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Siegfried Mattl Back to the future. Die Neuregulierung des ästerreichischen Fernseh,marktes Nun ist er also endlich geschafft, der Einstieg ins »duale System« von öffentlichem und privatem TY. Das heißt, eigentlich lebte man in Österreich ohnedies bereits seit 1989 dank deutscher und türkischer Satelliten-Sender in einem vielleicht bescheide- nen, aber das Format bestimmenden Ausmaß unter telematischem Pluralismus. Mit der konstanten fünfjährigen Verspätung auf die popularkulturellen Wenden in der BRD hat sich dann auch der ORF verstärkt den trivialen Shows und dem Infotain- ment gewidmet, die im Ensemble, wie es Pierre Bourdieu gesagt hat, »eine perverse Form direkter Demokratie« grassieren lassen.' Das neue Rundfunkgesetz im Ver- bund mit dem Privatfernsehgesetz, in Kraft getreten am 1. August 2001, sollte nun die ökonomischen Effekte der TV-Explosion und verwandter Güter (wie emergen- ter digitaler Dienste) regeln. Am Ende aber hat es den Anschein, als habe sich die im Amt befindliche österreichische Regierung vor al'lem darum bemüht, ihr politisches Steuerungspotential im Kontext dieser Form von Demokratie abzusichern. Begonnen hat es, wie so vieles, mit der Deregulierungsphilosophie der EU. Um das (nationale) Gebühren-TV weiterhin tolerieren zu können, verlangt die Europäi- sche Kommission zuletzt im Jahr 2000 von den öffentlich-rechtlichen Sendern eine klare konten- und kostenrechnungsmäßige Trennung von Dienstleistungen im all- gemeinen wirtschaftlichen Interesse und sonstigen Geschäftsbereichen. Damit wurde auch eine Neufassung des Auftrags des ORF einschließlich der Trennung von öffentlichem Programmauftrag und kommerziellen Nebentätigkeiten fällig. Parallel verstärkten vor allem die österreichischen Zeitungsunternehmer ihren poli- tischen Druck hinsichtlich der Beschränkung der ORF-Werbeeinnahmen, ohne de- ren Neuverteilung zu ihren Gunsten künftige kommerzielle Privat-TV-Betreiber nicht überlebensfähig scheinen. 2 Zugleich schrieben die EU-Fernsehrichtllnien den Regierungen vor, »der Öffentlichkeit breiten Zugang zur Fernsehberichterstattung über nationale oder nicht-nationale Ereignisse« - was auch immer das genau sein mag - zu sichern. (Im Klartext heißt dies: Sender dürfen Exklusivrechte an Übertra- gungen nicht mit der EmJDfangsmöglichkeit ausschließlich durch spezielle oder ge- bührenpflichtige Dekoder koppeln.) Doch während ÖVP und FPÖ es noch im April 2000 mit einer Adaptierung des bestehenden Rundfunkgesetzes bewenden lassen wollten, während im damaligen Gesetzesantrag vor allem der Regulierung von Tele- ÖZG 12.2001.4 129

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Siegfried Mattl

Back to the future. Die Neuregulierung des ästerreichischen Fernseh,marktes

Nun ist er also endlich geschafft, der Einstieg ins »duale System« von öffentlichem

und privatem TY. Das heißt, eigentlich lebte man in Österreich ohnedies bereits seit 1989 dank deutscher und türkischer Satelliten-Sender in einem vielleicht bescheide­nen, aber das Format bestimmenden Ausmaß unter telematischem Pluralismus. Mit der konstanten fünf jährigen Verspätung auf die popularkulturellen Wenden in der BRD hat sich dann auch der ORF verstärkt den trivialen Shows und dem Infotain­ment gewidmet, die im Ensemble, wie es Pierre Bourdieu gesagt hat, »eine perverse Form direkter Demokratie« grassieren lassen.' Das neue Rundfunkgesetz im Ver­bund mit dem Privatfernsehgesetz, in Kraft getreten am 1. August 2001, sollte nun

die ökonomischen Effekte der TV-Explosion und verwandter Güter (wie emergen­ter digitaler Dienste) regeln. Am Ende aber hat es den Anschein, als habe sich die im

Amt befindliche österreichische Regierung vor al'lem darum bemüht, ihr politisches

