Ausgabe 6 Frühling 2008 Verkäufer Montagsdemo in … · Hartz-IV-Empfänger und andere ... 4...

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M Montagsdemo in Heidelberg Initiative MetropolticketPLUS gewinnt an Fahrt Ausgabe 6 Frühling 2008 Abgabe gegen eine Spende von: ¼ 1,70 davon 0,70 für den Verkäufer

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MMontagsdemo in Heidelberg

Initiative MetropolticketPLUS gewinnt an Fahrt

Ausgabe 6 Frühling 2008

Abgabe gegeneine Spende von:

1,70davon 0,70für denVerkäufer

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Liebe Leser

Die neue Gefahr heißt Hunger.Nicht nur die Meldungen aus aller Welt sollten unsnachdenklich machen, in denen von bürgerkriegs-ähnlichen Vorgängen berichtet werden, weilLebensmittel knapp bzw. unbezahlbar sind. Nein,auch bei uns in Deutschland steigen die Preise fürLebensmittel ständig. So sollen in diesem Jahr diePreise für heimisches Obst, Gemüse und Kartoffelndeutlich ansteigen. Hartz-IV-Empfänger und anderevon Armut Betroffene müssen bereits heute 75%ihres „Einkommens“ für Lebensmittel aufwenden. Dableibt nicht viel für was anderes. Aber nicht nur inPrivathaushalten wird sich die Preissteigerungbemerkbar machen, auch Suppenküchen u.a. werdendies sicher zu spüren bekommen, wenn sie mitweniger Spenden auskommen müssen. So trifft eswieder einmal besonders die Armen und dieObdachlosen.Im Zuge notwendiger Sparmaßnahmen in sozialschwachen Haushalten, macht dies die Forderungnach einem Sozialticket (Seite 7) unumgänglich.Des Weiteren stellt sich hier die Frage, ob Hartz-IVin dieser Form überhaupt noch tragbar ist, denn inden Regelsätzen wird auf Preiserhöhungen, seien esStrom-, Gas-, Beförderungs-, oder wie hier Lebens-mittelpreise keinerlei Rücksicht genommen. Vereinewie die Soli Genial e.V. fordern eine generelle Ab-schaffung von Hartz-IV und eine neue Debatte überein höheres allgemeines Grundeinkommen (Seite 8).Informieren Sie sich dazu, auf der Montagsdemojeden Montag von 18-19 Uhr auf dem Bismarkplatz.Wir wünschen Ihnen eine anregende undunterhaltsame Lektüre.Über Rückmeldungen, Leserbriefe, Kritik undAnregung jeder Art freuen wir uns.Schreiben Sie an die Redaktion.

Bleiben Sie gesund und munter.Bis zur nächsten Ausgabe,Ihr OBDACH-Blätt´l

Inhalt dieser Ausgabe Seite:

Das Spendensiegel

Mobilitätsbeihilfe

Treffpunkt Bahnhofsmission

MetropolticketPlus

Soli Genial e.V.

Hartz-IV-Nachrichten

Fragen und Antworten zur Grundsicherung

Hartz-IV macht fett

Rezepte

Gesichter der Straße

Crashkurs Obdachlosigkeit

24 Stunden obdachlos

Ohne Rauch geht’s auch

Onlinesucht

Umzug in aller Stille

Büchertipps

Impressum

Schmunzelseite

Zeitumbruch

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Auch in diesem Jahr wurde OBDACHe.V. wieder das Spendensiegel zuerkannt –seit 1995 in ununterbrochener Folge.Das besagt:

OBDACH e.V. leistet seine Arbeitso, wie es die Satzung vorgibt.Werbung und Informationen vonOBDACH e.V. sind wahr, eindeutigund sachlich.Geldflüsse und Vermögenslage sindin einem Rechenwerk nachvoll-ziehbar dokumentiert.Werbe- und Verwaltungskosten sind nach DZI-Maßstab niedrig, d.h. unter 10% der Gesamt-ausgaben.

Grundvoraussetzung für die Zuerkennung des Spen-densiegels ist die regelmäßige Vorlage, eines Jahres-abschlusses, der von einem unabhängigen Wirt-schaftsprüfer testiert sein muss. Dieser prüft nach denRegeln des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsver-bandes (DPWV), d.h. er überprüft nicht nur, ob dieZahlen stimmen, sondern auch, ob der Vorstand sach-und satzungsgerecht gearbeitet hat.Darüber hinaus muss der Antrag für die Zuerkennungdes Spendensiegels bis zu 35 Fragen beantworten undmit Dokumenten zu belegen.

Erst nach genauer Überprüfung dieserUnterlagen und wenn deren Richtigkeitfestgestellt worden ist, kann das Zentral-institut für soziale Fragen (DZI) dasSpendensiegel zuerkennen.OBDACH e.V. ist von seiner Satzung hergegen Missbrauch gut gewappnet: DerVorstand muss ehrenamtlich arbeiten; erführt vollverantwortlich die Geschäfte desVereins und muss sich eine Geschäftsord-nung geben, einen Geschäftsverteilungs-plan aufstellen sowie jährlich eine Finanz-vorschau vorlegen.

Monatlich vorgelegte Gewinn- und Verlustrechnung-en machen den Geschäftsverlauf jederzeit transparentund ermöglichen es, auf unvorhergesehene Ereignissezeitnah zu reagieren.Zudem wird unser Handeln von unserem öffentlichenZuschussgeber – der Stadt Heidelberg – stets kon-struktiv begleitet. Schließlich und letztlich kontrolliertdie Mitgliederversammlung die inhaltliche und finan-zielle Ausrichtung der Arbeit von OBDACH e.V.Alle, die Obdachlosen helfen wollen, ihr Leben aufder Straße zu überwinden und einen neuen Anfang zuwagen, können ganz sicher sein, dass ihre Spenden daankommen, wo sie dringend gebraucht werden.Albertus L. BujardVorsitzender OBDACH e.V.

DZI Spendensiegel anOBDACH e.V.

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„Mobilitätsbeihilfe bei Hartz IV“14,40 Euro bekommt jeder Hartz-IV bzw. Grund-sicherungsempfänger im Monat. Das ist so im Regel-satz vorgesehen.Da muss jeder Betroffene sich zweimal überlegen, ober mit Bus oder Bahn fährt.Ganz eng wird’s dann, wenn zum Beispiel ein naherVerwandter stirbt, welcher in einer entfernten Stadtwohnte, oder wenn andere Familienfeiern anstehen,woran man teilnehmen muss. Hierfür müsste mandann mehrere Monate sparen.Viele bleiben dann lieber zu Hause, verlieren sozialeKontakte und vereinsamen.Andere fahren ohne Fahrkarte, hoffen, dass sie nichterwischt werden, und wenn sie dann doch kontrolliertwerden, bekommen sie spätestens nach dem zweiten-mal eine Strafanzeige und meistens eine Geldstrafevom Gericht. Da die Betroffenen die Strafe natürlichnicht bezahlen können, kommt es zu einer „Ersatz-freiheitsstrafe“.Dann geht’s ins Gefängnis, wobei dann vieles ver-lorengeht und nicht selten findet man sich nach derEntlassung obdachlos auf der Straße wieder.Für die Gesellschaft entstehen hohe Kosten hierbei:Gerichts- und Haftkosten, wobei ein Tag Haft ca. 100Euro kostet.Aus diesen und sicherlich vielen anderen Gründen istes unbedingt notwendig, das geforderte „Metropol-ticketPLUS“ einzuführen.Im RNV-Verbund gibt es viele verbilligte Tickets,z.B. das Jobticket, die Karte ab 60, ein Semesterticketfür Studenten, und einige andere. Für die Armenbzw. von Armut Betroffenen gibt es bisher noch keinTicket welches, sich diese leisten könnten.Lesen sie dazu auch Seite: 7 oder besuchen Sie dievom Bündnis gegen Sozialabbau ins Leben gerufeneMontagsdemo, jeden Montag ab 18 Uhr auf demBismarckplatz.

Werbung

Diakonieladen „Brot & Salz“

Der Diakonieladen Brot & Salz wurde imSeptember 1999 vom Diakonischen WerkHeidelberg in der Heidelberger Altstadt eröffnet.Leitgedanke dieses Projektes war und ist es, Men-schen in sozialen Notlagen nicht nur durch ein-malige finanzielle Mittel im akuten Notfall zu hel-fen, sondern, in Form einer günstigen Einkaufs-möglichkeit, eine dauerhafte Unterstützunganzubieten.

In diesem Laden erhalten Menschen mit geringemEinkommen die Möglichkeit

* Lebensmittel

* gebrauchte Kleidung

* Haushaltsartikel

preisgünstig zu erwerben. Zum vergünstigtenEinkauf berechtigt ein im Laden ausgestellter Ein-kaufsausweis und der Heidelberg-Pass.Die Einkommenssituation wird anhand vonBescheinigungen überprüft. Die Warenpalette wirdbestimmt durch Spenden von regionalen Er-zeugern und des Einzelhandels der Umgebung. Beiden gespendeten Waren handelt es sich in ersterLinie um verderbliche Waren, wie Backwaren,Obst, Gemüse und Milchprodukte. Darüber hinaussteht ein erweitertes Warenangebot (haltbare Pro-dukte) zur Verfügung, welches zum Teil durchPrivatspender dem Laden zugeführt wird. Laden-erträge dienen ausschließlich der Deckung not-wendiger Ausgaben wie Ladenmiete, Neben-kosten, Fahrtkosten und Personalkosten.Ladenanschrift: Plöck 22 (im Hinterhaus).Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 11.30 bis16.30 Uhr. Telefonische Anfragen Montag bisFreitag zu den üblichen Bürozeiten unter 06221/61 81 90 oder 53 75 11.

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Die Bahnhofsmission ist Treffpunktder Armen und EinsamenMosaik der Schicksale

Die Tür öffnet sich, wohlige Wärme, vermischt mitmuffigem Dunst ungewaschener Kleidung und einerstrengen Alkoholfahne drängt sich auf. Im schmalenhellen Flur ist es eng. Drei junge Männer stehen dichtbeieinander. Der Raum hinter der Milchglasscheibe istvoll, das heißt warten. Es dürfen immer nur dreiMänner gleichzeitig rein, für eine halbe Stunde. FürFrauen gilt dies nicht, sie haben immer Zutritt. In denRäumen der Bahnhofsmission finden Gestrandete,Obdachlose und Ratsuchende 24 Stunden am TagMenschen, die zuhören, informieren und weiter-vermitteln.Drei Männer sitzen im Raum, jeder an einem anderenTisch. Schweigend kauen sie an ihren Brötchen, dendampfenden Tee im gespülten Joghurtbecher vor sich.Einer schlummert zusammengesunken auf derbraunen Eckbank. Es riecht nach Alkohol. „Nur zehnMinuten ausruhen“, dann muss Toni zu Lidl, Bierkaufen. Sie kennen sich nicht, reden nicht miteinander– und dennoch kommen die Männer in dieBahnhofsmission, um nicht in ihrer Einsamkeitverloren zu gehen. In diesen Räumen findenGestrandete, Obdachlose und Ratsuchende Men-schen, die zuhören, informieren und weitervermitteln.

