelegen, konnten von ihnen aus die entschei-denden Straßenzüge in Richtung Westen und Süden an günstigenGeländepunkten kontrolliert werden. Vielleicht steht in Zusammen-hang mit der Burg Sattelpeilnsteinus das Geländedenkmal des soge-nannten Traitschinger Ringwallesus, Auch er diente gewiß der Si-

116 Darüber klagte schon: Spindler, Landesfürstentum (wie Anm. 99),15.117 Thaddäus Steiner, Bilstein (Bilstein-Beichelstein-Beilstein) (Blätter für ober-deutsche Namenforschung 25) 1988,21-46.118 Johann Brunner, Schloß und Herrschaft Sattelpeilnstein (VHVO 57) 1906,1-96; Die Kunstdenkmäler von Oberpfalz und Regensburg VI: Cham, bearb. vonRichard Hoffmann und Georg Hager, München 1906 (Neudruck 1981), 129-134;Curt TiIImann, Lexikon der deutschen Burgen und Schlösser, 4 Bände, Stuttgart1958-1961; hier 1I, 933; Max Piendl, Sattelpeilnstein, in: Handbuch der Histori-schen Stätten Deutschlands: Bayern, hrsg. von Karl Bosl, Stuttgart 31981, 659.119 Kunstdenkmäler: Cham, bearb. von Hoffmann und Hager (wie Anm.118), 140;A.Schmalix, Der Ringwall bei Traitsching (Der Bayerwald 43) 1951,88-90; Hans-Jürgen Hundt, Nachtrag zum »Traitschinger RingwalI« (Der Bayerwald 43) 1951,7*-8*; Klaus Schwarz, Passau, Kallmünz, Straubing, Cham (Führer zu vor- und

Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 149

cherung des Altstraßenzuges entlang der Kinsach in Richtung Do-nautal. Vermutlich ist mit ihm in Verbindung zu bringen ein ähnli-ches Geländedenkmal auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Diegenaue Zeitstellung der Anlagen ist noch nicht geklärt. Doch denktdie Archäologie heutzutage eher als an eine prähistorische an einemittelalterliche Befestigung, die als Sicherungssystem der Zeit vordem Burgenbau anzusehen ist und deswegen der Burg Sattelpeiln-stein vorausgehen wird 120. Deren Anfange dürften in die Frühzeit derMarkgrafschaft zurückreichen. In diese weist vor allem der Namedes Nachbarortes Sitzenberg, der mit hoher Wahrscheinlichkeit vomersten Markgrafen Sizo 121 abzuleiten ist, wie noch heute die mund-artliche Lautung nahelegt. Offensichtlich hat Markgraf Sizo geradedie Südgrenze sehr demonstrativabgesteckt und gut gesichert. In dengleichen Zusammenhang gehört die in fortifikatorischer Hinsichtnicht minder günstig postierte Burg Neuhaus, die aber jüngeren Al-ters sein dürfte 122.

Diese Stützpunkte hatten eine unverkennbare Stoßrichtung nachSüden. Hier lag der Herrschaftsraum der Grafen von Bogen. Diesehaben als Nachfolger der Babenberger die Grafschaft im östlichenDonaugau kurz nach der Errichtung der Markgrafschaft erhalten undbauten hier ihre Herrschaft nach ähnlichen Methoden auf. In unmit-telbarer Nähe der diepoldingischen Ministerialenburg Sattelpeiln-stein errichteten sie als vorgeschobenen Stützpunkt Burg Sattel-bogen=. Auch deren Name ist ein sprechender Name, der den Bezug

frühgeschichtlichen Denkmälern 6) Mainz 21967, 40 f.; Annin Stroh, Die vor- undfrühgeschichtlichen Geländedenkmäler der Oberpfalz (Materialhefte zur bayerischenVorgeschichte B 3) Kallmünz 1975,155; Rieckhoff-Pauli-Torbrügge, Regensburg(wie Anm.76), 185-187.120 Stroh, Geländedenkmäler der Oberpfalz, 155.121 Tyroller, Genealogie (wie Anm. 92), 95, 99 Nr. 25; s. Anm. 103.122Kunstdenkmäler: Cham, bearb. von Hoffmann und Hager (wie Anm.1l8),111-113; Tillmann, Burgen II (wie Anm.118), 711; Neuhaus ist der Markgrafschaftzuzuordnen. Der Name verweist auf eine spätere Ausbauphase.123Johann Schmid, Geschichte der Hofmark Sattelbogen (Bibliothek für Volks-und Heimatkunde 26) Kaufbeuren 1904; Kunstdenkmäler: Cham, bearb, von Hoff-mann und Hager (wie Anm.118), 128 f.; Stroh, Geländedenkmäler der Oberpfalz(wie Anm. 119), 154; Max Piendl, Sattelbogen. in: Handbuch der Historischen

150 Alois Schmid

zum Herrengeschlecht gezielt zum Ausdruck bringt 124. Mit Sicherheitstehen sich hier an der Nahtstelle von Markgrafschaft Cham undGrafschaft Bogen zwei Burgen und ein weiterer Grenzort mit sehrdemonstrativen Namen gegenüber, die davon herrühren, daß die ex-pansiven Bestrebungen der Bogener hier auf den Widerstand derMarkgrafen stießen, wobei Sattelbogen sicherlich eine BogenerGründung ist, deren Anfänge in die Zeit vor oder um 1100 zu setzensind'>,Nur wenige Kilometer von diesen beiden bedeutenden Ministeria-

lensitzen Sattelpeilnstein und Sattelbogen entfernt liegt die OrtschaftOber-/Untergoßzell. Wenn Max Piendls Ortsnamenidentifikation zu-trifft, dann ist sie erstmals zwischen 1061 und 1089 als Sitz eineshochstiftischen Dienstmannen bezeugt, der wohl auch als namenge-bender Ortsgründer anzusprechen ist: Gozvvin de Gozvvinzellei»,Demnach haben also auch die Domvögte von Regensburg nach derMitte des 11. Jahrhunderts ihren Einflußbereich über den bisherigenGrenzort Falkenstein, den sie eben damals um 1070 zur Festung aus-

Stätten: Bayern, hrsg. von Bosl (wie Anm.118), 658 f.; Johann Brunner, Sattelbogenund sein Stammgeschlecht (Beiträge zur Geschichte im Landkreis Cham 4) 1987,7-10.124 Schmid, Sattelbogen, 2; Willibald Schmidt- Johann Brunner, Die Ortsnamendes Bezirksamtes Cham (VHVO 79) 1929, 89f. Doch bestehen keine Zusammen-hänge der Wappen.I2S Piendl, Grafen von Bogen 11 (wie Anm.24), 39f. Die Sattelbogener sind von1156-1537 nachzuweisen. Die örtliche Tradition führt das Geschlecht in Anschlußan Georg Rüxner, Thurnierbuch. Von Anfang, Ursachen, Ursprung und herkommender Thurnier im heutigen Römischen Reich Teutscher Nation, Frankfurt 1566, G1IIl' (= Neudruck 1964, 89) und Wiguläus Hundt, Bayrisch Stammenbuch I, Ingol-stadt 1598,318-323 ins IO.Jahrhundert zurück. Das trifft sicher nicht zu.126 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm.30), 148 Nr.197. Die zeitli-che Einordnung der Urkunde ist schwierig. Doch kann der vom Herausgeber ange-gebene Zeitraum 1016-1089 wegen der Nennung Bischof Ottos von Regensburg auf1061-1089 eingeengt werden. Zum Ort: Kunstdenkmäler: Charn, bearb. von Hoff-mann und Hager (wie Anm.118), 114; Schmidt - Brunner, Cham (wie Anm.124),85; s.Anm.174; Benedikt Braunrnüller, Der Natternberg (Verhandlungen des Histo-rischen Vereins für Niederbayern 17) 1872, 155 deutet zu Unrecht Gozpoldescellaauf diesen Ort, das auf Kasparszell (Lk Straubing - Bogen) zu beziehen ist. Noch im18. Jahrhundert war das Regensburger Domkapitel hier begütert: Piendl, HAB Cham(wie Anm.20), 18.

Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 151

bauten, hinaus vorgeschoben, bis unmittelbar an die Burgen Sattel-peilnstein und Saueibogen heran. Damit standen sich in einem Drei-eck von wenigen Kilometern Seitenlänge drei Dynastengeschlechtergegenüber. Goßzell ist der am weitesten im Norden gelegene undzugleich am frühesten belegte der vielen -zell-Orte im Raum Falken-stein. Dieser Befund muß so gedeutet werden, daß auch die Dom-vögte hier eine vorgeschobene Herrschaftsposition aufgebaut haben,während das rückwärtige Gebiet in dieser Zeit noch weithin uner-schlossenes Waldland war. Die fast gleichzeitige Übertragung derGrafschaften an die Markgrafen und die Bogener sowie die Verfesti-gung der Hochstiftsvogtei zu eben dieser Zeit in den Händen derDomvögte lösten offensichtlich geradezu einen Wettlauf um daszwischen den Herrschaftszonen liegende Waldland aus, aus dem sichdas Königtum zurückzog. Da die genannten Geschlechter in denKämpfen des Investiturstreites alle auf kaiserlicher Seite standen,können die Auseinandersetzungen damit nichts zu tun haben 127, siesind allein territorialpolitisch begründet. Es wurden zunächst die In-teressensphären abgesteckt, ohne daß es zur Ausbildung linearer Ab-grenzungen gekommen wäre.In diese Auseinandersetzungen griffen im 12. Jahrhundert schließ-

lich auch die welfischen Herzöge von Bayern ein. Ihr Interesse galtweniger dem Raum selber als dessen Nähe zum Vorort des Landes:Regensburg. Das Geschlecht war territorial kaum in seinem Her-zogtum verankert. Wenn es diesen Zustand beheben wollte, hatte daszweckmäßigerweise am ehesten im Zentralraum um Regensburg zugeschehen. Gerade er war damals heiß umkämpft. Als schwächstesGlied in der Kette der hier ansässigen Herrschaftsträger konnte daseinzige größere geistliche Territorium erscheinen: die bischöflichenForste im Osten. Heinrich der Stolze nahm deswegen den Tod Bi-schof Hartwigs I. 1126 zum Anlaß, gerade die Vogtei über diesesGebiet an sich zu reißen. Er versuchte Domvogt Friedrich aus dem

127 Karl Bosl, Adel, Bistum, Klöster Bayerns im Investiturstreit, in: Festschrift fürHermann Heimpel zum 70. Geburtstag (Veröffentlichungen des Max-Planck-Insti-tuts für Geschichte 36, 2) Göttingen 1972, 1121-1146.

