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A AZ 8021 Zürich 149- 00 Dienstag, 1. Juli 1997 Kvv 27 Nr. 149 9teu e Jütrfifr Mtnm Briefadresse von Redaktion, Vertag und Druckerei: Postfach, CH-8021 Zürich, Telefon (01)258 II ll,Tclefa.x 252 13 29 Internet: http://www.nzi.ch/ Anzeigenabteilung: Postfach 251 1, CII-S02I Zürich, Tdefaj 258 16 77 Inlandabonnemente: Telefon (01) 258 15 30, Telefax 258 18 39 Auslandabonnemente: Telefon (01) 258 18 03, Telefax 258 18 29 Abonnementspreise und E-Mail-Adressen im Impressum (Inlandteil) und schweizerisches Handelsblatt Der Zürcher Zeitung 218 . Jahrgang Schweiz Fr. 2.- inkl. MWSt Richterliche Anhörung über Prodi vertagt Rom, 30. Juni, (ap) Der italienische Minister- präsident Prodi muss sich erst Ende Oktober einer Anhörung über Vorwürfe stellen, er habe als Industriemanager einen Lebensmittelkonzern zu einem künstlich niedrigen Preis veräussert. Rich- ter Landi räumte am Montag Fachleuten Zeit bis zum 27. Oktober ein, um das vier Jahre zurücklie- gende Geschäft zu prüfen. Prodi war damals Vor- sitzender der staatlichen Holdinggesellschaft Isti- tuto per la Ricostruzione Industriale, zu der die Lebensmittelfirma Cirio-Bertolli gehörte. Die Staatsanwaltschaft wirft Prodi wegen der zu nied- rigen Preise Amtsmissbrauch vor. HEUTE IN DER NZZ AUSLAND Karnevalsstimmung in Peking Pekings Bevölkerung hat die Rückkehr Hongkongs «in die Arme des Mutterlandes» eine Woche lang auf dem Tiananmen-Platz gefeiert. Für das offizielle Fest wurde sie allerdings vom Platz verbannt. Neue Koalitionsregierung in der Türkei In der Türkei hat der konservative Politiker Yilmaz sein neues Kabinett vorgestellt und die Regierungsgeschäfte übernommen. Der 49jährige Sozialwissenschafter hat sich zum Ziel gesetzt , die gespaltene konservative Be- wegung zu einer mächtigen Partei zu vereinigen. Sieg der Sozialisten in Albanien Die Sozialistische Partei ist als Siegerin aus der Parla- mentswahl in Albanien hervorgegangen. Staatspräsident Berisha versprach, das Wahlergebnis zu respektieren. Flurbereinigung bei Spaniens Kommunisten Der Ausschluss der Mitglieder von Nueva Izquierda aus dem Präsidium der Izquierda Unida zeigt in Spanien die Spannungen im linken Bündnis auf. Dieses ist hin und her gerissen zwischen der Zusammenarbeit mit den Sozialisten und einer deutlichen Abgrenzung. Freispruch im Lübecker Brand prozess Das Lübecker Landgericht hat den 21jährigen Liba- nesen Safwan Eid vom Vorwurf der schweren Brandstif- tung und der fahrlässigen Körperverletzung in einem Asylbewerberheim freigesprochen. Die Richter konnten keine Beweise für eine Schuld Eids erkennen. INLAND Befristete St. Galler Spitalliste Mit Ausnahme von zwei kleinen Privatkliniken am Zürichsee figurieren alle öffentlichen und privaten Spi- täler auf Kantonsgebiet auf der Spitalliste des Kantons St. Gallen. Den acht Regionalspitälern bleibt das ge- samte Grundversorgungsangebot erhalten. 13 WIRTSCHAFT Europas Währungshüter Wim Duisenberg Der neue Präsident des Europäischen Währungsinsti- tuts, Duisenberg, misst im Hinblick auf die Einführung der Euro-Einheitswährung der Preisstabilität den höch- sten Stellenwert bei. Beim Beitritt zur Euro-Zone wehrt er sich jedoch gegen «Zahlenfetischismus». 21 FEUILLETON Der 21. Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb Das alljährliche Weltlesen am Wörthersee lässt Diagno- sen über die jüngste deutschsprachige Literatur zu. Der Befund lautet dieses Jahr: Nicht der notorisch eingefor- derte Unterhaltungswert ist ihr Problem, sondern ihr Mangel an Obsessionen. 45 ZÜRICH UND REGION Schonfrist für Bahnhofläden Bis Ende September ändert sich nichts an den Laden- öffnungszeiten im Zürcher Hauptbahnhof. Der Stadtrat hat den Vollzug eines Bundesgerichtsurteils um drei Monate verschoben. 53 SPORT Ford-Team dank Sainz wieder auf Erfolgsweg Grenzenloser Jubel herrschte jüngst im Ford-Lager nach dem Griechenland-Rally. Zum erstenmal seit vier Jah- ren feierte das britische Team bei der Rally-WM wieder einen zweifachen Erfolg. 61 Brasilien «logischer» Sieger der Copa Dank einem 3:1 -Sieg in La Paz gegen Bolivien hat der Fussball-Weltmeister Brasilien zum fünftenmal die Copa America gewonnen. Die Brasilianer bewiesen in der dünnen Höhenluft, dass sie nicht nur nur Schönwet- ter-Fussballer sind, sondern auch kämpfen können. 63 Inhaltsübersicht und Anzeigenüberblick Über Hongkong weht die Fahne der Volksrepublik China Würdiges Ende der britischen Kolonialherrschaft Nach 156jähriger britischer Verwaltung ist Hongkong wieder ein Teil Chinas. Im Beisein von Prinz Charles und des britischen Premierministers Blair übernahm um Mitternacht der chinesische Staatspräsident Jiang Zemin für die Volksrepublik China die Souveränität über die bisherige britische Kolonie. Während Tausende von Gästen aus aller Welt dem würdigen Zeremoniell beiwohnten und Hongkongs Bevölkerung bei teilweise strömendem Regen mit allerlei Spektakeln unterhalten wurde, manifestierten oppositionelle Kräfte ihre Sorge um eine Erosion der bürgerlichen Freiheiten unter dem neuen Souverän. JL TlT-q iüIüiSJMÜlC iis. Hongkong, 1. Juli Während im brand; neuen Kongresszen- trum nach einem Ban- kett für 4000 Personen die letzten Vorberei- tungen zur Vereidigung der Autoritäten der neuen administrativen Sonderregion Hong- kong liefen, ent- schwand kurz nach Mitternacht die könig- liche Jacht «Britannia» mit Prinz Charles und Hongkongs letztem britischem Gouver- neur, Chris Patten, an Bord aus dem von einem festlich beleuch- teten Hochhäuserkranz umgebenen Victoria Harbour in die pech- schwarze Dunkelheit des Südchinesischen Meers. Nachdem die Festlichkeiten am 30. Juni von der britischen Administration organi- siert worden sind, zei- gen am 1. Juli nun die Hongkonger einem von unzähligen «handover parties» übernächtigten Publikum, welche Show sie ohne kolonia- len Vormund auf die Beine zu stellen ver- mögen. Nostalgie und Neubeginn Nach Jahren zumeist schwieriger Verhand- Letzte Einholung der britischen Flaggen am Denkmal für die Kriegsopfer in lungen und häufig eh- renrühriger chinesi- scher Angriffe auf Gouverneur Patten