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1042. Der Dombaumeister zu Bamberg. Mündlich. Der Dombau zu Bamberg war einem griechischen Meister aufgetragen. Zu diesem kam ein Jüngling mit der Bitte, er wolle ihn zum Gehilfen nehmen, da man doch zu zweien gewißlich weiter komme, als wenn einer das riesenhafte Werk zu fördern habe. Der Dombaumeister willigte in den Vorschlag und übertrug dem Gehilfen den Bau des Peterthores, während er selbst das Georgenthor übernahm. So arbeiteten die zwei rastlos an dem Werke, ein jeder bemüht es dem andern in Schnelligkeit und Tüchtigkeit des Baues zuvorzuthun. Bald bemerkte man aber, daß der Bau des Georgenthores viel rascher von Statten ging. Das verdroß den Jüngling sehr, und als er sich nicht mehr zu helfen wußte, verschrieb er seine Seele dem Teufel, auf daß ihm dieser Rath schaffen sollte. Von Stund' an änderte sich die Sache. Das Petersthor stieg rascher in die Höhe, während an dem Georgenthor kein Fortschritt bemerklich war; was man des Tages schaffte, fiel zu Nachts wieder ein; denn zwei ungeheure Thiere, halb Kröten, halb Löwen, umschlichen das Werk und unterwühlten die Arbeit des Dombaumeisters. Wie nun der Teufel gedachte, sein Versprechen gelöst und den Ehrgeiz des Jünglings befriedigt zu haben, lud er diesen eines Tages ein, mit ihm auf die Höhe des Petersthores zu steigen und sich das Bauwerk von oben herab anzusehen. Der Jüngling folgte; als er nun oben stand, ergriff ihn der Teufel und schleuderte ihn jählings von der Höhe hinab. 1049. Kunigundens Ring. Von G.F. Keller. – W. Oetter Betrachtung über den Handschuh der Gräfin Stilla von Abensberg. Leipzig 1783. S. 6. Der Frühling stieg vom Himmel nieder In feierlicher Jugendpracht; Es hellte sich des Winters Nacht, Und aus den Felsen strömte wieder Der Quellen silberrein Kristall, Es sang im Hain die Nachtigall. Da lud des Lenzes freundlich Grüßen Hin zu dem neubelebten Hain

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1042. Der Dombaumeister zu Bamberg.

Mündlich.

Der Dombau zu Bamberg war einem griechischen Meister aufgetragen. Zu diesem kam ein Jüngling mit der Bitte, er wolle ihn zum Gehilfen nehmen, da man doch zu zweien gewißlich weiter komme, als wenn einer das riesenhafte Werk zu fördern habe. Der Dombaumeister willigte in den Vorschlag und übertrug dem Gehilfen den Bau des Peterthores, während er selbst das Georgenthor übernahm. So arbeiteten die zwei rastlos an dem Werke, ein jeder bemüht es dem andern in Schnelligkeit und Tüchtigkeit des Baues zuvorzuthun. Bald bemerkte man aber, daß der Bau des Georgenthores viel rascher von Statten ging. Das verdroß den Jüngling sehr, und als er sich nicht mehr zu helfen wußte, verschrieb er seine Seele dem Teufel, auf daß ihm dieser Rath schaffen sollte. Von Stund' an änderte sich die Sache. Das Petersthor stieg rascher in die Höhe, während an dem Georgenthor kein Fortschritt bemerklich war; was man des Tages schaffte, fiel zu Nachts wieder ein; denn zwei ungeheure Thiere, halb Kröten, halb Löwen, umschlichen das Werk und unterwühlten die Arbeit des Dombaumeisters. Wie nun der Teufel gedachte, sein Versprechen gelöst und den Ehrgeiz des Jünglings befriedigt zu haben, lud er diesen eines Tages ein, mit ihm auf die Höhe des Petersthores zu steigen und sich das Bauwerk von oben herab anzusehen. Der Jüngling folgte; als er nun oben stand, ergriff ihn der Teufel und schleuderte ihn jählings von der Höhe hinab.

1049. Kunigundens Ring.

Von G.F. Keller. – W. Oetter Betrachtung über den Handschuh der Gräfin Stilla von Abensberg. Leipzig 1783. S. 6.

Der Frühling stieg vom Himmel nieder In feierlicher Jugendpracht; Es hellte sich des Winters Nacht, Und aus den Felsen strömte wieder Der Quellen silberrein Kristall, Es sang im Hain die Nachtigall.

Da lud des Lenzes freundlich Grüßen Hin zu dem neubelebten Hain Die reine Kunigundis ein, Das Fest der Schöpfung zu genießen. Aus Babenberg mit heitrer Brust Geht sie und schlürft des Frühlings Lust.

Ihr folgen viele Kammerfrauen, Es war ihr Marschalk auch dabei; Sie fühlen ihre Brust so frei, Als sie das rege Leben schauen. Dem Herrn, der über Sternen geht, Dankt ihr inbrünstiges Gebet.

Und als sie hier in frommem Sinnen Andächtig still beisammen steh'n

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Und Gottes schöne Gaben seh'n, Hört man der Glocken Spiel beginnen Zu Babenberg. Zum Beten zieht Von Neuem sie das Morgenlied.

Und als sie das Gebet geendet, Der feine Marschalk dieses spricht, Als er mit heitrem Angesicht Sich zu der Kaiserin gewendet; »Hört Ihr, wie Euer Glöckelein Vor Heinrichs Glocke tönt so fein!

Wie tönet es so rein und helle, So rein wie Eure edle Brust; Wer lebt, dem nicht mit hoher Lust Bei dem Getön die Seele schwelle? Ihr seid des Kaisers schönste Zier, Drum Euer Glöcklein tönt herfür.«

Und alle Kammerfrauen nicken Dem Marschalk ihren Beifall zu; Doch Kunigund in heil'ger Ruh' Mit tiefgesenkten Demuthsblicken Sprach zu dem feinen Mareschall Mit ihrer Stimme Silberschall:

»Nicht also, Marschalk! müßt Ihr sprechen, Die Demuth ist des Weibes Pflicht. Besitzet es die Tugend nicht, Wird bald der Kranz des Ruhmes brechen. Es sei dem auserwählten Mann' Des Weibes Herz stets unterthan.«

Und von des Fingers schöner Runde Nahm einen zarten, goldnen Ring, Den sie von ihrem Herrn empfing, Die demuthreiche Kunigunde. Sie hoch empor das Ringlein hält, Es eilig dann nach Bamberg schnellt.

Und unsichtbare Hände tragen Das Ringlein, wie im wilden Sturm, Hin in des Domes hohen Thurm, Es in die Glocke fest zu schlagen, Es fließt der Glocke Silberstrahl Nun leiser in das Frühlingsthal.

Des Kaisers Glocke tönet lauter

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In's Weite nun voll Majestät, Und Kunigundens Glöcklein weht Zur Seite ihm nun leiser, trauter, Und kündet wie ein Cherubin: Voll Demuth sei des Weibes Sinn.

1050. Hüffoholz.

Sollerius vita S. Henr. p. 750. Arnpekh chron. Bajoar. l. IV., c. 19. Brusch chron. mon. Germ. p. 312. Adlzreiter ann. P. I. l. 16, p. 400. Hoffmann ann. Bamb. p. 38. Crusius Schwäb. Chron. I., 427. Brunner annal. boici p. 11., l. 9 p. 760. A. Crammer vita S. Henr. p. 36; u.A.

Als Kaiser Heinrich der Heilige eines Tages der Lust des Waidwerkes pflag, brach unerwartet aus dem Dickicht ein mächtiger Keuler hervor. Der Kaiser war allein und von seinem Gefolge verlassen. In dieser Noth griff er schnell zur Wehre, aber der Keuler schlitzte ihm mit seinem Hauer den Schenkel auf. In demselben Augenblicke traf Heinrich das Thier mit seiner Lanze, aber das Blut quoll reichlich aus der ihm versetzten Wunde am Schenkel, so daß er erschöpft zu Boden sank. Da kamen zum Glücke seine Leute herbei und leisteten ihm Beistand. Die Wunde wurde geheilt, aber der Kaiser bekam einen kurzen Fuß, so daß er lange am Hüffoholz gehen mußte, welchen Namen ihm dann das Volk beigelegt. Noch sieht man des Kaisers Bild linker Hand des Domthores zu Bamberg mit einem Steine zur Stütze des kürzeren Fußes. Andere erzählen, der Kaiser habe sich diese Erlahmung auf einer Pilgerfahrt nach dem Berge Gargano zugezogen. Dort habe er sich in die Höhle des h. Erzengels Michael begeben, woselbst er die Chöre der Engel Gottes Lob verkünden und singen gehört habe. Darauf habe ihm ein Engel das Evangelium zum Kusse gereicht und zugleich gewaltig die Hüfte berührt mit den Worten: »Das soll dir ein Beweis der göttlichen Liebe ob deiner Keuschheit und Gerechtigkeit sein.« Von jener Stunde habe der Kaiser zu hinken angefangen.

1053. Die Sage vom Bache.

Nach A. Haupt Bamb. Leg. u.S. S. 219.

Ein furchtbares Gewitter zog über Bamberg herauf. Schwarzes Gewölk lagerte sich über den Domberg; gewaltiger Donner rollte und Blitz auf Blitz zuckte vom Himmel nieder. Es war wohl nicht anders, als ob der jüngste Tag gekommen wäre. Auf einmal erfolgte ein schrecklicher Schlag, in demselben Augenblicke hörte man »Feuer!« rufen: der Blitz hatte in einen Thurm des Domes geschlagen. Im Nu stand der ganze Thurm in Flammen; nun gab es ein schreckliches Schauspiel. Alles Metall auf dem Dache und im Thurme schmolz unter gellendem Klange zu einem Feuerbache zusammen, dieser stürzte wie ein Wasserfall von Dach zu Dache, von Stein zu Stein, und strömte endlich, zur Erde gelangt, langsam qualmend den Domberg hinunter. Das Dach des Thurmes hat sich wieder erhoben, aber der Weg, welchen der Feuerbach gegraben, wird noch heute von dem Volke »der Bach« geheißen.

1056. Die Baderstiftung.

Nach A. Haupt S. 205.

Es lebte ein reicher Mann zu Bamberg, der war jähzornigen und wilden Herzens. Er hatte eine einzige Tochter, die mußte ihn eines Tages, man weiß nicht wodurch, erzürnt haben, denn er stürzte wüthend auf sie los und verfolgte sie lange durch die Stadt, bis in's Freie und bis in den nahen Wald, welcher die Flüchtige vor dem Wüthenden in Schutz nahm. Aber nun stand die

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Arme allein und verlassen in dem dunkeln Forste und wußte nicht, was sie in ihrem Jammer beginnen sollte. Traurig wandelte sie eine Zeit lang auf unbekannten Wegen immer tiefer und tiefer in den Wald, endlich wußte sie keinen Ausweg mehr, während die Sonne schon unterging und die Dämmerung einbrach. In solcher Bedrängniß warf sich das Mägdlein auf ihre Knie nieder und flehte zum himmlischen Vater um Errettung aus ihrer Noth. Darnach machte sie sich neugestärkt auf den Weg, als ihr auf einmal zwei Handwerksgesellen, ein Bäcker und ein Bader, begegneten, sie freundlich begrüßten und auf den nächsten Weg nach Bamberg geleiteten. Matt, wie ein gescheuchtes Reh, gelangte sie am späten Abende nach Bamberg. Des andern Morgens aber entsagte sie dieser Welt und nahm bei St. Clara den Schleier. Der beiden Gesellen aber, die sie aus dem Walde führten, gedachte sie dankbar durch eine Stiftung für kranke Bäcker- und Badergesellen.

1117. Der Teufelsspuck bei Deußmauer.

Mündlich.

In Deußmauer bei Velburg sollen sich vor Alters häufig lustige Zechbrüder zusammengefunden haben, die nie ohne tüchtigen Rausch nach Hause gingen. Von daher hört man noch hie und da in der Gegend, wenn einer betrunken ist, daß er nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht, den Ausdruck: »Der hat einen Deußmaurer Suf.« Dieses Sprichwort gründet sich auf folgende Sage: Ein Bauer war gewohnt, zu Deußmauer allezeit wacker zu zechen und zu spielen. Er verlor sein Geld und seine häuslichen Verhältnisse kamen in Verfall. Da nahm er sich vor, ein anderer Mensch zu werden, und betheuerte seinen Kameraden, die ihn deßhalb aufzogen und neckten, »der Teufel solle ihn holen, wenn er noch einmal sich betrinke und spiele,« dennoch vergaß er sich wieder und als er nun um Mitternacht in seinem Nebel nach Hause ging, ergriff ihn Furcht und Schrecken wegen des gebrochenen Schwures. In dem Augenblicke aber, da er bei der Kapelle am Velburger Wege vorüberging, umhüllte ihn plötzlich eine schwarze Wolke, sein Bewußtsein schwand, und als er am Morgen zu sich kam, und die Augen öffnete, lag er in einem Felde bei Bamberg.

1149. Herkommen der von Seckendorf.

Chron. Rottenburg. in Miscell. Duellii Raimundi II., 262. Vgl. Sagenb. II., 201. ff.

Der von Seckendorf Herkommen und Anfang soll also sein, daß sie Bauersleut' gewesen und sein kommen an Kaiser Heinrichs und Sankt Kunigundens Hof zu Bamberg, und hielten sich redlich. Nun zu einer Zeit, als Kaiser Heinrich über Feld ritt, da wurd' er von ihnen gebeten, sie mit einem Wappen zu begaben; darauf antwortet er ihnen, er wüßt' nit, womit er sie begaben sollt', er hätt' nichts. Da sprachen seine Räthe: er ritt jetzt unter einer grünen Linden, er sollt ein Kränzlein machen von Lindenblättern und ihnen das geben, fürbaß von seinen Gnaden zu einer Wappen zu tragen. Also thät das der Kaiser und macht' ihnen ein Kränzlein übereinander geschrenkt von Blättern und von einem Zweig, in weißem Feld zu führen, und dem Helm ein Busch mit Blättern, das führten und hatten die von Seckendorf manch Jahr. Darnach als sie mächtiger wurden, übertrugen sie mit dem Kaiser, der ihnen das ändert, und führten jetzunder ein rothes Kränzlein von Lindenblättern in weißem Feld, und einen Federbusch auf einem weißen Rehinhut auf dem Helme.

130. Marienburg.

Bei Abenberg. – Falkenstein Hochst. Eichstädt II., 377. Brunner ann. Boic III., 78. Vat. Mag. II., 71.

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Stilla, Rapoto und Konrad, drei Kinder des edlen Grafen Wolfram II. von Abenberg, hatten jedes einen Wunsch. Erstere, daß die Kapelle, welche sie unfern Abenberg bauen ließ, und Letztere, daß das Kloster in Heilsbrunn, welches sie stiften halfen, bald vollendet dastehen möchte. Im Jahr 1152 wurde der Bau dieses Klosters beendigt und schon ein Jahr früher stand Stilla's Kapelle. Bischof Otto von Bamberg (aus dem Hause der Grafen von Andechs) weihete letztere zur Ehre St. Peters und erhielt von Stilla das Versprechen ewiger Keuschheit. Von nun an sah man Stilla täglich hinabgehen zum neuen Gotteshaus, ihre Andacht dort zu verrichten. Es wurde ihr so theuer, daß der Wunsch, auch noch ein Kloster dort zu erbauen, in ihrer Seele entstand. Leider wurde dieser Wunsch zu Stilla's Lebzeiten nicht erfüllt. Die fromme Gräfin ging nie allein zu ihrem geliebten Andachtsort, sondern immer war sie, in frommer Rede sich unterhaltend, von ihren Kammerfrauen Gewehra, Widikuna und Winterbring geleitet. Einstmals verließ Stilla mit ihrem weiblichen Gefolge wieder die Kirche, ernst und wehmüthig gestimmt. Tod und Grab waren der traurige Inhalt ihrer Unterhaltung, in deren Lauf die Genossinnen den aufrichtigen Wunsch äußerten, daß Gott noch lange den Augenblick ferne halten möge, wo Stilla's irdische Hülle in dem von Rapoto und Konrad gestifteten Kloster ruhen würde. »In Heilsbrunn?« fragte Stilla, »das kann nicht geschehen,« und so gingen sie schweigend vollends den Burgberg hinauf. »Nicht wahr,« sprach Stilla, »ihr lieben Jungfrauen, ihr versprecht mir getreu und fest zu halten, um was ich euch jetzt bitten werde?« Feierlich gelobten die Mädchen, daß ihnen der Wille ihrer Gebieterin heilig sein werde. »Nun seht,« sprach jene und streifte den Handschuh von der schönen Hand – »nun seht, wohin jetzt die Winde diesen Handschuh tragen werden, dort und nur dort will ich einst begraben sein.« Und der über die Burgzinne hinausgestreckten Hand entflog der Handschuh. Wie eine weiße Taube wurde er von den Winden dahingetragen und sank bei der Kapelle nieder. »Ja, so sei es,« rief Stilla entzückt über die so heiß erflehte Erfüllung ihres innigen Wunsches, »dort, wo ich mir so oft Ruhe erflehte und Trost, dort in jener Kapelle will ich einstens ausruhen von diesem Leben und harren auf den Ruf des Herrn zur Ewigkeit. Daß dieser mein Wille erfüllt werde, darauf Freundinnen, darauf haltet eures Versprechens eingedenk, wenn euch meine Ruhe im Grabe lieb ist.« Stilla starb und ihre Leiche sollte, so beschlossen die Ihrigen, im Kloster zu Heilsbrunn beigesetzt werden. Da erinnerten sich Gewehra, Widikuna und Winterbring Stilla's Wunsches und ihres eigenen Versprechens. Jetzt unverzüglich baten sie um Gehör bei dem gräflichen Familienrathe, dem sie erzählten, was sie von Stilla gehört, von der Burgzinne aus gesehen und dort gelobt hatten, und baten ihn flehentlich, Stilla in ihrer Kapelle ruhen zu lassen. Darauf einzugehen war man nicht geneigt und doch trug man Bedenken, Stilla's letzten Willen zu verachten. Gott möge entscheiden, war der Beschluß. Jammernd und weinend standen des andern Tages am frühen Morgen die Armen der ganzen Umgegend vor der Burg Abenberg, erwartend die Leiche Stilla's, ihrer Wohlthäterin, welche von ihren treuen Freundinnen auf einen stattlichen Wagen gehoben wurde. Mit zwei glänzend weißen Stieren wurde dieser bespannt, und wohin jene die Leiche bringen würden, da sollte sie begraben werden. Niemand dürfte, so war bedungen, die Thiere leiten oder antreiben. Kaum war die Leiche auf dem Wagen, so zog das Gespann und führte diesen langsamen Schrittes zur Kapelle hin, wo er stehen blieb. »Gott hat entschieden!« rief das Gefolge, und Stilla's Leichnam wurde nun der von ihr erbauten Kapelle übergeben. Still ruhte Stilla in der dunkeln Gruft, bei der mannigfache Wunder geschehen sein sollen, und welche eben deßwegen von zahlreichen Wallfahrten andächtiger Christen besucht worden ist. Bischof Raimbotto von Eichstädt weihte den Altar in der Kapelle zu Ehren der heiligen Stilla und Bischof Wilhelm von Reichenau erbaute 1488 an die Stelle der Kapelle ein Frauenkloster, Marienburg genannt, Augustinerordens. So wurde auch dieser im Leben oft gehegte Wunsch Stilla's erfüllt. Noch heutiges Tages, erzählt Falkenstein, sieht man ihr erhöhtes Grab linker Hand beim Eingang in die Klosterkirche.

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1306. Pöpelgäßchen und Pöpelhaus.

Mündlich.

Zu Bamberg gibt es ein Pöpelgäßchen und ein Pöpelhaus. Beide haben von allerhand Unfug der Geister (Pöpel) ihren Namen. So haben die Bewohner jenes Gäßchens gar oft weiße und graue Gestalten hin und her schweben, auf Steinen sitzen, Geld zählen sehen. Auch unheimliche Hasen und Hunde sind zuweilen hin und wieder gelaufen. Deßgleichen war das Pöpelhaus auf dem Stephansberge lange Zeit einsam und verlassen, weil die Leute allerhand Geschichten von dem Unwesen der Geister daselbst zu erzählen wußten. Nicht nur wurden die Arbeitsleute im Hause am hellen Tage geneckt und beunruhigt, man sah sogar eine graue Gestalt hie und da gemüthlich zu den Fenstern heraus schauen. In neuerer Zeit hat aller Spuk daselbst aufgehört.

1307. Die Messe in der Oberpfarre.

Mündlich.

Was zu Nürnberg vor Zeiten der Frau Imhof begegnet, (Nro. 1147) das hat sich in ähnlicher Weise in Bamberg zugetragen. Des Erzählers Großmutter war eine fromme Frau, die ging täglich Sommers und Winters zur Frühmesse in die Oberpfarr. Nun kam es ihr einmal Nachts vor, als hörte sie zur Messe läuten. Schnell war sie angezogen und trippelte mit ihrem Lichtlein der Oberpfarrkirche zu. Der Schnee fiel in dichten Flocken. Viel heller aber als sonst war die Kirche beleuchtet, auch alle Stühle schon besetzt, nur ihr einziges gewohntes Plätzlein war freigeblieben. Als die Messe schier zu Ende war, schaute sie zufällig auf die Seite und erkannte ihre Base, die schon zehen Jahre todt war. Deßgleichen schaute sie links, da saß ihre jüngst verstorbene Mutter, betete fleißig und wackelte mit dem Kopfe dazu. Und so erkannte sie vor und hinter sich aus den vielen blassen Gesichtern ebensoviele frühere Bekannte, selbst Pfarrer und Sakristan waren ihr wohlbekannt. Da überfiel sie Angst und Entsetzen, hastig eilte sie der Kirchthüre zu. Da war's ihr auf einmal, als sagte ihr eine innere Stimme, sie sollte Etwas zurücklassen als Freikauf ihres Lebens. Schnell nahm sie ihr Fuchspelzlein vom Hals, ließ es fallen und eilte nach Hause. Hier lag noch Alles in tiefem Schlaf, denn es war erst zwölf Uhr vorüber. Dennoch machte sie Lärmen und erzählte die Geschichte. Des Erzählers Vater lächelte dazu und meinte, es wäre nur um den schönen Fuchspelz Schade, den sollte man nicht liegen lassen. Er machte sich also mit noch Jemanden auf den Weg, das Pelzlein zu holen. Sie fanden es auch, aber in tausend Stückchen, wovon eines auf jedem Grabe lag. Obwohl es tiefen Schnee hatte, konnten sie doch keine Fußspuren sehen. (vgl. II, 929.)

1308. Die Passionsgrube.

Mündlich.

Zwischen Bamberg und Nürnberg in der fränkischen Schweiz ist eine »Passionsgrube.« In selbiger Gegend lebte ein armer, jedoch rechtschaffener Bauer; der war ohne sein Verschulden tief in Schulden gerathen. Morgen sollte er bezahlen, aber woher nehmen und nicht stehlen? Das machte ihn ganz traurig und mißmuthig, auch in der Kirche ließ es ihn nicht, sondern trieb ihn hinaus in die Felsen und Geklüfte, wo er dann wie ein Verzweifelter umher ging. Wie er nun so in Gedanken wandelte, stand er auf einmal vor einer Höhle. Die Neugierde hieß ihn eintreten. Da glänzte und funkelte Alles vom reinsten Golde. Schnell raffte der Mann zusammen, was seine leeren Taschen und sein Hut nur fassen konnten und fort gings aus der Höhle, als wenn ihn der Wind entführte. Der erste Gang aber, welchen er machte, war zu seinem Gläubiger. Ein kleiner

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Theil des Goldes reichte hin, diesen zu befriedigen. Aber das viele Gold erregte den Neid des Nachbars, so daß er drohte, bei Gericht Anzeige zu machen. Der gutmüthige Bauer erzählte den Hergang, entdeckte auch Zeit und Ort, da er zu seinem Schatze gekommen. Des andern Jahres am nämlichen Tag machte sich der Geizhals mit vielen Säcken auf den Weg zur Passionsgrube. Die Höhle fand sich, darinnen Gold in Fülle. Nun raffte der Geizhals nach Herzenslust, füllte Sack um Sack, und dachte nicht mehr an den Rückweg. Auf einmal war die Oeffnung der Höhle geschlossen; so mußte der Geizhals erbärmlich zu Grunde gehen. Er hatte nicht gewußt, daß Passionsgruben nur so lange offen stehen, als der Geistliche in der nächst liegenden Kirche die Passion liest. Mit dem letzten Worte derselben schließen sie sich bis zu demselben Tage des nächsten Jahres.

1312. Ehemännerbad zu Kersbach.

Kayßler neueste Reisen II., 1382.

Nahe der Eisenbahn zwischen Bamberg und Erlangen, unweit Baiersdorf ist Kersbach gelegen. Dieser Ort war vormals durch einen sonderbaren Gebrauch berühmt, wie ein Reisender des vorigen Jahrhunderts vermeldet. Befand sich nämlich ein junger Ehemann in Kersbach, welcher ein Jahr oder darüber im Stand der Ehe zugebracht hatte, ohne einen Leibeserben erzielt zu haben, so zogen die Bursche des Dorfes vor sein Haus, setzten ihn auf Stangen und schleppten ihn also unter großem Geschrei der Menge vor das Dorf, woselbst er in einen Weiher abgeworfen wurde. Kam er nun aus diesem unfreiwilligen Bade wieder hervor, so hatte er das Recht, einen andern aus dem Haufen in's Wasser zu werfen. Ein Markgraf von Bayreuth soll einst zufällig zu diesem ergötzlichen Schauspiel hinzugekommen sein. Der gebadete Ehemann hatte dem Landesherrn die Ehre des zweiten Bades zugedacht. Nur mit Mühe gelang es diesem, sich durch eine Geldspende loszukaufen.

144. Der Streitberger Ende.

J. Heller Muggendorf, S. 208. G. Neumann Erinnerungen an die fränkische Schweiz, S. 93.

Der letzte Herr von Streitberg soll nur einen Sohn gehabt haben; die Kindswärterin trug ihn einmal an einem siedenden Kessel mit Wasser vorbei; das Kind sah hinein, wurde durch seinen eigenen Schatten getäuscht, wollte nach jenem langen, fiel in den Kessel und fand seinen Tod. Kurz darauf kam Streitbergs Frau nieder, gebar aber ein Mädchen; zu gleicher Zeit wurde die Frau eines Webers zu Veilbrunn von einem Knaben entbunden. Der alte Streitberg suchte beide Kinder auszutauschen, doch konnte sich der Weber nicht dazu verstehen. Streitberg hielt sich einst lange zu Bamberg auf, und kehrte des Nachts nach Hause. Auf der Höhe bei Burggrund verfehlte der Kutscher den Weg, und der Wagen mit den vier Pferden stürzte über einen hohen Felsen in das Thal hinab, so daß Alles verloren war. Dieß soll auch die Veranlassung seyn, daß man den Felsen den Todtenstein nennt. Das Ereigniß fällt in's Jahr 1690.

181. Die Erbauung des Klosters Trebnitz.

(Nach Büsching S. 17 etc. Gödsche S. 57 etc.)

Herzog Heinrich I., auch mit dem Barte genannt, der Gemahl der frommen Hedwig, die in die Zahl der Heiligen versetzt und die Schutzpatronin Schlesiens ward, ritt einst in den waldigen Höhen, dort wo jetzt im Thale Trebnitz ein Kloster liegt, um zu jagen. Entfernt von seinem Gefolge kam er in das Thal hinab und stürzte unvermuthet mit seinem Pferde in einen Sumpf, und da er keine Möglichkeit sah sich zu retten, so wandte er sich in inbrünstigem Gebet an seinen

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Gott und Vater. Und der Engel des Herrn, gehüllt in die Tracht eines Köhlers, trat zu ihm, reichte ihm einen Baumast und rettete ihn, der Herzog aber knieete hin, dankte Gott und gelobte, ein Kloster an dieser Stelle zu bauen. Der Bau begann im Jahre 1203 und dauerte über 16 Jahre, als nun aber derselbe endlich fertig war, da weihte es der fromme Bischof von Breslau, Cyprian, zu einem adligen Jungfrauen-Kloster und führte die Nonnen, welche die h. Hedwig aus dem Cisterzienserkloster zu Bamberg, wo ihr Bruder Egbert Bischof war, hatte kommen lassen, darin ein, der Herzog aber ließ demselben reiche Schenkungen zufließen, indeß hatte er ihm noch keinen Namen beigelegt. Da frug er die Nonnen, ob sie noch etwas bedürften, sie aber antworteten polnisch trzeba nic (es bedarf nichts), worauf der Herzog antwortete: »Nun soll das Kloster Trzeba nic (Trebnitz) heißen. Der Name ist ihm geblieben und das Kloster gehört heute noch zu den beliebtesten Andachtsorten der Schlesier und Polen.« Auch der Herzog Heinrich liegt in der dasigen Stiftskirche begraben und in dem Gewölbe hinter dem Altar, auf der Stelle, wo er einst versunken war, quillt ein Brunnen hervor, dessen klares Wasser die Wallfahrer trinken und dem man heilende Kräfte zuschreibt. Es knüpfen sich aber an diesen Ort noch verschiedene andere Erinnerungen aus dem Leben der Heiligen. Während das Kloster noch im Bau begriffen war, kam die h. Hedwig oft hierher, um denselben zu überwachen und die Arbeiter aufzumuntern. Nun mußte sie, wenn sie hierher kam, bei Obernick an einem Teich vorbei, wo sie sich ihre Füße zu waschen pflegte, dieser Teich heißt deshalb heutigen Tages noch der Hedwigsteich. Desgleichen steht bei Trebnitz auf dem Wege nach Breslau linker Hand eine alte Kapelle, Hedwigsruh, weil die Heilige auf dieser Stelle auszuruhen pflegte. Im Buchwald bei der Eremitage ist ein Brunnen, der Hedwigsbrunnen genannt, auf dem Grunde desselben sieht man bei hellem Sonnenschein einen goldenen Ring blinken, aber Niemand kann ihn herauf holen. Dies geht so zu. Als die h. Hedwig einmal in den Wald gegangen war, um Kräuter für Kranke zu suchen, da begann sie sehr zu dürsten und es war kein Wasser im ganzen Umkreise zu finden, womit sie ihren Durst hätte löschen mögen. Da kniete sie nieder, betete zu Gott und warf dann ihren goldenen Fingerring hinter sich. Wo aber der Ring zur Erde gefallen, da sprudelte auf der Stelle eine schöne und klare Quelle hervor, an der sich die Heilige stärkte. Später hat sie dabei eine Klause und ein Kirchlein erbaut.

189. Marienweiher.

J.A. Eisenmann, geograph. Beschreibung des Erzbisthums Bamberg. S. 443.

Vor Zeiten war die Gegend um Marienweiher mit dichten Wäldern bedeckt, und an der Straße, welche durch dieselbe von Franken nach Sachsen führte, standen in verschiedenen Entfernungen von einander sogenannte Nothwirthshäuser. Im zwölften Jahrhunderte befuhr einmal auch ein sächsischer Fuhrmann, welcher ein Marienbild in Franken hatte fertigen lassen, um solches mit nach Hause zu bringen, die Straße, und nahm in dem Wirthshause an diesem Orte, damals Vordersee genannt, sein Nachtquartier. In derselben Nacht wurde das Haus von Räubern überfallen; der Fuhrmann aber mit seiner ganzen Habe entkam glücklich den gierigen Händen der Räuber. Aus Dankbarkeit gegen Gott und Maria, welche er in dieser großen Gefahr um Hülfe angefleht hatte, ließ er hierauf das mitgeführte Marienbild an dem nämlichen Orte aufrichten und eine Kapelle von Holz darüber bauen; auch soll er sich daselbst später, nachdem er seine Güter in Sachsen verkauft hatte, angesiedelt haben. Bald wurde diese Kapelle von Pilgern und andern Andächtigen, nah und fern, häufig besucht. Als dieselbe, aus nicht benannter Ursache, in Brand gerieth, warfen die dortigen Bewohner, deren Zahl inzwischen sich sehr vermehrt hatte, das Bild, um es vor den Flammen zu retten, in den nahen Weiher: entdeckten aber an demselben, als sie es wieder herauszogen, eine Beschädigung in dessen Gesichte neben der Nase, welche jetzt noch zu sehen ist. Nachher wurde daselbst eine große Kirche von Stein, wahrscheinlich vom Bischofe

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Otto II. erbaut und darinnen das berühmte Marienbild, dessen Verehrung je länger desto mehr sich verbreitete, aufgestellt.

192. Alberada's Born.

Aldeberade, still und fromm, Kehrte zurück vom heil'gen Rom – Ihr Gatte, weil mit Muth und Lieb' Er treu dem Kaiser Heinrich blieb, War jüngst in Gregor's Bann gestorben. Sie hatt' beim Papst als Gnad' erworben, Daß ehrenvoll, in Bamberg's Dom, Die Leich' zu sel'ger Ruhe komm'.

Mit ihren Dienern fest und treu Betrat das Maingau sie auf's Neu. Da in Gebirg und dichtem Wald Verirrten sich die Pilger bald – Verschwunden war der heit're Main, Rings schloß sie rauhe Wildniß ein – Die Eule schwirrte durch die Zweige – Hier modert' die gesunk'ne Eiche, Die morsche Tann' sank mit Gekrach, Kein Lichtstrahl drang durch's wald'ge Dach, Die Rosse konnten nicht mehr weiter – Der Wildniß ließen sie die Reiter. Jäh ging es nun hinab im Lauf, Dann wieder still den Berg hinauf, Müd' auf die forstumzog'ne Haide Kam die Verirrte und's Geleite.

Da sank der jüngste Knappe nieder Und schloß die matten Augenlider: »Ich muß verschmachten!« seufzt er leise, Und gleiche Klag' ertönt im Kreise: »Wenn nicht ein Labetrunk uns rettet, So werden wir in's Grab gebettet Hier in der Wildniß schauerlich – O Herr und Gott, erbarme dich!«

Die Gräfin kniet hin zum Gebet Und brünstig zu dem Herrn sie fleht: »Du Ewiger, deß starke Hand Uns schirmte in dem fernen Land, Uns über's Alpeneis geleitet, Im Schneesturm Hülfe uns bereitet, O laß, so nah' der Heimath Höh'n, Mich und die Meinen nicht vergeh'n!

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Ich weiß, dein Vaterauge sieht Auf uns, die hier der Tod umzieht, Du leitest auf dem Lebenspfade, Dein ist die Macht, doch auch die Gnade! Du, der von Moses kahlen Felsen Sich Wasserfluthen hieß entwälzen, Kannst diesem Boden kahl und trocken Die Rettungsquelle auch entlocken!«

Sie richtet voll Vertrau'n sich auf, Ihr Stab berührt des Sandes Hauf' – Rasch quillt hervor ein Wasserstrahl Und plätschert über's Moos in's Thal.

Sie und die Ihrigen erquickt Der Trunk, den Himmelsgnade schickt, Sie füllen die verdorrten Flaschen, Ihr Schleichen wird zum muntern, raschen, Belebten Gang und bald und leicht Ist froh der gelbe Main erreicht, Und herrlich liegt das Stammschloß Banz Hoch in der Abendsonne Glanz.

Das Brünnlein aber rauschte fort, Belebend sanft den wilden Ort. Die Gräfin faßte es in Stein, Führt' nach ihm Wege durch den Hain Und bald ward es durch's ganze Land Aldeberada's Born genannt.

201. Der Dombau zu Bamberg.

Von August Kopisch. – Pomarius p. 185. Münster cosmogr. l. III. bei Grimm d.S. II., 175.

Beim Dombau zu Bamberg ging es zu langsam her,Da betete Frau Baba, auf daß es anders wär'!

Nun schenkt' ihr Gott ein Wunder. Damit war's so bestellt:Sie bracht an jedem Abend eine große Schüssel Geld.

Die setzt' sie an die Pforte und jeder Werkmann nahmSich selber seine Löhnung, wie er vorüber kam.

Doch mehr als er verdiente, konnt' er nicht nehmen dort,Und wollt' er mehr sich langen, so rollt' es wieder fort.

Den Fleißigen schmeckt es süße, wie lauter Honigseim,Gewaltig griffen die Faulen, doch brachten sie wenig heim.

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Da wurden sie endlich wacker: nun bauten sie den Chor,Nun setzten sie Stein auf Stein da, nun stieg der Dom empor!

Es blieb Frau Baba's Schüssel fast bis zur Hälfte voll,Tagtäglich war sie leichter, nun ging es, wie es soll!

Tagtäglich blieb ein Groschen, nun war's der rechte Zug!Am Groschen war zu merken, es hab' ein Jeder g'nug.

Frau Baba sprach: »Das Wunder ist Bild vom Himmelreich:Da gibt es keinen Faulen, da schafft ein Jeder gleich;

Was Gott sie heißt vollbringen die Engel in schnellem Flug,Und wessen Jeder werth ist, deß hat ein Jeder genug.«

202. Die Schale der heiligen Kunigund.

Hoffmann ann. Bamb. p. 47.

Im Dom zu Bamberg befindet sich das Grab des heiligen Paares Heinrich und Kunigunde. Ein Bildwerk dieses Grabmales zeigt die Kaiserin, wie sie die Bauleute der Stephanskirche bezahlt. Es war nämlich unter den Werkleuten ein bösartiger, unzufriedener Mann, der bestahl den Schaffner des Baues beim Ausbezahlen, so daß die bestimmte Summe niemals zureichen wollte. Man konnte dem Diebe lange nicht auf die Spur kommen. Da begab sich die heilige Kunigundis eines Tages selbst unter die Werkleute, und hielt eine Schale dar, aus welcher sich jeder seinen Pfennig nahm. Auch der Dieb griff in die Schale, nahm aber, wie früher, unvermerkt mehrere Pfennige. Kaum hatte er sie ergriffen, als ihm die Hände entsetzlich brannten, so daß er heulend davonlief, und als er nach Hause kam, nur noch Einen Pfennig in der Hand hatte.

203. Der Hahn im Dom zu Bamberg.

Berthold, Geschichte von Rügen und Pommern I., 230. bei Nork Mythol. d. Volkssagen S. 568.

Im Dom zu Bamberg befindet sich ein Hahn, von dessen Bedeutung man sich Folgendes erzählt: Die alten Pommern verehrten den Hahn. Dieß benutzte der Bischof Otto, als er zu ihrer Bekehrung auszog. Denn indem er in einen silbernen Arm die Gebeine des heiligen Veit einfassen, und an demselben zugleich das Bild eines Hahns anbringen ließ, bewirkte er, daß die heidnischen Pommern, weil sie vor dem Hahne niederfielen, zugleich den Reliquien des Heiligen Verehrung erwiesen. Dieses letztere geschah zwar unwissend von ihnen, aber sie wurden dadurch doch der gnadenreichen Einwirkung der heiligen Gebeine theilhaftig, und um desto leichter waren sie zum Christenthum zu bekehren.

204. Domkröten zu Bamberg.

C.v. Falkenstein S. 105. Bericht des hist. Ver. zu Bamberg 1840. S. 16. L. Braunfels Mainufer, S. 118.

Am Eingang des Doms zu Bamberg liegen zwei große steinerne Thiere, welche der Sage nach Kröten sind. Das Volk erzählt, zur Zeit des Dombaues habe der Teufel aus besonderem Neid über den Fortgang des christlichen Werkes zwei Thiere geschickt, halb Kröten, halb Löwen, welche zur Nachtszeit den Bau untergruben und beinahe zum Einsturze brachten. Wie man der teuflischen Thiere Herr geworden, verschweigt die Sage.

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205. Adalbert von Babenberg.

Von Schöppner. – Liutprand II. c. 3. Lambert. Schafn. ad. a. 907. Otto Frising. VI., 15. Marian. Scot. ad a. 908. u.A. bei Falkenstein Nordg. Alterth. II., 272. Ayrers Reimchronik, Bamberg 1838 S. 19.

Dem Babenberger dräuet umsonst des Königs Schwert,Auf seiner Veste spottet des Feindes Adalbert;Herr Konrad, Ludwigs Bruder, erlag des Grafen Arm,Der König fordert Rache mit seiner Mannen Schwarm.

Doch stark auf seinem Schlosse, ein Aar im Felsennest,Hält sich der Babenberger mit seinen Mannen fest;Da sinnen Ludwigs Schranzen auf einen schlauen Rat,Der Mainzer Bischof Hatto erfand die schnöde That.

Als Friedensherold wandelt in's Schloß der fromme MannUnd trägt dem Babenberger die Huld des Königs an:»Kommt mit mir, edler Ritter! versucht der Gnade Glück,Ich führ' euch schlimmen Falles auf eure Burg zurück.«

Der Ritter treu und bieder vertraut dem falschen Mann,Sie gehn, doch halben Weges der Erzbischof begann:»Das Fasten mag beschwerlich bis zu dem Lager sein,Beliebt es euch, so nehmen wir erst ein Frühstück ein.«

»Ihr ehret mich, Herr Bischof,« versetzt der Graf darauf,»Begebt ihr Euch zum Imbiß auf meine Burg hinauf.«So kehren sie noch einmal auf Babenberg zurück,Nicht ahnt der edle Ritter sein trauriges Geschick,

Sie gehn zum zweiten Male, gelabt mit Speis und Trank,Ach! edler Babenberger, es ist dein letzter Gang!Kaum tritt er in das Lager, da hält man sein Gericht,Der König ihm das Urteil des Hochverrates spricht.

Und wie der Graf den Bischof des schnöden Truges schilt,Entgegnet dieser höhnend: »Ich hab' mein Wort erfüllt,Ich führt' zurück euch wieder!« – Der Mainzer sprach's und lacht.So ward der Babenberger darauf zum Tod gebracht.

207. Der Gang nach dem Kalkofen.

Sage von der Gertraudenkapelle zu Bamberg. – N. Haas Geschichte der Pfarrei St. Martin zu Bamberg S. 93. Vgl. Schillers Gang zum Eisenhammer.

Es war ein Edelknabe der Kaiserin, welchen man des sträflichen Umgangs mit ihr verdächtigt hatte. Diesen befahl der Kaiser im Kalkofen jenseits des Maines zu verbrennen. Also gab man den Arbeitern die Weisung, den Ersten, welcher kommen und fragen würde, ob des Kaisers

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Befehl vollzogen, ohne Weiteres zu ergreifen und in den Kalkofen zu werfen. Diesen Befehl bewirkte ein gottloser Kämmerling Kunigundens, indem er den unschuldigen Edelknaben beim Kaiser verläumdete. Als nun der Jüngling, das Gebot seines Herrn zu vollziehen, des Weges nach dem Kalkofen wandelte, kam er an der Kapelle der heiligen Gertraud vorüber, wo der Priester so eben das h. Meßopfer verrichtete. Da gedachte der Edelknabe frommen Sinnes, dem h. Opfer beizuwohnen und sodann seinen Gang nach dem Kalkofen fortzusetzen. Unterdessen war auch der Kämmerling herausgegangen, Nachfrage zu thun, ob des Kaisers Gebot vollzogen. Da ergriffen ihn die Knechte und warfen ihn in die Glut des Ofens. Gott hatte gerichtet. Der Kaiser erkannte seinen Irrthum und dankte Gott, daß er der Unschuld Zeugniß gegeben.

209. Bamberger Wage.

Von K. Simrock. – Manlii loci comm. coll. p. 46. Vita S. Henrici ap. Ludewig I., 307. Hoffmann p. 70. Grimm deutsche Sagen I., 382. Hormayr Taschenb. 1838, S. 144.

Zu Bamberg auf des Kaisers Grab, Der einst der Welt gebot, Der ihr Gesetz und Rechte gab Und hielt bis in den Tod, Ein Denkmal hat man ihm geweiht, Das Denkmal ist von Stein – Da thronet hoch Gerechtigkeit, Die soll auch steinern sein.

Die Wage hält sie in der Hand Und so geziemt's der Frau, Und gleiches Recht ertheilt dem Land Und allem Volk genau. Nur eins befremdet euch zu seh'n, Daß, wie sich deutlich zeigt, Die Zunge, statt gradein zu steh'n Sich einer Seite neigt.

Und eine alte Sage spricht, So hat man mich belehrt, Verbürgen kann ich's freilich nicht, Doch scheint's bemerkenswerth: Wenn einst der Wage Züngelein Sich mitten inne stellt, Das soll ein sich'res Zeichen sein Vom Untergang der Welt.

Drum glaubt nicht, was Propheten lang, Schon in die Welt posaunt, Es ist zum nahen Untergang Die Welt noch nicht gelaunt. Posaunen Jericho's, der Schall Euch viel zu früh entquillt: Ihr seht ja, daß noch überall

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Bamberger Wage gilt. 210. Bamberger Wage.

Von K.F.G. Wetzel.

Zu Bamberg in dem Dome Ruht Kaiser Heinrich wohl, Der Zweite dieses Namens, Den Jeder deutschen Samens Mit Recht hochhalten soll.

Auf seinem Grab gehauen Steht die Gerechtigkeit, Zu ihrer Hand die Wage; Davon geht eine Sage Aus grauer Väterzeit.

Das Zünglein an der Wage Nicht ganz die Mitte hält; Wann's aber gleich wird stehen, Wird man anbrechen sehen Das Ende dieser Welt.

In Walserland bei Salzburg Ein wilder Birnbaum ist, Ganz ausgedorrt zu schauen, Der, einmal umgehauen, Frisch immer wieder sprießt.

Wenn er zum vierten Male Ausschlägt und Früchte trägt, Wird sein in Walserfelden Wohl eine Schlacht der Helden, So all' die Bösen schlägt.

Dann herrschen die Gerechten Auf Erden eine Zeit Noch vor dem jüngsten Tage, Bis ihnen steht die Wage Ew'ger Gerechtigkeit.

211. Die Jungfrau an der Fürstenthüre des Domes zu Bamberg.

Mündlich.

Der Wärter am Jakobsthore zu Bamberg hatte eine Tochter von großer Schönheit. Da fanden sich lüsterne Herren, das Mägdlein zu verführen; sie widerstand aber allen Einflüsterungen und bewahrte ihre Unschuld. Das verdroß den Satan, und er brachte es dahin, daß die reine bei ihrem Vater sündigen Wandels angeklagt wurde. Der Vater glaubte den falschen Aussagen und ließ sein

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eignes Kind zum Tode verurteilen. Als sie nun hinausgeführt wurde und auf dem letzten Gange an der Fürstenthüre des Domes die auferlegte Buße verrichten sollte, warf sie sich auf die Kniee und rief zur heiligen Jungfrau: sie wolle gern in den Tod gehen, nur möge die Schmach der Hinrichtung von ihr genommen werden. Und siehe, als sie das Wort gesprochen, fällt ein Ziegel vom Dach mit großer Gewalt und schlägt die flehende todt. Alles Volk erkannte die Unschuld der Tochter, und zum Angedenken wurden zwei Bildsäulen: der heiligen Jungfrau und des Mägdleins – dieses fünf Ziegel in der Hand – an der Fürstenthüre des Domes aufgestellt1.

Fußnoten

1 Fünf Gesetztafeln, als Anspielung auf die 10 Gebote. So weiß das Volk zu deuten nach seiner Art.

212. Der Meßner zu Bamberg.

Von Philipp Will.

Der Meßner Jobst zu Bamberg ward Gar gern geseh'n bei frohem Schmause: Ihn lockte mehr der Zecher Art, Als frommer Dienst im Gotteshause.

Und wenn des Nachts bei vollem Glas Die heiße Wang' ihm thät' erglühen Bei Wein und Minnesold, vergaß Er leicht des Tages heil'ge Mühen.

So war er einst vom Weine spät Nach Mitternacht zur Ruh gegangen, Und ohn' ein frommes Nachtgebet Hat ihn der Schlummer bald umfangen.

Und hohl, wie aus dem Grabe tönt Ein Pochen in des Domes Raume. So dumpfen Tones nicht gewöhnt, Erwachte Jobst aus schwerem Traume.

Und eilt voll Angst der Kirche zu, Späht' rings im Tempel gar verdrossen, Was ihn gestört aus süßer Ruh' Ob wohl ein Beter eingeschlossen.

Er schaute nichts, doch plötzlich stieß Sein Fuß an eines Grabmals Kante, Das prunklos diese Inschrift wies, Die nicht des Frommen Namen nannte:

»Es leuchte hier ein ew'ges Licht

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Zu meines Namens Angedenken, Und täglich sei's des Meßners Pflicht, Die Lampe frisch mit Oel zu tränken.«

»Schlaf' still in deinem dunklen Haus, Dir leuchten Gottes Sterne alle.« So rief der Meßner frevelnd aus, Eilt brummend aus des Tempels Halle.

Still war's. Der freche Spötter schlief. Doch horch'! Welch' schaurig Grabespochen Jobst wieder aus dem Schlafe rief, Daß ihm begann das Blut zu kochen.

»So schweige doch, du todter Mann! Was willst du mir die Ruhe stehlen? Nicht zünd' ich dir die Lampe an, Bis du mich suchst in meinen Pfählen.«

Es klirrt – erzittre Bösewicht! – Es öffnet sich des Zimmers Thüre. Da steht der Geist. »Riefst du mir nicht? Nun folge mir, wie ich dich führe.«

Zum Dome rauscht es hin im Flug, Das Thor geht auf, der Geist bleibt stehen Am Grab. »Nun Jobst die Hand zum Krug, Und thue jetzt, was nicht geschehen!«

Der Meßner that nach dem Geheiß; Der Geist versank in Grabesstille, Jobst aber fror das Blut zu Eis, Geschehen war des Frevlers Wille.

Siehst du im Dom den Beter knie'n? Jobst ist's, der Küster, frommergeben. Der Herr hat ihm die Schuld verzieh'n, Er führt ein bußgeweihtes Leben.

213. Ursprung der Kirche zum heiligen Grab in Bamberg.

Eigentlicher Ursprung und Herkommen des Jungfrauen-Klosters zum h. Grab. Bamberg 1786, S. 14. Hoffmann l.l.p. 187. N. Haas, Gesch. Der Pfarrei St. Martin, S. 152. A. Haupt, Bamberger Legenden u. Sagen, S. 167.