Die Bahnhofsmission ist eine der wenigen Ein-richtungen ihrer Art in Deutschland, die es sich nochleistet, für Menschen aller Coleur da zu sein, ganzgleich, woher sie kommen, wohin sie wollen undwelches Anliegen sie haben. Rein in die zugigeBahnhofshalle, der kalte Ostwind fegt durch diependelnde gläserne Seitentür. Eilig hasten Reisendemit Koffern vorbei, schauen auf die Armbanduhr. DieLautsprecher vom Bahnsteig oben plärren blechern inder Ferne, Wortfetzen hängen in der Luft undverhallen auf dem Weg in den Seitengang der Halle,in dem die Bahnhofsmission liegt.

Wohlige Wärme für alleDie Tür öffnet sich, wohlige Wärme, vermischt mitmuffigem Dunst ungewaschener Kleidung und einerstrengen Alkoholfahne drängt sich auf. Im schmalenhellen Flur ist es eng. Drei junge Männer stehen dichtbeieinander, trippeln sich auf den Fliesen die Füßewarm, die Hände tief in die Taschen vergraben. „Istkalt draußen“. Die Tür mit der Milchglasscheibe, dieEinlass in den Aufenthaltsraum gewährt, ist ge-schlossen. Der Raum ist voll, das heißt warten. Esdürfen immer nur drei Männer gleichzeitig rein, für

eine halbe Stunde. Dann sind die nächsten dran, solautet die Regel. Alkohol und Aggression könntenhier sonst ein explosives Gemisch ergeben. FürFrauen gilt dies nicht, sie haben immer Zutritt. Imkleinen Büro mit dem großen Fenster steht die Türzum Flur offen, auch die kleine Scheibe am Gang istgeöffnet, sie erinnert an die Pforte einer Behörde.Heute haben Helmut und Sebastian Dienst in derBahnhofsmission.

Der 63-jährige Helmut hält einen Plastikbehälter unterden Wasserhahn, dreht ihn auf und füllt hinter derTheke im gemütlich pastellgelb gestrichenenAufenthaltsraum den silbernen 5-Liter-Topf auf demHerd.

Lachfältchen helfenGeübte Handgriffe, denn seit einem Jahr ist derrüstige Pensionär mit Lachfältchen um dieMundwinkel im Team der Ehrenamtlichen. Sebastiansitzt im Büro und hält ein „Pläuschchen“ durch diegeöffnete Scheibe. Soziale Arbeit ist sein Fach. Seitdrei Jahren engagiert sich der zurückhaltend wirkendejunge Mann mit dem Vollbart und dem strubbeligenPferdeschwanz nebenbei in der Bahnhofsmission.

Hartz IV macht nicht sattNur einer der Wartenden im Flur scheinteinigermaßen warm gekleidet, den gelbenschmuddeligen Schal eng um den Hals gewickelt, diequietschblau-rot gestreifte Pudelmütze thront speckig-steif auf dem dunklen Haarschopf. Christian kommtjeden Tag hierher, weil er Hunger hat. Unrasiert undhohlwangig schaut er sich mit großen braunen Augenskeptisch um.

Hartz IV macht den 23-Jährigen nicht satt. „Ich freuemich immer auf das Essen. Aber noch toller fände iches, wenn ich mir die Brötchen selbst kaufen könnte.“Zwei Bäckereien auf dem Bahnhofsgelände gebenÜbriggebliebenes abends kostenlos ab. Nicht nur daskostenlose Essen kommt gut an. Auch anderen Nötenkann ein wenig Abhilfe geschaffen werden, erklärtHelmut „Wir sind für die da, die uns brauchen, undversuchen gemeinsam eine Lösung für ihr Problem zufinden. Arbeits- und Wohnungssuchende können beiuns telefonieren und die aktuelle Tageszeitung liegthier aus. Außerdem stellen wir auf Wunsch denKontakt zu anderen Einrichtungen her und bietenEinzelgespräche an“.

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Interesse und AnteilnahmeSoweit ist Lisa noch nicht. 17 Jahre jung, aber ihreGeschichte reicht für drei Leben. Ein kessesMädchen mit zerzaustem Kurzhaarschnitt, gerade imDrogenentzug, die Eltern getrennt, die MutterAlkoholikerin. Ein Streit mit dem Vater ließ sieabhauen.Eigentlich „liebe sie ihren Vater ganz doll“, aber imMoment „geht da nichts“. Schweigen. Sie hältzitternd die Arme um den Oberkörper geschlungen.„Kann ich bitte einen Tee haben?“ Seit Lisa weg istvon daheim lebt sie mehr oder weniger „auf derPlatte“, an die Kälte im Freien hat sie sich gewöhnt.Nur heute – wo sie noch nichts gegessen hat – friertsie in ihrer schwarzen Sweatshirt-Jacke bei minus 15Grad. Seit drei Wochen konnte sie ihre Kleidungnicht wechseln. Warum Helmut Fries sich nachJahrzehnten im Schuldienst um diese Menschenkümmert? Einige Sekunden schaut er nachdenklich,dann kommt das gewohnt liebenswerte Lächelnzurück. Die feste Stimme verleiht der Antwort Nach-druck: „Das sind Lebenssituationen und Schicksale,die mir zwar fremd sind – die mich aber neugierigmachen. Was muss passiert sein, damit jemand so tiefrutscht?“.Die Tür geht auf. Eine zierliche, kleine ältere Dame,in roter Jacke und mit schwarzem Hut trippelt herein,umgeben von einem streng nach ungewaschenenKleidern riechenden Dunst. Sie lächelt durch diegroßen Zahnlücken. „Hallo Annemarie“. Diefreundlichen blauen Augen der älteren Frau blitzen,Plastiktüten rascheln an ihrem Arm. Der Türöffnerschnarrt. Vertraut steuert sie direkt auf die Sitzeckezu und stellt ihre Tüten ab. Drei Tische mitHolzstühlen stehen hier; die Bank aber istAnnemaries Stammplatz. Gewohnheiten tun gut. Ander Wand hängen verschiedene selbst gemalte Bilder,

auf dem Fensterbrett sorgt eine orangefarbene Salz-kristalllampe für gemütliches Licht. Wer hierherkommt, braucht nicht unbedingt einen Gesprächs-partner. Der Zeitungsständer ist voll mit den Tages-zeitungen der letzten Woche, an der Wand hängt einRegal mit abgegriffenen Gesellschaftsspielen. Anne-marie setzt sich nuschelnd auf die Eckbank, der Blickhaftet auf dem mit Tee gefüllten Joghurtbecher.Helmut beobachtet schmunzelnd die im Selbst-gespräch vertiefte Frau.„Man versteht ihr fränkisches Gebrabbel nur schwer.Aber sie möchte auch nur, dass ihr jemand zuhört.“Es komme immer etwas zurück von all diesenMenschen. Seine Motivation beschreibt Helmut, derehemals als Schulleiter tätig war, so: „Wir lernen alsMitarbeiter und als Mensch Einiges hier. Elendanzuschauen zum Beispiel und es auszuhalten. Sicheinlassen auf die Menschen, aber auch Grenzenwahrzunehmen bei sich und den anderen“.

Kampf der EinsamkeitDer Aufenthaltsraum ist gefüllt, Lisa sitzt wieder amTisch, die Finger umschließen fest den Joghurtbechermit dem heißen Inhalt. Annemarie sitzt ihr gegen-über, noch immer im Monolog versunken. Warumkommt sie so oft? Der faltige Mund lächelt breit, dieblauen Augen schauen erstaunt: „Weil ich meinefesten Termine am Tag habe!“ Auch eine Art, dieEinsamkeit zu bekämpfen, wenn der Mann ver-storben ist und die Kinder nicht am Kontakt inter-essiert sind. Dann kommt sie zur Bahnhofsmission,denn hier spürt man den kalten Ostwind von draußennicht.

Judith Bornemann

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Billigticket für sozialSchwache soll kommenDie „Initiative MetropolticketPLUS“gewinnt an Fahrt

Die „Initiative 20.- MetropolticketPLUS in derMetropolregion Rhein-Neckar für Hartz-IV-Ab-hängige und Geringverdiener" gewinnt an Fahrt. Mitdieser Kampagne wollen wir erreichen, dass Hartz-IV-Abhängige und Menschen mit geringem Einkom-men (Pfändungsgrenze) für 20.- uro im Monat fahrenund die öffentlichen Einrichtungen in derMetropolregion besuchen können.Die großen Konzerne wie SAP, Heidelberger Druck,BASF, MLP, Mercedes-Benz und andere organi-sieren eine Metropolregion von oben. Sie wollendamit auf die gewählten VertreterInnen in der Regionden politischen Druck weiter erhöhen, um ihre Profitezu steigern.Schon jetzt werden in der Metropolregionzehntausende von Frauen, Männern und Kinderndurch Hartz IV in die Armut gedrückt. Mit demunserer Meinung nach rechtswidrigen Trick vielerStädte und Kreise werden mit der sogenannten„angemessenen Miete“ die Regelsätze von 347 nochweiter geschmälert, weil die „tatsächliche Miete“ oft50, ja teilweise bis 100 teurer ist (großer Spezialistist dabei der Rhein-Neckar-Kreis).

Betroffene Menschen und ihre Kinder können immerweniger am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, sieziehen sich zurück und verlieren ihre gelerntenFähigkeiten. Deshalb wollen wir mit dem Metro-polticketPLUS eine Kampagne von unten organi-sieren, dabei fordern wir alle Menschen auf, dieseaktiv zu unterstützen. Wir alle brauchen die Mobi-lität, und obendrein ist der Ausbau des öffentlichenNahverkehrs auch noch umweltfreundlich.

