Ausbildung von Schlüsselqualifikationen im Fachbereich Wirtschaft; Training of key competences in...

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PRAXISBERICHTE Organisationsberat Superv Coach (2014) 21:191–204 DOI 10.1007/s11613-014-0371-3 Online publiziert: 06.05.2014 © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014 Dr. M. Meyer-Schwickerath, MBA () Hochschule Bochum, Lennershofstr. 140, 44801 Bochum, Deutschland E-Mail: [email protected] Dr. M. Maaßen Albersloher Weg 10c, 48155 Münster, Deutschland E-Mail: [email protected] Ausbildung von Schlüsselqualifikationen im Fachbereich Wirtschaft Betriebswirtschaftslehre trifft Sozialwissenschaft Martina Meyer-Schwickerath · Monika Maaßen Zusammenfassung: Ein wichtiges Ziel im Bologna-Prozess ist die Vermittlung von Employabi- lity. Die Hochschulen sind gefordert, Studierenden in dem Erwerb von Schlüsselqualifikationen unterstützende Angebote zu machen. Daraus hat sich am Fachbereich Wirtschaft der Hochschule Bochum ein umfangreiches Angebot entwickelt, das den Teilnehmer/innen „Mentoring“, „Coa- ching“ und „Gruppendynamik“ als Methoden vorstellt. Die erworbenen Kompetenzen werden in der praktischen Begleitung neuer Studierender sofort in die Praxis umgesetzt. Schlüsselwörter: Mentoring · Coaching · Supervision · Schlüsselqualifikationen Training of key competences in the Department of Business and Management – Business studies meet social science Abstract: An important goal of the Bologna Process is the improvement of employability. Uni- versities are required to develop courses for the acquisition of key competences. The Department of Business and Management at Bochum University of Applied Sciences has developed an ex- tensive training program for that offers an introduction to the methods “mentoring”, “coaching” and “group dynamics” to the participants. The acquired skills can be put into practise immediately by mentoring new students. Keywords: Mentoring · Coaching · Supervision · Key competences

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Praxisberichte

Organisationsberat Superv Coach (2014) 21:191–204DOI 10.1007/s11613-014-0371-3

Online publiziert: 06.05.2014 © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

Dr. M. Meyer-Schwickerath, MBA ()Hochschule Bochum,Lennershofstr. 140, 44801 Bochum, DeutschlandE-Mail: [email protected]

Dr. M. MaaßenAlbersloher Weg 10c, 48155 Münster, DeutschlandE-Mail: [email protected]

Ausbildung von Schlüsselqualifikationen im Fachbereich WirtschaftBetriebswirtschaftslehre trifft Sozialwissenschaft

Martina Meyer-Schwickerath · Monika Maaßen

Zusammenfassung: Ein wichtiges Ziel im Bologna-Prozess ist die Vermittlung von Employabi-lity. Die Hochschulen sind gefordert, Studierenden in dem Erwerb von Schlüsselqualifikationen unterstützende Angebote zu machen. Daraus hat sich am Fachbereich Wirtschaft der Hochschule Bochum ein umfangreiches Angebot entwickelt, das den Teilnehmer/innen „Mentoring“, „Coa-ching“ und „Gruppendynamik“ als Methoden vorstellt. Die erworbenen Kompetenzen werden in der praktischen Begleitung neuer Studierender sofort in die Praxis umgesetzt.

Schlüsselwörter: Mentoring · Coaching · Supervision · Schlüsselqualifikationen

Training of key competences in the Department of Business and Management – Business studies meet social science

Abstract: An important goal of the Bologna Process is the improvement of employability. Uni-versities are required to develop courses for the acquisition of key competences. The Department of Business and Management at Bochum University of Applied Sciences has developed an ex-tensive training program for that offers an introduction to the methods “mentoring”, “coaching” and “group dynamics” to the participants. The acquired skills can be put into practise immediately by mentoring new students.

Keywords: Mentoring · Coaching · Supervision · Key competences

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1 Einführung

Studiumsbegleitende Beratungsangebote leisten einen wesentlichen Beitrag zu einem erfolgreichen Studium unter Bologna-Bedingungen (vgl. Bülow-Schramm und Rebens-torf 2011, S. 171 f.). Der Fachbereich Wirtschaft der Hochschule Bochum geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass eine frühzeitige, verlässliche Beratung und Begleitung von Studierenden einen wesentlichen Beitrag zum Studienerfolg leisten kann. Eine zent-rale Voraussetzung für den Beratungserfolg ist dabei die Einrichtung von niedrigschwel-ligen Angeboten, die eine frühzeitige Ansprache und eine angstfreie Kontaktaufnahme seitens der Studierenden ermöglichen. In der Studieneinstiegsphase gilt es, die Erstse-mester schnell und bestmöglich zu integrieren und in die Lage zu versetzen, ihr Studium selbstständig zu planen und zu verfolgen.

Im Jahr 2008 konnte im Fachbereich Wirtschaft – zunächst finanziert durch Studien-gebühren – ein Mentorenprogramm initiiert werden, das seither fester Bestandteil der Betreuungsangebote ist. Angeboten werden wöchentliche Sprechstunden der Studien-gangsleitung, regelmäßige Informationsveranstaltungen u. a. zu Themen wie Studienver-läufen, Auslandssemester oder Prüfungsangelegenheiten sowie ein Career Service. Das Mentorenprogramm verfolgt das Ziel, die durchschnittlich ca. 200 Studienanfänger/innen des Fachbereichs beim Studieneinstieg zu unterstützen. Als Mentor/innen stellen sich bis zu 20 Studierende des 3. Semesters für die Dauer von 2 Semestern zur Verfügung. Bis-her standen 90 Studierende den Erstsemestern als Ansprechpartner/innen zur Seite und boten Orientierungshilfe in Form einer „Hilfe zur Selbsthilfe“. Das Mentorenprogramm besteht aus dem Mentoring für die Studienanfänger/innen und einer qualifizierten Aus-bildung der Student/innen zum Mentor/zur Mentorin durch externe Coaches bzw. Trai-ner/innen. Es dient einerseits der Qualitätssicherung und andererseits dem Erwerb von Schlüsselkompetenzen:

● Das Programm schafft ein niedrigschwelliges Beratungsangebot. Es ermöglicht, Studienanfänger/innen durch eine frühzeitige Begleitung und gezielte Ansprache bestmöglich zu integrieren. Die Mentor/innen übernehmen dabei zugleich eine Rück-koppelungsfunktion zum Fachbereich, indem sie häufig auftretende Probleme und „Stolpersteine“ identifizieren und dem Fachbereich rückmelden können.