verabschie- deten sich die Briten von Hongkong mit erhobe- nem Haupt, im Bewusstsein, einen friedlichen Souveränitätswechsel realisiert und die Verwand- lung eines unbewohnten Eilands in eine der glän- zendsten Metropolen Asiens ermöglicht zu haben. Vom traditionellen Zapfenstreich über die letztmalige Vergabe britischer Auszeichnungen durch Prinz Charles und eine aufwendige Ab- schiedszeremonie, an der die vereinigten Musik- korps der Royal Mannes, der Scot Guards und der Gurkhas einen wahrhaft imperialen Schluss- punkt setzten, bis hin zum Fahnenwechsel um Mitternacht waren alle britischen Auftritte von jener Würde der «stiff upper lip» geprägt, welche die Untertanen des Empire zugleich zu beein- drucken und in Rage zu bringen pflegte. Chinesischer Stolz Während für die Massen von kamerabewehrten Passanten, die sich vor den letzten Insignien der britischen Kolonialherrschaft drängelten, wie auch bei der emotionsgeladenen Verabschiedung des Gouverneurs und seiner Familie in Govern- ment House die Nostalgie dominierte, richteten sich die Erklärungen von Premierminister Blair und von Aussenminister Cook schwergewichtig auf die Zukunft der britisch-chinesischen Bezie- hungen. Blair sprach von einem neuen Kapitel im bilateralen Verhältnis, und Cook, der post- wendend eine Einladung nach Peking erhielt, zeigte sich davon überzeugt, dass London mit Peking «eine konstruktive Beziehung» werde ent- wickeln können. Blair wie Cook reflektierten da- mit auch die Wünsche der britischen Unterneh- merschaft, die sich von einer Beseitigung der kolonialen Irritationen lukrativere Geschäfte in China erhofft. Zwar fand sich der neue Chief Executive, Tung Chee-hwa, zu einem von Prinz Charles an Bord Hongkong. (Bild Reuter) der «Britannia»^ gegebenen Empfang ein, doch war das Protokoll für die Festivitäten zwischen den alten und neuen Herren Hongkongs strikt ge- trennt. Während Gouverneur Patten die briti- schen Delegationen am Flughafen abholte, wur- den Präsident Jiang Zemin und Premierminister Li Peiig von Aussenminister Qian Qichen, Tung Chee-hwa und dem Chef des Hongkonger Büros der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua empfangen. Jiang und Blair trafen sich vor der Übergabe- zeremonie, der rund sechzig Aussenminister, unter ihnen auch Bundesrat Flavio Cotti, bei- wohnten, zu einer einstündigen Aussprache. In deren Verlauf betonte der britische Regierungs- chef noch einmal, dass Grossbritannien als Mit- unterzeichner der ge- meinsamen Erklärung von 1984, die Hong- kongs Rückkehr nach China regelte, ungeach- tet der uneingeschränk- ten1 Souveränität Pe- kings über die ehema- lige Kolonie eine recht- liche Pflicht zur Vertei- digung der bestehen- den Freiheiten in Hongkong habe . Dass Hongkong an ein Land zurückfällt, das nicht nur einen in den letzten Jahren noch kräftig gewachse- nen Nationalstolz, son- dern auch ein macht- bewusstes Regime hat, ist den Hongkongern gleich beim Souveräni- tätswechsel demon- striert worden. So präsentierte sich Hongkongs neue höchste Autorität fast in corpore mit Präsi- dent Jiang Zemin, Premierminister Li Peng, Aussenminister Qian Qichen, General Zhang Wannian und einer riesigen Delegation, der auch Deng Xiaopings Witwe angehörte. Wenige Stun- den vor dem Fahnenwechsel stiess zudem ein fünfhundertköpfiges Detachement der Volksbe- freiungsarmee zu den bereits in Hongkong statio- nierten chinesischen Voraustrupps. Konsternation unter der Bevölkerung und rasche Beschwichti- gungen seitens Tung Chee-hwas hatte die martia- lische Ankündigung ausgelöst, dass bereits am 1. Juli in aller Frühe 4000 Soldaten «zu Land, zu Wasser und auf dem Luftweg in Hongkong ein- marschieren» würden, was ungute Erinnerungen an das Massaker auf dem Tiananmen-Platz wach werden liess. Durchlöcherter Boykott Eine Stunde nach dem Entschwinden der «Bri- tannia» wurden im Kongresszentrum die neuen Autoritäten Hongkongs, der Chief Executive, sein Exekutivrat, die obersten Richter und die proviso- rische Legislative, vereidigt. Die Vereidigung der letzteren hatte dazu geführt, dass die amerikani- sche Staatssekretärin Albright und der britische Premierminister Blair mit seinem Aussenminister der Zeremonie fernblieben. Angesichts der Tat- sache, dass sich kein anderes Land dem Boykott anschloss, wie auch mit Rücksicht auf die wirt- schaftlichen Interessen der Briten und Amerika- ner in Hongkong hatten die beiden Länder jedoch zur grossen Enttäuschung von Hongkongs Demo- kraten kurzfristig beschlossen, mit ihren Botschaf- tern an der Vereidigung präsent zu sein. Der bri- tische Boykott, der auch zur Folge hatte, dass Prä- sident Jiang Zemin und Premierminister Li Peng dem britischen Festbankett fernblieben, wurde noch zusätzlich durchlöchert. Während Baroness Thatcher der Vereidigung fernblieb, wohnten ihr Edward Heath und Thatchers ehemaliger Aussen- minister, Lord Howe, bei. Gesittete Demonstrationen Im Laufe des Montagabends versammelten sich vor dem Gebäude der Legislative Manife- stanten, die gegen die nicht demokratisch legiti- mierte Provisorische Legislative protestierten. An- gesichts der unzähligen Medienvertreter fiel es schwer, die Zahl der Demonstranten zu schätzen. Es dürfte sich aber kaum um mehr als etwa zwei- tausend gehandelt haben. Die Demonstranten wie die Polizeikräfte, die um Mitternacht ord- nungsgemäss ihre Insignien wechselten, verhiel- ten sich gesittet. Clinton rechnet weiterhin mit abweichenden Meinungen in Hongkong Washington, 30. Juni. (Reuter) Präsident Clin- ton rechnet damit, dass China auch nach der Übernahme Hongkongs abweichende Meinungen in der ehemaligen Kronkolonie tolerieren wird. Die USA erwirteten, dass China seine Vereinba- rung mit Grossbritannien von 1984 einhalte, sagte Clinton am Montag in Washington. Es sei schwer, ein System mit freien Wahlen, Rede- und Presse- freiheit zu haben, aber keine abweichende Mei- nung. Über das Einrücken chinesischer Truppen zeigte sich Clinton besorgt. Washington werde die Entwicklung der Lage genau beobachten. (Weiterer Bericht und Kommentar Seite 2) + Flughafen Eisenbahn Neue Zürcher Zeitung vom 01.07.1997