In der Zwischenzeit unterstützen diese Initiativeneben dem Verein Üsoligenial e.V. Heidelberg Rhein-Neckar, die Bunte Linke mit dem Stadtrat ArnulfWeiler-Lorenz, der Heidelberger Montagsbe-wegung,dem Heidelberger Bündnis gegen Sozial-abbau „Wegmit Hartz IV und Agenda 2010", die LinkeHeidelberg sowie die Linke Rhein-Neckar, demBetriebsrat des Berufsbildungswerkes (BBW)Neckargemünd, dem BR Fachkrankenhaus (FKN)

Neckargemünd sowie der Unterstützung der großenMehrheit der Mitglieder aus dem Betriebsrat der SHSin Neckargemünd, dem Arbeitskreis Arbeit undSoziales im DGB Rhein-Neckar, der MLPD Rhein-Neckar, der Schwerbehindertenvertretung im Berufs-bildungswerk Neckargemünd (BBW), dem Frauen-verband Courage e.V. Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg, dem Erwerbslosentreff von Ver.di inHeidelberg, VVN BdA Heidelberg, dem Personalratder Uni-Klinik Heidelberg , Bündnis Mannheim-steht-auf, den Stadträten der Bündnis 90 GRÜNEMannheim und vielen Einzelpersonen.

1000 Unterschriften wurden bisher gesammelt.Weitere Unterstützer der Initiative sind herzlichwillkommen.

Letzte Meldung: Auf Initiative des Erwerbs-losenausschuss bei Ver.di wurde auf der letztenVorstandssitzung erneut darüber diskutiert und be-schlossen, dass der Bezirksvorstand Rhein-Neckarebenfalls ein Metropolticket von 20.- für Hartz-IV-Empfänger und Geringverdiener fordert.

Wer Interesse hat, sich an den Aktivitäten zubeteiligen, bitten wir um eine kurze [email protected] oder uns direkt über01742973970 zu informieren.

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Heidelberg Rhein-NeckarÜberparteiliche Solidarität gegen Sozialabbau im

Rhein-Neckar-Raum

Ziel, Zweck und Aufgaben

Der Verein ist selbstständig-parteipolitisch,konfessionell und finanziell unabhängig.

Wir wollen ein Zentrum für Erwerbslose alsOrt der Begegnung und des Austausches,Vernetzung und Beratung.

Wir beraten und geben Lebenshilfe fürArbeitslose und vom Sozialabbau betroffeneMenschen, um ihre Ansprüche gegenüberInstitutionen wie der Arbeitsagentur, Job-center und anderen Sozialeinrichtungenbesser durchsetzen zu können.

Der Verein unterstützt bei Behördengängendie Betroffenen.

Wir organisieren Bildungs- und Informations-veranstaltungen, um Hintergründe und Zu-sammenhänge besser verstehen zu können.

Wir setzen uns für die nachhaltige Verbes-serung der Situation der Erwerbslosen undsozial benachteiligten Menschen in der Regionein und protestieren deshalb jeden Montaggegen Agenda 2010 und Hartz IV.

Wir fördern die gemeinsame Kultur und dieBeseitigung von Kommunikationshürden,insbesondere dort, wo Sie nach sozialerHerkunft, sozialem Status und individuellerLebenslage unterschiedlich sind.

Wir arbeiten auf antifaschistischer Grund-lage und fühlen uns der Bewegung für mehrDemokratie sowie der internationalenArbeiter- und Gewerkschaftsbewegung ver-bunden.

Wir suchen mit allen gesellschaftlichen Gruppendie Zusammenarbeit, mit dem Ziel, dass derMensch im Mittelpunkt allen gesellschaftlichenHandelns steht.

Wir treffen uns jeden Montagzur Montagsdemo

um 18:00 Uhr am Bismarckplatz

Anschließend 19.30 Uhr im Sitzungssaal bei ver.di,Czernyring 20

Aktive Interessenvertretung

Ort der Begegnung

Beratung und Hilfe

Kultur

Kontakt mail:

[email protected]

Handy 0174-2973970

Webseite der Montagsbewegung

www.montagsdemo-heidelberg.com

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Hartz-IV-Nachrichten

Bei etwa 66 Prozent der bis Ende 2006 aus-gestelltenHartz-IV-Bescheide hat die BA fest-gestellt, dassdiese fehlerhaft erstellt worden sind. Vor allem seienRechtsanwendungen missachtet sowie Rechen- undÜbertragungsfehler gemacht worden. Zudem fehlte invielen Fällen eine ordentliche Dokumentation. Über60 Prozent der getroffenen Eingliederungsverein-barungen waren zudem fehlerhaft.Konto- Spionage durch die Ämter bei Hartz-IV-EmpfängernEine Konto-Abfrage von Menschen, die aufSozialleistungen wie das Arbeitslosengeld IIangewiesen sind, wird nun auch den Sozialbehördeneingeräumt. Bisher wurde eine Konto-Überprüfungdurch den Zoll und die Polizei bei schwerst-kriminellen Delikten wie der Geldwäsche und derSteuerhinterziehung vollzogen. Doch das Unter-nehmenssteuergesetz macht dies nun auch bei Em-pfängern des Arbeitslosengeld II machbar.Ein Verdacht auf einen sog. Leistungsmissbrauch sollzukünftig schon ausreichen, um Konten von Er-werbslosen zu durchleuchten. Nach einigen Zeitungs-berichten werden die Konten sogar ohne Wissen derBetroffenen überprüft. Eine Auskunftspflicht bestehtfür die ARGE nicht.Die Bundesregierung, so die „Stuttgarter Zeitung“erwartet, dass die zuständigen Ämter die Über-wachung von Bankkonten „rege nutzen werden“. EinSprecher des Bundesministeriums für „Arbeit undSoziales“ sagte gegenüber dem Blatt: „Das wirdwahrscheinlich in Zukunft zu einem Anstieg derGesamtzahl der Abfragen führen“.Erwerbsloseninitiativen kritisieren den Generalver-dacht, unter denen Hartz-IV-Empfänger gestelltwerden. Damit werden Sozialleistungsempfängergleich gestellt mit Unternehmen, die im großenUmfang Steuerbetrug und Geldwäsche betreiben.„Allein die Tatsache, auf Hartz IV angewiesen zusein, mache verdächtig“, so Gritli Bertram von derRedaktion „gegen-hartz.de". Es wird erwartet, dassdie Ämter im großen Umfang von der Überprüfungvon Konten Gebrauch machen werden. Für die Ämterist es nicht erforderlich nachzuweisen, dass vorigeAuskunftsersuchen keinen Erfolg hatten. Zuständige

Jobcenter können formulieren, dass vorigeAuskunftsersuchen „keinen Erfolg versprechen".Hartz IV: Warmwasser gehört nicht zum Regel-satzWarmes Wasser plus ALG IIWarmes Wasser muss nicht von den Unter-kunftskosten beglichen werden, sondern als Leistungvon der ARGE beglichen werden.In einem vorliegenden Fall hatte die ARGE für einPaar aus Marienburg im Erzgebirge zwar die vollenMietkosten übernommen, jedoch nicht das Warm-wasser beglichen. Die ARGE war der Ansicht, dasseine Pauschale für das Warmwasser abgezogenwerden muss. Das Paar erhält Fernwarmwasser, daszuzüglich berechnet wird. Das Paar klagte gegen denAbzug einer Pauschale und bekam nun vom Landes-sozialgericht in Chemnitz Recht.Das Landessozialgericht Chemnitz beschloss, dassEmpfänger von ALG II die Kosten für Warmwassernicht von den Miet- und Unterkunftskosten be-gleichen müssen, sondern die Kosten für das Warm-wasser extra von der ARGE entrichtet werden muss.„Ebenso wie die Heizkosten sind die Ausgaben fürwarmes Wasser aus der Leitung zusätzlich zu denRegelleistungen zu zahlen“, so die ChemnitzerSozialrichter. Anders sei für Hartz-IV-Empfänger einmenschenwürdiges Dasein nicht gesichert. In denRegelleistungen seien nur die Energiekosten für denrestlichen Haushalt wie Waschmaschine und Ge-schirrspüler enthalten.(Aktenzeichen: L 3 AS 101/06- veröffentlicht am11.05.07)Einnahmen durch die Ein-Euro-Jobs sind nichtsicher und können gepfändet werdenWenn Arbeitslosengeld-II-Empfänger eine „Ein-Euro-Job“-Maßnahme zugestellt bekommen haben unddabei auch Schulden gegenüber Gläubigern auf-weisen, so kann auch das Entgelt, der Ein-Euro-Job-Arbeit weggepfändet werden. Das Landgericht Gör-litz urteilte entsprechend und verwies darauf, dass essich dabei um eine Entschädigung für Mehrauf-wendungen handelt, die an das Arbeitslosengeld IIzwar gekoppelt sei, dennoch aber eine zusätzliche„Einnahmequelle“ ist.Die Mehraufwendung soll lediglich ein Anreiz bieten,um einen Ein-Euro-Job auszuführen. Somit kann dieEntschädigung weggepfändet werden, da es sich nichtum eine zweckgebundene unabtretbare Forderunghandelt. Das ALG II bleibt dabei jedoch unangetastetund kann nicht gepfändet oder gekürzt werden. Urteil:Aktenzeichen: 2 T 282/05- Land-gericht Görlitz unterBerufung: SGB-II § 16 Abs. 3 S. 2, SGB-I § 54, ZPO§ 851 Abs. 1

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Fragen und Antworten zum ThemaGrundsicherungIm Alter und bei Erwerbsminderung

Hier finden Sie häufige Fragen und Antworten rundum das Thema Grundsicherung im Alter und bei Er-werbsminderung.

Warum hat der Gesetzgeber die Grundsicherungeingeführt?

Mit der Einführung der Grundsicherung wollte derGesetzgeber gewährleisten, dass Personen, die durchAlter oder dauerhafte Erwerbsminderung endgültigaus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind und dieihren Lebensunterhalt nicht durch eigenes Einkom-men und Vermögen bestreiten können, eine eigen-ständige soziale Leistung erhalten, mit der sie ihrenGrundbedarf decken können. Der Gesetzgeber ver-spricht sich von der neuen Leistung vor allem, dassdie sogenannte „verschämte Altersarmut“ zurück-geht, das heißt, dass die Personen eine angemesseneLeistung erhalten, die bisher aus verschiedenenGründen keine Sozialhilfe in Anspruch genommenhaben.

Wo kann ich Grundsicherungsleistungen bean-tragen?

Die Grundsicherung wird von den Sozialämternbewilligt und geleistet. Die Träger der gesetzlichenRentenversicherung sind für die Leistungs-bewilligung und -gewährung nicht zuständig. Siesind aber gesetzlich verpflichtet, ihre Versichertenüber die Leistungsvoraussetzungen und das Ver-fahren zu informieren und Anträge auf Grund-sicherung entgegenzunehmen und an das zuständigeSozialamt weiterzuleiten. Der Antrag auf Grund-sicherung muss bei dem örtlichen Sozialamt gestelltwerden.