● Um die Qualität der Betreuung zu gewährleisten, werden die Mentor/innen für ihre Tätigkeit ausgebildet und in ihrer Arbeit begleitet. Sie erhalten eine fünfzehntägige Ausbildung „Mentoring und Einführung ins Coaching“ durch eine qualifizierte und zertifizierte Trainerin und erfahren regelmäßige Supervision zur Sicherung der Bera-tungsqualität in ihrer praktischen Arbeit. Die Ausbildung und Tätigkeit ermöglicht den Mentor/innen, Beratungs- und Führungskompetenzen zu entwickeln und zu erproben. Die so gewonnenen Erfahrungen und Kompetenzen sind dabei nicht nur unmittelbar für die Mentorentätigkeit von Bedeutung, sondern besitzen auch einen relevanten Nutzen für ihr späteres Berufsleben.

Das Programm wird aktuell bereits zum sechsten Mal durchgeführt. Die Erfahrungen zeigen, dass Studierende, die selbst gut beraten wurden und einen persönlichen Nutzen aus den angebotenen Beratungsleistungen gezogen haben, sich später oft selbst als Men-tor/innen zur Verfügung stellen und somit auch Verantwortung im Fachbereich überneh-

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men wollen. Im Rahmen der durchgeführten Evaluationen wurde deutlich, dass sich die Mentor/innen durch ihre Programmteilnahme in ihrer Persönlichkeitsentwicklung geför-dert sahen. Besonders die während der Ausbildung im Gruppenprozess erworbenen und erprobten Fähigkeiten bewerteten sie sehr positiv.

Dieses Betreuungsangebot für Studienanfänger/innen in Kombination mit der inten-siven Ausbildung der Mentor/innen stellt ein Alleinstellungsmerkmal dar, das den Fach-bereich Wirtschaft sowohl an der Hochschule Bochum auszeichnet als auch von den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten anderer Hochschulen der Region unterscheidet.

2 Hintergrund

In der Bologna Deklaration (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 1999) wird die Vermittlung von Employability (Beschäftigungsfähigkeit) als ein Ziel der BA-Studiengänge genannt. Wie die Diskussionen über den Begriff „Employability“ (vgl. Schindler 2004, S. 6 ff.) zeigen, geht die Beschäftigungsfähigkeit über die Vorbereitung auf die berufliche Praxis – Praxisorientierung, Berufsorientierung – hinaus. Die Studieren-den sollen befähigt werden, sich nach dem Studienabschluss langfristig und erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten. Um Studierende für den Arbeitsmarkt zu qualifizie-ren, spielen Schlüsselkompetenzen eine entscheidende Rolle (vgl. Schaeper und Wolter 2008; Schindler 2004). Innerhalb der Dimensionen der Schlüsselkompetenzen stehen für die Vermittlung von Employability die Selbstkompetenz und die Sozialkompetenz im Vordergrund (vgl. Jaeger et al. 2009, S. 27 f.):

● Unter Selbstkompetenz sind die Befähigung und Bereitschaft zu verstehen, eigene Begabungen und Fähigkeiten zu erkennen und zu entfalten, Identität und durchdachte Wertvorstellungen zu entwickeln sowie Lebenspläne zu fassen und zu verfolgen. Wesentliche Eigenschaften sind Selbstständigkeit, Selbstvertrauen, Zuverlässigkeit, Kritikfähigkeit, Konzentrationsfähigkeit, Leistungsbereitschaft, Belastbarkeit sowie Verantwortungsbewusstsein.

● Als Sozialkompetenz werden die Befähigung und Bereitschaft verstanden, soziale Beziehungen aufzubauen und zu gestalten sowie sich mit anderen verantwortungs-bewusst auseinanderzusetzen und zu verständigen. Sie umfasst Eigenschaften wie Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit, Konfliktfähigkeit, interkulturelle Kom-petenz sowie die Bereitschaft zu Toleranz und Solidarität, Gemeinschaftssinn und Hilfsbereitschaft.

Diese Schlüsselkompetenzen sollten so entwickelt werden, dass die Studierenden in der Lage sind, erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und bei Verlust des Arbeits-platzes „ihre Existenz einfallsreich und flexibel zu sichern“ (Schindler 2004, S. 9). Allerdings werden gerade Studierenden der Betriebswirtschaftslehre Defizite in den Bereichen soziale Verantwortung, Kommunikation, Teamfähigkeit, Reflexionsfähigkeit und sprachlich-rhetorischer Fähigkeiten zugeschrieben (vgl. Ramm und Multrus 2006). Auch beklagt die Wirtschaft zunehmend das Fehlen von sozialer Kompetenz, Empathie und Reflexionsfähigkeit bei Führungskräften in Unternehmen (vgl. z. B. Astheimer 2012; Giersberg 2012; Weißenberger und Fischer 2013, S. 18).