152 Alois Schmid

Raum hinauszudrängen. Die Kämpfe konzentrierten sich zunächstauf die Festung Donaustauf, weiteten sich dann aber auf den ge-samten Bischofsforst aus und erhielten ihren Schwerpunkt schließ-lich im weit rückwärts gelegenen Falkenstein 128. Diese Verlagerungist auffallend, hängt aber sicher mit den umstrittenen Herrschaftsver-hältnissen gerade in diesem Raum zusammen. Sie ermöglichten esauch den Welfen, hier Fuß zu fassen. Einzelne Stützpunkte müssenan sie übergegangen sein. Jedenfalls begegnen die bisherigen Boge-ner Ministerialen zu Saueibogen im früheren 12.Jahrhundert plötz-lich im welfischen Gefolgew, Auch den Herzögen war damit derEinbruch in den mittleren Vorwald gelungen. Burg Falkenstein fielin ihre Hände; von ihr aus haben sie einen schlimmen Verwüstungs-feldzug in das bischöfliche Forstgebiet hineingetragen. Die Ausein-andersetzungen zogen sich über Jahre hin und kamen erst 1132 aufVermittlung des wittelsbachischen Pfalzgrafen Otto IV. in einer Ei-nigung mit dem neugewählten Bischof Heinrich I. zum Abschluß.Ergebnis der Auseinandersetzung war, daß die Herzöge sich aus demRaum zurückziehen mußten und die Vogtei an die Domvögte zu-rückgegeben wurde 130. Es gelang Heinrich dem Stolzen nicht, geradeden Bischofsforst im Vorderen Bayerischen Wald zur Stärkung derHerzogsmacht im Zentralraum um Regensburg in seine Verfügungzu bringen. Der Versuch wurde im Jahre 1146 von seinem SohnHeinrich dem Löwen noch vor der Herrschaftsübernahme wieder-

128Historia Welforum, hrsg. von Erieh König (Schwäbische Chroniken der Stau-ferzeit 1) Sigmaringen 21978, 3D,32; Kaiserchronik eines Regensburger Geistlichen,hrsg. von Eduard Sehröder (MGH Deutsche Chroniken 1) Berlin 31969, 389,V.17057. Breite Schilderung der Auseinandersetzungen bei: Carl Theodor Gemei-ner, Regensburgische Chronik I, Regensburg 1800, neu hrsg. von Heinz Anger-meier, München 1971, 218-225. Vgl. Riezler, Geschichte Baierns 1/2 (wieAnm.48), 237-239; Ferdinand Janner, Geschichte der Bischöfe von Regensburg Il,Regensburg 1884,23-25; Piendl, Grafen von Bogen III (wie Anm.24), 30-32.129Otto Haendle, Die Dienstmannen Heinrichs des Löwen. Ein Beitrag zur Frageder Ministerialität (Arbeiten zur deutschen Rechts- und Verfassungsgeschichte 8)Stuttgart 1930, 65.130Schon am 18.August 1127 begegnet Friedrich wieder als Domvogt. In der Um-gebung des Königs wurde also immer er als rechtmäßiger Vogt betrachtet: MGHD Lo Ill. 11.

Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 153

holt, freilich mit ähnlich geringem Erfolgr», Sein Scheitern könntedamit zusammenhängen, daß er sich nun kaum noch auf Ministeria-lität in diesem Raum stützen konnte. Denn es gelang gerade in diesenvierziger Jahren den Diepoldingern, in dem der Mark vorgelagertenLandstreifen eine Reihe von Ministerialen zu gewinnen und so ineinen Raum einzudringen, in dem bisher die Domvögte und die Bo-gener vorherrschend gewesen waren. 1141 ist Tiemo de Regilsmeizeim Gefolge des Markgrafen als Zeuge einer Schenkung innerhalb derMarkgrafschaft bezeugt, obwohl sein Stammsitz Regelsmais (Gern.Michelsneukirchen) bisher nicht zu dieser gehört hatte 132. Zur glei-chen Zeit erscheinen die Dorfadeligen aus den Nachbarorten Mi-chelsneukirchen, Atzenzell, Lobmannswies und Pfaffengschwand inder Ministerialität der Diepoldinger», Dadurch wurde die Positionder Welfen in diesem Raum zweifellos geschwächt.Es ist denkbar, daß diese Ausweitung des diepoldingischen Ein-

flusses bereits auf den Vorgang vorausweist oder auch schon mitdiesem zusammenhängt, der dann neue Bewegung in die Herr-schaftsgeschichte des Raumes bringen sollte: das Austerben derDomvögte im Jahre 1148. Ihre Nachfolger wurden die Grafen vonSulzbach, die aber die Territorialpolitik der Domvögte hier nichtfortsetzten, weil sich ihre Interessen auf andere Räume konzentrier-ten'>. Abermals wurden daraufhin die welfischen Landesherrn aktiv.1161 versuchte Heinrich der Löwe ein letztes Mal, im bischöflichenGebiet Fuß zu fassen, um die herzogliche Position auf Kosten des

131 Gemeiner, Regensburgische Chronik I (wie Anm.128), 237.132 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm. 30), 381 Nr. 805. Ein weitererBeleg: Monumenta Boica XXVII, München 1829, 19 (um 1160). Die auffallendeBedeutung des Dorfes Regelsmais für die Herrschaftsgeschichte des Raumes ergibtsich allein aus seiner Lage; von hieraus konnte das Umland bis Cham überwachtwerden.IJJ Belege: Monumenta Boica XXVII, 19f. Nr.XXII, XXIII. Vgl. Throner, Die-poldinger (wie Anm.l03), 70.134 Ernst KIebeI, Die Grafen von Sulzbach als Hauptvögte des Bistums Bamberg inBayern (Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 41)1926, 108-128; wieder in: ders., Probleme der bayerischen Verfassungsgeschichte.Gesammelte Aufsätze (SchbLG 57) München 1957,306-324.

154 Alois Schmid

Bischofs zu stärken 135. Doch gelang es ihm auch jetzt nicht, sich aufDauer im Bannforst festzusetzen.Dieses Machtvakuum haben die Landgrafen von Stefling benützt,

um nun auch ihrerseits in die Auseinandersetzung um den Kernraumdes Vorwaldes einzugreifen und hier Ansprüche anzumelden. Für1161 ist ein paponisches Grafenthing gerade am auffallenden Mini-sterialensitz Regelsmais bezeugtr=. Verhandelt wurde über strittigeGüter im noch weiter ostwärts gelegenen Salmannsgrub und zu Wet-zelsberg. Damit war offensichtlich die Stoßrichtung angegeben.Nach dem Aussterben der Domvögte drangen zugleich mit Heinrichdem Löwen die Landgrafen von StefIing tief in deren bisherigenHerrschaftsbereich vor und und meldeten Anspruch auf einen Land-streifen zwischen dem bischöflichen Forst und der Markgrafschaftan, der sich wie ein Schlauch zwischen diese beiden Herrschaftszo-nen bis auf die Höhe des Bogener Grafschaftsraumes vorschob. Obdamals auch Falkenstein an die Landgrafen überging, wird nichtdeutlich. Doch kann allein diese Burg das eigentliche Ziel des Vor-stoßes gewesen sein. Nur von hier aus waren die vorgelagertenStützpunkte zu behaupten. 1182 ist Falkenstein dann aber mit Si-cherheit nicht mehr im Besitz der Landgrafen 137. Sie scheinen zu die-

135 Gesta archiepiscoporum Salisburgensium: Vita Eberhardi archiepiscopi, hrsg.von Wilhelm Wattenbach, MGH SS XI, Hannnover 1851,82; Armales Reichersber-genses, hrsg. von Wilhelm Wattenbach, MGH SS XXVII, Hannover 1861,468. Vg!.Riezler, Geschichte Bayerns 1/2 (wie Anm.48), 306f.; Janner, Geschichte 11(wieAnm.128), 146f.; Andreas Kraus, Heinrich der Löwe und Bayern, in: Heinrich derLöwe, hrsg. von Wolf-Dieter Mohrmann (Veröffentlichungen der NiedersächsischenArchivverwaltung 39) Göttingen 1980, 187. Die von Hausberger, Bistum Regens-burg I (wie Anm.79), 112 aufgeworfene Frage nach den Motiven ist am ehesten mitdiesem Hinweis auf territorialpolitische Zielsetzungen zu beantworten.136 Monumenta Boica XIII, München 1777, 129: Acta sunt hec in loco qui diciturRegi/ismaize, ubi pretoria sedes Ottonis comitis habetur. Vg!. Benedikt Braunmül-ler, Die lobsamen Grafen von Bogen (Verhandlungen des Historischen Vereins fürNiederbayern 18) 1874, 140; Piendl, Grafen von Bogen III (wie Anm.24), 69;Schmitz-Pesch, HAB Roding (wie Anm. 22), 73. Zum Ministerialensitz Regelsmais:Anm.132.131 Germania pontificia I (Regesta pontificum Romanorum 111),bearbeitet von Al-bert Brackmann, Berlin 1891, 273f. Nr.28; Albert Brackmann, Die Kurie und dieSalzburger Kirchenprovinz (Studien und Vorarbeiten zur Germania Pontificia 1)

Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 155

sem Zeitpunkt bereits wieder zurückgedrängt worden zu sein. DieAufgabe des vorgeschobenen Stützpunktes zu Regelsmais kanndemnach nicht erst mit ihrem Aussterben 1196 zusammenhängen.Schon 1182 ist Burg Falkenstein wieder in Händen des Bischofs,dem es also gelungen war, seine Interessen trotz dieses Angriffes vonzwei Seiten her zu behaupten.Zur Vormacht im südlichen Untersuchungsraum stiegen in diesen

im ganzen Herzogtum Bayern von großer Instabilität gekennzeich-neten Jahren aber die Grafen von Bogen auf, nachdem durch dasAussterben der Sulzbacher 1188 die Hochstiftsvogtei abermals erle-digt war und die Nachfolger, die Herren von Lengenbach im Öster-reichischen, hier nicht mehr aktiv wurden. Zwar meldete der Bischofnach dem Ende der Paponen Ansprüche auf die Landgrafschaft an,durchzusetzen vermochte er diese jedoch nicht. So wurde Raum fürdie beiden Dynastien frei, die damals in ein erbittertes Ringen um dieVorherrschaft in Ostbayern eintraten: die Bogener und die Diepol-dinger. Die »Bogener Fehde« wurde auch hier ausgetragen 138. Sieendete mit einer Niederlage des herrischen Grafen Albert Ill., derdiese auch mit territorialen Verlusten bezahlen mußte. Seine Einbu-ßen in diesem Raum werden im Detail erst greifbar im ältesten baye-rischen Herzogsurbar, das um 1230 im Goßzell-Sattelbogener Taleine Reihe von Ortschaften anführt, die früher im Einflußbereich derBogener und somit außerhalb der Markgrafschaft gelegen waren.Vor 1230 ist also wirklich die Grenze zwischen der Markgrafschaftund der Grafschaft Bogen über den Hügelkamm bei Sattelbogennach Süden vorgerückt worden. Die Bogener mußten in einemGrenzsaum spürbare territoriale Verluste hinnehmen. Die Verschie-bungen müssen noch in die markgräfliehe Zeit zurückgehen. Diesen

Berlin 1912,222 (Besitzbestätigung durch Papst Lucius III.): Falckenstain cum om-nibus appendiciis suis.138 Zur Bogener Fehde: Sigmund von Riezler, Geschichte Baierns II (Geschichteder europäischen Staaten 20, 2) Gotha 1880, 22 f.; Spindler, Landesfürstentum (wieAnm.99), 17f.; Waiter Dürig, Die bogen-bayerische Fehde des Jahres 1192 imLichte eines zeitgenössischen liturgischen Gebetes (Historisches Jahrbuch 75) 1956,167-172.

156 Alois Schmid

zeitlichen Ansatz legen das Auftreten der letzten Diepoldinger alsSchenker an das Kloster Reichenbach im Raum um Sattelbogen undder Sattelbogener als Zeugen im Reichenbacher Urkundenmateriali»nahe. Diesen Entwicklungsstand hält das älteste bayerische Her-zogsurbar fest; er spiegelt sich wider im Verlauf der heutigen Grenzezwischen den Landkreisen Cham und Straubing - Bogen, die alsonicht identisch ist mit der Südgrenze der Markgrafschaft Cham, son-dern erst durch Verschiebungen in spätdiepoldingischer Zeit entstan-den ist. Sie sind am ehesten in die Jahre der Bogener Fehde zu datie-ren. Die Bogener erlitten damals an der Nordgrenze ihres Herr-schaftsraumes Einbußen, waren aber immer noch mächtig genug,sich für diese Verluste an anderer Stelle schadlos zu halten. Dasspätere Landgericht Mitterfels erstreckte sich über den BogenerHerrschaftsraum hinaus in einer auffallenden Ausbuchtung nach We-sten, die auch Michelsneukirchen und Falkenstein einschloß und bisSchillertswiesen vorstieß. Offensichtlich handelt es sich um das In-teressengebiet, das um die Mitte des 12. Jahrhunderts die Landgrafenvon Stefling an sich gebracht hatten; es kam nach deren Aussterbenan die Bogener. In der Folgezeit begegnen deswegen die Falkenstei-ner immer im Gefolge der Bogener=, Auch diese Verschiebung mußam ehesten mit der Bogener Fehde in Zusammenhang gebracht wer-den. An deren Ende scheint somit das Arrangement zu stehen, daßdie Bogener einen wichtigen Grenzstreifen im Norden ihrer Graf-schaft abtreten mußten, dafür aber Entschädigung im Nordwesten anfür sie weniger günstig gelegener Stelle erhielten, wo durch das Aus-sterben der Landgrafen Raum verfügbar geworden war. Damit kehrte

139 Monumenta Boica XXXVIII (wie Anm.99), III f.; Ingrid Heeg-Engelhart, Dasälteste bayerische Herzogsurbar. Analyse und Edition (QE NF 37) München 1990,239 f. Das Ausgreifen der Diepoldinger auf diesen Grenzsaum belegen weiterhin dieUrkunden: Monumenta Boica XXVII (wie Anm.132), 35, 36, 41, 44; CorneliaBaumann, Die Traditionen des Klosters Reichenbach am Regen (QE NF 38) Mün-chen 1991; s.Anm.213.140 S.Anm.136; Piendl, Grafen von Bogen III (wie Anm.24), 69; Mohr, Traditio-nen von Oberalteich (wie Anm.93), 198-202 Nr.98, 213f. Nr.l02, 216-220Nr.l04, 233f. Nr.112, 236-238 Nr.114.

Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 157

ein Gebiet in ihre Zuständigkeit zurück, das ursprünglich die ver-wandten Domvögte erworben und gerodet hatten.Die Herrschaftsverhältnisse im Kernraum des Vorwaldes waren

also im hohen Mittelalter äußerst instabil. Gerade diese beständigenVerschiebungen zeigen, daß Grafschaften des hohen Mittelaltersoftmals sehr labile, dynamische Gebilde waren, deren Grenzen sichbeständig verschoben, weil vor allem die Berührungszonen sehr um-kämpft waren 141.

4. DAS VORDRINGEN DER WITTELSBACHER

Im 11. und 12. Jahrhundert waren die Kirche und der gräflicheHochadel die dominierenden herrschaftlichen Kräfte im Untersu-chungsraum. Sie lösten das Königtum ab, dem nur mehr spärlicheAnsatzpunkte verblieben, obwohl die Burggrafschaft Regensburg,die Markgrafschaft Cham und die Grafschaft der Bogener ebensoReichslehen waren wie die Domvogtei. Doch verflüchtigten sichdiese Bindungen im Laufe der Zeit immer mehr. Am stärksten bliebder Reichslandcharakter in der Markgrafschaft Cham142, wo er haupt-sächlich durch Reichsministerialen aufrecht erhalten wurde. KarlBosl konnte hier eine Reihe von Reichsministerialen nachweisen: zuSüssenbach, Treitersberg, Wetterfeld, Regenpeilnstein, Seigenbach,Stefling und schließlich auch in Sattelbogen 143. Gerade Friedrich

141 Zur Frage der Grenzen auch die Beobachtungen von Schmitz-Pesch, HAB Ro-ding (wie Anm. 22),97 Anm.9.142 Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg, hrsg. von Robert Holtz-mann (MGH SrG NS 9) Berlin 21955, 104: Imperator ... ad civitatem suam, quaeCamma dicitur, venit. Das Königtum ließ hier Münzen prägen: Hermann Dannen-berg, Die deutschen Münzen der sächsischen und fränkischen Kaiserzeit I, Berlin1876, 425f.; 11,Berlin 1894,687; Ill, Berlin 1898,815. Vgl. Piendl, HAB Cham(wie Anm.20), 2 f.143 Karl Bosl, Reichsministerialität als Träger staufiseher Staatspolitik in Ostfran-ken und auf dem bayerischen Nordgau (Jahresbericht des Historischen Vereins fürMittelfranken 69) 1940/41, 1-103; ders., Die Reichsministerialität der Salier undStaufer. Ein Beitrag zur Geschichte des hochmittelalterlichen deutschen Volkes,

158 Alois Schmid

Barbarossa hat sich im Rahmen der staufischen Reichslandpolitikbemüht, den Königslandcharakter der Markgrafschaft noch einmalzur Geltung zu bringen, und jeden Ansatzpunkt zur Stärkung derRechte des Königtums ausgenützt. Dieses Ziel wird besonders in derFrühgeschichte des Benediktinerklosters Reichenbach mehrfachdeutlich; 1182 hat es Friedrich I.Barbarossa demonstrativ unter sei-nen Schutz gestellt'« Vor allem gelang es ihm, nach dem Aussterbender Burggrafen von Regensburg deren Burggrafschaft'» und der Gra-fen von Sulzbach deren bambergische Hochstiftsvogtei an sich zubringen 146. Dadurch hat er die Position des Königtums im mittlerenRegental wieder gefestigt. Friedrich Barbarossa war also auf dem be-sten Wege, die alten Königsrechte in einem Raum zu er-neuern, demals Bindeglied zwischen Regensburg und den staufischen Positionenauf dem Nordgau innerhalb des angestrebten Königslandgürtels vonSchwaben und Franken nach Mitteldeutschland noch einmal beacht-liche herrschaftliche Bedeutung für das Königtum zuwuchs. Aller-dings setzte der Tod Barbarossas 1190 und seiner Söhne kurz danacheinen unerwartet jähen Schlußpunkt hinter die sehr zielstrebige stau-fische Reichslandpolitik.In diese Lücke rückte nun das in eben diesen Jahren erstarkende

Herzogsgeschlecht der Wittelsbacher ein. Auch sie hatten sich be-reits in pfalzgräflicher Zeit um Ansatzpunkte bemüht, um ihr durchden Anfall des Pettendorf - Lengenfelder Erbes eingeleitetes Aus-greifen über die Donau auch in den Vorwald hineinzutragen. Dochkonnten sie hier zunächst nur wenige Stützpunkte gewinnen. Derenwichtigster war die Burg Hof am Regen, der Stammsitz der Hofer(= de Curia). Dieses Ministerialengeschlecht begegnet in zahlreichen

Staates und Reiches (Schriften der Monumenta Gennaniae Historica 10) Stuttgart1950/51, hier 11,473 f. mit Kartenbeilage 6.144 Monumenta Boica XXVII (wie Anm.132), 33 f.; MGH D FI. 832; s. Anm.199.145 Über den Verbleib der Burggrafschaft liegen keine direkten Zeugnisse vor.Spindler, Landesfürstentum (wie Anm.99), 16f. geht davon aus, daß Barbarossa an-gesichts der Hilflosigkeit des jungen Herzogs von Bayern und der Vakanz des Bi-schofsstuhles zu Regensburg die Burggrafschaft als erledigtes Reichslehen einzog.146 Spindler, Landesfürstentum (wie Anm. 99), 16f.

Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 159

Urkunden der frühen Herzogszeitw, Weitere wittelsbachische Mini-sterialen saßen in Stockenfels!= und seit 1196 in Stefling=, DieWittelsbacher konzentrierten ihr Interesse also zunächst auf das un-tere Regental zwischen den staufischen Positionen am mittleren Re-gen und Regensburg. Wo immer möglich, stießen sie aber auch insHinterland vor. 1179 begegnet sogar ein Otto von Falkenstein imwittelsbachischen Gefolge=, Ab 1204 tauchen die Sattelbogenerdann endgültig in der herzoglichen Ministerialität auflsl• Gerade andiesen beiden Brennpunkten ist mit wiederholtem Ministerialitäts-wechsel zu rechnen, der sich gut mit den Verschiebungen in derHerrschaftsgeschichte des Raumes zur Deckung bringen läßttS2• Dazukamen Vogteirechte im Freisinger Besitz südlich Roding 153. Übereinzelne Stützpunkte sind die Wittelsbacher aber hier in pfalz-gräflicher Zeit nicht hinausgelangt.

147 Rieckhoff-Pauli - Torbrügge, Regensburg (wie Anm.76), 155; Schrnitz-Pesch,HAB Roding (wie Anm. 22), 80 f. Zu diesem Ministerialengeschlecht auch SiegfriedHofmann, Urkundenwesen, Kanzlei und Regierungssystem der Herzoge von Bayernund Pfalzgrafen bei Rhein von 1180/1214 bis 1255/1294 (Münchener HistorischeStudien, Abt. Geschichtliche Hilfswissenschaften 3) Kallmünz 1967, 116.148 Josef Klose, Das Umland von Nittenau, in: Stadt Nittenau (wie Anm.97), 81 f.;Rieckhoff-Pauli - Torbrügge, Regensburg (wie Anm.76), 155. Stockenfels kamwohl aus dem Erbe der Herren von Pettendorf - Lengenfeld - Hopfenohe.149 Günther Flohrschütz, Machtgrundlagen und Herrschaftspolitik der ersten Pfalz-grafen aus dem Hause Witte1sbach, in: Hubert Glaser (Hg.), Die Zeit der frühenHerzöge. Von Otto I. zu Ludwig dem Bayern. Beiträge zur bayerischen Geschichteund Kunst (Wittelsbach und Bayern Ill) München-Zürich 1980,55; Haendle, Mini-sterialen (wie Anm. 129), 66; Rieckhoff-Pauli - Torbrügge, Regensburg (wieAnm.76), 155.150 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm. 30),461 Nr.929.151 Erster Beleg: Monumenta Boica XXVII (wie Anm.132), 46 (1204); ThomasRied, Codex chronologico-diplornaticus episcopatus Ratisbonensis I, Regensburg1816,338 f. Nr. 376 (a. a. 1224).152 Das gilt vor allem für den Ministerialensitz Sattelbogen: zunächst Bogener Mi-nisterialen: Piendl, Grafen von Bogen 11(wie Anm.24), 39f.; dann welfische Mini-sterialität: Haendle, Ministerialität (wie Anm. 129), 65; weiterhin Reichsministeria-lität: Bosl, Reichsministerialität 11(wie Anm.143), 473 und schließlich wittelsbachi-sehe Ministerialität: Anm.151.153 Zur Freisinger Hochstiftsvogtei: Helmuth Stahleder - Kurt Steigelmann, Hoch-stift Freising: Freising - Ismaning - Burgrain (HAB Altbayern 33) München 1974,17-75.

160 Alois Schmid

Der breite Einbruch in den Raum glückte erst in herzoglicher Zeit.Voraussetzungen dafür waren das reihenweise Aussterben der hieransässigen Dynastengeschlechter und der endgültige Zusammen-bruch der Position des Königtums. Die Entwicklung setzte ein mitder Übernahme der staufischen Herrschaftspunkte im mittleren Re-gental=, 1196 beim Aussterben der landgräflichen Linie der Papo-nen gelang es dann den Herzögen, deren Grafschaft mit den Eck-pfeilern Regenstauf, Kürn und Stefling an sich zu bringen 155. 1204beim Tode Markgraf Diepolds Ill. setzte sich Herzog Ludwig derKelheimer, unbekümmert um deren Rechtsstatus als Reichsgraf-schaft und die noch lebenden Diepoldinger, auch in der Markgraf-schaft Cham durch, weil sich das in den Thronkampf verwickelteKönigtum nicht zur Wehr setzen konntet», Das Gebiet wurde sofortdurch die Anlage einer Stadt gesichert; Ch am ist eine der ersten wit-telsbachischen Stadtgründungen geworden m. Damit war innerhalbweniger Jahre die gesamte nördliche Hälfte des Vorwaldes in her-zogliche Hand gekommen. Und als 1242 beim Aussterben der Gra-fen von Bogen auch noch deren Grafschaft anfiel, unterstand fast dergesamte Raum den wittelsbachischen Landesherrn 158. Schließlichkonnten 1269 noch die Bamberger Vogteirechte endgültig abgelöstwerden 159. So blieb als einziger Fremdkörper das Hochstift desBistums Regensburg, das - ganz im Sinne frühwittelsbachischer

154 Schmitz-Pesch, HAB Roding (wie Anm.22), 30--60.155 Mayer, Burggrafen von Regensburg (wie Anm.106), 48. Vg!. Diethard Schmid,Die Ausbildung der wittelsbachischen Landesherrschaft im Raum Regensburg(VHVO 124) 1984,313-332; Schmitz-Pesch, HAB Roding (wie Anm. 22), 80f.156 Spindler, Landesfürstentum (wie Anm. 99), 19f.151 Karl Bosl, Cham als Zentralort des Bayerischen Waldes. Herzogskloster,Reichsburg, Reichsmarkt und bayerisch-pfälzische Territorialstadt, in: ders., Diebayerische Stadt in Mittelalter und Neuzeit. Altbayern - Franken - Schwaben,Regensburg 1988, 339-359; ders., Cham. Die Geschichte der Stadt und ihres Um-landes in 1200 Jahren (Bayerische Städtebilder) Stuttgart 1989,22-24.158 Spindler, Landesfürstentum (wie Anm.99), 21 f.; Piendl, Grafen von Bogen III(wie Anm.24), 74f.159 Klose, Nittenau (wie Anm.97), 49f.; Schmitz-Pesch, HAB Roding (wieAnm. 22), 36 f.

Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 161

Territorialpolitik - scharf unter Druck gesetzt wurdew, aber den-noch nicht errungen werden konnte. Lediglich die hochstiftischeHerrschaft Schönberg ging auf nicht erhellbarem Wege an den Lan-desherrn über. Das zweite wittelsbachische Urbar weist Herzogsbe-sitz zu Zeitlarn, Lichtenberg, Pettenreuth, Hauzendorf, Wolfersdorfund Weichs aus, der ebenfalls daher stammen muß!s'. Im übrigenzeigt auch das Hochstift Regensburg, daß sich kirchliche Herrschaf-ten gegenüber der landesherrlichen Territorialpolitik in der Regel alszählebiger erwiesen als Adelsherrschaften. So blieb der Raum zwei-geteilt. Es gelang den Herzögen nicht, die ursprüngliche herrschaftli-che Einheit gänzlich wiederherzustellen.Der Vordere Bayerische Wald wurde, soweit er den Herzögen un-

terstand, in die entstehende frühwittelsbachische Landesverwaltungeingebaut. Er wurde den Landgerichten Mitterfels, Cham, Wetterfeldund Stadtamhof zugeteilr=. Der Kernraum wurde im 15. Jahrhundertzum Pfleggericht Falkenstein erhobenre, Diese Verwaltungsorgani-sation baute nur sehr grob auf den alten Grafschaften auf. Sieschimmern im großen und ganzen noch durch, weil sie sich nicht- wie andernorts - nach dem Aussterben der Dynastengeschlech-ter einfach in ältere Bestandteile auflösten 164. Im einzelnen wurdendann aber doch weithin neue Verwaltungsbezirke geschaffen. Diesewurden schon bei der ersten Landesteilung von 1255 auseinanderge-rissen. Die Grenze zwischen Ober- und Niederbayern verlief mittendurch den Vorwaldie. Die Ämter Cham und Radling fielen an die

160 Den starken herzoglichen Druck zeigen vor allem die Bemühungen um denStützpunkt Heilsberg: F. S. Gsellhofer, Beiträge zur Geschichte von Heilsberg(VHVO 7) 1843, 104-112.161 Monumenta Boica XXXVI (wie Anm.139), 368f. Vg!. Ebneth, Wenzenbach(wie Anm. 65),35.162 S. die entsprechenden Bände des HAB für Stadtamhof, Straubing, Cham undRoding (Anm. 20--23).163 BayHStA Plansammlung 884,991.164 Günther F1ohrschütz, Die Vögte von Mödling und ihr Gefolge (ZBLG 38)1975,3-143.165 Hermann von NiederaIteich, Annales, hrsg. von Philipp Jaffe, MGH SS XVII,Hannover 1861,397.