Das Gesetz sieht auch vor, dass Sie den Antrag beiIhrem zuständigen Rentenversicherungsträger ein-reichen. Der Rentenversicherungsträger kann überden Antrag aber nicht entscheiden, sondern ihn nuran das zuständige Sozialamt weiterleiten.

Sofern Sie nur eine kleine Rente beziehen, erhaltenSie von Ihrem Rentenversicherungsträger zusammenmit dem Rentenbescheid ein Antragsformular aufGrundsicherungsleistungen. Dies bedeutet aber nicht,dass Sie auch einen Anspruch haben, denn IhrRentenversicherungsträger kann Ihren Unterhalts-bedarf nicht feststellen und hat keine Angaben über

die Höhe des anzurechnenden Einkommens oderVermögens. Sofern Sie nicht bereits einen Antragerhalten haben, fordern Sie den Antrag bitte beiIhrem Sozialamt an. Denken Sie bitte daran: EineLeistung kann frühestens ab Antragstellung erfolgen!

An wen kann ich mich wenden, um Informationenüber die Grundsicherung zu erhalten?

Erster Ansprechpartner für Fragen zur Grund-sicherung ist selbstverständlich Ihr zuständigesSozialamt. Da im besonderen Grundsicherungsrecht -wie im übrigen Sozialhilferecht - viele Fragen derBeurteilung des örtlichen Trägers unterliegen (zumBeispiel: Welche Aufwendungen für Wohnungensind angemessen?, ...), ist es auf jeden Fall sinnvoll,sich bei der Behörde zu erkundigen, die für dieLeistungsgewährung und -erbringung zuständig ist.

Neben den Sozialämtern informieren und beraten dieTräger der gesetzlichen Rentenversicherung und dieSozialverbände.

Wie kann ich herausfinden, ob ich gegebenenfallsLeistungen in Anspruch nehmen kann?

Eine verbindliche Entscheidung darüber, ob IhnenGrundsicherungsleistungen zustehen, kann nur daszuständige Sozialamt treffen.

Ich wohne nicht in Deutschland. Habe ichtrotzdem Anspruch auf Grundsicherung?

Zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehörtnur, wer seinen „gewöhnlichen Aufenthalt“ inDeutschland hat. Unter „gewöhnlichem Aufenthalt“versteht das Gesetz, dass sich jemand unter Um-ständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an die-sem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorüber-gehend verweilt. Dies setzt nicht voraus, dass manschon länger an einem Ort wohnt, wohl aber, dassman seinen Lebensmittelpunkt dort hat.

Muss ich mein eigenes Einkommen und Ver-mögen für meinen Lebensunterhalt verwenden?

Ja. Die Grundsicherung ist entgegen einerverbreiteten Meinung keine Leistung der gesetzlichenRentenversicherung in Form einer Grundrente,sondern eine am persönlichen Bedarf orientierteLeistung. Grundsicherungsleistungen können dahernur bezogen werden, wenn (oder soweit) das eigeneEinkommen und Vermögen des Berechtigten oderseines Ehegatten nicht ausreichen, um den Lebens-unterhalt zu bestreiten.

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Hartz-IV macht fett!!!Von Hartz IV wird niemand reich. Zumindest darübersind wir uns hoffentlich einig. Transferleistungen die-nen nur dazu, den Lebensunterhalt zu sichern, und sosind die meisten Leistungsempfänger froh, einiger-maßen über die Runden zu kommen. Dennoch ertönenin der Öffentlichkeit immer wieder Stimmen, dieHartz IV und anderen Transferleistungsempfängernvorrechnen, wie sie ihr „Vermögen“ möglichst effek-tiv einsetzen und am Monatsende sogar noch wasübrig haben.So zum Beispiel der allseits beliebte und immerwieder gern gehörte Berliner Finanzsenator ThiloSarrazin, der kürzlich einen 3-Tages-Menüplan fürHartz-IV-Empfänger erstellen ließ, um nachzuweisen,dass sich ein Singlehaushalt, mit den im Regelsatzausgewiesenen 4,25 Euro für Ernährung und Ge-tränke, vollständig, gesund und wertstoffreich er-nähren kann.

Folgt man diesen hanebüchenen und weltfremdenAnweisungen, entpuppt sich der Speiseplan, selbstwenn man die langfristigen Folgen derart billigerNahrungsmittel auf die Gesundheit ausblendet, alslebensbedrohlich. Die bei seiner Einhaltung lautTagesspiegel durchschnittliche Energiezufuhr vonrund 1550 kcal unterböte nämlich die von derDeutschen Gesellschaft für Ernährung erstellteminimale Menge von 3000 kcal pro Tag bei leichterkörperlicher Betätigung, was binnen vier Wochen zugravierenden Konsequenzen führen würde. In Kom-bination mit der angesetzten Tagesmenge von 0,75 lFlüssigkeit muss wohl schon früher mit auftretendenMangelerscheinungen gerechnet werden.

Den ohnehin schon niedrigen Regelsatz mit derausschließlichen Fokussierung auf die Ernährungnoch unterbieten zu wollen, spricht eine eindeutigeSprache. Der Finanzsenator reduziert damit mensch-

liche Bedürfnisse in einer reichen Gesellschaft auf dieursprünglichste Form der Nahrungsaufnahme und er-hebt das reine Überleben zum Maßstab der sozialenSicherung.

Allen Menschen, denen es nicht gelingt, sich mit demRegelsatz „völlig gesund, wertstoffreich und voll-ständig“ zu ernähren, soll eingetrichtert werden, sieseien daran selbst schuld. Sie seien wohl nicht in derLage, ordentlich zu wirtschaften, kurz: es mangeleihnen letztendlich nur an Disziplin.

Alles in allem eine Milchmädchenrechnung von ei-nem Nichtbetroffenen, der natürlich alles besser weiß.Um eins klar zu stellen: Hier geht es nicht darum,höhere Hart-IV-Bezüge zu fordern, sondern darum,eine derartig abfällige und menschenverachtende Ab-handlung dieses Themas an zuprangern.Es ist mir als Hartz-IV-Empfänger tatsächlich mög-lich, mich einigermaßen abwechslungsreich und rela-tiv gesund zu ernähren. Allerdings bedarf es dazueiniger Voraussetzungen, die nicht bei jedem von derArmut Bedrohten gegeben sind. Ich wohne in Heidel-berg, bin körperlich nicht beeinträchtigt, lebe in einerWG (mit meinem Hund) und besitze ein Fahrrad(14,40 Euro für Mobilität sind zu wenig zumBahnfahren). Also schmökere ich die überall so ver-pönte Werbung durch und suche nach Sonder-angeboten. Handelt es sich bei diesen um größereMengen, telefoniere ich über meine Festnetzflatrate(durch Billiganbieter glücklicherweise bezahlbar) mitBekannten in der Nähe, um z.B. 5 kg Kartoffelngemeinsam zu erwerben. Auch schaue ich regelmäßigim SKM, bei Rat und Tat oder Brot und Salz vorbei,um mir dort Gemüse, Salate, oder was halt gerade daist, für wenig Geld oder umsonst mitzunehmen.Wichtig für meinen Kühlschrank sind auchregelmäßige Abstecher bei bestimmten Super-märkten, die ihre fast abgelaufenen oder beschädigtenWaren stark verbilligt in separaten Fächern anbieten(von uns liebevoll Hartz-IV-Theke genannt). Nur sohabe ich die Möglichkeit, mein Lebensmittelbudgetzu entlasten und das Geld anderweitig einzusetzen.(Ich bekenne: Ja, ich kaufe Bücher und nehme ab undzu am kulturellen Leben teil, auch wenn das in einemHartz-IV-Haushaltsplan nicht vorgesehen ist.) Fazit:ich bin ganz bestimmt nicht zufrieden mit meinerderzeitigen Situation, es hakt an allen Ecken undEnden, aber ich werde in Deutschland nicht ver-hungern. Ich bitte nur Finanzsenatoren mit einem10000 Euro Monatsgehalt sich aus meinem Menüplanheraus zu halten. Das kriegen wir Hartz-IV-Em-pfänger deutlich besser und phantasievoller hin.

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llecker, schnell und trotzdempreiswert

Bandnudeln mit Putenstreifen anChampignon-Rahmsoße

Benötigt werden für 2 Personen:

1-2 Schnitzel (Hartz-IV-Theke)eine kleine Zwiebeleine Packung Nudeln mit PilzrahmSalz und Pfeffer

Schnitzelfleisch in Streifen schneiden und würzen.Zwiebeln würfeln und zusammen mit dem Fleischanbraten. Anschließend herausnehmen und dieNudeln wie auf der Packung angegeben zubereiten.Fleisch hinzufügen, mit Petersilie dekorieren (siehtbesser aus).Fertig!!!Statt Pute kann`s natürlich auch Schwein o.ä. sein,je nach dem, was sich auftreiben lässt. Und fürVegetarier nimmt man statt Fleisch einfachChampignons oder Zucchini.Gewürze habe ich natürlich zu Hause, aber alleanderen Zutaten lassen sich billig im Supermarkt,Brot und Salz oder Rat und Tat besorgen.Und wenn wir ohnehin schon mal da sind schau`nwir doch gleich mal nach Salaten, zwecks derausgewogenen Ernährung. Macht sich toll alsBeilage und gibt’s fast überall, für fast nix.

Rat und Tat Sankt Elisabeth :Kirschgartenstraße 3569126 Heidelberg - SüdstadtÖffnungszeiten: Montag und Donnerstag11.30 Uhr – 13.30 UhrBei Erstbesuch bitte Einkommensnachweismitbringen.

Hartz-IV-Theke :Gibt es zum Beispiel im Handelshof oder imFamilacenter und betrifft insbesondereFleisch und Wurstwaren. Im Famila aberauch Milchprodukte, mit bis zu 50%Ermäßigung, da kurz vor Ablauf des Mhd.oder Verpackungsschäden.Noch so`n Tipp :Selber Brot backen lohnt sich. Im Pennygibt’s verschiedene Brotback- Mischungenfür 45 Cent. Einfach die Mischung mitWasser anrühren, gehen lassen, backen,fertig! Hat gleich mehrere Vorteile. Esschmeckt deutlich besser als Billigbrot, lässtsich mit Salz und Kräutern aufpeppen und isttatsächlich länger haltbar.