Steuerungspotential im Kontext dieser Form von Demokratie abzusichern. Begonnen hat es, wie so vieles, mit der Deregulierungsphilosophie der EU. Um

das (nationale) Gebühren-TV weiterhin tolerieren zu können, verlangt die Europäi­sche Kommission zuletzt im Jahr 2000 von den öffentlich-rechtlichen Sendern eine klare konten- und kostenrechnungsmäßige Trennung von Dienstleistungen im all­gemeinen wirtschaftlichen Interesse und sonstigen Geschäftsbereichen. Damit wurde auch eine Neufassung des Auftrags des ORF einschließlich der Trennung von öffentlichem Programmauftrag und kommerziellen Nebentätigkeiten fällig. Parallel verstärkten vor allem die österreichischen Zeitungsunternehmer ihren poli­tischen Druck hinsichtlich der Beschränkung der ORF-Werbeeinnahmen, ohne de­ren Neuverteilung zu ihren Gunsten künftige kommerzielle Privat-TV-Betreiber nicht überlebensfähig scheinen.2 Zugleich schrieben die EU-Fernsehrichtllnien den Regierungen vor, »der Öffentlichkeit breiten Zugang zur Fernsehberichterstattung über nationale oder nicht-nationale Ereignisse« - was auch immer das genau sein mag - zu sichern. (Im Klartext heißt dies: Sender dürfen Exklusivrechte an Übertra­gungen nicht mit der EmJDfangsmöglichkeit ausschließlich durch spezielle oder ge­bührenpflichtige Dekoder koppeln.) Doch während ÖVP und FPÖ es noch im April 2000 mit einer Adaptierung des bestehenden Rundfunkgesetzes bewenden lassen wollten, während im damaligen Gesetzesantrag vor allem der Regulierung von Tele-

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shopping und Werbezeiten, der Quotierung von Sendungen »europäischer Werke«

sowie dem Schutz Jugendlicher durch Kennzeichnung jugendgefährdender Sendun­

gen Priorität zugewiesen wurde, stellen die beiden Gesetze vom Juli 2001 eine To­

talreform der österreichischen TV-Srruktur dar; am prägnantesten zum Ausdruck

gebracht durch die Neuorganisation des ORF als Stiftung.

Was die HistorikerInnen im Text des neuen ORF-Gesetzes3 am meisten verblüf­

fen muss, ist das Beharren der naiven bildungs- und demokratiepolitischen Phraseo­

logie, die für die Einführungsphase des Fernsehens kennzeichnend war. Was das (öf­

fentliche) Fernsehen soll, also der Programmauftrag, überschreitet das Maß eines josephinisch-aufklärerischen Staatsprogramms um Längen. Nicht nur, dass sich der

ORF um »die umfassende Information der Allgemeinheit über alle wichtigen politi­

schen, sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und sportlichen Fragen« zu kümmern

hat, muss er im DetaiJ auch »die österreichische Identität im Blickwinkel der eu­

ropäischen Geschichte und Integration« fördern, alle Altersgruppen, beide Ge­

schlechter, die gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften und.

die behinderten Menschen angemessen in seinen Programmen berücksichtigen, für Gesundheit, sportliche Betätigung und Bildung sorgen, dabei die europäische Inte­gration und das Verständnis für die umfassende Landesverteidigung fördern usw. Die »Darbietung von Unterhaltung« nimmt sich im weiten Kontext von Bildungs­

und Kulturaufgaben so bescheiden aus, dass man beinahe schon um den Fortbe­

stand von Sendungen wie dem Grand Prix der Volksmusik bangen müsste - sofern

nicht gerade dies mit der» Förderung der regionalen Identitäten der Bundesländer«

gemeint ist. In all dem (und mehr) ist der ORF programmauftragsgemäß zu hoher

Qualität und. einer gleichwertigen Präsentation »anspruchsvoller Inhalte« (definiti­

onsgemäß zur prime-time zwischen 20 und 22 Uhr) verpflichtet. Vielfalt und Aus­

gewogenheit und Unabhängigkeit der Journalisten kommen dazu. Etwas vom kul­turalistisch-nationalistischen Medienverständnis des Gesetzgebers schlägt sich so­

gar im parallelen PRIVAT-TV-Gesetz nieder. Die Regulierungsbehörde wird bei der Lizenzvergabe für analoges terrestrisches Fernsehen neben Meinungsvielfalt, Poten­zial zur Eigenproduktion und Verbindung zur lokalen Wirtschaft vor allem zu be­

werten haben, in welchem Ausmaß die privaten Bewerber »eine Darstellung des

kulturellen, künstlerischen, politischen und sozialen Lebens, des österreichischen

SportS oder sonstiger, die Charakteristik Österreichs vermittelnder Elemente« bie­

ten.