162 Alois Schmid

niederbayerische Linie des Hauses Wittelsbach. Diese Trennungwurde von der späteren Viztumsorganisation übernommen und fanddann ihren Niederschlag auch in der Neuordnung der herrschaftli-chen Verhältnisse nördlich der Donau im Hausvertrag von Pavia1329166• Seither gehörte die eine Hälfte des Vorwaldes zum Herr-schaftsgebiet der bayerischen Wittelsbacher, die andere dagegen zurPfalz, die ihren Anteil zwischen 1348 und 1361 durch den Erwerbdes verpfändeten Landgerichtes Cham noch auszubauen ver-mochte 167. Die in den einschlägigen Verträgen ausdrücklich ausbe-dungene Rücklösung gelang nur mehr für einen schmalen Grenz-streifen um Sattelpeilnstein-s, Im 14. Jahrhundert konnte auch dieReichsstadt Regensburg, die ihr Territorium nie in den Vorwald hin-ein auszudehnen in der Lage war, - ebenfalls auf dem Pfand-wege - die Reichsherrschaften Donaustauf und Wörth mit kurzenUnterbrechungen bis 1481 sowie über eine planvolle Burgenpolitikeine Reihe von wichtigen Herrschaftspunkten an sich bringen 169. MitAlbrechts IV. Griff nach der Reichsstadt Regensburg ging die Herr-schaft Donaustauf dann aber an das Herzogtum Bayern über, das siebis 1715 behauptete, aber auch im weiteren Verlauf des 18. Jahrhun-derts um ihre Gewinnung kämpfte. Durch diese Verpfändungen wur-den die Bischöfe als Territorialherrn im Vorwald weithin ausge-schaltet. Es kam im wesentlichen zu einer herrschaftlichen Zweitei-lung des Raumes zwischen bayerischen und pfälzischen Wittelsba-

166 Hans RaU, Wittelsbacher Hausverträge des späten Mittelalters. Die haus- undstaatsrechtlichen Urkunden der Wittelsbacher von 1310, 1329, 1392/93, 1410 und1472 (SchbLG 71) München 1987.167 Monumenta Wittelsbacensia 1I, hrsg. von Franz Michael Wittmann (Quellenund Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte 6) München 1861,403-405 Nr.321; Adolf Koch- Jakob WilIe, Regesten der Pfalzgrafen am Rhein1214-1508, Innsbruck 1894, 144 Nr.2377. Vg!. Sigmund von Riezler, GeschichteBaierns III (Geschichte der europäischen Staaten 20, 3) Gotha 1889, 3 f.; Spindler,Bayerischer GeschichtsatIas (wie Anm. 26), Karten 20-21.168 Regesta Boica IX, München 1841,37; Koch- Wille, Regesten der Pfalzgrafen I(wie Anm.167) 196 Nr. 3303.169 Ernst KlebeI, Landeshoheit in und um Regensburg (VHVO 90) 1940,46-50;wieder in: Bosl (Hg.), Zur Geschichte der Bayern (wie Anm. 6) 623-629.

Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 163

ehern, die sogar einzelne Dörfer auseinanderrißw. Sie sollte vor al-lem im konfessionellen Zeitalter schwerwiegende Folgen haben undzu einer sehr unterschiedlichen religiösen Entwicklung des Raumesführen. Diese Zweiteilung wirkt bis in unsere Gegenwart darin nach,daß die Grenze zwischen den Regierungsbezirken Niederbayern undOberpfalz bis heute mitten durch den Vorwald verläuft.

III

Im folgenden seien zur Abrundung der herrschaftlichen und verfas-sungsgeschichtlichen Entwicklung einzelne weitere Beobachtungenzur Gau- und Grafschaftsproblematik mitgeteilt, die sich im Untersu-chungsraum ergeben.

1. GAU UND DIALEKTRAUM

Die Dialektgeographie rechnet die im Vorwald gebräuchlicheMundart nicht zum Oberpfälzischen. Viele für das Oberpfälzischekennzeichnende Eigenheiten werden hier nicht gesprochen. DieSprachgrenze zum Oberpfalzischen verläuft eindeutig nördlich desRegens und deckt sich in etwa mit der Grenze der MarkgrafschaftCh am zum Nordgau hin. Im Gebiet zwischen Regen und Donauspricht man dagegen bis heute eine Umgangssprache, die sich sehrstark am Mittel- und Niederbairischen des Donauraumes orientiert.Die Dialektologie bezeichnet sie als nordmittelbairisch. Die Donau-ebene und der Vorwald stellen - entgegen der völlig unterschiedli-chen naturräumlichen Gliederung - eine Sprachlandschaft dar, diesich unverkennbar an den alten Donaugau anlehnt. Im Dialekt wirktdie ursprüngliche Zugehörigkeit des Raumes zum Donaugau und sei-ne Erschließung von Süden her bis in unsere Gegenwart nach. Gau

170 BayHStA Plansammlung 1034, 1320,3414,3415 (Sattelbogen); auch Unterzell(Lk Cham).

164 Alois Schmid

und Dialektraum stehen hier in einem noch heute wirksamen Zusam-menhang. Ähnliches gilt für den benachbarten Nordgau, der in ent-sprechender Weise eine eigene, freilich ganz anders geartete Sprach-landschaft darstellt!",

2. ZUR ORTSNAMENGEBUNG

Das Untersuchungsgebiet zerfällt im hohen Mittelalter, als es herr-schaftlich erschlossen und aufgesiedelt wird, in vier Zonen, die dieKolonisationsräume der hier wirkenden Dynastengeschlechter ab-stecken. Deren Rodungstätigkeit prägt das Landschaftsbild bis heute.Sie fand ihren Niederschlag auch in einem unterschiedlichen Orts-namenbestand. Jede dieser Zonen weist gewisse Eigenheiten in derOrtsnamengebung auf172•Der älteste Siedlungsraum nördlich der Donau ist das Chamer

Becken mit einem Ausläufer im mittleren Regental. Hier ist bereitsmit prähistorischer Besiedlung zu rechnen, die sich in einzelnenSiedlungsgassen auch in Nebentäler vorschieben konnte (z. B. beiKnöbling). Doch scheint diese nicht in Breite kontinuierlich ins früheMittelalter hineinzureichen, wie vor allem die Analyse des Ortsna-menbestandes zeigt. Im Chamer Becken treten in bemerkenswerterKonzentration -ing-Namen auf, die hier nicht durchwegs in die früh-bajuwarische Zeit zurückzureichen brauchen, sondern eher in die ka-

171 Grundlegend: Eberhard Kranzmeyer, Historische Lautgeographie des gesamt-bairischen Dialektraumes, Wien 1956; Schwarz, Sprache und Siedlung in Nordost-bayern (wie Anm.54); Ludwig Zehetner, Das bairische Dialektbuch, München 1985(61: Skizze zur Binnengliederung des Sprachraumes); ders., Der Bayerische Waldals Dialektlandschaft (Grenzgänge) 1985, 141-146. Besonders instruktiv: AdolfGürtler, Nordbairischer Sprachatlas, München 1971 (Karten 17, 18,25,32,34,39).172 Dachs, Kolonisatorische Erschließung (wie Anm.34), 162, 174f.; Schwarz,Sprache und Siedlung in Nordostbayern (wie Anm.54), 58-Ql; Ernst Schwarz, Die-ing-Namen des Chamer Beckens. Naristen und Veneter (Beiträge zur Namenfor-schung 4) 1953,291-322; Robert Schuh, Die Besiedlung der Oberpfalz im Spiegelder Ortsnamen, in: Gustl Lang. Leben für die Heimat, hrsg. von Ackermann und Gi-risch (wie Anm.19), 167-169. - Zum Raum Roding: Georg Hecht, Die Ortsnamendes Bezirksamtes Roding (VHVO 86) 1936, 193-276.

Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 165

rolingisch-ottonische Ausbauphase gehören. Als Ausgangspunkt der(Wieder-)Aufsiedlung gilt der Donauraum, wie auch sprachliche Be-funde nahelegen. Die -ing-Orte decken sich im wesentlichen mit demKerngebiet der Markgrafschaft, auch wenn sie überwiegend ältersein müssen als diese. Den -ing-Orten vorgelagert ist eine Zone mitOrtsnamen, die in die zweite Ausbauphase des hohen Mittelaltersgehören. Außerhalb der Markgrafschaft sind nur ausnahmsweise ein-zelne -ing-Orte anzutreffen, wobei es sich gelegentlich - wie z. B.bei Völling (Gern. Falkenstein) - um unechte -ing-Orte handeln",Die -ing-Orte sind auch hier in der Regel größere Haufendörfer, oft-mals mit Pfarrsitz.Ganz anders geartet ist der Raum der Grafschaft Bogen. Ihn kenn-

zeichnet das feingliedrige Siedlungsbild des hochmittelalterlichenLandesausbaus mit kleinen Dörfern bis hin zu Einöden. In einzigarti-ger Konzentration treten hier Ortsnamenbildungen auf das Beiwort-zell auf, die im wesentlichen in die zweite Hälfte des 11. und die er-ste Hälfte des 12. Jahrhunderts gehören. Sie reichen nicht in dieMarkgrafschaft und auch nicht in die Burg-Landgrafschaft hinein.Lediglich an den Rändern bei Falkenstein wird das bischöfliche Ge-biet berührt. Die -zell-Orte werden von Max Piendl mit viel Wahr-scheinlichkeit als wichtigstes Ergebnis der Kolonisationstätigkeit derGrafen von Bogen gedeutet 174.

Die Domvögte haben im Unterschied zu den Diepoldingern undBogenern keine umfassende Rodungstätigkeit aufgenommen. Sieließen den Kern des bischöflichen Forstes ungerodet. Bis heute ha-

173 Zum unechten -ing-Ort Völling: Hecht, Roding, 268. Weithin isoliert stehenPlitting (Gern. Wulkersdorf) und Schrötting (Gern. Michelsneukirchen), die auchwegen ihrer geringen Größe atypisch sind. Die Belege setzen sehr spät ein.174 Willibald Fink, Der älteste Besitz der Abtei Metten (Ostbairische GrenzmarkenIt) 1922,55; ders., Die Besiedlung des westlichen Teiles des bayerischen Waldesbis 1200 (Jahresbericht des Historischen Vereins für Straubing und Umgebung 27)1924,31-33; (28) 1925, 43f.; Piendl, Grafen von Bogen II (wie Anm.24), 25f., 34,46; Max Piendl, Die Zell-Orte ostwärts Regensburgs. Ein Beitrag zur Siedlungsge-schichte des Vorderen Bayerischen Waldes (Altbayerische Heimat 2) 1949, Nr. 16._ Die beiden zell-Orte im Altlandkreis Roding stehen in keinem Zusammenhangmit dieser Gruppe.

