Auswirkungen des Kaffeetrinkens auf die Flüssigkeitsbilanz...Ist die extrazel-luläre Flüssigkeit...

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14 Ernährungs-Umschau 52 (2005) Heft 1 Stellungnahme Auswirkungen bei ausrei- chendem Extrazellulärraum Im DGEinfo werden Studienergebnis- se richtig referiert, nach denen bei 12 jungen Freiwilligen, die fünf Tage lang keinen Kaffee getrunken hatten, durch Kaffeekonsum vor allem das extrazel- luläre Wasser vermindert wurde, da der Kaffee zur (annähernd) isotonen Ausscheidung von Natrium und Was- ser führte [6]. Der Mensch besteht zu etwa 60 % aus Wasser. Das entspricht ungefähr 40 Litern. Auf den Extrazellulärraum (Plasmawasser 5 %, interstitielles Was- ser 12–15 %, transzelluläres Wasser 2–4 %) entfallen 13,3–16,8 Liter. Wer- den bei gut hydrierten Personen dem Extrazellulärraum 0,571 Liter entzo- gen, wie in dem oben beschriebenen Versuch, so ist das sicher kein Pro- blem. Denn dies liegt innerhalb der natürlichen Schwankungsbreite des Extrazellulärraums von 3,5 Litern. Eine Änderung des intrazellulären Wassers (24,5–28 Liter), also des Zell- volumens, trat bei den Versuchsperso- nen durch den Kaffeegenuss nicht ein. Deshalb kam es auch zu keinem nen- nenswerten Einfluss auf das Renin-, Angiotensin- oder Aldosteronsystem. Die Osmolalität des Harns veränderte sich bei den Freiwilligen kaum. Die Osmolalität, und damit das Vo- lumen des Extrazellulärraums, wird hauptsächlich durch dessen Kochsalz- gehalt bestimmt. Ein Konzentrations- unterschied von 1 mmol NaCl/l ver- ursacht an einer Membran einen osmotischen Druckgradienten von 38,6 mmHg. Das entspricht einer Was- sersäule von 52,5 cm. Bei der Wirkung des Kaffees kommt es also entschei- dend auf die Natriumkonzentration im Extrazellulärraum nach dem Kaf- feetrinken an. Bei den meisten der un- tersuchten Freiwilligen war die Aus- scheidung von Wasser und Natrium isoton, die Osmolalität des Extrazel- lulärraums blieb unverändert. Ein ent- scheidender Faktor bei diesem Ver- such ist sicher die relativ hohe Ge- samttrinkmenge der Versuchsperso- nen von 1 946 ml/d. Hierdurch wird eine gute Hydrierung erreicht. Die notwendige Trinkmenge ist in- dividuell unterschiedlich. Rechnerisch geht man von einem Bedarf zwischen 1,5 und 2,7 Litern an freiem Wasser aus. Dieser setzt sich zusammen aus Getränken (400–1 350 ml), Wasser in der Nahrung (800–1 000 ml) und dem Oxidationswasser aus der Verstoff- wechselung der Kohlenhydrate, Fette und Proteine (300–350 ml). Die im All- gemeinen als akzeptabel angesehenen drei Tassen Kaffee täglich machen etwa 420 ml aus. Die Regulation des Flüssigkeits- haushaltes erfolgt über die Nieren. Das Harnvolumen schwankt entspre- chend der Flüssigkeitszufuhr zwi- schen 0,5 und 