Vor Zeiten, als noch »fahrende Schüler« singend das Land durchzogen, kam auch ein Häuflein derselben im Jahre 1314 nach Bamberg. Sie nahmen nahe der Pfarrkirche St. Martin Herberge, sangen und spielten; es war acht Tag nach Petri und Pauli. Da verlor ein gewisser Simon all' sein Geld und seine Kleidung. Seine Genossen verstießen ihn nun, und er nahm im Badehaus hinter St. Martin seinen Aufenthalt. Am Tage hatte er in einer silbernen Büchse das Allerheiligste zu

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einem Kranken tragen sehen. Hätte ich diese Büchse, dachte er, ich wollte damit aus allen Schulden und Nöthen kommen. Der Gedanke wurde zur That. Begleitet von dem Teufel in Gestalt eines Badeknechts gelangte er durch ein Fenster in die Kirche, band den Kirchner fest, welcher wachte, erbrach das Sakrarium, und bemächtigte sich der kostbaren Büchse. Es waren heilige Hostien darin. Ihr Anblick machte ihm unheimlich und bange. Nach kurzem Zaudern legte er die Hostien auf einem Kornacker nieder. Zur Unterlage hatte er rothen Sendel genommen. Er nahm mit dem silbernen Raube die Flucht nach Forchheim. Dort ergriffen gestand er sein Unrecht, und wurde zu Bamberg zum Tode verurtheilt, durch die Straßen geschleift und gerichtet. Er starb voll Reue. Der Vorfall setzte die ganze Stadt in Bewegung. Die Mägde des Custos bei St. Gangolph hatten im Vorübergehen die Hostien entdeckt. Sie eilten, die Sache ihrem Herrn, dieser dem Pfarrer bei St. Martin zu hinterbringen. Der begab sich an den bezeichneten Ort; nahend mit Ehrerbietung wollte er wiederholt das Heiligthum erheben, aber eine geheime Kraft lähmte seine Arme. So kam der Bischof Wulfing in feierlichem Zuge, begleitet von der Geistlichkeit und allem Volke der Stadt, und erhob das Sakrament. Kranke und Lahme, welche dem Zuge sich angeschlossen oder sich nachtragen ließen, erhielten ihre Genesung. An demselben Orte, wo der Gekreuzigte, wie dort zu Jerusalem im Grabe, hier auf der Erde ruhte, wurde nun eine Kirche erbaut und zum heiligen Grabe genannt. Anfangs umzäunte man nur den Ort. Der Custos erbaute, unterstützt von dem Bürger Tausendschön, die erste kleine Kapelle, woraus nachmals die Kirche zum heiligen Grabe hervorgegangen.

214. Der Fürstenstreit.

Von Andreas Haupt.

Herr Wigand von Redwitz, ein fröhlicher Herr, Saß schmunzelnd und lachend bei'm Becher,Er möchte wohl einen Gesellen mehr, Der alte lustige Zecher.Er hatte in Bamberg zwei Gäste zumal,Die beschied er zu sich in den prunkenden Saal.

Das waren der Herr von Wittenberg,1 Und der Fürst von Würzburg am Maine.Der eine ein kleiner und harmloser Zwerg, Der and're ein Riese bei'm Weine.Es kamen die beiden, der eine zum Scherz,Der and're zu laben am Weine das Herz.

Sie waren vergnügt bei'm Würfelspiel, Und sprachen vom Fürst und vom Reiche,Sie spielten zur Kurzweil, und wagten nicht viel, Und leerten manch' perlende Neige,Und wer 'ne Niete nach Hause trug,Mußt' leeren den Becher auf Einen Zug.

»Ja, ja,« hebt jener von Wittenberg an, »Ihr Herrn, das muß ich Euch sagenUnd daß es wahr ist, da setz' ich daran So viel, als Ihr beide mögt wagen.

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Im Reiche ist manches höchst seltene Ding:Doch acht' ich das Alles mit Recht gering.

Denn wollt Ihr von Allem das Seltenste seh'n – Mein, sag' ich mit Stolz, ist es eigen –So müßt Ihr, Ihr Herrn, nach Wittenberg geh'n, Dort will ich das Kleinod Euch zeigen.Und seid Ihr nun wohl bei gesundem Verstand,So schaut Ihr in anderm nur nichtigen Tand.«

»Ei doch,« hebt der Würzburger an und spricht, »Das könnte ich nimmer verwinden,Wenn bloß in Wittenberg, weiter nicht, Ein Kleinod wäre zu finden.Da kommt Ihr nach Würzburg, da zeig' ich Euch wohl,Wo man das Kleinod suchen soll.«

»Ihr Gäste,« versetzt der Bamberger d'rauf, Und lächelt nach stillem Begrüßen,»Ihr Gäste, Ihr müßt schon den Main gar herauf, Gen Bambergs grünende Wiesen.Hier ist Euch das Seltenste gleich zur Hand,Ihr findet's nur Einmal im deutschen Land.«

»Nun denn,« so stimmen selbdritt sie an, »Laßt seh'n, wer das Seltenste zeige.Und daß sich der andere, Mann für Mann Vor dem Eigner des Seltensten neige.Und soll ihm verehren, so sei der Bund,Ein Stückfaß, voll bis zum zischenden Spund.«

Und der Wittenberger beginnet sogleich, Und spricht mit ernstem Behagen;»Ihr Herrn, im ganzen deutschen Reich Von den frühesten, ältesten Tagen,Hat nie noch ein Mann solch Glück gehabt,Und hat sich so innig und rein gelabt.

Denn seht, mein Volk ist bieder und treu Hängt an mir mit heiligem Lieben,Und bis auf heute so frisch und so neu Ist dies Gefühl ihm geblieben.Und ging ich hinaus in Waldesnacht,Ich würde von tausend Augen bewacht.

Und macht' ich die Rund' durch des Landes Plan, Und träfe an einsamer StätteEin Bäuerlein, dem ich Unrecht gethan,

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Und sagte: ›Dein Schoos sei mein Bette,‹So schlief ich so ruhig, so sicher und kühl,Als ständen zehn Wächter um meinen Pfühl.«

So sprach er mit inniger Herrscherlust; »Ihr Herrn, nun wollet entscheiden;«Und warf sich stolz und so frei in die Brust, Wohl bist du, mein Fürst, zu beneiden.Da nahm der Würzburger d'rauf das Wort,Und fuhr dermassen zu prunken fort:

»Das ist wohl schön, doch das Seltenste nicht, Das ist noch, und war schon gewesen;So könnt Ihr, wenn Euch die Neugier sticht, Wohl oft in der Chronika lesen,Und glaubt nur, mein volkgeliebter Mann,Daß kecklich der Würzburger auch das kann.

Doch sehet, es gibt was Seltneres noch, Das stehet bei Würzburg am Maine;Wie, freundliche Herren, ei sagt mir doch, Habt Ihr nichts noch gehöret vom Steine?Vom Steine bei Würzburg, der gibt mir im JahrAcht Fuder voll Weines, perlend und klar.

Denn solch ein Stein wohl das Seltenste ist, Das jemals die Erde gezeuget;D'rum wohl bedacht, was ihr thun jetzt müßt, Ihr Herrn, Euch gehörig verneiget.Das Volk in der Wüste hatt' auch 'nen Stein;Doch gab er nur Wasser statt goldenen Wein.«

So sprach der von Würzburg; der Bamberger jetzt Streicht lächelnd den Bart sich und trinket,Und als er vom Zuge abgesetzt, Da verläßt er den Sessel und winket:»Ihr Herrn, nur gemach, so lang man denktDas Beste ward immer zuletzt geschenkt.

Ihr Wittenberger habt schon Eu'r Theil, Das hat Euch mein Nachbar gereichet,Bei Euch, Würzburger, hat's auch nicht Eil', Daß man sich verbeuget und neiget,Eu'r Steinlein ist doch nur ein winziger ZwergGen den Riesen, den edlen Johannesberg.

Doch wollt Ihr seh'n in den deutschen Gau'n, So Selt'nes, als nie Ihr gewähnet,

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So müßt Ihr den Garten in Bamberg schau'n, Der hoch auf der Brücke sich dehnet;Und zeigt Ihr mir das an der Elbe, am Rhein,So soll mein Stückfaß verloren sein.«

»Auf der Brück' ein Garten? – Das ist fürwahr Ein Werk, so selten erkühnet!Und was noch seltner – das ganze Jahr Der Garten blühet und grünet;Und kommt Ihr im Winter, und kommt Ihr im Mai,Dem Gärtner ist's immer einerlei.«

Das Pärchen schüttelt das Haupt und schweigt, Den Garten müssen sie schauen.Und als sie die obere Brücke erreicht – Kaum konnten den Augen sie trauen –Vom Brückenkopf an bis zur Rathhaus-Thür,Da grünte der Garten für und für.

Von der Thür bis zum anderen Brückenkopf Zeigt Alles ein fröhlich Gedeihen,Da blühten die Rosen, die Nelken im Topf, Da lagen in zierlichen ReihenDer Spargel, das Süßholz, das Kraut und der Kohl,Sie lächelten zwar, doch bemerken sie's wohl.

Und drückten dem Fürsten die wackere Hand, Die mild dem Drucke begegnet,Wohl war kein einzig deutsches Land An Früchten so reichlich gesegnet.Und lächelten heiter, und schlugen ein:»Dein, Bamberger, soll das Stückfaß sein.«

Fußnoten

1 In der Ballade: »Der reichste Fürst«: Würtemberg.

290. Wetterburg

Im Waldeckischen Lande erhebt sich auch die alte Wetterburg, von der ein bedeutender Rest noch im wohnlichen Stande steht. Auf der Wetterburg saß Philipp II. Graf zu Waldeck, der war im Bündnis mit Erzbischof Albrecht von Mainz, gegen welchen Ritter Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand in Fehde war. Und da gedachte Götz den Waldecker in seine Gewalt zu bekommen, zog durch die Lande und näherte sich mit seiner Schar der Wetterburg, wo er sich nahe dem Wege von der Burg nach Dalheim in den Hinterhalt legte. Als Götz von Berlichingen nun da lag und lauerte, ward er eines Schäfers ansichtig, der seine Herde hütete, und siehe – mit

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einem Male rannten fünf Wölfe aus dem Walde und fielen in die Herde ein. Des freute sich des biedern Götzens deutschritterliches Herz, und hörte und sah es gern – wie er selbst erzählt hat – und wünschte den Wölfen Glück und auch sich und sagte zu den Wölfen: Glück zu, lieben Gesellen! Glück zu überall! Und als dies gute Omen sich gezeigt hatte, da kam Graf Philipp von Waldeck von der Wetterburg herunter, und Götz griff ihn an auf paderbornschem Boden und nahm ihn gefangen, dann führte er ihn auf kölnischen Boden, dann durch des Grafen eignes Land, dann durch die Landgrafschaft Hessen, von da aus durch das Hochstift Hersfeld, von da nach Fulda und in die Grafschaft Henneberg und weiter durch sächsisches Land und durch die Hochstifte Würzburg und Bamberg in die Markgrafschaft Nürnberg und in die Bayrische Pfalz bis an den Ort, da er ihn hinhaben wollte, auf eine seiner Burgen im gottgeliebten Schwabenlande. Hierauf berechnete Götz von Berlichingen die vielen Kosten, welche dieser Zug ihm verursacht, und die Zehrung seines Gefangenen, und wenn ihm diese ersetzt würden, wolle er ihn wieder loslassen. Nur hundert Gulden Zehrungskosten und außerdem noch achttausend Gulden – so solle Graf Philipp II. von Waldeck wieder frei werden. Des Grafen treuer Bundesgenoß Kurfürst Albrecht zu Mainz gab keinen Deut her zur Auslösung des Gefangenen, auch fiel ihm nicht ein, gegen Götz einen Feldzug zu unternehmen. Da schnitt der Gefangene einen Büschel seiner grauen Haare ab und schrieb an seinen Sohn, auch Philipp geheißen, und bat ihn beweglich, das Lösegeld für ihn aufzubringen. Solches tat auch der Sohn und zog seinem alten Vater bis Koburg entgegen, wohin Götz seinen Gefangenen vergeleiten ließ, und umarmte den Vater, der noch nach einer Haft von zwanzig Wochen den nämlichen Koller trug, in dem er war gefangen worden, unter Tränen, aber der Vater tröstete ihn mit weisen Worten über des Lebens Wechsel, des Glückes Unbestand, und wie auf Regen Sonnenschein, auf Trauer Freude folge. Von der Wetterburg überblickt der Wanderer einen schönen Teil von Westfalens roter Erde, worauf die heilige Feme ihre blutigen Urteile sprach und vollzog. Besonders zeigt sich die alte Femdingstuhlstadt Volkmarsen, davor »vff dem ride die wirdige königliche Dingstatt des kaiserlichen freienstuls« stand und »die echten rechten freischöffen und procuratoren der heiligen heimlichen achte« zu Gericht saßen. Gar gruselig ist davon zu lesen im Ritterromane Kurt von der Wetterburg oder die unsichtbaren Oberen, es ist aber alles nicht wahr, dieweil es nie Ritter gab, die von der Wetterburg sich nannten oder schrieben. Im alten Keller der Burg aber läßt die Sage keinen poetischen Femrichter, sondern einen sehr prosaischen Geist in Gestalt einer Branntweinstonne spuken, und ist solches gar ein arger, gefährlicher Geist.

295. Bamberger Waage

Zu Bamberg, auf Kaiser Heinrichs Grab, ist die Gerechtigkeit mit einer Waagschale in der Hand eingehauen. Die Zunge der Waage steht aber nicht in der Mitte, sondern neigt etwas auf eine Seite. Es gehet hierüber ein altes Gerücht, daß, sobald das Zünglein ins Gleiche komme, die Welt untergehen werde.

34. Chorkönig

Das alte Münster zu Straßburg hatte Chlodwig erbaut, der Frankenkönig; es war ursprünglich nur ein hölzern Gebäu, und im Jahre 1002 brannte es Hermann, Herzog von Elsaß und Schwaben, der mit Kaiser Heinrich um die Kaiserkrone stritt, fast ganz zum Grunde nieder, doch blieb das Chor Karl des Großen stehen, aber 1007 schlug das Wetter hinein, und der Rest des Baues sank in Trümmer. Da geschah es, daß Kaiser Heinrich II. im Jahre 1012 gen Straßburg kam, des Münsters Untergang beklagte und sich die Regel und Ordnung der Chorherren vorlegen ließ, die

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gefiel ihm also wohl, daß er bei sich beschloß, der Bürde seiner Königskrone zu entsagen und ein Chorherr in Unser Lieben Frauen Münster zu Straßburg zu werden. Das erschreckte gar sehr alle seine Getreuen, denn das Reich bedurfte seiner, und redeten ihm zu, von diesem Vorhaben abzustehen; Kaiser Heinrich aber, den man seines frommen Sinnes und seiner Mildtätigkeit gegen Klöster und Stifte den Heiligen nannte – er war auch der Begründer des Bistums Bamberg – wollte mitnichten von seinem Vorsatz lassen. Nun war zu Straßburg ein Bischof, der hieß Werinhard, als dieser sahe, daß der Kaiser sich nicht abbringen ließe von seinem Vorhaben, so nahm er vor, ihm die geistlichen Gelübde abzunehmen, vor allem das Gelübde des Gehorsams. Wie der Kaiser das geleistet hatte, befahl er ihm kraft Gottes und in dessen Namen, die Kaiserkrone zu behalten und des Reiches Regiment und Herrschaft, das seiner nicht entraten könne. Der Kaiser sah sich überlistet, doch gebot er, so solle fortan an seiner Statt ein anderer Chorherr im Frauenmünster Gott dienen und das Amt versehen und am Altar für ihn singen und beten, der solle der Chorkönig heißen. Stiftete auch eine reiche Pfründe in das Gotteshaus, das war die Chorkönigspfründe, die hat bestanden weit über tausendundsiebenhundert Jahre. Und Bischof Werinhard war es, der hernach im Jahre 1015 den Grundstein zu dem steinernen Münster in Straßburg legte.

359. Der Bischof Bernhard und die Juliner.

(S. Kanzow, Pommersche Chronik S. 57. Kanngießer S. 541 etc.)

Der Herzog Boleslaus Krizivousti gab sich viele Mühe, die polnischen Bischöfe dahin zu bringen, das Christenthum in dem heidnischen Pommern einzubürgern, allein diese hatten keine Lust, in die katholische Kirche eine neue Heerde einzuführen, die so groß war, daß sie nicht mit einem der polnischen Sprengel vereinigt werden konnte, sondern einen eigenen Hirten erheischte. Sie lehnten daher unter allerlei Vorwänden diesen Auftrag ab. Dagegen bot sich zu diesem Geschäfte ein römischer Bischof, Namens Bernhard, von Geburt ein Spanier, im Jahre 1122 an, der vielleicht heimlich die Hoffnung hegen mochte, auf diese Weise Bischof des neubekehrten Pommerns werden zu können. Dieser Bischof aber war zuvor in seinem Vaterlande ein Einsiedler gewesen und hatte dort ein so gottesfürchtiges Leben geführt, daß seine Landsleute ihn seiner Frömmigkeit halben nach Rom brachten und von dem Papste ein Bisthum in Spanien für ihn erlangten. Als er aber wieder nach Hause kam und hörte, daß von dem dasigen Kapitel ein anderer Bischof zu dem Stifte gewählt worden sei, so fing er deshalb keinen Streit an, sondern nahm sich vor, anderwärts zur Ausbreitung des Wortes Gottes beizutragen. Darüber kam er nach Deutschland und hörte dort, daß die Pommern noch im Unglauben wären und daß der König von Dänemark und der Herzog von Polen viel Krieg mit ihnen führten, einzig darum, damit sie sie zum wahren Glauben brächten. So zog er denn hin zum Herzog Boleslaus und zeigte ihm seine Absicht an; dieser aber freute sich hierüber sehr, gab ihm Dolmetscher mit und hieß sie ihn nach Pommern zu begleiten. Er meinte aber, es sei gut, wenn er zuerst in Wollin mit seinem Bekehrungswerke anfange, zog also nach der Stadt Julin und predigte dort und ließ seine Worte durch die Dolmetscher auslegen. Er vernichtete aber das zeitliche Leben, kasteiete heftig seinen Körper, genoß nur trockenes Brod und Wasser und wanderte in verächtlichem Anzuge und barfuß in Julin ein. Die Bürger, denen seine armselige Bekleidung auffiel, fragten ihn, »wer er sei und von wem er geschickt werde«, und als er sagte, »er sei Gottes Bote«, da antworteten sie ihm: »Gott werde so erbärmliche Diener nicht haben, er erdichte ihnen solches nur vor, er solle sich nur bald packen, sonst wollten sie ihm Beine machen.« Da hub er an zu sagen, »wie daß Gottes Sachen nicht in äußerlichem Gepränge und Ansehen beständen, sondern in der Kraft und That des Geistes, und daß Gott sonderlich Einfachheit und Armuth lieb habe«, und zeigte ihnen viele Schrift und Exempel und Gleichnisse an und sagte »ihre Götter wären nur von Menschen

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gemacht und Klötze und Steine und hätten nicht eine Spur Lebens oder Macht in sich, könnten sich selbst nicht helfen, wie sollten sie denn also den Menschen helfen können?« Da sprachen aber die abgöttischen Priester und die Obersten der Stadt, er schwärme, und wollten ihn nicht hören, und so ergriff Bernhard eine Axt und hieb in ein Bild, das auf dem Markte wie ein Roland stand und dort, wie die Bürger sagten, zu Ehren des Kaisers Julius errichtet war, weshalb auch die Stadt Julin hieß und darum von den Bürgern sehr hoch gehalten ward, und sagte: »Gebt Acht, so dies Bild etwas vermag, so errette es sich!« Dies konnten aber die Bürger nicht vertragen, sondern sie schlugen ihn zu Boden und wollten ihn tödten, so daß ihn die Priester und Stadtobersten kaum erretten konnten. Diese nämlich wollten ihm nichts zu Leide thun aus Furcht vor ihrem Fürsten und vor Herzog Boleslaus und sagten dem Volke, sie sollten ruhig sein, denn sie hätten doch wohl gehört, wie es dereinst den Preußen ergangen sei, da sie den Adalbert, der Aehnliches gepredigt, getödtet hätten. Sie nahmen also den Bischof Bernhard sammt seinem Kaplan Peter und dem Dolmetscher, setzten ihn in ein Boot und ließen ihn hinfahren, wohin er konnte und wollte und sagten, »er solle nur den Fischen predigen, die müßten ihn anhören, sie hätten etwas Anderes zu thun.« Da nun der Bischof Bernhard sah, daß ihm die Sache nicht glücke, so dachte er, es sei ein großer Mangel, daß er selbst mit den Leuten nicht reden konnte, gab das Predigen auf, ging zu Herzog Boleslaus, berichtete ihm, was geschehen war und zog dann nach Bamberg. Dort ging er in das Kloster St. Michael und erzählte dem dasigen Bischof, wie es ihm ergangen sei, und sagte: »So einer den Pommern predigen wolle, dürfe er nicht als ein Armer kommen, sonst nähmen sie ihn nicht an.« Später aber kehrte er wieder nach Spanien zurück zum Einsiedlerleben.

360. Die Bekehrung der Pommern durch Bischof Otto von Bamberg.

(S. Kanngießer S. 548-623.)

Otto, Bischof von Bamberg, der Gönner des St. Michaelsklosters daselbst, welches er eigentlich auf seine Kosten nach dem Einsturze desselben in Folge eines Erdbebens im Jahre 1117 wieder hat aufführen lassen, hatte von dem Bischof Bernhard so viel über die ungläubigen Pommern gehört, daß in ihm der Wunsch aufstieg, das, was diesem nicht gelungen war, selbst zu versuchen, und so bedurfte es kaum des Einladungsbriefes des Herzogs von Polen, Boleslaus, dorthin zu kommen, sondern er begab sich am 24. April 1124, begleitet von mehreren Geistlichen von Bamberg, auf die Reise. Er erhielt unterwegs auf dem Wege, den er durch Böhmen, Schlesien und Polen nahm, alle nöthige Unterstützung von Seiten des polnischen Herzogs und seiner Magnaten und als er an der Netze bei Uscz an die Grenze von Pommern gelangte, empfing ihn dort der Herzog Wratislav von Pommern auf dem Schlosse Zitarigroda, welches auf der linken Seite der Netze noch auf polnischem Boden lag. Nach dem Uebergange über den Fluß gelangten sie, nachdem sie sieben Tage hintereinander durch eine große Wüste, wo sie von giftigen Thieren mit großer Gefahr bedroht wurden, gezogen waren, nach dem Schlosse Pyritz, wo gerade an die 4000 Menschen zusammengeströmt waren und dort ein heidnisches Fest mit Spiel, Ausschweifungen, Gesang und Tanz feierten. Des Festes wegen war der Pommersche Adel auf dem Schlosse gerade beisammen, und diese Herren beschlossen nun selbst sich zuerst zum Christenthum zu bekehren und ihre alten Götter, die sie gegen den Christengott nicht zu schützen im Stande wären, zu verlassen. Sie zogen ihm also entgegen und führten ihn mitten durch das heidnische Volk in die Burg. Dort unterrichtete Bischof Otto und seine Priester das Volk sieben Tage lang und ließen sie die Worte im kleinen Katechismus auswendig lernen, darnach hießen sie dasselbe drei Tage lang fasten; als sie aber gefastet, mußten sie baden und reine Kleider anziehen, also daß sie nicht nur mit reinem Herzen, sondern auch mit sauberem Leibe zur Taufe gehen sollten. Er hatte aber drei Taufanstalten einrichten lassen, eine für die erwachsenen Knaben,

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welche er selbst taufte, die zweite für die Männer, die dritte für die Frauen, welche beiden letztern Klassen aber seine Geistlichen tauften. Um aber zu verhindern, daß die ehrbaren Personen, weil die Täuflinge nach damaligem Gebrauche in die mit Wasser gefüllte Taufwanne steigen mußten, nicht etwa unter dem Vorwande, daß sie schamroth würden, der Taufe sich entziehen möchten, ließ er um die in die Erde eingegrabenen Tauffässer Vorhänge ziehen, deren innerer Raum durch eine Scheidewand in zwei Theile getheilt ward, so daß weder der Täufling den Priester, noch der Priester den Täufling sehen konnte. So taufte er in zwanzig Tagen gegen 7000 Personen, die von allen Seiten nach Pyritz kamen. Weil nun aber in jener Gegend damals kein Wasser zum Taufen war, so stieß der Bischof seinen Stab in die Erde und sofort quoll aus derselben jene Quelle hervor, welche seit dieser Zeit der heilige oder der Otto-Brunnen genannt wird. Diese Quelle aber ist seit dem Jahre 1824 würdig erneuert worden; sie ist mit behauenem Granit eingefriedigt worden und bequeme Stufen führen zu ihr hinab; über ihr erhebt sich ein großes granitnes Kreuz, dessen Inschrift auf ihren Ursprung Bezug hat. Nachdem nun Bischof Otto den Neugetauften den ersten Unterricht im christlichen Glauben ertheilt hatte, legte er zu Pyritz den Grund zu einer Kirche und richtete gleichzeitig auch den Gottesdienst daselbst ein, dann aber begab er sich nach der Residenz des Herzogs, dem damals sehr kleinen Flecken Kammin (24. Juni 1124), wo ihm aber Helia, die Gemahlin des Herzogs, eine Christin, bereits den Weg geebnet hatte, so daß die ganze Bevölkerung der Stadt und Umgegend sich sofort bereit zeigte, die Taufe anzunehmen. Ebendaselbst trat denn auch der Herzog Wratislav selbst zum Christenthum über und schwur gleichzeitig auch, daß er seine 24 Kebsweiber, die er nach heidnischem Gebrauche neben seiner Ehegemahlin angenommen hatte, aufgeben wolle. Zur Herstellung des regelmäßigen Gottesdienstes ward nun aber auch hier in aller Eile eine Kirche errichtet. Eine einzige Person zeigte sich jedoch zu Kammin widerspenstig, diese war eine vornehme und begüterte Edelfrau, eine Wittwe. Dieser war es vorzüglich anstößig, daß durch Einführung der Sonntagsfeier die Arbeiter der Landwirthschaft entzogen und die Feldarbeiten einen ganzen Tag der Woche versäumt wurden. Als nun eines Sonntags im Julius diese Frau ihren Dienstleuten verbot in die Kirche zu gehen und laut erklärte, es sei nützlicher, aufs Feld zu gehen und das Korn zu schneiden, als dem neuen Gotte durch Müßiggang zu dienen, und sie selbst mit aufs Feld gegangen war und ihren Leuten zurief, sie möchten ebenso arbeiten, wie sie selbst es thun werde, so trug es sich zu, daß, als sie die Aermel aufgestreift, ihr Gewand gegürtet, eine Sichel mit der Rechten ergriffen hatte und mit der Linken das Korn aufraffte, sie plötzlich erkrankte, die Sprache verlor und vom Schlage getroffen ward. Ihre Dienstleute liefen herbei und ihr Uebelbefinden der Wirkung des christlichen Gottes zuschreibend baten sie sie, von ihrer verwegenen Handlung abzustehen und riefen: »Der Gott der Christen ist stark!« Allein sie konnte nichts mehr antworten, ihre Hände hatte der Krampf ergriffen, sie sank zur Erde und hauchte ihre schuldvolle Seele in das höllische Feuer aus. Ihre Dienstleute aber hoben die Edelfrau auf den Wagen und eilten sogleich zur Kirche um die Taufe zu empfangen. Von Kammin begab sich nun der Bischof zu Schiffe nach Julin, ward aber von dem Frachtführer Domeslav, Vater und Sohne, unterwegs bange gemacht und verleitet, sich des Nachts in Julin heimlich einzuschleichen. Darüber entstand ein Auflauf und Otto sammt seinen Begleitern ward genöthigt, das herzogliche Schloß in Julin wieder zu verlassen. Bei seinem Rückzuge aus der Stadt warf indeß plötzlich ein roher Mann mit einem gewaltigen Stocke nach dem Kopfe des Bischofs, dieser aber wendete den Kopf und empfing den Schlag auf die Schulter, jedoch ward ihm davon auch das Knie erschüttert. Da noch ein anderer Mann aus der Entfernung einen Prügel nach ihm warf, so fiel der Bischof, welchen seine Begleiter der Oberst Paulitius und der Priester Hiltan in ihrer Mitte am Arme führten, von der Fußbrücke in den Koth; zwar halfen sie ihm wieder auf die Beine, allein er mußte doch die Stadt verlassen. Vor derselben verweilte er fünf Tage, die Vorsteher der Stadt entschuldigten sich und legten einigen Hitzköpfen aus dem

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Pöbel die Schuld bei, allein als sie wegen Annahme des Christenthums sich mit der Bürgerschaft berathschlagten, erlangten sie doch nichts weiter, als daß sie sich nach dem Verhalten der Stettiner richten wollten. Am 8. August 1124 reiste Otto weiter gen Stettin, allein die Vorsteher der Stadt verweigerten die Annahme des Christenthums, Otto verweilte ohne Erfolg zwei Monate daselbst und sandte dann Botschafter an den Herzog Boleslaus um Verhaltungsmaßregeln einzuholen, die Stettiner aber schickten selbst Gesandte mit, deren Forderungen auch bewilligt wurden. Während dieser Gesandtschaft ward nun aber öffentlich in Stettin gepredigt und namentlich wurden zwei vornehme Jünglinge, deren Mutter allerdings bereits eine heimliche Christin war, und dann noch viele andere junge und alte Leute getauft. Indeß kam der Vater jener beiden Jünglinge, eine Art Major Domus des Herzogs Wratislav, Domizlav, ein Mann von ungeheurer Stärke und dem höchsten Ansehen in Pommern, von seiner Reise zurück und da er unterwegs erfuhr, daß seine Frau, Kinder und Hausgenossen öffentlich sich zur christlichen Religion bekannt hätten, so gerieth er in den heftigsten Zorn, fiel den frommen Otto mit Drohungen, Schrecknissen und Schmähworten an und suchte ihn durch Beschimpfungen aus der Stadt zu verdrängen. Aber der Apostel der Pommern beugte sein Knie vor Gott und flehete mit Thränen, daß, wo die Sünde groß sei, die Gnade überschwenglich sein möge. Da ward Domizlav vor Furcht und Liebe zu Gott erschüttert und gleichsam als hätte er eine Stimme vom Himmel gehört, die ihm zurief: »Domizlav, warum verfolgst Du mich? Längst hätte ich Dich vernichten sollen, aber Otto, mein Diener, hat für Dich gebeten!« warf er sich plötzlich aus einem Wolf in ein Lamm verwandelt vor Otto nieder, bat um Ablaß und Zulassung zur Buße und ließ sich nach erlangter Verzeihung, mit allen seinen Hausgenossen, deren Zahl an die 500 war, taufen. Seinem Beispiele folgte dann aber bald ein großer Theil der Bürger. Unterdessen kam nun aber die von Otto an Boleslaus geschickte Gesandtschaft zurück und brachte von diesem zur Antwort, wenn die Pommern das Christenthum annähmen, so wolle er die Steuern und den Druck der Knechtschaft, den sie jetzt von seiner Seite erführen, ihnen erleichtern und ihnen für immer seinen Schutz zu Theil werden lassen. Darauf redete der Bischof Otto selbst zu ihnen und ermahnte sie, seinem Beispiele zu folgen, er bewaffnete nun sich und seine Begleiter mit Beilen und Hacken, schritt gegen den Tempel des Triglaf, der hier verehrt wurde, vor, zertrümmerte und schlug Alles auseinander, bestieg dann das Dach des Tempels und riß es nieder. Die Bürger standen als Zuschauer dabei um zu beobachten, ob sich die armen Götter wehren würden. Da sie aber nicht bemerkten, daß dem Verwüster ein Leid widerfuhr, so legten sie selbst Hand mit an, zerschlugen Alles in Stücke und schleppten das Holzwerk nach Hause, um es zum Backen und Kochen zu verbrauchen. Im Tempel aber befand sich ein großer Schatz an goldnen und silbernen Bechern, großen, vergoldeten, mit Edelsteinen besetzten Hörnern von wilden Ochsen, zu Trinkgeschirren verarbeitet, andern zum Blasen eingerichteten Hörnern, Dolchen, Messern und andern kostbaren zur Ehre der Götter bestimmten Geräthen, diese Reichthümer wollten die Stettiner dem Bischof Otto und den christlichen Priestern überlassen, allein derselbe nahm sie nicht an, sondern theilte sie unter sie, nachdem er sie mit Weihwasser besprengt und das Zeichen des Kreuzes über sie gemacht hatte. Blos von dem Standbilde des Triglaf, dessen hölzerner Rumpf gänzlich zertrümmert wurde, nahm er die drei zusammenhängenden Köpfe und sendete sie als eine Art Siegeszeichen über die heidnischen Götter an den Papst nach Rom. Außer diesem Tempel Triglafs, welcher zuerst zertrümmert wurde, gab es damals in Stettin noch drei Versammlungshäuser, welche von den Bekehrern gleichfalls zerstört wurden. Nach Abbrechung derselben wollte der Bischof auch eine große, belaubte Eiche, welche in der Nähe stand und unter welcher ein anmuthiger Quell befindlich war, umhauen lassen, weil das Volk den Baum für den Wohnsitz einer Gottheit ansah und ihm große Verehrung bezeigte, allein er ließ sich bewegen, es zu unterlassen, weil die Bürgerschaft versicherte, sie wollten den Baum nur des Schattens und seiner Anmuth halber retten, ohne daß

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man weiter Heil von dem Baume zu erwarten beabsichtige. Dafür aber drang er auf die Abschaffung des sogenannten Orakelpferdes. Dieses Pferd, von außerordentlicher Größe, fett, von schwarzer Farbe und voll Feuer stand gleichwohl das ganze Jahr müßig, denn Niemand durfte es reiten, weil der Sage nach Triglaf allein es ritt. Der Diener des Triglaftempels hatte auch die Aufsicht über das Pferd, welches für heilig galt und, wenn man gegen den Feind oder zu einem Streifzuge aufbrechen wollte, den Erfolg verkündete. Neun Speere, einer von dem andern eine Elle weit getrennt, wurden auf dem Boden gestreckt, der Priester, dem die Pflege dieses Pferdes oblag, versah dasselbe mit Sattel und Zaum und führte es am Zügel quer über die liegenden Speere dreimal hin und wieder zurück. Ging es ohne anzustoßen und die Speere aus ihrer Lage zu rühren, darüber weg, so galt dies für ein Zeichen des Gelingens und die Mannschaft eilte ohne Bedenken zur Unternehmung; berührte es die Speere, so ward das Vorhaben aufgegeben. Ein ähnliches Pferd war übrigens auch zu Arkona. Otto ließ das Orakelpferd ins Ausland als Zugpferd verkaufen, weil es nach seiner Aeußerung besser vor einem Frachtwagen, als zur Wahrsagerei zu gebrauchen sei. Als nun die Stadt von allen Zeichen des Heidenthums gereinigt war, wurden überall Kreuze errichtet und der Gekreuzigte angebetet, und in der großen Stadt fand sich zuletzt nur ein einziger Mensch, der sich weigerte, das Christenthum anzunehmen. Dieser war jener Priester, der die Wartung des Orakelpferdes zu besorgen gehabt hatte. Derselbe benahm sich gegen den Bischof Otto sehr unschicklich und ob ihn gleich dieser selbst dringend anging, den christlichen Glauben anzunehmen, that er es doch nicht, allein dafür ward er in der darauf folgenden Nacht von der göttlichen Rache getroffen, sein Leib schwoll schmerzlich auf und platzte. Bischof Otto ging nun nach Cherg und Lubinum (jetzt Lebbahn, ein Vorwerk) und führte daselbst das Christenthum ein, von da aber wieder nach Julin, wo er diesmal mit den größten Ehrenbezeugungen aufgenommen ward und die Einwohner ohne die allermindeste Schwierigkeit bekehrte. Blos die bisherigen Priester der Götzen widerstanden seinen Lehren, allein sie hatten keine Macht mehr gegen ihn, da das gesammte Volk ihm zuströmte, sie mußten sich also damit begnügen, ihn mit Verleumdungen und Schmähreden anzugreifen, überall Haß und Feindschaft gegen ihn zu erregen und Verwünschungen gegen ihn auszustoßen. Als aber von ihm hier die Bilder und Tempel der Götzen zerstört wurden, wußten sie das goldne Bild des vorzugsweise bei ihnen verehrten Gottes Triglaf zu stehlen, führten es aus dem Gebiete der Stadt und übergaben es einer Wittwe zur Verwahrung, die auf einem Landgute lebte, und bei welcher Niemand, wie sie hofften, es aufsuchen würde. Diese Frau, durch Geld bestochen, das Götzenbild wie ihren Augapfel zu verschließen, zog um das Bild Triglafs einen Mantel und steckte es in den ausgehöhlten Stamm eines sehr starken Baumes, so daß es Keiner sehen, geschweige denn berühren konnte. Blos ein kleines Loch, durch welches das Opfer hineingebracht wurde, ward in dem Stamm offen gelassen. Keiner besuchte aber das Haus, als nur, um die heidnischen Opfergebräuche zu verrichten. Als nun der Bischof solches erfuhr, suchte er auf alle Weise das Bild zu erlangen, weil er fürchtete, die gemeinen, im Christenglauben noch nicht befestigten Leute würden, wie sich dies auch wirklich begab, dadurch zum Abfall gereizt werden. Da er aber voraussah, daß, wenn er selbst eine Reise dahin unternehme, die Priester davon hören und das Bild Triglafs in noch entferntere Gegenden schaffen würden, so schickte er einen seiner Begleiter, einen gewissen Hermann, einen gewandten Mann, der übrigens etwas slavisch verstand, heimlich zu der Wittwe ab. Er trug ihm auf, daß er sich wie ein Pommer kleiden und vorgeben solle, daß er dem Triglaf ein Opfer zu bringen wünsche. Dieser Mann kaufte sich einen Pommerschen Hut und Mantel und kam, nachdem er auf dem beschwerlichen Wege viele Gefahren bestanden hatte, zu der Wittwe, welcher er versicherte, daß er neulich aus einem Sturme auf der See durch die Anrufung seines Gottes Triglaf gerettet worden sei, deshalb für seine Erhaltung ihm das schuldige Opfer zu bringen komme. »Wenn Du«, entgegnete sie, »von

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ihm gesandt bist, siehe, so ist hier das Zimmer, wo unser Gott in der hohlen Eiche verschlossen gehalten wird. Eigentlich sehen und berühren kannst Du ihn nicht, aber wenn Du von ferne vor dem Stamme niederfällst, so gieb auf die kleine Oeffnung Acht, durch welche Du das Opfer, welches Du geben willst, hineinbringen kannst. Hast Du dies hineingelegt, so schließe ehrerbietig die Thüre zu und gehe hinaus. Wenn Dir aber das Leben lieb ist, so hüte Dich, Jemandem von meiner Rede etwas zu offenbaren.« Der Mensch ging nun hurtig in das Zimmer hinein und warf einen Silberling in das Loch, um durch den Klang des Metalls glauben zu machen, daß er geopfert habe. Aber er zog das Stück Geld, welches er hineingeworfen hatte, sogleich zurück und brachte statt Ehre Beschimpfung, nämlich einen ungeheuren Speichelauswurf Triglaf zum Opfer dar. Er untersuchte nun genauer, ob er das ihm aufgetragene Geschäft ausführen könne, bemerkte aber, daß das Bild Triglafs mit so großer Vorsicht und Festigkeit eingepaßt sei, daß es auf keine Weise geraubt oder nur aus seiner Stellung gerückt werden könne. In dieser Verlegenheit warf er seine Blicke umher und sah den Sattel Triglafs an der Wand befestigt. Derselbe war von hohem Alterthum und fast gar nicht mehr brauchbar. Hermann sprang voll Freude auf, zog den Sattel herab und verbarg ihn, ging bei anbrechender Nacht heraus, eilte zu seinem Herrn, erzählte, was er gethan habe, und legte ihm zum Beweise seiner Glaubwürdigkeit den Sattel Triglafs vor. Otto beschloß aber gleichwohl von weitern Nachforschungen nach dem Bilde abzusehen, um nicht in Verdacht zu gerathen, daß er weniger aus Eifer für die gute Sache, als aus Begierde nach Gold darnach trachte. Er nahm aber den Vornehmen und Aeltesten der Stadt Julin einen Eid ab, daß man der Verehrung Triglafs völlig entsagen, das Bild zertrümmern und das ganze Gold zum Loskauf der Gefangenen verwenden wolle. Nachdem nun Bischof Otto noch die Einwohner von Clodona, des jetzigen Gollnow, so wie die einer verwüsteten Stadt, unter der man sich wahrscheinlich Naugard zu denken hat, getauft hatte, führte er auch in Colberg und Belgard das Christenthum ein, begab sich aber, als er alle eingerichteten Gemeinden bereist und die indessen fertig gewordenen Kirchen geweiht hatte, endlich durch Böhmen nach Bamberg zurück, wo er am 18. März 1125 wieder eintraf. Indeß hatte er nur das Land zwischen der Oder und Persante bekehrt, das linke Ufer der Oder war heidnisch geblieben, und so kam es, daß der Anblick der den alten Götzen noch dienenden Landsleute auch die schon bekehrten Pommern wieder vom Christenthum abwendig zu machen anfing, denn zwölf Kirchen und zwölf bis zwanzig von ihm in dem bekehrten Theile Pommerns zurückgelassene Geistliche reichten nicht hin, die neue Religion zu befestigen und wahrhaft christlichen Geist zu verbreiten. Es war also nöthig, daß Otto zum zweiten Male nach Pommern ging, um sein so schön begonnenes Werk zu Ende zu führen, allein die politischen Wirren in Deutschland seit der Erhebung Herzogs Lothar von Sachsen zum deutschen König hinderten ihn, eher als im Jahre 1128 seine zweite Reise nach Pommern anzutreten, wo namentlich die Städte Julin und Stettin rückfällig zur Abgötterei geworden waren. Er ging über Merseburg und Halle nach Magdeburg, wo er sich mit dem h. Norbert unterredete, von da aber nach Havelberg und nahm dann von hier seinen Weg zum Muritzsee und nach Demmin. Von da ging er nach Usedom, wo auf dem daselbst den 14. Mai 1128 gehaltenen Landtage das Christenthum einstimmig von den Ständen angenommen ward. Indessen war doch eine Parthei in dem diesseitigen Lande, besonders in der Stadt Wolgast mit diesem Beschlusse der Stände nicht zufrieden. Er nahm sich also vor, selbst dorthin zu gehen und auch hier die ihm abgeneigten Gemüther für sich zu gewinnen. Da ging des Nachts der dortige heidnische Tempelwärter in den nahen, damals Zitz genannten Wald, stellte sich, mit seiner weißen Priesterkleidung umgeben, an einem erhöhetem Orte zwischen das Gebüsch und rief am Morgen, als ein Bauer vom Lande zu Markte ging: »Halt, guter Mann!« Wiewohl das Tageslicht erst aufdämmerte, so sah dieser doch die weiße Gestalt und fing an zu beben. »Bleib stehen«, fuhr der Priester fort, »und vernimm, was ich sage. Ich bin Dein Gott, ich bin der, welcher die Wiesen mit Gras und die Wälder mit Laub

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bekleidet; in meiner Macht stehen die Früchte der Aecker, und die Bäume und der Segen des Viehes und alles, was den Menschen Nutzen bringt. Sage daher den Bewohnern der Stadt Wolgast, daß sie den fremden Gott, der ihnen nichts nützen kann, verwerfen, und ermahne sie, daß sie diejenigen Männer von andrer Religion, deren Ankunft ich voraus verkündige, nicht am Leben lassen.« Nach abgegebenem Auftrage zog sich der sichtbare Geist in das Dickicht zurück und der erstaunte Bauer, welcher vor Schrecken zu Boden gesunken war, richtete sich auf und verkündete der Stadt die Erscheinung, das Volk aber, welches sich bei der Erzählung der Wundergeschichte um ihn her immer wieder aufs Neue versammelte, glaubte ihm. Endlich trat auch der Priester, der scheinbar von diesem Vorfalle nichts wußte, hervor und redete dem Bauer ins Gewissen, er solle nur die Wahrheit aussagen und das Volk nicht etwa mit Erdichtungen beunruhigen. Dieser aber hob die Hände in seiner Unschuld zum Himmel empor und machte sich anheischig, eidlich die Wahrheit seiner Erzählung und die Stelle der Erscheinung nachzuweisen. In Folge dessen beschlossen sie nun, wenn Otto oder einer seiner Gefährten in die Stadt Wolgast käme, sollten sie das Leben verwirkt haben und wenn Jemand die Ankommenden in sein Haus aufnähme, solle er dieselbe Strafe leiden. Nun schickte aber Otto wirklich als Vorläufer seiner Ankunft zwei Geistliche, Dedalrich und Albuin nach Wolgast, dieselben kehrten in dem Hause des Stadtbefehlshabers, der zufällig in Usedom abwesend war, ein und wurden von dessen Gattin, einer Heidin, sehr gut aufgenommen. Allein als sie erfuhr, wer sie seien, gerieth sie in große Angst und sagte ihnen, daß sowohl ihnen als ihr selbst der Tod bevorstehe, wenn es ruchbar werde, daß sie sie bei sich aufgenommen habe. Gleichwohl aber versteckte sie sie aus Mitleid in einem obern Tafelzimmer des Hauses. Dann ließ sie die Pferde, Wagen und das Reisegeräthe der beiden Fremden durch ihre Leute aus der Stadt schaffen, und als eine Rotte Volkes in ihr Haus drang und die Herausgabe der Fremden forderte, erklärte sie, sie habe jene zwar unwissentlich einen Tag beherbergt, allein sofort fortgetrieben, als sie erfahren, wer sie seien. So blieben sie, da sich das Volk mit dieser Ausflucht beruhigte, drei Tage eingesperrt, bis Otto und der Herzog mit einer großen Menge Kriegsleute in die Stadt kamen, wo sie dann nichts mehr zu fürchten hatten. Nun faßten aber die mit dem Bischof angelangten Geistlichen neuen Muth, zogen in der Stadt herum, um die Götzentempel auszuforschen und deren Sturz vorzubereiten. Allein überall, wo sie sich sehen ließen, stellte sich ihnen das Volk in den Weg und drohte ihnen mit Waffen, so daß Alle umkehrten mit Ausnahme des Geistlichen Theodorich, der bereits bis an die Thüre des Tempels gekommen war und nicht mehr zurück konnte. Als derselbe nun von den Heiden bis in das Heiligthum hinein verfolgt ward, so suchte er in der Angst in dem Tempel nach einer Waffe oder Schlupfwinkel, wo er sich vertheidigen könne. Es hing aber daselbst an der Wand ein dem Kriegsgotte Herovit geweihtes Schild von außerordentlicher Größe, sehr kunstreich gearbeitet und mit Goldblech überzogen. Dieses Schild durfte von keinem Sterblichen außer zur Kriegszeit berührt werden, wo man es von seinem Platze herunternahm und dem Heere vortrug. Der Geistliche ergriff nun in der Angst dieses Schild, warf den Hangriemen um den Hals, steckte die linke Hand in die ledernen Handhaben und sprang so gedeckt mitten unter das Getümmel der aufgebrachten Rotte. Die rohen Leute nahmen beim Anblicke dieser seltsamen Rüstung theils die Flucht, theils stürzten sie wie todt zur Erde, Theodorich aber kehrte mit beflügelten Schritten keuchend und blaß zurück; allein schließlich überzeugten sich die Einwohner von Wolgast dennoch, daß es mit allen ihren Göttern doch eigentlich nichts sei und so konnte denn der Bischof Otto auch bei ihnen bald eine Kapelle und einen Altar einweihen und einen seiner Begleiter, Namens Johannes, dort zum Priester einsetzen. Otto begab sich nun von Wolgast nach Gützkow, einer reichen Stadt, welche aber alles that, um ihren herrlichen Tempel vor der Zerstörung zu bewahren; allein auf sein Zureden rissen sie dieses kostbare Gebäude, dessen Bau ihnen gerade 3000 Talente gekostet hatte, selbst nieder und ließen es geschehen, daß die großen Standbilder, welche mit wunderbarer Kunst geschnitzt waren und mit vielen Paaren von Ochsen kaum von der

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Stelle gerückt werden konnten, jetzt, nachdem ihnen Hände und Füße abgehauen, die Augen ausgestochen und die Nasen verstümmelt waren, über eine gewisse Brücke geschleift wurden, um dann verbrannt zu werden. Als dies geschah, brach plötzlich ein Schwarm von Fliegen von so ungewöhnlicher Größe, wie niemals zuvor im Lande gesehen worden, aus dem Tempel mit solchem Ungestüm hervor und bedeckte den ganzen Umkreis der Stadt so dicht gedrängt, daß schwarze Finsterniß das Tageslicht verdrängte. Sie jagten den Zuschauern dadurch kein geringes Entsetzen ein, daß sie mit wilder Frechheit die Augen und Lippen der Leute anfielen. Aber wiewohl diese heftig mit den Händen drein schlugen und sie wegzutreiben suchten, so drangen die Fliegen doch lange Zeit auf sie ein, bis die Gläubigen das Lob Gottes zu singen begannen und die Kreuzesfahne herumtrugen. Da flog der verhaßte Wunderschwarm aus den offenen Thoren und eilte mit größter Schnelligkeit in das Land der heidnischen Rugier. Bischof Otto weihete nun die Anlage einer christlichen Kirche ein, bei welcher Gelegenheit Mizlav, der Herr von Gützkow, sich bewegen ließ, alle Gefangenen, selbst einen Dänischen Prinzen, für welchen er viel Lösegeld zu bekommen hoffte, auf freien Fuß zu setzen. Mittlerweile hatten aber die christlich gewordenen Freiherrn und Städte in Pommern geglaubt, durch die Annahme des Christenthums in die Rechte eines freien Volkes eingesetzt worden zu sein, hatten ihre Steuern an Boleslaus von Polen nicht mehr bezahlt und so kam es, daß dieser im Jahre 1128 mit einem Heere an die Pommersche Grenze rückte, um sie eines Bessern zu belehren. Da bekamen aber die Pommern Furcht und baten den Bischof, sich mit einem Ausschusse ihrer Stände in das Polnische Lager zu begeben und den Herzog zu begütigen. Dies gelang ihm auch. Boleslaus bestätigte den Frieden und zog sich zurück. Inzwischen hatte Otto erfahren, daß die heidnischen Rugier aus Zorn, daß durch seine Bemühungen die Pommern zum Christenthum bekehrt worden waren, gedroht, ihn mit dem Tode zu bestrafen, wenn er sich einfallen lassen werde, auf ihre Insel zu kommen. Aber gerade diese Nachricht erregte in ihm die Begierde nach Rügen zu ziehen und sich dort die Krone des Martyrthums zu erwerben. Allein seine Gefährten ließen es nicht zu und stellten ihm vor, daß sein längeres Leben ihnen allen zu nützlich und ganz unentbehrlich sei und so gestattete er es denn, daß an seiner Statt einer seiner thätigsten Gehilfen, Udalrich genannt, dorthin ziehe. Dieser bestieg also ein Schiff und fuhr unter den heißen Segenswünschen seiner bisherigen Gefährten ab. Allein nur drei Stunden blieb der Wind günstig, dann ward das Schiff von Stürmen hier und dahin geworfen und endlich ans Ufer zurückgetrieben. Udalrich, obwohl vom Regen durchnäßt und ganz erschöpft, war gleichwohl von seinem Vorhaben nicht abzubringen, stieg nicht einmal vom Schiffe, leerte es vom Wasser und ging, sobald sich der Sturm gelegt hatte, wieder in See. Er ward aber zum zweiten Male zurückgeworfen. Er versuchte die Reise zum dritten Male, allein nur durch ein Wunder entging er dem Untergange bei einem Sturme, der sieben Tage wüthete. Da endlich erkannte er, daß die Rugier der evangelischen Gnade unwürdig wären und stand von seinem Unternehmen ab. Nun beschloß er nach Stettin zu reisen, wo ein großer Theil der Einwohner sich wieder dem Götzenthume zugewendet hatte. So hatten sie die im Jahre 1125 bei ihnen erbaute Kirche zu St. Adalbert abzubrechen begonnen, die heidnischen Priester, welche nur zum Schein Christen geworden waren, warfen schon mit Hilfe ihrer Anhänger die Klingel und die Glocken, welche vor dem Eingange derselben aufgehangen waren, herab und fingen schon an, die Kirche selbst zu zerstören, da ward plötzlich einer von ihnen, welcher mit einer Maurerhacke den Altar anfiel, von plötzlicher Schwäche ergriffen, ließ die Hacke aus der Hand fallen und stürzte selbst besinnungslos zu Boden. Als er wieder zu sich kam, sagte er zu dem umstehenden Volke: »Vergeblich, Bürger, strengen wir unsere Kräfte an, der Christen Gott ist zu stark, er kann durch unsere Hände nicht vertrieben werden, aber auch unsere alten Götter wollen wir nicht fahren lassen, darum laßt uns neben dem Altare des christlichen Gottes auch diesen einen Altar erbauen, damit wir durch gleiche Verehrung jenen und diese gleich gnädig gegen uns machen!« So thaten