Nun hat neben vielen anderen John Ellis in Visible Fictions 4 das Nötige zur Epi­stemologie des Fernsehens gesagt, nämlich dass in charakteristischem Gegensatz zu den temporalen und auktorialen Voraussetzungen des literarischen Bildungsro­mans, der sich in solchen Auflagen wiederfindet, das Fernsehen als »Plattform« wiederkehrender immediater Ereignisse dient, aus denen nichts zu lernen ist, da sie stets nur in die Gegenwart zurückführen. Der Auftrag, Bildung und kulturelle Iden­titäten zu vermitteln, verschleiert auf plumpe Weise, dass das Fernsehen selbst jene Kultur stiftet, die Bildung auf maximal entleerte Signifikanten reduziert und Iden-

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tität auf dramatische Effekte. Problematisch am neuen Gesetz ist jedoch, jenseits der Kulturkritik, der normative Charakter, mit dem »legitime« Kollektive und Insti­

tutionen konstruiert und starke Identitäten behauptet werden - im Endeffekt eine

abstruse Amalgamierung von politischer Macht (beispielsweise jene der Landes­hauptleute) mit Attitüden von political carrectness (repräsentiert durch das höchst

eigenwillig selegierte Sparten-Publikum). So errichtet man die Fiktion autonomer

u.nd medial verhandelbarer Felder. Faktischer Pluralismus in öffentlich-rechtlichen Sendern müsste, anstatt den Programmauftrag taxativ nach den dominanten Kräf­

ten zu distribuieren, dynamisch mit Schutzbestimmungen für emergente kulturelle Phänomene argumentieren: Mit gesetzlichen Frequenznutzungsrechten für nicht­kommerzieHe kulture'lle und politische Initiativen, mit Finanzierungsaufträgen von Experimental- und Nischen-ProduktenS, mit offenen Formaten für MigrantInnen, Marginalisierte und >Abweichler< aller Art.

Fernsehen, so sagt Stuart Hall,6 hat wie kein anderes Medium zur Homogenisie­rung der Bevölkerungen und zur Entwicklung einer nationalen Standard-Kultur beigetragen; sogar in England, meint Hall, wo erst BBC eine akzeptierte allgemeine

Sprachkultur geschaffen habe. Seit den frühen Tagen des österreichischen Rund­

funks ist damit die Frage verknüpft, wer denn in diesem System repräsentiert sein darf; und seit diesen Tagen akzeptierte man in der Unternehmenspolitik des ORF wie im Programm einen fein ausgewogenen politisch-sozialen Proporz zwischen dem katholisch-konservativen Parteien-, Vereins- und Institutionen-Geflecht und seinem sozialdemokratischen Konterparr. Dies scheint nun, mit der Reorganisation des ORF als Stiftung, zu Ende zu gehen. Während die beiden dominanten christli­

chen Kirchen ihre Sonderstellung bewahrt haben, und dies nicht nur im Programm­auftrag, bei der Bestellung des neu eingerichteten Publikumsrates und selbst noch in der Regelung der TV-Werbung - die Übertragung von Gottesdiensten darf explizit nicht durch Werbung unterbrochen werden -, während die Kirchen auch im Privat­TV-Gesetz gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium als einzige unter den juri­stischen Personen öffentlichen Rechts auch als Privat-Fernsehunternehmen zugelas­sen sind, kommt eine tatsächliche Machtstellung sonst nur noch den Bundeslän­dern, dem Bundeskanzler und der Bundesregierung zu. Dass damit die »Entpoliti­sierung« des ORF fixiert wird, die die Sprecher der beiden Regierungsparteien als ein Hauptziel der Reform herausgestellt haben, darf bezweifelt werden. Der neue ORF jedenfalls wird folgende Organe aufweisen: einen Stiftungsrat, den Generaldi­rektor, den Publikumsrat und die Prüfungskommission. Der Stiftungsrat wird durch die Bestellung und Kontrolle des Generaldirektors und der Geschäftsführung, die Genehmigung der Investitions- und Beschäftigungspläne, die Beschlussfassung über Gebühren und Werbeeinnahmen, weiters durch seine notwendige Zustimmung zu den Programmplänen, den Spartenprogrammen, zu Gründung und Betrieb von Tochterfirmen (wie On-line-Diensten) usw. die entscheidende Größe werden. Um so wichtiger natürlich seine Zusammensetzung, die mit der jetzigen Form der Parteien­vertretungen in den ORF-Gremien Schluss machen soll. Von den 35 Mitgliedern