1,5 Litern. Zusätzlich gehen über Lunge, Haut und Faeces in aller Regel täglich 1 bis 1,2 Liter verlo- ren. Die Nieren sind also in der Lage, Änderungen der Flüssigkeitszufuhr in einem relativ großen Bereich auszu- gleichen; bei ausreichender Flüssig- keitszufuhr auch den diuretischen Ef- fekt des Kaffees. Dies geschieht inner- halb von ungefähr 24 Stunden durch das Zusammenspiel von Vasopressin (Osmoregulation) und dem Renin- Angiotensin-Aldosteronsystem (Volu- menregulation). Nach Kaffeekonsum zugeführte Flüssigkeit füllt den Extra- zellulärraum wieder auf und gewähr- leistet damit ein für die Hämoperfusi- on ausreichendes, tatsächlich zirkulie- rendes Volumen, welches in der Regel direkt mit dem Volumen des Extrazel- lulärraums korreliert. Für den Zell- stoffwechsel ist nicht primär das Vo- lumen des Extrazellulärraums, son- dern eine adäquate Gewebeperfusion wichtig. Eine zu große Einschränkung des Extrazellulärraums geht mit einer Abnahme des effektiven zirkulieren- den Volumens einher und führt damit zu einer unzureichenden Versorgung der Zellen mit Nährstoffen. Regulato- ren des effektiven zirkulierenden Volu- mens sind Renin, Angiotensin, Aldo- steron, Natriuretische Peptide, Sym- pathisches Nervensystem und Vaso- pressin. Das Zusammenspiel dieser Stellgrößen ist z. B. bei Herzinsuffizi- enz, Hypertonie, hormonellen Erkran- kungen oder schweren Flüssigkeitsim- balanzen gestört. Auswirkungen bei vermin- dertem Extrazellulärraum Zwei der untersuchten Personen ver- spürten in dem beschriebenen Ver- such [5] ein Durstgefühl. Durst tritt bei einem Flüssigkeitsdefizit von etwa 0,5 % des Körpergewichts, entspre- chend 350 ml, auf. Das Urinvolumen Auswirkungen des Kaffeetrinkens auf die Flüssigkeitsbilanz Olaf Adam, Walther-Straub-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München Bisher ging man in der Ernährungsberatung davon aus, dass der Konsum von Kaffee wegen seiner diuretischen Wirkung nicht in die Flüssigkeitsbilanz eingerechnet werden darf [2]. Im DGEinfo 4/2004 wurde eine gegenteilige Ansicht vertreten: Da Kaffeekonsum neben der Diurese auch eine erhöhte Natriumausscheidung durch die Nie- ren bewirkt [5], wird nur Wasser aus dem Extrazellulärraum ausge- schieden. Daraus folgert der Autor „Das Getränk Kaffee ist ein wich- tiger Teil der täglichen Gesamt-Wasserzufuhr. In der Flüssigkeitsbi- lanz kann Kaffee in aller Regel so wie jedes andere Getränk behan- delt werden.“ und „Die Geschichte vom Kaffee als Flüssigkeitsräuber beruht auf einem Irrtum, ist also eine Mär.“ Damit werden zwei Fragen aufgeworfen, zu denen aus pharmakolo- gischer und ernährungsmedizinischer Sicht Stellung genommen wird: Kann Kaffee zur Flüssigkeitszufuhr gezählt werden? Ist Kaffee ein „Flüssigkeitsräuber“?