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sie auch und dienten neben Christo auch den Götzen. Ein einziger Mann, ein gewisser Witsak, eiferte in Stettin mit aller Kraft gegen die Greuel des wieder auflebenden Heidenthums. Derselbe war nämlich in die Hände der heidnischen Rugier gefallen, dort mit Ketten belastet ins Gefängniß geworfen worden, nachdem er im Traum aber den Bischof Otto gesehen, durch die Kraft dieses Heiligen nicht blos seiner Ketten entledigt worden, sondern es hatte sich ihm auch die Thüre seines Kerkers geöffnet, er hatte am Ufer ein Boot schwimmen sehen, sich hineingeworfen und war mit den Händen rudernd wieder an die vaterländische Küste gelangt, hatte dann zum ewigen Gedächtniß das Boot an der Stadtmauer aufhängen lassen und indem er seinen Mitbürgern seine wunderbare Errettung erzählte, hatte er dieselben mit der schwersten Züchtigung bedroht, wo sie nicht von ihrem Unglauben abließen, allein er hatte doch nicht das Volk dahin bringen können, die Gebräuche des Heidenthums aufzugeben. Als nun Bischof Otto anlangte, zog er ihm mit den treu gebliebenen Christen entgegen und führte ihn zu einer auf dem Markte errichteten Rednerbühne, damit er zum Volke sprechen könne. Als derselbe aber zu reden anfing, drängte sich ein großer, fetter heidnischer Priester heran, schlug zweimal mit einem großen Knittel an die Tragsäule derselben und suchte den Bischof zu überschreien, forderte auch das Volk auf, den Bischof zu verjagen, die Wildesten unter demselben erhoben und schüttelten auch ihre Lanzen, allein sie blieben plötzlich unbeweglich wie Bildsäulen stehen und erst auf das Gebot Otto's erhielten sie den Gebrauch ihrer Glieder wieder. Dieses Wunder überzeugte endlich das Volk und so konnte Otto ohne Gefahr den in der Kirche zu St. Adalbert errichteten heidnischen Altar zertrümmern und hinauswerfen. Am folgenden Tage ward nun in einer großen Rathsversammlung die völlige Abschaffung des Heidenthums beschlossen, Tags darauf hielt Otto eine zweite Rede an das Volk, versöhnte es wieder mit der Kirche und taufte diejenigen, welche noch nicht getauft waren. Er zerstörte dann die noch übrigen Tempel und sonstigen Heiligthümer des Heidenthums, wäre aber dabei bald ums Leben gekommen, denn als er einen Nußbaum von außerordentlicher Schönheit, der einem Götzen gewidmet war, trotz der Bitten der Umwohner, welche sich oft unter seinem Schatten wohl befunden hatten, umhauen lassen wollte, schleuderte plötzlich der eigentliche Besitzer des Ackers, auf dem der Nußbaum stand, nachdem er sich im Rücken des Bischofs herangeschlichen hatte, eine Streitaxt nach demselben, allein Otto bückte sich, und die Axt fuhr so tief in die Brücke, neben welcher er stand, hinein, daß sie nicht einmal an dem Bande, woran sie getragen wurde, zurückgezogen werden konnte. Die Anwesenden liefen herzu, ergriffen den Hitzkopf und würden ihn mit derselben Streitaxt erschlagen haben, hätte es Bischof Otto nicht verhindert. Nachdem Otto nun noch die Stadt Stettin mit ihrem Herzog wieder ausgesöhnt hatte, bestieg er ein Schiff und fuhr nach Julin. Unterwegs aber hatte jener heidnische Priester, der ihn damals bei seiner Rede unterbrochen hatte, an einer engen Stelle des Fahrwassers eine Schaar Mordgesellen in einen Hinterhalt gelegt, welche in das Schiff sprangen, über die Reisenden herfielen und den Bischof zu ermorden suchten, allein sie wurden von den Matrosen überwältigt und wieder zum Schiffe hinausgetrieben. Jener Priester aber, welcher den Ueberfall veranstaltet hatte und zu derselben Stunde bei seinen Freunden in Stettin saß, ward in derselben Minute vom Schlage getroffen, sein Kopf ward auf den Rücken gedreht und unter fürchterlichen Zuckungen hauchte er sein Leben aus, während ein entsetzlicher Gestank seinem weit geöffneten Munde entströmte. Nun war aber die Stadt Julin das Jahr vorher durch Feuer, welches vom Himmel gefallen war, an demselben Tage, wo sich die Bürger versammelt hatten, um einige bisher verborgen gehaltene Götzenbilder wieder aufzustellen und anzubeten, verzehrt worden. Auch die hölzerne Kirche zu St. Adalbert war mit abgebrannt, blos der Theil, wo der Altar sich befand, war, ob er gleich mit Rohr bedeckt und Leinwand darunter, um die Würmer abzuhalten, ausgespannt gewesen war, vom Feuer verschont worden. Als nun der Bischof anlangte, so bedurfte es nach einem solchen Wunder keines großen Zuredens von Seiten desselben, sie mit der Kirche auszusöhnen. Indeß

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verrichtete er verschiedene Wunder, heilte unter andern einen Mondsüchtigen, sowie einen wahnsinnigen Edelmann, und als endlich eine blind gewordene Frau zu ihm kam und ihn bat, auch sie zu heilen, hieß er sie zur Kirche des heil. Adalbert gehen und so lange zu läuten und den Heiligen anzuflehen, ihr ihr Gesicht wiederzugeben, bis ihre Bitte erfüllt sei, und also geschah es auch. Da nun aber die Pommern sich sehr schwer an die Beobachtung der christlichen Sonn- und Festtage gewöhnen wollten, weil sie ihre Feldarbeiten deshalb einstellen mußten, so trug es sich zu, daß, als am 10. August, dem Tage des h. Laurentius, der Gefährte Otto's, der Priester Bocetis hinaus auf das Land gekommen war und die Landleute ihr Korn schneiden sah, und sie vergeblich aufgefordert hatte, die Arbeit an diesem Festtage zu unterlassen, auf einmal Feuer vom Himmel fiel, welches nicht blos die noch stehende Saat, sondern auch die bereits geschnittene Ernte ergriff und solche Glut verbreitete, daß die Bauern vom Felde flüchten mußten. Derselbe Priester sah am 15. August, dem Tage der Himmelfahrt Mariä, an einem Montage einen Bauer mit seiner Frau ernten. Er hieß sie aufhören, weil dieser Tag als der Tag der Himmelfahrt der Gottgebärerin heilig sei, der Bauer aber sprach: »Gestern durften wir wegen des Sonntags nicht arbeiten, heute wird uns abermals befohlen, nichts zu thun, was ist das für eine Lehre, welche den Menschen gebietet, von nothwendigen und an sich nützlichen Beschäftigungen abzustehen?« Da er aber fortfuhr mit raschen Schnitten das Getreide abzusicheln, stürzte er plötzlich todt in die Furche, die Sichel in der Rechten, die abgeschnittene Saat in der Linken noch festhaltend. Seine Frau blieb zwar am Leben, folgte aber dem entseelten Körper ihres Mannes zur Kirche und konnte Sichel und Garbe nicht eher aus seinen Händen ziehen, als bis solches vor der Gemeinde und der Geistlichkeit als ein Beweis der unerlaubten Arbeit anerkannt war. Obwohl nun Bischof Otto abermals auf seinen alten Plan zurückkam, die Rugier zu bekehren, ließ er sich doch von den Stettinern schließlich davon abbringen. Er kehrte endlich durch Polen und Sachsen wieder nach Bamberg in sein Bisthum zurück, wo er den 20. Dezember 1128 anlangte, aber so lange er lebte in Verbindung mit Pommern blieb, bis er im 70. Jahre seines Alters, den 30. Juni 1139, starb. Er ward im Jahre 1189 vom Papst Clemens III. unter die Heiligen versetzt und sein Grab, auf dem er im bischöflichen Ornate in Stein gehauen ist, gilt noch jetzt als ein Heilsort für alle, welche an Gicht, Rheumatismus und ähnlichen Uebeln leiden.

362. Der schwarze Hahn des h. Otto.

(S. Berthold, Gesch. von Rügen und Pommern. Hamburg 1839 Bd. I. S. 230.)

In dem Dome zu Bamberg zeigt man noch heute einen silbernen Arm, in welchem Gebeine des h. Vitus eingefaßt sind. An dem Daumen des Armes aber befindet sich ein schwarzer Hahn. Man erzählt sich hierüber Folgendes. Die alten Pommern verehrten besonders einen schwarzen Hahn; als nun Bischof Otto zur Bekehrung der Pommern auszog, so ließ er in den silbernen Arm die Gebeine des h. Vitus einfassen und jenes Bild eines schwarzen Hahnes anbringen, damit die heidnischen Pommern, indem sie vor dem Hahne niederfielen, unwillkürlich genöthigt wurden gleichzeitig die Reliquien des h. Vitus anzubeten.

418. Dom und Brücke zu Bamberg.

Mündlich von einem Schmiedegesellen.

Den Thurm des bamberger Doms und die dortige Brücke hat ein berühmter Meister mit seinem Gesellen um die Wette gebaut; als nun der Meister fast fertig war und der Geselle noch weit zurück, da hat er einen Bund mit dem Teufel gemacht, daß er ihm die Brücke schnell baue, dafür solle er auch das erste lebende Wesen, das darübergehe, haben. Nun hat sich der Teufel rasch an

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die Arbeit gemacht und ist binnen kurzer Zeit fertig gewesen, der Geselle aber hat einen Hahn geholt und den über die Brücke gejagt; da ist der Teufel ärgerlich mit ihm von dannen gezogen. Den Baumeister des Thurms hat aber die frühere Vollendung der Brücke so verdroßen, daß er sich in seinem Unmuth vom Thurme herabgestürzt hat.

Vgl. Norddeutsche Sagen, Nr. 166 mit der Anm.; Grimm, Mythologie, S. 972; Schöppner, Nr. 114, 374, 1042. Das umgekehrte Verhältniß, daß nämlich der Meister den Gesellen herabstürzt, findet sich bei Wolf, Heßische Sagen, Nr. 224; Bechstein, Thüringische Sagen, III, 133; es ist die alte Sage vom Dädalos, der seinen Schüler Talos, weil er ihn zu übertreffen droht, von der Burg herabstürzt; Preller, Griechische Mythologie, II, 345-346.

472. Otto mit dem Bart1

Kaiser Otto der Große wurde in allen Landen gefürchtet, er war strenge und ohne Milde, trug einen schönen roten Bart; was er bei diesem Barte schwur, machte er wahr und unabwendlich. Nun geschah es, daß er zu Babenberg (Bamberg) eine prächtige Hofhaltung hielt, zu welcher geistliche und weltliche Fürsten des Reiches kommen mußten. Ostermorgens zog der Kaiser mit allen diesen Fürsten in das Münster, um die feierliche Messe zu hören, unterdessen in der Burg zu dem Gastmahl die Tische bereitet wurden; man legte Brot und setzte schöne Trinkgefäße darauf. An des Kaisers Hofe diente aber dazumal auch ein edler und wonnesamer Knabe, sein Vater war Herzog in Schwaben und hatte nur diesen einzigen Erben. Dieser schöne Jüngling kam von ungefähr vor die Tische gegangen, griff nach einem linden Brot mit seinen zarten, weißen Händen, nahm es auf und wollte essen, wie alle Kinder sind, die gerne in hübsche Sachen beißen, wonach ihnen der Wille steht. Wie er nun ein Teil des weißen Brotes abbrach, ging da mit seinem Stabe des Kaisers Truchseß, welcher die Aufsicht über die Tafel haben sollte; der schlug zornig den Knaben aufs Haupt, so hart und ungefüge, daß ihm Haar und Haupt blutig ward. Das Kind fiel nieder und weinte heiße Tränen, daß es der Truchseß gewagt hätte, es zu schlagen. Das ersah ein auserwählter Held, genannt Heinrich von Kempten, der war mit dem Kinde aus Schwaben gekommen und dessen Zuchtmeister; heftig verdroß es ihn, daß man das zarte Kind so unbarmherzig geschlagen hatte, und fuhr den Truchsessen seiner Unzucht wegen mit harten Worten an. Der Truchseß sagte, daß er kraft seines Amtes allen ungefügen Schälken am Hofe mit seinem Stabe wehren dürfe. Da nahm Herr Heinrich einen großen Knüttel und spaltete des Truchsessen Schädel, daß er wie ein Ei zerbrach und der Mann tot zu Boden sank. Unterdessen hatten die Herren Gotte gedient und gesungen und kehrten zurück; da sah der Kaiser den blutigen Estrich, fragte und vernahm, was sich zugetragen hatte. Heinrich von Kempten wurde auf der Stelle vorgefordert, und Otto, von tobendem Zorn entbrannt, rief: »Daß mein Truchseß hier erschlagen liegt, schwöre ich an Euch zu rächen! Sam mir mein Bart!« Als Heinrich von Kempten diesen teuren Eid ausgesprochen hörte und sah, daß es sein Leben galt, faßte er sich, sprang schnell auf den Kaiser los und begriff ihn bei dem langen roten Barte. Damit schwang er ihn plötzlich auf die Tafel, daß die kaiserliche Krone von Ottos Haupte in den Saal fiel, und zuckte – als die Fürsten, den Kaiser von diesem wütenden Menschen zu befreien, herzusprangen – sein Messer, indem er laut ausrief: »Keiner rühre mich an, oder der Kaiser liegt tot hier!« Alle traten hinter sich, Otto, mit großer Not, winkte es ihnen zu; der unverzagte Heinrich aber sprach: »Kaiser, wollt Ihr das Leben haben, so tut mir Sicherheit, daß ich genese.« Der Kaiser, der das Messer an seiner Kehle stehen sah, bot alsbald die Finger in die Höhe und gelobte dem edlen Ritter bei kaiserlichen Ehren, daß ihm das Leben geschenkt sein solle. Heinrich, sobald er diese Gewißheit hatte, ließ er den roten Bart aus seiner Hand und den Kaiser aufstehen. Dieser setzte sich aber ungezögert auf den königlichen Stuhl, strich sich den Bart und redete in diesen Worten: »Ritter, Leib und Leben hab ich Euch zugesagt; damit fahrt

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Eurer Wege, hütet Euch aber vor meinen Augen, daß sie Euch nimmer wiedersehn, und räumet mir Hof und Land! Ihr seid mir zu schwer zum Hofgesind, und mein Bart müsse immerdar Euer Schermesser meiden!« Da nahm Heinrich von allen Rittern und Bekannten Urlaub und zog gen Schwaben auf sein Land und Feld, das er vom Stifte zu Lehen trug; lebte einsam und in Ehren. Danach über zehn Jahre begab es sich, daß Kaiser Otto einen schweren Krieg führte, jenseits des Gebirges, und vor einer festen Stadt lag. Da wurde er nothaft an Leuten und Mannen und sandte heraus nach deutschen Landen: wer ein Lehn von dem Reiche trage, solle ihm schnell zu Hilfe eilen, bei Verlust des Lehens und seines Dienstes. Nun kam auch ein Bote zu dem Abt nach Kempten, ihn auf die Fahrt zu mahnen. Der Abt besandte wiederum seine Dienstleute und forderte Herrn Heinrich, als dessen er vor allen bedürftig war. »Ach, edler Herr, was wollt Ihr tun«, antwortete der Ritter, »Ihr wißt doch, daß ich des Kaisers Huld verwirkt habe; lieber geb ich Euch meine zwei Söhne hin und lasse sie mit Euch ziehen.« – »Ihr aber seid mir nötiger als sie beide zusammen«, sprach der Abt, »ich darf Euch nicht von diesem Zug entbinden oder ich leihe Euer Land andern, die es besser zu verdienen wissen.« – »Traun«, antwortete der edle Ritter, »ist dem so, daß Land und Ehre auf dem Spiel stehen, so will ich Euer Gebot leisten, es komme, was da wolle, und des Kaisers Drohung möge über mich ergehen.« Hiermit rüstete sich Heinrich zu dem Heerzug und kam bald nach Welschland zu der Stadt, wo die Deutschen lagen; jedoch barg er sich vor des Kaisers Antlitz und floh ihn. Sein Zelt ließ er ein wenig seitwärts vom Heere schlagen. Eines Tages lag er da und badete in einem Zuber und konnte aus dem Bad in die Gegend schauen. Da sah er einen Haufen Bürger aus der belagerten Stadt kommen und den Kaiser dagegenreiten zu einem Gespräch, das zwischen beiden Teilen verabredet worden war. Die treulosen Bürger hatten aber diese List ersonnen; denn als der Kaiser ohne Waffen und arglos zu ihnen ritt, hielten sie gerüstete Mannschaft im Hinterhalte und überfielen den Herrn mit frechen Händen, daß sie ihn fingen und schlügen. Als Herr Heinrich diesen Treubruch und Mord geschehen sah, ließ er Baden und Waschen, sprang aus dem Zuber, nahm den Schild mit der einen und sein Schwert mit der andern Hand und lief bloß und nackend nach dem Gemenge zu. Kühn schlug er unter die Feinde, tötete und verwundete eine große Menge und machte sie alle flüchtig. Darauf löste er den Kaiser seiner Bande und lief schnell zurück, legte sich in den Zuber und badete nach wie vor. Otto, als er zu seinem Heer wieder gelangte, wollte erkundigen, wer sein unbekannter Retter gewesen wäre; zornig saß er im Zelt auf seinem Stuhl und sprach: »Ich war verraten, wo mir nicht zwei ritterliche Hände geholfen hätten; wer aber den nackten Mann erkennt, führe ihn vor mich her, daß er reichen Lohn und meine Huld empfange; kein kühnerer Held lebt hier noch anderswo.« Nun wußten wohl einige, daß es Heinrich von Kempten gewesen war; doch fürchteten sie den Namen dessen auszusprechen, dem der Kaiser den Tod geschworen hatte. »Mit dem Ritter«, antworteten sie, »stehet es so, daß schwere Ungnade auf ihm lastet; möchte er deine Huld wiedergewinnen, so ließen wir ihn vor dir sehen.« Da nun der Kaiser sprach, und wenn er ihm gleich seinen Vater erschlagen hätte, solle ihm vergeben sein, nannten sie ihm Heinrich von Kempten. Otto befahl, daß er alsobald hergebracht würde; er wollte ihn aber erschrecken und übel empfahen. Als Heinrich von Kempten hereingeführt war, gebärdete der Kaiser sich zornig und sprach: »Wie getrauet Ihr, mir unter die Augen zu treten? Ihr wißt doch wohl, warum ich Euer Feind bin, der Ihr meinen Bart gerauft und ohne Schermesser geschoren habt, daß er noch ohne Locke steht. Welch hochfärtiger Übermut hat Euch jetzt dahergeführt?« – »Gnade, Herr«, sprach der kühne Degen, »ich kam gezwungen hierher, und mein Fürst, der hier steht, gebot es bei seinen Hulden. Gott sei mein Zeuge, wie ungern ich diese Fahrt getan; aber meinen Diensteid mußte ich lösen; wer mir das übelnimmt, dem lohne ich so, daß er sein letztes Wort gesprochen hat.« Da begann Otto zu lachen: »Seid mir tausendmal willkommen, Ihr auserwählter Held! Mein Leben habt Ihr

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gerettet, das mußte ich ohne Eure Hilfe verloren haben, seliger Mann.« So sprang er auf, küßte ihm Augen und Wangen. Ihr zweier Feindschaft war dahin und eine lautere Sühne gemachet; der hochgeborne Kaiser lieh und gab ihm großen Reichtum und brachte ihn zu Ehren, deren man noch gedenket.

Fußnoten

1 Otto Rotbart ist vermutlich Otto II., nicht Otto I. Vergl. Lohengrin, Str. 741, und Leibniz: Access., I., p. 184. Indessen schwankt die Sage überhaupt bei gleichen aufeinanderfolgenden Namen.

483. Der Dom zu Bamberg

Baba, Heinrich des Voglers Schwester und Graf Albrechts Gemahlin, nach andern aber Kunigund, Kaiser Heinrichs II. Gemahlin, stiftete mit eigenem Gut den Dom zu Babenberg. Solange sie baute, setzte sie täglich eine große Schüssel voll Geldes auf für die Taglöhner und ließ einen jeden so viel herausnehmen, als er verdient hätte; denn es konnte keiner mehr nehmen, als er verdient hatte. Sie zwang auch den Teufel, daß er ihr große marmelsteinerne Säulen mußte auf den Berg tragen, auf den sie die Kirche setzte, die man noch heutigentages wohl siehet.

483. Heinrich von Kempten.

Das Gedicht: Otto mit dem Barte, herausgeg. v. K. Hahn, Quedlinburg 1838. Die ältere Lit. bei Grimm d.S. II., 156. Dazu: Lehmann Speyr. Chron. S. 343; Eos 1825 S. 767. Vat. Mag. München 1841 S. 284 und oft. – Gedichte von Simrock, Ferrand, Lebret, J. Sendtner u.A.

Kaiser Otto der Große wurde in allen Landen gefürchtet, er war strenge und ohne Milde, trug einen schönen, rothen Bart; was er bei diesem Barte schwur, machte er wahr und unabänderlich. Nun geschahe es, daß er zu Babenberg (Bamberg) eine prächtige Hofhaltung hielt, zu welcher geistliche und weltliche Fürsten des Reiches in großer Zahl kommen mußten. Ostermorgens zog der Kaiser mit allen diesen Fürsten in das Münster, um die feierliche Messe zu hören, unterdessen in der Burg zu dem Gastmahl die Tische bereitet wurden; man legte Brod und setzte schöne Trinkgefäße darauf. An des Kaisers Hofe diente aber dazumal auch ein edler und wonnesamer Knabe, sein Vater war Herzog in Schwaben, und hatte nur diesen einzigen Erben. Dieser schöne Jüngling kam von ungefähr vor die Tische gegangen, griff nach einem linden Brod mit seinen zarten, weißen Händen, nahm es auf und wollte essen, wie alle Kinder sind, die gerne in hübsche Sachen beißen, wonach ihnen der Wille steht. Wie er nun ein Theil des weißen Brodes abbrach, ging da mit seinem Stabe des Kaisers Truchseß, welcher die Aufsicht über die Tafel haben sollte; der schlug zornig den Knaben auf's Haupt, so hart und ungefüge, daß ihm Haar und Haupt blutig ward. Das Kind fiel nieder und weinte heiße Thränen, daß es der Truchseß gewagt hätte, es zu schlagen. Das ersah ein auserwählter Held, genannt Heinrich von Kempten, der war mit dem Kinde aus Schwaben gekommen und dessen Zuchtmeister; heftig verdroß es ihn, daß man das zarte Kind so unbarmherzig geschlagen hatte, und fuhr den Truchsessen, seiner Unzucht wegen, mit harten Worten an. Der Truchseß sagte, daß er kraft seines Amtes allen ungefügen Schälken am Hofe mit seinem Stabe wehren dürfe. Da nahm Herr Heinrich einen großen Knüttel, und spaltete des Truchsessen Schädel, daß er wie ein Ei zerbrach, und der Mann todt zu Boden sank. Unterdessen hatten die Herren Gott gedient und gesungen, und kehrten zurück; da sah der Kaiser den blutigen Estrich, fragte und vernahm, was sich zugetragen hatte. Heinrich von

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Kempten wurde auf der Stelle vorgefordert, und Otto, vom tobenden Zorn entbrannt, rief: »daß mein Truchseß hier erschlagen liegt, schwöre ich an euch zu rächen, sam mir mein Bart!« Als Heinrich von Kempten diesen theuren Eid ausgesprochen hörte, und sah, daß es sein Leben galt, faßte er sich, sprang schnell auf den Kaiser los, und begriff ihn bei dem langen, rothen Barte. Damit schwang er ihn plötzlich auf die Tafel, daß die kaiserliche Krone von Otto's Haupte in den Saal fiel, und zuckte – als die Fürsten, den Kaiser von diesem wüthenden Menschen zu befreien, herzusprangen – sein Messer, indem er laut ausrief: »keiner rühre mich an, oder der Kaiser liegt todt hier!« Alle traten hinter sich, Otto mit großer Noth winkte es ihnen zu; der unverzagte Heinrich aber sprach: »Kaiser, wollt ihr das Leben haben, so thut mir Sicherheit, daß ich genese.« Der Kaiser, der das Messer an seiner Kehle stehen sah, bot alsbald die Finger in die Höhe, und gelobte dem edlen Ritter bei kaiserlichen Ehren, daß ihm das Leben geschenkt sein solle. – Heinrich, sobald er diese Gewißheit hatte, ließ er den rothen Bart aus seiner Hand und den Kaiser aufstehen. Dieser setzte sich aber ungezögert auf den königlichen Stuhl, strich sich den Bart, und redete in diesen Worten: »Ritter, Leib und Leben hab ich euch zugesagt, damit fahrt euer Wege; hütet euch aber vor meinen Augen, daß sie euch nimmer wieder sehen, und raumet mir Hof und Land! ihr seid mir zu schwer zum Hofgesind, und mein Bart müsse immerdar euer Scheermesser meiden!« Da nahm Heinrich von allen Rittern und Bekannten Urlaub, und zog gen Schwaben auf sein Land und Feld, das er vom Stifte zu Lehen trug, lebte einsam und in Ehren. Danach über zehn Jahre begab es sich, daß Kaiser Otto einen schweren Krieg führte jenseits des Gebirges, und vor einer festen Stadt lag. Da wurde er nothhaft an Leuten und Mannen, und sandte heraus nach deutschen Landen: wer ein Leh'n von dem Reiche trage, soll ihm schnell zu Hülfe eilen, bei Verlust des Lehens und seines Dienstes. Nun kam auch ein Bote zu dem Abt nach Kempten, ihn auf die Fahrt zu mahnen. Der Abt besandte wiederum seine Dienstleute, und forderte Herrn Heinrich, als dessen er vor allen bedürftig war. »Ach edler Herr, was wollt ihr thun – antwortete der Ritter – ihr wißt doch, daß ich des Kaisers Huld verwirkt habe; lieber geb' ich euch meine zwei Söhne hin, und lass' sie mit euch ziehen.« »Ihr aber seid mir nöthiger als sie beide zusammen – sprach der Abt – ich darf euch nicht von diesem Zug entbinden, oder ich leihe euer Land andern, die es besser zu verdienen wissen!« »Traun – antwortete der edle Ritter – ist dem so, daß Land und Ehre auf dem Spiele stehen, so will ich euer Gebot leisten, es komme was da wolle, und des Kaisers Drohung möge über mich ergeh'n.« Hiermit rüstete sich Heinrich zu dem Heerzug, und kam bald nach Wälschland zu der Stadt, wo die Deutschen lagen; jedoch barg er sich vor des Kaisers Antlitz und floh ihn. Sein Zelt ließ er ein wenig seitwärts vom Heere schlagen. Eines Tages lag er da und badete in einem Zuber, und konnte aus dem Bad in die Gegend schauen. Da sah er einen Haufen Bürger aus der belagerten Stadt kommen, und den Kaiser dagegen reiten zu einem Gespräch, das zwischen beiden Theilen verabredet worden war. Die treulosen Bürger hatten aber diese List ersonnen; denn als der Kaiser ohne Waffen und arglos zu ihnen ritt, hielten sie gerüstete Mannschaft im Hinterhalte, und überfielen den Herrn mit frechen Händen, daß sie ihn fingen und schlügen. Als Herr Heinrich diesen Treubruch und Mord geschehen sah, ließ er Baden und Waschen, sprang aus dem Zuber, nahm den Schild mit der einen und sein Schwert mit der andern Hand, und lief bloß und nackend nach dem Gemenge zu. Kühn schlug er unter die Feinde, tödtete und verwundete eine große Menge, und machte sie alle flüchtig. Darauf löste er den Kaiser seiner Bande, und lief schnell zurück, legte sich in den Zuber, und badete nach wie vor. Otto, als er zu seinem Heere wieder gelangte, wollte erkundigen, wer sein unbekannter Retter gewesen wäre; zornig saß er im Zelt auf seinem Stuhl und sprach: ich war verrathen, wo mir nicht zwei ritterliche Hände geholfen hätten; wer aber den nackten Mann erkennt, führe ihn vor mich her, daß er reichen Lohn und meine Huld empfange; kein kühnerer Held hier lebt noch anderswo.

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Nun wußten wohl einige, daß es Heinrich von Kempten gewesen war, doch fürchteten sie den Namen dessen auszusprechen, dem der Kaiser den Tod geschworen hatte. Mit dem Ritter – antworteten sie – steht es so, daß schwere Ungnade auf ihm lastet; möchte er deine Huld wieder gewinnen, so ließen wir ihn vor dir sehen. Da nun der Kaiser sprach: und wenn er ihm gleich seinen Vater erschlagen hätte, solle ihm vergeben sein, nannten sie ihm Heinrich von Kempten. Otto befahl, daß er alsobald herbeigebracht würde; er wollte ihn aber erschrecken und übel empfahen. Als Heinrich von Kempten hereingeführt war, geberdete der Kaiser sich zornig und sprach: wie getrauet ihr, mir unter die Augen zu treten? ihr wißt doch wohl, warum ich euer Feind bin, der ihr meinen Bart gerauft, und ohne Scheermesser geschoren habt, daß er noch ohne Locke steht. Welch hoffärtiger Uebermuth hat euch jetzt daher geführt? Gnade, Herr, – sprach der kühne Degen – ich kam gezwungen hieher, und mein Fürst, der hier steht, gebot es bei seinen Hulden. Gott sei mein Zeuge, wie ungern ich diese Fahrt gethan; aber meinen Diensteid mußte ich lösen; wer mir das übel nimmt, dem lohne ich so, daß er sein letztes Wort gesprochen hat. Dann begann Otto zu lachen: »Seid mir tausendmal willkommen, ihr auserwählter Held! mein Leben habt ihr gerettet, das mußte ich ohne eure Hülfe verloren haben, seliger Mann.« So sprang er auf, küßte ihm Augen und Wangen. Ihr zweier Feindschaft war dahin, und eine lautere Sühne gemachet; der hochgeborne Kaiser lieh und gab ihm großen Reichthum, und brachte ihn zu Ehren, deren man noch gedenket.

484. Heinrich von Kempten1.

Von Karl Simrock.

Der erste der Ottonen War ein gestrenger Mann. Der Keinen pflag zu schonen, Dem er in Zorn entbrann. Hat er ihm Tod geschworen Bei seinem rothen Bart, So war der Mann verloren, Sein Blut ward nicht gespart.

Ich hab euch von dem Kaiser Ein andermal erzählt, Wie Gott zum Unterweiser Den Kaufmann ihm erwählt, Deß Güt' ihn übergütet Aus lauterm Herzensborn. Nun hört, wie ihn behütet Ein Ritter hat vor Zorn.

In Bamberg auf dem Schlosse Der werthe Kaiser lag, Manch fürstlicher Genosse Mit ihm am Ostertag. Das erste Fest der Wonne Beging er hochgemuth Daselbst die liebe Sonne

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Drei Freudensprünge thut.

Im Münster ward gesungen Ihm und der Fürsten viel, Zur Andacht war erklungen Orgel und Saitenspiel. Derweil im Kaisersaale Stand Tisch an Tisch gereiht, Zum wonniglichen Mahle Schon Salz und Brod bereit.

Auch sah man Trinkgefäße Rothgolden aufgestellt, Daß bald der Kaiser säße Davor und mancher Held. Die Pfannen in der Küche, Sie brieten all im Saus Und köstliche Gerüche Durchwirbelten das Haus.

Da kam der edeln Knaben Neugierig einer her, Sein Vater war von Schwaben Ein Herzog hoch und hehr. Da blühte seinem Erben So zart das Angesicht, Ein Rosenstrauch im Scherben Treibt zartre Blüthen nicht.

Von Tische ging zu Tische Der feine Knabe jung, Er sah nicht Fleisch noch Fische, Doch mürbes Brod genung. Nach einem Weck zu tasten Begann das gute Kind, Wie immer langem Fasten Die Kleinen abhold sind.

Die Semmel brach der Knabe In weißer Hand entzwei. Da kam mit seinem Stabe Der Truchseß auch herbei: Als der den Junker essen Sah seines Herren Brod, Ihm schien die That vermessen Und seiner Tischzucht Noth.

Um Kleines sich ereifern

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Mißziemt dem jungen Mann: Wie häßlich steht dem reifern Erst eitler Jähzorn an! Der Truchseß schwang den Stecken Und traf des Knaben Haupt, Daß er im ersten Schrecken Hinsank des Sinns beraubt.

Der Schrecken war nicht eitel, Vom Blute sah man roth Des Knaben Stirn und Scheitel; Das schuf noch große Noth. Die Augen aufgeschlagen Hat er doch gleich zur Stund: Er saß und gab die Klagen Mit lautem Schluchzen kund.

Das sah ein edler Degen, Heinrich der werthe Held Von Kempten, der zu pflegen Den Knaben war bestellt. Daß den so ohn Erbarmen Des Kaisers Truchseß schlug, Das war ihm um den Armen Im Herzen leid genug.

»Wie habt ihr nun gebrochen, Herr Truchseß, eure Zucht? Was habt ihr wohl gerochen An dieser edeln Frucht? Gar ohne sein Verschulden Schlugt ihr den Herren mein.« »Das mögt ihr schweigend dulden,« Fiel ihm der Truchseß ein.

»Es ist wohl meines Amtes, Halt ich den Unfug fern; Ihr lobt es, ihr verdammt es, Das hör ich eben gern. Ich fürcht euch, wie die Falken Sich ducken vor dem Huhn; Und schlüg ich dreißig Schalken, Was wollet ihr mir thun?«

»Das sollt ihr bald ermessen, Ihr seid ein loser Wicht Und aller Zucht vergessen; Ich trag es länger nicht.

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Daß ihr dies Kind zu bläuen Gewagt, das edle Reis, Das sollt ihr mir bereuen, Wenn ich noch Knüttel weiß.«

Einen Prügel in der Hatze Ergriff der Degen frei Und schlug ihn, daß die Glatze Ihm platzte wie ein Ei. Gespalten wie ein Scherben War Schädel ihm und Kopf, Er tanzte noch im Sterben Umkreisend wie ein Topf.

Von blutvermischtem Hirne War all der Estrich roth, Mit ausgehöhlter Stirne Hinsank der Arme todt. Da hub sich Weherufen: Sie heulten und sie schrien, Als vor des Saales Stufen Der Kaiser jetzt erschien.

Da sah das Blut vergossen Herr Ott und sprach erschreckt: »Weß Blut ist hier geflossen, Das meinen Saal befleckt? Wen hat man mir erschlagen, Den ihr beklagt so schwer?« Da mußten sie ihm sagen, Daß es sein Truchseß wär.

Der Kaiser rief ingrimmig: »Wer übt so großen Mord?« Sie sprachen all einstimmig: »Von Kempten Heinrich dort.« Der Kaiser rief: »Vollbrachte Der solchen Greuel hier Ritt er zu früh, ich achte, Von Schwabenland zu mir.

Bescheidet mir den Schächer Her vor mein Angesicht, Ich bin der Frevel Rächer; Das wußt er wohl noch nicht.« Da luden sie den Degen Vor den erzürnten Herrn. Der rief ihm laut entgegen

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Als er ihn sah von fern:

»Wer hieß euch also schalten, Daß hier mein Truchseß sank Ins Blut, das Haupt zerspalten? Das habt euch übeln Dank. Der Frieden ist gebrochen Hier in des Kaisers Saal, Die Unthat wird gerochen An Haut und Haar zumal.«

»Nicht also,« rief von Schwaben Der unverzagte Held, »Es ward, der unbegraben Hier liegt, mit Recht gefällt. Er hatt es wohl verschuldet Mit eignem Friedensbruch: Drum hört mich und geduldet So lang euch mit dem Spruch.

Bei dem, der heut zum Leben Vom Tod erstanden ist Am dritten Tag, zu geben Geruht mir gleiche Frist. Am heil'gen Ostertage Versagt mir nicht die Huld, So stell ich mich der Klage Und büße meine Schuld.«

Da sprach aus grimmem Herzen Der Kaiser unerfreut: »Es litt des Todes Schmerzen Hier auch mein Truchseß heut. Es kam ihm nicht zu Gute Der Tag noch dieser Ort: Hier liegt er in dem Blute Und du gestehst den Mord.

Ich habe dich begriffen, Dein Richter auf der That, Ein Anwalt käm mit Kniffen Und Pfiffen hier zu spat. Ich lache solcher Possen, Bei meinem rothen Bart! Du hast sein Blut vergossen Und deins wird nicht gespart.«

Da solchen Eid geschworen

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Im Zorn des Kaisers Mund, »Mein Leben ist verloren,« Gedacht er, »hier zur Stund: Was er bei seinem Barte Verheißt, das muß geschehn. Ich brech ihn aus der Schwarte, Sonst kann ich nicht entgehn.«

Er sprach: »Ich muß mich wehren, Ihr hört wohl, daß es gilt: Den Kaiser Sanftmuth lehren, Das ist mein bester Schild.« Vor seinen Herrn geschwinde Der schnelle Recke sprang, Dem faßt' er ungelinde Den Bart so roth und lang.

Er riß ihn bei dem langen Wohl über einen Tisch, Daß klirrend niedersprangen Mit Braten oder Fisch Die Schüsseln und die Häfen Von Silber und von Gold, Die Krone von den Schläfen Dem Kaiser war gerollt.

Er lag auf seinem Herren Und hielt ihn unter sich: Das Raufen und das Zerren Verstand er meisterlich. Er brach ihm aus dem Kinne Des rothen Bartes viel: Im kaiserlichen Sinne Mißfiel dem Herrn das Spiel.

Ein Messer lang gewachsen, Dazu auch wohl gewetzt, Als er dem edeln Sachsen, Das an den Hals gesetzt, Er rief: »Nun gib mir Bürgen, Daß ich geborgen bin; Mit Stechen oder Würgen Fährt sonst dein Leben hin.

Du mußt hier widersprechen Dem Eid, den du gethan, Des Truchseß Tod zu rächen; Wo nicht, den Tod empfahn.«

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Er faßt' ihn um den Kragen Und drückt' ihn also fest, Er hätt ihm vor den Tagen Den Athem schier entpreßt.

Die Fürsten und die Grafen Sehn ihres Kaisers Noth, Wie seinen Zorn zu strafen Mit Zorn ihm ward gedroht. Sie laufen und sie dringen Herbei wohl allzumal, Dem Kaiser beizuspringen, Zu wenden seine Qual.

Doch Heinrich rief: »Berühre Mich Keiner: thät es Wer, Der Kaiser gleich erführe Die Schärfe dieser Wehr. Dem Ersten dann geschliffen Wär sie, der näher kommt: Herbei, mich angegriffen Wem Leben nicht mehr frommt!«

Da däucht es alle weiser, Sie mischten sich nicht drein; Auch winkte viel der Kaiser Sie sollten ruhig sein. Der Kemptner rief: »Nun gebet Mir Sicherheit alsbald, Damit ihr länger lebet, Ihr werdet sonst nicht alt.«

Das Weigern war vergebens: Der Kaiser hob zum Eid Drei Finger: seines Lebens Gab er ihm Sicherheit. Bei kaiserlichen Ehren Gelobt' ihm auch sein Mund, Daß er von dannen kehren Ihn ließe wohl gesund.

Geborgen war sein Leben: Den Kaiser Otto ließ Der Ritter sich erheben, Als er ihm das verhieß. Er gab ihm frei die Kehle Und seines Bartes Flachs; Still, mit gedämpfter Seele

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Stand auf der edle Sachs.

Zu seinem Hochsitz ging er Dem Stuhl von reicher Art, Mit dem Kamme seiner Finger Strich er sich Haar und Bart. Die Krone hob er wieder Auf das gesalbte Haupt, Saß auf dem Stuhle nieder Und sprach, noch machtberaubt:

»Was ich euch zugestanden Aus Zwang, es bleibt dabei, Des Schwertes und der Banden Laß ich den Schächer frei. Doch fahret eurer Wege Und kommt mir nimmermehr Hinfort in mein Gehege Ihr büßt es anders schwer.

Zu einem Ingesinde Seid ihr mir doch zu dreist, Mit Fäusten zu geschwinde, Wie es sich nun erweist. Und sollt es Wer nicht wissen, Der siehts am Bart mir an, Daß ich wohl füglich missen, So schnellen Kräusler kann.

Mich mag ein Andrer scheren, Das wisset ohne Scherz; Eu'r Messer sonst in Ehren, Nur braucht es anderwärts. Ich mag es nicht erleiden: Zu wohl ward ich gewahr, Es kann gar unsanft schneiden Den Kön'gen Haut und Haar.

Von dieser Tafelrunde Seid ihr hinfort verbannt: Ihr sollt zu dieser Stunde Uns räumen Hof und Land.« Alsbald von allen Mannen Des Kaisers Urlaub nahm Der Held, und fuhr von dannen, Froh, daß er so entkam.

Gen Schwaben kehrt er wieder,

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Wo er ein Lehn besaß Von einem Abte bieder, Von Kempten, wie ich las. Mit Wiesen und mit Feldern Belieh ihn reich das Stift, Mit Gütern und mit Geldern, So sagt die alte Schrift.

Darauf nach manchem Jahre Geschahs und manchem Tag, Daß der mit rothem Haare Jenseits der Berge lag. Vor einer starken Veste, Die scharf zur Wehr ihm stand: Das Heer der deutschen Gäste Zerrann im welschen Land.

Da ließ er aller Enden Kund thun im deutschen Reich, Ihm sollten Hülfe senden Die Fürsten alsogleich. Die Lehn von ihm besäßen, Die bat er und entbot, Daß sie ihm nicht vergäßen Des Beistands in der Noth.

Der Boten Einer dräute Von Kempten auch dem Abt, Den manches Lehn erfreute Vom Reich an ihn vergabt. Die würden ihm genommen, So er mit Ritterschaft Nicht eifrig wär zu kommen Und hülf aus aller Kraft.

Der Abt ließ seine Mannen Entbieten unverweilt, Daß männiglich von dannen Zu ziehen wär beeilt. Da sollte sich nicht sparen Herr Heinrich auch, sein Mann, Mit ihm nach Welschland fahren Der ganzen Schaar voran.

Herr Heinrich sprach: »Ich wage Mich vor den Kaiser nicht, Der mir vor manchem Tage Verbot sein Angesicht.

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Bis ich mich ihm versöhne Erlasset mir den Zug; Zwei send ich meiner Söhne, Die sind auch kühn genug.«

Da sprach der Abt: »Verzichten Um eurer Kinder Streit Will ich auf Euch mit Nichten, Der mir viel nutzer seid. Mich zwingt auf euch zu zählen Die Noth, es muß geschehn; Wo nicht, ihr habt zu wählen, Verwirkt ihr euer Lehn.«

Der Ritter sprach: »In Treuen, Da ihr mir also droht, Will ich den Zorn nicht scheuen Des Kaisers, noch den Tod. Eh Ihr mich mit Unhulden Von Haus und Hof vertreibt, Will ich das Schlimmste dulden, Nur daß mein Lehn mir bleibt.«

Da zog der werthe Degen Gen Welschland mit dem Herrn; Kühn war er und verwegen, Hielt alle Furcht sich fern. Nur barg er vor dem Kaiser Sich um die alte Schuld: Das that er als ein Weiser, Da ihm gebrach die Huld.

Abseits war aufgeschlagen Vom Heer des Ritters Zelt, Darein ließ er sich tragen Ein Bad, das nahm der Held. Es war ihm sich zu stärken Wohl Noth nach langer Fahrt; Im Zuber sollt er merken, Was Niemand sonst gewahrt.

Der Kaiser wollte dingen Mit denen aus der Stadt, Ob sie sein Heer empfingen, Des langen Streites satt. Mit wenigem Geleite Ritt er getrost dahin; Zog er doch nicht zum Streite,

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Auf Frieden stand sein Sinn.

Da hatten ihm die Argen Auf Mein und Mord gedacht, In einem Strauchwerk bargen Sie sich mit Uebermacht. Und als der Kaiser nahte Der Veste Wall und Thor, Sie sprangen zum Verrathe Strauchdieben gleich hervor.

Dem kaiserlichen Manne War alle Hilfe fern; Herr Heinrich in der Wanne Ersah die Noth des Herrn. Des Waschens und des Reibens Gedacht er nicht erst lang, Hier war nicht seines Bleibens, Dem Bad er rasch entsprang.

Wie bald hat er ergriffen Den guten Schildesrand, Ein Waffen scharf geschliffen Gerissen von der Wand. So kam er hingelaufen Zum Kaiser nackt und bloß Und hieb ihn aus dem Haufen, Wie stark der war und groß.

Er konnte wohl mit Streichen Sich wehren also nackt. So weit er mochte reichen Fiel mancher Feind zerhackt. Zu beiden Seiten schossen Verräther in den Staub: Die gerne Blut vergossen Gab er dem Tod zum Raub.

Er nahm mit schnellen Hieben Sie so in seine Zucht; Die lieber leben blieben, Die wandten sich zur Flucht. Erledigt war Herr Otte Und wußte nicht von Wem, Ihm ward der Schächer Rotte Nun nicht mehr unbequem.

Gleich lief auf seinem Pfade

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Zurück der werthe Held, Er sehnte nach dem Bade Sich wieder in sein Zelt. Er schwang sich in den Zuber, Ins Wasser, das noch warm; So stille da gehub er Als wild im Feindesschwarm.

Der Kaiser unterdessen Kam zu der Fürsten Schaar; Wie mocht er da vergessen Des, der sein Retter war? »Müßt ich sein Schuldner bleiben, Das trüg ich ewig Scham, Wie soll ich ihn beschreiben, Der nackend helfen kam?

An hohem Wuchs und Stärke, Wer wär dem Kühnen gleich? Wer wär zum Kriegeswerke So rasch im ganzen Reich? Mein Herz ist ihm verpflichtet Bis an den jüngsten Tag. Wer ist, der mir berichtet, Wo ich ihn finden mag?«

Nun war der Abt zugegen Der wußte wohl Bescheid, Sein Dienstmann sei der Degen, Der seinen Herrn befreit. Er sprach: »Ich könnt ihn bringen, Der euch erlöset hat; Doch erst mit euch zu dingen Mahnt mich ein weiser Rath.

Auf seinem Rücken lastet Von Alters schwere Schuld, Daß ihr mit Recht ihn haßtet Und ihm entzogt die Huld. Wenn ihm nun Gnade würde, Daß ihr ihn heute frei Und ledig sprächt der Bürde, Ich schafft ihn bald herbei.«

Er sprach: »Ihr dürft ihm sagen, Er soll willkommen sein, Und hätt er mir erschlagen Den lieben Vater mein.

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Bringt ihr ihn her zur Stelle, Euch bürgt mein Kaiserwort, Kein Freund und kein Geselle Wird mir so werth hinfort.«

Der Abt von Kempten nannte Den Namen unentstellt. »Den ich einst von mir bannte, Der kühne Schwabenheld, Ist der ins Land gekommen, Wie gern vernehm ich das! Schon längst ist mir benommen Auf ihn der alte Haß.

Ich dacht in meinem Sinne Wohl oft: Wär Er bei mir, Er hälf uns bald gewinnen Die stolze Veste hier. Daß er mich heut befreite, Was hab ichs nicht erdacht? Wer liefe nackt zum Streite Wohl sonst mit Uebermacht?

Kein Andrer dürft es wagen, Als dessen starke Faust In Kaisers Bart geschlagen Mich hat gerauft, gezaust? Dafür will ich ihn schrecken, Wenn ihr ihn zu mir führt Und ihn ein wenig necken, Wie mir und ihm gebührt.«

Er hieß ihn eilends bringen, Und als Herr Heinrich kam, Er stellt in allen Dingen Sich ihm von Herzen gram. Er fuhr ihn an: »Nun saget, Ist euch das Leben leid, Daß ihr es thöricht waget Und hergekommen seid?

Ihr seids doch, der am Kinne Mich ohne Messer schor; Man wirds am Wachsthum inne Noch heut, das sich verlor. Mitsammt den Wurzeln risset Ihr mir die Granen aus; Ihr wart von Sinnen, wisset,

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Sonst bliebet ihr zu Haus.«

»Genade,« sprach der Degen, »Genöthigt ward ich her, Mein Herr ist hier zugegen: Der zwang mich in sein Heer. Ich bin nicht gern gekommen, Auf Ehr und Seligkeit! Mein Lehn wär mir genommen, Ritt ich nicht her zum Streit.«

Der Kaiser sprach mit Lachen: »Ihr kühner Degen werth, Ihr habt an diesen Sachen Die Unschuld wohl bewährt. Ich will auch fahren lassen Auf solchen Mann den Groll, Und den nicht länger hassen, Den ich verehren soll.

Ich danke dir mein Leben, Du edler Held erwählt, Doch war dir längst vergeben, Es sei dir nicht verhehlt. Vom jähen Zorn, dem blinden, Seit du mich hast geheilt, Kein Urtheil wieder finden Sah man mich übereilt.