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Schlüsselkompetenzen können in Lernprozessen erworben, entwickelt und ausgebaut werden. Sehr gut eignen sich dafür Lernsituationen, in denen an realen Problemstellun-gen gearbeitet wird und anschließend eine reflexive Auseinandersetzung der praktischen Erfahrungen stattfindet (vgl. Jaeger et al. 2009, S. 26). Besonders positive Wirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung – gerade im Hinblick auf das Verantwortungsbewusst-sein, das Selbstwertgefühl, die Erfahrung von Selbstwirksamkeit sowie die soziale Kom-petenz und die Kommunikationsfähigkeit – bieten Service-Learning Programme, wie die Studie über Service-Learning an der Universität Duisburg-Essen zeigt (vgl. ebd., S. 38). In diesen Programmen wird freiwilliges gesellschaftliches Engagement der Studierenden mit der Lehre an der Hochschule über begleitende Seminare verbunden.

Das Mentorenprogramm des Fachbereichs Wirtschaft an der Hochschule Bochum bie-tet im Rahmen von Service-Learning einen Lernort, an dem diese Kompetenzen trainiert werden können, und leistet somit einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung, Stärkung und Erprobung von Schlüsselqualifikationen. Die Teilnehmer/innen sollen in der Lage sein, Unterstützung und Orientierung auf der Ebene von Peers zu geben. Ihre eigenen Vorerfahrungen als Studienanfänger/innen bieten dazu gute Voraussetzungen. Sie selbst haben erlebt, wie schwierig die individuelle Studienorganisation ist und welche Fragen entstehen. Die Schwierigkeit, neue Kontakte zu knüpfen und vielleicht ohne Familie den Alltag zu organisieren und sich zurechtzufinden, haben sie möglicherweise auch selbst erlebt. Die gleichzeitige Ausbildung bietet Methoden zur und Zeiten für Reflexion an, begleitet bei der Entwicklung zu Mentor/innen und unterstützt sie dabei, eine persönliche Haltung im Umgang mit Beratungssituationen zu entwickeln. So werden den Teilnehmer/innen theoretische Grundlagen im Mentoring und im Beratungsverfahren „Coaching“ vermittelt, und gleichzeitig können sie erste praktische Erfahrungen bei der Umsetzung sammeln. In der Auseinandersetzung mit der Theorie und der Reflexion der praktischen Erfahrungen begegnen ihnen u. a. die Themen: Förderung der Selbstorganisation, Diver-sity, Normen und Werte, Selbst- und Fremdwahrnehmung, Feedback, Kooperations- und Teamkompetenz, Konfliktfähigkeit.

3 Lernfelder und Lernsettings

Die Studierenden der Betriebswirtschaftslehre erleben das Zusammentreffen ihnen bekannter Studieninhalte mit methodischen und theoretischen Ansätzen aus dem Bereich der Sozial- und Beratungswissenschaft. Das Zusammenwirken von Managementwissen, Gruppendynamik, Beratungsansätzen und Gesprächsführung kennenzulernen und auf die praktischen Erfahrungen und Situationen zu beziehen, ist zu Beginn der Ausbildung für die meisten Teilnehmer/innen fremd und schwierig. Gemeinsames Lernen aus und über Erfahrungen ist den Student/innen unvertraut. Es wird eine hohe Transferleistung voraus-gesetzt, eigene Erfahrungen zu beschreiben, zu reflektieren und in einen theoretischen und wissenschaftlichen Kontext zu setzen. Dazu bereit und offen zu sein, die eigenen Handlungen zu beschreiben und Beispiele zur Verfügung zu stellen, ist für die meisten Teilnehmer/innen eine ungewohnte und irritierende Anforderung. Das persönliche Erle-ben in der Gruppe zu benennen und in den Bezug zur Gruppe zu setzen, wird zuerst

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als fremd und übertrieben erlebt. Beides sind Fähigkeiten, die in gruppendynamischen Settings und in Coaching- und Supervisionsausbildungen erlernt und trainiert werden.1

Durch die verschiedenen Lernsettings und in den von ihnen selbst angebotenen Grup-pen und Einzeltreffen erleben die Student/innen, dass Kontakt und Beziehungsgestaltung die Grundlage ihrer neuen Aufgaben darstellen. So soll die Aussage nachvollziehbar wer-den: „Coaching ist eine absichtsvoll herbeigeführte Beratungsbeziehung, deren Qualität durch Freiwilligkeit, gegenseitige Akzeptanz, Vertrauen und Diskretion zwischen den beteiligten Personen bestimmt wird“ (Rauen 2008, S. 2). Die Teilnehmenden erwerben damit grundlegende Haltungen, die für eine Beratungsbeziehung gelten, und erkennen, dass diese auf eine zukünftige berufliche Tätigkeit übertragen werden können.

Mentoring und Coaching setzen verschiedene und doch gleichartige Erwartungen an die Rollenträger/innen voraus. Vorrangig fühlen sie sich als Peers und wollen sich nicht mit den neuen Rollenerwartungen auseinandersetzen. Die Aufschlüsselung der Gemein-samkeiten und Unterschiede erfolgt durch die verschiedenen Settings und Themenset-zungen. Hier kommt den Supervisionssitzungen der Mentor/innen eine wichtige Aufgabe zu. Die eigenen Bewertungskriterien für „richtiges und falsches“ Verhalten und Handeln stehen ebenfalls auf dem Prüfstand. Jede Vorgehensweise mit gelungenen oder misslun-genen Ausführungen soll im Rahmen des Mentoring bzw. Coaching als praktisches Bei-spiel dienen und sorgfältig besprochen werden. Selbstreflexion als eine der wichtigsten Kompetenzen im Umgang mit anderen Menschen wird trainiert. Dazu müssen die Aus-bilder/innen und Begleiter/innen gute und klare Angebote machen, die diese Prozesse unterstützen. Gleichzeitig findet auch eine Überprüfung statt, inwieweit die Ziele des Angebots für die Studienanfänger/innen verfolgt und umgesetzt wurden.