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14 Ernährungs-Umschau 52 (2005) Heft 1

Stellungnahme

Auswirkungen bei ausrei-chendem Extrazellulärraum

Im DGEinfo werden Studienergebnis-se richtig referiert, nach denen bei 12jungen Freiwilligen, die fünf Tage langkeinen Kaffee getrunken hatten, durchKaffeekonsum vor allem das extrazel-luläre Wasser vermindert wurde, dader Kaffee zur (annähernd) isotonenAusscheidung von Natrium und Was-ser führte [6].

Der Mensch besteht zu etwa 60 %aus Wasser. Das entspricht ungefähr40 Litern. Auf den Extrazellulärraum(Plasmawasser 5 %, interstitielles Was-ser 12–15 %, transzelluläres Wasser2–4 %) entfallen 13,3–16,8 Liter. Wer-den bei gut hydrierten Personen demExtrazellulärraum 0,571 Liter entzo-gen, wie in dem oben beschriebenenVersuch, so ist das sicher kein Pro-blem. Denn dies liegt innerhalb dernatürlichen Schwankungsbreite desExtrazellulärraums von 3,5 Litern.Eine Änderung des intrazellulärenWassers (24,5–28 Liter), also des Zell-volumens, trat bei den Versuchsperso-nen durch den Kaffeegenuss nicht ein.Deshalb kam es auch zu keinem nen-nenswerten Einfluss auf das Renin-,Angiotensin- oder Aldosteronsystem.Die Osmolalität des Harns verändertesich bei den Freiwilligen kaum.

Die Osmolalität, und damit das Vo-lumen des Extrazellulärraums, wirdhauptsächlich durch dessen Kochsalz-gehalt bestimmt. Ein Konzentrations-unterschied von 1 mmol NaCl/l ver-ursacht an einer Membran einen osmotischen Druckgradienten von38,6 mmHg. Das entspricht einer Was-sersäule von 52,5 cm. Bei der Wirkungdes Kaffees kommt es also entschei-dend auf die Natriumkonzentrationim Extrazellulärraum nach dem Kaf-feetrinken an. Bei den meisten der un-tersuchten Freiwilligen war die Aus-scheidung von Wasser und Natriumisoton, die Osmolalität des Extrazel-lulärraums blieb unverändert. Ein ent-scheidender Faktor bei diesem Ver-such ist sicher die relativ hohe Ge-samttrinkmenge der Versuchsperso-nen von 1 946 ml/d. Hierdurch wirdeine gute Hydrierung erreicht.

Die notwendige Trinkmenge ist in-dividuell unterschiedlich. Rechnerischgeht man von einem Bedarf zwischen1,5 und 2,7 Litern an freiem Wasseraus. Dieser setzt sich zusammen ausGetränken (400–1 350 ml), Wasser inder Nahrung (800–1 000 ml) und demOxidationswasser aus der Verstoff-wechselung der Kohlenhydrate, Fetteund Proteine (300–350 ml). Die im All-gemeinen als akzeptabel angesehenendrei Tassen Kaffee täglich machenetwa 420 ml aus.

Die Regulation des Flüssigkeits-haushaltes erfolgt über die Nieren.Das Harnvolumen schwankt entspre-chend der Flüssigkeitszufuhr zwi-schen 0,5 und 1,5 Litern. Zusätzlichgehen über Lunge, Haut und Faeces inaller Regel täglich 1 bis 1,2 Liter verlo-ren. Die Nieren sind also in der Lage,Änderungen der Flüssigkeitszufuhr ineinem relativ großen Bereich auszu-gleichen; bei ausreichender Flüssig-keitszufuhr auch den diuretischen Ef-fekt des Kaffees. Dies geschieht inner-halb von ungefähr 24 Stunden durchdas Zusammenspiel von Vasopressin(Osmoregulation) und dem Renin-Angiotensin-Aldosteronsystem (Volu-menregulation). Nach Kaffeekonsumzugeführte Flüssigkeit füllt den Extra-zellulärraum wieder auf und gewähr-leistet damit ein für die Hämoperfusi-on ausreichendes, tatsächlich zirkulie-rendes Volumen, welches in der Regeldirekt mit dem Volumen des Extrazel-lulärraums korreliert. Für den Zell-stoffwechsel ist nicht primär das Vo-lumen des Extrazellulärraums, son-dern eine adäquate Gewebeperfusionwichtig. Eine zu große Einschränkungdes Extrazellulärraums geht mit einerAbnahme des effektiven zirkulieren-den Volumens einher und führt damitzu einer unzureichenden Versorgungder Zellen mit Nährstoffen. Regulato-ren des effektiven zirkulierenden Volu-mens sind Renin, Angiotensin, Aldo-steron, Natriuretische Peptide, Sym-pathisches Nervensystem und Vaso-pressin. Das Zusammenspiel dieserStellgrößen ist z. B. bei Herzinsuffizi-enz, Hypertonie, hormonellen Erkran-kungen oder schweren Flüssigkeitsim-balanzen gestört.