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Gesichter der StraßeErwin ist seit 45 Jahren obdachlos

Sein ganzes Leben war eine Reise, nur dass er nieirgendwo ankam. Erwin hat keine Kinder, keineFrau und kein Zuhause. Er besitzt fast nichts undwird auch niemals eine Rente bekommen. Trotz-dem bereut Erwin nichts – und nennt sich selbsteinen Gewinner.

Von Özlem Topcu

Wann es losging mit dem Trinken, weiß Erwin nichtmehr so genau. Wann sein Leben die Richtung nahm,die er heute, mit 73 Jahren, immer noch verfolgt, dasweiß Erwin. Dies war 1964. Als sie mich aus derDDR rausgeschmissen haben, weil ich den Bonzenauf die Fresse gehauen habe. Erwin ist obdachlos. Seitfast 45 Jahren.

Eine Wohnung, ein eigenes Heim, also das, was fürdie meisten Menschen Sinnbild für Sicherheit ist, fürPrivatsphäre und Intimität, dies hat mich nie inter-essiert, behauptet er. Und doch hat der gebürtigeLeipziger seit einigen Jahren eine mehr oder wenigerfeste Bleibe. In der Hamburger ÜbernachtungsstättePik As, wo er sich ein Zimmer mit einem Kumpanenteilt. Wozu eine Wohnung?, sagt der alte Mann undhält dabei seine Handflächen nach oben, um dieser fürihn so wichtigen Frage Nachdruck zu verleihen. SeineFingernägel sind lang und nikotinvergilbt, gebogenauch. Er kann seine Handflächen nicht öffnen. DieKnochen seiner kleinen Finger und Mittelfinger sindangewachsen, die Sehnen haben sich über die Jahre sostark verkürzt, dass er seine Hände immer zur Faustballen muss. Als warte er die ganze Zeit auf einenKampf. Immer bereit, loszu-schlagen. Der Doktor hatgesagt, er könnte da was aufschneiden. Aber danachkönnten meine Finger steif werden, hat er gesagt. DasRisiko wollte ich nicht eingehen, sagt Erwin.Kämpfe hatte er schon oft in seinem Leben. Alsjüngstes von sechs Kindern eines Metzgers und einerFabrikarbeiterin erlebte er den Zweiten Weltkrieg.Der älteste Bruder fällt in Italien. Als die AlliiertenLeipzig bombardieren, ist er elf Jahre alt. Erwin undseine Mutter sind allein. Draußen, auf offener Straße,buddeln sie sich aus lauter Verzweiflung in die Erdeein, die von den Bombenangriffen aufgerissen wurde.Todesangst. Das prägt Erwin. Ein Leben lang. Daswerde ich nie vergessen, sagt er. Tränen schießen ihmin die Augen. Dieses eine Mal während desGesprächs. Er verzieht den Mund, aus dem eineinziger Zahn hervorguckt, in nie vergangenemSchmerz.

Als junger Mann machte er eine Lehre als Isolierer,arbeitete mal hier, mal da. Trank, mal hier, mal da.

Der Kampf ging weiter, weil sich Erwin nichts vonden Parteibonzen der SED gefallen lässt. Ich habe niedas gemacht, was die wollten. Fünfmal steckten sieihn ins Gefängnis, bis er 1964 des Landes verwiesenwurde. Über den Checkpoint Charly in Berlin verließer die DDR, reiste nach West-Berlin aus. Es war seinTicket in die Freiheit. Junger Mann zum Mitreisengesucht lautete eine Annonce, die Erwins weiteresSchicksal bestimmen sollte. Ich heuerte bei Schau-stellern an und reiste durch das ganze Land. Von Nordnach Süd, von Ost nach West ging die Reise. ZwanzigJahre lang. Bei den Autoscootern habe er gearbeitet,da, wo sich die jungen Leute immer tref-fen. Aber derschönste Ort war immer seine Heimat, war immerLeipzig.Als er 65 Jahre alt wird, ist Schluss mit dem Vaga-bundieren. Seitdem ist er auf den Straßen Hamburgsunterwegs.Wenn Erwin heute auf sein Leben zurückblickt, tut erdas wie er sagt ohne Wehmut. Er bereut es nicht, niegeheiratet zu haben. Verliebe dich oft, verlobe dichselten und heirate nie, lautet sein Credo. Und verliebtwar er häufig.Erwin schämt sich nicht, so viel getrunken zu haben.Kein eigenes Heim besessen zu haben, mit einer Tür,die er abschließen konnte. Er bereut es nicht, sagt er.Der einzige Schlüssel, den Erwin besitzt, hängt umseinen Hals, an einem grünen Band. Darauf stehtCooler Abhängen. Es ist der Schlüssel zu einem klei-nen, schmalen Spind im Pik As, in dem sich sein Habund Gut befindet. Ein paar Hemden, Hosen. KeineWertsachen, hab ja keene. Sein einziger Schatz hängtebenfalls um seinen Hals: Ein kleiner metallener To-tenkopf an einem Lederband. Kleine Steine sind da-rin eingearbeitet. Brillanten, flachst Erwin. In Wirk-lichkeit sind es nur Glassteine. Hat mir mal einFreund geschenkt. Er meinte, wenn ich das verliere,haut er mich tot.Und Erwin bereut es auch nicht, nie wirklich Geldgehabt zu haben, und die paar Kröten, die er hatte, fürAlkohol ausgegeben zu haben. Eine Rente hat ernicht. Geld interessiere ihn gar nicht. Er kann im PikAs schlafen. Und ein Mittagessen bekomme man daauch. Andere Leute, die spielen jede Woche Lotto für50 Euro und gewinnen nie was. Ich gewinne, ohneLotto zu spielen, sagt er.Was er aber mit einem Lottogewinn machen würde,das weiß er trotzdem: Ich würde im besten Hotel derStadt wohnen und dort Partys feiern.

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Esmuss nicht

immer

IbizaseinDas OBDACH-Blätt’l bietet Ihnen den

Crashkurs

ObdachlosigkeitVor etwa 10 Jahren hatten die Kollegen derStraßenzeitung „Straßenfeger“ die Idee,allen Interessierten die Möglichkeit zugeben, das Leben auf der Straße aus ersterHand kennen zu lernen. Erfahren Sie, warumMenschen auf der Straße leben und erken-nen Sie die Hintergründe.Wir wollen dieses Projekt wieder auflebenlassen.Wenn Sie Interesse haben, Obdachlosigkeitlive zu erleben, kommen Sie zu uns. SuchenSie sich einen „Wohnsitzlosen“ aus undgehen Sie gemeinsam mit ihm die Wege aufder Straße.Leben Sie mit dem Tagessatz von 9,80 Euro,lernen Sie Einrichtungen kennen, wo Ob-

dachlosen geholfen wird und wo sie den TagverbringenLeben Sie ohne Checkkarte, ohne Geldbeutel;gebrauchte Kleidung und alles, was Sie zumÜberleben brauchen, stellen wir zur Verfügung.Lesen Sie auf den folgenden Seiten, den Berichtvon Mechthild Henneke, welche damals diesenSelbstversuch unternahm.Wenn Sie dann Lust auf dieses Abenteuerbekommen, melden Sie sich bei der Redaktiondes OBDACH-Blätt’l. Wir stellen Ihnen Men-schen vor, die auf der Straße leben und Siesuchen sich den passenden Partner aus, mit demSie auf „Tour“ gehen.Am Ende dieser Reise werden SieObdachlosigkeit mit ganz anderen Augen sehen.

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Nur die Münzen in der Manteltasche geben Halt24 Stunden obdachlos:Die Zeitung „Straßenfeger" lud zum Selbstversuch- Mechthild Henneke machte mitGespräch am Abend vorher: „Und Du gibst wirklichalles ab?“ „Ich weiß nicht. Die Schälchen für meineKontaktlinsen nehme ich auf jeden Fall mit“. „Wieso?Geh' doch mit Brille“. „Kommt nicht in Frage. Damitsehe ich schrecklich aus. Und meine Schlüssel? Sollich die abgeben? Am Ende ist meine Wohnungausgeräumt, wenn ich wiederkomme“. „Gib docheinen falschen Schlüssel ab. Den echten behältst Du.Sicher ist sicher“. Meine Obdachlosigkeit beginnt umacht Uhr morgens in einem Schlafzimmer. Es riechtnach Männerschweiß und Kaffee. Acht Verkäufer des„Straßenfegers" haben auf zwölf Quadratmeternübernachtet. Gerade sind sie aufgestanden, haben dasSofa zusammengeklappt, die Matratzen zur Seitegeräumt und den Frühstückstisch gedeckt. Aus derNotübernachtung ist wieder das Redaktionsbüro derObdachlosenzeitung geworden. Einer der Männer sitztlallend und mit verdrehten Augen auf dem Sofa. Dieanderen hängen müde auf ihren Stühlen. Neugierigmustern sie mich. „Hast Du schon eine Geschichte,wieso Du auf der Straße lebst?", fragt einer. „Ich habekeine“. „Weißt Du schon, wo du pennen willst?" „Ichweiß es nicht“. „Wie willst Du an Kohle kommen?“ –„Ich verkaufe den Straßenfeger“. Zwei Tage zuvorhatte ich mich angemeldet beim „CrashkursObdachlosigkeit“", zu dem die Zeitung provozierendeinlädt. Kann nicht so schlimm sein, habe ich gedacht:sich einmal 24 Stunden lang vom gewohnten Lebenabzuschneiden. Ausprobieren, was das heißt: keinGeld, kein Besitz, kein Zuhause. „Obdachlose zusehen, ist normal geworden“, sagt ein Redakteur.„Wir wollen, dass mehr für uns getan wird“. „Wermitmacht, soll alles abgeben, was das Leben derSesshaften ausmacht: Portemonnaie, Schlüssel,Kreditkarten. Unterstützung liefert ein Betreuer, dendie Redaktion stellt. Mir wird Sascha Wiegand dasAbc der Straße beibringen, 31, seit fünf Jahren ohnefesten Wohnsitz. Obdachlos sieht er nicht aus,sondern wie ein „Freak": Er ist höchstens 1,60 Meter,trägt Vollbart, einen langen braunen Zopf, Lederhut.In den etwa 30 Taschen seiner Bundeswehrhose undseines Parkas steckt ein Überlebensprogramm für dieStraße: von Hand-schellen bis zum Fernrohr. Jetztmuss er „noch kurz“ zur Turmstraße. Wieso, weiß ichnicht. Wir verabreden uns am Bahnhof Zoo. Vorherwerde ich eingekleidet. Auf der Toilette tausche ichmeine Jeans gegen eine dunkelblaue Cordhose, die zuweit, meinen Pullover gegen einen verwaschenenWoll-