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AAZ 8021Zürich

149- 00 Dienstag, 1. Juli 1997Kvv 27 Nr. 149

9 teue JütrfifrMtnmBriefadresse von Redaktion, Vertag und Druckerei:Postfach, CH-8021 Zürich, Telefon (01)258 II ll,Tclefa.x 252 13 29Internet: http://www.nzi.ch/Anzeigenabteilung: Postfach 251 1, CII-S02I Zürich, Tdefaj 258 16 77

Inlandabonnemente: Telefon (01) 258 15 30, Telefax 258 18 39

Auslandabonnemente: Telefon (01) 258 18 03, Telefax 258 18 29Abonnementspreise und E-Mail-Adressen im Impressum (Inlandteil)

und schweizerisches Handelsblatt

Der Zürcher Zeitung 2 1 8. Jahrgang

Schweiz

Fr. 2.-inkl. MWSt

Richterliche Anhörungüber Prodi vertagt

Rom, 30. Juni, (ap) Der italienische Minister-präsident Prodi muss sich erst Ende Oktobereiner Anhörung über Vorwürfe stellen, er habe alsIndustriemanager einen Lebensmittelkonzern zueinem künstlich niedrigen Preis veräussert. Rich-ter Landi räumte am Montag Fachleuten Zeit biszum 27. Oktober ein, um das vier Jahre zurücklie-gende Geschäft zu prüfen. Prodi war damals Vor-sitzender der staatlichen Holdinggesellschaft Isti-tuto per la Ricostruzione Industriale, zu der dieLebensmittelfirma Cirio-Bertolli gehörte. DieStaatsanwaltschaft wirft Prodi wegen der zu nied-rigen Preise Amtsmissbrauch vor.

HEUTE IN DER NZZAUSLANDKarnevalsstimmung in PekingPekings Bevölkerung hat die Rückkehr Hongkongs «indie Arme des Mutterlandes» eine Woche lang auf demTiananmen-Platz gefeiert. Für das offizielle Fest wurdesie allerdings vom Platz verbannt.

Neue Koalitionsregierung in der TürkeiIn der Türkei hat der konservative Politiker Yilmaz seinneues Kabinett vorgestellt und die Regierungsgeschäfte

übernommen. Der 49jährige Sozialwissenschafter hatsich zum Ziel gesetzt, die gespaltene konservative Be-wegung zu einer mächtigen Partei zu vereinigen.

Sieg der Sozialisten in AlbanienDie Sozialistische Partei ist als Siegerin aus der Parla-mentswahl in Albanien hervorgegangen. Staatspräsident

Berisha versprach, das Wahlergebnis zu respektieren.

Flurbereinigung bei Spaniens KommunistenDer Ausschluss der Mitglieder von Nueva Izquierda ausdem Präsidium der Izquierda Unida zeigt in Spanien

die Spannungen im linken Bündnis auf. Dieses ist hinund her gerissen zwischen der Zusammenarbeit mit denSozialisten und einer deutlichen Abgrenzung.

Freispruch im Lübecker Brand prozess

Das Lübecker Landgericht hat den 21jährigen Liba-nesen Safwan Eid vom Vorwurf der schweren Brandstif-tung und der fahrlässigen Körperverletzung in einemAsylbewerberheim freigesprochen. Die Richter konntenkeine Beweise für eine Schuld Eids erkennen.