Auswirkungen bei vermin-dertem ExtrazellulärraumZwei der untersuchten Personen ver-spürten in dem beschriebenen Ver-such [5] ein Durstgefühl. Durst tritt beieinem Flüssigkeitsdefizit von etwa0,5 % des Körpergewichts, entspre-chend 350 ml, auf. Das Urinvolumen

Auswirkungen des Kaffeetrinkens auf dieFlüssigkeitsbilanz

Olaf Adam, Walther-Straub-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München

Bisher ging man in der Ernährungsberatung davon aus, dass derKonsum von Kaffee wegen seiner diuretischen Wirkung nicht in dieFlüssigkeitsbilanz eingerechnet werden darf [2]. Im DGEinfo 4/2004wurde eine gegenteilige Ansicht vertreten: Da Kaffeekonsum nebender Diurese auch eine erhöhte Natriumausscheidung durch die Nie-ren bewirkt [5], wird nur Wasser aus dem Extrazellulärraum ausge-schieden. Daraus folgert der Autor „Das Getränk Kaffee ist ein wich-tiger Teil der täglichen Gesamt-Wasserzufuhr. In der Flüssigkeitsbi-lanz kann Kaffee in aller Regel so wie jedes andere Getränk behan-delt werden.“ und „Die Geschichte vom Kaffee als Flüssigkeitsräuberberuht auf einem Irrtum, ist also eine Mär.“Damit werden zwei Fragen aufgeworfen, zu denen aus pharmakolo-gischer und ernährungsmedizinischer Sicht Stellung genommenwird: Kann Kaffee zur Flüssigkeitszufuhr gezählt werden? Ist Kaffeeein „Flüssigkeitsräuber“?

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der Probanden hatte sich durch denKaffeekonsum um durchschnittlich752 ml/Tag erhöht. Damit hätte ei-gentlich bei allen Versuchspersonenein Durstgefühl auftreten können. DasErgebnis zeigt die individuell großeVarianz der Durstschwelle. Ältere Per-sonen können das Gefühl für Durst soweit verloren haben, dass eine effekti-ve Regulation des Flüssigkeitshaushal-tes nicht mehr möglich ist. Die Trink-menge ist häufig klein (marginaleFlüssigkeitszufuhr) und das Extrazel-lulärvolumen niedrig. Ist die extrazel-luläre Flüssigkeit bereits vermindert,also das effektive zirkulierende Plas-mavolumen eingeschränkt, so bewirktder Kaffeegenuss eine weitere Abnah-me. Gleiches gilt für den Kaffeegenussnach einem Flüssigkeitsverlust, verur-sacht z. B durch sportliche Aktivität,eine Diarrhöe oder aber Erbrechen.Unter diesen Bedingungen ist Kaffeekein Flüssigkeitsersatz.

Die Wirkung des Kaffees kann mitder eines kaliumsparenden Diureti-kums verglichen werden, da er dieKonzentration von cyclischem AMP(cAMP) in der Zelle erhöht. Damitwird die Öffnungswahrscheinlichkeitder Kaliumkanäle herabgesetzt. Bei ei-nem bereits kleinen Extrazellulärvolu-

men kann durchden Konsum vonKaffee der Flüssig-keitsmangel nichtbehoben werden.Damit kann beiPersonen mit mar-ginaler Flüssig-keitszufuhr, z. B.älteren Menschen,Kaffeekonsumnicht auf die tägli-che Flüssigkeits-menge, die für einezufriedenstellendeNierenfunktion alsausreichend er-achtet wird, ange-rechnet werden.Ebenso ist fürSportler Kaffee alsalleinige Flüssig-keitszufuhr unge-eignet.