4 Ablauf

Zu den Aufgaben der Mentor/innen, die in der Regel das erste Studienjahr absolviert haben, gehört es zunächst, die Studienanfänger/innen zum Wintersemester in ihrer ersten Hochschulwoche zu begleiten. Die Erstsemester werden an ihrem ersten Hochschultag einer Gruppe zugeordnet, die von einem Mentor oder einer Mentorin in der Einführungs-woche sowie im fortlaufenden Semester betreut wird. Im Rahmen dieser Woche erarbei-ten die Gruppen betriebswirtschaftliche Projekte. Dabei beschäftigen sie sich z. B. mit der Gründung eines Cafés oder eines Fitness Centers auf dem Campusgelände. Ziele der Projektgruppen sind eine kreative Einführung in betriebswirtschaftliche Fragestellungen, das Kennenlernen der Hochschule sowie das Kennenlernen untereinander. Die Projektar-beiten werden am Ende der Woche im Rahmen eines Wettbewerbs einer Jury vorgestellt, und die beste Projektidee wird ausgewählt.

Die Mentor/innen sind in der Einführungswoche punktuell in den Projektgruppen anwesend. Sie machen eine erste Ortsbegehung, unterstützen die neuen Studieren-den beim gegenseitigen Kennenlernen und der anfänglichen Bearbeitung der Projekte. Gleichzeitig bereiten sie Studienanfänger/innen auf die ersten Semesterwochen vor. In

1 Siehe dazu u. a. die in der Ausbildung benutzte Literatur: Edding und Schattenhofer 2009; König und Schattenhofer 2012; Rauen 2004, 2008.

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dieser Woche besteht die intensivste Zusammenarbeit zwischen den Gruppenteilneh-mer/innen und den Mentor/innen. Im weiteren Verlauf des Semesters bieten sie drei bis vier Treffen zu je 60 min und Einzelgespräche nach Bedarf an. Die Gruppen sind dann meistens kleiner, da häufig studienorganisatorische Gründe die Teilnahme erschweren. Inhaltlich geht es um den Einstieg ins Studium und die Organisation wie z. B. Fragen rund um die Prüfungen. Persönliche Themen werden oft per Mail angekündigt und in Einzelgesprächen weitergeführt. Die Absicht, die Studierenden miteinander zu vernetzen und möglichst bei Studienfragen zu unterstützen, bleibt auch noch im folgenden Semester bestehen. Gleichzeitig übernehmen die Mentor/innen eine neue Erstsemestergruppe, die sie entsprechend begleiten.

Auf diese Aufgaben werden die Mentor/innen in der Ausbildung „Mentoring und Ein-führung ins Coaching“ vorbereitet und begleitet. Der Umfang und die Gestaltung der Ausbildung entsprechen den am Markt üblichen Aus- und Weiterbildungsangeboten. Sie wird durchgeführt von externen Trainer/innen sowie Supervisor/innen.2 Durch die Leite-rin des Programms und eine Koordinatorin wird der organisatorische Rahmen sicherge-stellt. Die umfangreichen Ausbildungs- und Lernangebote sind:

● eine Informations- und Auswahlveranstaltung (1,5 h) ● ein Vorbereitungsworkshop (3 h) ● das gruppendynamische Training (5 Tage) ● jeweils 3 Workshops zu den Themen: Rolle, Diagnose von Gruppenprozessen, Metho-

den des Coaching (9 × 6 h) ● die Erarbeitung eines Themas mit Vortrag zum Abschluss der Workshops ● Supervision/Coaching in Kleingruppen (8 × 1,5 h) ● die kollegiale Beratung in Kleingruppen zur Diskussion des Themas und Vorberei-

tung einer Präsentation

Seit dem WS 2012 begleiten die Mentor/innen mit 4 Einzelcoachings (jeweils 60 min) neue Mentor/innen vor und in der Einführungswoche.

4.1 Werbung und Motivation

Die Werbung für die Tätigkeit als Mentor/in wird durch Plakate und durch Präsentationen der Mentor/innen in den Vorlesungen umgesetzt. Die Teilnehmer/innen und Absolvent/innen werben inzwischen intensiv in ihren Mentee-Gruppen. Als Motivation, sich für diese Aufgabe zu entscheiden, steht zumeist am Anfang der Wunsch, neuen Studierenden eine Unterstützung anzubieten. Die persönlichen Erfahrungen beim eigenen Studienan-fang legen dafür eine gute Grundlage. Einige Teilnehmer/innen verfügen über Erfahrun-gen im Bereich der sportlichen, kirchlichen oder sozialen Jugendarbeit. Sie haben erlebt, dass durch ihr Engagement ihre persönliche Entwicklung bereichert wurde. Diese Chance wollen sie weiter nutzen. Ein häufig formuliertes Interesse ist, dass sie etwas für andere tun und die neuen Kommiliton/innen unterstützen wollen. Ein weiteres Interesse liegt

2 Aktuell sind am Projekt neben den Autorinnen beteiligt: als gruppendynamischer Trainer Michael Faßnacht, als Supervisor/innen Hanne Bauhaus und Dr. Jürgen Kreft sowie als Organi-sationsbegleiterin Silke Kujawski.

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darin, berufsrelevante Schlüsselqualifikationen auszubilden, diese zu festigen und zu verfeinern. Ebenso gehört zur Entscheidung, die erforderlichen ETCS-Punkte im Modul „Schlüsselqualifikationen“ erwerben zu können.