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ben sich deswegen diese als geschlossene Waldungen erhalten. Le-diglich am Nordrand ihres Besitzes haben auch die Domvögte Kolo-nisationsarbeit geleistet und so ihre Herrschaft über die Königs-schenkungen hinaus ausgeweitet. Die Ausläufer der -zell-Orte, die inihr Gebiet hereinreichen, sind mit der Verwandtschaft zu den Boge-nern oder aber auch erst mit der Übernahme des nördlichen Rand-streifens durch diese nach der Bogener Fehde zu erklären.Auch die Landgrafschaft der Paponen ist im wesentlichen von der

Kolonisationstätigkeit des hohen Mittelalters geprägt. Hier herrschendie Rodungsnamen auf -thann, -schlag, -schwand oder -loh vor. Inbesonderer Konzentration sind Ortsnamenbildungen auf das Beiwort-berg anzutreffen, die Gertrud Diepolder als Eigenheit der paponi-sehen Rodungsarbeit erkannt hatm. Auf die gräfliche Siedlungstä-tigkeit unmittelbar verweisen die beiden Ortsnamen Grafenwinn undGrafenhofen 176.

m Gertrud Diepolder, Die mittelalterliche Besiedlung des Stadt- und LandkreisesRegensburg, in: Spindler, Bayerischer Geschichtsatlas (wie Anm. 26), Karte tOc mitErläuterungen.176 Schwarz, Sprache und Siedlung (wie Anm.54), 342; Ernst Schwarz, Die na-menkundlichen Grundlagen der Siedlungsgeschichte des Landkreises Regensburg(VHVO 93) 1952, 25-63. - Grafenöd (Gern. Wiesent), ein dritter Ort mit derartigerNamenbildung, liegt aber außerhalb der Landgrafschaft. Es gibt eine Reihe vonOrtsnamen, die auf das Beiwort -wing oder ähnlich enden: Appertszwing, Windhof,Wolferszwing, Grafenwinn oder Alletswind. Sie werden als Ansiedlungen gefange-ner Wenden gedeutet; es handelt sich auch hier um Ortsnamenbildungen mit sehrpolitischem Gehalt. Sie konzentrieren sich in der Burggrafschaft. Die Erstbelege lie-gen zum Teil vor 1031: Paul Mai, Der St. Emmeramer Rotulus des Güterverzeich-nisses von 1031 (VHVO 106) 1966, 100: Appertszwing.

Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 167

3. BURGEN- UND MINISTERIALENPOLITIK

Der Untersuchungsraum war gerade in der Blütezeit des hochmit-telalterlichen Burgenbaus sehr umkämpft. Das fand seinen Nieder-schlag in zahlreichen Burgen, die den Vorderen Bayerischen Waldzu einem der burgenreichsten Landstriche Bayerns machen 177. DieseBurgen wurden auffallend häufig mit Toponymen bezeichnet, die aufdas Beiwort -stein enden; sie finden sich über alle vier Herrschafts-räume hinweg verstreut!". Die Kartierung der Standorte läßt im we-sentlichen zwei Gründe für ihre Lage erkennen. Sie reihen sich zumeinen an den wichtigsten Altstraßenzügen durch den Vorwald auf,zum andern stecken sie die Grenzen der einzelnen Herrschaftsräumeab. Der bischöflich-domvögtische Forst etwa wird eingerahmt vonden Burgen Donaustauf, Wörth, Brennberg, Falkenstein, Siegensteinund Lichtenberg. Entsprechendes gilt für die benachbarten Graf-schaften. Die jeweiligen Herrschaftsräume können am ehesten durchdie Zuordnung der einzelnen Burgen abgesteckt werden, wobei frei-lich die aufgedeckten Verschiebungen in Rechnung zu stellen sind.Die dynastische Burgenpolitik hat dem Raum sein bis heute bezeich-nendes Gepräge gegeben. Überwiegend handelt es sich um kleinereMinisterialenburgen, die den Hauptburgen zugeordnet waren, diesich am Rande des Untersuchungsraumes aufreihten: Donaustauf undWörth für den bischöflichen Forst, der Bogenberg für die GrafschaftBogen, die Burg auf dem Galgenberg bei Cham für die Markgraf-schaft, Stefling und Regenstauf für die Landgrafschaft der Paponen.Auch in diesem Raum erfolgte der Herrschaftsauf- und -ausbau

unter anderem mit Hilfe von Ministerialen. Dabei müssen hier dreiGruppen von Ministerialen unterschieden werden. Alle im Vorwaldwirkenden Dynastengeschlechter haben ihre Ministerialität aufge-

177 Das zeigt eindringlich die Karte bei: Tillmann, Burgen und Schlösser IV (wieAnm, 118), Karte 42.178 Fritz Schnelbögl, Die deutschen Burgennamen (ZBLG 19) 1956,221; Schwarz,Sprache und Siedlung (wie Anm.54), 149-154; Josef Fendl, Burgen und Ritter rundum Regensburg, Regensburg 1984.

168 Alois Schmid

baut: die Diepoldingert=, die Bogenerw, die Paponeni» und dieDomvögte:», Neben dieser dynastischen Ministerialität begegnetherzogliche Ministerialität, die aber in welfische und wittelsbachi-sehe Dienstmannschaft unterteilt werden muß 183. Dazu kam auf demBoden der Markgrafschaft, vor allem an ihrer Westgrenze, Reichs-ministerialität, die den ursprünglichen Reichsgutcharakter dieserLandschaft noch im hohen Mittelalter sichtbar macht. Einzelne Ge-schlechter - am deutlichsten wurde dies bei den Sattelbogenern undFalkensteinern - begegnen in mehreren dieser drei Gruppen. Dar-aus ist abgeleitet worden, daß sich gerade in der MarkgrafschaftCh am das Phänomen der Doppelministerialität belegen ließe'», Da-für ist ein überzeugender Beleg allerdings noch nicht beigebracht.Die in Frage kommenden Geschlechter sitzen in umkämpften Räu-men, für die - oft sogar mehrmaliger - Herrschaftswechsel aufge-zeigt wurde. Da die verschiedenen Dienstverhältnisse für unter-schiedliche Zeiten belegt sind, spricht mehr als für Doppelministe-rialität, die allein durch gleichzeitige Zeugnisse zwingend bewiesenwerden könnte, für Ministerialitätswechsel. Er ist mehrfach zu beob-achten, in auffallender Breite beim Aussterben der Domvögte inForm des Übergangs einer Reihe von Geschlechtern an die Grafenvon Bogen 185. Die Entwicklung der Ministerialität ist hier nicht min-

179 Throner, Diepoldinger (wie Anm.103), 24-71; Günther Flohrschütz, Studienzur Geschichte der Herrschaft Vohburg im Hochmittelalter I: Die Minsterialität derDiepoldinger (Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt 96) 1987,9-83; (97)1988,9-81.ISO Piendl, Grafen von Bogen 11(wie Anm.24), 19-23.181 Mayer, Burggrafen (wie Anm. 106), 59 f.; Rädlinger-Prömper, SI. Emmeram(wie Anm.79), 138-140.182 Piendl, Grafen von Bogen 11(wie Anm.24), 30-35; z.B. die Herren zu Lieh-tenberg: Widemann, Traditionen (wie Anm. 30),437 f. Nr.896; 443 f. Nr.903; 464 f.Nr.933.183 S.Anm.147, 148, 149, ISO, 15t.184 Bosl, Reichsministerialität (wie Anm.143); Throner, Diepoldinger (wieAnm.103), 69. Siehe auch die Karte Nr.18/19 in: Spindler, Bayerischer Geschichts-atlas (wie Anm. 26), Karte 18-19. Dabei fällt auf, daß gerade bei den Sattelbogenernaus den gleichen Urkunden die unterschiedlichen Dienstverhältnisse abgeleitet wer-den.

Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 169

der wechselhaft als in anderen ähnlich brisanten Räumen 186 und so-mit sachgerechtes Abbild der komplizierten herrschaftlichen Verhält-nisse.

4. ZUM ZENTRALÖRTLICHEN SYSTEM

Aufschlußreich ist weiterhin die Betrachtung des zentralörtlichenSystems innerhalb des Untersuchungsraumes. Hauptort ist in unsererGegenwart der Markt Falkenstein, der tatsächlich in etwa in der geo-graphischen Mitte liegt. Doch entspringt allein seine moderne Zen-tralität dieser Lage. Sie ist gewiß aus einer historischen Zentralort-funktion erwachsen, die freilich gerade umgekehrt die Randlage derBurg Falkenstein innerhalb des bischöflichen Herrschaftsgebietes zurVoraussetzung hatte. Falkenstein verdankt seine Gründung und sei-nen Aufstieg den Domvögten von Regensburg, die an der wichtig-sten und kürzesten Altstraße von Regensburg nach Cham quer durchden Vorwald an der Stelle, wo sie sich in die zwei Routen über Do-naustauf und Wörth zergabelt, eine Burg errichteten. Ihre Anfangewerden um 1070 angesetzn=, Zur Verkehrslage kamen vorzüglichegeographische Gegebenheiten: die Lage auf einem hochaufragenden

18S Piendl, Grafen von Bogen II (wie Anm.24), 31-35 mit dem Hinweis auf meh-rere Beispiele.186 Günther Flohrschütz, Der Adel des Wartenberger Raums im 12. Jahrhundert(ZBLG 34) 1971, 85-164, 462-511, 909-911; ders.; Die Freisinger Dienstmannenim 12. Jahrhundert (Oberbayerisches Archiv 97) 1973,32-339; ders., Der Adel desEbersberger Raumes im Hochmittelalter (SchbLG 88) München 1989.187 Josef Heigl, Geschichte von Falkenstein/Opf. und Umgebung mit besondererBerücksichtigung der Kirchengeschichte, Falkenstein o.J.; (Josef Beer,) 900 jährigesFalkenstein, Falkenstein 1976; Karl Bosl, Die Burg Falkenstein in der Oberpfalz alszentraler Wehrbau und Zentrum von Herrschaft und Gesellschaft, in: ders., Bayern.Modelle und Strukturen seiner Geschichte, hrsg. von Joachim Jahn, München 1981.205-217; Ernst Emmerig, FalIcenstein in der bayerischen Oberpfalz. in: ders.• Kul-turlandschaft Oberpfalz. Gestalt und Gestalten eines Regierungsbezirkes. Aufsätzeund Vorträge, Kallmünz 1989. 230-236. Zum Problem grundlegend: Klaus Fehn.Die zentralörtlichen Funktionen früher Zentren in Altbayern. Wiesbaden 1970 (zuFalkenstein: 65. 144).