Andererseits sindKaffee, Tee und Ka-kao keine „Flüssig-keitsräuber“, da sieprimär nur das Vo-lumen des extra-zellulären Wassersvermindern undkeine Ausschei-

dung von intrazellulärem Wasser be-wirken. Das in ihnen enthaltene Cof-fein erhöht nicht den Wasserbedarf.Coffeinhaltige Getränke können nurbei unzureichendem Extrazellulärvo-lumen dieses nicht auffüllen.

MethylxanthineIm DGEinfo [5] wird mit Recht an-geführt, dass die Wirkung des Kaffeesnicht lange anhält und regelmä-ßiger Kaffeekonsum nicht zu einerfortschreitenden Verringerung des Ex-trazellulärraums führt. Denn bei chro-nischem Gebrauch ändert sich diepharmakologische Wirkung des Coffe-ins.

Vorkommen und Wirkungen

Das Methylxanthin Coffein findet sichin zahlreichen Pflanzen. Im Wesentli-chen nutzt der Mensch seit vielenJahrhunderten als Genussmittel vierPflanzen [9]:� Der Kaffeestrauch (Coffea arabica

und andere Coffea-Arten) stammtaus Äthiopien. Die Kaffeezuberei-tung wurde im 15. Jahrhundert imJemen erfunden. Mit dem Islamverbreitete sich die Kaffeekultur.

Eine Tasse enthält ungefähr 100 mgCoffein (1,3,7-Trimethylxanthin).Kaffeebohnen von C. arabica ent-halten etwa 1 % Coffein, solche vonC. canephora var. Robusta etwa diedoppelte Menge.

� Der Teestrauch (Camellia siensis) istals Baum in Hinterindien heimischund wird als Strauch kultiviert. Seitdem 6. Jahrhundert wird in Ostasi-en Tee getrunken. Verwendet wer-den die Triebspitzen und jungenBlätter entweder schnell unfermen-tiert getrocknet (grüner Tee) oderzunächst fermentiert und dann ge-trocknet (schwarzer Tee). Eine TasseTee enthält etwa 50 mg Coffein.

� Der Cola-Baum (Cola nitida)stammt aus dem tropischen West-afrika. Verwendet werden die ge-trockneten Samen. Ein Glas CocaCola enthält ungefähr 40 mg Coffe-in. Das amerikanische Urproduktenthielt auch das mit namensge-bende Cocain; dieses wurde aberbald aus der Rezeptur entfernt.

� Der Kakao-Baum (Theobroma cacao) ist in Mittelamerika hei-misch. Verwendet werden die fer-mentierten und gerösteten Samen.Xocoatl, das aztekische Wort fürden Kakao-Aufguss, bedeutet „Bit-terwasser“. Erst das Süßen und dieZugabe von Sahne durch François-Louis CAILLER, Philippe SUCHARD,Rudolf SPRÜNGLI, Johann Jakob TO-BLER und Rudolf LINDT machten ausKakao hergestellte Produkte zwi-schen 1796 und 1919 bei uns po-pulär. Eine Tasse Kakao enthältetwa 10 mg Coffein.

An die Methylxanthine enthaltendenGenussmittel ist der Mensch also seitlanger Zeit gewöhnt. Coffein, Theo-phyllin und Theobromin, die dreiwichtigsten Methylxanthine, kommenin den Pflanzen in unterschiedlicherMenge vor. Theophyllin und Theobro-min sind nur in Spuren enthalten.Eine Ausnahme ist der Kakao, dermehr Theobromin (100 mg/Tasse) alsCoffein enthält. Die Wirkungsart derdrei Substanzen ist ähnlich, aber nochimmer sind nicht alle Reaktionen auf-geklärt. Nachgewiesene pharmakolo-gische Wirkungen der Methylxanthinesind in Tabelle 1 zusammengestellt.