INLANDBefristete St. Galler SpitallisteMit Ausnahme von zwei kleinen Privatkliniken amZürichsee figurieren alle öffentlichen und privaten Spi-

täler auf Kantonsgebiet auf der Spitalliste des KantonsSt. Gallen. Den acht Regionalspitälern bleibt das ge-

samte Grundversorgungsangebot erhalten. 13

WIRTSCHAFTEuropas Währungshüter Wim Duisenberg

Der neue Präsident des Europäischen Währungsinsti-

tuts, Duisenberg, misst im Hinblick auf die Einführung

der Euro-Einheitswährung der Preisstabilität den höch-sten Stellenwert bei. Beim Beitritt zur Euro-Zone wehrter sich jedoch gegen «Zahlenfetischismus». 21

FEUILLETONDer 21. Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb

Das alljährliche Weltlesen am Wörthersee lässt Diagno-

sen über die jüngste deutschsprachige Literatur zu. DerBefund lautet dieses Jahr: Nicht der notorisch eingefor-

derte Unterhaltungswert ist ihr Problem, sondern ihrMangel an Obsessionen. 45

ZÜRICH UND REGIONSchonfrist für BahnhoflädenBis Ende September ändert sich nichts an den Laden-öffnungszeiten im Zürcher Hauptbahnhof. Der Stadtrathat den Vollzug eines Bundesgerichtsurteils um dreiMonate verschoben. 53

SPORTFord-Team dank Sainz wieder auf Erfolgsweg

Grenzenloser Jubel herrschte jüngst im Ford-Lager nachdem Griechenland-Rally. Zum erstenmal seit vier Jah-ren feierte das britische Team bei der Rally-WM wiedereinen zweifachen Erfolg. 61

Brasilien «logischer» Sieger der Copa

Dank einem 3:1 -Sieg in La Paz gegen Bolivien hat derFussball-Weltmeister Brasilien zum fünftenmal dieCopa America gewonnen. Die Brasilianer bewiesen inder dünnen Höhenluft, dass sie nicht nur nur Schönwet-ter-Fussballer sind, sondern auch kämpfen können. 63

Inhaltsübersicht und Anzeigenüberblick

Über Hongkong weht die Fahne der Volksrepublik ChinaWürdiges Ende der britischen Kolonialherrschaft

Nach 156jähriger britischer Verwaltung ist Hongkong wieder ein Teil Chinas. Im Beiseinvon Prinz Charles und des britischen Premierministers Blair übernahm um Mitternacht derchinesische Staatspräsident Jiang Zemin für die Volksrepublik China die Souveränität überdie bisherige britische Kolonie. Während Tausende von Gästen aus aller Welt dem würdigen

Zeremoniell beiwohnten und Hongkongs Bevölkerung bei teilweise strömendem Regen mitallerlei Spektakeln unterhalten wurde, manifestierten oppositionelle Kräfte ihre Sorge umeine Erosion der bürgerlichen Freiheiten unter dem neuen Souverän.

JL

TlT-q

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iis. Hongkong,

1. Juli

Während im brand;neuen Kongresszen-

trum nach einem Ban-kett für 4000 Personendie letzten Vorberei-tungen zur Vereidigung

der Autoritäten derneuen administrativenSonderregion Hong-kong liefen, ent-schwand kurz nachMitternacht die könig-

liche Jacht «Britannia»mit Prinz Charles undHongkongs letztembritischem Gouver-neur, Chris Patten, anBord aus dem voneinem festlich beleuch-teten Hochhäuserkranzumgebenen VictoriaHarbour in die pech-

schwarze Dunkelheitdes SüdchinesischenMeers. Nachdem dieFestlichkeiten am 30.Juni von der britischenAdministration organi-

siert worden sind, zei-gen am 1. Juli nun dieHongkonger einem vonunzähligen «handoverparties» übernächtigtenPublikum, welcheShow sie ohne kolonia-len Vormund auf dieBeine zu stellen ver-mögen.

Nostalgieund Neubeginn

Nach Jahren zumeistschwieriger Verhand- Letzte Einholung der britischen Flaggen am Denkmal für die Kriegsopfer inlungen und häufig eh-renrühriger chinesi-scher Angriffe auf Gouverneur Patten verabschie-deten sich die Briten von Hongkong mit erhobe-nem Haupt, im Bewusstsein, einen friedlichenSouveränitätswechsel realisiert und die Verwand-lung eines unbewohnten Eilands in eine der glän-

zendsten Metropolen Asiens ermöglicht zuhaben. Vom traditionellen Zapfenstreich über dieletztmalige Vergabe britischer Auszeichnungen

durch Prinz Charles und eine aufwendige Ab-schiedszeremonie, an der die vereinigten Musik-korps der Royal Mannes, der Scot Guards undder Gurkhas einen wahrhaft imperialen Schluss-punkt setzten, bis hin zum Fahnenwechsel umMitternacht waren alle britischen Auftritte vonjener Würde der «stiff upper lip» geprägt, welchedie Untertanen des Empire zugleich zu beein-drucken und in Rage zu bringen pflegte.

Chinesischer Stolz

Während für die Massen von kamerabewehrtenPassanten, die sich vor den letzten Insignien derbritischen Kolonialherrschaft drängelten, wieauch bei der emotionsgeladenen Verabschiedung

des Gouverneurs und seiner Familie in Govern-ment House die Nostalgie dominierte, richtetensich die Erklärungen von Premierminister Blairund von Aussenminister Cook schwergewichtig

auf die Zukunft der britisch-chinesischen Bezie-hungen. Blair sprach von einem neuen Kapitel imbilateralen Verhältnis, und Cook, der post-wendend eine Einladung nach Peking erhielt,zeigte sich davon überzeugt, dass London mitPeking «eine konstruktive Beziehung» werde ent-wickeln können. Blair wie Cook reflektierten da-mit auch die Wünsche der britischen Unterneh-merschaft, die sich von einer Beseitigung derkolonialen Irritationen lukrativere Geschäfte inChina erhofft.