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des Stiftungsrates, der für eine vierjährige Amtsperiode besteHt wird, werden 6 von

der Bundesregierung unter Berücksichtigung der Stärke der Parlamentsparteien und

unter» Bedachtnahrne« auf deren Vorschläge bestellt, 9 Mitglieder von den Bundes­

ländern, 9 weitere wiederum von der Bundesregierung, 6 vom Publikumsrat und 5

vom Zentralbetriebsrat. Bundespo:litiker sowie Angestellte der Parlamentsklubs

und der Parteiakademien sind - neben einigen anderen speziell genannten Gruppen

- als Kandidaten ausgeschlossen. Nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit wird

sich die Bundesregierung damit immer einer klaren Mehrheit im Stiftungsrat er­

freuen. (Derzeit könnten es schon einmal mehr als zwanzig sein.) Und was jede Re­gierung noch mehr freuen wird (und zugleich den Grad der »Entpolitisierung« des ORF erhellt): Bei einem Regierungswechsel können alle von der Regierung nomi­

nierten Stiftungsräte abberufen werden. Um so wichtiger scheint auf den ersten Blick das Gegenstück des Publikumsra­

tes, der gleichfalls 35 Mitglieder besitzt, einige Politiker- und Beamtenkategorien ausschließt, dafür aber ein Lehrstück ständischer Repräsentativverfassung mit au­toritativen Zügen bietet: Je ein Mitglied bestellen die Wirtschafts- und die Arbeiter­

kammer, die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern, der ÖGB und die Kammern der Freien Berufe gemeinsam. Neben den Institutionen der Sozialpartner­

schaft nominieren jeweils ein Mitglied, die römisch-katholische und die evangeli­

sche Kirche, die politischen Akademien der Parlamentsparteien und die Akademie

der Wissenschaft. Siebzehn [!] Mitglieder, wenn ich recht gezählt habe, werden vom

Bundeskanzler aufgrund von Vorschlägen seitens Einrichtung und Organisationen

ernannt, die für »Bereiche bzw. Gruppen [wie Hochschulen, Bildung, Kunst, Sport,

Jugend, ältere Menschen ... ] repräsentativ« sind. 6 Mitglieder werden durch die

Rundfunkteilnehmer aus Kandidatenlisten gewählt, die von Jugend-, Eltern-, Sport-,

Konsumenten-Organisationen (und weiteren) vorgeschlagen werden. Der Publi­

kumsrat hat vor allem beratende Funktion für die Programmgestaltung und die

»Qualitätssicherung«, und er kann die Gebührenfestsetzung durch den Stiftlingsrat

(mit aufschiebender Wirkung) beeinspruchen. Wiederum ist den Kirchen eine Son­derstellung eingeräumt, denen mindestens je ein Delegierung in den Stiftungsrat zu­steht.

Die Konfrontation der politischen Strukturen der neuen ORF-Gremien mit den demokratiepolitischen Effekten des Fernsehens führt uns auf einen Anachronismus hin: Während, wie Stephen Heat analysiert hat/ das Medium Fernsehen die räson­nierende Öffentlichkeit der Versammlung und der Presse in eine quantitativ be­

stimmte Ortung von Geschmack verschoben hat, die nichts mehr mit der Repräsen­

tation gesellschaft'licher Interessen zu schaffen hat, führt das ORF-Stiftungsgesetz gerade wieder in eine vormoderne ständische Demokratie zurück, die in nicht uner­

heblichem Ausmaß von einem Souverän und seinen Statthaltern (den Landeshaupt­leuten) reguliert wird. Statt der Partizipation arbiträrer audiences, die Produkt wie Adressat der durch das Fernsehen konstruierten Medienrealität sind, werden voka­

tionale und soziale Kategorien zu Trägern des »öffentlichen« Charakters des ORF

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gemacht, die sich im Grunde durch nichts anderes auszeichnen können als durch

die Verflochtenheit mit der politischen Klasse.