4.2 Informations- und Auswahlveranstaltung

Die interessierten Studierenden bewerben sich mit einem Motivationsschreiben für die Tätigkeit als Mentor/in. Im Rahmen einer Auswahlveranstaltung lernen die Projektlei-tung und -mitarbeiter/innen die Studierenden kennen. Lernformen werden vorgestellt und wichtige Fragen für die Teilnahme geklärt. Die Bewerber/innen entscheiden danach, ob sie an dem umfangreichen Programm teilnehmen wollen. In einzelnen Fällen rät die Pro-jektleitung von der Teilnahme ab, wenn die Belastungen während des Studiums absehbar zu hoch würden.

4.3 Vorbereitungsworkshop

An dem Vorbereitungsworkshop nehmen alle zukünftigen Mentor/innen teil. Der zeitli-che und inhaltliche Rahmen werden besprochen, erste Übungen zur Gesprächsführung vorgestellt und Rollenspiele ausprobiert. Die Vorbereitung für das gruppendynamische Training erfolgt, damit die Teilnehmer/innen sich auf diese selbsterfahrungsbezogene Veranstaltung einstellen können.

4.4 Training: Wirkung von Beziehungen in Gruppen

Das gruppendynamische Training bietet die Möglichkeit, sich im Kontext einer Gruppe zu erleben und zu verstehen. Es findet außerhalb der Hochschule in einem Tagungshaus mit Übernachtung statt. Die Leitung haben ein Trainer und eine Trainerin, die darauf achten, dass die Standards der Deutschen Gesellschaft für Gruppendynamik und Organi-sationsdynamik (DGGO) verfolgt werden. Das Training steht am Beginn der Ausbildung, um persönliche Themen zu identifizieren und die Situation der zukünftigen Mentees im Rahmen der Erstsemesterwoche zu verstehen.

Der Wechsel der Übungen und das Erleben der eigenen Dynamik und der Gruppe machen es möglich, sich theoretische und methodische Kenntnisse über Gruppen anzu-eignen. Die Absicht des Trainings ist, immer wieder auftretende Phänomene und Themen in Gruppen zu verdeutlichen. Hier seien genannt: Unsicherheit, Konkurrenz, der Einsatz von Machtstrategien, der individuelle Umgang in Gruppensettings, Nähe und Distanz, Selbst- und Fremdwahrnehmung, Konfliktfähigkeit, Rollenerwerb und -sicherheit. Die Teilnehmer/innen lernen, diese zu identifizieren und die eigenen Anteile zu erkennen. Sie verstehen, dass diese Phänomene in allen Gruppen und Teams vorhanden sind und dass dadurch wichtige Entwicklungen von Verantwortlichen unterstützt und gesteuert werden können.

Die Darstellung des formellen und informellen Raums in solchen Veranstaltungen wird erlebbar. Dabei erkennen die Studierenden meist, was passiert, wenn eine der beiden Seiten einen zu großen Raum einnimmt, und welche wichtigen Aspekte in den jeweiligen Bereich gehören. Die Organisation und der vorgegebene formelle Rahmen werden deut-

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lich. Damit wird eine Basis vermittelt, die eigene Rolle im Kontext der Organisation zu verstehen. Die Beschäftigung mit der Hochschule als Auftraggeberin für die Mentoren-Tätigkeit wird erstmals bewusst diskutiert.

Die Sensibilisierung der Wahrnehmungsfähigkeit für eigene und fremde Anteile in der Beziehungsgestaltung wird ebenfalls trainiert. Die Teilnehmer/innen lernen zu erkennen, welche Faktoren Einfluss auf die Gestaltung von Beziehungen auf verschiedenen Ebenen haben: im Kontakt mit Studierenden, mit den Lehrenden und auch im beruflichen Kon-text. Sie werden darin unterstützt, ihre eigenen Ressourcen zu nutzen, die zur Durchfüh-rung von Aufgaben und zur Klärung von Prozessen erforderlich sind. Der Umgang mit Feedback ist dabei hilfreich und wird in den Trainingsgruppen ausprobiert und eingeübt. Die bisher im Studium vermittelten Inhalte zu Teams und Führungslehre werden immer wieder mit Beispielen eingebracht und somit erlebbar gemacht.

Am Ende des gesamten Programms wird die Erfahrung des gruppendynamischen Trai-nings von den Teilnehmer/innen als eine der wichtigsten formuliert. Die meisten konnten die Furcht vor der Gruppe reduzieren, fühlten sich der neuen Aufgabe besser gewachsen und haben die Feedbacks als persönliche Bereicherung erlebt.

4.5 Workshops

Die ganztägigen Workshops bieten eine gute Möglichkeit, mit verschiedenen Methoden zu arbeiten. Praktische Übungen zur Gesprächsführung, zum Leiten und Moderieren von Gruppen, die Aneignung theoretischer Inhalte und die Beschreibung der Tätigkeit in den Mentorengruppen wechseln sich ab. Arbeitsformen sind Kleingruppen, Einzelarbeit, Diskussion in der Gesamtgruppe und die Präsentation von Ergebnissen. Die Fragen und Probleme in den Gruppen werden dargestellt und analysiert. Durch die Beschreibung, Klärung und Entwicklung von Veränderungs- oder Unterstützungsangeboten lernen die Studierenden, welche Handlungsweisen sie für ihre Leitungsaufgabe nutzbar machen können. Die Face-to-Face-Beratung und die praktische Leitung einer Gruppe werden mit den Möglichkeiten, Beziehungen zu gestalten, ausprobiert und eingeübt. Wie sich dem-gegenüber Kontakte über Mail, Facebook oder andere soziale Medien gestalten, wird ebenso thematisiert und begrenzt ausprobiert.