170 Alois Schmid

Granitkegel. Dennoch aber bleibt festzuhalten, daß diese Burg inner-halb des Hochstifts gänzlich peripher gelegen war, unmittelbar amRand zur Markgrafschaft hin. Am Ausgang der Altstraße aus demHochstiftsterritorium wurde der stärkste militärische Stützpunkt auf-gebaut (castrumfortissimum); er hatte sicher auch herrschaftsdemon-strativen Charakter. Das Gegenstück auf markgräflicher Seite wardie weniger stark ausgebaute Burg Neuhaus, die ähnlich periphergelegen ist. Neuhaus und Sattelpeilnstein waren die wichtigsten die-poldingisehen Burgen im Süden der Markgrafschatt=,Die Burgen liegen also selten zentral, sondern häufiger in Randge-

bieten, von denen aus sie ihren Aufgaben leichter nachkommenkonnten. Diese Beobachtung kann weniger überraschen als die Lageder Thingorte. Franz Genzinger hat am Beispiel der Grafschaften derWittelsbacher gezeigt, wie ungewöhnlich peripher auch die Thing-orte dort gelegen sindl89• Wer diese Beobachtung in den Untersu-chungsraum überträgt, muß sehr rasch feststellen, daß hier kaumThingorte greifbar sind. Die Paponen hielten ihre Gerichtssitzungengerne in Regensburg, einmal auch in Lorenzen 190, die Domvögte inWörth oder Schwabelweis!» ab. Doch gibt es ein sehr aufschlußrei-ches Beispiel. Burggraf Duo 11.führte im Jahre 1161 eine Gerichts-sitzung zu Regelsmais durch, also an sich außerhalb seiner Graf-schaft auf offensichtlich okkupiertem Gebiet. Er wollte damit seinenAnspruch auf den Landstreifen eindringlich zum Ausdruck brin-gen 192. Diese Feststellung korrespondiert mit einer Gerichtssitzungdes Grafen von Abensberg 1180 an einern westlichen Gegenpunkt zu

188 S.Anm. 118. 122.189 Franz Genzinger, Grafschaft und Vogtei der Wittelsbacher vor 1180. in: DieZeit der frühen Herzöge. hrsg. von Glaser (wie Anm.149), 111-125.190 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm.30), 491-493 Nr.973. Vgl,auch 438f. Nr.897, 472 Nr.914. 475 Nr.945.- Lorenzen: Monumenta Boica XIII(wie Anm. 52). 170.191 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm.30). 462f. Nr.931, 464f.Nr.933.192 S.Anm. 136.

Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 171

Abbach 193. Auch diese Beispiele zeigen, daß Gerichtstage vereinzeltan sehr peripher gelegenen Orten abgehalten wurden.Der wittelsbachische Frühbesitz im Untersuchungsraum wurde in

den Urbarsämtern Radling und Cham organisiert 194. Es fällt auf, daßder Bereich der Markgrafschaft Cham nicht als geschlossene Ver-waltungseinheit aufscheint, sondern daß neben der Stadt Cham nochein nur wenige Kilometer südlich dieses alten Zentralortes situiertessehr kleines Dorf als eigenes ampt genannt wird. Es liegt an der ent-scheidenden Altstraße zum domvögtisch-bogenschen Zentralort Fal-kenstein hin, hat also nicht nur verwaltungsorganisatorischen Cha-rakter, sondern sollte zugleich eine Herrschaftsposition markieren.Offensichtlich kommen in der Ämterorganisation des ältesten Her-zogsurbars sehr politische Zielsetzungen zum Ausdruck 195; das zeigtauch das frühwittelsbachische Amt Radling. Bezeichnenderweiseverschwand es, als durch den Anfall des Bogener Erbes Straße undRaum ihre brisante Bedeutung verloren hatten. Nun bildete sichCham als bestimmender Verwaltungsmittelpunkt aus.Besonders aufschlußreich ist der Blick auf die Hausklöster. Auch

sie liegen keineswegs zentral, sondern ebenfalls auffallend peripher.Am verständlichsten ist diese Lage noch beim Bogener HausklosterOberalteich in unmittelbarer Nähe der Stammburg des Geschlechtesauf dem Bogenbergw, Entsprechendes gilt für die Paponen, die inden ersten Generationen zu St. Emmeram in Regensburg, dem Aus-gangspunkt und Zentrum ihrer Herrschaft, zur letzten Ruhe gebettet

193 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm. 30), 504 f. Nr.991.194 Monumenta Boica XXXVIII (wie Anm. 99), 109-112.195 Das zeigt sich auch im Raum von Regensburg: Alois Schmid, Die Territorial-politik der frühen Wittelsbacher im Raume Regensburg (ZBLG 50) 1987, 380f.196 Piendl, Grafen von Bogen III (wie Anm.24), 35-39; Mohr, Oberalteich (wieAnm.93),IIO*-133*.

172 Alois Schmid

wurden 197. Die frühen Diepoldinger wurden in ihrem HausklosterSt. Ulrich und Afra zu Augsburg begraben 198.

Im Jahre 1118 gründete nun aber Diepold IlL, der mächtigste An-gehörige des Markgrafengeschlechtes, ein eigenes Hauskloster zuReichenbach am Regen. Die näheren Umstände sind teilweise ausder Fundatio bekannt'», Die Anregung ging demnach von seinerGattin Luitgard aus, deren Wunsch aber der Markgraf nur zum Teilerfüllen wollte. Er neigte mehr dazu, anstatt des Hausklosters eineBurg oder Stadt auf den Reichenbacher Berg zu setzen: volebat ci-vitatem et castrum in prenominato loco posuisse=. Hier wird derherrschaftliche Aspekt der Gründung deutlich. Sie erfolgte nicht aufAllod, sondern offensichtlich auf Gebiet, das der Markgraf nur alserbliches Reichslehen (haereditario successionis iure) innehatte, dasvielleicht sogar usurpiert war. Deswegen wandte sich seine Gattin anKaiser Heinrich V., der den Markgrafen schließlich dazu bewegenkonnte, wirklich ein Kloster zu errichten. Der entscheidende Kerndieser Reichenbacher Haustradition ist, daß die Gründung des Klo-sters auch unter politischen Aspekten zu sehen ist. Diese Erkenntnisbestätigt vor allem der ungewöhnliche Standort. Reichenbach liegtganz am Rande der Markgrafschaft, unmittelbar an der Grenze zurLandgrafschaft Stefling hin an beherrschender Stelle. Reichenbachist ein sehr eindringliches bauliches Symbol der Ansprüche desselbstbewußten Markgrafen Diepold Ill. Dementsprechend ist derReichenbacher Besitz ganz am Rande der Markgrafschaft gelegen:

197 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm.30) bringt viele Schenkungenan das Kloster, dessen Konvent Familienmitglieder angehörten. Vgl. Mayer, Burg-grafen (wie Anm. 106), 57; Rädlinger-Prömper, SI.Emmeram (wie Anm. 79), 218.198 Wilhe1mLiebhart. Die Reichsabtei Sankt U1richund Afra zu Augsburg. Studienzu Besitz und Herrschaft (1006-1803) (HAB Schwaben Il, 2) München 1982,36-41.199 Heribert Batzl, Kloster Reichenbach am Regen, Diss. masch. Würzburg 1958;ders., Zur Geschichte der älteren Reichenbacher Klosteranlage (Rodinger Heimat 3)1986, 70-79; Baumann. Die Traditionen und Urkunden des Klosters Reichenbach(wie Anm. 139).200 Fundatio et notae monasterii Richenbacensis, hrsg. von Oswald Holder-Egger,MGH SS XV, 2, Hannover 1888, 1078f.

Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 173

zu Wald, Roßbach, Süssenbach, Schillertswiesenaoi. Diese Umständemachten die diepoldingischen Aktivitäten zu Reichenbach zu einergroßen Provokation für die Paponens« Die Vermittlerrolle des Sa-Iierkaisers Heinrich V. könnte damit zusammenhängen, daß er einebessere Lösung für seinen alten Parteigänger suchen helfen wollte.Denn dieser Affront rief offensichtlich die direkt angesprochenenPaponen auf den Plan. Als sich Diepolds Ill. Leben dem Ende entge-genneigte, gründeten sie unmittelbar nach der Teilung der Herrschaft1143 ein nicht minder demonstratives Hauskloster: Walderbach.Dieses lag nun nicht mehr am Rande der Landgrafschaft, sondern of-fensichtlich außerhalb, da rund drei Kilometer östlich von Reichen-bach und sogar am Nordufer des Regens, das nie zum Donaugauoder zur Landgrafschaft gehört hatte. Die umgekehrte Lage derHausklöster Reichenbach und Walderbach wäre viel eher einsichtig.Ihre tatsächliche, in jedem Fall exponierte Lage ist nur als Doku-mentation herrschaftlicher Ansprüche zu verstehen, auch wenn dieWalderbacher Fundatio allein religiöse Motive für die Gründung an-führt203• Gleiches gilt für die Grundausstattung der beiden Hausklö-ster, die sich gegenseitig in sich verzahnte. Wenn Teile des Kloster-besitzes in der Nachbargrafschaft lagen, eröffnete sich aber über dieStiftervogtei ein Weg, herrschaftlich in die Grafschaft des Konkur-renten hineinzuwirken. Walderbach etwa erhielt Besitz zu Scharlauoder Pösing in der Markgrafschaft. Als Vogt konnte so in der Folge-zeit der Landgraf auch in der Markgrafschaft tätig werden. Geradediese beiden Stiftungen zu Reichenbach und Walderbach zeigen, wieauch die Dynastenklöster zu wichtigen Mitteln gräflicher Territorial-politik wurden.