Zwar fand sich der neue Chief Executive, TungChee-hwa, zu einem von Prinz Charles an Bord

Hongkong. (Bild Reuter)

der «Britannia»^ gegebenen Empfang ein, dochwar das Protokoll für die Festivitäten zwischenden alten und neuen Herren Hongkongs strikt ge-

trennt. Während Gouverneur Patten die briti-schen Delegationen am Flughafen abholte, wur-den Präsident Jiang Zemin und PremierministerLi Peiig von Aussenminister Qian Qichen, Tung

Chee-hwa und dem Chef des Hongkonger Bürosder chinesischen Nachrichtenagentur Xinhuaempfangen.

Jiang und Blair trafen sich vor der Übergabe-zeremonie, der rund sechzig Aussenminister,unter ihnen auch Bundesrat Flavio Cotti, bei-wohnten, zu einer einstündigen Aussprache. Inderen Verlauf betonte der britische Regierungs-

chef noch einmal, dass Grossbritannien als Mit-unterzeichner der ge-meinsamen Erklärungvon 1984, die Hong-kongs Rückkehr nachChina regelte, ungeach-

tet der uneingeschränk-

ten1 Souveränität Pe-kings über die ehema-lige Kolonie eine recht-liche Pflicht zur Vertei-digung der bestehen-den Freiheiten inHongkong habe.

Dass Hongkong anein Land zurückfällt,das nicht nur einen inden letzten Jahrennoch kräftig gewachse-

nen Nationalstolz, son-dern auch ein macht-bewusstes Regime hat,ist den Hongkongerngleich beim Souveräni-tätswechsel demon-

striert worden. So präsentierte sich Hongkongs

neue höchste Autorität fast in corpore mit Präsi-dent Jiang Zemin, Premierminister Li Peng,

Aussenminister Qian Qichen, General Zhang

Wannian und einer riesigen Delegation, der auchDeng Xiaopings Witwe angehörte. Wenige Stun-den vor dem Fahnenwechsel stiess zudem einfünfhundertköpfiges Detachement der Volksbe-freiungsarmee zu den bereits in Hongkong statio-nierten chinesischen Voraustrupps. Konsternationunter der Bevölkerung und rasche Beschwichti-gungen seitens Tung Chee-hwas hatte die martia-lische Ankündigung ausgelöst, dass bereits am1. Juli in aller Frühe 4000 Soldaten «zu Land, zuWasser und auf dem Luftweg in Hongkong ein-marschieren» würden, was ungute Erinnerungen

an das Massaker auf dem Tiananmen-Platz wachwerden liess.

Durchlöcherter Boykott

Eine Stunde nach dem Entschwinden der «Bri-tannia» wurden im Kongresszentrum die neuenAutoritäten Hongkongs, der Chief Executive, seinExekutivrat, die obersten Richter und die proviso-rische Legislative, vereidigt. Die Vereidigung derletzteren hatte dazu geführt, dass die amerikani-sche Staatssekretärin Albright und der britischePremierminister Blair mit seinem Aussenministerder Zeremonie fernblieben. Angesichts der Tat-sache, dass sich kein anderes Land dem Boykottanschloss, wie auch mit Rücksicht auf die wirt-schaftlichen Interessen der Briten und Amerika-ner in Hongkong hatten die beiden Länder jedoch

zur grossen Enttäuschung von Hongkongs Demo-kraten kurzfristig beschlossen, mit ihren Botschaf-tern an der Vereidigung präsent zu sein. Der bri-tische Boykott, der auch zur Folge hatte, dass Prä-sident Jiang Zemin und Premierminister Li Peng

dem britischen Festbankett fernblieben, wurdenoch zusätzlich durchlöchert. Während BaronessThatcher der Vereidigung fernblieb, wohnten ihrEdward Heath und Thatchers ehemaliger Aussen-minister, Lord Howe, bei.

Gesittete DemonstrationenIm Laufe des Montagabends versammelten

sich vor dem Gebäude der Legislative Manife-stanten, die gegen die nicht demokratisch legiti-

mierte Provisorische Legislative protestierten. An-gesichts der unzähligen Medienvertreter fiel esschwer, die Zahl der Demonstranten zu schätzen.Es dürfte sich aber kaum um mehr als etwa zwei-tausend gehandelt haben. Die Demonstrantenwie die Polizeikräfte, die um Mitternacht ord-nungsgemäss ihre Insignien wechselten, verhiel-ten sich gesittet.

Clinton rechnet weiterhin mitabweichenden Meinungen in Hongkong

Washington, 30. Juni. (Reuter) Präsident Clin-ton rechnet damit, dass China auch nach derÜbernahme Hongkongs abweichende Meinungen

in der ehemaligen Kronkolonie tolerieren wird.Die USA erwirteten, dass China seine Vereinba-rung mit Grossbritannien von 1984 einhalte, sagte

Clinton am Montag in Washington. Es sei schwer,ein System mit freien Wahlen, Rede- und Presse-freiheit zu haben, aber keine abweichende Mei-nung. Über das Einrücken chinesischer Truppenzeigte sich Clinton besorgt. Washington werde dieEntwicklung der Lage genau beobachten.