Du bist mich zu verpflichten Stets bei mir eingekehrt: Einst lehrtest du mich richten, Heut rettet mich dein Schwert. Komm her und laß dir danken Mit Kuß und Bruderschaft: In dieser Arme Schranken Sei deines Kerkers Haft.«

Er schloß den Degen bieder Behend an seinen Mund, Er küßt' ihm Stirn und Lider Und that ihm Freundschaft kund. Auch ließ er von der Seite Nicht mehr den Vielgetreun, Im Rath und auch im Streite Wollt er sich sein erfreun.

Dies Lied hab ich gesungen,

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Das einst ein Dichter sprach: Und ist ihm baß gelungen, Es bringt mir keine Schmach: Konrad von Würzburg heißt er, Der uns die Mär erhielt; Er war ein guter Meister, Den Ruhm hat er erzielt.

Fußnoten

1 Bei Simrock: »Otto mit dem Barte.«

563. Der Teufel als fahrende Hexe.

Nach der Elsberger'schen Chronik.

Auf dem Reichstage, so 1606 zu Regensburg gehalten ward, soll sich nachfolgender erschrecklicher Casus begeben haben. In der Wallerstraße bei Herrn Georg Freißlich, Vormundamts-Assessor, wohnte der Kanzler des Bambergischen Abgesandten. Derselbe sah eines Abends zum Fenster hinaus und gewahrte zwei fahrende Jungfrauen von ungemeiner Schönheit, die in der Gasse auf- und abwandelten. Alsbald ließ er sie durch seinen Diener zu sich invitiren, haben auch nit lange Widerrede gethan und sind gekommen. Nachdem er eine Zeit lang seine Kurzweil mit ihnen gehabt, offenbarte sich die Eine plötzlich als der Teufel selber und setzte mit gräulicher Erscheinung den Kanzler dergestalt in Furcht, daß er sich, um seinen Kragen zu salviren, mit Leib und Seele verschrieben. Ward später zu Bamberg in die Hexen-Inquisition mit hineingezogen, wo er dann auf der Tortur bekannt, daß zwei Burger von Regensburg, nämlich sein Hauswirth Herr Freißlich und Hans Lehner, Münzmeister, um den Fall gewußt und auch schon mit solchen Dingen umgegangen, wie sie ihn dann, als er einmal mit ihnen zur Donau spazieren ging, im Namen des Teufels getauft und also in die höllische Bruderschaft aufgenommen hätten. Der Bischof von Bamberg schrieb dieser zwei Burger wegen gen Regensburg und notifizirte einem ehrbaren Rathe die Sache. Waren aber beede schon todt und begraben, und hat man gegen ihre Leichname nichts vorgenommen. Doch ist dieses denkwürdig und gleichsam eine Anzeige der Strafe Gottes gewesen, daß alle beede vor ihrem Ende am Leibe den kalten Brand erlitten und ihnen von den Wundärzten etliche Glieder abgenommen werden mußten. Raselius schreibet, er habe solches mit eigenen Augen gesehen.

566. Prüfenings Ursprung.

Ludewig script. Bamb. I, 423. Oefele I., 360; II, 502. Ertl relatt. II., 27. u. A. Hund metrop. III., 124. Schuegraf Umgebung Regensburg I., 5 u.v.A.

Eine Stunde westlich von Regensburg am Ufer der Donau liegt Prüfening, dessen Ursprung die Chronik also vermeldet. Es war im Jahre 1107, als zu Regensburg von Kaiser Heinrich V. berufen ein großer Reichstag gehalten wurde. Es fanden sich aber die Stände des Reiches in so großer Anzahl ein, daß am Ende in der Stadt selbst kein Unterkommen mehr war. So mußte sich auch der heilige Bischof

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Otto von Bamberg, der Pommern Apostel, bequemen, mit seinen Leuten außerhalb der Stadt ein Nachtlager aufzusuchen. Bald war dieses gefunden auf einer anmuthigen Flur, welche zur villa Prufeninga gehörte. Man lagerte sich unter schattigen Bäumen und pflegte, müde von der Reise, des erquickenden Schlummers. Da träumte dem Bischof Otto, wie einst dem Patriarchen Jakob, als sähe er die heiligen Engelein auf einer Leiter vom Himmel zu ihm herniedersteigen, und mit ihm anmuthige Gespräche führen. Auch vernahm sein Ohr eine Musik von Glockentönen, wie wenn an Festtagen das Geläute vom hohen Dome erschallt. Als der Heilige erwachte, gelobte er Gott einen Altar zu Ehren des heiligen Ritters Georg zu erbauen, nahm ein Oelfläschchen herfür und goß es als Zeichen der Weihe über den Ort aus. Zu dem Altar wurde nach etlichen Jahren auch ein Kloster gefügt, in welchem Ordensbrüder des heiligen Benedikt leben sollten.

657. Die Linde der Sibylle

Eisersdorf, dahin die Heidenjungfrau auf dem Schlosse zu Glatz mit ihrem Bogen schoß, liegt von Glatz eine gute böhmische Meile am Flüßchen Biele. Dort stand eine große uralte Linde, die war weit und breit berühmt; sie sollte so alt sein als der Heidenturm auf dem Schlosse zu Glatz. Wenn sie auch wegen hohen Alters von Zeit zu Zeit einmal verdorrete, so grünte sie doch immer wieder von neuem aus. Auf dieser Linde saß die Sibylle und weissagte viel von künftigen Dingen der Stadt Glatz. Der Türke werde gen Glatz kommen, und wenn er durch die steinerne Brücke hinein auf dem Rink seinen Einzug halten werde, so würde er eine große Niederlage erleiden, weil ihm die Christen aus dem Schlosse herab entgegenziehen und auf dem Markt ihn erlegen würden. Bevor aber solches geschehe, werde zuvor ein ganzer Haufe Kraniche durch die Brotbänke fliegen. – Daß die heidnische Jungfrau zu Glatz diese Sibylle selbst war, scheint denen nicht beigefallen zu sein, die nach ihrem Ursprung und Namen forschten; es ist aber etwas Wundersames um den Zusammenhang des Redens und Sagens von einer Sibylle und deren Weissagung vom Türken im deutschen Volke, denn es gibt der Orte mehrere, von denen gerade die Sibylle geweissagt haben soll, auf ihnen werde der letzte Türke erschlagen werden, unter andern zu Eiba bei Saalfeld in Thüringen, da soll der letzte Türke in einem Backofen verbrannt werden, wie im Werratale, wo auf der Borchfelder Brücke der letzte Sultan enden soll. Auch im Vogtland, am Rhein und anderorts ist diese Sage lebendig. Zu Bamberg geht die Weissagung, die Türken würden ihre Pferde noch aus dem Rhein saufen lassen, wo Gott vor sei! Auch in Schwaben ist eine Sibyllenhöhle.

664. Die Kunigundiskapelle bei Bürgerroth.

Mündlich.

Alle über den Bau dieses Gotteshauses vorhandene Nachrichten fußen auf uralter im Volke lebender Sage. Etwa zehn Minuten von Bürgerroth, einem Filiale von Baldersheim, steht nahe der Kante des gegen das Gollachthal abschüssigen Berges auf freiem Felde eine Kapelle, daneben ein ehrwürdiger Lindenbaum. Schon die Bauart des Kirchleins weist auf tausendjähriges Alter. Wie und wer sie erbaut, erzählet heilige Sage. Die fromme Kaiserin Kunigundis hatte drei Kirchen zu bauen gelobt, die Auswahl der Bauplätze wollte sie göttlicher Fügung überlassen. Also ließ sie zu Bamberg von hohem Söller des Schlosses drei weiße Schleier fliegen, die von den Winden hoch getragen durch die Lüfte dahin schwebten. Wo dann ein solcher Schleier gefunden würde, da wollte sie eine Kirche bauen. Einer dieser Schleier wurde bis nach Bürgerroth durch die Lüfte getragen und blieb daselbst an einer Linde hängen, da wo noch heutiges Tages die Kunigundenkapelle steht.

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Als es nun zum Baue der Kirche kam, wollte man diese zur Pfarrkirche der Gemeinde Buch bestimmen. Weil aber der Platz, wo der Schleier hängen blieb, eine halbe Stunde von Buch entfernt ist und der Weg dahin noch heute beschwerlich, so wollten die Bucher das Kirchlein in ihr Dorf gebaut haben, worauf aber die Kaiserin, ihres Gelübdes eingedenk, nicht einging. Die Einwohner von Buch schafften daher eigenmächtig die zugerichteten Steine des Tags nach Buch, allein jedesmal wurden dieselben des Nachts durch unsichtbare Macht wieder an ihren alten Ort zurückgebracht. Ein Zimmermann, welcher dieses Wegschaffen des Baugeräthes nicht begreifen wollte, legte sich einmal Nachts zu Buch auf die Steine und siehe, als er des Morgens erwachte, fand er sich nicht mehr zu Buch, sondern an dem Orte, wo der Schleier war hängen geblieben. Als so die Bucher sahen, daß sie Nichts ausrichteten, standen sie ab von ihren frevelnden Versuchen, und so wurde die Kapelle an dem zuerst bestimmten Orte erbaut und diente als Pfarrkirche für Buch und Bürgerroth, sowie das umliegende Feld zum Leichenacker für beide Orte bestimmt ward. Und so steht das Kirchlein heute noch fest und unerschüttert und schaut ein Zeuge uralter Zeit in's Thal hinaus. Auch wird in der Nähe der Kapelle ein vier Schuh breiter, drei Schuh tiefer und ebenso langer Stein gezeigt, in dessen Mitte man zwei Vertiefungen sieht. Von diesem Steine geht die Sage, die heilige Kaiserin habe am Tage der Einweihung der von ihr erbauten Kapelle hier knieend ihre Andacht verrichtet und zum ewigen Angedenken ihre heiligen Kniee in den Stein eingedrückt, daher noch heutiges Tags der Stein Kunigundisstein genannt wird.

707. Der Seher im Frankental

Bei Frankental, einem Klosterhof des berühmten Stifts Langheim zwischen Lichtenfels und Bamberg, hütete im Jahr 1445 ein junger Schäfer des Namens Hermann seine Herde und wollte sie von der Berghöhe heimwärts treiben, als die Abendglocke vom Kloster Banz auf dem gegenüberliegenden Berge in das schöne Maintal niederklang. Da hörte er seitwärts ein Rufen, die Stimme eines weinenden Kindes, und sah ein Knäblein einsam auf dem Acker sitzen, er ging auf dasselbe zu, da fand er ein Kind von strahlender Schönheit, das ihn wunderlieblich anlächelte und gleich darauf vor seinen Augen verschwand. Er ging von der Stelle hinweg, sahe sich aber noch einmal um, und siehe – da saß wieder das Kind, noch viel herrlicher anzuschauen, und zwei Kerzen brannten neben ihm. Noch einmal eilte Hermann auf die liebliche Erscheinung zu, und abermals verschwand sie. Beunruhigt in seinem Gemüte trieb der Schäferknabe die Herde heim und sprach zu seinen Eltern von dem Gesicht, allein diese glaubten ihm nicht und geboten ihm, zu schweigen; er vertraute aber, was er gesehen, einem frommen Priester, und der sagte ihm, was er tun solle, falls er noch einmal einer solchen Erscheinung gewürdigt werde. Solches geschah auch, doch erst im folgenden Jahre auf demselben Platze, nur noch viel überirdischer. Das Kindlein, von himmlischer Glorie umstrahlt, hatte ein rotes Kreuz auf der Brust und war umgeben von noch vierzehn andern himmlischen Kindlein, alle rot und weiß (das sind des alten Frankenlandes Farben) gekleidet. Jetzt fragte Hermann: Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes: wer seid ihr, und was wünschet ihr? – Da antwortete das himmlische Kind: Ich bin Jesus Christus, und diese sind die vierzehn heiligen Nothelfer. Wir wollen hier wohnen und ruhen und euch dienen, so ihr uns dienet! – Darauf schwebte das Jesuskind und die Vierzehn mit ihm zum Himmel empor. Und am nächsten Sonntage sah der Seher vom Frankental um dieselbe Stunde zwei brennende Kerzen vom Himmel sich auf jene Stelle niedersenken, und eine des Weges daherkommende Frau sah dies Wunder ebenfalls und sah auch, wie die Kerzen wieder himmelan schwebten. Da ging nun Hermann der Schäfer zum Abte von Langheim und verkündete ihm und den Vätern des Klosters die wiederholten Erscheinungen, und es wurde eine Kapelle auf jener Berghöhe begründet, die bald als ein sonderer Gnadenort weit und breit in Ruf kam; Wunder geschahen dort, Wallfahrer strömten aus Nähe und Ferne herbei und beteten zu den

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vierzehn heiligen Nothelfern, auch wurde die Kapelle mit reichem Ablaß begnadigt; eine Brüderschaft nannte sich nach den Nothelfern, ein Graf von Henneberg gründete ihnen einen Ritterorden; Kaiser Friedrich III. selbst wallfahrtete dorthin, ein Gelübde zu erfüllen, auch Albrecht Dürer war im Jahre 1519 alldort. Und durch gute und schlimme Zeiten hindurch behielt die Wallfahrtkirche Vierzehnheiligen ihren großen, dauernden Ruf und Ruhm, immer schöner und herrlicher wurde sie gebaut, eine Propstei ward neben ihr errichtet. Mitten im Kreuz, das Langhaus und Querschiff bilden, erhebt sich ein dreifacher Altar mit unten offenem Raume über der Stelle, wo der Seher vom Frankental die Erscheinung sahe. An dieser Stelle zu beten, zu büßen, zu geloben wallen alljährlich viele Tausende dem hoch und schön gelegenen Tempel zu. Die Namen der vierzehn heiligen Nothelfer sind Georgius, Blasius, Erasmus, Pantaleon, Vitus, Christophorus, Dionysius, Cyriakus, Achatius, Eustachius, Aegidius, Margaretha, Barbara und Katharina. Unvergänglich lebt das Andenken an den frommen Schäfer Hermann, den Seher im Frankental.

708. Fräulein Podica

Überm Städtlein Lichtenfels, allwo man es noch heute den Burgplatz nennt, lag eine Burg der alten Grafen von Meran. Dort wandelt der ruhelose Geist des Fräuleins Podica von Schaumberg, stammend aus einem gar weit verzweigten edeln Geschlechte dieser Gegenden, deren Stammburg über dem Städtlein Schalkau zwischen Koburg und Eisfeld gelegen war und auch nur noch geringe Überreste zeigt. Das Fräulein hatte einen Bräutigam des Namens Kunemund, der zog mit in eine bedeutende Fehde, die bei Scheßlitz im Hochstift Bamberg zu einer Entscheidungsschlacht gedieh. Podica von Schaumberg gab ihrem Erkorenen einen Handschuh mit, und er schwur, denselben lebend oder tot ihr zum Pfande seiner Treue zurückzubringen, allein der Jüngling brachte den Handschuh nicht zurück. In der Schlacht bei Scheßlitz fiel der treue Junker Kunemund, und als Fräulein Podica von Schaumberg die Trauermär erfuhr, nahm sie sich’s alsosehr zu Herzen, daß sie vor Gram und Kummer starb. Seitdem geht sie bei nächtlicher Weile im Gemäuer der alten meranischen Burg um und ruft mit leiser seufzender Stimme: Kommt noch nicht mein Kunemund? – Ihre Erlösung ist einzig an die Bedingung geknüpft, daß ein Sterblichgeborener ihr erwidern soll: Längst fiel dein Kunemund bei Scheßlitz! – So leicht diese Bedingung erscheint, so ist sie doch noch immer nicht erfüllt worden, denn denen, welche die Wandelnde erblickten, entfiel vor Schreck das rechte Wort, oder der Name des Geliebten, oder der des Städtleins Scheßlitz, und denen, so vielleicht richtig geantwortet hätten, mag sie wohl nicht erschienen sein. Und so wandelt der arme ruhelose Geist von einem Jahrhundert in das andere hinüber. Oben auf Bergen und Burgen, in ätherischer Hülle wandelnd, die ewig lebende Sage, und unten der Dampfwagen, über die Eisenbahn brausend, die den deutschen Norden mit dem deutschen Süden verbindet und beider Verkehr vermittelt.

710. Der wandelnde Mönch

Ein Herzog zu Koburg hat Krieg geführt mit einem Bischof zu Bamberg und in demselben zwölf Junker gefangengenommen, die auf die Feste über der Stadt gebracht und dort in leidlicher Verwahrung gehalten wurden. Sie durften sich im Hofe ergehen und Kurzweil treiben und ließen es daran nicht fehlen. Da kam einstmals der Schloßkaplan, der ein alter finsterer Mönch war, die Schloßtreppe herunter, auf welcher etwa die Junker, die ihn nicht gern sahen, Erbsen gestreut haben mochten. Wie nun der alte fette Pfaff ausglitt und die Treppe herabkugelte, schlugen sie allzumal ein lautes Gelächter auf, der Mönch aber schlich davon mit grimmem giftigen Blick und verklagte die Junker beim Herzog und reizte ihn zu heftigem Zorne. Dieser befahl, daß die Junker in der Mitternachtstunde hingerichtet werden sollten, und sollten so viele Häupter fallen, als der Turmwart Hornstöße tun würde. Dies strenge Gebot wurde lautbar und kam auch zu der

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Herzogin, die war sanft und gut und bat bei ihrem Gemahl für der Junker Leben und besänftigte seinen Zorn, daß er sagte, es solle nur einer sterben. Aber auch den Tod des einen wollte die edle Herrin verhindern, und damit der Turmwächter in dieser Nacht gar nicht in das Horn stoße so ließ sie diesen rufen und in einem sichern Gemach verwahren, doch mit Tank und Speise wohl versehen. Aber die Junker wurden zur Mitternacht in den Schloßhof bei Fackelschein zum Schafott geführt, damit sie mindestens die Angst bekämen für ihre Gottlosigkeit, und der Scharfrichter machte sich bereit und hieß sie alle niederknieen und hob sein Schwert. Der Scharfrichter wußte aber nicht, daß der Herzog seinen Befehl zurückgenommen. Indem so schallte der Ruf der Mitternachtstunde grausig von dem Turme her, und Meister Hämmerling übte beim blutigen Scheine der Fackeln sein blutiges Amt; es fiel ein Haupt – und wieder ein Hornstoß – und wieder ein Haupt, und noch eins, und noch eins. Die Herzogin hörte es, stieß einen Schrei des Schreckens aus und fiel in Ohnmacht, der Turmwächter hörte es und entsetzte sich; der Herzog vernahm den Schall und eilte zornig zum Turme. Wie der tückische Pfaffe, welcher wußte, daß der Turmwart fehlte, an seiner Statt den zwölften Hornstoß tat, fiel des letzten Junkers Haupt, und fuhr ihm des Herzogs Schwert in das rachsüchtige Herz, und dann packte ihn der ergrimmte Herr und warf ihn vom Turme hinunter. Nun wandelt der Mönch als ein Geist umher in und um die St. Moritzkirche, und bisweilen tutet er, wie die Tut-Osel, daß alles erschrickt.

8) Die Sage von der weißen Frau.

Nachdem Graf Otto von Orlamünde gar jung verstorben, warf die hinterlassene Wittwe (Kunigunde, nach Anderen Beatrix oder Agnes), so zu Plassenburg wohnete, ihre Liebe auf den schönen Burggrafen Albrecht von Hohenzollern; man brachte ihr aber vor, es habe der Burggraf sich vernehmen lassen: Wenn nicht vier Augen im Wege wären, wolle er mit dieser Wittwe zu Plassenburg eine Heirath anschlagen (womit er seine Eltern meinte und nicht ihre zwei Kinder), worauf sie ihren beiden Kindern, deren das eine zwei Jahre alt gewesen, eine große Nadel oben auf den Kopf durch die Hirnschale gestoßen und sie also ohne Anzeig einer Wunden getödtet.1 Doch hat endlich göttliche Rache den Mord an den Tag gebracht und sein die beiden Kinder in das Kloster Himmelscron begraben, die Kindermörderin aber zum Hoff in ewige Gefängniß verurtheilt worden; derer Kinder Grab wird noch in Himmelscron fremden Leuten vorgezeiget.2 Nach andern Berichten hätte Burggraf Albrecht der Gräfin Orlamünde die Plassenburg abgekauft und ihr dagegen Schloß und Dorf Gründlach überlassen. Die Einnahme von Gründlach hätte sie nach ihrer Rückkehr von einer Pilgerfahrt gen Rom, und nachdem sie als Buße für ihr Verbrechen auf den Knieen von Plassenburg nach dem Thale von Berneck gerutscht, zur Stiftung oder Dotirung des Klosters Himmelscron, wo sie später als Aebtissin gestorben, verwendet. In der Klosterkirche daselbst zeigt man als Erinnerung an jene Sage noch heute die Grabsteine der Mörderin, Gräfin Kunigunde von Orlamünde, ihres Verehrers, des Burggrafen Albrecht von Nürnberg und der getödteten Kinder. In ihrem Kerker soll nun aber die Gräfin den Wunsch geäußert haben, nach ihrem Tode dem hohenzollerschen Hause als eine todanzeigende weiße Frau zu erscheinen, was denn auch geschehen. Zuerst sei sie in Franken in der Festung Plassenburg und in Bayreuth erschienen und dann mit dem markgräflichen Hause in die Mark Brandenburg und in das Schloß zu Berlin eingezogen. Die erste Erscheinung der weißen Frau soll nun aber im Jahre 1486 nach dem Tode des Churfürsten Albrecht Achilles stattgefunden haben. Man behauptet jedoch, dies sei nicht die echte weiße Frau gewesen, sondern eine Hofdame, ein Fräulein von Rosenau, welches die Rolle derselbigen gespielt. Das früher auf der Plassenburg befindliche alte Gemälde der weißen Frau, welches die Söhne des unglücklichen, angeblich schwachsinnigen Markgrafen Friedrich ihrem Vater als einzigen Zimmerschmuck in der Kammer ließen, in der er unter vielfachen

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Entbehrungen zwölf ganzer Jahre lang gefangen gehalten ward, soll auch die Züge jener Rosenau getragen haben. Jenes Bild ist jetzt verschwunden, an der Stelle desselben zeigt man aber im dritten Stockwerke des westlichen Flügels in einer Bettnische ein bis zur Unkenntlichkeit übertünchtes Relief, welches die besagte Gräfin vorstellen soll. Nachdem das Gespenst lange nichts von sich hören lassen, erschien dasselbe zuerst wieder im J. 1540 in der Plassenburg. Markgraf Albrecht der Krieger, ein beherzter, unerschrockener Fürst, wollte aber nicht an diese Erscheinung glauben, bevor er sie selbst gesehen; er verbarg sich also in dem langen, 36 Fuß breiten und 150 Fuß langen Fürstensaale, den man passiren mußte, wenn man aus einem Flügel des Schlosses in den andern gelangen wollte, und erwartete die Erscheinung. Nach Mitternacht öffnete sich die mit dem östlichen, zur Beamtenwohnung benutzten Flügel in Verbindung stehende Thüre, eine verhüllte hohe Gestalt trat ein und schlich leise nach der entgegengesetzten Seite auf die zur Wohnung des Markgrafen führenden Stufen zu. Albrecht sprang vor, umfaßte mit kräftigen Armen die Erscheinung, schleppte sie trotz heftigen Sträubens bis zur steilen, in den Schönhof führenden Wendeltreppe und stürzte sie mit gewaltigem Stoße kopfüber hinab. Auf seinen Ruf erschienen nun Diener mit Licht; man stieg hinunter und fand den Kanzler Christoph Straß mit gebrochenem Genick, bei ihm einen Dolch und Briefe, welche auf ein Einverständniß mit dem Bischoff von Bamberg und auf die Absicht des letzteren deuteten, den Markgrafen heimlich morden zu lassen. Zwanzig Jahre nachher, als Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg die im J. 1554 in dem Kampfe der Reichstruppen wider Albrecht Alcibiades zerstörte Plassenburg hatte herstellen und neu befestigen lassen und er mit großem Gefolge einritt, um seinen Hof daselbst für längere Zeit zu halten, zeigte sich die weiße Frau wiederum. Sie schien sehr zornig zu seyn, klappernd und mit Ketten rasselnd tobte sie über alle Treppen, durch alle Gänge, schlug an die Thüren, mißhandelte mehrere Hoffräuleins und fürstliche Diener und erwürgte schließlich den Koch und Fourier des Markgrafen, was den Letztern bewog, sofort das Schloß wieder zu verlassen. Am 26. August des Jahres 1677 ritt der tapfere Erdmann Philipp, Markgraf von Brandenburg, von der Rennbahn in Bareuth in das hochfürstliche Schloß und stürzte mitten im Schloßhofe, etliche wenige Schritte von der Stiege, mit dem Pferde, daß nach zwei Stunden Verlauff er auf seinem Bette selig verschieden, ob er schon nach dem Fall die Treppe hinaufgegangen und sich als ob der Fall nichts zu bedeuten hätte, aus Trefflichkeit seines tapfern Gemüthes angestellet. Es hatte etliche Omina vor seinem Tod im hochfürstl. Schloß gegeben und die weiße Frau (ein Phänomenon, welches dem Vorgeben nach allzeit bei bevorstehenden fürstlichen Trauerfällen zu erscheinen pflegt) auf dieses Prinzen Leibstuhl sich sehen lassen, auch das Pferd die ganze Woche sich ganz rasend und fremd angestellt, worüber dieser unvergleichliche Prinz selbst sorgfältig worden und um S. Hochfürstl. Durchlaucht, Herr Marggraf Christian Ernsten, welcher damals bei der kais. Armee sich befunden, sich bekümmert, auch ein Mehreres nicht gewünscht, als daß es nur seinen Herrn Vettern nichts Uebels bedeuten möchte.3 In Berlin zeigte sich das Gespenst im Schlosse am 1. Januar 1598 acht Tage vor dem Tode des Churfürsten Johann Georg, 1619 am 1. December 23 Tage vor dem Tode des Churfürsten Sigismund, 1667 sah die Churfürstin Louise Henriette das Gespenst nach der damaligen Mode frisirt und in Atlas gekleidet an ihrem Schreibtische sitzen, und starb bald darauf, nachdem es sich 1659 auch gezeigt, ohne daß ein Todesfall erfolgte, und im Jahre 1656 trat es dem Oberstallmeister des Fürsten von Holstein, von Bernsdorf, als derselbe die Treppe hinuntersteigen wollte, in den Weg und packte denselben, als er es ruhig anredete, am Halse und schleuderte ihn die Treppe hinab. Am folgenden Morgen trifft die Nachricht ein, daß die Mutter des Churfürsten zu Crossen und auch seine Schwester, die Herzogin von Schöningen, mit Tode abgegangen. Desgleichen erblickte der Hofprediger Brunsenius die weiße Frau ein Jahr vor dem Tode des großen Churfürsten (1688), gerade wie sein College, der Hofprediger Berger, sie zwei

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Jahre vor dem Ableben Johann Sigismund's gesehen hatte. König Friedrich I. erzählte, daß er selbst eine ähnliche Erscheinung erblickt, und auch vor dem Ableben des Königs Friedrich Wilhelm II. soll eine weiße Gestalt auf der Treppe des königl. Schlosses bemerkt worden sein. In den Jahren 1790-1812 ist zwar mehr als einmal von dem Erscheinen der weißen Frau im Schlosse zu Berlin Meldung gemacht worden, allein fast immer hat ein Mißverständniß, Verwechselung mit einer Gardine etc., ja selbst absichtlicher Betrug zum Grunde gelegen, zuletzt ist im April des Jahres 1850 die weiße Frau im Schweizersaale des königl. Schlosses gesehen, von einer Schildwache angerufen und angestochen worden, denn ihre Wiederkehr vor dem Tode des letzten hochsel. Königs Wilhelm IV., von der das Gerücht ebenfalls spricht, ist nicht constatirt. Nichts destoweniger war sie deshalb von Baireuth nicht ganz verschwunden, denn nicht blos erschien sie zu Anfang dieses Jahrhunderts dem Intendanten der dasigen königl. Schlösser, dem Grafen Münster, mehr als einmal, sondern sie zeigte sich auch nicht blos mehreren französischen Generalen, die im J. 1806 daselbst einquartirt lagen, drohte auch dem im J. 1809 daselbst im Quartier liegenden General Graf d'Espagne mit Erwürgen und prophezeite ihm gewissermaßen seinen in der Schlacht bei Aspern erfolgten Tod, nein, sie scheint selbst Napoleon, als derselbe am 14. Mai 1812 sich im Schlosse zu Bayreuth aufhielt, erschienen zu sein und ihn erschreckt zu haben. Seit dieser Zeit ward sie im dasigen Schlosse noch mehrmals wahrgenommen, doch nicht mehr seit dem J. 1822; bald nachher behauptete nämlich eine in Ansbach und später in Erlangen sich aufhaltende Somnambüle, sie habe in ihrem magnetischen Schlafe die Berufung bekommen, der Gräfin Cunigunde von Orlamünde Ruhe zu verschaffen, und sonderbarer Weise hörte man kurz vor der Genesung jenes Mädchens in ihrem Zimmer einen zweistimmigen Gesang, trotzdem daß sie ganz allein war, und kurz darauf behauptete die Kranke, die Seele der unglücklichen Gräfin sei nun durch sie erlöst. In neuester Zeit ist nun aber nicht blos die ganze Erscheinung der weißen Frau im Allgemeinen, sondern auch ihr Zusammenhang mit der obgedachten Gräfin von Orlamünde und mit der Familie der Hohenzollern überhaupt in Frage gestellt worden.4 Namentlich ist behauptet worden, jene drei Leichensteine im Kloster Himmelcron deckten weder die schuldige Gräfin noch Albrecht den Schönen noch endlich jene zwei unglücklichen Kinder5, allein so richtig wie dies in der That ist, so wenig wird dadurch bewiesen, denn aus zwei sichern Quellen ist nachzuweisen, daß jene Leichen sich früher hier befunden haben, aber dann weggebracht worden sind. Es erzählt nämlich der bekannte Brusch in seiner Geschichte der deutschen Klöster hierüber Folgendes6: »In dieser Klosterkirche ruhen zwei Kinder, ein Knabe und ein Mädchen, Kinder eines Grafen von Orlamünde und einer Herzogin von Meran, welche auf jämmerliche und grausame Weise von ihrer eigenen Mutter, der Meraner Herzogin, die sich damals zu Blassenburg aufhielt, vor fast nun 200 Jahren, als sie noch kaum zwei Monate alt waren, ermordet wurden ... Diese unglücklichen Märtyrer habe ich mit meinen Händen berührt und mit eigenen Augen gesehen. Das Mädchen ist noch so unversehrt erhalten, daß man denken könnte, sie sey noch kein Jahr todt, so wenig sieht man an ihr die gewöhnlichen Spuren der Verwesung; die Brust des Knaben dagegen ist durch die Feuchtigkeit und das Wasser, welches von der Wand der durch die Kälte ausschlagenden Kirche in den nahe an der Wand stehenden Sarg gelaufen ist, einigermaßen beschädigt und fängt an zu Wasser zu werden, allein Kopf, Schultern und Beine sind unversehrt und durchaus nicht verändert.« Hieran schließt sich folgende Stelle aus Müllner's Annalen der Stadt Nürnberg (S. 853), wo es heißt: »Der Kinder todte Leichnam sein lange Zeit im Kloster Himmelcron in steinernen Särgen gelegen und dem Ansehen nach über zwei oder drei Jahre alt gewest, im Marggräflichen Krieg aber A. 1552 sein sie für Heiligthum gen Bamberg transferiert worden«, wo sie vermuthlich noch sind. Hinsichtlich der Persönlichkeit der weißen Frau selbst hat man sich jedoch nicht auf die Gräfin von Orlamünde beschränkt, sondern man hat auch andere Personen in ihr sehen wollen,

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namentlich eine Gräfin von Leiningen, Hofdame am Hofe Joachims I., oder Anna Sydow, die schöne Wittwe des Stückgießers Dietrich, die Geliebte des Churfürsten Joachims II. Ja Mullerus in seinen Curiositäten geht noch weiter und erzählt, es sei unter König Friedrich I. beim Abreißen eines Schloßflügels in Berlin in einer Luftröhre ein Gerippe gefunden und auf Befehl des Königs auf dem Domkirchhofe begraben worden. Aus der Zärtlichkeit desselben zu schließen, sei es das weiße Frauengerippe gewesen, weil bei den Todesfällen Sophie Charlottens, Erbprinzessin von Hessen-Cassel, des Markgrafen Philipp Wilhelm von Schwedt, zweier Prinzen von Oranien und des Königs Friedrichs selbst sothanes Gespenst nicht wieder zum Vorschein gekommen. Endlich hat ein gewisser Nagel7 die Behauptung aufgestellt, diese Erscheinung sei nicht der Geist einer Gräfin von Orlamünde, sondern einer Gräfin von Rosenberg, Perchta genannt, die an einen wüsten und rohen Mann, den Grafen Johann von Lichtenstein im J. 1449 verheirathet gewesen, nach ihrem Tode als guter Geist auf dem Rosenbergischen Schlosse Neuhaus in Böhmen umgegangen, zuletzt aber als die bewußte weiße Frau nach Berlin ins königl. Schloß übergesiedelt sei und dort die Todesbotin machte, weil der böhmische Oberburggraf Wilhelm von Rosenberg 1561 die Tochter des Churfürsten Joachim von Brandenburg, die allerdings schon 1564 wieder starb, zur Frau nahm und sie somit in die Verwandtschaft der Hohenzollern kam. Dieselbe Perchta soll sich nun aber überhaupt nicht blos auf den Rosenbergischen Schlössern, sondern auch an den fürstlichen Höfen, in welche Rosenberge geheirathet, ja sogar an solchen, die nur mit denselben in Verwandtschaft stehen, sehen gelassen haben, und werden noch als Orte, wo sie zu erscheinen gepflegt, London, Kopenhagen, Stockholm, Zerbst, Cassel8 und Parma genannt, bei welchen letztern aber vermuthlich Verwechselungen mit andern derartigen weißen Frauen mit unterlaufen mögen. Noch muß hier bemerkt werden, daß heute noch in Baireuth zwei Bilder der weißen Frau vorhanden sind, die aber einander gänzlich unähnlich sind. Das eine befindet sich im neuen Residenzschlosse, das andere in der Eremitage. Das Bild in der letzteren trägt ein weißes Schäferinnenkleid, das im Schlosse dagegen einen ganz dunkeln mit Pelz besetzten Anzug und Kappe mit über die Stirne herabfallendem weißen Besatz.9 Das letztere ist ohngefähr 100 Jahre jünger als das erstere, wird aber für uns darum wichtig, weil die weiße Frau zu Baireuth, wie sie sich zu Anfange dieses Jahrhunderts zeigte, genau dasselbe Costüm trug. Von diesem Bilde wird übrigens erzählt, es lasse sich durch keinen Nagel an der Wand befestigen, sondern man müsse es stets auf die Erde stellen.10

Fußnoten

1 Nach dem alten Volksliede in Brentano's Wunderhorn Bd. II. S. 235 etc. that sie dies nicht selbst, sondern ein gewisser Hager, den Daumer, Geheimnisse des christl. Alterthums (Hamb. 1847) Bd. I. S. 284 etc. für einen Mönch, wahrscheinlich den Klosterkoch hält. Etwas anders ist die Sage erzählt in Hormayr's Taschenbuch 1839, S 311. und bei Grimm, Deutsche Sagen, Bd. II. S. 376 etc.

2 So nach Rentsch, S. 318 etc.

3 So Rentsch S. 714 etc.

4 Durch Jul. v. Minutoli, Die weiße Frau, gesch. Prüfung der Sage und Beobachtung dieser Erscheinung seit dem Jahre 1486 bis auf die neueste Zeit. Berlin 1850 in 8°.

5 S. Minutoli S. 5. Derselbe ist von mir gründlich widerlegt im Dresd. Journ. 1850. S. 1754 sq.

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6 Brusch, Chronologia monasteriorum Germaniae. Sulsbaci 1682 in 4°. p. 133.

7 Diss. de celebri spectro quod vulgo die weiße Frau nominant. Viteb. 1743 in 4°.

8 S. Lothar, Volkssagen S. 84.

9 Sonach ist das Bild der weißen Frau in Lebensgröße, wo sie in ein großes Gewand mit Caputze eingehüllt ist, das nur den obern Theil des Gesichts frei läßt, bei Al. Cosmar, Sagen und Miscellen aus Berlins Vorzeit (Berlin 1831. Bd. 1. S. 56) jedenfalls ein lediglich der Phantasie entlehntes.

10 Die neuesten Untersuchungen über die Sagen von der weißen Frau in mythologischer Hinsicht haben Kuhn bei Mannhardt, Zeitschrift f. Deutsche Mythol. Bd. III. S. 368 etc. und N. Hocker, Die Stammsagen der Hohenzollern und Welfen, Düsseldorf 1857. in 8°. S. 3 etc. angestellt.

804) Gervin von Volmestein und die Stiftung des Klosters Waldsassen.1

Im Jahre 1124 war der junge Gervin von Volmestein aus seiner väterlichen Burg gezogen, um Abenteuer aufzusuchen und sich den Ritterschlag zu verdienen. Lange hörte sein greiser, früh verwittweter Vater, der alte Ritter Gerhard von Volmestein nichts von ihm und schon machte er sich Sorgen, daß sein einziger Sohn verunglückt sein könne, da brachten endlich vorüberziehende Ritter die Nachricht von ihm, er ziehe mit seinem Busenfreunde, dem Markgrafen Diepolt von Vohburg, am Rheine und in Frankreich herum und habe sich überall durch seine Tapferkeit im ritterlichen Spiel und ernster Fehde vielfachen Ruhm erworben, jetzt aber hätten sich Beide mit dem Herzoge Friedrich von Schwaben und dessen Bruder Conrad von Franken gegen den Kaiser Lothar I. vereinigt. Kaum war diese Nachricht gekommen, so ward der alte Ritter krank und starb. Nun vergingen mehrere Jahre und es kam abermals keine Kunde von dem jungen Ritter. Da kam eines Nachmittags im Frühling des Jahres 1135 ein Ritter von einem einzigen Knappen begleitet den Hohlweg zwischen den hohen Felsen, welcher gen Volmestein hinaufführt, geritten. Der Ritter war ein schöner kräftiger Mann, aber sein Aussehen verrieth, daß ein großer Kummer an ihm nage, der Knappe dagegen war ein schlanker, fast mädchenhaft aussehender Knabe, der sonderbarer Weise für nichts Sinn zu haben schien als für seinen Herrn. Als sie an das Thor der Burg kamen, begehrten sie Einlaß, und als der Burgwart nach dem Namen des Ankömmlings fragte, da gab sich der Ritter als den in weiter Ferne geglaubten jungen Herrn zu erkennen. Zwar wunderten sich alle seine Diener, daß er so traurig und bekümmert aussähe, allein sie schrieben die Ursache seinem Schmerz über den Tod seines Vaters zu und wagten weiter keine Frage zu thun. Indeß wich diese trübe Stimmung nicht von dem Ritter, derselbe verschloß sich Tage lang in sein Gemach oder strich durch die dichten Wälder der Gegend oder saß auf den hohen Felsen der Ruhr und blickte Stunden lang in die Berge hinein, ohne ein Wort zu sprechen. Zwar sprach mancher Ritter aus der Nachbarschaft auf seiner Burg ein und versuchte ihm durch heiteres Gespräch ein freundliches Lächeln abzugewinnen oder durch Spiel und beim Becher zu zerstreuen; Alles war umsonst, der Ritter blieb verschlossen und in sich gekehrt. Die Burg Volmestein glich jetzt mehr einem Mönchskloster als einem Ritterschlosse. Da nahete sich eines Tages, als der Frühling wieder gekommen war, ein fröhlicher und glänzender Zug von Rittern und Damen und Edelknappen und Zofen auf muthigen Rossen der Burg Volmestein; allen voraus aber ritten ein Ritter in glänzender goldener Rüstung und eine Dame in prächtigen seidenen Gewändern, und als sie vor dem Burgthore hielten und Einlaß

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begehrten, da rief ihnen der Thorwart zu, sein Herr sei für Niemand zu sprechen. Allein dadurch ließen sie sich nicht abweisen, sondern der Ritter rief mit lauter Stimme, man möge es dem Burgherrn melden, sein bester Freund, der Markgraf Diepolt von Vohburg mit seiner Gemahlin Constantia und ihrem Gefolge sei gekommen, um ihn zu besuchen. Als aber dem Ritter diese Nachricht gebracht ward, da erschrack er bis zum Tode und auch sein junger Knappe war wie vom Donner gerührt, allein das half Alles nichts, er mußte seinem Besuche entgegengehen und ihnen ein fröhliches Gesicht zeigen. Kaum hatte ihn aber der Markgraf erblickt, so sprang er auch vom Rosse, umarmte ihn und sagte, er habe es nicht länger vor Sehnsucht nach ihm aushalten können und sobald der Herzog Conrad sich in Bamberg mit dem Kaiser versöhnt habe, habe er sich von seinem Schlosse aufgemacht, um ihm seine Gemahlin, die er sich aus Italien mitgebracht, vorzustellen. Und auch die Markgräfin trat auf ihn zu, bot ihm ihre Hand und bat ihn um seine Gastfreundschaft. Was konnte er also anders thun als sie Beide herzlich willkommen heißen. Unter dem Gefolge der Markgräfin aber befand sich ein junger Page, der sich dreist hinter seiner Herrin herdrängte und dem die Aufmerksamkeit, welche dieselbe dem Burgherrn schenkte, nicht sehr zu behagen schien. Leben und Freude kehrten mit den Fremden in die Burg Volmestein ein, dieselbe schien wie umgewandelt, denn vom frühen Morgen bis spät in die Nacht hörte man jetzt nichts als Musik und den fröhlichen Jubel der Zechenden. Bald wurden große Jagden in den weitläufigen Forsten des Schlosses, bald kleine Turniere in dem Burghofe, bald Lustritte zu den Schlössern der nahewohnenden Ritter unternommen, und in dem Fröhlichsten von allen erkannte Niemand den sonst so stillen Gervin von Volmestein wieder. An die Stelle seiner bisherigen Niedergeschlagenheit trat jetzt eine ebenso ausgelassene Lustigkeit, so daß ein neues Leben in seine Adern eingezogen zu sein schien. Desto bleicher und stiller und kummervoller aber ward der Knappe, ja oft fielen heiße Thränen aus seinen Augen auf seine bleichen Wangen. So saß denn eines Abends nach einer anstrengenden Jagd der Ritter erschöpft in seinem Schlafgemache und hing seinen Gedanken nach, da sagte ihm auf einmal ein Geräusch an seiner Seite, daß er nicht mehr allein sei und so sah er denn plötzlich seinen Knappen neben sich stehen. Die Züge desselben waren verstört und jetzt fiel auf einmal dem Ritter die Verwandlung in dem Aussehen desselben auf und da er ihm sehr werth war, weil er stets mit der unerschütterlichsten Treue an ihm gehangen hatte, seitdem er ihn aus dem Frankenlande mitgebracht hatte, so drängte es ihn jetzt die Ursache des Kummers seines treuen Dieners zu erfahren. Er frug ihn daher, was ihm fehle und als der Knabe sich weigerte es ihm zu gestehen, so befahl er ihm bei seiner Ungnade die Wahrheit zu bekennen. Da sagte denn der Knappe, sein Kummer sei lediglich daraus entstanden, weil er sehe, daß er, sein Herr, sich einer unwürdigen Leidenschaft hingebe, denn er werde nicht leugnen können, daß er die Gemahlin seines Freundes liebe, diese aber sei seiner Neigung, so verbrecherisch dieselbe an sich schon sei, nicht einmal werth, er könne beweisen, daß sie ihren Gatten auf die schnödeste Weise hintergehe, indem sie ein unsittliches Verhältniß mit ihrem eigenen Pagen unterhalte. Der Ritter wollte nun zwar Letzteres nicht glauben, allein daß er selbst von Liebe zu der schönen Italienerin entbrannt sei, konnte er nicht leugnen, denn der Knappe wußte ja längst, daß er dieselbe früher schon bei der Krönung Conrads in Mailand gesehen, sich in sie verliebt hatte und von ihr verschmäht worden war, weil sie ihm seinen Freund, den schönen Markgrafen von Vohburg vorzog. Dies war auch der Grund gewesen, warum er denselben so plötzlich verlassen hatte und weshalb er bis zu dem Wiedersehen der schönen Frau sich niemals wieder über ihren Verlust hatte trösten können. Als nun aber der Knappe dabei blieb, daß die Gleißnerin ebenso falsch gegen ihren Gatten als gegen ihn sei und ihm Gelegenheit gab, geheimer Zeuge ihrer Buhlschaft mit ihrem Pagen zu sein, da beschloß er sich an der Treulosen zu rächen und dem verrathenen Gatten die Augen zu öffnen.