201 Josef Klose, Die kirchlichen und dynastischen Hintergründe der Stiftung desKlosters Reichenbach (Der Regenkreis 6) 1966,94-98; ders., Reichenbach am Re-gen, ein mittelalterliches Reform- und Dynastenkloster (VHVO 109) 1969, 7-26;Rieckhoff-Pauli- Torbrügge, Regensburg (wie Anm. 76),158-161.202 Schmitz-Pesch, HAB Roding (wie Anm. 22),113-122.203 Fundatio monasterii in Walderbach, in: Mayer, Burggrafen (wie Anm.106), 68:devocionis studia. Vgl. Heribert Batzl, Walderbach. Aus der Geschichte eines ober-pfälzischen Zisterzienserklosters (Schriftenreihe Kreismuseum Walderbach 5) Cham1988.

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Der Blick auf das zentralörtliche System des Untersuchungsraumesim Hohen Mittelalter zeigt, daß sich gräfliche Herrschaft in dieserZeit nicht an Gesichtspunkten geographischer Zentralität ausrichtete,sondern im Gegenteil gerade an sehr peripheren Punkten ansetzte,von denen aus es möglich war, Herrschaft zu demonstrieren und An-sprüche durchzusetzen. Die Zentralisierung der Herrschaft in vonallen Seiten her günstig erreichbaren Hauptorten erfolgte erst in derfolgenden Epoche der Territorienbildung. Insofern ist auch der Blickauf das zentralörtliche System innerhalb des Untersuchungsraumesbezeichnend für das Herrschaftsverständnis und die Praxis der Herr-schaftsausübung im Hohen Mittelalter.

5. GRAFSCHAFf UND KIRCHLICHE VERHÄLTNISSE

Schon Karl Heinrich Ritter von Lang vertrat die Lieblingsidee, daßsich Grafschaften und Dekanatssprengel entsprächen=, Diese Hy-pothese erweist sich bei näherem Zusehen sicherlich nicht generellals haltbar. Doch darf daraus andererseits nicht abgeleitet werden,daß überhaupt kein Zusammenhang zwischen kirchlichen und weltli-chen Grenzen bestehe. Einen solchen vermochte schon Ernst Klebelan zahlreichen Beispielen deutlich zu machenze, Gerade am Beispielder Markgrafschaft Cham hat ihn auch Karl Bosl überzeugend nach-gewiesenes. Zu diesem Problemfeld liefert der Untersuchungsraumweitere aufschlußreiche Einzelbeobachtungen. Kirchenorganisato-risch gehört er trotz seiner begrenzten Ausdehnung zu nicht weniger

204 Karl Heinrich Ritter von Lang, Bayerns Gauen nach den drei Volksstämmender Alemannen, Franken und Bajoaren, aus den alten Bisthumssprengeln nachge-wiesen, Nürnberg 1830; ders., Baierns alte Grafschaften und Gebiete, Nürnberg1831. Vgl. Carl von Spruner, Bayerns Gauen nach den drey Volksstämmen derAlemannen, Franken und Bajoaren ... gegen Herrn Ritter von Lang's Gauen, Bam-berg 1831.20S Ernst KIebei, Kirchliche und weltliche Grenzen in Baiern (Zeitschrift fürRechtsgeschichte KA 28) 1939, 153-270; wieder in: KIebei, Gesammelte Aufsätze(wie Anm.134), 184-256.206 Bosl, Markengründungen (wie Anm.98).

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als vier Dekanaten, die noch heute im wesentlichen die vier aufge-zeigten Grafschaften widerspiegelnv', Das Dekanat Regensburg um-faßt in etwa den Raum der Landgrafschaft, das Dekanat Cham denRaum der Markgrafschaft, das Dekanat Donaustauf das alte Hoch-stift, das Dekanat Pondorf die Grafschaft Bogen. Als Enstehungszeitder Dekanate wird die Zeit um 1200 angesetzt.Einen besonderen Blick verdient der herrschaftlich am meisten

umstrittene Raum um Falkenstein. Denn es muß auffallen, daß derwichtigste Ort, der Markt Falkenstein, erst im 20. Jahrhundert Pfarr-sitz wurde und eine Pfarrkirche erhielt. Bis in unser Jahrhundert her-ein war er ins nahe, viel kleinere Dorf Arrach eingepfarrte», Merk-würdigerweise wurden aber dieses Pfarrdorf und der zugehörigeMarkt nicht zum Dekanat Donaustauf geschlagen, wie zunächst an-genommen werden könnte, sondern zum Dekanat Pondorf'=, Hierwirkt die Zugehörigkeit des Ortes seit der Bogener Fehde zur Graf-schaft Bogen nach. Dieses Faktum stellt ein aussagekräftiges Datie-rungskriterium dar. Das älteste Pfarreienverzeichnis kann somit nachden Ergebnissen der vorausgehenden Betrachtung der herrschaftli-chen Entwicklung nicht vor 1192 angelegt sein. Daß Falkensteinnicht Pfarrsitz wurde, ist am ehesten mit dem beständigen herr-schaftlichen Wechsel zum Zeitpunkt des Aufbaues der Pfarreien indiesem Raum zu erklären. Der zuständige Pfarrort Arrach hat dashier seltene Patrozinium St. Valentin, das ebenfalls ins Niederbayeri-sche verweist=; während im hochstiftischen Grenzort St. Quirin -Quer demonstrativ die regensburgischen Patrozinien Wolfgang und

207 Paul Mai, Die Pfarreienverzeichnisse des Bistums Regensburg aus dem14. Jahrhundert (VHVO 1l0) 1970, 7-33. Vg!. auch: Karl Schwarzfischer. Ge-schichte der Stadt Roding und ihres Pfarrgebietes, Roding 1957; Ernst Gagel, Diealten Dekanate der Oberpfalz (Oberpfälzer Heimat 12) 1968, 36-55.208 Heigl, Falkenstein (wie Anm.187), 113-119.209 Mai, Pfarreienverzeichnisse (wie Anm. 207), 16.210 Johann B. Lehner, Die mittelalterlichen Kirchenpatrozinien des Bistums Re-gensburg (VHVO 94) 1953,56.

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Dionysius belegt sind>'. Territorialpolitik wurde auch mit Kirchen-patrozinien gemacht.Das zeigt in besonderer Deutlichkeit die kirchliche Entwicklung

am wichtigen Ministerialensitz Sattelbogen, dessen verwickelteHerrschaftsgeschichte mehrmals angesprochen wurde. Auch seinekirchliche Zuordnung war einem mehrmaligen Wechsel unterworfen.Heute gehört das Beneficium Sattelbogen, obwohl im Oberpfalzi-schen liegend, zum niederbayerischen Dekanat Pondorfut Kirchlicheund staatliche Organisation stimmen in diesem kleinen Beneficiumnicht überein, weil nach der Rekatholisierung im 17. Jahrhundert dieursprüngliche Zugehörigkeit der Kirche zur Oberalteicher Inkorpora-tionspfarrei Loitzendorf wiederhergestellt worden ist. Die Dekanats-gliederung spiegelt an diesem Punkt älteste geschichtliche Zusam-menhänge bis in die Gegenwart wider. Die heutige Kirchenorganisa-tion erweist sich hier als Reminiszenz der herrschaftlichen Zuständevor 1192. Wenn dagegen die mittelalterlichen PfarreienverzeichnisseSattelbogen dem Dekanat Cham zuordnenns, bieten sie den Zustandseit etwa 1200.Gerade die Analyse der kirchlichen Verhältnisse zu Sattelbogen

vermag noch ein weiteres zu zeigen. Als Patrozinium der Burgka-pelle ist hier in Mittelalter und früher Neuzeit St. Ulrich bezeugtu-,Dieses Patrozinium begegnet in der Chamer Umgebung oftmals. DerAugsburger Heilige wurde von den Diepoldingern auf den Nordgauverpflanzt und steckt in etwa den Bereich der Markgrafschaft ab. Ul-

211 Lehner, Kirchenpatrozinien, 58; Alois Schmid, St. Quirin-Quer. Zum Patrozi-nium der Wallfahrt im Landkreis Cham (Oberpfälzer Heimat 29) 1985, 147- 154;Rieckhoff-Pauli - Torbrügge, Regensburg (wie Anm.76), 226--229 (Martin Dall-meier).212 Matrikel des Bisthums Regensburg, Regensburg 1838, 231 f.; Matrikel desBisthums Regensburg, Regensburg 1863, 314f.; Die Matrikel der Diözese Regens-burg, Regensburg 1916, 427 f.213 Mai, Pfarreienverzeichnisse (wie Anm.207), 17; Matrikel der Diözese Regens-burg 1916 (wie Anm. 212),16,24.214 Paul Mai, Das Regensburger Visitationsprotokoll von 1526 (Beiträge zur Ge-schichte des Bistums Regensburg 21) 1987,81 Nr.192.

Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 177

rich in der Oberpfalz ist also ein sehr politischer Heiligerns, Und of-fensichtlich wurde er von den Diepoldingern auch an diesem Grenz-ort durchgesetzt, als sie ihn um 1200 unter ihre Herrschaft brachten.Sie haben neben der Umgliederung in ihr Dekanat auch die Vereh-rung ihres Familienpatrons in der dortigen Burgkapelle begründet,wo er seitdem einen religiösen Antipoden zum Patron der älterenPfarrkirche S1. Nikolaus darstellteus, der mit hoher Wahrscheinlich-keit mit dem Bogener Hauskloster Oberalteich in Verbindung steht.Sind diese Beobachtungen zutreffend, dann spiegelt sich der wieder-holte Herrschaftswechsel in diesem Kirchensprengel an der Grenzeauch in den Kirchenpatrozinien wider, die bezeichnend sind für dieentscheidenden Herrschaftsträger während des Hohen Mittelalters.Dann bestünde hier nicht nur ein Zusammenhang zwischen Graf-schaft und Dekanatszugehörigkeit, sondern auch zwischen Graf-schaft und Kirchenpatrozinien.

21S Adolf Layer, Heiliger und Adelssippe. Zur Ausbreitung des hochmittelalterli-ehen UlrichskuItes, in: Festgabe Spindler I, hrsg. von Kraus (wie Anm. 17), 366f.216 Lehner, Kirchenpatrozinien (wie Anm. 210),46.