Die Themen über drei Semester lauten: 1) Die Rolle als Mentor/in und der Verlauf des Praxisangebots, 2) Diagnose von Gruppenprozessen – Verstehen von Phänomenen und Steuerung von Gruppen, und 3) Methoden des Coachings. Mit einer einstündigen Präsentation und Diskussion wird die individuelle Beschäftigung mit einem auf das Pro-gramm bezogenen Thema abgeschlossen. In den Referaten werden praktische Erfahrun-gen mit theoretischen und konzeptionellen Ausführungen verknüpft. Themen sind z. B.: Akzeptanz und Klarheit in der Rolle, Konkurrenz zwischen Mentoren und Mentees, Anfangs- oder Abschlussphasen von Gruppen, Kommunikationsstrukturen, Diversity-Management. Der letzte Workshop dient auch der Auswertung der gemeinsamen Arbeit. Dabei geht es um die persönlichen Lernschritte, die Entwicklung der Gruppe und eine Reflexion der Mentorengruppe.

Dass sie meist in eine „neue Welt“ eintreten, die mit ihren bisherigen Lernerfahrun-gen wenig gemeinsam hat, realisieren die Mentor/innen erst im Verlauf der Ausbildung. Gelingt der Prozess, wird der „Weltenwechsel“ als Chance erlebt, die eigenen Kompeten-

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zen zu erweitern. Am Anfang des gemeinsamen Prozesses steht die Frage: „Welches Ziel verfolgen sie mit uns?“ Das Lernen über die eigene Person ist unbekannt. Es irritiert, dass ihre Bedürfnisse, Wünsche und Handlungsmöglichkeiten im Fokus stehen. Sie erleben, dass ihr Angebot von den meist gleichaltrigen Mentees angenommen wird oder diese kommentarlos wegbleiben. Wenn es nicht gelingt, wird dies zunächst den „undankbaren“ Mentees zugeschrieben, die nicht erkennen, wie unterstützend die Gruppe ist. Dass die Mentor/innen innerhalb ihrer Ausbildungsgruppe parallel die gleichen Themen verhan-deln, kann erst langsam aufgeklärt werden.

„Stuhlkreis mach ich nie!“ Diese Aussage einer Teilnehmerin bei der praktischen Planung einer ersten Gruppensitzung mit neuen Mentees steht für das Unbekannte. Es war für sie unvorstellbar, den großen Raum aufzuteilen und bewusst eine Arbeitsform zu wählen, die sich von der üblichen Unterrichtsform absetzt. Die Mentorengruppe arbeitet allerdings immer mit einem Stuhlkreis. Dass dies eine Form ist, die für Arbeitsgruppen mehr Bewegungsfreiheit bietet und ihnen deutlich machen soll, dass es um sie selbst geht, wird zunächst als fremd und schwer erlebt. Interessant ist die Entwicklung, dass die Studierenden selbst nach einer Weile diese Form ganz selbstverständlich annehmen und dies auch mit den neuen Mentees ausprobieren.

4.6 Supervision und Coaching – Reflexion in der Praxis

Supervision und Coaching werden den Mentor/innen begleitend zur Ausbildung angebo-ten, damit sie dieses Beratungsformat erleben können und eigene Beratungserfahrungen machen. In den Gruppen von fünf bis sieben Teilnehmenden wird ermöglicht, in Ruhe die persönlichen Fragen und das Erleben zu besprechen. Sie können erfahren, dass ihre individuellen Themen im Rahmen der Betreuung der Mentees schnell deutlich werden. Die Sitzungen sind Angebote zur Unterstützung und Stabilisierung und bieten die Gele-genheit, Feedback zum aktuellen Handeln zu erhalten (vgl. Maaßen 2013).

Beim ersten Einsatz in der Erstsemesterwoche lässt sich häufig ein Praxisschock fest-stellen. Einige sind damit konfrontiert, dass sich nicht alles vorplanen lässt. Gleichzeitig erfordert die Gruppenbegleitung aber Vorbereitung z. B. der Inhalte, Informationen und Kontaktaufnahmen. Die Anforderungen und Projektionen der Mentees werden spürbar. Ebenso wird später in der Auswertung und Reflexion deutlich, wie schnell die Identifi-kation mit der Menteegruppe spürbar wurde und – im Hinblick auf den Wettbewerb der Projektgruppen am Ende der Einführungswoche – wie schnell der Wunsch, mit den ande-ren zu konkurrieren, auch die Mentor/innen untereinander berührte.

Im Wintersemester beginnen mehr Studienanfänger/innen, und die großen Gruppen fordern die Mentor/innen sehr. Erst nach der Einführungswoche wird für die Mentor/innen und die Teilnehmer/innen die Gruppe überschaubarer und arbeitsfähiger. Im Sommersemester gestaltet sich der Kontakt mit den Gruppen meist einfacher, doch die Konfrontation mit den eigenen Kompetenzen wird in der kleineren Gruppe schneller offensichtlich. In dieser Phase wird durch den Vergleich der bisher geleiteten Gruppen die persönliche Rollenentwicklung und -kompetenz deutlicher und die zweite Gruppe als intensiver und erfolgreicher erlebt.

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5 Lernerfahrungen

Dass allein der „gute Wille“ für die Ausbildung nicht reicht, sondern für die Unterstüt-zung anderer – hier der Kommiliton/innen – ein eigener Reflexionsprozess benötigt wird, erschließt sich im Verlauf der Ausbildung. Er erfordert von den künftigen Mentor/innen und Coaches die Bereitschaft, die beim Rollenerwerb auftretenden Verunsicherungen zu reflektieren und sich die Lernschritte bewusst zu machen. Dass die gleichen Verunsiche-rungen bei den Studienanfänger/innen auftreten, wird innerhalb der Schulung verstehbar.

Wichtige soziale Kompetenzen werden erkennbar, die auch im beruflichen Leben jede Führungskraft benötigt. Es liegt im Interesse der Teilnehmenden, gut ausgestattet ins Berufsleben zu gehen. Zunächst wählen sie mit dem Mentorenprogramm ein Angebot, von dem sie denken, dass das Lernen über das Vermitteln von Wissen läuft. Sie erwarten über Referate und Vorträge, über Diskussionen, Literaturstudium und eine schriftliche Arbeit ihre fürs Studium relevanten Leistungspunkte zu bekommen. Das Lernen aus der praktischen Erfahrung blenden viele anfänglich aus.