rolli, der zu eng ist. Darüber ziehe ich einen kurzen,schwarzen Mantel. Der spannt über der Brust, und dieGürtelschnalle ist kaputt. Ich gucke in den Spiegel:Alles ist sauber, alles ist alt, alles ist hässlich. „Siehtdoch jut aus", sagt einer, als ich ins Büro komme. Ichlächele hilflos. Auf dem Weg zum Zoo laufe ichimmer an den Häuserwänden entlang. Ich erinneremich, wie ich neulich selbst Altkleider weggebrachthabe und dabei dachte: „Endlich weg mit dem Mist“.Sieht man, dass ich trage, was ein anderer aussortierthat? Im Rucksack liegt mein Schlüssel, in meinemStrumpf stecken 20 Mark. Doch mir ist, als gäbe essie gar nicht, denn die fremde Kleidung hat im Kopfdas Band zum frei gewählten Leben zerschnitten. Siehat mich obdachlos gemacht. In der Jebensstraße amZoo, wo die Stricher auf Kundschaft warten, steht derblaue Campingbus des „Straßenfegers“. Darin sitztWalter, der „Vertriebschef", der die Zeitungenausgibt. Ein paar Männer holen sich Zehner-Packen.Walter macht Notizen. Er hat kleine, braune Zähne,dafür aber noch alle. Den meisten Verkäufern fehlt diehalbe obere Zahnreihe.“Das ist die Straße. Da sitzendie Fäuste locker", sagt Walter. Und: Wer hier lebt,geht nicht zum Kieferorthopäden. Sascha nimmt zehn"Straßenfeger", ich kriege fünf in Kommission.Viermal höre ich zu, wie er in der S-Bahn das Blattanbietet: „Schönen guten Morgen, meine Damen undHerren. Ich verkaufe die neueste Ausgabe derObdachlosenzeitung Straßenfeger. Sie kostet zweiMark, von der eine an den Verkäufer geht. Mit deranderen unterstützen Sie andere Obdachlose und zwarin Form von Suppenküchen und Notunterkünften.Über den Kauf der Zeitung oder kleinere Spendenwürde ich mich sehr freuen. Vielen Dank für IhreAufmerksamkeit und einen schönen Tag. „Saschaspricht sehr laut und deutlich. Er verkauft zwei Hefte.Mein Herz klopft bis zum Hals. Saschas Kollegen inder Redaktion haben erzählt, Suppenküchen undNotunterkünfte gebe es beim „Straßenfeger" gar nicht.Das Geld bleibe im Verlag. Ich weiß nicht, wasstimmt, doch Sascha sagt, der Teil mit denSuppenküchen sei besonders wichtig, damit die Leutevor allem an den guten Zweck und weniger an denVerkäufer denken.Als wieder ein Zug kommt, steigt Sascha in denzweiten Wagen (den ersten meidet er wegen desFahrers, denn der Verkauf ist offiziell verboten), ichin den letzten. In der Mitte wollen wir uns wieder-treffen. „Oh Gott", denke ich, „wie wird meine Stim-me klingen?" Wird sie zittern? Halte ich durch? Kannich das Rattern des Zuges übertönen? Die S-Bahnfährt los; ich fange an zu reden; meine Stimme zittert,doch irgendwie schaffe ich es bis zum „Danke für

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Ihre Aufmerksamkeit". Die erste Käuferin zahlt miteinem Fünf-Mark-Stück. Ich habe kein Wechselgeld,sie will keins. „Vielen Dank", stammele ich. Noch2,50 Mark bis zur BVG-Tageskarte. Im zweitenWagen baue ich den Satz ein: „In Berlin werdenimmer mehr Frauen obdachlos. Ich bin eine davon",denn ich habe das Gefühl, mich rechtfertigen zumüssen. Wieder verkaufe ich ein Heft, doch diemeisten starren, den Kopf weit weggedreht, aus demFenster. Um 13 Uhr sind wir wieder am Vertriebsbus.Am andern Ende der Straße entdeckt Sascha den„Fixpunkt"-Bus. „Das ist unser Glückstag. Die habenecht gutes Essen", jubelt er. Eine Vollkornschnitteund eine Banane bekommen wir umsonst in der An-laufstelle für Heroinabhängige. Der Hunger ist zweit-rangig. Sascha stopft sich frische Kanülen, Nadelnund Tupfer in seine Bundeswehrhose, und mir däm-mert, was er an der Turmstraße gemacht hat. „BistDu auch obdachlos?", fragt mich die Sozialarbeiterin.„Hmm", murmele ich. Eine Frau sagt, sie hätte 700Nadeln zu Hause, und fragt, ob sie die gegen frischetauschen könne. Sascha erzählt von seinem Abszeßan der Lende und erhält Verbandszeug. Bei derBahnhofsmission reicht ein Mitarbeiter eine Liste mitNotunterkünften durchs Fenster. Durch den BahnhofZoo gehen wir zur S-Bahn. Ich meide die Blicke derPassanten und die spiegelnden Fensterscheiben. Wirfahren in Richtung Alexanderplatz. Im Bahnhof Tier-garten steigen wir aus, denn Sascha hatWachschützer in unserem Zug entdeckt. Wirbegutachten den Süßigkeiten-Automaten, und Sascharüttelt plötzlich wild an dem Gitter. Zack, fällt einSnickers raus. Es hing lose hinter der Halterung. „FürDich", sagt mein Begleiter, „ich kann sowas nichtessen, wegen meiner Zähne“. Im nächsten Zug kramteine Frau in ihrer Einkaufstasche, als sie mich sieht.„Wollen wir der Frau ein Würstchen geben?", fragtsie ihren kleinen Sohn. „Ach, nehmen Sie das ganzeGlas", sagt sie. „Toll - Abendessen gesichert", sagtSascha anerkennend. Unruhig tritt er von einem Fußauf den anderen. „Wir fahren zum Bus", bestimmt erauf einmal, weil er einen Schuß Heroin brauche. AusRücksicht auf mich hatte er sich morgens nur einekleine Dosis genehmigt. Ich schlucke, doch ihn ab-halten kann ich nicht. Im Bus treffen wir einen18jährigen. „Hey kommste gerade aus dem Bau?",fragt Sascha. „Habe ich am Tabak erkannt, den gibt'snur im Knast. „Mit einem messerscharfen Dolch auseiner seiner Taschen schneidet er eine Pepsi-Doseauseinander. Er nimmt sie mit auf Toilette, um dasHeroin aufzukochen. Ich warte. Ein torkelnder Junkieholt sich drei „Straßenfeger". „Was sagen Sie dazu,dass die Männer sich ihre Sucht mit dem Verkauffinanzieren?", frage ich den Vertriebschef. „Besser,als wenn sie Omis beklauen", sagt der knapp. Wieder

gibt ein Verkäufer zehn Mark ab und erhält dafürneue Ausgaben. „Wenn Du Markus siehst, bestellihm einen schönen Gruß", sagt er, „dem poliere ichso dermaßen die Fresse, wenn ich ihn finde, dass dernicht mehr sehen kann.“ Markus schuldet ihm seitzwei Tagen sechs Mark. Als Sascha in den Bus zu-rückkommt, stehen Schweißperlen auf seiner Stirn.Seine Pupillen sind klein wie die Spitze einesKugelschreibers. Er lallt. „Gib mir mal ein Taschen-tuch", doch seine Hand trifft nicht die Stirn, sondernnur seinen Bart. Ich weiß nicht, wohin mit meinemBlick. Walter erzählt von seinem Hund, der morgensvor sein Bett gemacht hat. Nach zehn Minuten istSascha wieder ansprechbar. Wir fahren RichtungPotsdam, aber niemand kauft die Zeitung.„Mittagszeit. Das ist normal", sagt Sascha. Eineältere Frau presst sich voll Widerwillen an die Wandder S-Bahn, als ich an ihr vorbeigehe. Auf derRückfahrt steigen wir in Wannsee aus. Sascha gibtmir ein Stück Eierrahm-Gußfladen für 3,25 Markaus. Damit setzen wir uns auf eine Bank und schauendurchs Fernrohr auf den See. Neben der Bankbeginnt ein Park. Es riecht nach Urin. 17 Uhr. Wirsind wieder am Bus. Ich habe insgesamt 30 Markverdient. Den ganzen Tag wandert meine linke Handimmer wieder in die Manteltasche, um die Münzenzu befühlen, als könne ich mich an ihnen festhalten.Mein Kopf dröhnt, meine Beine sind weich. Saschaverschwindet erneut „was besorgen". Es wird Zeit,eine Unterkunft zu suchen. In die meisten komme ichnicht rein, weil ich keinen „Läuseschein" habe, alsokein ärztliches Attest, dass ich kein Ungeziefer habe.Eine ist ausschließlich für Frauen. „Haben Sie nochPlatz?", frage ich dort. „Ja, kommen Sie rein. Ichheiße Kathrin", werde ich begrüßt. Es ist viel los, unddie Unterkunft hat nur zehn Betten. In der Küchesage ich deshalb der Betreuerin, dass ich Journalistinbin und mein Bett räume, wenn jemand Bedürftigeskommt. Die Frauen kochen Spätzle mit Gemüsesoße.Während die anderen im Mini-Fernseher einen Filmgucken, gehe ich schlafen. Um fünf Uhr wache ichauf. Eine Frau bekämpft ihren Husten mit Zigaretten,eine andere schimpft alle zehn Minuten mit ihrerBettnachbarin: „Sie schnarchen!". Um sieben Uhrgibt es Frühstück, um viertel vor acht haben diemeisten ihr Obdach verlassen, als hätten siedringende Sachen zu er-ledigen. „Wohin gehen sie?",frage ich. Niemand weiß es. Nirgendwohin. Ich fahrezum Redaktionsbüro. Sascha sehe ich nicht wieder.„Den hat der Wachschutz geschnappt beim Schwarz-fahren", sagen die anderen. Ich habe noch 22 Mark inder Tasche. Das würde reichen für eine neue Tages-karte, ein Frühstück und den ersten Stapel Zeitungen.