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Für den folgenden Tag war ein Turnier zu Dortmund angesetzt, zu dem alle Ritter der Nachbarschaft eingeladen waren, also natürlich auch Gervin von Volmestein und sein Gast der Markgraf. Sie hatten sich vorher schon verabredet, in einfacher Rüstung hinzureiten, um unerkannt zu kämpfen. Dabei blieb es auch, als der Morgen anbrach, machten sich Beide vollständig gewappnet auf den Weg, nur von zwei Knappen begleitet, unter denen sich aber der Leibknappe Volmesteins nicht befand, der war die Nacht vorher plötzlich in heftigen Fieberwahnsinn gefallen. Mit der frohesten Laune von der Welt ritten Beide fort, allmälig aber ward der Ritter von Volmestein immer ernster, stiller und einsilbiger und so waren sie denn der Ruhr entlang bis ohngefähr eine Viertelstunde weit von dem Damenstift Herdecke gekommen. Da schlug Volmestein seinem Freunde vor, sie wollten einen etwas weiteren, aber anmuthigeren Weg durch den Forst reiten, ihre Knechte aber möchten nur auf der Landstraße fortziehen und in der Herberge beim Stifte wieder mit ihnen zusammentreffen. Natürlich ging der Markgraf auf diesen Vorschlag ein und so ritten sie denn langsam mit einander in das Gebüsch hinein. Als sie eine kurze Zeit schweigend neben einander geritten waren, hielt Volmestein auf einmal still und sprach zu seinem Freunde, er möge ihm einige Augenblicke Gehör schenken, er habe ihm etwas mitzutheilen. Hierauf erzählte er ihm mit bebender Stimme, wie er seine Gemahlin schon in Italien geliebt, aber natürlich zurückgetreten sei, als er gesehen, wie sie scheinbar ihn, den Markgrafen, vorgezogen habe. Später sei es ihm aber doch vorgekommen, trotzdem daß sie seine Gattin geworden sei, als wenn ihr Auge zuweilen liebevoll und sehnsüchtig auf ihm ruhe, er habe dem aufmunternden Blicke nicht widerstehen können, habe sich ihr unbemerkt von ihm genähert und seine Gemahlin habe ihm zu verstehen gegeben, daß ihr Herz eigentlich ihm gehöre. Da habe ihn der Böse verblendet, er habe vergessen, daß er seinem besten Freunde die Treue breche, er habe sich von der Leidenschaft hinreißen lassen und so hätten sie Beide ihn schmählich betrogen. Nach geschehener That habe er aber sein Verbrechen bitter bereut und beschlossen, die schöne Sünderin nie wieder zu sehen, habe also Italien und seinen betrogenen Freund unter einem nichtigen Vorwande verlassen und sei nach Deutschland zurückgekehrt, in der Hoffnung, daß er Beide niemals wiedersehen werde. Da habe das Unglück es gefügt, daß es dem Markgrafen eingefallen sei, ihn auf seiner väterlichen Burg zu besuchen, durch das Wiedersehen und Entgegenkommen seiner treulosen Gemahlin seien alle seine guten Vorsätze umgestoßen worden, er habe abermals sein Vertrauen getäuscht und komme mit dem offenen Geständniß seiner Schuld und der Bitte, sich nach freier Wahl an ihm rächen zu wollen, doch könne er ihm die Nachricht nicht vorenthalten, daß er nicht der einzige sei, um dessen willen ihn sein Weib betrogen habe, er könne ihm den Beweis liefern, daß sie eine Verworfene sei und täglich mit ihrem Pagen buhle und seiner Liebe spotte. Da entgegnete ihm der Markgraf, er sei ein schändlicher Verräther, dessen Schuld sicher nicht geringer werde, weil auch seine Gattin eine Verworfene sei; er wolle jedoch sein Leben ohne Vertheidigung als Sühne nehmen, ein Gottesurtheil gleich auf dieser Stelle hier solle entscheiden und Gott selbst zwischen ihnen richten. Damit faßte er seine Lanze, legte sie ein, ritt einige Schritte zurück und stürmte dann mit furchtbarer Wuth auf seinen Gegner ein. Dieser aber in der Absicht, sich nicht zu vertheidigen und sein Leben als Sühnopfer hinzugeben, nahm seine Lanze in den Arm und sandte ihre Spitze in horizontale Richtung. Aber gerade dies war das Verderben des Markgrafen. Denn blind sprengte dieser heran und während seine Lanze auf dem Harnisch des Ritters zerschellte, drang dessen still vorgehaltener Speer durch das Visir seines Helmes, zerbrach dieses und fuhr gerade neben dem linken Auge ihm tief in die Stirne hinein. Mit einem Schrei glitt er vom Pferde und stürzte zu Boden und rauschendes Blut strömte hervor aus der tiefen, klaffenden Wunde. Noch einige Male zuckte er schwer zusammen, röchelte und dann blieb er ohne Bewegung und ohne einen Laut von sich zu geben liegen. Bis dahin wußte der Ritter von Volmestein kaum, was geschehen war, als er aber jetzt seinen Freund scheinbar leblos

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vor sich auf dem Grase hingestreckt liegen sah, da dachte er an nichts als an ihre frühere Freundschaft, er sprang vom Rosse, warf sich über ihn und versuchte ihn in's Leben zurückzurufen. Allein keine Spur von Leben war mehr in ihm, die Augen waren geschlossen, die Hände krampfhaft wie im Todeskampfe zusammengeklemmt, die Lippen unbeweglich, kein Athemzug hörbar, nur ein Strom schwarzen Blutes rann über das todtbleiche Antlitz des Gefallenen herab. Da ergriff ihn Verzweiflung, er warf sich auf sein Pferd und jagte nach dem Stifte Herdecke zu; dort in der Herberge angekommen, rief er den Knechten athemlos zu: »Eilt zu Euerem Herrn, dort links im Walde liegt er in seinem Blute, er ist todt und ich bin sein Mörder!« Damit drückte er seinem schäumenden Rosse die Sporen in die Seiten und sprengte davon, tief in die Gebirge hinein. Die Knechte eilten nach der bezeichneten Stelle und fanden ihren Herrn leblos und mit Blut überströmt ausgestreckt im Grase liegen, der Körper war noch warm, allein Athem und Leben waren fort. Die Diener versuchten gleichwohl Alles, um zu sehen, ob nicht das Leben zurückzurufen sei. Sie entkleideten ihn, wuschen seine Wunde mit frischem Quellwasser und rieben seine Glieder, allein nichts vermochte ihm das entschwundene Leben wieder einzuhauchen. Endlich aber, als sie ihn auf sein Pferd luden, um ihn nach Volmestein zurückzuführen, wand sich langsam ein tiefer Seufzer aus der schon erstorbenen Brust. Bald darauf schlug der Todtgeglaubte sogar die Augen auf und ob er sie gleich sofort wieder schloß, so war doch in die Knechte neuer Muth gekommen. Sie begannen ihre Belebungsversuche von Neuem, tröpfelten ihm etwas Wein, den sie bei sich führten, auf die Zunge und beschlossen, ihn statt nach Volmestein lieber in das Kloster Herdecke zu schaffen, wo er einer besseren Pflege als auf der Burg genießen könnte. Sie hieben also Zweige von den Bäumen, fertigten daraus eine Tragbahre und trugen ihn nach dem Kloster Herdecke, wo sie ihn der Pflege einer in der Heilung erfahrenen Nonne übergaben, welche die Wunde untersuchte und nicht für unbedingt tödtlich erklärte. Gleich am folgenden Tage langte seine Gemahlin vom Schlosse Volmestein an, sie ward natürlich zu ihm gelassen, allein er gab durch so unzweideutige Zeichen zu verstehen, daß er sie nicht sehen wolle, daß sie sich entfernte und bald darauf, den Zusammenhang ahnend, in Begleitung des Pagen Deutschland verließ und in ihr Vaterland Italien zurückkehrte. Nach Verlauf eines Vierteljahres war der Markgraf so weit hergestellt, daß er ohne Gefahr die Rückreise in sein Vaterland antreten konnte. Er schied unter reichen Geschenken von den braven Pflegerinnen, allein über die Ursache seiner Verwundung ließ er sich auch bis zum letzten Augenblick nicht aus. Ueberhaupt war sein ganzes Wesen gänzlich verändert, er sprach mit Niemandem mehr als die äußerste Nothwendigkeit verlangte und zog sich in seinem Schlosse zu Eger angelangt gänzlich von allem Umgange mit Menschen ab. Das Einzige, was er mit Eifer betrieb, war, seine Scheidung von seiner treulosen Gattin vom Papste zu erlangen, was ihm denn auch durch bedeutende Geldopfer gelang. Das Fieber des Edelknappen Volmesteins war um vieles schlimmer geworden, als die Nachricht von dem Kampfe und der Flucht seines Herrn bis zu ihm gedrungen war, allein seine Jugendkraft rettete ihn und so kam er wieder auf. Er entfernte sich aber sofort nach seiner Genesung aus dem Schlosse unter dem Vorwande, seinen Herrn aufsuchen zu wollen. Am nächsten Tage erschien aber an der Pforte des Klosters zu Herdecke eine fremde, von tiefem Grame gebeugte Jungfrau. Sie bat um Einlaß und um die Barmherzigkeit, ihr Leben in den stillen Mauern beschließen zu dürfen. Beides ward ihr gewährt, allein nach Jahresfrist hatte der Gram ihr Herz getödtet. An einem Sommerabende des Jahres 1136 pochte ein Wanderer an die Pforte des Klosters Siegburg und verlangte den Abt zu sprechen. Als derselbe ihn vor sich ließ, bat er ihn, er möge ihm erlauben in sein Kloster zu treten und hier seine Sünden zu büßen, denn er sei ein schwerer Verbrecher, er bitte auch, daß ihm gestattet werden möge, seinen Namen und sein Verbrechen zu

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verschweigen. Zwar war dies eigentlich der Sitte des Klosters entgegen, allein gleichwohl machte der Abt in diesem Falle eine Ausnahme und gestand dem Fremden seine Bitte zu. Der neue Bruder aber lebte fromm und gottesfürchtig in dem Kloster Siegburg, er war der unverdrossenste bei der Arbeit, auch bei der schwersten, niedrigsten; der erste, der zum Gebet kam, war er der letzte, der die Kirche verließ. Aber kein Laut kam über seine Lippen. So lebte er vier Jahre in dem Kloster und genoß bei allen seinen Brüdern ebenso viel Liebe als Ehrfurcht. Da kam der Bischof von Regensburg nach Siegburg und wünschte, als er so viel von der Frömmigkeit und christlichen Demuth des jungen Mönchs hörte, daß ihn derselbe begleiten möge, um in seiner Residenz das Amt eines Hausgeistlichen bei ihm zu übernehmen. Zwar weigerte er sich anfangs, allein da der Bischof auf seinem Wunsche bestand, so gab er nach und folgte ihm in seine Residenz. Doch fühlte er sich hier nicht glücklich, es ging ihm viel zu geräuschvoll und glänzend zu und nach einem halben Jahre bat er den Bischof, er möge ihn fort in die Einsamkeit ziehen lassen, wo er als Einsiedler sein Leben beschließen könne. Als ihm nun dieser, obwohl ungern, seine Erlaubniß dazu gegeben hatte, da pilgerte er in grauem Pilgerkleide mit bloßen Füßen und nur mit einem Sacke versehen, in welchem sich grobes schwarzes Brod befand, fort aus der Stadt in den Wald hinein, immer tiefer und tiefer, bis er nach Verlauf von drei Tagen an einen großen Fluß, die Eger, gelangte. In diesen ergoß sich ein klares, freundliches Bächlein. Dem folgte der Pater, bis er an eine dichte düstere Stelle des Waldes kam. Hier blieb er, bauete sich aus Baumzweigen eine Einsiedelei und wohnte darin und lebte einfach von dem klaren Wasser des Bächleins und von den Wurzeln und Beeren des Waldes und diente seinem Herrn und betete zu ihm vom frühen Morgen an bis zur späten Mitternacht. Als er nun fast zwei Jahre in dieser Abgeschiedenheit verlebt hatte, da begab es sich eines Tages, daß ein Ritter, der nur von einem Knappen begleitet war, durch den Wald ritt. Er erblickte die Einsiedelei, welche er doch früher an diesem Orte nicht gesehen hatte, ritt verwundert darauf zu, stieg vom Rosse und ging näher zu der stillen Wohnung. Da sah er den Einsiedler darin vor einem Crucifix liegen und still beten. Der Ritter betrachtete ihn und erbebte, seine Züge wurden von heftiger Aufregung bewegt, langsam schritt er auf den Betenden zu, pochte ihm auf die Schulter und fragte ihn mit lauter Stimme, ob er ihn kenne. Der Mönch sprang bei dem bekannten Laute in die Höhe, allein da er seinen Freund von sich ermordet glaubte, so hielt er die Aehnlichkeit der Sprache für eine Täuschung und verneinte die Frage des Ritters. Dieser aber versetzte: »Du täuschest Dich nicht, ich bin Dein Freund Diepolt von Vohburg, ich habe Dir längst vergeben; laß uns hier an diesem Orte zusammenbleiben und dem Herrn dienen!« Da faßte auch der Mönch wieder Muth und rief: »O Freund, verzeihe mir!« Lange hielten sie sich stumm umarmt und dann erzählten sie sich ihre Schicksale. Der Markgraf aber ritt nur nach seinem Schlosse zurück, um seine Angelegenheiten zu ordnen, er übergab seine Länder seinem Bruder und behielt sich nur den Wald vor, wo die Einsiedelei lag. Hierher zog er sich zurück und lebte mit seinem Freunde still und gottesfürchtig ein ganzes Jahr hindurch, dann aber baten sie den Bischof von Regensburg um die Erlaubniß, an der Stelle der Einsiedelei ein Kloster erbauen zu dürfen. Diese erhielten sie gern und nach kurzer Zeit erhob sich hier in dem dichten Walde das Kloster Waldsassen, in dem die beiden ritterlichen Freunde als fromme, demüthige Mönche ihr Leben beschlossen.

Fußnoten

1 Romantisch behandelt von Stahl S. 62-98.

822. Vom Kloster Theres und Adalberts des Babenbergers Grab

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Zwischen Schweinfurt und Haßfurt lag vorzeiten ein stattliches Schloß, das gehörte dem Grafen Adalbert von Babenberg, der auch ein Kloster allda gegründet hatte, das führte den Namen Sondernshus. Diesen Adalbert verriet auf eine schändliche Weise jener Bischof Hatto von Mainz, den die Mäuse bei lebendigem Leibe gefressen haben. Adalbert hatte den Bruder des Königs Ludwig im Kampfe erlegt, und der König belagerte ihn in seiner hohen Feste, der Babenburg über Bamberg, und Hatto war des Königs Ratgeber und Kanzellar. Der ging als Abgesandter hinauf auf die Babenburg und beredete den Grafen zu einer persönlichen Zusammenkunft mit dem Könige und verhieß ihn vor dem Essen wieder sicher und ungefährdet auf die Burg zurückzubringen. Da sie nun hinabstiegen, ward es dem Hatto flau, und klagte sich Heißhungers, da er noch nüchtern, so lud ihn Adalbert zur Umkehr in die Burg ein, erst etwas zu frühstücken. Dann gingen sie hinab in des Königs Lager, und der König ließ den Grafen alsobald verstricken. Adalbert klagte über den Treuebruch und berief sich auf Hattos Zusage freien und sicheren Geleites zurück auf die Burg, da sprach der lügnerische Pfaff: Hab' ich dich nicht, wie ich versprochen, vor dem Essen ohne Gefährde wieder auf deine Babenburg zurückgebracht? – Und da ließ der König Ludwig den Grafen Adalbert zur Sühne seines Bruders Konrad gleich im Lager enthaupten, andere sagen, es sei dies in Adalberts Schloß Sondernshus geschehen, denn alldort liegt er begraben. Der König Ludwig hatte Adalberts Leichnam nach der Enthauptung in den Main werfen lassen, davon kam schnelle Kunde nach Adalberts Schloß, da sammelte sich die Dienerschaft am Strom, und als der Leichnam geschwommen kam, riefen sie weinend: Der is! der is! (der ist es) – und davon wurde hernachmals das Schloß und Kloster Theris und Theres genannt. In der Klosterkirche wurde Adalbert feierlich beerdigt und ihm ein stattliches Epitaphium errichtet; es stand an der Wand, linker Hand gegen den Hochaltar, und der Graf war darauf abgebildet in seinem Harnisch und lebensgroß, stehend auf einem liegenden Löwen, und darum oder darunter die Worte: Anno Domini DCCCCVIII obiit nobilis Albertus comes de Babenberg qui hic jacet incinneratus monasterii hujus fundator opum quantam dator, cujus anima requiescit cum sanctis. Amen. (Im Jahre des Herrn 908 starb der edle Albert, Graf von Babenberg, dessen Asche hier beigesetzt wurde, dieses Klosters Gründer, ein Geber reicher Güter, dessen Seele ruhe mit den Heiligen. Amen.) Nach der Zeit ist die Kirche samt dem Kloster neu gebaut worden, und man weiß nicht, wohin das Epitaphium gekommen. Von Adalberts Grab hat sich die Sage erhalten, daß dasselbe ein kostbares, reich mit Schätzen gefülltes und noch nicht wieder aufgefunden sei.

Schleusingens Ursprung und Name

Alte Leute geben an, wenn man im Tore des Klosterhofes gestanden und zwischen zwei Säulen, die einen Betstock gebildet, hindurchgeschaut habe, so habe man die Linie der Richtung gehabt, in welcher sich das Grab befinde. Noch soll der alte doppelsäulige Bildstock ohnweit des ehemaligen Klosters vorhanden sein, man weiß aber nicht, ob er noch auf der alten Stelle steht. Im Klosterhofe steht ein neuerer schöner Bildstock, zwei Säulen tragen ein Bild der Kreuzigung mit einem geteilten Wappenschilde, darinnen St. Veit und ein Saitenspiel, welches ein Abtshut krönt. Gerade durch die Säulen geht der Meridian, und wer durch sie hindurchblickt, blickt über Adalberts Begräbnisstätte.

830. Der Stettfelder Rügerecht

Zwischen dem Städtlein Eltmann am Main und Bamberg liegt ein Dorf, Stettfeld geheißen, da haben sie ein sonderes Rügerecht, wenn einen Mann die Frau prügelt. Solch ein Mann, der nicht

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viel Mut und Kraft hatte, lebte vor sechzig oder siebenzig Jahren allda, der hatte einen Höllendrachen zum Weib und bekam den Häslinger von ihr weit öfter zu schmecken als Hasenbraten, und wenn die Nachbarn herbeiliefen von dem schrecklichen Geschrei, das gewöhnlich vorfiel, wenn die Frau die Motten aus des Mannes Pelz klopfte, obschon er selbigen noch am Leibe hatte, so bekamen auch sie an Schimpf- und Scheltworten ihr überreichlich Teil, und wenn auf einen, der sich zu nahe heranwagte, ein Klaps abfiel, so mußt' er's haben. Als nun eines Tages auch so ein Ehesturm und Wetter mit Blitz, Hagel und verschiedenen Schlägen vorübergebraust war, da übten die Stettfelder ihr Rügerecht; sie kamen in stiller Nacht herbeigeschlichen, legten Leitern an das Haus, kletterten in Scharen zum Dach hinan und deckten selbiges in aller Stille ab, daß auch kein Ziegel droben blieb. Himmel, gab das einen Zorn, als nun am Morgen der Boden aussah wie ein Judendach, darunter das Lauberhüttenfest gefeiert werden soll! Nun war das Ehepaar auf einmal einig, denn Pack schlägt sich, Pack verträgt sich, und rannten in voller Hurre zum Landrichter nach Eltmann und klagten ob ihres abgedeckten Daches und aufgedeckter Schande, denn die war und ist es für beide Teile, wo die Frau dem Manne Prügelsuppe bei ungebrannter Asche kocht. Darauf machte der Landrichter einen großen Bericht über Tat- und Sachbestand gen Würzburg und erbat Bescheid, denn er mochte diese hochwichtige Sache, weil das Dach hoch und die Ziegeln gewichtig waren, nicht selbst entscheiden. Da kam denn ein Spruch von Würzburg, der war lang und breit und hub an: Sintemal und alldieweil, das heißt auf neudeutsch: In Erwägung daß, und daß, und ferner daß, und noch mehrere daß – so kann den Stettfeldern ihr altes Rügerecht, einem vom Weibe geprügelten Manne das Dach abzudecken, nicht genommen werden, wasmaßen die Sache damit ihr Bewenden behält und die zänkischen Eheleute in Tragung von Gerichtskosten und Sporteln zu nehmen, im Wiederholungsfalle aber zur Tragung des Strafhelms mit der Schelle und den Eselsohren und öffentlicher Ausstellung mit selbigen zu verurteilen sind. V.R.w., das heißt: von Rechts wegen. Dabei blieb es.

831. Des Bamberger Domes Gründung

Da Baba, Heinrichs des Voglers Schwester, auf ihrer hohen Feste im Ostfrankenlande saß, die nach ihr die Babenburg heißt, gründete sie auch die Stadt Baba am Berge, das ist das heutige Bamberg. Auch zur ältesten Kirche legte diese Herrin den Grund, und während des Baues setzte sie eine große Schüssel voll Geldes für die Tagelöhner hin, damit sich jeder seinen Lohn herausnehme, so viel ihm gebührete, und war die Schüssel also gefeit, daß sie sich täglich von selbst mit Geld füllte, und konnte von dem Gelde keiner mehr herausnehmen, als ihm gebührte. Nahm einer mehr, so wurden ihm die Finger glühend. Diese zaubermächtige Baba zwang auch den Teufel, daß er ihr Säulen zum Kirchenbau herbeischleppen mußte. Den jetzigen Dom zu Bamberg gründeten Kaiser Heinrich II. und seine Gemahlin Kunigunde, sie wohnten in dem kleinen Häuschen am Dom, darin jetzt der Mesner wohnt, und waren gar ein frommes Paar, hatten sich ewiger Keuschheit verlobt. Trotzdem kam aber – auf alle Fälle durch keine andere Tücke als die des Teufels – die gute Kaiserin in mancherlei Gespräch und etwas schlimmern Ruch als den der Heiligkeit, welcher erst später sie umduftete, da sie in Jahre gekommen, die ihr nicht gefielen, oder da sie gar gestorben war. Die bösen Zungen munkelten von einem Herzog, wie von einem schönen Leibjäger, laut und immer lauter, bis es vor den Kaiser kam und dieser die fromme Gemahlin aller Unehren zieh. Da erbot sich Frau Kunigunde, ihre Frauenehre zu erweisen durch ein Gottesurteil, und wandelte auf sieben glühenden Pflugscharen unversehrt und kecklich, nachdem sie Gott angerufen, ihre Unschuld darzutun, wie er der keuschen Susanna Unschuld auch dargetan habe. Und da sie über die glühenden Pflugscharen wandelte, sprach sie: Siehe, Kaiser, so schuldig ich deiner bin, bin ich aller Männer! – Und bestand die Feuerprobe und ward also gereinigt mit großen Ehren, und der König und alle Herren fielen ihr zu Füßen. Darum

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ersieht man noch im Georgenchor des Domes auf einem steinernen Hochbild die hohe Frau dargestellt, wie sie die Feuerprobe besteht. Aber rechtfertige sich einer oder eine noch so sehr oder werde gerechtfertigt, gegen wen sich einmal die Teufelszunge der Verleumdung herausgestreckt, der bleibt von ihr beleckt und befleckt. So ging es auch der guten Kaiserin. Als sie eines Morgens früh von der Babenburg herabstieg, nach dem Dome, den sie mit gegründet, zu gehen, überschritt sie die Regnitz da, wo heutzutage der Schiffskran ist, da wuschen Weiber hinterm Gebüsch ihre Wäsche im Fluß, und eine dieser Frauen verlästerte nach der Waschweiber Art die Herrin greulich, daß diese es voll starren Schreckens in ihre Ohren hinein hörte. Von Scham erglühend, flehte Kunigunde noch einmal zum Herrn, ihre Unschuld zu beweisen, ging zur Burg hinauf und sandte alsbald einen Korb mit leckern Speisen und Wein zu den Waschfrauen hinab, die wußten sich nicht genug zu verwundern über der Kaiserin Gnade und ließen sich's trefflich wohlschmecken. Aber da die Verleumderin auch aß und trank, so hatte sie Mistjauche im Becher, und ihr Weck wurde ihr im Maule zu einer Kröte, wie jenen Lästerbuben, die den Vater angespuckt, ihre Zungen. Selbiges Waschweib hat nie wieder verlogenes Gewäsch weitererzählt, und wäre gut für viele ihresgleichen, wenn alle Tage noch solch Wunder sich begäbe. Da würd' es eine solche Last Kröten geben, daß sie schwerer wöge als die großen Steinkröten vor dem Bamberger Dom. Diese Kröten sollen vordessen gelebt und beim Dombau des Nachts alles, was am Tage gebaut worden, aus des Teufels Antrieb wieder zerstört haben. Das Volk nennt sie Kröten, es waren aber ursprünglich roh gebildete Löwen aus grauer Zeit. Auf dem Rücken des einen entdeckte man runenschriftähnliche Zeichen.

877. Heilsbrunn

Es war ein Ritter aus dem Geschlecht derer von Heideck, den peinigte ein jahrelanges Siechtum. Einst ritt er in einem Walde umher, und die Macht der Krankheit befiel, brennender Fieberdurst quälte ihn aufs neue. Da kam er auf eine Waldblöße, auf der ein frischer Brunnquell zutage kam, wo die Vögel lieblich sangen und die Bäume kühl schatteten. Da warf sich der lechzende Ritter vom Roß, kniete hin an die frische Quelle, rief die Mutter des Heilandes an und trank in vollen Zügen. Und da ging es ihm wie dem Ritter Heinz Teufel, die Königin der Engel erhörte ihn, und der Brunnen half und heilte ihm sein Gebrest, und da nannte er die Quelle seinen Heilsbrunnen und erbaute an ihr eine Kapelle. Bald kamen die Pilger in Scharen gezogen, tranken und genasen, und bald faßte das Kirchlein nicht die Zahl der Beter. Da gründeten dann die Brüder Rapoto und Konrad, Grafen zu Abenberg, mit dreien ihrer Schwestern eine große Kirche und ein Kloster in Gemeinschaft mit Bischof Otto zu Bamberg, der ein Graf von Andechs und der Pommern Apostel war, im Jahre des Herrn 1132, und weihten es in die Ehre der Gottesmutter und St. Jakobs Zebedeus, und das Kloster wurde mit Zisterziensermönchen besetzt und eine Enkelin Morimonts genannt. Kaiser Ludwig der Bayer setzte die Burggrafen von Nürnberg zu Schutzherren des Klosters ein, und diese erkoren es zu ihrem Erbbegräbnisse, daher die Fülle herrlicher Denkmäler der Zollern in der noch wohlerhaltenen Klosterkirche. Diese Kirche hatte nicht weniger als achtundzwanzig Altäre, davon der Hochaltar, ein überreiches Schnitzwerk von eines Heilsbrunner Mönches Hand, den ganzen Chor einnahm. Dieser mönchische Künstler fertigte infolge eines Gelübdes den Altar und vermaß sich, nichts zu vergessen, allein da das Werk vollendet war, so fand sich, daß die eine Hand der Figur der heiligen Jungfrau nur vier Finger hatte. Dafür hat des Mönches Leib keine Rast im Grabe finden können und ist sein Gebein unbegraben aufbewahrt worden. Dieser Bildschnitzer war aber wohl ohne Zweifel ein Schalk; er brachte nicht nur irgendwo in der Kirche eine Schweinsmutter an, welche Juden an ihren Zitzen saugen ließ, sondern auf der Stolspange der Statue des heiligen Bischofs Otto ein üppiges Tänzerpaar und einen Sackpfeifer, der diesem aufspielte, vor welchen prostituierlichen Figuren viele Tausende niedergekniet sind und gebetet haben.

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929. Burggeist Poppele

Auf der Burg Hohenkrähen im Hegäu Schwabens, im Volksmund Kreihen genannt, haust ein wunderlicher Spukgeist, der muß schon seit mehr als ein paar hundert Jahre wandern oder, wie man dort zu Lande spricht, laufen. Selbiger Geist gehörte, als er noch in einem menschlichen Leibe umging, dem Vogt einer Witwe an, die auf Hohenkrähen saß, der hieß Hans Christian Poppel und war ein übergeschäftiges lustigliches Männlein, das die Leute gern vexierte, das Gesinde fleißig zur Arbeit trieb, und nebenbei trieb er Ränke und Schwänke, wünschte auch auf der Welt nichts anderes und Besseres, als dies immerfort zu tun. Da Poppel nun doch nach der Welt Lauf einmal nicht ewig leben konnte, so setzte er das Geschäft nach dem Tode fort, wurde ein Hülfsgeist und Neckebold mit Rübezahls Natur und Launen und heißt im Volke allgemein der Poppele. Seine Hülfe ist meist so unerbeten wie unwillkommen. Er trägt zwar die Garben in die Scheuer, aber er wirft sie durcheinander, statt sie auszudreschen. Er spannt zwar das Vieh an und ein, aber verkehrt; die Wagen und Kutschen hemmt er, wo es nicht nötig ist. Manchen äffte Poppele, der zerbrechliche Ware hatte, stand als Baumstrunk oder als einladende Bank am Wege: setzten sich nun die Müden mit ihrem Glas- oder Eierkorbe darauf, plauz, saßen sie auf dem eigenen Poppel, Strunk oder Bank waren weg, und die Tracht zertöpferte. Manchmal schon blies in stiller Nacht das Posthorn und kam dem Stadttor von Radolfzell immer näher, immer näher; der Wächter dachte, du willst dem Postillon das Tor auftun, und wenn der Wächter nun dicht vor dem Tore das Horn hörte und tat das Tor sperrangelweit auf, so war kein Teufel da und auch kein Postillon – und nur in weiter Ferne hörte der Wächter, wie der Spukgeist eine grelle Lache aufschlug. Will man den Poppele gut haben, so muß man ihn einladen zum Mitessen oder Mitfahren und, wenn er etwas recht und nicht verkehrt tun soll, dazu sprechen: It ze lützel und it ze viel. – Auf dem Heuberge – einer also genannten Gegend – gibt es auch hinzelmannähnliche Kobolde des Namens Poppele in mehreren Dörfern; ach und wie viele, viele Poppele gibt es auch außerdem noch in Schwaben und im übrigen lieben Deutschland, die alles verkehrt machen! Sie heißen nur anders. Die Benennung Poppele hat im Worte Popel, Popanz seine Wurzel und geht durch ganz Unter-, Mittel- und Oberfranken bis Bamberg. Ich hole den Popel, wenn du nicht artig bist! werden dort die Kinder bedroht. Bei Pfronten im Achtal spukten wilde Männer, absonderlich auf dem Bärenmoos. Einer davon hieß der Scheidbahmann, der trieb es besonders arg. Papst Pius VI. soll diese Spukgeister aus der Gegend verbetet haben. Andere sagen, Kaiser Joseph II. habe sie hinweggebannt.

Der Schatzgräber

Am Dienstage nach Bartholomäi, des Jahrs als Kaiser Wenzel mit der schönen Bademagd der Prager Haft entfloh, hielt nach altem Herkommen, die Schäfergilde zu Rotenburg in Franken, soviel Teilhaber drei Meilweges im Umkreis um diese Reichsstadt weideten, den jährlichen Umgang, und nachdem sie in der Sankt Wolfgangs-Kirche vor dem Klingentor Messe gehört, zogen sie ins Wirtshaus zum Güldnen Lamm, lebten den ganzen Tag in Saus und Schmaus, flöteten und schalmeieten, und hielten ihren Schäfertanz auf offnem Markte bis zu Sonnenuntergang. Das junge Volk verlief sich dann wieder aus der Stadt; die alten wohlhabenden Hirten aber saßen beim Zechgelag beisammen um die Weinkanne, bis tief in die Nacht, und wenn der Wein das Band der Zunge gelöset hatte, wurden sie laut und koseten von mancherlei Dingen. Einige machten Wetterbeobachtungen, trotz unsern luftigen Windspähern, und ihre Prophezeiungen, aus der Laune, mit welcher Maria übers Gebürge gegangen war, aus dem heitern oder trüben Adspekt des Siebenschläfers, und aus der Blüte des Heidenkrauts, trafen richtiger zu, als der Hahnenruf des Schleswiger Wetterpropheten, ob sie gleich nicht begehrten,

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ihr Licht dem gesamten deutschen Vaterlande aufzustecken, sondern gleichsam nur unter dem Scheffel weissagten. Andere erzählten die Abenteuer ihrer Jugend, wie sie unter dem Beistande des getreuen Phylax den Wolf von der Herde abgewehret, und seinen Schreckensbruder, den grimmigen Werwolf, durch den kräftigen Andreassegen weggescheucht hatten; oder wie sie in Wüsten und Wäldern, von Hexen und Gespenstern, zur Nachtzeit, gefoppt und geängstiget worden waren; was sie für Wunderdinge gehört, gesehen und erfahren hatten. Diese Erzählungen waren zum Teil so grausend, daß den städtischen Zuhörern davon die Haut schauerte und die Haare zu Berge stiegen: denn eine löbliche gemeine Bürgerschaft, nahm an dem ländlichen Schäferfeste, in den Stunden des Feierabends, vergnügten Anteil. Viel Zünftler und Handwerker begaben sich in die Trinkstube des Wirtshauses zum Goldnen Lamm, zahlten einen Schoppen Wein, hörten diesen Schnack mit an, und gaben ihr Wort auch mit dazu. Am besagten Abend war der silberbehaarte Martin, ein muntrer Greis von achtzig Jahren, der wie der fromme Erzhirte Jakob, ein ganzes Schäfergeschlecht aus seinen Lenden hatte hervorsprossen sehen, über alle Maßen heiter und gesprächig. Er ließ sich, da es schon anfing in der Trinkstube an Gästen lichte zu werden, noch einen Becher Fernewein zum Schlaftrunk zapfen. Es tat ihm wohl, daß das Geräusch um ihn her sich verminderte, und daß er nun auch zum Worte kommen konnte. »Kameraden«, hob er an; »ihr habt viel von euren Abenteuern gekost, die zum Teil wunderseltsam gnug klingen; doch will mich bedünken, der Wein habe zuweilen mit eingeschwatzt, ich weiß auch eins, das mir in meiner Jugend begegnet ist, und das euch, ob ich gleich nur die reine Wahrheit dabei einschenkte, wunderbarer vorkommen würde, als alle die eurigen; aber 's ist schon zu weit in die Nacht, ich kann's nimmer enden.« Alles schwieg, da der ehrwürdige Graukopf den Mund auftat, es herrschte solche Stille in der Trinkstube, als wenn der Bischof von Bamberg stille Messe läs; und da der Greis schwieg, wurde alles laut um ihn her, und seine Nachbarn und Gefreundten riefen einmütig: »Vater Martin, laß uns dein Abenteuer hören! warum hältst du damit hinterm Berge? Gib's uns zum Feierabend.« Selbst einige Bürger aus der Stadt, die eben im Begriff waren heimzugehen, hingen Mantel und Hut wieder an den Haken, und ermahnten ihn, zum Valet seine Wundergeschichte mitzuteilen. Altvater Martin konnte dieser dringenden Aufforderung nicht widerstehen und redete also.

Anfangs ging mir's gar kümmerlich in der Welt. Als ein verlaßner elternloser Knabe, mußt ich mein Brot vor den Türen suchen, hatte keine Heimat, war aller Orten zu Haus, und zog mit meinem Ranzen, von Dorf zu Dorf im Lande herum. Wie ich heranwuchs, stark und bengelhaft wurde, verdang ich mich als Bub bei einem Schäfer, auf dem Harz, und diente ihm bis ins dritte Jahr bei den Schafen. Zu Anfang des Herbsts desselben Jahres, fehlten eines Abends beim Heimtreiben zehn Stück von der Herde, da schickte mich der Großknecht aus, sie im Walde zu suchen. Der Hund geriet auf eine falsche Spur, ich irrete im Gebüsch umher, die Nacht brach ein, und weil ich der Gegend unkundig war, und mich nicht wieder heimfinden konnte, beschloß ich unter einem Baum zu übernachten. In der Mitternachtsstunde wurde der Hund unruhig, fing an zu queulen, zog den Schwanz ein und drückte sich dicht an mich, da vermerkt ich, daß es hier nicht geheuer sei, ich schauete umher, und sah bei hellem Mondschein, daß eine Gestalt mir gegenüber stund, als ein Mann mit zottigen Haaren am ganzen Leibe, er hatte einen langen Bart, der ihm bis über den Nabel reichte, um das Haupt trug er einen Kranz, um die Lenden einen Schurz von Eichenlaub, und hielt einen ausgewurzelten Tannenbaum in der rechten Hand1. Ich zitterte wie ein Espenlaub, daß mir vor Entsetzen die Seele bebte. Das gespenstische Ungetüm winkte mir mit der Hand ihm zu folgen; aber ich rührte mich nicht von der Stelle, drauf vernahm ich eine heisere grölzende Stimme, die sprach: ›Feigherz fasse Mut, ich bin der Schatzhüter des Harzes. Gehe mit mir, so du willst, sollst du einen Schatz heben.‹ Ob mir die Angst gleich kalten Todesschweiß austrieb, so ermannete ich mich doch endlich, schlug ein Kreuz vor mich und

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sprach: ›Hebe dich weg von mir Satan, ich bedarf deines Schatzes nicht!‹ Da grinsete mir der Geist ins Gesicht, stach mir den Gecken und rief: ›Tropf, du verschmähest dein Glück! Nun so bleib ein Lump all dein Lebtag!‹ Er wendete sich von mir, als wollt er förder gehen; doch kam er bald wieder zurück und sprach: ›Besinn dich, besinn dich, Schelmendeckel, ich füll dir den Ränzel, ich füll dir den Säckel.‹ ›Es stehet geschrieben‹, antwortete ich: ›Laß dich nicht gelüsten, weiche von mir du Ungetüm, mit dir hab ich nichts zu schaffen!‹ Da der Geist sahe, daß ich ihm kein Gehör gab, ließ er ab in mich zu dringen, und sprach nur soviel: ›Du wirst's bereuen!‹ sahe mich dabei trübselig an, und nachdem er sich eine Zeitlang bedacht hatte, fuhr er fort: ›Merke, was ich dir sage und nimm's wohl zu Herzen, ob dir's einmal frommen möchte, wenn du zu Verstande kommst. Es liegt ein ungeheurer Schatz an Gold und Edelsteinen, tief unter der Erde im Brocken verwahret, der im Zwielichten versetzt ist, und darum sowohl am hellen Tage, als zur Mitternachtstunde gehoben werden kann. Ich hüte sein seit siebenhundert Jahren; aber von heut an wird er wieder gemeines Gut, daß ihn nehmen kann, wer ihn findet: meine Zeit ist um. Darum gedacht ich, ihn in deine Hände zu geben, denn ich gewann dich lieb, da du auf dem Brocken weidetest.‹ Darauf gab mir der Geist Kundschaft von dem Orte, wo der Schatz zu finden sei, und von der Weise, wie ich dazu gelangen sollte. 's ist mir noch als wenn's heute geschähe, sogar erinnere ich mich aller seiner Worte. ›Geh nach dem Andreasberg‹, sprach er, ›und frag dort nach dem schwarzen Königstale, jetziger Zeit das kleine Morgenbrodstal genannt. Wenn du an ein Bächlein gelangst, die Duder, Oder, auch Eder benamt, so folge demselben, dem Strom entgegen, bis an die steinerne Brücke, an einer Sägemühle gelegen. Gehe nicht über die Brücke, sondern halte dich rechter Hand längs dem Bächlein hinauf, bis dir eine hohe Steinklippe entgegen stehet. Einen Bogenschuß davon wirst du wahrnehmen eine eingefallene Grube, als ein Grab, wo man einen Toten hineinleget. Wenn du das Grab hast, so räume es getrost auf; ob du saure Arbeit daran tust, wirst du doch vermerken, daß die Erde mit Fleiß dareingeschüttet sei. Hast du nun feste Steine auf beiden Seiten, so fahre mit der Arbeit fort, bald wirst du eine viereckige Steinplatte eingemauret finden, eine Elle hoch und breit, diese zwänge aus der Mauer, so bist du im Eingang des Schatzbehälters. In diese Öffnung mußt du auf dem Bauche hineinkriechen, mit dem Grubenlicht im Munde, die Hände frei, daß du nicht mit der Nase an einen Stein stößest: es fällt darinne sehr talein, und hat scharfes Gestein. Wenn dir schon die Kniescheiben etwas bluten, so acht es nicht, denn du bist auf gutem Wege. Raste nicht, bis du eine breite steinerne Treppe erreichest, von welcher du auf zweiundsiebenzig Stufen gemächlich in die Tiefe hinabsteigest, in eine geräumige Halle mit drei Türen von innen, zwei davon stehen offen, die dritte ist feste verwahrt, mit eisernem Schloß und Riegel. Gehe nicht ein durch die zur Rechten, daß du nicht verunruhigest die Gebeine des ehemaligen Schatzherrn. Gehe auch nicht ein durch die zur Linken: es ist die Unkenkammer, wo Ottern und Schlangen innen hausen, sondern öffne die verschloßne Tür mittelst der wohlbekannten Springwurzel, welche bei dir zu tragen du nicht vergessen darfst, sonst ist all dein Tun verloren, und du endest nichts mit Werkzeug und Brecheisen. Wie du sie erlangen mögest, darum frage einen erfahrnen Weidmann: es ist eine gemeine Jägerkunst, und die Wurzel ist nicht schwer zu überkommen. Sei unverzagt, ob die Tür gleich mit großem Krachen und Geprassel auffährt, wie der Knall einer Donnerbüchse: es geschiehet dir kein Leid, und die Kraft kommet aus der Springwurzel. Bedecke nur dein Grubenlicht, daß es nicht verlösche, so wirst du vermeinen zu erblinden, von dem herrlichen Glanz und Schimmer des Goldes und der Edelsteine, an den Wänden und Pfeilern des innern Gewölbes; aber hüte dich, deine Hand darnach auszustrecken, es wär als ob du einen Kirchenraub begingest. In der Mitte des Kellers stehet eine kupferne Truhe, gleich einem hohen Altar in der Kirche, darinnen findest du Goldes und Silbers gnug, und magst daraus nehmen, soviel dein Herz begehrt. Wenn du so viel hast, als du tragen kannst, so hast du gnug auf deine Lebenszeit, auch magst du dreimal wiederkommen, nur zum vierten Mal wär dein Beginnen

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umsonst: auch würdest du ob deiner Gierigkeit hart gestraft werden, auf der steinernen Stiege ausgleiten und ein Bein brechen. Verabsäume nicht jedesmal den Schurf wieder zuzuwerfen, wodurch du den Eingang in die Schatzkammer des Königs Bruktorix dir eröffnet hast2.‹ Als der Geist das gesagt hatte, spitzte der Hund die Ohren und fing an zu bellen, ich vernahm das Klatschen von Fuhrmannspeitschen und das Rasseln der Räder in der Ferne, und da ich mich umsahe, war das Gespenst verschwunden.« Hiermit endigte der graubärtige Geisterseher3 sein Abenteuer, das auf die Zuhörer ganz verschiedenen Eindruck machte. Einige hatten's ihren Spott damit und sprachen: »Alter Vater, das hat dich geträumet!« Andere gaben der Sache guten Glauben; noch andere waren Eiertreter, nahmen eine weise Miene an, und gingen mit der Sprache nicht heraus. Der Wirt zum Goldnen Lamme war ein großer Schlaukopf, sein unvorgreifliches Ermessen der Sache ging dahin, aus dem Erfolg lasse sich die Kontrovers am sichersten entscheiden: alles käm darauf an, ob der Altvater die unterirdische Wallfahrt begonnen habe und mit vollem Säckel wieder zu Tage ausgefahren sei oder nicht. Er schenkte ihm einen Becher aus der frischen Flasche ein, um seine gesprächige Laune zu unterhalten, und frug traulich: »Vater Martin, sag an, bist du im Berge gewesen, und hast du funden, was dir der Geist verheißen hat; oder ist er an dir zum Lügner worden?« »Mit nichten«, antwortete der ehrliche Weißbart, »ich kann den Geist nicht Lügen strafen, denn ich habe nie einen Schritt darum getan, das Grab zu suchen, oder es aufzuschürfen.« »Und warum nicht?« »Um zweierlei Ursach willen, einmal darum, weil mir mein Hals zu lieb war, als daß ich ihn dem Teufelsspuk hätte preisgeben sollen, und hernach darum, weil mich kein Mensch jemals hat berichten können, wie die Springwurzel zu erlangen stehe; wo sie wachse, und auf welchen Tag und zu welcher Stunde sie müsse gegraben werden, ob ich gleich manchen wackern Weidmann darum befragt habe.« Der Wirt zum Goldnen Lamme war mit seiner Untersuchung nun schon zu Ende, ohne daß ihm ein Licht im Verstande dadurch angezündet wurde. Dagegen erhob Nachbar Blas, ein bejahrter Hirt, seine Stimme und sprach: »Jammer und Schade, Vater Martin: daß deine Heimlichkeit mit dir veraltet ist. Hättest du vor vierzig Jahren ausgebeichtet, die Springwurzel sollte dir traun! nicht gefehlet haben. Ob du schon den Brocken nimmer besteigen wirst: so will ich doch Kurzweil halber dir anzeigen, wie sie zu erlangen ist. Am leichtesten geht das vonstatten durch Hülfe eines Schwarzspechts. Merke im Frühling, wo er in einen hohlen Baum nistet, wenn nun die Brutzeit vorbei ist, und er ausfleucht Nahrung zu suchen, so treibe einen harten Quast in die Öffnung des Einflugs. Stelle dich hinter den Baum auf die Lauer, bis der Vogel zurück kommt zur Futterzeit. So er wahrnimmt, daß das Nest wohl verspündet sei, wird er mit ängstlichem Geschrei um den Baum schwirren, und seinen Flug plötzlich gegen Sonnenuntergang nehmen. Wenn das geschiehet, so sei bedacht einen roten scharlaknen Mantel aufzutreiben; oder in dessen Ermanglung geh zum Krämer und kaufe von ihm vier Ellen rotes Tuch, verbirg's unter dein Kleid, und harre beim Baume einen, auch wohl zween Tage lang, bis der Specht wieder zu Neste fleugt, mit der Springwurzel im Schnabel. Sobald er damit den Pfropf berührt, wird dieser aus dem Astloch, mit großer Gewalt, wie ein Kork aus einer gärenden Flasche fahren. Dann sei behend, und breite den roten Mantel oder das Tuch unter den Baum: so meint der Specht, es sei Feuer, erschrickt davor und läßt die Wurzel fallen. Einige zünden auch unter dem Baum wirklich ein zartes Feuerlein an, das nicht viel raucht, und streuen die Blüte von dem Kraut Spickenardi darauf. Aber es ist damit ein mißlich Tun, wenn die Flamme nicht rasch gnug auflodert, entfleugt der Specht und trägt die Wurzel mit sich davon. Hast du sie nun in deiner Gewalt, so unterlaß nicht jeden Tag ein Stücklein Kreuzdornholz dabeizubinden: denn wofern du die Wurzel frei aus der Hand legen wolltest, wär sie ohne Genuß verloren.« Es wurde über diese Prozedur noch mancherlei gekannegießert, und es war bereits hoch Mitternacht, ehe die Zechgäste auseinander schieden.

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Von aller menschlichen Gesellschaft abgesondert, hatte neben Hund und Katze, hinter dem Ofen in des Wirts ledernem Polsterstuhle, ein Zechgast Posto gefaßt, der den ganzen Abend ein so tiefes Stillschweigen beobachtete, als wenn er sich vorbereite in einem Kartäuserkloster Profeß zu tun. So wenig Kontemplationsgeist er sonst besaß: so sehr war er diesmal ganz in sich gekehrt, und in tiefem Nachdenken begriffen, wozu er durch mehr als eine Ursache Veranlassung fand. Weiland eines weisen Magistrats und gemeiner Stadt Garkoch und Weinmeister, nachher Brunnenmeister, und endlich als Privatus Lungerer und Hungerer, war Meister Peter Bloch, seit dem letzten Jahrzehend, die große Leiter von Glück und Ehre, Sprosse für Sprosse immer abwärts gestiegen, welches der merkliche Abfall vom Weinmeister zum Brunnenmeister allgnugsam zu erkennen gibt, der dem Abstand vom Kaiser zum Küster wohl wenig nimmt. Er war in seinem vormaligen Wohlstand ein jovialischer Mann, recht wie zum Scherztreiber geboren, der auf Ehrenmahlen, die ihm verdungen wurden, Geist und Magen der Gäste in gleichem Maße wohl zu nähren und zu vergnügen wußte. In der Kochkunst tat es ihm nicht leicht ein anderer zuvor. Er verstund einen Auerhahn mit einem gehämmerten süßen Sode herrlich zuzurichten, auch hohe Gallerte von Fischen zu bereiten, desgleichen köstliche Synandtfladen, Quittentorten, Kuchen mit Oblaten, und allen Schweinsköpfen übergüldete er die Ohren. Er hatte sich frühzeitig nach einer Gehülfin umgetan; aber unglücklicherweise war seine Wahl auf eine Dirne gefallen, die ihrer bösen Zunge halber, womit sie wie eine Natter stach, in der ganzen Stadt verschrieen war. Wer ihr in Wurf kam, Freund oder Feind, das kümmerte sie nicht, dem wußte sie in einem Atem neunerlei Schande nachzusagen. Sie verschonte selbst die Heiligen im Himmel nicht, und war mit ihrer Lästerchronik so gut bekannt, als Frau Schnips4 kurzweiligen Andenkens; nur glückte es ihr nicht wie dieser, von Freund Bürgers fruchtbarer Laune beschwängert, die Lacher auf ihrer Seite zu haben. Vollbrechts Ilse war durchgängig verhaßt, die jungen Gesellen gingen ihr meilenweit aus dem Wege, denn sie wußte auf jeden einen Ekelnamen. Daher wurde sie überreif, wie eine Hanbutte, die um der Stachel willen am Stocke sitzen bleibt. Endlich ließ sich Meister Peter, dem ihre Anstelligkeit und Häuslichkeit vorgelobt wurden, dennoch bereden, um sie zu werben. Da ging ein Knittelreim in der Stadt herum, der lautete also:

Vollbrechts Ilse, Niemand will se, Die böse Hülse: Da kam der Koch, Peter Bloch, Und nahm sie doch.