Die Mentor/innen erwarten von ihren Mentees die Einhaltung von Regeln wie z. B. Pünktlichkeit oder Verbindlichkeit. Ihnen gerät zu Beginn allerdings aus dem Blick, dass sie genau diese Regeln selbst in der Ausbildungsgruppe ausprobieren und aushandeln. Vieles, was nicht gelingt, wird auf äußere Bedingungen geschoben. Anfänglich können sie das, was sie im Kontakt oder in der Zusammenarbeit stört, kaum benennen, und es fällt ihnen schwer, gemeinsam nach Lösungen suchen. Dass das häufige Zuspätkommen einzelner Teilnehmer/innen stört, kann erst besprochen werden, wenn entweder „das Fass überläuft“, die Störung überhandnimmt oder die Leitung dies anspricht. „Hier an der Hochschule ist es eben so!“, wird als Begründung formuliert, warum dies ausgehalten wird. Obwohl die Mehrheit es schätzt, wenn ein Seminar pünktlich beginnt und endet, wird „Pünktlichkeit“ als Wert zurückgeschoben. Auch soll es kein Thema sein, dass Essen und Trinken in der Veranstaltung ablenkt und sie selbst auch stört. Die Erfahrung, dass es zu einer Leitungsrolle gehört, unbequem zu sein und mutig nachzufragen, wird zunächst mit Späßen kommentiert.

Zur Veranschaulichung einige Beispiele: Die Fachschaft schenkte zum Nikolaustag Glühwein aus. In der Pause konsumierten einige Studierende das Getränk, brachten aber auch ihre zumeist noch gefüllten Becher mit in den Seminarraum. Es war an den Reaktio-nen Einzelner zu erkennen, dass sie es unangenehm fanden. Der süßliche Glühweingeruch verbreitete sich. Gesagt hat niemand etwas, eher wurde in Richtung Leitung geschaut und gegrinst. Es entwickelte sich nach dem Hinweis der Leiterin ein Gespräch über Für und Wider von Alkohol in öffentlichen Räumen. Aber wichtiger als diese Frage war das im zweiten Schritt aufgenommene Thema, welche Hinweise in einer Leitungsfunktion gege-ben werden sollten. Die meisten Teilnehmer/innen stellten fest, dass sie oft etwas störte, dass sie aber keine Idee hätten, wie sie dies formulieren könnten, ohne in eine nörgelnde Rolle zu kommen. Das Störende wird wahrgenommen, aber es fehlt oft noch die Kompe-tenz, sich zu äußern. Erkannt wird, dass häufig andere Motivationen, z. B. Zugehörigkeit oder Angst vor Konflikten, es unmöglich machen, das Unwohlsein auszudrücken.

Das Thema „Verbindlichkeit“ wird deutlich am Beispiel des Umgangs mit Mails. Immer wieder beschweren sich die Mentor/innen, dass die Mentees auf Mails mit Abfra-gen nicht antworten. Die mangelnde Rückmeldung auf Termine und Informationen wird

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in der Regel als Desinteresse gedeutet, und die eigene Motivation nimmt ab. Die Nach-frage, ob sie selbst denn auf Mails von Professor/innen oder Lehrbeauftragten antwor-ten, verneinen die meisten. Es folgen lange Diskussionen über die Selbstverständlichkeit, dass man nicht antwortet. Dieses Thema führt auch immer wieder zu der grundsätzli-chen Frage, ob diese Generation anders mit Informationen umgeht. Die meisten ändern nach dieser Besprechung das eigene Verhalten. Oftmals können sie formulieren, dass sie diese Erfahrung nicht mit dem studentischen Alltag verbinden und dass dies z. B. im Berufsalltag anders sei bzw. sein werde. Die Nutzung von Facebook als Kontakt- und Vernetzungsplattform ist eine weitere wichtige Erfahrung, mit der sich die Mentor/innen auseinandersetzen. So wird zu Beginn diese Kontaktmöglichkeit oft als Erleichterung empfunden, aber nach einigen Wochen thematisieren sie die übermäßige – nicht selten auch ungenaue/falsche – Informationsflut.

Zudem stoßen die Mentor/innen immer wieder an einfache organisatorische Grenzen. So hat z. B. die begrenzte Raumkapazität während der Einführungswoche oder bei der Festlegung von Einzelgesprächsterminen ihre Tätigkeit erschwert. Die Ausweitung von Aufgaben und Aufträgen hat manchmal für sie den Eindruck erweckt, durch die immer wieder neuen Informationen überfordert zu sein. Unseres Erachtens hat aber die Beschäf-tigung mit der Hochschule und deren Anforderungen an das Programm den Studierenden den Zugang zu Fragen von Organisationen und Institutionen eröffnet. Das Interesse an der weiteren Mitarbeit in Hochschulgremien ist gewachsen, weiteres Engagement in ver-schiedenen Gruppen wird verfolgt.

Auch bildete sich in jeder Mentorengruppe im Verlauf der gemeinsamen Arbeit ein Gruppenthema heraus:

● Die erste Gruppe: Aufbruch: ein neues Projekt für die Hochschule – Organisation, persönliche Entwicklung, der Umgang mit Freiheiten und Selbstorganisation.

● Die zweite Gruppe: Die Anerkennung durch die Verantwortlichen in der Hochschule – Beteiligung in der studentischen Selbstverwaltung und Kooperation.

● Die dritte Gruppe: Konflikte mit Strukturen und Regeln an der Hochschule – aber eigentlich soll es Spaß machen.