(Weiterer Bericht und Kommentar Seite 2)

+ Flughafen Eisenbahn

Neue Zürcher Zeitung vom 01.07.1997

Page 2: AZ Juli Zürich 9teue JütrfifrMtnm · A AZ 8021 Zürich 149-00 Dienstag, 1. Juli 1997 Kvv 27 Nr. 149 9teueJütrfifrMtnm Briefadresse von Redaktion, Vertag und Druckerei: Postfach,

Dienstag, 1. Juli 1997 Nr. 149 AUSLAND149-002

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Eine chinesische Ehrengarde marschiert auf dem Tiananmen-Platz an Schrifttafeln vorbei, die aufdenSouveränitätswechsel Hongkongs hinweisen. (Bild Reuter)

Karnevalstimmung auf dem Tiananmen-PlatzHongkong-Feier vor handverlesenem Publikum in Peking

Nachdem Pekings Bevölkerung die Rückkehr Hongkongs «in die Arme des Mutterlands»eine Woche lang spontan auf dem Tiananmen-Platz gefeiert hatte, wurde sie von der Obrig-keit für das offizielle Fest vor den heimischen Fernseher verbannt. Der Tiananmen-Platz ge-hörte in der Nacht zum Dienstag einer handverlesenen, politisch zuverlässigen Elite.

mo. Peking, 30. Juni

Zum «Jahrhundertereignis», ja zur «Mutteraller Feste» ist er erklärt worden, der Montagabend, an dem offiziell die «gesamte chinesischeNation» die «Rückkehr Hongkongs in die Armedes Mutterlandes» gefeiert hat. In Peking, demzweitwichtigsten Schauplatz dieses Ereignisses,

herrschte am Montag jedoch eine sehr gemischteAtmosphäre aus Karnevals- und Katerstimmungsowie polizeilichem Belagerungszustand. ChinasHauptstadt war seit Wochen renoviert, frisch ge-strichen und geputzt worden. Hunderttausendevon Blumenkübeln wurden auf Strassen und Plät-zen aufgestellt; alle grösseren Gebäude wurdenmit Neonlichtern, Nationalfahnen, roten Stoff-laternen und Spruchbändern geschmückt, aufdenen es beispielsweise heisst: «Willkommen,Hongkong, im Mutterland - waschen wir dieSchande der einhundertjährigen nationalen Er-niedrigung ab!»

Sanfte PolizeigewaltTag für Tag wurden die Menschenmassen grös-

ser, die auf den Tiananmen-Platz strömten, umsich dort gegenseitig, die Finger zum «Victory-Zeichen» gespreizt und die Fähnchen Chinas undder künftigen «Spezialadministrationszone Hong-kong» schwingend, zu photographieren. Vom ver-gangenen Samstag auf den Sonntag und amSonntag abend erneut waren es gegen zweihun-derttausend Menschen, die den Platz, das «Herzder Nation», bis tief in die Nacht bevölkerten.Und trotz dem zwischendurch strömenden Regen

herrschte auch am Montag vom frühen Morgen

an auf dem Platz erneut ausgelassene Jahrmarkt-stimmung.

Dieses Treiben hatte zu keinem Zeitpunkt auchnur entfernt Obrigkeitsfeindliches an sich, undauch die stets im Hintergrund zahlreich bereitste-henden Sicherheitskräfte mussten nie eingreifen.

Die chinesische Regierung, die nichts so sehrfürchtet wie spontane und schwer kontrollierbareMassenaufläufe, hatte schon vor langem angekün-digt, dass zur offiziellen Feier auf dem Platz vonMontag nacht nicht jedermann, sondern nur ge-ladene Gäste zugelassen würden. Das einfache

Pekinger Volk wurde in den Zeitungen immerwieder dazu aufgefordert, sich die Feier besser zuHause vor dem Fernseher anzuschauen. So bilde-ten denn am Montag nachmittag um halb vierUhr am Nordende des Platzes mehrere Hundert-schaften der Polizei dichte Ketten, rückten lang-

sam aber stetig vor und drängten in etwas mehrals einer halben Stunde das gesamte, nicht mitSonderausweisen ausgestattete Publikum aus demzur Sperrzone erklärten T i a n a n m e n -P l a t z und denumliegenden Strassen hinaus.

Es war eine etwa 100 000 Köpfe zählendeMenschenmasse, aber eine vom Regime zuvor aufpolitische Zuverlässigkeit hin überprüfte undhandverlesene, die von acht Uhr abends an aufdem im Scheinwerferglanz erstrahlenden Platzdas unter dem Titel «Peking segnet dich - Hong-kong!» stehende bunte Programm mit Festreden,Volkstanzeinlagen, Opernarien und Feuerwerkverfolgte. Der Höhepunkt der Veranstaltung warzweifelsfrei, als die ganze Festgesellschaft kurzvor Mitternacht laut die von einer gigantischenDigitaluhr auf dem Platz angezeigten letzten zehnSekunden der britischen Kolonialherrschaft inHongkong mit zählte, um gleich anschliessend diechinesische Nationalhymne zu singen.

Enttäuschte Hurrapatrioten und Skeptiker

Unter den am Nachmittag sanft, aber bestimmtvom Platz gedrängten, kurz zuvor noch fröhlichFähnchen schwingenden «einfachen Patrioten»aber hatte es, obwohl das obrigkeitliche Vorgehen

vorauszusehen gewesen war, dennoch nichtwenige lange Gesichter gegeben. Allerdings mussauch angefügt werden, dass ohnehin längst nichtalle Pekinger sich von der patriotischen Hoch-stimmung der letzten Tage hatten mitreissen las-sen. Nicht wenige blieben den teuren Festvorbe-reitungen gegenüber, die häufig auch Verkehrs-zusammenbrüche und anderes Ungemach provo-zierten, skeptisch oder indifferent eingestellt.

Einer dieser eher kritischen Pekinger formuliertetreffend: «Zwar brüstet sich die Partei jetzt damit,die nationale Wiedervereinigung vorangebracht

zu haben, aber für uns einfache Chinesen wird esweiterhin nicht möglich sein, nach Hongkong zureisen.»