Das traute Paar war kaum vom Altar zurück, so führte schon die Zwietracht den Hochzeitreihen an. Der Stadt Weinmeister hatte sich in der Fröhlichkeit des Herzens, an seinem Ehrentage, vom Wein übermeistern lassen, welcher Zufall ihm auch wohl an einem gemeinen Werkeltage begegnete, und taumelte der Braut in die Arme. Darüber gab's schon einen harten Strauß, und der Ehekalender prophezeite den Brautleuten stürmische unfreundliche Witterung, schwere Donnerwetter mit Schloßen und Platzregen, wenig Sonnenschein und viel kalte Nächte. Das Prognostikon traf auch richtig zu, bis auf den letzten Punkt: denn der reiche Kindersegen, den diese zwiespältige Liebe in der Folge erndete, ließ wenigstens mitunter fruchtbares Wetter und lauwarme Nächte vermuten. Demungeachtet hatte Meister Peter lange Zeit nicht die Freude, den süßen Vaternamen lallen zu hören: seine Deszendenz bestund aus eitel Sterblingen, die so hinfällig waren, daß sie, wenn sie kaum die vier Wände beschrien hatten, an heftigen Zuckungen dahinstarben, gleich wie die jungen Zicklein im kalten Winter. Die Zornwut des zänkischen

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Weibes, verpestete die nahrhaften Säfte der balsamischen Muttermilch, und verwandelte sie in ätzenden Schierlingssaft, welchen der zarte Säugling aus der Quelle des Lebens trank. Obgleich Meister Peter keine großen Güter zu vererben hatte, so war's ihm doch ungemütlich kinderlos zu bleiben, er beklagte sich ofte gegen seine Nachbarn über diesen Unstern, und wenn er ein Kind begraben ließ, sprach er: »'s hat wieder in die Kirschblüten geblitzt, daß keine Frucht davon zur Reife kommt.« Da eröffnete ihm eine kluge Frau die Ursache seiner häuslichen Mortalität, und als ihm ein Sohn geboren ward, legte er ihn einer gesunden Amme an die Brust. Der Knabe wuchs und ward stark, und der Vater hatte große Lust und Freude an ihm. Er nahm den trauten Görgel ganz allein unter seine Zucht und Aufsicht, und nachdem er ihn behost hatte, führte er ihn in die Küche anstatt in die Schule ein, versagte ihm keinen Leckerbissen, und zog einen kleinen Fresser aus ihm. Zur Mittagszeit wenn den Speisegästen angerichtet wurde, stund er auf der Lauer, gabelte in die Schüssel nach einem Leberlein oder deutete auf einen Hahnenkamm, und der tätschelnde Vater reichte ihm alsbald, in ein wenig Salz getaucht, die verlangte Schleckerei. Wenn er aber bei der Mutter so ein feines Stücklein praktizieren wollte, ging's ihm nicht ungenossen aus, sie schalt und kiff ob dieser Unart, und schlug den kleinen Lecker mit dem Kochlöffel wohl gar auf die Finger. Da weinte das liebe Kind, daß es das väterliche Herz erbarmte, und dem Meister Koch die Butter ins Feuer entfiel. Er sprach sodann gutmütig bittend zu der stürmischen Hausehre, in seiner fränkischen Mundart: »Weibelä, gib doch dem Bübelä ä Schlägelä von dem Hennelä.« So trieb's der gute Vater mit seiner Zucht, bis ins siebente Jahr, da war der traute Görgel zu Tode gefüttert. Es blieb ihm von allen seinen Kindern keins übrig, als nur eine einzige Tochter von so fester Masse, daß weder die Bilsenessenz der Muttermilch, noch die Mast der Vaterliebe sie vergiften konnte: sie wurde unter der mütterlichen Strenge und des Vaters Nachsicht groß und schön; auch ließ sich dieser nie bereden zu glauben, daß ihm der Teufel ein Ei in die Wirtschaft gelegt habe, da ihm eine hübsche Tochter war geboren worden. Unterdessen hatten sich die Glücksumstände der Familie merklich geändert. Meister Peter war in der Jugend in der Rechenschule versäumet, hatte keine Spezies aus dem Grunde begriffen als die Subtraktion, die Addition und Multiplikation wollten ihm nie ein, und mit der Division hatte er sich all sein Lebtag nicht zu befassen gewußt. Es kostete ihm zu viel Anstrengung, Ausgabe und Einnahme in seiner Ökonomie gegeneinander abzuwägen; hatte er Geld, so versorgte er Küch und Keller reichlich, gab den Schmarotzern, die seine Speisekunden waren, Kredit soviel sie begehrten, hielt die lustigen Brüder, die gute Schwänke zu erzählen wußten, zechfrei, und füllte allen Hungerleidern, die sich an ihn wandten, und sein Mitleid rege zu machen wußten, den Magen. War seine Kasse erschöpft, so borgte er vom Wucherer gegen hohe Zinsen, und weil er das Pantoffelregiment des zänkischen Weibes fürchtete, gab er gegen die strenge Domina vor, es wären eingegangene Schulden. Sein Grundsatz, der sich mit seiner Gemächlichkeit gar wohl vertrug, und nach welchem noch viel bequeme Wirte kalkulieren; war der: Am Ende wird sich wohl alles finden. Und es fand sich auch wirklich am Ende, daß Meister Peter in Konkurs verfiel und sich genotdrungen fand, zur allgemeinen Bedauerung aller Gutschmecker und feinen Züngler seiner Vaterstadt, das Küchen- und Kellerschild einzuziehen. Weil er sich aber mit seinen Küchentalenten viel Tischfreunde erworben hatte, versahe ihn ein wohlweiser Magistrat aus Kommiseration, mit dem dürftigen Amte eines Brunnenmeisters; denn die Herrn fürchteten eine üble Nachrede, wenn's hieß, in der Reichsstadt Rotenburg sei der Garkoch verhungert. Allein auch bei diesem kleinen Amte, hätte der Exkoch weder Glück noch Stern. Es entstund ein Gerücht, die Judenschaft habe die Brunnen vergiftet, drauf wurden in einem wütigen Auflauf die Juden zum Teil erschlagen, zum Teil aus der Stadt gejagt und ihr Hab und Gut geplündert, darauf war's mit dem Gerede, von dem losen Gesindel in der Stadt, eigentlich abgesehen; aber Meister Peter verlor unverschuldeterweise dabei sein Brunnenamt, unter der Anschuldigung, er habe nicht

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sorgfältig gnug auf die Wasserbehälter invigiliert. Jetzt wußt er weder Rat noch Hülfe: graben mocht er nicht, so schämt er sich zu betteln. In jenen frugalen Zeiten, wo sich die stattliche Hausfrau nicht scheuete, eigenhändig den schwarzen Topf ans Feuer zu rücken, und ihre Küche zu besorgen, war bei den Herrschaften um einen Koch eben keine Nachfrage: die gallische Küche hatte den deutschen Gaumen noch nicht verwöhnt. In diesem trübseligen Zustande, mußt er des beißigen Weibes Gnade leben, die sich von einem kleinen Mehlhandel dürftig nährte. Für die Kost leistete er ihr die Dienste eines Esels, welches Haustier, bei dem neuen Wirtschaftsgewerbe, ohne diesen Stellvertreter, ihr unentbehrlich gewesen war. Sie belud die ungewohnte Schulter des trägen Ehgespans mit manchem schweren Sack Getreide, den er keuchend in die Mühle trug, maß ihm dafür kärglich gnug sein Futter zu, und wenn er sein Tagewerk nicht förderte, schlug ihn der Satansengel wohl gar mit Fäusten. Das jammerte der weichgeschaffenen Seele der tugendlichen Tochter über alle Maßen und kostete ihr manche stille Träne. Sie war der Augapfel des Vaters, er hatte sie von Jugend auf nach seiner Weise gegängelt, sie erwiderte auch die väterliche Liebe mit kindlicher Zutätigkeit, und das tröstete den guten Vater für alle häuslichen Kalamitäten. Die liebenswürdige Lucine hatte die Nadel zum Nahrungszweig gewählt, ihren Unterhalt damit zu gewinnen, und sie hatte in der Nähterei, und besonders in der Bildnerei mit der Nadel, große Kunstfertigkeit erlangt: was ihre Augen sahen, das konnten ihre Hände. Sie stickte Meßgewande, Altartücher, und köstliche buntfarbige Tischteppiche, die damals im Gebrauch waren, hatte die biblischen Historien des Alten Testamentes, von Erschaffung der Welt an, bis auf die keusche Susanna, von Wolle und Seide hineingewebt, und es ist kein Zweifel, daß sie, wenn sie unsere Zeitgenossin gewesen wär, mit den drei kunstreichen Schwestern in Zelle würde gewetteifert, seidenes Frauenhaar in ihre Nadel eingefädelt und mit täuschender Kunst die Schöpfung des Grabstichels nachgeahmt haben. Ob sie den Gewinn ihrer Arbeit gleich der strengen Mutter genau berechnen mußte, und solchen auch gern und willig zu den gemeinsamen häuslichen Bedürfnissen beitrug: so wußte sie doch zuweilen diese um einen Dreibätzner zu berücken, den sie beiseit legte, und dem guten Vater heimlich zusteckte, daß er in ein Weinhaus schleichen und sich gütlich davon tun konnte. Zu dem bevorstehenden Schäferfest, hatte sie eine doppelte Zehrung aufgespart, welche sie dem durstigen Vater, mit heimlicher Freude, verstohlen in die Hand drückte, nachdem er, zur Abendzeit, aus der Mühle zurückkam, und eben einen vollen Mehlsack abgeschultert hatte. Er machte dem lieben Mädchen dafür das freundlichste Gesicht, das ihm zur Gebot stund, wenn er unter den Lasten schier erlag, die ihm sein Hausdrache von Weibe aufbürdete, wie er hinter ihrem Rücken die gurrige Ehehälfte, aus gerechtem Eifer, zu nennen pflegte. Die Gutmütigkeit der liebevollen Lucine, griff ihm diesmal in die Seele, und er wurde dadurch so gerührt, daß ihm die Augen wässerten, denn er trug einen Plan mit sich herum, der diesen Abend zur Reife gedeihen sollte, womit er von seiten der frommen Tochter eben kein Trinkgeld zu verdienen glaubte. In ernstes Nachdenken vertieft, wandelte er die Straße hinab ins Wirtshaus zum Güldnen Lamme, drängte sich durch das Getümmel der Zechgäste, forderte einen Schoppen Wein, und pflanzte sich damit, ohne an der Gesellschaft Anteil zu nehmen, hinter den Ofen auf des Wirts ledernen Polsterstuhl, der ungeachtet aller Bequemlichkeit, wegen seines ungeselligen Standortes, unbesetzt war. Hier gab er, nachdem der Wein die Wirbel der abgespannten Nerven ein wenig zurechte geschraubt und die Lebensgeister angefrischt hatte, seinen Gedanken freie Audienz, und zog die kritische Proposition, die ihm in Ansehung der schönen Lucine war gemacht worden, in reife Überlegung. Ein junges Genie, seiner Profession nach ein Maler, und beinahe ein ebenso aufgedunsener Flachkopf, als sein jüngerer Kunstgenoß, der famöse junge Maler am Hofe5, welcher in zwei voluminösen Bänden, eine so gar fade Rolle in der Lesewelt spielt, hatte sich in Rotenburg gesetzt, um daselbst seine Kunst zu treiben. Das höchste Ideal der weiblichen Schönheit war sein Hauptstudium. Wo er einer wohlgestalten Dirne ansichtig wurde, am Fenster, auf freier Straße

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oder in der Kirche, da zog er seine Pergamenttafel hervor, und konterfeiete sie mit der Bleifeder ab, hernach setzte er das Bild in Ölfarbe, verkauft' es in die Klöster, für eine heilige Veronika, oder Madonna, und fand damit guten Vertreib, sonderlich bei jungen Mönchen, die ihre Andacht dabei hatten. Am Fronleichnamsfest war ihm, bei der feierlichen Prozession, die schöne Lucine zuerst in die Augen gefallen, er hatte flugs den Rötelstift zur Hand genommen, die herrliche Physiognomie zu erhaschen; allein sie war kein Alltagsgesichte, das sich mit der Leichtigkeit, wie ein Schattenbild an der Wand, abnehmen ließ. Die Züge des reizenden Mädchens waren so sanft ineinander verschmolzen, und die ganze Wohlgestalt so fein abgerundet, daß die Kopei dem Original durchaus nicht entsprach. So sehr der Künstler bemühet war, aus dem ersten Entwurf, durch Beihülfe der Einbildungskraft das liebliche Dosenstück herauszupinseln: so wenig wollte es ihm damit glücken, es blieb immer in Vergleich des Urbildes, ein steifer Haubenkopf, darum strich er aus Verdruß die unbehülfliche Larve wieder aus. Bald nachher machte ein reicher Graf, zu Ausschmückung seines neuerbauten Schlosses, eine Bestellung bei ihm, von verschiedenen Gemälden, wozu er die Ideen selbst angab. Das Hauptstück sollte die Geburt der Venus vorstellen, wie sie, als das Meisterstück der schönen Natur, aus dem Schoße des Meeres hervorstieg, von Göttern und Meerwundern angestaunt. Zu dieser Komposition wußte der Maler kein vollkommner Muster, die Liebesgöttin darnach zu schildern, als des vormaligen Garkochs, Meister Peter Blochs, schöne Tochter; nur war die Frage, ob das züchtige Mädchen die ganze Summe ihrer Reize dem Auge des Künstlers preisgeben würde, um in ihre Körperform eine Göttin zu kleiden, die er nach der Natur zu zeichnen vorhatte. Um den geradesten Weg einzuschlagen, der zu dieser Absicht führete, wendete er sich unmittelbar an den Vater, machte sich ein Gewerbe bei ihm, ließ von ihm Farben reiben, und vergalt ihm seine Mühe reichlich. Nach gemachter Bekanntschaft, führete er ihn eines Tages ins Weinhaus, ließ ihm wacker einschenken und rückte, da er merkte, daß der Gast bei guter Laune war, mit seiner Petition heraus, nebst angefügter Verheißung eines namhaften Grazials, im Fall zugestandener Verwilligung. Aber Meister Peter nahm das Ding schief, erbosete sich heftig über den unziemlichen Antrag, argwohnte von dem angeblichen Befugnis des Malers, zum Behuf der Kunst die schöne Natur zu entschleiern, unlautere Absichten auf Ehre und Tugend der schönen Lucine, und sprach mit zorniger Gebärde: »Wie versteht das der Herr? Ist's gekurzweilt oder soll's geernstet sein? Meint er, daß ich ihm meine Tochter barleibig, als ein gerupft Hühnlein, verkaufen soll? Das letzte hab ich wohl vormals als Garkoch getan; aber das erste ziemt keinem rechtschaffnen Reichsbürger.« Das Kunstgenie hatte seine ganze Beredsamkeit nötig, um dem Freund Garkoch das eigentliche Verständnis zu eröffnen. Er führete ihm das Beispiel der freien Reichsstadt Kroton in Großgriechenland an, wo weiland eine löbliche Bürgerschaft sich um die Wette beeifert habe, die schönsten Stadtjungfern seinem Kunstverwandten, dem Maler Zeuxis, zu dem nämlichen Behuf vor die Staffelei hinzustellen, und zwar wie sie aus der Hand der Natur hervorgegangen wären, ihrer jungfräulichen Ehre und Reputation unbeschadet. Vielmehr wären die fünf auserwählten Schönheiten, aus welchen der Kunstmeister das Ideal der Liebesgöttin zusammenstudieret habe, allerseits glücklich an Mann gebracht, und überdies noch gar viel zu ihrem Lobe poetisiert worden. So einleuchtend dieses Exempel war, so wenig machte es auf den ehrbaren Rotenburger Eindruck, der es für unschicklich hielt, mit der sittsamen Lucine eine Prozedur vornehmen zu lassen, für welche, in unsern Tagen, ein Vizekönig von Indien responsabel gemacht wird, weil er die Grazien von Oude im griechischen Kostüm zur Schau soll ausgestellet haben6. »Freund, ich sehe wohl«, sprach der Maler, »daß wir des Handels nicht einig werden, du hast deinen freien Willen. Inzwischen wenn du deinen Vorteil, als ein guter Koch, verstanden hättest, so würdest du diese zwanzig Goldgülden bar aufgezählt nicht verschmähen, den bildenden Künsten einen Augenschmaus dafür aufzutischen.« Der Anblick des Goldes erschlaffte die Strenge der

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reichsbürgerlichen Tugend dergestalt, daß sie nachgebend und geschmeidig wurde wie sämisches Leder. In den kümmerlichen Umständen, worinne sich Meister Peter befand, war diese Summe eine zu süße Lockspeise. Er bedachte, wie gütlich er sich von einem Goldgülden tun könnte, und zwanzigmal diesen Genuß zu wiederholen, das überwog alle Bedenklichkeiten. Er versprach die Sache in Überlegung zu ziehen, und auf Mittel zu denken, die schöne Lucine dem Künstler in die Hände zu spielen, dem er es überließ, dafür zu sorgen, wie er zum Anschauen ihrer verborgenen Reize gelangen möchte. Selbst zu einer solchen unsittsamen Gefälligkeit sie zu überreden, gestund er frei sein Unvermögen. Der junge Weltmann lachte über diese kleine städtische Delikatesse, und nahm es auf sich, diesen Punkt in Richtigkeit zu bringen. »Meinst du, Vater Peter«, sprach er, »daß es mir große Schwürigkeit kosten wird, das Mädchen aus dem Eie zu schälen? Ist dir unbekannt der Wettstreit der Sonne und des Sturmwindes, um den Reisemantel eines Wanderers? Was der Orkan nicht mit seinem gewaltsamen Sausen vermochte, das wirkte jene mit ihren sanften Strahlen. Von dir würde sich die schöne Lucine freilich nicht überreden lassen, ihr Gewand zu enthüllen: du würdest dem Sturmwind gleichen; aber ich werde ihr Sonnenstrahl sein.« Der Kontrakt mit dem Maler Duns war so gut als geschlossen, es kam nur auf die Lieferung an, und dabei fand Meister Peter noch manchen Skrupel. Er drückte den Polsterstuhl des Wirts zum Goldnen Lamm schon stundenlang, ohne daß er es spitzig gnug einzufädeln wußte, wie er mit der angesponnenen Schelmerei zum Zweck gelangen, das Mädchen der Mutter vor den Augen wegstehlen, und mit guter Manier an seinen Kundmann liefern sollte. Der Angstschweiß trat ihm an die Stirn, wenn er daran gedachte, was am Ehehorizont sich für ein Ungewitter auftürmen, und wie es auf ihn herab blitzen und donnern würde, wenn Eumenide Ilse den väterlichen Hochverrat an der leiblichen Tochter in Erfahrung bringen sollte. Überdies pochte der Gewissenshammer hart an seine Herzenskammer, jeder Tropfen Wein, den ihm die kindliche Gutmütigkeit gern in Nektar verwandelt hätte, gewann hinterher einen Gallen- und Wermutgeschmack, wenn er erwog, daß das liebe Mädchen alles bei Heller und Pfennig zusammensparte, ihm einen Labetrunk zu gewähren, und dieser sollte ihn jetzt zu einer Arglist begeistern, ihre Zucht und Scham auf eine harte Probe zu stellen. Alles wohl ponderiert, war es für einen Vater auch eben nicht das löblichste Vorhaben, mit der Frucht seines Leibes unziemlichen Wucher zu treiben, höchstens ließ es sich durch die Entreprise eines poetischen Negerhandels, mit den Produkten des Geistes entschuldigen7. Die gierige Habsucht und der altdeutsche Biedersinn kämpften einen harten Kampf miteinander, und der Sieg war noch zweifelhaft, da der Altvater Martin sein Abenteuer zu erzählen begann. Dieses sonderbare Phänomenon reizte die Aufmerksamkeit des Anachoreten hinter dem Ofen, er gebot den streitenden Parteien Stillstand, und postierte Seele und Geist gerade hinter das Trommelfell seiner beiden Ohren, um die Geschichte genau zu vernehmen. Es fehlte ihm nicht ein Wort daran, und je weiter Vater Martin in der Erzählung fortrückte, desto interessanter wurde sie dem stillen Horcher. Bisher hatte die Neugierde nur seine Aufmerksamkeit gespannt; als aber Nachbar Blas mit der Theorie herausrückte, dem Schwarzspecht die Springwurzel, das unumgängliche Erfordernis der Schatzgräberei, abzulocken, glühete auf einmal seine ganze Phantasie. Er stund schon mit Leib und Seele, in der Einbildung, vor der kupfernen Truhe im Brocken, und säckelte Goldstücken ein. Mit Unwillen verwarf er jetzt die dürftige Malerproposition, seine Gewinnsucht labte sich an einem fettern Köder. Zwanzig Goldgülden würde er der Mühe kaum wert geschätzt haben, sich darum zu bücken, wenn sie ihm vor den Füßen gelegen hätten. Das Harzpotosi und der Weindunst hatten ihn so begeistert, daß er den raschen Entschluß faßte, sein Heil auf dem Brocken zu versuchen. Der schwere irdene Kochtopf war gleichsam vergeistiget und in einen Aerostat verwandelt, der mit

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entzündbarer Luft gefüllt, hoch in den Lüften schwebte, sich's in diesem ungewohnten Element wohl sein ließ und Schlösser darin erbauete. Die Wurzel alles Übels, Geldgeiz und Habsucht waren eigentlich seine Fehler nicht: so lange sein Wohlstand dauerte, ging ihm das Geld gar glatt durch die Hand; desto unbehäglicher war es ihm nachher, Dürftigkeit mit Gleichmut zu ertragen. Wenn er sich also goldne Berge wünschte oder träumte, so geschah es bloß darum, das von seiner Hausehre ihm aufgebürdete Eselsvikariat mit Anstand zu resignieren, keine Säcke mehr in die Mühle zu tragen, und das liebe Mädchen, seine Tochter, mit einer reichen Mitgift auszusteuern. Wiewohl es auch Zeiten gab, wo er sich hätte bereden lassen, nach Art der Tscheremissen, Zahlung für sie anzunehmen, und sie an den Meistbietenden zu verhandeln; doch das waren nur seine Teufelsaugenblicke. Ehe er sich von des Wirts oftbelobtem Polsterstuhle erhob, war der Reiseplan nach dem Harze, bis auf eine Kleinigkeit, die Zehrung betreffend, ausgedacht, und der nächste Sonntag zu dessen Ausführung anberaumet. Meister Peter ging so leichten frohen Mutes nach Hause, als wenn er im Güldnen Lamme das kolchische güldne Vlies erobert hätte. Auf dem Heimwege aber störte der leidige Einfall, daß er noch nicht im Besitz der magischen Springwurzel sei, schon diese idealische Glückseligkeit, und da er sich zugleich besann, daß auf Egidi zwar der Hirsch auf die Brunft trete, aber nicht der Specht zu Neste trage: so war's auf einmal wieder so finster in seiner Seele, als wenn in einem Hochzeithause die Lichter ausgetan werden, und der Schmaus zu Ende ist. Er schlich sich ganz trübsinnig in seine Kammer, warf sich auf die harte Strohmatte, konnte aber weder ruhen noch rasten. Da war's, als wenn ihm eine innere Stimme das Sprüchlein zuflüstere, aufgeschoben sei drum nicht aufgehoben. Flugs schlug er Licht an, spitzte eine Feder und brachte den ganzen Schatzprozeß, vom Anfang bis zu Ende, treulich zu Papiere, damit ihm kein Titel davon aus dem Gedächtnis entschwinden möchte. Und da es ihm so fein aus der Feder floß, und alles dastund, als ob er's vor Augen hätte, tauchte er die spröde Rinde seines Kummers wieder in den Honigtopf süßer Hoffnung ein, und tröstete sich damit, wenn er gleich noch einen Winter eseln müsse: so werde er doch die Wallfahrt des Lebens nicht auf dem traurigen Mühlenpfade enden. Der Tag vertrieb die finstre Nacht, die muntere Hausfrau wurde bereits rege, orgelte bei der Revision ihrer Ökonomie das gewöhnliche Morgenlied aus gellender Kehle, und der niedliche Finger der arbeitsamen Lucine, fädelte den seidenen Faden schon wieder in die blanke Nadel ein, ehe der geschäftige Konzipient die Feder niederlegte. Das hastige Weib öffnete rasch die Kammertür, und fand den trauten Eheschatz in voller Arbeit. »Du Vollzapf!« war ihr Morgengruß, »hast du die liebe, lange Nacht wieder beim Saufgelag gesessen, und das Geld verpraßt, das du mir aus der Wirtschaft heimlich stiehlst? Ins Spital mit dir, du Trunkenbold!« Meister Peter, der dieser herzigen Salutation längst gewohnt war, ließ sich dadurch nicht aus der Fassung bringen, und wartete, bis der Sturmwind ausgetobt hatte, dann sprach er mit gelaßnem Mute: »Liebes Weib, entrüste dich nicht, ich habe ein gutes Geschäfte vor, das wohl nutzen und frommen mag.« »Du Lungerer«, schmähete sie, »du und ein gutes Geschäft! Ja du siehst mir darnach aus!« »Weib, laß dir sagen«, entgegnete er, ich mache mein Testament, so mein Stündlein kommt, weiß nicht wie oder wann, daß mein Haus bestellet sei.« Der frommen Lucine schnitt diese Rede, die ihr ganz unerwartet kam, durchs Herz, ihre blauen Augen, heiter wie der Morgen, überströmte ein milder Tränenregen und ihr Mund brach in lauter Lamenten aus. Sie meinte, der gute Vater habe eine böse Ahndung gehabt, die sein baldiges Hinscheiden ihm verkünde, und es fiel ihr dabei ein, daß ihr die vergangne Nacht geträumet hatte, sie sähe ein neues Grab. Hierzu kam, daß es ganz gegen seine Gewohnheit war, an die vier letzten Dinge, Tod und Begräbnis, Auferstehung und Gericht zu gedenken, wenn er Tages vorher zu Weine gewesen war. Mutter Ilse dagegen achtete auf keine Ahndungen, ihr felsenhartes Herz, wurde durch die Vorstellung des vermutbaren Verlustes ihres getreuen Ehekonsorten, im geringsten nicht zu einer

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sanften Empfindung bewegt, welche dieser, allem Anschein nach, durch den schlauen Vorwand einer Testamentsverfügung beabsichtet hatte. Vielmehr führte sie ihr Thema in ebenso rauhen Dissonanzen aus, als sie angehoben hatte. »Du Schlemmer!« sprach sie, »hast Hab und Gut vergeudet, und willst ein Testament machen? Was hast du denn zu vererben?« Er: »Meinen Leib, meine Seele, mein Weib und mein Kind.« Sie: »Ei da muß ich auch drum wissen! Wen hast du zum Erben eingesetzt?« Er: »Den Himmel und die Erde, das Liebfrauenkloster und die Hölle, jedem Part ist ein Legat vermacht.« Sie: »Und welches?« Er: »Mein Leib der Erde, meine Seele dem Himmel, mein Weib der Hölle, und mein Kind dem Kloster.« Anstatt der Antwort, sprang ihm das wütige Weib, wie eine wilde Katze, an den Hals, zerzauste dem freimütigen Testator den Krausbart, und war stark dran her, ihm die Augen auszukratzen, welche wohlmeinende Absicht doch ein kräftiger Bombenwurf seiner geballten Faust, in ihr knöchernes Angesicht, der ihr die ganze Physiognomie verschob, noch zum Glück verhinderte, wodurch der ehelichen Fehde sogleich ein Ende gemacht wurde. Der häusliche Burgfriedebruch wurde, dem Herkommen nach, nicht weiter geahndet, und unter Verwendung der friedlichen Lucine, kam's bald zu einem gütlichen Austrag der Sache. Meister Peter wandelte wieder auf seinem Berufswege nach der Mühle, und alles ging den vorigen Gang. Funfzigmal hatte er den Storch und die Schwalbe wieder zurückkehren sehen, ohne darauf acht zu haben, und gar oft hatte er am grünen Donnerstage, aus Brunnkreß und acht andern Kräutern, seinen Kunden ein Gemüse als das Neue vom Jahre aufgetragen, ohne selbst davon zu kosten. Aber den magergeschmälzten Kohl, womit ihn seine frugale Speisewirtin, im nächsten Lenz zum erstenmal beköstigte, hätte er nicht um die Martinsgans vertauscht, und als er der ersten Schwalbe ansichtig wurde, feierte er ihre glückliche Wiederkunft mit einem Schoppen Wein im Güldnen Lamme. Außerdem sparte er jede geheime Rente von der fleißigen Hand der Tochter, um davon Kundschafter zu besolden, die ihm das Nest eines Schwarzspechts ausspüren sollten. Er wählte dazu einige müßige Gassenbuben, und schickte sie aus in Wälder und Felder. Die mutwilligen Knaben trieben jedoch nur ihr Gespött mit ihm, führten den Gecken in April, jagten ihn meilenweit über Berg und Tal, und an Ort und Stelle fand er Rabenbrut oder ein Gehecke Eichhörnchen in einem hohlen Baume. Wenn er darüber ungehalten war, lachten sie ihm ins Gesicht und liefen davon. Einer seiner Spionen, der kein Schalk war, witterte doch in dem Wiesengrunde an der Tauber, einsmals einen Schwarzspecht aus, der auf einem halberstorbenen Erlenbaum genistet hatte, kam außer Atem und verkündigte seinen Fund. Der unbelehrte Naturforscher ging eilig hinaus, zu untersuchen, was an der Sache sei. Sein Kundschafter führte ihn zu dem Baum, er sahe auch einen Vogel ab- und zufliegen, der daselbst sein Nest zu haben schien; aber weil der Specht nicht zu dem Geflügel gehört, dessen die Küchendynastie sich bemächtiget hat; auch weder so gesellig ist als der Spatz und die Schwalbe, noch so häufig als der Rabe und seine Gefreundin die Dohle gefunden wird, so zweifelte er, ob sein Gewährsmann ihn auch recht berichtet habe: denn er hatte einen Schwarzspecht so wenig mit Augen gesehen als den Vogel Phönix. Zum Glück zog ein Jäger vorüber, der den Zweifelsknoten lösete und den Ausspruch tat, wie der Frager wünschte, auch die ganze Naturgeschichte des Vogels ungebeten abhandelte, ob er gleich von der vorzüglichsten Eigenschaft desselben keine Kundschaft zu haben schien. Der geheimnisvolle Planmacher freuete sich in der Seele über die gemachte Entdeckung, ging tagtäglich die Runde nach dem Baume, und las sein angeblich Testament so fleißig als sein Gebetbuch. Als es ihn gerechte Zeit zu sein bedünkte, sein Vorhaben ins Werk zu richten, tat er sich nach einem roten Mantel um. Es war aber in der ganzen Stadt nicht mehr als ein einziges Exemplar vorhanden, und das befand sich in der Garderobe eines Mannes, den man ungern um eine Gefälligkeit anspricht: der Besitzer davon war Meister Hämmerling, der Scharfrichter. Es kostete viel Überwindung, ehe sich der wohlachtbare Reichsbürger entschließen konnte, seine

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Reputation auf ein so mißliches Spiel zu setzen, wobei er Gefahr lief, daß ihm, wenn die Sache auskäm, keiner seiner Zechbrüder im Güldnen Lamm mehr Bescheid tun würde; indessen sah er sich doch gezwungen, in den sauern Apfel zu beißen. Er brachte sein Wort bei dem Freund Rotmantel an, und dieser fand sich auf gewisse Art geehrt dadurch, daß ein rechtlicher Mann sich seiner Amtskleidung bedienen wollte, und gewährte ihm gern und willig seine Bitte. Mit diesem nötigen Apparatus versehen, machte sich der Wurzelsucher auf, laut Instruktion, die Prozedur aufs pünktlichste zu beginnen. Er verspündete das Nest, und alles erfolgte, wie Nachbar Blas angegeben hatte. Als der Specht mit der Wurzel im Schnabel angeflogen kam, wischte Meister Peter hurtig hinter dem Baum hervor, und machte sein Manöver so gut und behend, daß dem Vogel über den Anblick des feuerroten Mantels, vor Schrecken die Wurzel samt einer Beilage entfiel, wodurch der gute Mann leicht hätte um sein Gesicht kommen können, wie der Altvater Tobias. Die Jägerkunst war glücklich gelungen, und die magische Wurzel, als der Kapitalschlüssel zu allen verschlossenen Türen erlangt, welches den Besitzer in unbeschreibliche Wonne versetzte. Er unterließ nicht, sie in eine ganze Reisigwelle von Kreuzdornholz einzuschließen und wanderte damit so vergnügt, als wenn er schon den Schatz gehoben hätte, nach Hause. Natürlicherweise war nun seines Bleibens nicht länger in seiner Vaterstadt, all sein Dichten und Denken war auf den Brocken gerichtet, darum machte er schleunige Anstalten, in aller Stille zu dekampieren. Seine Reisebedürfnisse waren sehr mäßig, sie bestanden in nichts weiter als in einem handfesten Wanderstabe und einem dichten Wadsack, zu dessen Akquisition, unter einem andern Vorwande, die Sparbüchse der gefälligen Lucine ihm willigen Vorschuß leistete. Glücklicherweise fügte sich's, daß an dem zur Emigration bestimmten Tage, Mutter und Tochter zu den Urselinerinnen gegangen waren, wo eine Nonne eingekleidet wurde. Vater Peter nahm dieser guten Gelegenheit wahr, von der Schildwache zu desertieren: denn ihm war die Hut des Hauses, währender Abwesenheit der weiblichen Inquilinen anbefohlen. Als er eben im Begriff war, die Penaten zu gesegnen, fiel ihm ein, daß es nicht undienlich sein möchte, einige Vorübungen mit der Springwurzel zu versuchen, um sich augenscheinlich von der angepriesenen Wirksamkeit derselben zu überführen. Mutter Ilse hatte ein in die Wand ihrer Kammer eingemauertes Schränkchen, worinnen sie unter sieben Schlössern, als eine kluge Wirtschafterin, ihr Spargut auf den Notfall nebst dem Patengelde ihrer einzigen Leibeserbin verwahrte, die Schlüssel dazu trug sie, wie ein Amulett, stets mit sich herum. In dem häuslichen Finanzkollegium hatte Vater Peter weder Sitz noch Stimme, folglich waren ihm diese arcana domus völlig unbekannt, ihm ahndete nur so etwas von einem hier verborgenen Schatze: denn wenn ihm der Schrank in die Augen fiel, schlug ihm das Herz gleich einer Wünschelrute, und dieses Herzklopfen hielt er immer für ein untrügliches Zeichen, daß Geld oder Geldeswert in der Nähe sei. Jetzt kam's auf ein Experiment an, zu erfahren, ob sein Wünschelrutengefühl probat sei oder nicht. Er zog gar säuberlich die Wurzel hervor und berührte damit die Schranktür. Zu seinem Erstaunen haspelten sich alsbald die sieben Schlösser auf, die Tür krachte und öffnete sich mit Geräusch. Da funkelte ihm der Mammon der sparsamen Hausfrau, nebst dem Patenpfennig der frommen Lucine in die Augen. Er wußte nicht, ob er sich mehr über die Wirksamkeit der magischen Wurzel, oder über den gefundenen Schatz freuen sollte, und stand voll Verwunderung da, wie ein stummer Ölgötz. Endlich dachte er an seinen Schätzgräberberuf, und an die vorhabende Wanderschaft, darum eignete er sich den Fund als ein Viatikum zu. Nachdem er den Schrank rein ausgeleert hatte, schloß er, wie Nikol List, der Dieb der goldnen Tafel in Lüneburg, die Schlösser insgesamt gar bedächtlich wieder ab, und zog frohen Mutes unverweilt nach wohlverwahrter Haustür, seiner Straße. Die andächtigen Weiblein, die mit großer Inbrunst dem klösterlichen Gepränge beigewohnt hatten, wunderten sich baß, daß sie das Haus verschlossen und den Hüter desselben nicht auf

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seinem Posten fanden, sie schelleten, sie pochten, sie riefen: »Vater Peter tu auf!« Es regte und rührte sich nichts von innen, als das zutätige Hausvieh, die miaulende Katze. In Ermanglung der wirksamen Wurzel, wurde der Schlosser mit seinem Bund Dieterichen herbeigerufen, das Haus zu eröffnen. Während der Zeit hatte Mutter Ilse eine gar emphatische Predigt ausgedacht, in welcher die Epanorthosis nicht gesparet war, die sie dem faulen Heinz, der ihrer Meinung nach der Ruhe pflegte, zu halten vorhatte, denn sie sprach: »Baal schläft!« Das ganze Haus wurde vom Söller bis zum Keller durchsucht; aber Baal war nicht zu finden. Wer weiß, dachte sie, wo das Ungetüm in einem Weinhause schon am frühen Morgen schwelgt. Urplötzlich durch diesen Gedanken aufgeschreckt, fühlte sie mit der Hand in die Tasche nach dem Schlüsselbund: denn sie argwohnte, das Amulett sei von ihr nicht in Obacht genommen und der Schatz von dem durstigen Ehekonsorten spoliiert worden. Aber das Schlüsselbund fand sich an Ort und Stelle, und der Schrank machte die ruhigste unbefangenste Miene von der Welt, daß sie nichts Arges vermutete. Es wurde Mittag, hernach Abend, und endlich Mitternacht: Vater Peter kam nicht zum Vorschein. Nun wurde die Sache bedenklich, Mutter und Tochter konsultierten ernstlich über Ursache und Zweck dieser sonderbaren Verschwindung. Es kamen seltsame Vermutungen auf die Bahn, und da die schauervolle Mitternachtstunde leichter mit traurigen und schwermütigen als mit heitern und fröhlichen Ideen sich paaret; auch Mutter Ilse wohl wußte, daß sie für ihren Mann ein wahres Plagholz war: so brannte sie diese Gewissensrüge, wie Feuer auf der Seele, und gebar die schwärzesten Vorstellungen. »Ach«, rief sie mit Händeringen aus, »daß es Gott im Himmel erbarme! Lucine, es ahndet mir, dein Vater hat sich ein Leids getan!« Das sorgsame Mädchen, der gleichwohl ein solcher schreckbarer Gedanke noch nicht eingefallen war, erbebte vor Entsetzen, tat einen hellen Schrei, alle ihre Sinnen umnebelten sich, und sie sank ohnmächtig dahin. Die resolute Hausmutter säumete indessen nicht, mittelst eines brennenden Schwefelfadens ihre erstorbenen Lebensgeister wieder aufzuwecken. Aber nachdem sie sich erholet hatte, schrie sie Ach und Wehe! über das vermutbare Unglück, schluchzete und jammerte bis zum Anbruch des Tages. Alle Winkel des Hauses wurden nochmals durchsucht, jeder Nagel an der Wand und jeder Balken beschauet; jedoch wurde Meister Peter zum Glück an keinem gefunden, und daraus ergab sich denn doch so viel, daß er sich weder erhenkt noch entgurgelt hatte. Drauf wurden Leute mit Störstangen ausgeschickt, die alle Tiefen und Timpfel, längs der Tauber, untersuchen mußten; allein auch diese Mühe war fruchtlos. Mutter Ilse war schnellen Sinnes, flugs war bei ihr Feuer im Dache, das auch bald wieder verlöschte, daher beruhigte sie sich leicht über den Verlust des abhanden gekommenen Ehekompans, und war zufrieden, daß er sich nur mit Leib und Seele zugleich aus der Welt gestohlen, und ihr die Schmach erspart hatte, seinen Leichnam durch Meister Hämmerlings Hausgesinde zur Erde bestatten zu lassen. Nun war sie mit Ernst darauf bedacht, seinen vakanten Platz in der Wirtschaft durch einen rüstigen Esel zu ersetzen, sie traf eine gute Wahl, und wurde mit dem Eigentümer des lastbaren Tieres über den Preis desselben einig, beschied ihn des folgenden Tages zu sich, um für den Sukzessor des trauten Ehekonsorten gute Zahlung zu leisten. Sobald sie aus dem Bette fuhr, war ihre erste Sorge, die Kaufsumme zu berichtigen. Sie öffnete die sieben Schlösser des Wandschrankes, ein Darlehen aus dem Schatzgelde zu diesem Behuf zu erborgen. Ach wie wurde ihr zu Sinne, als sie alle Fächer leer und ledig fand! Einige Augenblicke stund sie in stiller Betäubung; bald aber ging ihr ein Licht auf, und sie geriet in eine solche Wut über den entlaufnen Hausdieb, daß sie wie Madame la Motte, als diese die Lossprechung des Kardinals vernahm, vor großem Grimm das Nachtgeschirr sich vor der Stirn entzwei schlug, und sich mit den Scherben die Haut verletzte. Sie erhob dabei ihre Stimme mit so greulichen Verwünschungen, daß die schöne Lucine voller Bestürzung herbeieilte, zu sehen, welches Unglück sich begeben habe. Als ihr nun die Mutter der Länge nach die gemachte Entdeckung mitteilte, auch ihr unverhalten ließ, daß der Patenpfennig zugleich mit

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verschwunden sei, freuete sich die fromme Tochter mehr über den Verlust, als daß sie sich darüber betrübt hätte: sie war nun augenscheinlich überzeugt, daß der liebe Vater sich kein Leids getan habe, sondern in die Welt gegangen sei, sein Glück anderwärts zu versuchen. Ungefähr einen Monat nach dieser häuslichen Katastrophe schellte jemand an der Tür, Mutter Ilse ging hinaus aufzutun, in der Meinung, es sei eine Mehlkundschaft. Da trat herein ein stattlicher junger Mann, von feinem Ansehen, wohlgekleidet als ein Junker, bezeigte ihr große Reverenz, freuete sich ihres guten Wohlseins, frug nach der schönen Lucine und tat ganz bekannt, ob sich das Weib gleich nicht besann, ihn jemals mit Augen gesehen zu haben. Die Nachfrage nach der Tochter belehrte die Mutter zwar bald, daß der Besuch ihr nicht eigentlich gelte, doch hieß sie den Unbekannten in die Stube treten, rückte ihm einen Schemmel, und frug nach seinem Gewerbe. Der Fremdling nahm eine etwas geheimnisvolle Miene an, und begehrte die kunstreiche Nähterin zu sprechen, von der so viel Rühmens gemacht werde, er habe eine Bestellung an sie. Mutter Ilse hatte ihre eignen Gedanken darüber, was das für eine Bestellung sein möchte, die ein junger Passagier, der in der Stadt fremd war, an ein hübsches Mädchen auszurichten habe. Da indessen alles in ihrer Gegenwart verabhandelt werden sollte, hatte sie nichts dagegen und rief die fleißige Tochter, welche auf das mütterliche Geheiß den Nährahmen verließ und herabkam. Die sittsame Lucine errötete, da sie des Fremden ansichtig wurde, und schlug beschämt die Augen nieder. Er faßte traulich ihre Hand, welche sie zurückzog, blickte sie mit innigster Zärtlichkeit an, wodurch sie noch in größere Verlegenheit kam; wollte reden, sie schien ihn nicht anhören zu wollen, sondern brach das Stillschweigen zuerst mit diesen Worten: »Ach Friedlin, wo kommst du hierher? Ich dachte, du wärest hundert Meilen weit von mir. Du kennst meine Gesinnung und kommst mich von neuem zu quälen!« »Nein, liebes Mädchen«, antwortete er, »ich komme dein und mein Glück zu vollenden. Mein Schicksal hat sich geändert. Ich bin nicht mehr der arme Kunz, der ich vormals war: es ist mir ein reicher Vetter gestorben, ich bin Erbe seines Vermögens und habe Geld und Gut vollauf, darf mich nun ohne Scheu vor deiner Mutter sehen lassen. Daß ich dich liebe, das weiß ich, daß du mich liebest, das hoff ich; das erste ist wahr, drum warb ich um dich; ist das andre wahr, so freist du mich.« Die blauen Augen der schönen Lucine heiterten sich während dieser Rede auf, und bei den letzten Worten verzog sich ihr kleiner Mund zu einem sanften Lächeln; sie warf einen verstohlnen Blick auf die Mutter, gleichsam ihre Gesinnung zu erforschen, die in wunderbare Betrachtungen vertieft schien. Es war ihr unbegreiflich, wie die sittsame Dirne einen Liebeshandel, ohne daß sie Notiz davon erhielt, habe anspinnen können. Sie kam nie aus dem Hause, als von der Mutter vergesellschaftet und im Hause hatte sich, außer dem Vater, nie eine männliche Gestalt blicken lassen. Mutter Ilse hätte einen körperlichen Eid darauf getan, daß es ein Mädchenspäher künstlicher würde anstellen müssen, sich in das Herz ihrer Tochter zu stehlen, als eine Linse durch ein Nadelöhr zu werfen; gleichwohl bewies die Tatsache, daß der schlaue Friedlin die mütterliche Wachsamkeit beschlichen und dem unbefangenen jungfräulichen Herzen die Liebe eingeimpft habe. Die große Lehre aus dieser Erfahrung war diese, daß das Herz einer schönen Tochter, unter der Hut und Wacht der Mutter, für Dieberei so wenig gesichert sei, als ein Sparpfennig unter sieben Schlössern. Ehe sie noch mit ihren Glossen über diese geheime Intrike zu Ende war, legitimierte der rasche Freiwerber sein Gewerbe auf eine sehr gültige Weise, durch Aufzählung eines ganzen Tisches voll Goldstücken, welche auf der schwarzen Schiefertafel, einen solchen Glanz der Mutter ins Gesichte strahlten, daß sie nicht umhin konnte, ein Auge über den verborgenen Liebeshandel zuzudrücken, von dem sie ohnehin vermutete, daß er in aller Zucht und Ehrbarkeit sei betrieben worden. Die schlaue Lucine hatte bisher immer einen kräftigen Exorzismus der strengen Domina gefürchtet, welcher den lieben Getreuen aus dem Hause bannen würde: im Grunde liebte sie ihn so herzig und inbrünstig, wie die zärtliche Psyche den Amor, denn es war ihre erste Liebe. Doch

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diese Sorge war dasmal überflüssig: das stürmische Weib war so fromm wie ein Lamm, sie hegte den gesunden Grundsatz, daß man mit reifen Töchtern nicht lange Markt halten, sondern sie um ein leidliches Gebot losschlagen müsse, überdas sei der erste Käufer auch insgemein der beste. Sie hatte daher ihre mütterliche Einwilligung schon in Gedanken zurechte gelegt, damit sie gleich beihanden wäre, wenn der reiche Freier sie darum ansprechen würde. Sobald er sein Geld aufgezählt hatte, brachte er sein Wort in bester Form Rechtens bei der harrenden Mutter an, und es war bei ihr alles Ja und Amen. Das Heuratsnegoz kam rascher zustande, als der Handelstraktat über das getreue Hausvieh, den Esel. Der deklarierte Bräutigam strich hierauf die Hälfte der Schaumünzen in den Hut und schüttete sie der Braut in die Schürze, zum Mahlschatz; mit der andern überströmte er, als mit einem goldnen Regen, das dürre Land der mütterlichen Habsucht, um davon die Hochzeit auszurichten. Nachher bat er seine Geliebte um eine geheime Audienz, welche ihm nun als ein legales Tête-à-tête unweigerlich zugestanden wurde. Die reizende Lucine kam mit der heitersten Miene nach Verlauf einer Stunde wieder zum Vorschein, und belohnte den aufrichtigen Friedlin für die Auflösung manches Zweifelsknoten, in Ansehung seiner Glücksveränderung, mit dem ersten sanften Kusse von ihrem Rosenmunde. Die geschäftige Mutter hatte indessen vor allererst ihren Reichtum in Sicherheit gebracht, und solchen weil sie nicht Zeit hatte, ihn an einen heimlichen Ort im Keller zu vergraben, dem ungetreuen Wandschrank vorderhand wieder anvertrauet, hierauf das ganze Haus geschmückt und mit Besemen gekehret; auch ließ sie durch eine dienstfertige Nachbarin Küche und Keller wohl bestellen, und schlug in einer ledigen Kammer ein herrliches Gastbett für den neuen Eidam auf, welcher ihrer Meinung nach, allzulange zögerte, seiner Geliebten gute Nacht zu sagen und die Federn zu suchen. Die Neugierde, zu erfahren, wes Standes und Herkommens der Fremdling sei, wie sich die erste Bekanntschaft mit ihm ergeben, wie das geheimnisvolle Minnespiel der Liebenden angehoben habe, und durch welche List ihre Argusaugen wären geblendet worden, setzte die Lebensgeister der lauersamen Mutter in so ungewohnte Bewegung, daß ihr kein Schlaf in die Augen kam, ob sie sonst gleich mit den Hühnern aufzufliegen pflegte, und dabei oft das Sprüchlein anzog: Morgenstunde hat Gold im Munde. Der verschwiegnen Lucine stund in der Mitternachtsstunde noch ein scharfes Examen bevor; aber sie hatte entweder gute Ursachen nicht auszubeichten, oder ihre gesprächige Laune war mit dem trauten Herzgespiel bereits zur Ruhe gegangen. Da Mutter Ilse mit dem artikulierten Verhör herausrückte, rundete sich der kleine Mund der lieblichen Dirne zum Jähnen, sie rieb sich die Augen und vermeldete die Ankunft des Sandmännchens, hatte nicht Lust Rede zu stehen und sprach etwas schlaftrunken: »Liebe Mutter, das alles steht Euch bevor, der Länge nach zu erfahren, nur gönnt mir jetzt die Ruhe, deren ich benötigt bin, daß morgen meine Wangen nicht erbleichen, wenn der junge Gesell seinen Kauf bei frühem Tage besieht.« Mit dieser Ausflucht mußte sich die weibliche Neugier begnügen, und war wider Gewohnheit so bescheiden, die Decke des Geheimnisses nicht weiter zu betasten. Es gab nun vielen Wirrwarr im Hause: die Zurüstungen zur Hochzeit wurden mit großem Eifer betrieben. Das Gerücht von Lucines Heurat lief wie ein Steppenfeuer in der Stadt umher und war die Neuigkeit des Tages. Wo sich der stattliche Freier auf der Straße blicken ließ, da fuhr alles an die Fenster, auch blieben die Leute an den Eckhäusern und auf den Kreuzwegen stehen, gafften ihm nach, und beredeten die Freierei. Einige gönnten der wackern Dirne ihr Glück, andere neideten sie deshalb, und obwohl Friedlin ein schöner Mann war, der in ganz Rotenburg seinesgleichen suchte, auch sich dabei herrlich kleidete und trug: so fand die Eifersucht der Stadtdirnen doch bald dies bald das an ihm zu meistern: der einen war er zu lang, der andern zu schlank, der dritten zu rund, der vierten zu bunt. Einige nenneten ihn einen Prahler, andere einen Luftling, hofften zu ihrem Troste, die Freude werde nicht lange dauren, verglichen ihn einem Zugvogel, der nur kömmt im Lande zu nisten und wieder davonfleugt. Indessen mußte Nachbar

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Neidhart doch eingestehen, daß der fremde Zugvogel fleißig zu Neste trüge. Eins Tages kam ein Nürnberger Fuhrmann, mit einem schwerbeladenen Frachtwagen vors Haus gefahren, der schrotete Kisten und Kasten hinein. Mutter Ilse säumte nicht mit Meißel und Hammer sie zu öffnen, erstaunte über den reichen Segen ihres zukünftigen Tochtermanns, und pries den angeblichen Erblasser desselben einmal über das andere selig. Der Hochzeittag war anberaumt und die halbe Stadt dazu eingeladen, die Ausrichtung geschahe im Wirtshaus zum Goldnen Lamm: das Wohnhaus hatte nicht Raum alle Gäste zu fassen. Da die Braut den Kranz aufschmückte, sprach sie zur Mutter: »Dieser Kranz würde traun! am Ehrentage mir behagen, wenn Vater Peter mich zur Kirche führte. Ach wär er doch wieder da! Wir haben Gottes Segen vollauf, und er nagt wohl am Hungertuche.« Dieser Gedanke fiel ihr so schwer aufs Herz, daß sie darüber anhob zu weinen und zu jammern. Aus Sympathie, oder weil die alte Liebe bei erneuertem Wohlstand in dem mütterlichen Herzen wieder anfing zu vegetieren, stimmte die Hochzeitmutter mit ein und sprach: »Ich wär's wohl zufrieden, daß er wieder käm, möcht ihn doch der Eidam zu Tode füttern. 's ist immer, als wenn was im Hause fehlte, seitdem der Vater nicht da ist.« Daran sagte sie auch keine Unwahrheit: im Grunde fehlte in ihrem Feuerzeug der Stein, woraus ihr stählerner Sinn den Funken hervorsprühen ließ, durch welchen der Zunder der Zwietracht entzündet wurde. Seit seiner Auswanderung war, zu ihrem größten Leidwesen, beständiger Friede im Hause, und ihre Gallenblase bedurfte doch zuweilen einer Ausleerung. Was geschah? Am Polterabend vor der Hochzeit, karrete ein Mann mit einem Schubkarren zum Tore herein, verzollete ein Faß Brettnagel, die er dem Beschauer vorzeigte, fuhr mit seiner Ladung geradesweges vors Hochzeithaus und pochte an die Tür. Die Braut schob das Lid im Fenster auf, zu sehen wer da sei: da war's Vater Peter. Darüber entstund großer Jubel im Hause, die hocherfreute Lucine sprang über Tisch und Bank ihm entgegen, und umhalsete ihn zuerst, hernach bot ihm Mutter Ilse die Hand, und verzieh ihm den verübten Diebsgriff in ihr Schatzgeld, mit den Worten: »Schelm beßre dich!« Endlich bewillkommete ihn auch Friedlin der Bräutigam, und Mutter und Tochter waren zugleich die Dolmetscherinnen aller seiner Freiermeriten: denn Vater Peter faßte den wildfremden Mann scharf ins Auge, und schien über ihn allerlei Glossen zu machen. Jedoch da er berichtet wurde, wie dieser Fremdling die Gerechtsame der Hausgenossenschaft sich erworben habe, war er wohl mit dem zukünftigen Eidam zufrieden, und tat so vertraut, als wenn er schon lange mit ihm bekannt gewesen wäre. Nachdem Mutter Ilse dem wiedergefundenen Ehemann etwas zum Imbiß aufgetragen hatte, war sie begierig seine Abenteuer zu vernehmen und forschte mit Fleiß, wie es ihm in der Fremde ergangen sei. »Gott segne mir meine Vaterstadt!« sprach er, »ich bin das Land durchzogen, hab allerlei Gewerbe versucht, und zuletzt einen Eisenhandel getrieben; aber dabei mehr zugesetzt als gewonnen. All mein Reichtum besteht in diesem Fäßlein Brettnagel, die ich den Brautleuten zum Hausrat in die Wirtschaft zu steuren gedenke.« Mutter Ilse hatte nun ihren Feuerstein wieder, und ihre Suada sprühete von neuem helle Funken von Vorwürfen und Schmähungen, daß dem Kleeblatt der Zuhörer davon die Ohren gelleten, bis sich Friedlin ins Mittel schlug und versprach, den Schwiegervater aus der Erbschaftsmasse zu alimentieren, und ihn ehrlich zu halten. Die fromme Lucine erreichte den Wunsch, daß sie Vater Peter folgenden Tages in die Kirche führte, herausgeputzt wie eine Magistratsperson, wenn der neue Rat aufgeführet wird. Die Hochzeit des glücklichen Paares wurde mit großem Gepränge vollzogen. Bald nachher richteten die jungen Leute ihre eigne Wirtschaft an, Friedlin hatte das Bürgerrecht gewonnen, bezog sein neues Haus am Markte neben der Apotheke, kaufte dazu einen Weinberg und Garten, auch Ackerfeld, samt Wiesen und Weihern, und trieb bürgerliche Nahrung als ein wohlhabender Mann. Vater Peter aber hatte sich in Ruhe gesetzt, zehrte, wie die ganze Stadt glaubte, von dem