● Die vierte Gruppe: Anerkennung durch die Lehrenden – alles ist anders: Auseinander-setzung mit der Übernahme einer Rolle.

● Die fünfte Gruppe: Konflikte durch die Veränderung von Studienbedingungen – stei-gende Konkurrenz und Leistungsdruck untereinander. Die fünfte Mentoren-Gruppe hat im WS 2013 ihre Ausbildung abgeschlossen.

Das jeweilige Gruppenthema prägte viele Diskussionen und nahm viel Zeit zur Klärung in Anspruch.

6 Auswertung

Durch die gemeinsame Auswertung mit den Teilnehmer/innen konnten Anpassungen im Konzept vorgenommen werden. So wurde im vierten Durchgang ein großes Interesse an mehr praktischer Erfahrung im Einzel-Coaching formuliert. Als Pilotprojekt wurde daher für fünf Mentor/innen der neuen Ausbildungsgruppe ein Coaching-Angebot entwickelt.

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Fünf erfahrene Mentor/innen begleiteten die jungen Mentor/innen zur Vorbereitung und während der Einführungswoche sowie zur Nachbereitung in vier Coaching-Einheiten. Die Erfahrungen wurden in der Supervision, den Workshops sowie durch Erfahrungsberichte vorläufig ausgewertet. Die Resonanz war so positiv, dass die Teilnehmer/innen des fünften Durchgangs dieses Angebot der gesamten neuen Gruppen gemacht haben. Die Vorbereitung wird im neuen Durchgang bereits in den Workshops zur Diagnose vorbereitet. Dadurch schulen die Mentor/innen bzw. Coaches verstärkt ihren Blick auf die Einzelgespräche.

Die Teilnehmer/innen ab der zweiten Ausbildungsgruppe haben selbst eine Einführung durch Mentor/innen erfahren. Die Erfahrung, begleitet und gut beraten worden zu sein, führt nicht selten dazu, selbst Mentor/in werden zu wollen. Die Vorstellung, soziale Ver-antwortung für die Studienanfänger/innen zu übernehmen, ist eine wichtige Motivation.

Rückmeldungen zeigen, dass sich Interessierte für das Programm von ihren Mentor/innen oftmals darüber beraten lassen. Viele sprechen Empfehlungen aus und werben für das Programm. Die Qualifizierung im Rahmen des Studiums wird mit Interesse angenom-men. Trotz aller Belastung und Erschwernis formulieren die meisten Absolvent/innen des Programms, dass sie wieder teilnehmen würden und die Durchführung als Angebot der Hochschule wichtig finden. Eine Befragung durch die Hochschule, an der sich 75 % der ehemaligen Mentor/innen beteiligten, ergab folgende Ergebnisse:

● Aussagen über die Verwertbarkeit des Mentorenprogramms im Rahmen der Berufs-tätigkeit können nicht getroffen werden, da 78 % der Befragten noch im Studium waren. Allerdings war bei 38,5 % der Befragten die Teilnahme Thema in einem Vor-stellungsgespräch. 41,7 % von ihnen bekamen die Rückmeldung vom Unternehmen, dass sie sich durch ihr Engagement von anderen Bewerber/innen abheben würden.

● Die Befragten sahen insbesondere ihre Empathie/emotionale Intelligenz und ihre Reflexionsfähigkeit/Selbstreflexion durch die Coaching-Ausbildung gefördert.

● Das Programm habe besonders dazu beigetragen, das eigene Verhalten und das Ver-halten anderer bewusster wahrzunehmen.

● Besonders gut gefallen haben den Mentor/innen das Kennenlernen anderer Arbeits-weisen (Stuhlkreis, Feedback …) und die Auseinandersetzung mit sozialwissen-schaftlichen Themen.

● 88,9 % der Befragten empfahlen ihren Kommiliton/innen die Teilnahme am Mento-renprogramm. 50 % der Befragten würden sich im Bereich „Coaching/Beratung“ gern weiterhin fortbilden.

● Die zur Beantwortung offen gestellten Fragen zeigen, dass sich die Befragten in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gefördert sahen und glaubten, dass sie auch im Hinblick auf ihre beruflichen Perspektiven von den gemachten Erfahrungen profitieren könn-ten. Besonders hervorgehoben wurden die positiven Erfahrungen im Gruppenprozess. Deutlich wird auch, dass die Befragten das Programm als anspruchsvoll, aber sehr lohnend empfanden.

Die Befragung zeigt, dass das Mentorenprogramm einen Lernort zur Entwicklung und Erprobung von Schlüsselqualifikationen darstellt. In den unterschiedlichen Lernformen wird die Reflexionsfähigkeit der teilnehmenden Studierenden geschult und ihre Persönlich-keitsentwicklung gefördert. Das Programm bereitet somit auf den Arbeitsmarkt vor, auf dem heute Schlüsselqualifikationen und Fachkenntnisse gleichermaßen von Bedeutung sind.

Ausbildung von Schlüsselqualifikationen im Fachbereich Wirtschaft 203

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Dr. Martina Meyer-Schwickerath, MBA, Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten „Außenwirt-schaft“ und „Interkulturelles Management“ an der Hochschule Bochum, Supervisorin (DGSv), Coach; www.meyer-schwickerath.com.

204 M. Meyer-Schwickerath und M. Maaßen

Dr. Monika Maaßen, Dipl.-Pädagogin, Supervisorin (DGSv), Trainerin für Gruppendynamik (DGGO), Lehrbeauftragte, Coach, Mitarbeit in Ausbildungen zum Mentoring und Coaching sowie zum „Leiten und Beraten von Gruppen und Teams“, Koopera-tionen mit dem Fortbildungsinstitut für Supervision (FIS) und dem Institut für Gruppendynamik und Organisationsberatung (IGO-Münster).