(Namen geändert)

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Ohne Rauchgeht’s auch

Die meisten Raucher kennen die gesundheitlichenGefahren, die im Nikotin stecken. Leider hält diehöhere Wahrscheinlichkeit, an Lungenkrebs zu er-kranken oder einen Herzinfarkt zu erleiden, die mei-sten Raucher nicht vom Glimmstängel ab. Sie ärgernsich über ihre abnehmende Fitness, über Haut-probleme und nicht zuletzt über das in Rauch auf-gegangene Geld. Der Entschluss, nun endlich mit dem„Laster Rauchen" aufzuhören, ist ein erster Schritt inRichtung Nichtraucher-Karriere. Ob man es schafft,entscheidet allein die eigene Willenskraft. DerBundesverband der Betriebskrankenkassen (BKKBundesverband) rät, einige Faustregeln zu beachten.Die Hauptgründe, um gerade jetzt aufzuhören, aufeiner Liste notieren. Das kann helfen, wenn dieMotivation nachlässt.Der Familie, dem Bekannten- und Kollegenkreis vomEntschluss erzählen. Damit gewinnt man Verbündeteund verpflichtet sich selbst.Für das Abgewöhnen eine möglichst stressarme Zeitwählen, ideal ist ein Urlaub. Am Urlaubsort kann mansich auch meist besser ablenken. KörperlicheAktivitäten einplanen, denn beim Wandern,Schwimmen oder Bootfahren ist das Verlangen nachder Zigarette nicht so groß wie im Alltag.

In der ersten kritischen Phase Partys oder gargesellige Abende im Kreise eingefleischter Rauchermeiden, hier lauern Rückfallgefahren.Viele sportliche Aktivitäten in die Abgewöhnungs-phase legen. Viel Bewegung regt den Kreislauf an undberuhigt die Nerven. Außerdem kann damitEntzugserscheinungen wie Kopfschmerz undSchwindel vorgebeugt werden.Ganz bewusst genug Zeit zum Schlafen planen.

Ein Abendspaziergang, ein beruhigender Tee oder einentspannendes Bad können helfen, zur Ruhe zukommen und erholsamen Schlaf zu finden.Belohnungen für durchgestandene rauchfreie Zeiten:beispielsweise ein Kinobesuch, ein leckeres Essen,eine schöne CD oder ein schickes Kleidungsstück.

Letztlich entscheidet aber die eigene Überzeugungdarüber, ob das Rauchen erfolgreich aufgegeben wirdoder nicht. Wenn es im ersten oder zweiten Anlaufnicht klappen sollte - nicht verzagen, sondern weiter-hin positiv denken. Denn jeder Tag ohne Nikotin istein Gewinn und ein kleiner Schritt auf dem richtigenWeg.

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Konsum oder Genuss?Jugend - Sucht und Abhängigkeit im Medien-zeitalter

Die Szene ist wohl vielen bekannt: Ihr Sohn/IhreTochter sitzt mit entrücktem Blick vor dem Com-puter (oder der Playstation, dem Nintendo etc.).Etliche Aufforderungen, nun endlich zu Tisch zu er-scheinen, werden nicht wahrgenommen. Ihr Kind hatsich in die virtuelle Welt eingekapselt und scheintunerreichbar.

War es früher noch üblich, sich nach der Schule inWald und Feld auszutoben, im Haushalt mitan-zupacken oder ein Buch zu lesen, sind es heute TV,Internet, SMS, Nintendo & Co, welche die Jugendbeschäftigen und in Atem halten. Unruhe, Gereizt-heit, Nervosität, Konzentrations- und Schlafstö-rungen sind nur die „harmloseren" Varianten einesübermäßigen Gebrauchs, Sprach- und Beziehungs-losigkeit die extremeren Folgen. Die virtuelle Weltübt eine ungeheure Faszination und Anziehungskraftaus, ist dort doch mittels Mausklick fast allesmöglich und jegliche Information zu finden. Manmuss weder den Weg in die Bibliothek in Kauf neh-men, um sich ein bestimmtes Buch zu beschaffen,noch die direkte Konfrontation mit einem Gegenüberaushalten. Es wird jedoch zunehmend schwieriger,zwischen Realität und Scheinwelt oder zwischen off-und online zu unterscheiden. In so genannten Chat-Rooms fällt es einem einfach, jemanden die intimstenDetails seines Lebens und Gefühlshaushaltes mitzu-teilen, oder sich als jemanden zu präsentieren, denman in der Phantasie sein möchte. Was jedoch aufder Strecke bleibt, sind echte Kontakte und Bezie-hungen, Auseinandersetzung mit sich und dem ande-ren sowie das Austragen von Konflikten.

Was der weltweiten und insbesondere beruflichenKommunikation zum Vorteil gereicht, führt in vielenEinzelfällen zur Verarmung des Gefühls- und Be-ziehungslebens. Das Internet ist jedoch nicht an undfür sich schlecht und beinhaltet auch sehr positive

Aspekte. Beispielsweise denjenigen, dass man sichper E-Mail Rat holen oder seine Sorgen loswerdenkann. Die Hemmschwelle, zum Psychologen oderPsychotherapeuten zu gehen, entfällt.

Waren es früher vor allem Alkohol sowie Drogen,welche zur Sucht führten, ist mit dem techno-logischen Fortschritt eine weitere dazu gekommen.Im Gegensatz zu den bekannteren und offen-sichtlicheren gehört diese jedoch - wie die Arbeits-sucht - zu den relativ gesellschaftstauglichen und istjederzeit frei verfüg- sowie konsumierbar. Die Fol-gen können jedoch - auf etwas andere Art - ebensoverheerend sein.

Wie bei allen Genüssen des Lebens, ob nun Rauchen,Alkohol, Essen, Sex, Beziehung oder Arbeit, be-stimmt der Umgang mit dem Thema, ob man süchtigund abhängig wird oder die „Droge“ in Maßen undselbstbestimmt genießen kann. Gefährlich wird es,wenn man sich tagtäglich in der virtuellen Weltverliert, die Zeit vergisst und sich immer weniger fürdie Außenwelt interessiert, E-Mails, Chat-Rooms(aber auch Video- und Internet-Spiele) einem Abendmit Familie oder Freunden vorzieht. Hat man denKonsum nicht mehr im Griff, führt er nach und nachzur Isolation, zu psychischen sowie physischenFolgen.

Besonders gefährdet sind Jugendliche in der Phaseder Pubertät. Es ist wohl die herausforderndste Zeitfür Kinder, befinden sie sich doch im Spannungsfeldzwischen Berufs- und Selbstfindung, erwachenderSexualität und Ablösungsprozess von der Familie.Viele Jugendliche erleben diese Periode als auf-wühlend und verunsichernd. Die widersprüchlichstenEmpfindungen, Wünsche, Erwartungen und Ängsteprägen die Heranwachsenden, die sich - weder Fischnoch Vogel - auf der Schwelle zum Erwachsenseinbefinden. Keine einfache Sache, wenn man sich vorAugen hält, in welcher schnelllebigen, konsum-orientierten und rationalgeprägten Zeit wir unsbewegen.

Das Schwergewicht in der Erziehung wie auch in derSchule liegt vor allem im Informieren, Aufklären,Lernen. Ziel ist eine möglichst gute Schulbildung.Wie steht es jedoch mit der Seelenbildung, mit demEntdecken und Ausbilden der ganzen Komplexitätder eigenen Psyche? Viele Eltern sind in ihrer Erzie-hungsarbeit überfordert, schwanken zwischen einemverwöhnenden, haltlosen und maßregelnden Ver-halten.

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Oft fehlt ihnen auch die Zeit und Ruhe, um gelassenauf die Bedürfnisse und Anliegen sowie schwierigereSeiten des Kindes einzugehen.

Sucht hat viele Gesichter und Ursachen. Sehr vieleJugendliche haben verlernt, beziehungsweise eswurde ihnen nie zugestanden, sich selbst und ihremenschlichen Bedürfnisse wahrzunehmen. Sie sindnicht mehr in der Lage, über ihre Probleme zu reden,Konflikte auszutragen und eine schwierige Situation(oder schmerzhafte Gefühle) auszuhalten und zubewältigen. Ob nun die virtuelle Scheinwelt oder derKonsum von Drogen - beides sind Möglichkeiten, derRealität zu entfliehen, eine Ersatzbefriedigung zusuchen, sich nicht mit sich selbst und seinerUmgebung zu konfrontieren und sich eine Welt zuerschaffen, die einem - zumindest am Anfang - idealund problemlos erscheint.

Leben bedeutet jedoch immer auch Wandlung. DasLeben ist nicht stetig und sicher. Leben ist Lachenund Weinen, Liebe und Auseinandersetzung, Bezie-hung und Einsamkeit. Wer dies verneint und seinenKindern eine fassadenhafte Atmosphäre bietet, ver-gisst, was wir alle brauchen: Nicht Harmonie umjeden Preis, sondern ein Dasein, bei dem man sichselbst spürt, sich selbst sein kann, Spontaneität undGefühlsreichtum das Leben sinn- und lustvollmachen. Natürliche und elementare Sinneserfah-rungen, wie sie mit und in der Natur möglich sind,gehören ebenso dazu wie Liebe, Zärtlichkeit, einebefriedigende Sexualität, Gemeinschaftlichkeit pfle-gen, Raufen, Kämpfen, offene Gespräche und Dis-kussionen oder eben auch einmal eine heftige Aus-einandersetzung mit nachfolgender Versöhnung.

Ein Jugendlicher, welcher sich im realen Alltaglebendig erfährt, hat einen guten Bezug zu sich selbstund zu seinen Bedürfnissen. Er dürfte es einfacherhaben herauszufinden, welche Tätigkeiten oder En-gagements zu seiner persönlichen Entfaltung bei-tragen und ihm ein Gefühl von persönlicher Be-friedigung geben - also sinnerfüllend sind. Eine guteVoraussetzung, um den Versuchungen, welche dieheutige Zeit beinhaltet, standzuhalten, ist, stattKonsum den bewussten Genuss zu pflegen. Steuernwir doch unseren Teil zu einem lebendigen, sinn-lichen und genussvollen Alltag bei - unseren Kindernzuliebe, denn die Kinder von Heute prägen maß-geblich die Welt von Morgen.