Die diuretische Wirkung der Me-thylxanthine ist seit langem bekanntund wurde von den meisten Men-schen schon selbst erlebt. Sie tritt be-reits bei einer Coffein-Konzentrationvon 30 µmol/l ein. Die anderen Wir-kungen erfordern hingegen Konzen-

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Stellungnahme

Frisch geerntete Kaffeekirschen

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trationen von 700 bzw. 3 000 µmol/l.Traditionell wurde die gesteigerte Diu-rese mit einer Steigerung der Nieren-durchblutung und einer Erhöhung der glomerulären Filtrationsrate, alsohämodynamisch, erklärt. Dazu kann die vorübergehende weckaminartigeWirkung des Coffeins mit einer indi-viduell unterschiedlichen Blutdruck-steigerung und damit erhöhter Nie-rendurchblutung beitragen.

Heute wird der renale Effekt vonCoffein vor allem mit der antagonisti-schen Wirkung am Adenosin-A1-Re-zeptor in Zusammenhang gebracht [1].

Diese Rezeptoren befinden sich anden Macula-densa-Zellen des juxta-glomerulären Apparates, der einermindestens zweifachen Regulationunterliegt. Physiologisch bewirkt einvermehrter Natriumanstrom am di-stalen Ende des proximalen Tubulus(also an der Macula densa) eine Vaso-konstriktion der afferenten Nierenar-teriolen, die durch den Adenosin-A1-Rezeptor vermittelt wird. Hierdurchwird die Nierendurchblutung gesenkt,die glomeruläre Filtrationsrate ver-mindert, und die Natriumausschei-

dung nimmt ab. Coffein hemmt dieseRezeptoren und bewirkt damit einegesteigerte Ausscheidung von Natri-um.

SHIRLEY et al. untersuchten die intra-renalen Wirkungen des Coffeins, diefür die natriuretische Wirkung verant-wortlich sind [8]. Die renale Clearancevon 51Cr-EDTA diente als Maß der glo-merulären Filtrationsrate, die renaleClearance von Lithium als Maß fürden Elektrolytanstrom am Ende desproximalen Tubulus. 400 mg Coffein,oral über 90 Minuten gegeben, steiger-ten die Natriumausscheidung bei denacht Teilnehmern von 1,00 ± 0,25 %auf 1,47 ± 0,18 %, während sich dieglomeruläre Filtrationsrate nicht än-derte. Die Lithium-Clearance wurdeerhöht, und es kam zu einem ver-mehrten Anstrom des Natriums zumdistalen Tubulus. Die Autoren folgernaus diesen Ergebnissen, dass die ver-minderte Natriumrückresorption so-wohl im proximalen wie auch im di-stalen Tubulus zum akuten natriureti-schen Effekt des Coffeins beiträgt [8].Die zweite Wirkung des Coffein, dieErhöhung der Konzentration an cAMP,

kann diesen Effekt unterstützen. Hier-durch kommt es zu einer verstärktenBildung von Prostaglandin E imjuxtaglomerulären Apparat und damitzu einer Vasodilatation an den zu-führenden Nierenarteriolen.

Wirkung des chronischen Kaffeetrinkens

Chronischer Kaffeekonsum geht miteiner Änderung der renalen Wirkungdes Coffeins einher, nämlich mit demVerlust der diuretischen Wirkung. Dieswird in der im DGEinfo zitierten Stu-die an 18 Freiwilligen gezeigt, bei de-nen der mehrtägige Konsum identi-scher Mengen coffeinhaltiger odercoffeinfreier Getränken zu keinen Un-terschieden hinsichtlich des Harnvo-lumens, der Osmolalität und der Elek-trolyausscheidung führte [5].