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Segen des reichen Schwiegersohnes, und niemand vermutete, daß sein Nägelmagazin das eigentliche Füllhorn sei, aus welchem das Öl des Überflusses träufe. Er hatte die Wallfahrt nach dem Blocksberg, ohne daß eine lebendige Seele etwas darum wußte, glücklich vollendet, zwar nicht mit der Eile, wie die löbliche Innung der Druden, in der Walpurgisnacht auf der Besenpost; aber mit mehrerer Muße und Bequemlichkeit. In jedem Wirtshaus, zwischen dem Fichtelberg und Brocken in gerader Linie gelegen, kehrte er ein und hielt Kellerrevision, befand sich mehr unter als über der Erde auf dieser Ausflucht über die fränkische Grenze, und fuhr nicht eher ganz nüchtern wieder zu Tage aus, bis er in blauer Ferne das Harzgebürge vor Augen hatte. Nun fand er mancherlei Schwürigkeiten vor sich, wozu er des freien und ungehinderten Gebrauchs aller obern und untern Fähigkeiten der Seele benötiget war. Darum legte er sich ein strenges Fasten in Speise und Trank auf. Solange er den Brocken noch nicht erreicht hatte, diente ihm seine Nase zum Reisekompaß, und er ging dieser getreulich nach; aber nun befand er sich gleichsam unter einer Polhöhe, wo diese Magnetnadel keine Direktion mehr anzeigte. Er durchkreuzte den Brocken hin und her, niemand konnte ihm das Morgenbrodstal nachweisen. Zufälligerweise kam er dennoch auf die rechte Spur, fand den Andreasberg, witterte das Flüßchen aus, die Eder genannt, aus welchem er einen frischen Trunk schöpfte, der ihn mehr begeisterte, als die Dichter ein idealischer Labetrunk aus der Hippokrene; entdeckte das Grab, und war so glücklich, die Streitfrage des Wirtes zum Goldnen Lamme zu lösen. Er ging wirklich in den Berg, die Springwurzel leistete ihre guten Dienste; er fand den Schatz und belastete seinen Wadsack mit so vielem Golde, als er zu tragen vermochte, welche Summe er für seine Bedürfnisse auf Lebenszeit, und zur Aussteuer der schönen Lucine, hinreichend fand. Obgleich die goldne Bürde, welche er jetzt zu Tage zu fördern bemühet war, seine Schulter so sehr drückte als ehedem ein schwerer Mehlsack: so wurde ihm doch der Weg, die zweiundsiebenzig steinern Stufen herauf, lange nicht so sauer und beschwerlich, als der zur Mühle. Er war jetzt so reich wie Anton Thevenet, der mit seiner Bande den berüchtigten großen Diebstahl an dem Wechsler Fingerlin zu Lyon beging. Da er auf dem Rückwege wieder das Tageslicht erblickte, war ihm zu Mute, wie einem dem Schiffbruch Entronnenen, der lange mit den Schrecken des Todes in den Wogen gekämpft hat, nun unter seinen Füßen festen Grund und Boden fühlt und den Strand freudig hinaufklimmt. Bei aller verheißenen Sicherheit, trauete er, während der unterirdischen Expedition, dem Berggeist nicht allerdings, fürchtete, der schauervolle Schatzhüter werde ihm in wilder Mannsgestalt erscheinen, ihm ein tödliches Schrecken einjagen, oder die reiche Beute wieder abnehmen. Die Haut schauerte ihm, und alle Haare stunden ihm zu Berge, da er die steinerne Treppe hinabstieg. Er hielt sich auch so wenig mit Betrachtung des Schatzgewölbes auf, daß er sich nachher nicht einmal zu erinnern wußte, ob die Wände und Pfeiler von Gold und Juwelen geflimmert und gefunkelt hatten. Alle seine Gedanken waren nur auf die kupferne Truhe gerichtet, aus welcher er, so behend als möglich, volle Ladung einnahm. Inzwischen lief alles nach Wunsch ab, es ließ sich kein Berggeist hören noch sehen; nur die eiserne Tür tat sich, sobald er den Fuß aus dem Gewölbe herausgesetzt hatte, mit großem Ungestüm wieder zu. In der Eil hatte der scheue Schatzsucher die köstliche Springwurzel, die er beim Einraffen des Goldes aus der Hand gelegt, mit sich herauszunehmen vergessen, wodurch ihm der zweite Transport unmöglich gemacht wurde, welches jedoch der begnügsame Mann, der so viel Reichtum in gediegenem Golde besaß, als er fortbringen konnte – und wir wissen, daß er ein bengelhafter Lastträger war – eben nicht sehr zu Herzen nahm. Nachdem er alles getreulich, laut Instruktion des Altvaters Martin, ausgerichtet, und das scheinbare Grab wieder zugeworfen hatte, zog er in reifliche Überlegung, wie er das erhobene Schatzkapital in Sicherheit bringen und davon in seiner Vaterstadt, nach Herzensgelüsten, ohne großes Aufsehen und Maulgesperre leben und zehren könnte. Auch lag ihm sehr daran, daß sein

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böses Weib daheim, nichts von der Beerbung des alten Harzköniges wittern möchte: denn er befürchtete, daß sie ihn so lange auf der ehelichen Folter quälen würde, bis er ihr sein Hab und Gut ausgesäckelt hätte. Sie sollte, seiner Absicht nach, zwar den Genuß davon haben, und aus dem wohltätigen Bächlein ihren Durst löschen: aber die Quelle davon nie ausspähen. Der erste Punkt war leicht in Richtigkeit gebracht; allein der andere kostete großes Kopfbrechen, ohne daß Meister Peter damit etwas endete. Er trug seinen Mammon wohl eingepackt und feste geschnürt ins nächste Dorf, das ihm aufstieß, kaufte dort beim Rademacher einen Schubkarren, und beim Faßbinder ließ er sich eine Tonne mit doppeltem Boden zurichten, fuhr damit auf den nächsten Eisenhammer, füllte sie oben und unten mit Brettnageln, und in die Mitte verbarg er gar schlau den Schatz. Mit dieser Ladung machte er sich allgemachsam auf den Heimweg, hielt, weil er eben keine Eile hatte, bei jedem Krug an, und ließ auftragen das Beste was der Wirt hatte. Als er von der Kästenzeche den Berg hinein nach Ellrich fuhr, in das wohlbekannte Städtlein, obwohl damals Amarant und Nanntchen noch nicht daselbst hauseten, gesellete sich ein junger Mann zu ihm, von feinem Ansehen, dem aber tiefer Kummer auf dem Gesichte saß. Vater Peter, dem's gar wohl und leicht ums Herz, und der eben gesprächiger Laune war, redete ihn an: »Junger Gesell, wo hinaus?« Er antwortete gar trübsinnig: »In die weite Welt, guter Vater, oder aus der Welt, wohin mich meine Füße tragen.« »Warum aus der Welt?« sprach Meister Peter, »was hat dir die Welt zuleide getan?« Der Wandersmann: »Sie hat mir nichts zuleide getan, ich ihr auch nichts, dennoch steht mir's darin nicht länger an.« Der jovialische Karrenschieber, der, wenn's ihm wohl war, jedermann gern froh und heiter um sich sah, tat sein Bestes, den Kopfhänger aufzumuntern, und weil seine Wohlredenheit nichts über ihn vermochte, vermutete er, die böse Laune möchte wohl unterm Zwerchfell im Ösophagus ihren Sitz haben. Darum lud er ihn zum Abendessen im Wirtshaus ein, und versprach ihn zechfrei zu halten, welches der mißmütige Gefährte nicht ausschlug. Es war an demselben Abend ein fröhliches Gelag daselbst, wobei viel Scherz und Kurzweil getrieben wurde. Meister Peter war recht in seinem Elemente und wurde so aufgeräumt, daß er auf eigne Kosten, für die ganze Gesellschaft einschenken ließ. Da gab's Schnacken, Schnurren und Charakterzüge, so bunt und kraus, als die gedruckten nur immer sein mögen, und in der Schenke nehmen sie sich vortrefflich aus! Der Murrkopf allein fand keinen Geschmack daran, saß in einem Winkel, sahe vor sich auf die Erde, aß kaum drei Mundbissen und kredenzte den Freudenbecher nur ein wenig mit den Lippen. Da Meister Peter wahrnahm, daß dem milzsüchtigen Gaste auch auf diese Weise nicht beizukommen war, vermutete er, daß sein Kummer tiefe Wurzeln in dem Herzen müsse geschlagen haben, ließ in einer Kammer eine gute Streu zubereiten, und nahm sich vor, den folgenden Tag seinen Gast auszuforschen: denn er wähnte ein sonderbares Abenteuer, und war begierig es zu vernehmen. Der schöne Sommermorgen lockte ihn in die Laube des Hausgartens, er bestellte das Frühstück dahin, und sobald der Grillenfänger wach war, berief er ihn heraus ins Freie, saß bei ihm in der Laube, munterte ihn auf und sprach: »Lustig Gesell! laß deinen Kummer schwinden, und sei gutes Mutes. Sieh da! nach einer trüben Nacht läßt sich's doch zu einem heitern Tage an. Was bangt und quälet dich? Sag an!« »Was kann's helfen, guter Vater«, antwortete gar trübselig der Jüngling, »ob ich dir mein Herz offenbaren wollte, du hast doch weder Rat noch Trost für mich.« »Wer weiß«, versetzte Meister Peter, »ob ich dir nicht helfen kann; singt nicht die christliche Gemeine: Oft kommt der Trost aus Winkeln her, wo man ihn nicht vermutet?« Er setzte mit so zudringlicher Gutmütigkeit an den Ritter von der traurigen Gestalt, daß dieser nicht umhin konnte, ihm endlich zu Willen zu sein. »Die Ursach meines Kummers«, sprach er, »ist kein Bubenstück, das mich bangt und nagt, sondern ein Unstern tugendlicher Liebe, darum darf ich mich nicht entblöden, dir mein Anliegen zu entdecken. Ich bin der Armbrustschütz des Grafen von Öttingen in Frankenland, und sein geborner Dienstmann. Ich war bei ihm wie Kind im Hause. Er hat mich auferzogen, und die Leute

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munkelten, ich sei sein Sohn. Um die Zeit der Mitfasten brachte ihm ein Maler allerlei Gemälde zu Kauf, die der Graf bestellt hatte, sein neues Schloß damit zu zieren. Unter diesen Schildereien befand sich das Konterfei eines wunderschönen Mädchens, die sie eine Göttin nannten, und wovon der Meister behauptete, daß er die liebliche Gestalt einer zarten Dirne abgestohlen habe, die an Schönheit die Abkonterfeiung weit überträf; aber zu verschämt gewesen sei, dem Maler zu sitzen. Ich konnte nimmer satt werden, das Bildnis anzuschauen, lief zehnmal des Tages in den Saal, wo es aufgestellet war, gaffte es stundenlang an, und je länger ich es betrachtete, desto mehr wurde mein Herz davon entzündet, daß ich keine Ruh noch Rast mehr finden konnte. Eines Tages rief ich den Maler beiseits, und beschwor ihn mir zu sagen, wo die feine Dirne anzutreffen sei, nach der er das Konterfei im Speisesaal abkopeiet habe, und bot ihm großen Lohn, wenn er mit der Sprache frei herausgehen wollte. Der Meister merkte, wo mich der Schuh drückte, lachte über meine Phantasei, und offenbarte mir sonder Trug, was ich zu wissen begehrte. Die schöne Dirne, sagt' er, sei in der Reichsstadt Rotenburg an der Tauber seßhaft und des alten Garkochs Tochter, ich könne bei ihr mein Heil versuchen; sie sei jedoch gar stolzen und spröden Sinnes. Alsbald begehrte ich Urlaub vom Grafen, der mir solchen weigerte und mich nicht entlassen wollte; darum entlief ich bei der Nacht und zog gen Rotenburg, wo ich bald das Mägdlein auskundschaftete. Aber sie zu sehen, oder zu ihr zu gelangen, war all meine Müh vergebens. Sie lebt unter dem Gewahrsam einer luchsäugigen Mutter, einem Drachen von Weibe, die sie nicht vor die Tür gehen oder zum Fenster ausschauen läßt, verschließt das Haus wie einen Jungfernzwinger, und keine männliche Seele darf hinein. Das ängstete und quälte mich gar sehr, darum sann ich auf eine List, zog Frauenkleider an, versteckte das Gesicht unter eine Kappe und schellte an der Tür. Da ward mir aufgetan, ich sahe die liebreizende Dirne, und ihr Anblick entzückte mich also, daß ich mich schier vergessen hätte; doch besann ich mich kurz, und bestellte einen Teppich mit Bildwerk bei ihr, denn sie ist eine kunstreiche Nähterin, als eine im Lande. Nun ging ich täglich im Hause frei aus und ein, unter dem Vorwand, zu sehen ob die Arbeit fördere, und genoß der Wonne, mein Liebchen vor Augen zu haben und mit ihr freundlich zu kosen, stundenlang. Bald vermerkt ich, daß mich die Jungfrau liebgewann, denn ich tat so ehrbar und sittsam, als eine ernste Matrone, und sie ist ein rechtes Tugendbild. Aber einsmals, als die Mutter außer dem Hause Geschäfte hatte, und ich allein bei der holden Dirne saß, drängte mich die heiße Liebe, mich ihr zu entdecken. Sie fuhr mit großem Schreck vom Nährahmen auf, und wollte entfliehen. Ich hielt sie flehentlich zurück, daß sie nicht Lärm machte und Feuer schrie, setzte ihr Leib und Seele zum Pfande, daß ich in ehrlicher Absicht gekommen sei, mit Zucht und Ehrbarkeit um ihre Gunst zu werben. Endlich glaubte sie meinen Worten, und da sie ruhiger wurde, eröffnete ich ihr den ganzen Handel, wie sich alles begeben hatte, daß mein Herz in Liebe gegen sie entbrannt sei. Sie strafte meinen Leichtsinn mit lieblichen Worten, daß ich Minne halber meinem Brotherrn, dem Grafen entlaufen sei, und frug, wovon ich denn ein Weib ernähren wollte? Da stund ich wie aufs Maul geschlagen, und wußte keine Antwort auf diese verfängliche Frage. Ob ich schon zwei gesunde Armen habe, so wagte ich doch nicht frei herauszusagen, daß mich ihr zuliebe diese schon nähren würden: denn ich fürchtete, ein Taglöhner sei einer so rechtlichen Dirne zu schlecht. Sie blickte mich voll Mitleiden an und fuhr also fort: ›Friedlin, wir müssen uns scheiden, du wirst mich nimmer unter dieser trüglichen Gestalt wiedersehen. Diese Tür bleibt dir auf ewig verschlossen. Meine Tugend ist unbescholten, aber mein Herz ist schwach! Du hast mich belehrt, wie leicht die Verführung einen Weg durch verschloßne Türen zu finden weiß. Mein Vater hat mich fürs Kloster bestimmt, und ich eile nun diesem Beruf zu folgen; die Nadel soll mir erwerben, was ich dem Kloster steuren muß. Gehab dich wohl, auf hundert Meilen weit, daß kein Verdacht mir bösen Leumund mache.‹ Sie trieb mich, sie zu verlassen. Ich mußte gehorchen und mich von ihr scheiden. Ach das war ein bitter Kraut! Ich schlich trübselig in die Herberge, rang

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mit Kümmernis und Verzweiflung, hatte weder Ruh noch Rast, weinte und jammerte Tag und Nacht. Hundertmal zog ich des Tages die Straße, wo sie wohnte, auf und ab, und wo in eine Kirche zur Messe geläutet wurde, lief ich sporenstreichs hin, ihr aufzulauren, um nur den Trost zu haben, sie noch einmal zu sehen. Umsonst! sie blieb vor meinen Augen verborgen wie ein Geheimnis. Dreimal verließ ich die Stadt, in die weite Welt zu gehen; ich konnte nicht fort: es war als wenn ich an den Ort gebannt wäre. Noch einmal versucht ich's eines Morgens, mich in ein Weib vermummet ins Haus zu stehlen, um ihr auf ewig Lebwohl zu sagen. Ich schellte an der Tür mit großer Beklommenheit. Die Mutter kam heran, doch als sie mich erblickte, schlug sie das Fenster hastig zu, und schalt und schmähete von innen: ›Du Drude! du Trödlerin! sollst meine Schwelle nimmer betreten! Bist gar eine schlechte Bezählerin!‹ Aus diesen Worten verstand ich, unter welchem Vorwand die kluge Lucine meine Entdeckung der Mutter verhehlet hatte, die sonst schwerlich eine gute Kundschaft würde verschlagen haben. Nun gab ich alle Hoffnung auf, das herrliche Mädchen jemals wieder mit Augen zu sehen, verließ die Stadt und ziehe, als ein herrenloser Knecht, im Lande herum, bis mir der Kummer vollends gar das Herz abfrißt.« Meister Peter hatte mit großer Aufmerksamkeit die offenherzige Erzählung seines Reisegefährten angehöret, und freuete sich über den glücklichen Zufall innig, der ihn zu einem Wanderer gesellet hatte, welcher ihm von der geheimen Geschichte seines Hauses, während seiner Abwesenheit, so avthentische Nachricht erteilte. Als Friedlin mit seinem Referat zu Ende war, sprach er: »Deine Geschichte ist sonderbar; aber eins ist mir noch nicht klar darin, du gedachtest eines Vaters deines Liebchens. Warum vertrautest du dich dem nicht an? Er wäre wohl Freiersmann worden, und würde einem so wackern Gesellen, als du zu sein scheinest, sein Kind schwerlich versagt haben.« »Ach!« entgegnete Friedlin: »der Vater ist ein Gauch, ein Saufbold, ein Landfahrer, der Weib und Kind böslich verlassen hat, und von dem niemand weiß, wo er geblieben ist. Das knurrige Weib führte oft bittre Klagen über ihn, und schalt das liebe Mädchen hart aus, wenn sie des Vaters Partei nahm, ob er ihr gleich den Patenpfennig zum Zehrgeld entwendet hat, wofür ich dem Schurken den Bart ausraufen möchte, wenn er mir in die Hände fiel.« Vater Peter horchte hoch auf, da ihm also sein Lob gepriesen wurde, und wunderte sich, daß der junge Gesell um alle seine Domestika so guten Bescheid wußte. Der Eifer desselben beleidigte ihn keinesweges. Er fand, daß Friedlin vortrefflich in seinen Plan passe, daß er ihn zum Depositär seiner Reichtümer machen, und dadurch alles Aufsehen, beim Genuß derselben in seiner Vaterstadt vermeiden, auch dem gierigen Weibe seinen Fund verbergen könne. »Kompan«, sprach er, »zeig mir deine Hand, ich verstehe mich aufs Wahrsagen, laß sehen, was dein Glücksstern dir verheißt.« »Was kann er mir verheißen«, antwortete der peregrinierende Liebhaber, der wieder ganz in seine trübselige Laune verfallen war, »doch nichts, als Unglück.« Der angebliche Chiromant ließ sich nicht abweisen, und da Friedlin den freundschaftlichen Gefährten, der ihn zechfrei hielt, nicht wollte unwillig machen, so reichte er ihm die Hand dar. Meister Peter nahm eine bedenkliche Miene an, betrachtete alle Lineamente wohl, schüttelte zuweilen verwundernd den Kopf dabei, und da er das Spiel lang gnug getrieben hatte, sprach er: »Freund, wer's Glück hat, führt die Braut heim! Morgen, wenn die Sonne aufgeht, mach dich auf und ziehe gen Rotenburg in Frankenland: dein Liebchen ist dir treu und hold, sie wird dich wohl empfangen. Es steht dir eine reiche Erbschaft bevor, von einem alten Vetter, den du nicht kennst, bald hast du Geld und Gut im Überfluß, ein Weib davon zu nähren.« »Kamerad«, sprach Friedlin mit Unwillen, der den Wahrsager für einen Possenreißer und Scherztreiber hielt, »es ziemet dir nicht, mit einem Unglücklichen Gespött zu treiben, such dir einen, den du foppen kannst, ich bin nicht dein Mann.« Er stund hastig auf und wollte davon. Vater Peter erfaßte ihn beim Rockzipfel und sprach: »Bleib, du Murrkopf, ich treibe keinen Scherz, und bin bereit, meine Prophezeihung bei Ehren zu erhalten. Ich bin ein wohlhabender Mann, und will dir bar, auf einem Brette, so viel auf die Erbschaft vorstrecken, als du begehrest. Folge mir in die Kammer, daß ich dich von der

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Wahrheit meiner Worte durch die Tat überführe.« Der junge Gesell machte große Augen, da er den Freund Eisenhändler aus dem Tone reden hörte, seine abgebleichten Wangen röteten Freude und Erstaunen. Er folgte schweigend, in einem Zustande, wo ihm unbewußt war, ob er wachte oder träumte, dem rätselhaften Manne, welcher die Tür abschloß und sein Nägelfaß aufspündete. Hier entdeckte sich Meister Peter dem getreuen Liebhaber der schönen Lucine offenherzig, vertrauete ihm das Schatzgeheimnis und sein Vorhaben, daß Friedlin als Tochtermann den reichen Mann spielen, er aber in der Stille leben und mit ihm des herrlichen Fundes sich freuen wolle. Die tiefe Melancholei des jungen Wichtes war nun mit einemmal verschwunden; er wußte keine Worte zu finden, dem ehrlichen Vater seine Dankbarkeit zu erkennen zu geben, daß er ihn zum glücklichsten Sterblichen auf Gottes Erdboden machen wolle. Des folgenden Tages verließen beide Reisegefährten, mit der besten Laune, die Stadt Ellrich am Harze, und steuerten frisch auf Nürnberg in Franken zu. Hier staffierte sich Friedlin als ein stattlicher Freier heraus, Vater Peter zahlte ihm das vorläufige Heuratsgut in die Tasche, und nahm den Verlaß mit ihm, wenn sein Gewerbe glücklich vonstatten gehen würde, sollte er durch einen geheimen Boten es ihm zu wissen tun, daß er einen Fuhrmann mit allerlei köstlichem Hausgeräte befrachten könne, damit der reiche Freier in Rotenburg Aufsehen mache. Als der präsumtive Schwäher und Eidam voneinander schieden, gab der erstere dem letztern die Vermahnung mit auf den Weg: »Schweige deine Zunge und bewahre unser Geheimnis, vertraue keinem Menschen, was dir wissend ist, als der verschwiegenen Lucine, wenn sie deine Braut sein wird.« Meister Peter genoß die erkleckliche Rente seiner Harzreise, ob er gleich keine Beschreibung davon auf Kosten des Publikums ans Licht stellete, bis ins späteste Alter, hatte so viel im Vermögen, daß er nicht wußte, wie reich er war; Friedlin aber hatte den Namen des reichen Mannes, lebte mit der schönen Lucine, seinem tugendsamen Weibe, glücklich und zufrieden. Und wie ein reicher Mann auch leicht ein geehrter Mann sein kann, wenn er will, so bewarb er sich um eine Stelle im Rat, erstieg in der Folge die höchste Stufe reichsstädtischer Glückseligkeit, und wurde regierender Bürgermeister. Von ihm geht noch bei den Rotenburgern ein Sprüchwort im Schwange, bis auf den heutigen Tag: wenn sie einen bemittelten Mann beschreiben wollen, so heißt es, er sei so reich, als weiland Peter Blochs des Garkochs Eidam.

Fußnoten

1 Das ist der Wildemann auf dem Harzgelde, welchen einige fälschlich für den Schildhalter des braunschweigischen Wappens ausgeben. Er ist der Berggeist des Harzes, wie er sich hier zu erkennen gibt, der einer reichhaltigen Fundgrube daselbst den Namen gegeben, wo er oft den Bergleuten erschienen ist. So furchtbar übrigens diese Gestalt dem Altvater Martin mag vorgekommen sein, so angenehm fällt sie, auf den Harzgulden in Zahlung, dem Empfänger ins Auge.

2 Diese umständliche Nachweisung eines angeblichen Schatzes auf dem Brocken, ist keine Erfindung des Referenten dieser Geschichte, sondern aus einem Manuskript gezogen, welches die Abschrift eines älteren Manuskripts zu sein scheinet, betitelt: Liber singularis, in quo arcana arcanorum, tamquam de coelo elapsa tractantur.

3 Ad vocem Geisterseher gedenkt der Verfasser an eine, im vorgängigen vierten Teil a.d. 100. S. (S. 552) bewirkte Schuld, die er öffentlich abzubüßen sich verbunden erachtet. Ihm entschlüpfte dieser Ausdruck dort gegen einen verdienten Mann, dessen Andenken damit zu beschmitzen nicht seine Meinung war. Er nimmt daher diese Stelle reuig zurück und ersucht die Leser, seine ausführliche Erklärung darüber im 62. Stück der Gothaisch. gel. Zeit. 1786 nachzusehen.

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4 Göttinger Musenalmanach 1782. 146. S.

5 Eine deutsche Geschichte für Denker und Gefühlvolle. Wien und Leipzig 1785.

6 Eine bekannte Beschuldigung gegen Herrn Hastings, daß er einige eingeborne Prinzessinnen nackend, auf dem Sklavenmarkt, zum Verkauf habe ausstellen lassen, um ihren Preis zu erhöhen.

7 Leipzig. latein. Zeitung, 32. St. 1786.

Ulrich mit dem Bühel

Unweit des Fichtelberges, an der böhmischen Grenze, lebte zu Kaiser Heinrich des Vierten Zeiten ein wackrer Kriegsmann, mit Namen Egger Genebald, auf seinem Lehn, das ihm für den welschen Heerszug zuteil ward, hatte im Dienst des Kaisers viel Städte und Flecken geplündert, und großes Gut erbeutet, davon er drei Raubschlösser erbauete, in einem düstern Walde; Klausenburg auf der Höhe, Gottendorf im Tal, und Salenstein am Flusse. In diesen Schlössern zog er mit vielen Reisigen und Knechten aus und ein, mochte sich des Raubens und Plünderns nicht entwöhnen, und übte das Faust- und Kolbenrecht wo er konnte. Oft überfiel er mit seinen Gewappneten, aus einem Hinterhalte, die Kaufleute und Reisenden, Christen oder Juden das galt ihm gleich, wenn er ihrer nur mächtig zu werden vermeinte; oft brach er eine liederliche Ursach vom Zaun, seine Nachbarn zu befehden. Ob es ihm gleich vergönnt war, in den Armen einer liebenswürdigen Gemahlin zu rasten, um nach dem Ungemach des Krieges das Glück der Liebe zu schmecken: so hielt er doch die Ruhe für Weichlichkeit; denn nach der Denkungsart seines ehernen Zeitalters, waren Schwert und Speer in der Hand des deutschen Adels, was Spaten und Sense in der Hand des friedlichen Landmannes sind, die Werkzeuge eines ehrlichen Gewerbes. Und traun! der Ritter nährte sich seines anmaßlichen Berufs unverdrossen. Da er aber mit diesem Unfug allen seinen Grenznachbarn Überlast machte, und keiner sein Eigentum für ihn sichern konnte, beschlossen sie einen Rat über ihn, und verschworen sich, Gut und Blut dran zu setzen, den räuberischen Weih aus dem Neste zu vertreiben, und seine Festen zu zerstören. Sie sandten ihm einen Fehde- und Absagebrief, rüsteten ihre Mannschaft, und belagerten, auf einen Tag, seine drei Schlösser, da er im freien Felde gegen die Verbündeten nicht bestehen konnte. Hugo von Kotzau zog mit seinem Volk vor Klausenburg auf der Höhe; der Ritter Rudolph von Rabenstein lagerte sich vor Gottendorf im Tal, und Ulrich Spareck, der Tummler genannt, legte sich mit seinen Bogenschützen vor Salenstein am Flusse. Als Egger Genebald von allen Seiten sich beängstiget sahe, und hart bedränget wurde, faßte er den Anschlag, mit dem Schwerte sich freie Bahn durch die feindlichen Haufen zu machen, und ins Gebürge zu fliehen. Er sammlete sein Volk um sich her, und nachdem er die Kriegsleute angemahnet hatte, sich hurtig zu halten, um entweder zu siegen oder zu sterben, setzte er seine Gemahlin, die sich der Entbindung versahe, auf ein wohlzugerittnes Roß, und bestellte einen seiner Leibdiener zu ihrer Aufwartung. Ehe aber noch die Zugbrücke niedergelassen, und das eherne Tor aufgetan wurde, rief er ihn beiseits und sprach: »Hüte meines Weibes im Nachzug, als deines Augapfels, so lange mein Panier wehet, und der Federbusch auf meinem Helm emporstehet; sofern ich aber erliege im Streit, so wende dich nach dem Walde, und verbirg sie daselbst in der Felsenkluft, die dir wohl bekannt ist. Dort erwürge sie in der Nacht mit dem Schwert, daß sie nicht weiß wie ihr geschieht. All mein Gedächtnis soll vertilget werden auf Erden, daß mein ehelich Gemahl, oder die Frucht ihres Leibes, nicht der Spott meiner Feinde

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werde.« Nachdem er das gesagt hatte, tat er einen mutigen Ausfall aus dem Schlosse, also daß die Feinde in groß Schrecken gerieten, und sich schon nach der Flucht umsahen. Da sie aber das geringe Häuflein gewahr wurden, das sich ermächtigte gegen ein ganzes Heer zu streiten, schöpften sie frischen Mut, stritten als mannliche Helden, umringten die feindliche Schar, erschlugen den Ritter samt seinen Knechten, daß nicht einer davonkam außer dem Leibdiener, der im Getümmel des Kampfes die edle Frau davonführte, und sie in die Waldhöhle verbarg. Als sie hineintrat, benahm ihr Kummer und Angst den Odem, daß ihr eine Ohnmacht zuzog, und sie sichtlich dahinstarb. Da gedachte der Diener an das Wort seines Herrn, wollte schon das Schwert zücken, und seiner holden Gebieterin das Herz damit durchbohren. Doch jammerte ihn des schönen Weibes, und sein Herz wurde in heißer Liebe gegen sie entzündet. Wie sie wieder zur Besonnenheit kam, beweinte sie mit einem Strom von Zähren ihr Unglück, und den Tod ihres Gemahls, rang die Hände und wimmerte laut. Da trat der Versucher zu ihr und sprach: »Edle Frau, so Ihr wüßtet, was Euer Gemahl über Euch beschlossen hat, so würdet Ihr Euch nicht so traurig gebärden. Er tat mir Befehl, Euch in dieser Höhle zu ermorden, aber Eure schönen Augen haben mir verwehret, ihm zu gehorchen. So Ihr mich nun hören wollt, weiß ich guten Rat für mich und Euch. Vergesset, daß Ihr meine Gebieterin waret: das Geschick hat uns jetzt gleich gemacht. Ziehet mit mir gen Bamberg in meine Heimat, dort will ich Euch zu meiner Hausfrau nehmen, Euch ehrlich halten, und auch des Kindleins, das Ihr unterm Herzen traget, als des meinen pflegen. Entsaget dem Stande, worin Ihr geboren waret: Hab und Gut ist dahin; die Feinde Eures Herrn würden nur stolzen Spott mit Euch treiben, so Ihr in ihre Hände fielet, und was wolltet Ihr, als eine verlaßne trostlose Wittib ohne mich beginnen?« Der edlen Frau stieg das Haar zu Berge, und ein Totenschauer lief ihr längs dem Rücken herab, über dem was sie zu hören bekam. Sie entsetzte sich ebensosehr über den grausamen Befehl ihres Gemahls, als über die Vermessenheit des Dieners, der sich erfrechte, ihr seine unwürdige Liebe zu erklären. Gleichwohl stund ihr Leben jetzt in der Hand eines Knechtes, der seines Herrn Willen tat und seiner Pflicht Gnüge zu leisten vermeinte, wenn er sie dessen beraubte. Sie wußte keinen andern Rat, als ihren Schergen und deklarierten Liebhaber bei Gutem zu erhalten. Darum tat sie sich Gewalt an, eine verschämte falschfreundliche Miene anzunehmen, und sprach: »Loser Schalk, hast du mir das Geheimnis meines Herzens aus den Augen gelesen, daß du weißt, nach welchem Buhlen es verlangt? – Ach! du weckst den Funken zur lodernden Flamme auf, der unter der Asche meines zerstörten Glücks für dich glimmt! – Aber laß mich jetzt im Winkel meinem erschlagnen Gemahl ein Tränlein weinen, morgen alles Unglücks vergessen, und mein Schicksal mit dir teilen.« Der verliebte Diener, der sich eines so leichten Sieges bei der schönen Frau nicht versehen hatte, war vor Freuden außer sich, da er hörte, daß sie ihm mit heimlicher Liebe bereits zugetan sei, er umfaßte ihre Kniee, sich der großen Gunst zu bedanken, und überließ sie ungestört ihrer stillen Traurigkeit. Er bereitete ihr ein Lager von Moos, und legte sich zu ihrer Hut quer vor den Eingang der Höhle. Der schönen Witwe kam kein Schlaf in die Augen, wiewohl sie sich stellte, als ob sie sanft schlummere. Sobald sie den frechen Wicht schnarchen hörte, sprang sie hurtig von dem Lager auf, zog gemachsam sein Schwert aus der Scheide, schnitt ihm flugs damit die Gurgel, und zugleich den schönsten Traum seines Lebens entzwei. Er hatte kaum zu ihren Füßen die Seele ausgezappelt, so schritt sie hurtig über den Leichnam aus der Höhle, und irrete durch den düstern Wald, ohne zu wissen, wo sie der Zufall hinführen würde. Sie vermied sorgfältig das freie Feld, und wenn sich etwas regte, oder wenn sie in der Ferne Menschen erblickte, verbarg sie sich tief ins Gebüsche. Drei Tage und drei Nächte war sie also in großer Betrübnis herumgeirret, ohne etwas anders zur Erquickung zu genüßen, als einige Walderdbeeren, und war sehr ermattet. Ach! da vermerkte sie, daß die Zeit herannahe, daß sie gebären sollte. Sie setzte sich unter einen Baum, fing

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bitterlich an zu weinen, und über ihren Zustand laut zu wehklagen. Da stund unversehens ein altes Mütterlein vor ihr, als wenn sie aus der Erde herausgewachsen wär, die tat ihren Mund auf und frug: »Edle Frau, was weinet Ihr, und womit steht Euch zu helfen?« Die Bekümmerte empfand großen Trost, daß sie eine menschliche Stimme vernahm. Als sie aber aufschauete, und ein häßliches altes Weib, mit zitterndem Haupte, auf einen hainbüchenen Stab gelehnt, neben sich erblickte, die selbst Hülfe zu bedürfen schien, und unter ihren roten Augen ein lederfarbenes Wackelkinn ihr entgegenstreckte, mißbehagte ihr der Anblick so sehr, daß sie das Angesicht von ihr wandte, und mutlos antwortete: »Mutter, was begehrest du meine Leiden zu erfahren, es stehet doch nicht in deiner Macht, mir Hülfe zu leisten.« »Wer weiß«, versetzte die Alte, »ob ich Euch nicht helfen kann, offenbaret mir Euren Kummer.« »Du siehest«, sprach die Witwe, »wie es mit mir ist, die Zeit meiner Entbindung nahet heran, und ich irre, in diesem wilden Gebürge, einsam und verlassen.« »Wenn dem also ist«, erwiderte die Alte, »so findet Ihr bei mir freilich schlechten Trost: ich bin eine Jungfrau meines Zeugnisses, weiß um die Notdurft kreißender Weiber keinen Bescheid, habe mich nie darum gekümmert, wie der Mensch in die Welt eingehet, sondern nur, wie ich mit Ehren herausgehen mag. Folget mir indes in mein Haus, daß ich Euer pflege, so viel ich kann.« Die hülflose Frau nahm den guten Willen für die Tat an und gelangte, unter der Geleitschaft der Oberältesten ihrer jungfräulichen Zeitgenossenschaft, in einer dürftigen Hütte an, wo sie etwas weniger Bequemlichkeit fand, als unter freiem Himmel. Doch genas sie, unter dem Beistande der Sybille, glücklich eines Töchterleins, welches die Mutter selbst nottaufte, und es der keuschen Wirtin zu Ehren, Lukrezia nannte. Ungeachtet dieser Politesse, mußte die Wöchnerin doch mit so frugaler Kost vorlieb nehmen, daß die strenge Diät, welche eigensinnige Ärzte den Kindbetterinnen zu verordnen pflegen, sardanapalische Mahlzeiten dagegen genennet zu werden verdienen. Sie lebte bloß von Kräutersuppen, die ohne Salz und Schmalz gekocht waren, und dabei wurde ihr, von dem zähen Mütterlein, das schwarze Brot so kümmerlich zugeschnitten, als wenn's Marzipan gewesen wär. Dieser Fastenspeisen wurde die Wöchnerin, die sich wohlauf befand, und nachdem die Milchschauer vorüber waren, große Eßlust verspürte, bald überdrüssig, sie sehnte sich nach einem nahrhaften Fleischgericht, oder wenigstens nach einem Eierkuchen, und der letztere Wunsch schien ihr nicht unerreichbar: denn sie hörte jeden Tag, in der Morgenstunde, eine Henne gackern, die ihr frisch gelegtes Ei laut rezensierte. Die ersten neun Tage unterwarf sie sich jedoch der magern Kost ihrer Pflegerin standhaft; nachher gab sie ihr aber das Verlangen, nach einer kräftigen Hühnerbrühe, nicht undeutlich zu verstehen, und da die Alte wenig darauf achtete, erklärte sie sich mit deutlichen Worten. »Gutes Weib«, sprach sie, »deine Suppen sind so rauh und streng, und das Brot so hart, daß mir der Gaumen davon wund ist. Bereite mir ein Süpplein, das glatt eingehe, und wohl gefettet sei, ich will dir's lohnen. Es schreit ein Huhn in deinem Hause, das schlachte und richte mir's zu, daß ich durch eine gute Mahlzeit neue Kräfte zum Abzug mit meinem Kindlein gewinne. Siehe diese Perlenschnur, die ich um den Hals trage, will ich dafür mit dir teilen, wenn ich förder ziehe.« »Edle Frau«, antwortete die zahnlose Wirtschafterin, »es stehet Euch nicht zu, meine Küche zu meistern, das verträgt keine Hausfrau von einer Fremden. Ich weiß wohl eine Suppe zu kochen, und sie niedlich und schmackhaft zu bereiten; hab auch, wie mich bedünken will, die Kochkunst länger getrieben als Ihr. Meine Suppen sind ohne Tadel, und schlagen auf die Milch, was verlangt Ihr mehr? Von meinem Hühnlein sollt Ihr nichts schmecken, das ist meine Gespielin und Hausgenossin in dieser Einöde, schläft mit mir in der Kammer, und ißt mit mir aus der Schüssel. Behaltet Eure Perlenschnur, ich begehre keinen Teil daran, oder Lohn und Gewinn für Eure Pflege.« Die Kindbetterin sahe wohl, daß ihre Wirtin Küchenkritiken nicht liebte, sie schwieg und aß, um sie wieder zufrieden zu stellen, über Vermögen von der Kräutersuppe, die ihr diese eben auftrug.

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Des folgenden Tages nahm die Alte einen Handkorb an Arm und den hainbüchenen Stab in die Hand, und sprach: »Das Brot ist aufgezehrt bis auf dies Ränftlein, das ich mit Euch teile, ich gehe zum Bäcker, neuen Vorrat zu kaufen. Wahret indes das Haus, pfleget meines Hühnleins, und hütet Euch es abzuschlachten. Die Eier sind Euch vergönnt, wenn Ihr sie suchen wollt, es pflegt sie gern zu vertragen. Harret meiner Wiederkehr sieben Tage, das nächste Dorf liegt nur eines Feldweges von hier; für mich sind's aber drei Tagereisen. Wenn ich in sieben Tagen nicht wiederkomme, so sehet Ihr mich nimmer.« Mit diesen Worten trippelte sie fort, doch bei ihrem Schneckengange war sie in der Mittagsstunde noch keinen Bogenschuß von der Hütte, und in der Abenddämmerung verlor ihre nachschauende Kostgängerin sie erst aus den Augen. Jetzt führte diese das Küchenregiment, und spähete fleißig nach einem Eie von dem Leghuhn; sie durchsuchte alle Winkel des Hauses, auch alle Gebüsche und Hecken rings umher, das trieb sie so sieben Tage lang, ohne eins zu finden. Sie harrete hierauf einen Tag und noch einen auf die Alte; da diese aber nicht zum Vorschein kam, verzieh sie sich ihrer Wiederkehr. Die Lebensmittel waren aufgezehrt, darum setzte sie den dritten Tag zum peremtorischen Termin, wo sie, im Nichterscheinungsfall der Alten, sich ihrer liegenden und fahrenden Habe, als eines verlassenen Gutes, anzumaßen vornahm. An dem Huhn, das die Eier vertrug, sollte das Eigentumsrecht vorerst ausgeübt werden, welches ohne Gnade zum Topfe verurteilt war. Die neue Besitznehmerin hatte es schon vorläufig in engen Gewahrsam gebracht, und unter einen Korb gesperrt. Am frühen Morgen des folgenden Tages schärfte sie ein Messer, das Huhn damit zu schlachten, denn es sollte zur Valetmahlzeit dienen, und setzte Wasser zum Kochen auf den Herd. Indem sie mit diesen Küchenanstalten geschäftig war, verkündigte das eingesperrte Huhn, mit großem Geschrei, ein frischgelegtes Ei, welches als ein Zuwachs der Verlassenschaft, der Erbnehmerin sehr willkommen war. Sie gedachte dadurch ein Frühstück obendrein zu erhalten, ging alsbald es zu holen, und fand es unter dem Korbe. Ihr Appetit war so lebhaft, daß sie das Abschlachten versparte, bis sie würde das Ei verzehrt haben. Sie sott es hart; aber da sie es aus dem Topfe nahm, war es so schwer wie Blei, und nachdem sie die Schale geöffnet hatte, fand sie nichts Eßbares darinnen, sondern zu ihrer großen Verwunderung war die Dotter von gediegenem Golde. Vor Freuden über diesen Fund, war ihr alle Eßlust verschwunden, ihre einzige Sorge ging nun dahin, das wunderbare Huhn zu füttern, es zu liebkosen und an sich zu gewöhnen. Sie dankte es dem Glücke, daß sie die herrliche Eigenschaft desselben noch zu rechter Zeit entdeckt hatte, ehe der Kochtopf die köstliche Eierfabrik zerstörte. Das alchymische Huhn brachte ihr auch eine ganz andere Meinung von dem alten Mütterlein bei, als sie vorher von ihr geheget hatte. Bei der ersten Bekanntschaft, nahm sie das Weib für eine abgelebte Bäuerin, und als sie ihre ungesalznen Kräutersuppen versucht hatte, hielt sie dieselbe für eine Bettlerin. Nach der gemachten Entdeckung aber war sie ungewiß, ob sie eine wohltätige Fee, die aus Mitleid ihr ein reichliches Almosen verliehen, oder eine Zauberin, die sie durch Blendwerk äffte, aus ihr machen sollte. So viel ergab sich aus allen Umständen, daß etwas Übernatürliches hier mit im Spiele war, daher gebot die Klugheit der bedachtsamen Frau, bei ihrem Abzuge aus der Wildnis des Fichtelbergs, nicht so rasch zu Werke zu gehen, sondern ihr Vorhaben reiflich zu überlegen, um eine unsichtbare Macht, die ihr wohlzuwollen schien, nicht zu erzürnen. Sie war lange unschlüssig, ob sie sich das wunderbare Huhn zueignen, und mit sich nehmen; oder solchem die Freiheit wieder schenken sollte. Die Eier hatte ihr die Alte zugestanden, und in drei Tagen war sie die Besitzerin von drei goldnen Eiern; aber was das Leghuhn betraf, war sie zweifelhaft, ob sie einen Diebstahl begehen würde, wenn sie es mit davon nähme; oder ob sie es als eine stillschweigende Schenkung ansehen sollte. Eigennutz und Bedenklichkeit erhoben einen ungleichen Wettstreit gegeneinander, worinnen, wie gewöhnlich, der erste die Oberhand behielt. Also blieb es bei der Adjudikation des Nachlasses der Alten, die reisefertige Dame setzte das Huhn in eine

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Hühnersteige, band ihr Kindlein in ein Tuch, nach Zigeuner Brauch, auf den Rücken, und so verließ das Kleeblatt der Einwohner, das kleine einsame Haus in der Wüste, in welchem nun, außer einem Heimchen, das darinnen zirpte, kein Hauch des Lebens mehr übrig war. Die sorgsame Emigrantin nahm ihren Weg gerade nach dem Walddorfe zu, wohin die Alte zu gehen vorgegeben hatte, und war alle Augenblicke einer Erscheinung von ihr gewärtig, um das Huhn zurückzufordern. Kaum war sie eine Stunde gegangen, so kam sie auf einen gebahnten Weg, der gerade in das Dorf führte. Die Neugierde trieb sie, im Backhause nach dem alten Mütterlein Nachfrage zu halten, welches hier zuweilen Brot einzukaufen pflege. Allein niemand wollte etwas von ihr wissen, oder sie jemals gesehen haben. Das bewog ihre Hausgenossin, etwas von dem Aufenthalte in der Einsiedelei der Alten zu erzählen. Die Bäuerinnen verwunderten sich höchlich über diese Begebenheit, keine wußte von dem Hause im Gebürge, und nur ein wohlbetagtes Weib erinnerte sich, von ihrer Großmutter gehört zu haben, daß eine Waldfrau im Gebürge hause, die sich alle hundert Jahr einmal sehen lasse, um ein gutes Werk auszuüben, und dann wieder verschwinde. Dadurch wurde der edlen Frau das Rätsel ziemlich gelöset, sie zweifelte nicht, daß sie gerade den glücklichen Zeitpunkt getroffen habe, wo der unbekannten Bewohnerin des Fichtelberges vergönnt gewesen sei, ihre wohltätige Hand gegen sie aufzutun. Sie hielt das Huhn, welches fortfuhr jeden Tag ein goldnes Ei zu legen, nun zwiefacher Ehren wert, nicht allein um des reichen Gewinns willen, welchen es ihr einbrachte, sondern vornehmlich als ein gutes Andenken an ihre treue Pflegerin in dem hülflosen Zustande, worin sie sich befunden hatte, und sie bedauerte nur, daß sie mit der alten Mutter nicht nähere Bekanntschaft gemacht hatte. Dadurch hätte sich die edle Frau allerdings um die wißbegierige Nachwelt ein unsterbliches Verdienst erwerben können, wenn sie ihre Wirtin ausgeforscht, und von ihrer Natur und Beschaffenheit genaue Kundschaft eingezogen hätte, so wüßten wir zu sagen, ob sie eine Norne, oder eine Elfe, eine verwünschte Prinzessin, eine weiße Frau, oder eine Zauberin und Zunftgenossin der Circe, oder der Hexe zu Endor gewesen sei. Ihre Gastfreundin heuerte in dem Walddorfe einen Wagen mit Ochsen bespannt1 und fuhr damit nach Bamberg, wo sie nebst dem zarten Fräulein, dem Hühnlein und einer Mandel Eier, wohlbehalten anlangte, und sich daselbst häuslich niederließ. Anfangs lebte sie daselbst sehr eingezogen, und ließ ihr einziges Geschäfte die Erziehung ihres Töchterleins, und die Pflege des wundersamen Leghuhns sein. Als sich aber mit der Zeit der Eiersegen mehrte, kaufte sie viel Ländereien und Weinberge, auch Landgüter und Schlösser, und lebte als eine reiche Frau von ihren Renten, tat den Armen Gutes, und bedachte die Klöster. Wodurch der Ruf ihrer Frömmigkeit, und ihres großen Vermögens sich so ausbreitete, daß sie die Aufmerksamkeit des Bischofs auf sich zog, der ihr wohlwollte, und ihr viel Achtung und Freundschaft bewies. Fräulein Lukrezia wuchs heran, und wurde wegen ihrer Sittsamkeit und Schönheit, von Klerus und Laien bewundert, und den geistlichen Herren dienten ihre Reize nicht minder zur angenehmen Augenweide, als den fleischlichen2. Um diese Zeit berief der Kaiser einen Reichstag nach Bamberg3. Durch so viele Hofhaltungen der Prälaten und Fürsten, wurde die Stadt also eingeengt, daß die Mutter nebst ihrer Tochter, um dem Getümmel auszuweichen, auf eins ihrer Landhäuser sich begab. Der wohlwollende Bischof aber machte bei Gelegenheit, der Kaiserin von dem Fräulein eine so vorteilhafte Schilderung, daß sie Verlangen trug, diese junge Schönheit an Hof unter ihr Frauenzimmer aufzunehmen. Kaiser Heinrichs Hofhaltung stund nicht in dem Geruch, daß sie eine Schule strenger Zucht und Tugend sei4, daher sträubte sich die sorgsame Mutter gegen dieses Vorhaben, soviel sie konnte, und bedankte sich dieser, der Tochter zugedachten Ehre. Die Kaiserin bestand gleichwohl auf ihrem Sinn, und des Bischofs Ansehen vermochte so viel über die bedenkliche Frau, daß sie endlich einwilligte. Die keusche Lukrezia erschien bei Hofe, und wurde als eine üppige Hofdame aufgeschmückt, bekam das Nadelkästlein der Kaiserin in Verwahrung, und trug, nebst andern

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Jungfrauen von edler Geburt, ihr an Hoffesten die Schleppe nach. Aller Augen warteten auf sie, wenn die Kaiserin hervorging, denn nach dem einmütigen Geständnisse der Höflinge, war sie die Grazie unter den Nymphen des kaiserlichen Gefolges. Bei Hof ist jeder Tag ein Fest. Dieser Taumel von abwechselnden Vergnügen, die an die Stelle der einförmigen Lebensart unter mütterlicher Aufsicht traten, erfüllten ihre Seele mit unausredbarem Wonnegefühl, sie glaubte, wo nicht in den Schoß der Seligkeit, dennoch in den Vorhof desselben, den empyreischen Himmel versetzt zu sein. Zum Nadelgelde hatte ihr, außer dem Gehalt vom Hofe, die gutmütige Mutter noch ein Schock Eier, von dem magischen Huhn, ausgesetzt. Daher fehlte es ihr nicht, sich jeden Wunsch des Herzens gewähren zu können, der für junge Schönen denkbar ist, welche Amors Pfeil noch nicht verwundet hat, und die das höchste Ideal ihrer Glückseligkeit, mit kindischem Ergötzen, in dem Flitterglanze des Putzes suchen, den sie nicht um einen Heiligenschein vertauschen würden. Sie tat es an Kleiderpracht allen Jungfrauen ihrer Gebieterin zuvor, die sie zwar heimlich darum neideten, und ins Angesicht ihren feinen Geschmack lobten, ihr nach Hofes Sitte freundlich liebkoseten, und allen Verdruß und Unwillen tief ins Herz verschlossen: denn die Kaiserin war ihr mit Huld und Gunsten beigetan. Die Grafen und Herren schmeichelten und liebkoseten ihr nicht minder, doch ohne alle Gleisnerei, jedes Wort kam aus dem Herzen: Frauenlob ist glatt wie Öl, in der Männer Munde; aber wie Essig scharf und beizend, auf der weiblichen Zunge. Da ihr unaufhörlich des Hofes süßer Weihrauch duftete, wär's in Wahrheit ein größer Wunder gewesen, als ein güldnes Hühnerei, wenn die helle Politur ihrer reinen weiblichen Seele, von dem Roste der Eitelkeit, nicht wäre angefressen worden. Die süße Näscherei verwöhnte sie zum immerwährenden Verlangen, sich was Schönes vorsagen zu lassen, und sie forderte, als eine ihr zugehörige Gerechtsame, das Geständnis, sie sei die schönste aller Jungfrauen am Hofe. Diese schmeichelnde Idee wurde bald Mutter, und gebar die buhlerische Koketterie, sie ging darauf aus, Fürsten und Grafen, und die Edlen des Hofes an ihren Siegeswagen zu spannen, und wo sie es vermöchte, das gesamte Römische Reich Deutscher Nation im Triumph aufzuführen. Sie wußte diese stolze Absicht unter die Maske der Bescheidenheit zu verbergen, dadurch gelang ihre Freibeuterei nur desto besser: sie setzte, wenn sie nur wollte, jedes empfindsame Herz in Brand, und diese Sucht zu sengen und zu brennen, schien das einzige Erbstück, das aus der väterlichen Verlassenschaft auf sie gekommen war. Wenn sie ihre Absicht erreicht hatte, zog sie sich mit sprödem Kaltsinn zurück, täuschte die Hoffnung aller, die um ihre Gunst buhlten, und sahe mit mutwilliger Schadenfreude, wie geheimer Kummer die Unglücklichen folterte, und Gram und Bleichsucht an ihren vollen Wangen zehrte. Sie selbst aber hatte, mit der ehernen Mauer der Unempfindsamkeit, ihr Herz umschlossen, welche keiner ihrer Champions zu überwältigen vermochte, um sich hinein zu stehlen, und zur Wiedervergeltung es gleichfalls in Flammen zu setzen. Sie wurde geliebt und liebte nicht wieder, entweder weil ihre Stunde noch nicht gekommen war; oder weil der Ehrgeiz die zärtliche Leidenschaft überwand; oder weil ihre Gemütsart so schwankend und unbeständig war, wie die offenbare See, daß der Keim der Liebe in dem hüpfenden unruhigen Herzen nicht anwurzeln konnte. Die versuchtesten Minnesöldner, die wohl merkten, daß dem Terrain nichts abzugewinnen sei, ließen es daher nur immer bei einem blinden Angriff bewenden, schlugen oft Lärmen, und defilierten bald wieder in aller Stille seitab; machten es bald wie unsre luftigen Herren, die an jedes weibliche Herz anpochen, wenn's in einem schönen Busen schlägt; aber Hymens reine Fackel, wie die Raubtiere in den afrikanischen Wüsteneien das Feuer, scheuen. Die Minderkundigen hingegen, die mit dämischem Zutrauen, in vollem Ernste, den Angriff wagten, wurden mit Verlust ihrer Ruhe und Zufriedenheit, weil das Fräulein ihrer Schanze wohl wahrte, abgeschlagen. Seit mehrern Jahren, folgte dem Hoflager des Kaisers ein junger Graf von Klettenberg, der, einen kleinen körperlichen Fehler ausgenommen, der liebenswürdigste Mann bei Hofe war. Er