Neue Koalitionsregierung in der TürkeiMesut Yilmaz wird zum dritten Mal Ministerpräsident

In der Türkei hat der konservative Politiker Yilmaz am Montag sein neues Kabinett vor-gestellt und die Regierungsgeschäfte übernommen. Der 49jährige Sozialwissenschafter hats i ch zum Ziel gesetzt, die gespaltene konservative Bewegung zu einer mächtigen Partei zuvereinigen, um so eine Rückkehr der Islamisten in die Regierung auszuschliessen.

it. Istanbul, 30. Juni

Der Führer der konservativen Mutterlandspar-tei (Anap), Mesut Yilmaz, ist der neue Minister-präsident der Türkei. Sein Vorgänger Erbakanübergab ihm am Montag in einer kurzen Zeremo-nie die Regierungsgeschäfte. Damit ist das span-nungsgeladene Kapitel der ersten von einem Isla-misten geführten Regierung in der Türkei abge-

schlossen. Der 49jährige Yilmaz versprach, dassseine Regierung über die Lehren der Republiksorgsam wachen und das Prinzip des Laizismusrespektieren werde. Er fügte hinzu, dass die Bil-

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Fax 01/368 3« 36 I!

dung seiner Koalition der Beweis dafür sei, dassLösungen auch innerhalb eines demokratischenRahmens gefunden werden konnten.

Kemalistische Ausrichtung

Dass es Yilmaz gelungen ist, trotz der Zerstrit-tenheit der türkischen Parteien eine antiislamisti-sche Koalition zu bilden und damit die Nationvor einem immer wieder befürchteten Staats-streich zu bewahren, hat den stillen Politiker inden Augen vieler Bürger zu einer Art Held ge-

macht. Seitdem Erbakan vor einem Jahr als ersterislamistischer Ministerpräsident die Regierung

übernommen hatte, waren sich die Armeeführung

und die Anhänger des Kemalismus sicher, dassdie Islamisten im Endeffekt das Ziel verfolgten,

die kemalistischen Prinzipien der Republik zuverändern. Erbakan musste hauptsächlich aufDruck der Armee Mitte Juni zurücktreten.

Am Montag hat Yilmaz dem Staatspräsidenten

die Liste der Mitglieder seiner Minderheitsregie-rung überbracht. Es handelt sich um ein Bündniszwischen Yilmaz' konservativer Anap, BülentEcevits Partei der demokratischen Linken (DSP)

Hongkong unter Pekings SternDie neuen chinesischen Herren Hong-

kongs sind bereits dabei, ihre Souveränitätzu demonstrieren. Schon in den Morgen-stunden des I.Juli rückte die Volksbefrei-ungsarmee mit über 4000 Mann zu Landund zu Wasser und in der Luft in das neu-gewonnene Territorium vor, teilweise mit ge-panzerten, auch für den Einsatz gegen

Demonstranten geeigneten Mannschafts-fahrzeugen. Kurz zuvor war im Central Dis-trict an einer Kundgebung Souveränität fürdas Hongkonger Volk und ein wirklichesEnde der Kolonialherrschaft gefordert wor-den.

Im neuen Convention Center, in dem dieBriten ihre Kolonie eben den Pekinger

Machthabern übergeben hatten, zeigte dieVolksrepublik, was sie politisch unter demSouveränitätswechsel versteht. Im Rahmeneiner Vereidigungszeremonie für die neuenBehörden wurde die bestehende, teilweise infreien Wahlen bestimmte Legislative Hong-kongs durch eine ganz nach den WünschenPekings zusammengestellte Versammlung er-setzt. Zu deren ersten Amtshandlungen, diesie ebenfalls in den frühen Morgenstunden

von Hongkongs erstem Tag unter chinesi-scher Herrschaft vornahm, gehörte die Mo-difikation der politischen Rechte, unteranderem die Einschränkung der Demonstra-tionsmöglichkeiten und der Parteienfinanzie-rung. Für die Briten und die meisten west-lichen Staaten ist dies eine Provokation, deraber - wie im westlichen Umgang mit Peking

üblich - nur mit verhaltener Kritik undeinem sehr uneinheitlichen Boykott derZeremonie entgegengetreten wurde.

In chinesischer Sicht handelt es sich beidiesen ersten politischen Schritten in Hong-kong allerdings bloss um die legitime Reduk-tion von Gouverneur Pattens eigenmächti-gen Liberalisierungen auf das mit Gross-britannien vereinbarte Mass an Demokratie.In der Tat hat dieser letzte britische Gouver-neur sozusagen 5 Minuten vor 12 die Kron-kolonie in einem Masse politisch reformiert,wie das in den vergangenen anderthalb Jahr-hunderten unter seinen Vorgängern nie derFall war. Chris Patten ist nicht Beamter, son-dern Politiker. Seine Reformen boxte er ent-gegen dem Geist der sino-britischen Verein-barungen und in Abweichung von der bis-herigen diplomatischen Verhandlungs- undKonsultationspraxis im Alleingang und ohneMitsprache Pekings durch und beschwor da-mit den Zorn der chinesischen Führung her-auf. Dass nun manche Neuerung den Hand-wechsel nicht übersteht, ist dem konfrontati-ven Stil Pattens zuzuschreiben.

Bedeutsamer ist aber, dass der Gouver-neur auf den Zeitpunkt hin, da die auf briti-scher Rechtsstaatlichkeit basierende kapitali-stische Hochburg sich unter die Fitticheeiner Parteidiktatur begeben musste, in

Hongkong das unterentwickelte politischeBewusstsein, das vom reinen Geschäft allzu-oft in den Hintergrund gedrängt wird, erheb-lich gefördert hat. Bei dem oft heftigen Streitder letzten Jahre um die politischen Institu-tionen und die Bürgerrechte, um das richtigeVerhalten gegenüber den zukünftigen Mei-stern ging es letztlich um die politischeEssenz Hongkongs, aus der heraus sich derwirtschaftliche Erfolg der Kronkolonie ent-wickelte. Das Bewusstsein, ein mündigerBürger zu sein, ist durch Pattens Kurs beimanchem Bewohner der Hafenstadt, welchevon immer mehr Leuten nicht nur als ökono-misch bedingte Durchgangsstation, sondernals eigentliche Heimat verstanden wird, ge-stärkt worden.