Eine wichtige Wirkung des Coffeinsist die Erhöhung der Konzentration ancAMP. Coffein antagonisiert nicht nurdie durch Adenosin stimulierte Hy-drolyse des Phosphoinositids, son-dern verstärkt auch unabhängig da-von dessen Hydrolyse [7]. Diese bei-den Effekte resultieren aus der unter-schiedlichen akuten und chronischenWirkung des Coffeins: Das vermehrtanfallende cAMP hemmt akut die Ak-tivität des Na+/H+-Antiporters, chro-nisch erhöht es dessen Aktivität. DieÄnderung bei chronischer Stimulationerfolgt sowohl durch exogen zugege-benes wie auch durch endogen gebil-detes cAMP. Daher lassen sich die Ef-fekte des Coffeins bei akuter Anwen-dung nicht übertragen auf die chroni-sche Anwendung [3]. Das wird aus derim DGEinfo zitierten Studie deutlich[6]. Nach mehrtägigem Kaffeegenusswar bei den Versuchspersonen keinediuretische Wirkung des Kaffees mehrfestzustellen. Bei regelmäßigem (chro-nischem) Kaffeekonsum kann Kaffeealso zur Gesamttrinkmenge gezähltwerden. Allerdings weist die Regulati-on der diuretischen Wirkung einegroße individuelle Varianz auf, so dassman sich auf die fehlende Diuresenach chronischem Kaffeekonsumnicht verlassen kann.

Genetische Variabilität der Kaffeewirkung

Nicht zuletzt ist die von Person zu Per-son unterschiedliche Wirkung des Kaf-fees auf den CYP1A2-abhängigen Ab-bau des Coffeins zurückzuführen, dereine große individuelle Varianz auf-weist [1, 2]. Personen mit genetisch

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Stellungnahme

Zusammenfassung

Kann Kaffee zur Flüssigkeitszufuhr gezählt werden?

O. Adam, München

Einmaliger Kaffeekonsum hat eine eindeutige diuretische Wirkung, die fast je-der schon an sich festgestellt hat. Es kommt zur Ausscheidung von Wasser undNatrium, die bei ausreichender Flüssigkeitszufuhr, also bei einem normalen Ex-trazellulärvolumen ohne Bedeutung ist. Bei unzureichender Flüssigkeitsaufnah-me und grenzwertig niedrigem Extrazellulärvolumen kann Kaffee des Flüssig-keitsdefizit nicht ausgleichen. Es kommt zur Einschränkung des effektiven zirku-lierenden Plasmavolumens, das mit der Hämoperfusion korreliert. Die Folge isteine Einschränkung der Versorgung der Zellen mit Nährstoffen. Chronischer Kaffeekonsum geht mit dem weitgehenden Verlust der diureti-schen Wirkung einher. Allerdings sind die individuellen Unterschiede in der er-forderlichen Dosis so groß, dass man keine Grenze definieren kann, ab der Kaf-fee bei chronischem Konsum und marginaler Flüssigkeitszufuhr doch zur tägli-chen Trinkmenge gerechnet werden kann. Kaffee- und Teetrinker sollten des-halb auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten.

Ernährungs-Umschau 52 (2005) 14–17

Tab. 1: Nachgewiesene pharmakologische Wirkungen der Methylxanthine

Pharmakologische erforderliche Konzentration klinische WirkungWirkung (µmol/l) für eine 50 %-ige

Hemmung / Freisetzung

Hemmung der 30 Diurese, AusscheidungAdenosin-Rezeptoren von Wasser und Natrium

Hemmung der 700 Hemmung der Thrombo-Phosphodiesterasen zytenaggregation

Freisetzung intrazellulären 3 000 Zittern, Unruhe, Tachykardie,Calciums in das Zytoplasma Insomnie, Gedankenflucht

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bedingt niedriger Enzymaktivität(slow metaboliser) sowie Säuglinge,Schwangere oder Raucher bauen Me-thylxanthine verzögert ab. Dies kannzu einem starken Anstieg des Coffein-spiegels durch Kumulation führen [4].Als Folge davon ist eine Hemmung derPhosphodiesterasen oder sogar dieFreisetzung intrazellulären Calciumsmit den damit verbundenen Wirkun-gen möglich (Tab. 1). Da Gewöhnungzu höherem Konsum verleitet, sind beidisponierten Personen solche Wirkun-gen durchaus bei chronischem Ge-nuss von Kaffee möglich.