In Fernsehen. Modelle der Medien- und Fernsehtheorie kommt Heidemarie SchumacherR für die BRD zum Schluss, dass der technologische Einbruch des Satel­

litenfernsehens die Entwicklung vom Populärmedium mit bildungsbürgerlicher Ori­

entierung zum marktorientierten Medium gewaltig beschleunigt habe. RTL, so

Schumacher, setzt mit Personality-Shows und infotainment seitdem die Trends in

einem oligopolistischen Markt, der sich indirekter monetärer Mechanismen be­dient: Werbung und Sponsoring folgen den Quotenentwicklungen nach und zwin­gen die Kanäle zu neuen Strategien, mit denen sie eine Corpora te identity immer hart an der Unterscheidungslinie zum Marktführer verstärken. Die Kultur des TV, so kann man Schumacher resümieren, entscheidet sich nicht diskursiv, sondern ökonomisch. Um so heftiger umstritten war deshalb im Vorfeld der beiden Fernseh­gesetze die Regulierung der ORF-Werbung, die nach Meinung des hierbei führen­den österreichischen Zeitungsherausgeberverbandes entschieden reduziert werden sollte, um privatem TV eine Chance zu geben. Das ORF-Stiftungsgesetz ist dem nur in Nuancen nachgekommen. Zwar hat es über den ORF ein völliges Verbot von Te­leshopping verhängt und die Werbezeiten auf 5 Prozent der täglichen Sendezeit im

Jahresdurchschnitt beschränkt, doch gleichzeitig hat es einige, vor allem pro­grammrelevante Werbe-Restriktionen sogar gelockert. Künftig ist es dem ORF ge­stattet, Kino- und Fernsehfilme einmal in jeder _ Stunde Sendezeit zu unterbrechen. Product placement (im Rahmen von Filmen und Serien) und Sponsoring sind inner­halb evidenter politisch-moralischer Grenzen erlaubt. Mit anderen Worten: Der ORF behält das Mischsystem der Finanzierung aus Gebühren und Werbeeinnah­men, und er bekommt noch mehr Freizügigkeit bei der Vermarktung seiner Sende­zeit hinzu. Im Effekt kommt dies natürlich dem Eingeständnis gleich, dass der Ge­

setzgeber ohnedies nicht an den von ihm gesetzten Programmauftrag glaubt und die

Essenz des Fernsehens, das heißt die kaleidoskopische Verstreuung von Spektakeln, sich restlos realisieren wird.

Wenn wir zuvor Pierre Bourdieu mit seinem Verdikt über die "perverse Demo­kratie« des TV zitiert haben, so suggeriert dies eine apokalyptische Einstellung, die die Ambiva'lenz der vom privaten Fernsehen vorangetriebenen artifiziellen Welten nicht ganz zu schätzen wüsste. Tatsächlich, so Bourdieu mit Blick auf die karnevale­ske Untergrabung der gebieterischen Erhabenheit des nat,ionalen Fernsehzeitalters,

sei das "pädagogisch-paternalistische« Fernsehen der Vergangenheit einer demo­kratischen Nutzung genauso verständnislos gegenübergestanden wie der heutige populistische Spontaneismus des Talk-Show-Ty'9 Das Rettende liegt auch für ihn nicht in der Rückkehr zur politischen Regulation, sondern in der Subvertierung. Im Falle des ORF gilt dies um so mehr, als er - da ist den Interventionen der ORF-Ge­waltigen recht zu geben - nur noch ein Rückzugsgefecht gegen die großen TV-An­stalten der BRD liefert. Der Markt, nicht die Rechtslage sei entscheidend, dass die lokalen Privatanstalten nicht und nicht weiterkommen, so die Neue Zürcher Zei-

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tung über die parallelen Entwicklungen in der Schweiz und in Österreich. Das Wer­

beaufkommen, so die NZZ, stagniert in beiden Ländern seit Jahren (bei etwas un­

ter 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts), so wie auch der Fernsehkonsum (und da­mit die potenziell vermarktbare Werbezeit) stagniert (bei 146 bzw. 148 Minuten

pro Tag). Ein österreichischer Privatsender müsste deshalb, so rechnet die NZZ vor, einen Zuschauermarkt von 20 Prozent - der ORF hält derzeit einen Marktanteil

von ca. 50 Prozent - erreichen, um die Untergrenze der Kostendeckung für ein Voll­programm zu erzielen. »Sprachliches Lokalkolorit« reicht nicht zur programmati­schen Differenzierung gegenüber den deutschen Konkurrenten mit ihren öster­reichischen Werbefenstern, und, was noch viel schwerer wiegt, dem Fernsehen ist die kulturelle Innovationskraft, die es in den 1980ern gesellschaftlich zentral hat werden lassen, abhanden gekommen. Die nächste Wende, so die Neue Zürcher Zei­tung, vollzieht sich anderswo (... ).10