Es ist der neuen chinesischen Sonder-region zu wünschen, dass sie dieses britischeErbe weiter pflegen kann und es auch zumehren versucht, damit sie nicht vor lauterAnpassung in das chinesische Fahrwasserdes dauernden, immer wieder zu Lähmun-gen führenden Widerspruchs zwischen wirt-schaftlichem Fortschritt und politischerRückständigkeit gerät. Asiaten scheinen zwarbesser mit Widersprüchen leben zu könnenals Europäer und Amerikaner, doch im Falleeiner grossen internationalen Wirtschafts-metropole geht es nicht allein um asiatischesLebensgefühl, sondern ebensosehr um rei-bungslose und erfolgreiche Verbindungen

mit der Aussenwelt. Gerade in dieser Hin-sicht hatte Hongkong bisher - etwa im Ver-gleich zum aufstrebenden Schanghai -wegen seiner freiheitlichen und rechtsstaat-lichen Basis enorme Vorteile.

Pattens chinesischer Nachfolger, TungChee-hwa, wird sich auf eine Gratwande-rung begeben müssen, wobei allerdings nichtanzunehmen ist, dass er sich im Zweifelsfallden Pekinger Anweisungen entgegenstellt.

Zu sehr ist er von der chinesischen Füh-rungsspitze abhängig. In politisch heiklenFragen, wie etwa der Ersetzung der Legisla-

tive oder der Zurückstutzung von politischenRechten, verhält er sich bisher als Sprach-

rohr Pekings. Doch hat er auch in beruhigen-

der Weise Signale der Kontinuität gesetzt,beispielsweise mit der fast vollständigenÜbernahme von Pattens Verwaltungsteams

und der Berufung eines hochangesehenen,

vom englischen Gewohnheitsrecht geprägten

Juristen zum obersten Richter.

Die Volksrepublik China hat in ihrerersten Nacht in Hongkong unter Anwesen-heit ihrer Führungsspitzen mit militärischenund politischen Symbolen kräftig Präsenzmarkiert. Es ist zu hoffen, dass nach diesemEinstand der Hongkonger Alltag wieder ein-kehrt und Jiang Zemin und Lei Peng ihrePekinger Gewohnheiten wieder mit nachHause nehmen.

B. W. (Hongkong)

sowie der konservativen Partei der Demokrati-schen Türkei (DTP). Sie soll im Parlament vonder sozialdemokratischen RepublikanischenVolkspartei, von rund fünfzehn unabhängigenAbgeordneten sowie von zwei Abgeordneten derrechtsextremen Nationalistischen Aktionsparteiunterstützt werden. Die Zusammensetzung desKabinetts streicht den kemalistischen Charakterder Minderheitsregierung heraus. Ecevit, der so-wohl in der Kurdenfrage wie auch in der Reli-gionsfrage eine dogmatische Politik verfolgt,wurde Vize-Regierungschef. Sein Ziehkind IsmailCem ist neuer Aussenminister. Der stellvertre-tende DTP-Führer Sezgin ist ebenfalls Vize-Regierungschef und gleichzeitig Verteidigungs-

minister. Für das Justiz- und das Innenministe-rium sind Anap-Mitglieder zuständig. Yilmazäusserte die Hoffnung, dass der angestrebte ge-sellschaftliche Kompromiss die innenpolitischeLage entspannen werde.

Reger Abgeordneten-Transfer

Der versprochene Kompromiss wird aber vor-erst die Niederlage von einem der beiden konser-vativen Führer zur Folge haben. Seit dem letztenJahrzehnt kämpfen die Anap und die Partei desRechten Weges (DYP) um die Führungsrolle imkonservativen Lager. Dieses unter seiner Führungzu vereinigen ist das erklärte Ziel des neuenRegierungschefs, aber auch der Armeeführung.Beide glauben, dass nur die Wiedervereinigung

der Konservativen garantieren könne, dass dieIslamisten nie mehr an die Macht gelangen. Derrege Übertritt von DYP-Abgeordneten zeigt, wel-che Niederlage die DYP-Chefin Ciller einsteckenmusste. Seit Freitag haben neun Deputierte diePartei verlassen, laut eigenen Angaben aus Angstvor einer Vertiefung der Krise, laut anderen Quel-len, weil sie dafür teuer bezahlt wurden. DieserTransfer verspricht indessen, dass die Minder-heitsregierung die Vertrauensabs'immung im Par-lament, die innerhalb der nächsten 10 Tage erfol-gen soll, gewinnt. Das Yilmaz-freundliche Lager

hat im 550köpfigen Parlament nun eine Mehrheitvon schätzungsweise 280 Sitzen.

(Kommentar Seite 3)

KurzmeldungenVietnam verteidigt die Todesstrafe. Die vietnamesi-

sche Regierung hat am Montag die vermehrte Vollstrek-kung der Todesstrafe verteidigt. Dies zeige die Ent-schlossenheit der Regierung, das Verbrechen zu be-kämpfen. Eine französische Menschenrechtsgruppe hat-te in der vergangenen Woche kritisiert, dass in Vietnamdie Todesstrafe auch für Wirtschaftsverbrechen verhängt

werde. Im vergangenen Jahr seien in Vietnam 1 13 Men-schen zum Tode verurteilt und 16 dieser Urteile voll-streckt worden. (ap)

Gespräche Seoul - Pjongjang wiederaufgenommen.

Nord- und Südkorea haben nach zweimonatiger Unter-brechung die Gespräche über einen Friedensvertragwiederaufgenommen. Zunächst geht es um eine Verein-barung zur Aufnahme von Vierparteien-Gesprilchen, andenen auch die USA und China teilnehmen sollen. Dieletzte Gesprächsrunde scheiterte an der Forderung dernordkoreanischen Regierung, Friedensverhandlungen

von Lebensmittelhilfe abhängig zu machen. (ap)

Neue Zürcher Zeitung vom 01.07.1997