Phänomen Internet-Sucht: Aktuelle StudieAnfangs Juli konnte eine wissenschaftliche Studie, dievon der Sozialpsychologischen Beratungsstelle Of-fene Tür Zürich in Kooperation mit der Humboldt-Universität-Berlin durchgeführt wurde, das Phänomenauch in der Schweiz nachweisen. Von den 565 On-line-Befragten müssen 6% als süchtig oder gefährdeteingestuft werden. Sie verbringen durchschnittlich 35respektive 20 Stunden im Netz. Die Ergebnisse, dieim Wesentlichen mit der deutschen Untersuchung mitüber 7000 Befragten übereinstimmen, zeigen deutlich,dass Jugendliche zu den Risikogruppen gehören. Siehalten sich stundenlang in Chats auf oder kon-sumieren Online-Spiele. Unter den über zwei Mil-lionen Menschen, die im Januar 2001 in der Schweizdas Internet genutzt haben, befinden sich nachzurückhaltender Einschätzung über 50000 Internet-Süchtige oder Gefährdete. Auf Anfrage bestätigt derPsychologe und Initiant der Studie Franz Eidenbenz,dass die Beratungsstelle eine Selbsthilfegruppe fürInternetsüchtige und Angehörige sowie Beratung(auch Online) und Information zum Thema anbietet;weitere Informationen: www.offenetuer-zh.ch

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Umzug in aller Stille

Ein Bild, das so gar nicht in das romantisch, beschau-liche Heidelberg passt. Und doch der Mörgelgewann,das sind Notunterkünfte, entstanden in den 40er Jah-ren, im Heidelberger Stadtteil Kirchheim. Zweigroße, rohbauartige Hochhäuser. Zerstörte Klingelnund Briefkästen, graffitiverschmierte feuchte Trep-penhäuser, wahrhaftig kein Ort zum Wohlfühlen. 50Notwohnungen sind hier vorhanden. Sie werden vomstädtischen Amt für Wohnungsnotfälle zugewiesen.Eigentlich nur für ein halbes Jahr. Ende 2007 warenvon 50 Notwohnungen noch 38 mit etwa 100Personen bewohnt. 90 % aller Menschen, die hierleben, konnten in ihrer alten Wohnung die Mietenicht mehr bezahlen. Irgendwann kam dann dieRäumungsklage. Arbeitslose, Frührentner, Flücht-linge, Opfer von Scheidung oder Trennung, Alkohol-kranke; Menschen, deren Leben am Existenz-minimum dahinplätschert. Mindestens ein Drittelaller Bewohner sind Ausländer, da kommt es schonmal zu lautstarken Auseinandersetzungen, wenn etwaMüll aus den Fenstern fliegt oder jemand auf derWiese vor dem Haus eine Feuerstelle baut und grillt.Dennoch ist die Kriminalitätsrate nicht höher als inanderen Heidelberger Stadtteilen. Trotzdem hat dasMörgelgewann einen schlechten Ruf.Häufig sind es Schulden, die den Zugang zumnormalen Wohnungsmarkt versperren, da immermehr Vermieter eine Selbstauskunft verlangen. DesWeiteren steht oft mietwidriges Verhalten oderSuchtprobleme einem regulären Mietverhältnis imWeg. Doch nun hat die Stadt im Zuge der Agenda2015 reagiert. Die bis dato 22 Wohnungen (für 60Personen) in der Henkel-Teroson-Straße wurdenabgerissen. An deren Stelle entstanden 59 2-Zimmer-Wohnungen mit einer geplanten Sollbelegung von

120 Personen. Zusätzlich existiert ein Concierge-Modell (d.h. Überwachung und Mieterbetreuung). ImDetail bedeutet das: Werktags ist ein Hausmeister 8Stunden am Tag vor Ort. Er ist zuständig für dieGebäudeunterhaltung, kleinere Reparaturen und denWinterdienst. Des Weiteren informiert er den so-zialen Dienst über auftretende Probleme oder Span-nungen.Zwei Sozialarbeiter der Fachstelle für Wohnungs-notfälle haben zweimal wöchentlich und nach Bedarfihre Sprechstunde vor Ort. Sie leisten allgemeinesoziale Betreuung und Beratung, Konfliktmanage-ment und kooperieren mit anderen Betreuungs-partnern.Das vorliegende Konzept sieht gegenüber denbisherigen Betreuungsmaßnahmen eine höhere Prä-sens und Qualität in der Betreuung in den Unter-künften vor und wird mit dem beim Amt für SozialeAngelegenheiten und Altenarbeit vorhandenenPersonal umgesetzt. Ein Teil der bisherigen Bewoh-ner des Mörgelgewanns bekommt dort eine neueWohnung zugewiesen. Dies gilt jedoch nicht fürHaustierbesitzer. Ihnen steht dann eine Wohnung imKirchheimer Weg oder im Höllenstein zu. Hiervonauch betroffen sind Familien, deren Kinder denHeilpädagogischen Hort in Kirchheim besuchen.Insgesamt wurden aber für alle betroffenen Bewoh-ner des Mörgelgewanns adäquate Lösungen gefun-den.

Dies ist nicht nur eine Verbesserung für dasHeidelberger Stadtbild, sondern hoffentlich für dieehemaligen Bewohner des Mörgelgewanns eineChance, sich von dem negativen Image ihres altenWohngebiets zu lösen, das ihnen sicherlich einigeWege in eine positivere Zukunft versperrt hat.Bereits nach der letzten Teilrenovierung desMörgelgewanns veränderte sich die Stimmung spür-bar.

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Hartz IV in aller Munde. Bernd Wagner,Luise Wagner

Berlin für ArmeEin Stadtführer für Lebenskünstler

Eichborn Verlag, Berlin 2008ISBN 3821858303Gebunden, 143 Seiten, 8,95 EUR

„Sich damit zu trösten, dass ein Armer größereChancen hat, in den Himmel zu kommen, als einReicher, genügt uns nicht. Wir wollen mit unseremBuch beantworten, wie er schon vorher desparadiesischen Lebens teilhaftig werden kann - nichtmehr, aber auch nicht weniger", so das Credo diesesWerkes. Und so erfährt man - wie man sich beiBotschaftsempfängen den Bauch vollschlagen kannund kostengünstig in die Kulturtempel der Hauptstadtkommt - wie man auf seine tägliche Zeitungslektürenicht verzichten muss - wie man für wenig Geld gutisst oder sich von der Natur den Tisch decken lässt(mit Lageskizze für Obstbäume, Pilzstellen undFischgebiete) - wie man dem Berliner Winter ent-kommt - wie man sich von Behörden und Arbeits-ämtern nicht kleinkriegen lässt.

Hartz IV

ist die Realität. Abermuss sie auch soschmecken? Gerade inunwirtlichen Zeitensollten wir auf gutesEssen, ob allein odermit Freunden, nicht

verzichten. Das Kochbuch zeigt, wie man miteinfachen und erschwinglichen Zutaten köstlicheGerichte zaubern kann. Zudem gibt es praktischeTipps zur mühelosen Nahrungssuche in freier Natur.Ein kulinarischer Leitfaden für das wachsende Heerder Erwerbslosen.Verlag: LumicaAusstattung/Bilder: 2005. 79 S. m. zahlr. Farbfotos.Seitenzahl: 79EUR 12,00ISBN-13: 9783929028225ISBN-10: 3929028220Best.Nr.: 13917884

Memoiren eines armenHundes:Die Geometrie derTräume von OlafTrunschkeJedesmal, wenn ich mittags indie Tonne kam, saß Diogenesschon in seiner Ecke, vor sichdie leere Tasse, und wartete,dass ihm jemand den nächstenKaffee bezahlen würde. - So

beginnt die Geschichte der sonderbaren Freundschaftvon Diogenes, Aristipp und dem Erzähler.Paperback, 88 Seiten, 9.90 EURISBN 978-3-86157-130-8

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SchmunzelseiteEin kleiner Mann sitzt traurig in derKneipe.....vor sich ein Bier..... Dakommt ein richtiger Kerl, haut demKleinen auf die Schulter und trinktdessen Bier aus. Der Kleine fängt anzu weinen. Der Große: „Nu hab´ dichnicht so, du memmiges Weichei!“Flennen wegen einem Bier! DerKleine: „Na dann pass mal auf:Heute früh hat mich meine Frauverlassen, Konto abgeräumt, Hausleer! Danach habe ich meinen Jobverloren! Ich wollte nicht mehr le-ben, legte mich aufs Gleis....Umleitung! Wollte mich auf-hängen....Strick gerissen! Wolltemich erschießen.... Revolver klemmt!Und nun kaufe ich vom letzten Geldmir ein Bier, kippe Gift rein und dusäufst es mir weg....!“

Bauer zum anderen: „Sag mal,Dein Bulle, der nicht mehrrichtig stieren konnte, was istdenn nun mit dem ?“ . „Ach,der Tierarzt war da, hat ihmso gelbe Tabletten verschrie-ben und jetzt geht es aberwieder voll ab !“ „Wie heißendie Tabletten denn ?“ „KeineAhnung, aber die schmeckennach Vanille“.

Ein Obdachloser steht wegeneines Diebstahls vor Gericht. Aufdie Frage des Richters, was ervon Beruf sei, antwortet derObdachlose: „Arbeitgeber, HerrRat!“ Darauf donnert es zurück:„Ha, wem werden Sie schonArbeit geben...?“ Treuherzig ent-gegnet der Obdachlose: „Ihnenzum Beispiel!“

Angela Merkel kommt in den Himmel und wird von Petrusbegrüßt. Sie blickt sich um und sieht eine riesige Zahl vonUhren. Merkel fragt Petrus, was das bedeuten soll.„Nun, jede Regierung der Welt hat eine Uhr. Wenn dieRegierung eine Fehlentscheidung trifft, rücken die Zeiger einStück weiter."Merkel schaut noch einmal in die Runde und fragt dann: „Undwo ist die deutsche Uhr?"„Tja", meint Petrus, „die hängt in der Küche als Ventilator!"

Unterhalten sich zwei Manager,was sie mit ihrem Weihnachtsgeldgemacht haben. Sagt der eine: „Ichhab´ mir eine Yacht gekauft,meine Frau bekam einen Porscheund den Rest hab´ ich in Aktienangelegt“. Darauf sagt der andere:„Bei mir war es ähnlich, ich hab´mir ein Flugzeug gekauft, meinerFrau einen Jaguar und den Rest inFestgeld angelegt“. Kommt derPförtner in einem neuen Anzugdaher. Fragen ihn die Manager,was er mit seinem Weihnachtsgeldgemacht hat. Darauf der Pförtnerganz stolz: „Ich hab´ mir einenneuen Anzug gekauft!“ – „Und derRest?“ – „Ach, den hat die Omadrauf gelegt...“

Zeiten sind vorbei –

Neue Zeiten kommen.

Ein Umbruch findet statt.

Noch sind nicht alle Menschen satt!

Welt gerät aus ihren Fugen,

die Menschen leben so dahin –

oder sie finden keine Ruh´ –

und alle schauen einfach zu!

Man fragt, wie soll das weitergehen,

leider kann man vieles nicht verstehen,

bemüht man sich auch noch so sehr.

Gäbe es doch endlich keine Kriege mehr!

Wären die Güter gerecht verteilt -

und Armut und Hunger überall vorbei –

und schenkte man dem Nächsten

etwas von seiner kostbaren Zeit –

dann wäre wirklich schon sehr vielgewonnen,

und die Neue Zeit, sie hätte begonnen!

Lisa Maria Morsch