Die nächste Wende, das ist die Digitalisierung der Programme - und das ist auch der harte künftige ökonomische Konfliktbereich, in dem ORF-Stiftungsgesetz wie das Privat-TV-Gesetz sich derzeit faktisch neutralisieren. Während der ORF freie Hand bekommen hat, auf rein kommerzieller Basis und ohne Inanspruchnahme

von Gebühren in die elektronischen Dienste einzusteigen, fixiert das Privat-TV-Ge­setz kurioserweise die Sammlung der ORF-Konkurrenz als »Digitale Plattform Aus­

tria« unter der Patronanz des Bundeskanzlers. Dieser wird» Rundfunkveranstalter, Dienstanbieter, Netzbetreiber, Industrie, Handel, Wissenschaft, Länder und Ver­braucher« wie es heißt »einladen«, die Regierung bei der Erstellung des technisch­

ökonomischen Konzepts für ein digitales Fernsehen zu beraten. Die öffentliche De­batte über die Grundstruktur des »e1ectronic marketplace«, die lange vorhergesagte Fusion von TV+PC, das »personal TV«, dem Spezialisten wie Stuart Brand schon vor fünfzehn Jahren eine noch viel umstürzende re Wirkung auf Politik und Alltag

prophezeit haben als sie das Fernsehen je gehabt hat, wird also in der neuen Fern­sehgesetzlichkeit vergraben und als Chefsache den Lobbyisten offeriert. Inzwischen werden die Zeitungsherausgeber, die sich stets als launig angriffslustig auf das ORF-Monopol gezeigt haben, gemäß ORF-Stiftungsgesetz mit regionalen» Fen­stern« im öffentlichen Fernsehen stillgestellt. Unterm Strich bezahlen wir die Öff­nung des Marktes mit der Beglückung durch einen kulturellen Zwangskorporatis­mus, der sich selbst vorgaukelt, die normative kJeinstaatliche Welt der sechziger Jahre samt ihren Autoritäten aus Staat, Kirche und Autofahrerklubs noch einmal zu erretten.

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Anmerkungen

Pierre Bourdieu, Über das Fernsehen, Frankfurt am Main. 1998,91. Vgl. das Gutachten der Bayerischen Landesanstalt für Medienkunde im Auftrag des VÖZ,

worin unter anderem die Reduktion der Werbung im ORF von 42 auf zumindest 35 Minuten

täglich gefordert wurde; www.st-poelten.at/medienJnews/20010214-privattv.ntml

Ich beziehe mich auf die zur Zeit der Abfassung dieses Beitrages zugänglichen Antragsversionen

zum ORF- und zum Privat-TV-Gesetz, nach www.voez.ar/Privat-TV-Gesetz.5-7-2001.pdf und

http://roi.orf.at/deutschlorfgesetz/down/orfgesetz.doc

John EHis, Visible Fictions, London u. New York 1982, insb. 118 H.

Die diesbezüglichen gesetzlichen Bestimmungen, wonach 10% der Sendezeit des ORF (exklu­

sive Nachrichten, Sport, Spielshows u. a.) oder alternativ 10% der Haushaltsmittel für "Sen­dungen europäischer Werke« von TV-unabhängigen Produzenten verwendet werden sollen,

scheinen mir viel zu vage, um Innovationen in der Art des britischen unabhängigen Films der 80er Jahre auslösen zu können. Vgl. Smart Hall, MassenkuJrur und Staat, in: Nora Räthzel, Hg., Stuart HaU. Ausgewählte Schriften, Hamburg 1989, insb.119f.

Stephen Heat, Representing Television, in: Siegfried Mattl u. a., Hg., Bild und Geschichte, Inns­bruck 1997, 129 H.

Heidemarie Schumacher, Fernsehen. Modelle der Medien- lind Fernsehtheorie, Köln 2000, 191 H.

Bourdieu, Fernsehen, wie Anm.l, 68. 10 vgl. Neue Zürcher Zeitung, 1.Mai 2001,51.

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