Weitere Wirkungen der Methylxanthine

Allerdings treten diese nur bei chroni-schem Kaffeekonsum und sehr hohenCoffein-Plasmaspiegeln auf (Tab. 1).Eine konstant erhöhte Konzentrationan cAMP vermindert die Thrombo-zytenaggregation, womit die Abnah-me des kardiovaskulären Risikos beichronischem Kaffeekonsum erklärtwird [2]. Dieser Effekt wurde nach täg-licher Einnahme von 400–600 mg Cof-fein über zwei Wochen beobachtet[10]. Theophyllin wirkt hier noch et-was stärker als Coffein. Intrazellulä-res Calciums wird bei noch höherenMethylxanthin-Konzentrationen frei-gesetzt; es verursacht das Zittern unddie Unruhe nach übermäßigem Kaf-feegenuss. Auch die von BALLMER et al.[2] zitierten Herzrhythmusstörungentreten erst bei diesen höheren Kon-zentrationen auf oder bei disponier-ten Individuen (slow metaboliser).

Obwohl die Cholesterin steigerndeWirkung des ungefilterten Kaffeesnach wie vor nicht geklärt ist, kannman sagen, dass mäßiger Coffeinkon-sum mit Kaffee, Tee oder Kakao auchfür ältere Personen das koronare Risi-ko senkt.

Wie viel Kaffee täglich getrunkenwerden muss, um diese Wirkung zu er-zielen, ist wegen der großen individu-ellen Unterschiede nicht genau be-kannt. Deshalb kann auch nicht exaktgesagt werden, ab welcher Dosis anCoffein die diuretische Wirkung desKaffees beginnt und wann sie beichronischem Gebrauch aufhört unddamit der getrunkene Kaffee zur tägli-chen Trinkmenge gezählt werdenkann.

Literatur:1. Adam O, Forth W: Coffein. Dt. Ärzteblatt 98,

A2816-A2818, 2001

Ernährungs-Umschau 52 (2005) Heft 1 17

Stellungnahme

2. Ballmer-Weber PE: Kaffee und Tee – unbe-denkliche Muntermacher? Aktuel ErnaehrMed 27, 300-3003, 2002

3. Cano A, Preisig P, Alpern R.J: Cyclic adenosinemonophosphate acutely inhibits and chroni-cally stimulates Na/H antiporter in OKPcells. J Clin Invest. 92, 1632-1638, 1993

4. Carillo JA, Benitez J: CYP1A2 activity, genderand smoking, are variables influencing thetoxicity of caffeine. Br J Clin Pharmacol 41,605-608, 1996

5. DGEinfo: Bedeutung von Kaffee für den Flüs-sigkeitshaushalt. Ausgabe 4/2004, 58

6. Grandjean AC, Reimers KJ, Bannik KE, HavenMC: The effect of caffeinated, non-caffein-ated, caloric and non-caloric beverages on hydratation. J Am College Nutr 19, 591-600,2000

7. Narang N, Garg LC, Crews FT: Adenosine andits analogs stimulate phosphoinositide hy-drolysis in the kidney. Pharmacology 40, 90-95, 1990

8. Shirley DG, Walter SJ, Noormohamed FH:Natriuretic effect of caffeine: assessment ofsegmental sodium reabsorption in humans.Clin Sci (Lond) 103, 461-466, 2002

9. Starke K: Pharmakologie noradrenerger undadrenerger Systeme. In: Forth W., Henschler,D., Rummel, W. (Eds): Allgemeine und spezi-elle Pharmakologie und Toxikologie. Urban &Fischer Verlag, München, Jena, 175-218, 2001

10. Varani K, Protaluppi F, Gessi S, Merighi S,Onigini E, Belardinelli L, Borea PA: Dose andtime effect of caffeine intake on human pla-telet adenosine A2A receptors. Circulation102, 285-289, 2000

Anschrift des Verfassers:Prof. Dr. Olaf AdamWalther-Straub-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität MünchenNussbaumstr. 2680336 München