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hatte eine verrenkte Schulter, und davon den Beinamen Ulrich mit dem Bühel: seine übrigen Talente und gefälligen Eigenschaften aber machten, daß auch der strenge Areopagus der Damen, die die Wohlgestalt eines Adonis zu meistern wagen, über diese Unvollkommenheit hinwegsahe, und sie bei ihm durch keinen Tadel rügete. Er stund bei Hof in gutem Ansehen, und wußte dem schönen Geschlecht so viel Verbindliches zu sagen, daß ihm alle Damen, die Kaiserin selbst nicht ausgenommen, günstig waren. Sein Witz war unerschöpflich, neue Vergnügen zu ersinnen, und den gewöhnlichen Hoflustbarkeiten neuen Reiz und Hochgeschmack mitzuteilen, daß er sich im Frauen-Zimmer unentbehrlich gemacht hatte. Wenn der Hof, bei üblem Wetter, oder bei den bösen Launen des Kaisers, deren ihm der Vater Papst gar viele machte, in träger Langerweile schmachtete: so wurde Graf Ulrich berufen, den Geist des Mißmuts zu verscheuchen, und Fröhlichkeit und Scherz in die kaiserliche Hofpfalz wieder einzuführen. Obgleich ein Damenzirkel das eigentliche Element war, worin er lebte und webte: so wußte er doch dem schalkhaften Amor immer auszuweichen, daß ihn dieser nicht mit der Harpune seines unwiderstehlichen Wurfpfeils erreichte, und er der Leine hätte folgen müssen. Schäkerhafte Minne war sein Freudenspiel; aber wenn ihm ein Weib Fesseln zugedacht hatte, zerriß er sie, wie Simson die sieben neuen Bastseile, womit ihn seine betrügliche Buhlerin band. Er wollte nur, ebenso wie die stolze Lukrezia, Fesseln anlegen, aber keine tragen. Es konnte nicht fehlen, daß zwei so gleichgestimmte Seelen, die der Zufall einander so nahe gebracht hatte, daß sie unter einem Himmel lebten, unter einem Dache wohnten, in einem Gemach tafelten, und unter einer Laube Schatten suchten, endlich zusammentreffen und ihre Talente aneinander versuchen mußten. Lukrezia faßte den Anschlag, an dem Grafen eine Eroberung zu machen, und weil er im Rufe war, daß er der wankelmütigste Liebhaber bei Hofe sei, beschloß sie, ihn fester zu halten als ihre übrigen Champions, die sie nach den Jahreszeiten, wie die Modewelt ihre Kleider, zu wechseln pflegte, und ihn nicht eher zu entlassen, bis sie den Ruhm erlangt hätte, den unbeständigen Wandelstern fixiert zu haben. Ihn aber trieb der Ehrgeiz, mit dem schönsten Hoffräulein eine Intrike anzuspinnen, alle Nebenbuhler auszustechen, und ihnen seine Überlegenheit in der Kunst zu lieben empfinden zu lassen, und wenn sie vor ihm die Segel würden gestrichen haben, dann flugs den Anker zu lichten, und auf den Fittichen der Winde, in den Hafen eines andern liebevollen Herzens einzulaufen. Beide Mächte rüsteten sich zum wechselseitigen Angriff, und die Operationen gingen auf dem Blumengefilde der Liebe, von der einen und der andern Seite, nach Wunsch vonstatten. Es schmeichelte dem Fräulein ungemein, daß der Liebling des Hofes, auf den sie schon lange eine geheime Absicht gehabt hatte, jetzt freiwillig kam, ihren Zauberreizen zu huldigen, und daß sie Gelegenheit fand, an ihm Rache zu üben, da er ihr bisher widerstanden hatte. Seine Blicke, die vordem flüchtig vor ihr vorübereilten, waren nun allein auf sie gerichtet; er folgte ihr untrennbar, wie der Tag der Sonne. Alle Feten, die er dem Hofe gab, hatten auf sie Bezug; er zog allein ihren Geschmack bei der Anordnung derselben zu Rate, was sie gut hieß, wurde mit großer Pracht und Tätigkeit ins Werk gerichtet, und was nicht ihren Beifall hatte, wenn es auch die Kaiserin selbst proponiert hatte, kam nicht zustande. Die feinen Nasen spürten leicht aus, welcher Gottheit dieser Ambra düftete, und man sagte öffentlich, der Hof sei ein Horn, welches laute, wie Fräulein Lukrezia den Ton angebe. Die blühendsten weiblichen Physiognomien wurden gelb und bleich vor Neide, über diese ausgezeichnete Liebschaft, bei welcher alle stumme Zuschauerinnen abgeben mußten, die ihr Herz so gern bei dem Grafen angebracht hätten, oder an dem seinigen Anteil zu haben glaubten. Er opferte aber seine Eroberungen samt und sonders der schönen Bambergerin auf, und sie schenkte zur Vergeltung auch ihren Gefangenen die Freiheit wieder, umstellte das Herz keines Höflings mehr, mit Netz und Schlingen ihrer entgegenkommenden

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Zärtlichkeit, und ihr prüfendes Auge forschte nicht mehr nach den lüsternen Blicken verstohlner Anbeter. Bis hieher schritt die Intrike des zärtlichen Paares ganz in der systematischen Ordnung fort, an die sich beide Teile gebunden hatten, sie glänzten beide im Vollmond wechselseitigen Genusses. Nun war es Zeit, daß dieser sich wieder zur Abnahme neigte, und zwar dergestalt, daß die eine Hälfte ganz dem beobachtenden Seherauge verschwand und in Schatten zu stehen kam, indes die andere ihren Schimmer auch noch im letzten Viertel beibehielt. Es kam jetzt darauf an, das Minnespiel durch einen Meisterstreich zu enden, der die eine Partei vor den Augen des Hofes sicherte, daß sie nicht die betrogene sei. Des Grafen Eitelkeit hatte anfangs nichts mehr beabsichtet, als das Übergewicht über alle Nebenbuhler zu gewinnen, um sich damit zu brüsten, und wenn ihm dieses gelungen wäre, seine Eroberung zu verlassen und eine neue zu suchen. Jene Absicht war erreicht; aber unvermerkt hatte der schlaue Amor, der selten ungestraft mit sich scherzen läßt, das Spiel des Stolzes und der Eitelkeit in eine ernsthafte Herzensangelegenheit verwandelt: die schöne Lukrezia hatte sein Herz erbeutet, und ihn an ihren Triumphwagen angekettet. Sie blieb ihrem Plane treuer. Da ihr Herz noch nicht Teil genommen hatte, und sie erwog, daß ihre Reputation, als Herzensbezwingerin, auf dem Spiele stehen würde, wenn ein Insurgent ihr den Gehorsam aufkündigte, ehe sie ihn in Freiheit setzte, und die Lacher nicht auf ihrer Seite sein dürften, wenn ihr Paladin die Fesseln zerbräch, welches sie im Geheim befürchtete: so beschloß sie, ihm den Abschied zu geben, als er am eifrigsten sich um die Fortdauer ihrer Gunst bewarb. Unversehens ergab sich die Gelegenheit zu dieser Katastrophe. Graf Ruprecht von Kefernburg, ein Landsmann und Grenznachbar Graf Ulrichs von Klettenberg, zog nach Goslar, Kaiser Heinrichs gewöhnlichem Aufenthalt, um eine frische rotwangige Base an Hof zu führen. Hier sahe er die schöne Lukrezia, und sie sehen und lieben, war der gewöhnliche Fall aller Ritter und Edeln, die von den vier Winden des vaterländischen Himmels, in die altväterische Reichsstadt, welche damals das deutsche Paphos war, einritten. Seine Physiognomie hatte für die Damen wenig Empfehlendes, und die Pflegerin seiner Kindheit hatte der Mutter Natur unbedachtsamer Weise ins Amt gegriffen, ihrem Zöglinge mehr verliehen als ihm jene beschied, und ihn mit einem Auswuchs auf dem Rücken begabt, der so charakteristisch war, daß er, zum Unterschied seiner Namensvettern, Ruprecht mit dem Höcker zubenamet wurde. Körperliche Gebrechen wurden in jenen Zeiten nicht durch Schneiderkunst verhehlt, sondern öffentlich zur Schau ausgestellt, in Ehren gehalten, und sogar von den Geschichtschreibern der Nachwelt sorgfältig aufbewahrt. Die Hinker, die Stammler, die Schielenden, die Einäugigen, dies Speckwänste und die Darrsüchtigen sind noch in gutem Andenken, wenn das Gedächtnis ihrer Taten längst erloschen ist. Der Kefernburger besaß ein großes Maß von Dreustigkeit und Selbstheit. Ob ihn gleich seine Gestalt eben nicht zu großen Erwartungen in den Regionen der Liebe berechtigte, so demütigte sie ihn doch so wenig, daß ihm die Bürde auf den Schultern gleichsam zum Schwunggewichte der Eigenliebe diente, wenigstens hielt er sie nicht für eine Klippe, woran die Hoffnung seines Liebesglückes scheitern könnte. Mutig wagte er einen Angriff auf das Herz der schönen Lukrezia, und da sie eben diesen Janustempel, dev eine Zeitlang geschlossen war, wieder geöffnet hatte: so nahm sie sein Opfer mit scheinbarem Wohlgefallen an, und unter diesem glücklichen Adspekt, war Goslar ihm Elysium. Der gute Graf aus der Provinz wußte freilich nicht, daß die schlaue Hofgrazie ihr Herz nur wie einen Triumphbogen gebrauchte, durch welchen sie die Scharen, die ihre Fesseln trugen, durchpassieren ließ, der aber gar nicht von der Beschaffenheit ist, einen beständigen Aufenthalt darin zu suchen. Der zeitige Inhaber ihres Herzens ahndete seinen Fall, wie ein wankender Minister, der nicht die Entschließung hat, seinen Posten zu resignieren, sich hält, so lang er kann, und zögert, bis man ihn gehen heißt. Wenn es in seiner Macht gestanden hätte, mit seiner wankelmütigen

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Gebieterin zu brechen, so wär es ihm vielleicht gelungen, das Spiel noch zu seinem Vorteil zu drehen, den Anschein eines Verstoßenen zu verbergen, und das Auge der Lauerer irre zu führen. Er würde sich der ersten besten Liebschaft in die Arme geworfen haben. Die runde rotwangige Thüringerin kam wie gerufen, ihm zu diesem Gaukelspiel die Hand zu bieten. Allein sein ganzes Minnesystem hatte sich, durch die Dazwischenkunft einer ernsten Leidenschaft, ganz verschoben, und er hatte nun gleiches Schicksal mit den Schauspielern auf unsern Liebhabertheatern, die sich in die verliebten Rollen so hinein studieren, daß sie ihre theatralische Laufbahn mit der Hochzeit zu beschließen pflegen. Der Schmetterling, der das Licht oftmals ungestraft umgaukelt hatte, blieb daran bekleben, und die heiße Flamme vereitelte die letzten Zuckungen seines Strebens nach Freiheit. Diesen Verlust der Freiheit nahm er erst wahr, da er an seinem Landsmann, dem Kefernburger, einen Nebenbuhler entdeckte, den er zwar eben nicht fürchtete; durch welchen er aber doch belehret wurde, daß seine Geliebte das Gefühl wahrer Zärtlichkeit mit ihm nicht teile. Zum ersten Mal im Leben empfand er die Qualen unvergoltner Liebe, umsonst versuchte er's, sich durch rauschende Vergnügen zu zerstreuen, und einer Leidenschaft sich zu entschlagen, die ihm das Leben vergällte; er wurde bald inne, daß ihm die Kraft fehle, dies Vorhaben ins Werk zu richten. Er war nicht mehr der Simson, der mit den Locken den Nagel aus der Wand, oder den Dorn, der ihn verwundet hatte, aus dem Herzen hervorziehen konnte; er war der Simson, der seiner Stärke beraubt, in dem Schoße der Tyrischen Buhlschaft ruhete, die ihn überlistet hatte. Ohne Leben und Tätigkeit, schlich er trübsinnig umher, erschien selten und so einsilbig bei Hofe, daß er den Damen Langeweile machte, einige bekamen sogar Vapeurs, wenn er sich nur im Vorgemach blicken ließ: denn tiefe Schwermut hing, wie die Abendwolke, hinter welche sich die untergehende Sonne verbirgt, ihm von der Stirn herab. Seine Siegesgöttin dagegen schwebte im stolzen Triumph empor, ohne Mitleid mit dem qualenvollen Zustande ihres getreuen Paladins zu empfinden. Sie trieb vielmehr ihre Grausamkeit so weit, daß sie zuweilen in seiner Gegenwart sich nicht scheuete, alle ihre Reize auf den scheinbarlich begünstigten Nebenbuhler spielen zu lassen, und mit ihm unverhohlen zu liebäugeln. Um ihren Triumph aufs höchste zu treiben, gab sie im Frauen-Zimmer eines Tages ein großes Mahl, und als bei Sang und Saitenspiel, die Heiterkeit des Gastgebotes aufs höchste gestiegen war, traten ihre Gespielinnen zu ihr und sprachen: »Liebe, gib dem Feste einen Namen, daß wir uns des frohen Tages dabei in der Zukunft erinnern.« Sie antwortete: »Euch kommt es zu, das Fest mit einem Namen zu krönen, so Ihr es würdig achtet, seiner in der Zukunft zu gedenken.« Als aber die frohen Scharen der Gäste in sie drangen, daß sie sich nicht entbrechen konnte, ihrem Verlangen zu willfahren, nennte sie es aus Übermut, Graf Ulrichs Kettenfeier. In der Liebe ist der Zeitgeschmack so wenig perennierend, als in jedem andern Dinge. Im letzten Viertel unsers Jahrhunderts, wär Graf Ulrich mit den Schwermutsgefühlen, mit dem stillen Gram und abgehärmten Wangen an seinem Platz gewesen, keine weichgeschaffne weibliche Seele hätte ihm widerstehen können, das Mitleid würde ihm zum Hebel gedient haben, eine Herzensangelegenheit damit in Gang zu bringen. Allein zu seiner Zeit, kam er mit dieser Empfindelei um viele Jahrhunderte zu früh, und endete damit nichts, als daß er sich den Spöttereien seiner Zeitgenossen preisgab. Der schlichte Menschenverstand sagte ihm so oft, daß er auf diesem Wege seinen Zweck nicht erreichen würde, daß er endlich dem guten Ratgeber Gehör gab, nicht mehr öffentlich den seufzenden Schäfer machte, wieder Leben und Tätigkeit gewann, und den Versuch machte, die unbezwingliche Schöne mit ihren eignen Waffen zu bekämpfen. »Eitelkeit«, sprach er, »ist der anziehende und zurückstoßende Pol dieses Magneten; aus Eitelkeit begünstiget und verstößt die Stolze ihre Buhler, darum will ich diese Leidenschaft also nähren, daß sie laut im Herzen die Stimme erheben und für mich das Wort reden soll.« Er trat

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alsbald wieder in seine alte Laufbahn ein, machte wie vorher der spröden Prinzessin den Hof, kam allen ihren Wünschen zuvor, und bestürmte sie mit Opfern, die der weiblichen Eitelkeit zu schmeicheln pflegen. Ein reicher Augsburger, der aus Alexandria über Meer kam, bot der Kaiserin ein herrliches Kleinod zu Kauf an, das sie von sich wies, weil's ihr zu teuer war. Graf Ulrich handelte es an sich, verschrieb seine halbe Grafschaft dafür, und machte seiner Herzgebieterin ein Geschenk damit. Sie nahm das Juwel an, heftete damit, bei einer Hofgala, den Schleier auf die blonden Flechten ihres seidenen Haares, erregte bei allen Putzschwestern am Hofe Herzdrücken und Krämpfe, äugelte dem Ausspender freundlich zu, verwahrte darauf ihre Trophäe in dem Schmuckkästlein, und in wenig Tagen war der Graf und sein Kleinod vergessen. Er ließ sich gleichwohl nicht irre machen, fuhr fort, durch neue Geschenke die alten bei ihr wieder ins Andenken zu bringen, und alles aufzutreiben, ihren eitlen Sinn zu vergnügen. Dieser Aufwand nötigte ihn, die andre Hälfte seiner Grafschaft gleichfalls zu verpfänden, daß ihm davon nichts übrig blieb als Wappen und Titel, worauf kein Wuchrer etwas leihen wollte. Indessen fiel seine übermäßige Verschwendung täglich mehr in die Augen, weshalb die Kaiserin ihn selbst darüber zur Rede stellte, und ihn abmahnte, sein väterliches Erbgut nicht so unweislich zu vergeuden. Da offenbarte ihr der Graf sein Anliegen und sprach: »Allergnädigste Frau, Euch ist meine Liebschaft unverborgen, Lukrezia die zarte Dirn hat mir das Herz gestohlen, daß ich ohne sie nicht leben mag. Aber wie sie's mit mir treibt, wie sie mich mit trüglicher Minne neckt, davon weiß Euer ganzer Hof zu sagen. Möchte mir wohl schier die Geduld darüber ausreißen, dennoch kann ich nicht von ihr ablassen. All mein Hab und Gut hab ich daran gesetzt, ihre Gunst zu erlangen; aber ihr Herz ist mir verschlossen, wie der Freudenhimmel einer abgeschiedenen Seele unter dem Kirchenbann, ob mir ihr Auge gleich oftmals Minneglück vorlügt. Darum begehr ich von Euch, daß Ihr, wo sie keine rechtliche Einrede hat, meine Hand zu verschmähen, sie mir zum ehelichen Gemahl beileget.« Die Kaiserin verhieß, die Werbung für ihn bei dem Fräulein zu übernehmen, und sie zu überreden, seine Liebestreue nicht länger auf die Probe zu stellen, sondern mit reiner Gegenliebe zu belohnen. Ehe sie noch Zeit gewann, bei der stolzen Lukrezia sich für ihn zu verwenden, begehrte Graf Ruprecht mit dem Höcker bei ihr Gehör, und redete also: »Huldreichste Kaiserin, eine Jungfrau aus Eurem Gefolge, die keusche Lukrezia, hat meinen Augen gefallen, und mir ihr Herz zugewandt, darum komm ich, um Vergünstigung zu bitten, sie als meine Braut heimzuführen, und nach der Ordnung der christlichen Kirche mich mir ihr zu vermählen, so Ihr anders Gefallen traget, ihre Hand in die meinige zu legen, und die edle Jungfrau von Euch zu lassen.« – Ihr' Hoheit war begierig zu vernehmen, was der Graf für Ansprüche an ein Herz habe, das bereits eines andern Eigentum sei, und war sehr unwillig, da sie vernahm, daß ihre Favoritin mit zwei Edeln des Hofes, zu gleicher Zeit, ein Liebesverständnis unterhalten habe, welches zu damaliger Zeit ein verpönter Handel war, woraus nichts minder, als ein Zweikampf auf Leben und Tod zu befahren stund, denn in dergleichen Fällen pflegte kein Nebenbuhler dem andern, seine vermeinte Gerechtsame ohne Blutvergießen zu zedieren. Doch beruhigte sie sich einigermaßen, da beide Parteien sie zur Oberschiedsrichterin in der Sache erwählet hatten, und zu vermuten stund, daß sie ihrer Entscheidung sich mit pflichtschuldigstem Gehorsam unterwerfen würden. Sie berief das Fräulein zu sich in ihr heimlich Gemach, und ließ sie mit harten Worten an: »Du Balg«, sprach sie, »welche Verwirrung stiftest du am Hofe, mit deiner frevelhaften Minne? Die Junker sind all wild auf dich, laufen mich mit Lamenten und Bitten an, dich von mir zur Ehe zu begehren, weil sie nicht wissen, wie sie mit dir dran sind. Du ziehst jeden stählernen Helm an dich, wie ein Magnet das Eisen, treibst dein leichtfertiges Spiel mit Ritter und Knappen, und verschmähest doch das Gelübde ihrer Huldigung. Ziemt es einer sittsamen Jungfrau, mit zwei Parten zu gleicher Zeit zu liebäugeln, und sie am Narrenseil zu führen? Ins Angesicht ihnen zu

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liebkosen, ihre Hoffnung zu ermuntern, und hinterm Rücken ihnen den Gecken zu stechen? – Das mag dir nicht ungenossen ausgehen. Einer von den beiden ehrsamen Gesellen soll dir zuteil werden, Graf Ulrich mit dem Bühel, oder Graf Ruprecht mit dem Höcker. Flugs wähle, bei Vermeidung meiner Ungnade.« Lukrezia erbleichte, da ihre Frau, die Kaiserin, also ihre Liebeleien rügte, und ihr den Text so scharf las. Sie hatte nicht vermutet, daß diese kleinen Buschkleppereien der Liebe, vor der höchsten Instanz im Heiligen Römischen Reiche würden gerichtet werden. Darum tat sie der strengen Domina einen demütigen Fußfall, benetzte ihre Hand mit milden Zähren, und nachdem sie sich von ihrer Bestürzung erholet hatte, redete sie also: »Zürnet nicht, großmächtige Frau, wenn mein geringer Reiz Euren Hof ver-unruhiget; ich wasche meine Hände in Unschuld. Ist's nicht überall der Höflinge Art, daß sie den jungen Dirnen frei ins Auge sehen? Wie kann ich's ihnen wehren? Aber ich habe sie mit nichten zu Hoffnungen ermuntert, die ihnen den Besitz meines Herzens verhießen. Dieses ist noch mein freies Eigentum, damit nach meinem Willen zu schalten. Darum wollet Ihr Eure demütige Magd verschonen, ihr durch Zwang und Geheiß einen Gemahl aufzudringen, dem das Herz widerstehet.« »Deine Worte sind in den Wind geredet«, antwortete die Kaiserin, »du sollst mich mit deiner Ausrede nicht eintreiben, daß ich andres Sinnes werde. Ich weiß wohl, daß du aus deinen Basiliskenaugen, der Liebe süßes Gift in das Herz der Grafen und Edeln meines Hofs ergossen hast, nun magst du die Minneschuld abbüßen, und selbst die Fesseln tragen, womit du die Buhlen gebunden hast: denn ich will mein Haupt nicht eher sanfte legen, bis ich dich habe unter die Haube gebracht.« Als die gedemütigte Lukrezia den großen Ernst der Kaiserin sahe, wagte sie keinen Widerspruch weiter, um sie nicht noch mehr zum Zorne zu reizen, sondern sann auf eine List, um durch diese Falltür zu entrinnen. »Huldreiche Gebieterin«, sprach sie, »Euer Befehl ist für mich das eilfte Gebot, dem ich so gut Gehorsam schuldig bin, als den übrigen zehen. Ich ergebe mich in Euren Willen, nur erlasset mir die Wahl unter den beiden Ehewerbern. Sie sind mir beide wert, und ich mag keinen erzürnen. Darum vergönnet, daß ich ihnen eine Bedingung vorlege, unter welcher ich den, der solcher Gnüge leistet, zum ehelichen Gemahl anzunehmen mich nicht weigern will; wofern Ihr mir bei Kaiserwort und Ehre verheißet, daß ich meiner Zusage quitt und ledig sei, wenn sie nicht, durch deren Erfüllung, zum Ritterdank meine Hand verdienen wollen.« Die Kaiserin war mit dieser scheinbaren Unterwürfigkeit der schlauen Lukrezia wohl zufrieden, und billigte den Vorschlag, durch eine Aufgabe die Liebhaber zu hetzen, ihre Standhaftigkeit zu prüfen, und dem Würdigsten als eine Siegesbeute sich zu ergeben. Sie gestund ihr, bei Kaiser-wort und Ehren, die Bedingung zu und sprach: »Sage an, um welchen Preis der wackerste der beiden Sponsen dein Herz verdienen soll.« Das Fräulein erwiderte lächelnd: »Um keinen ändern Preis, als um den, daß sie Bühel und Höcker ablegen, die sie zur Schau tragen. Mögen sie zusehen, wie sie sich der Bürden entledigen. Ich begehre mit keinem Ehewerber den Ring zu wechseln, der nicht sei gerad wie eine Kerze, und schlank wie eine Tanne. Euer Kaiserwort und Ehre sichern mich, daß weder Bühel noch Höcker die Braut heimführen werde, bis der Bräutigam des Tadels ledig ist.« »O du arglistige Schlange!« sprach die zornmütige Fürstin, »hebe dich weg aus meinen Augen, du hast mein Kaiserwort mir trüglich abgelockt, doch darf ich's nicht zurücke nehmen, weil ich es geredet habe.« Sie wendete mit Unwillen ihr den Rücken zu, daß sie also überlistet war, und mußte der schlauen Lukrezia das Spiel gewonnen geben. Beiläufig wurde sie dadurch belehrt, daß ihr eben nicht die glücklichsten Talente verliehen waren, in Liebesangelegenheiten eine Unterhändlerin abzugeben, doch tröstete sie sich leicht damit, daß die Inhaberin eines Throns jene entbehren könnte. Sie ließ beiden Prätendenten den schlechten Erfolg ihrer guten Dienste wissend machen, und Graf Ulrich war über diese traurige Botschaft untröstlich. Insonderheit fand

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er es kränkend, daß die stolze Lukrezia solchen Mutwillen trieb, und ihm gleichsam sein Leibesgebrechen vorwarf, dessen er sich nicht mehr bewußt war, weil ihn niemand bei Hofe daran erinnert hatte. »Konnte die freche Dirne«, sprach er, »keinen glimpflichern Vorwand finden, mich ehrlich, wie den großen Haufen ihrer Anbeter zu verabschieden, nachdem sie mich rein ausgeplündert hat? Mußte sie gerade durch die Bedingung, die es mir unmöglich macht, den Besitz ihres Herzens zu erlangen, das meinige noch mit einem giftigen Natterstich verwunden? Hab ich es wohl um sie verdient, daß sie mich als einen Verworfenen mit den Füßen von sich stößt?« Voll Scham und Verzweiflung verließ er das Hoflager, ohne Abschied zu nehmen, wie ein Ambassadeur, wenn ein naher Friedensbruch bevorstehet, und politische Klüglinge weissagten, aus dieser plötzlichen Verschwindung, der Übermütigen des Grafen strenge Rache. Sie aber kümmerte das wenig, sie saß wie eine lauersame Spinne, im Mittelpunkt ihres luftigen Gewebes, in stolzer Ruhe, und hoffte, daß bald wieder eine herumschwirrende Mücke an einem ihrer ausgespannten Fäden zucken, und ihr zur neuen Beute heimfallen würde. Graf Ruprecht mit dem Höcker hatte sich zum Sittenspiegel das Sprüchlein dienen lassen: Gebrannt Kind lernt das Feuer scheuen, er ging ihr aus dem Garne, ehe er seine Grafschaft in ihr Schmuckkästlein deponiert hatte, und sie ließ ihn davonflattern, ohne ihm die Schwingen auszuraufen. Eigennutz war nicht ihre Leidenschaft. Bei einem goldnen Eierschatze im Hinterhalte, und im blühenden Lenz des Lebens, wär er auch die seltsamste denkbare Verirrung des Geistes gewesen. Nicht der Besitz der Güter, sondern die Aufopferung des Grafen machte ihr Freude, daher konnte sie den bösen Leumund des Gerüchtes, und die Vorwürfe der Kaiserin nicht ertragen, die ihr täglich vorhielt, daß sie den Grafen zugrunde gerichtet habe. Darum faßte sie den Entschluß, des ungerechten Mammons sich auf eine Art zu entledigen, die der Eitelkeit dennoch schmeichelte, und ihren Ruf auf eine vorteilhafte Art ausbreitete. Sie stiftete ein adliches Jungfrauenkloster, auf dem Rammelsberg bei Goslar, und dotierte dieses so reichlich, als Madame Maintenon, mit König Ludwigs Spesen, das Fräuleinstift Sanct Cyr, ihr geistliches Elysium, in der religiösen Epoke ihres Lebens. Ein solches Denkmal der Andacht war damals vermögend, einer Laïs den Geruch der Heiligkeit zu erwerben. Die milde Stifterin wurde als ein Muster der Tugend und Frömmigkeit gepriesen, und alle Flecken und Narben ihres sittlichen Charakters waren dadurch vor den Augen der Welt verschwunden. Selbst die Kaiserin verzieh es, daß sie ihrem Günstling so übel mitgespielt hatte, da sie inne ward, zu welcher Absicht die fromme Räuberin den Gewinn ihrer Freibeuterei anwendete, und um den verarmten Grafen einigermaßen zu entschädigen, wirkte sie einen Panisbrief vom Kaiser für ihn aus, den sie ihm nachschicken wollte, sobald der Ort seines Aufenthalts ihr kund würde. Indessen zog Graf Ulrich über Berg und Tal, hatte die trügliche Minne abgelobt und abgeschworen, und weil er im Zeitlichen kein Glück mehr zu machen vermutete, wandelte ihn ein plötzlicher Überdruß der Welt an, er schlug sich zur Partei der Malkontenten unter den Weltkindern, und wurde Sinnes, zum Heil seiner Seele, eine Wallfahrt zum Heiligen Grabe zu tun, und nach seiner Rückkehr, sich in ein Kloster zu verschließen. Ehe er aber die Grenze des deutschen Vaterlandes überschritt, hatte er noch einen schweren Strauß von Dämon Amor auszuhalten, der ihn wie einen Besessenen marterte, wenn er die alte Wohnung zu verlassen exorzisiert wird. Das Bild der stolzen Lukrezia drängte sich, bei aller Mühe es auszulöschen, seiner Phantasie von neuem unwiderstehlich auf, und folgte überall seinen Schritten, wie ein Plagegeist. Die Vernunft befahl dem Willen, die Undankbare zu hassen; aber der störrische Subaltern lehnte sich gegen seine Gebieterin auf, und versagte ihr den Gehorsam. Die Abwesenheit goß, bei jedem Schritte der weitern Entfernung, ein Tröpflein Öl ins Feuer der Liebe, daß diese nimmer verlöschte, die schöne Natter war des Ritters Gedankenspiel, auf dem Wege der traurigen Wanderschaft. Oft stund er in der Versuchung, zu den Fleischtöpfen Aegypti

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umzukehren, und nicht in dem Gelobten Lande, sondern in Goslar das Heil seiner Seelen zu suchen. Mit gefoltertem Herzen, das unter dem Kampfe zwischen Welt und Himmel erlag, setzte er seine Reise fort; aber wie ein Schiff, das mit konträrem Winde segelt. In diesem qualenvollen Zustande, streifte er in den tirolischen Gebürgen herum, und hatte beinahe die welsche Grenze, unfern von Roveredo erreicht, als er sich in einem Walde verirrte, ohne eine Herberge anzutreffen, wo er übernachten konnte. Er band sein Pferd an einen Baum, und legte sich daneben ins Gras, denn er war sehr ermüdet; minder von den Beschwerlichkeiten der Reise, als von dem innern Seelenkampfe. Der Tröster in Beschwerden, der güldne Schlaf drückte ihm bald die Augen zu, und machte ihn auf einige Zeit seines Ungemachs vergessen. Da schüttelte ihn plötzlich eine kalte Hand, wie die Hand des Todes, und erweckte ihn aus seinem tiefen Schlummer. Als er erwachte, fiel ihm die Gestalt eines hagern alten Weibes ins Gesichte, die sich über ihn herbeugte, und ihm mit einer Handlaterne unter die Augen leuchtete. Bei diesem unerwarteten Anblick, überlief ihn die Haut mit einem kalten Schauer, er meinte, er sähe ein Gespenst. Doch verließ ihn seine Herz-haftigkeit nicht ganz, er raffte sich auf und sprach: »Weib, wer bist du, und warum unterfängst du dich, meine Ruhe zu stören?« Die Alte antwortete: »Ich bin die Kräuterfrau der Signora Dottorena aus Padua, die hier auf ihrer Meierei lebt, und mich ausgesandt hat, ihr Kräuter und Wurzeln zu suchen von großer Kraft und Wirkung, wofern sie in der Mitternachtstunde gegraben werden. Ich fand Euch auf meinem Wege, und hielt Euch für einen Erschlagenen, der unter die Mörder gefallen wär. Darum rüttelt und schüttelt ich Euch baß, um zu sehen, ob noch Leben in Euch sei.« Durch diese Rede hatte sich der Graf, vom ersten Schrecken, wieder erholet und frug: »Ist die Wohnung deiner Gebieterin fern von hier?« Die Alte erwiderte: »Ihr Landhaus liegt dort allernächst im Grunde, ich komme eben davon her. So Ihr eine Nachtherberge von ihr begehret, wird sie Euch solche nicht versagen. Aber hütet Euch, das Gastrecht zu verletzen: sie hat eine liebreizende Tochter, die dem Mannsvolk nicht abhold ist, und mit funkelnden Augen den Fremdlingen ins Herz siehet. Die Mutter bewahret ihre Keuschheit, wie ein Heiligtum. Sofern sie bemerken würde, daß ein unbescheidener Gast der Signora Ughella zu tief in die Augen sähe, verzauberte sie ihn auf der Stelle; denn sie ist eine mächtige Frau, welcher die Kräfte der Natur, und die unsichtbaren Geister unter dem Himmel zu Gebote stehen.« Der Reisige achtete wenig auf diese Rede, er trachtete nur nach einem guten, gastfreundlichen Bette, um der nötigen Ruhe zu pflegen, und ließ sich um das übrige unbekümmert. Er zäumte ungesäumt sein Pferd auf, und war bereit, der hagern Wegweiserin zu folgen. Sie geleitete ihn, durch Büsche und Gesträuche, in ein angenehmes Tal hinab, durch welches ein rascher Bergstrom brauste. Auf einem, mit hohen Ulmenbäumen bepflanzten Wege, gelangte der ermüdete Pilger, indem er sein Pferd am Zügel führte, an die Gartenwand des Landhauses, welches vom aufgehenden Monde beleuchtet, schon in der Entfernung einen reizenden Anblick gewährte. Die Alte öffnete eine Hintertür, durch welche der Ankömmling in einen wohlangelegten Lustgarten gelangte, in dem die plätschernden Gewässer der Springbrunnen die schwüle Abendluft erfrischten. Auf einer Terrasse des Gartens lustwandelten einige Damen, diese angenehme Kühlung, und den Anblick des freundlichen Mondes, in der wolkenfreien Sommernacht zu genüßen. Die Alte erkannte darunter die Signora Dottorena und introduzierte bei ihr den fremden Gast, welchen die Eigentümerin des Landhauses, da sie an seiner Rüstung sahe, daß er nicht gemeinen Standes war, mit Anständigkeit empfing. Sie führte ihn in ihre Wohnung ein, und ließ eine niedliche Abendmahlzeit nebst allerlei Erfrischungen auftragen. Beim hellen Schimmer der Wachskerzen hatte der Graf Gelegenheit, seine Wirtin, nebst ihrer Hausgenossenschaft, während der Mahlzeit mit aller Bequemlichkeit zu betrachten. Sie war eine Frau von mittlerm Alter und edler Physiognomie. Aus ihren braunen Augen sahe Klugheit und Würde hervor, und ihr welscher Mund öffnete sich, mit Anmut und Wohllaut, zum Sprechen.

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Signora Ughella, ihre Tochter, war die reinste weibliche Form, welche die warme Phantasie des Künstlers hervorzubringen vermag. Zärtlichkeit war der Ausdruck ihrer ganzen Figur, und der schmelzende Blick ihrer Augen durchdrang unwiderstehlich, wie der elektrische Strahl aus den Wolken, jeden Panzer und Harnisch, der ein empfindsames Herz umschloß. Das Gefolge der beiden Damen bestund aus drei Jungfrauen, die den Nymphen der keuschen Diana, von Raphaels Pinsel, an Anmut glichen. Außer Sir John Bunkel, dem glücklichen Mädchenspäher, der hinter jeder schroffen Felsenwand, in Schlüften und Höhlen, ein Gynäceum von reizenden Dirnen entdeckte, ist es keinem Sterblichen so gut worden, als dem Grafen Ulrich von Klettenberg, von einem so angenehmen Abenteuer überrascht zu werden, als dieses war: da er so unverhofft, aus der nächtlichen Einsamkeit einer unbekannten Wildnis, an einen Lustort, den die Liebesgötter zum Aufenthalte schienen erkoren zu haben, sich versetzt sahe. Er glaubte wenig von Zauberei, und achtete nicht darauf; demungeachtet hatten Nacht und Einsamkeit, die Erscheinung der Alten und ihre Reden, einigen Eindruck auf ihn gemacht, daß ihm etwas Übernatürliches von dem ländlichen Palaste ahndete, in welchen er eingeführet wurde. Anfangs trat er mit Mißtrauen in die reizende Versammlung der Damen ein, die er daselbst vor sich fand; in der Folge war aber so wenig an der Signora Dottorena, als an ihren Gesellschafterinnen, etwas von magischer Zauberei abzumerken, daß er wegen dieses irrigen Verdachtes, den Bewohnerinnen der schönen Villa, im Herzen Abbitte und Ehrenerklärung tat, und ihnen keine andern Künste, als die Bezauberungen der Liebe, wozu sie insgesamt ungemeine Talente zu besitzen schienen, beimaß. Die freundliche Aufnahme, deren er genoß, erfüllte sein Gemüt mit Ehrfurcht und Achtung, gegen die liebreiche Wirtin und ihr reizendes Gefolge; doch Freund Amor, der in diesem Tempel zu präsidieren schien, hatte keine Macht über ihn, eine neue Schalkheit auszuüben. Er verglich im Geheim die jugendlichen Schönheiten, mit welchen er umgeben war, mit der Wohlgestalt der unüberwindlichen Lukrezia, und sein Herz entschied zu ihrem Vorteil. Nach einer köstlichen Ruhe, die er genossen hatte, wollte er sich in aller Frühe wieder empfehlen und seine Reise weiter fortsetzen; aber die Frau vom Hause ersuchte ihn auf eine so verbindliche Art, zu bleiben, und Signora Ughella bat, mit einem so unwiderstehlichen Blick, ihrer Mutter diese Gefälligkeit nicht zu versagen, daß er Gehorsam leisten mußte. Es fehlte nicht an mancherlei Zeitkürzungen und abwechselnden Vergnügen, den Gast aufs angenehmste zu unterhalten: man tafelte, promenierte, scherzte und kosete auf eine Art, daß der feine Höfling dadurch Gelegenheit bekam, sich von dieser Seite aufs vorteilhafteste zu zeigen. Abends gaben die Damen eine musikalische Akademie, sie waren insgesamt der Tonkunst wohl erfahren, und die welschen Kehlen bezauberten das Ohr des deutschen Dilettanten. Zuweilen wurde, unter der Begleitung einer Spitzharfe und Querflöte, ein kleiner Ball eröffnet, und im Tanzen suchte Graf Ulrich seinen Meister. Seine Gesellschaft schien den Damen ebenso angenehm zu sein, als ihm die ihrige behagte, und wie das gesellschaftliche Vergnügen sich immer lieber mit einem kleinen Zirkel, als mit dem lästigen Geräusch zahlreicher Assembleen vereinbart; auch Vertraulichkeit das Band der Zunge dort leichter löst, und der traulichen Offenherzigkeit den Zugang gestattet: so gewannen die Gespräche zwischen Wirtin und Gast, da sie sich nicht über die Gemeinplätze der Wetterbeobachtungen, der Moden und politischen Angelegenheiten hinwälzten, täglich mehr Anziehendes und Zutrauliches. An einem Morgen nach dem Frühstück, lustwandelte die Signora mit ihrem noch unbekannten Gaste im Garten, und führte ihn abseits in eine Laube. Sie hatte, seit der ersten Bekanntschaft mit dem Fremdling, eine geheime Schwermut an ihm bemerkt, welche der wonnige Aufenthalt in ihrem kleinen Tempe nicht hatte vermindern können. Signora war ein Frauenzimmer, so klug und verständig sie auch war, konnte sie doch das Attribut ihres Geschlechts, den Hang zur Neugierde, mit aller Weisheit nicht verleugnen; und so sehr, nach dem beglaubten Zeugnis ihrer Kräuterfrau, die unsichtbaren Geister unter dem Himmel ihr zu Gebote stehen mochten: so hatten sie, allem

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Vermuten nach, von dem fremden Gaste im Hause ihr nichts veroffenbaret. Sie wußte nicht, wer er war, von wannen er kam, und wo er hingedachte, und alles das wünschte sie gleichwohl zu wissen, ihre Neugier zu vergnügen. Also ersahe sie diese Gelegenheit ihn auszuforschen, und da er ihr Verlangen nur von ferne merkte, war er willig und bereit, solchem Gnüge zu leisten, und erzählte ihr, mit historischer Treue, seinen ganzen Lebenslauf, verschwieg ihr auch nicht den Liebeshandel mit der stolzen Lukrezia, und schüttete ihr sein ganzes Herz aus. Diese Vertraulichkeit nahm sie sehr günstig auf, erwiderte solche mit ähnlicher Offenherzigkeit, und offenbarte ihm ihre Domestica gleichfalls. Er erfuhr dadurch, daß sie aus einem angesehenen adlichen Geschlecht aus Padua abstamme, als eine frühzeitige Waise von ihren Vormündern sei gezwungen worden, einen reichen Arzt von hohem Alter zu heuraten, der in natürlichen Geheimnissen große Erfahrung gehabt; aber über dem mißlungenen Prozeß sich zu verjüngen, welcher dem rätselhaften Grafen Cagliostro, der Sage nach, besser geglückt hat, und ihm zu einem nestorischen Alter von dreihundert Jahren soll verholfen haben, den Geist aufgegeben. Durch ihres Mannes Tod sei sie die Erbin eines beträchtlichen Vermögens, und des Nachlasses seiner Schriften worden. Weil ihr eine zweite Verbindung einzugehen nie gelüstet hätte, wär sie in der Einsamkeit ihres Wittums darauf verfallen, die Schriften des Erblassers zu studieren, wodurch es ihr gelungen sei, verschiedene nicht gemeine Kenntnisse in den verborgenen Wirkungen der Natur zu erlangen. Zugleich habe sie die Arzneikunst getrieben, und dadurch sich einen solchen Ruhm erworben, daß die hohe Schule ihrer Vaterstadt den Doktorhut ihr aufgesetzt, und einen öffentlichen Lehrstuhl zugestanden habe. Die natürliche Magie sei inzwischen immer das Lieblingsfach ihrer Studien gewesen, weshalb sie das Volk für eine Zauberin halte. Den Sommer pflege sie, nebst ihrer Tochter und deren Gespielinnen, auf diesem angenehmen Meierhofe zuzubringen, welchen sie, um der Alpenkräuter willen in den Tirolischen Gebürgen, erkauft habe; im Winter halte sie sich zu Padua auf, und lehre daselbst die Geheimnisse der Natur. Ihr Haus sei dort, um der jungen Lecker willen, allen Mannspersonen verschlossen, ausgenommen der Hörsaal, der den Zöglingen des Hippokrates offen stehe. Auf dem Lande sei ihr dagegen jeder Gast willkommen, der die Ruhe des Hauses nicht störe. Die Signora lenkte hierauf wieder auf die unglückliche Liebe des Grafen ein, und schien gutmütig an seinen Schicksalen teilzunehmen; insonderheit konnte sie ihm ihre Verwunderung nicht bergen, daß er der Undankbaren noch mit so fester Anhänglichkeit ergeben sei. »Edler Graf«, sprach sie, »Euch stehet schwerlich zu helfen, da Ihr lieber der Liebe Schmerzen dulden, als die Süßigkeit der Rache schmecken wollt, die der Verschmäheten Labsal ist. Wenn Ihr die Grausame hassen könntet, so wär es leicht, Euch ein Mittel anzuzeigen, wie Ihr sie zu Schande und Spott machen, und ihr zwiefach alles Unrecht, das sie Euch bewiesen hat, vergelten könntet. Ich weiß ein Limonadenpulver zu bereiten, das die Eigenschaft hat, heiße Liebesglut in dem Herzen derjenigen Person gegen die anzufachen, von welcher der Liebesbecher dargereicht wird. Wenn Eure Spröde nur mit den Lippen von dem Zaubertranke kostete, würde alsbald ihr Herz gegen Euch entbrennen; wenn Ihr nun sie ebenso verächtlich von Euch stießet, wie sie Euch getan hat, Euer Ohr für ihre Liebkosungen verschlösset, und ihrer Seufzer und Tränen spottetet: so wäret Ihr vor den Augen des deutschen Kaiserhofes und aller Welt an ihr gerochen. Wofern Ihr aber den raschen Minnetrieb nicht bezähmet hättet, und die ungestüme Flamme den brennbaren Zunder wieder entzündete, daß Ihr die Unbesonnenheit beginget, das untrennbare Bündnis mit der Sirene einzugehen: so würdet Ihr eine Furie zum Weibe bekommen, die Euer Herz mit der Schlangengeißel ihrer Wut zerfleischte: denn wenn die Kraft des Pulvers verdünstet ist, bleibet Haß und Groll in der toten Kohle der ausgebrannten Leidenschaft zurück. Wahre Liebe, die durch süße Einigung zwei gleichgestimmte Seelen ineinander schmelzt, bedarf keines Limonadenpulvers, die Gefühle der Zärtlichkeit zu erwärmen. Darum, wo Ihr wahrnehmet, daß die feurigste Liebe oft die kältesten Ehegatten macht, möget Ihr gedenken, daß nicht die

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Sympathie, sondern das Limonadenpulver die Liebenden zusammengepaaret hat; es findet guten Vertrieb in Eurem Vaterlande, und gehet stark über die Alpen.« Graf Ulrich bedachte sich ein wenig und antwortete darauf: »Die Rache ist süß; aber süßer noch die Liebe, welche mich an die Unerbittliche fesselt. Ich empfinde das Beleidigende ihres Übermutes tief in meiner Seele, dennoch kann ich sie nicht hassen. Ich will sie fliehen, wie eine Schlange, die mich verwundet hat; aber diesen Mutwillen nicht rächen, sondern ihr verzeihen, und ihr Bild, dieweil ich lebe, in meinem Herzen tragen.« Die welsche Dame machte die Bemerkung, daß die Empfindlichkeit ihres Volkes sich anders arte als die deutsche, und daß eine Beleidigung von der Art, nach ihres Landes Brauch und Sitte, unverzeihlich sei. Doch billigte sie des Grafen gutmütige Denkungsart, und riet ihm, mit einem so liebevollen Herzen, lieber über das tirolische Gebürge zu den Füßen seiner Herzensgebieterin wieder zurückzueilen, und ihre Mißhandlungen zu erdulden, als das Vorhaben auszuführen, eine in seiner Lage unfruchtbare Wallfahrt zum Heiligen Grabe zu tun. So gegründet er indessen diesen guten Rat fand, so wenig bezeigte er Lust, von dem einmal gefaßten Entschlusse abzustehen, worüber die kluge Frau ohne weitere Einrede lächelte. Nach einigen Tagen kam er, sich bei der freundlichen Wirtin und ihrer schönen Gesellschafterin zu beurlauben, und sie vergönnte ihm jetzt den Abzug nach seinem Gefallen. Am Vorabend des zur Reise anberaumten Tages, waren die Damen alle sehr heiter, selbst die Signora, welche ihre Würde und Ernsthaftigkeit nicht leicht ablegte. Diesmal bezeigte sie gleichwohl ein Verlangen, mit ihrem Gaste zum Valet noch eine Sarabande zu tanzen. Der Graf hielt sich dadurch sehr geehrt, und tat sein Bestes, sich als ein guter Tänzer zu signalisieren, welches der Dame so wohl zu gefallen schien, daß sie die Touren des Tanzes mehrmals wiederholte, bis beide Parten ermüdet waren, und dem Grafen der Schweiß auf der Stirne stund. Als der Tanz geendiget war, führte ihn die flinke Tänzerin, unter dem Schein sich ein wenig zu verkühlen, in ein Kabinett besonders, und nachdem sie die Tür zugetan hatte, nestelte sie ihm, ohne ein Wort zu sagen, das Wammes auf, welches den Grafen von der ehrbaren Frau Wunder nahm; doch ließ er es geschehen, weil er in dem Augenblick nicht wußte, wie er sich in diesem Falle, der ihm noch bei keinem Frauenzimmer vorgekommen war, verhalten sollte. Dieser Verlegenheit machte sich die Signora Dottorena zu Nutzen, touschierte mit gewandter Hand die Schulter des Grafen, rückte und drehete daran hin und her, und zog bald darauf etwas aus dem Wammes hervor, das sie flugs in die Schublade einer Truhe verbarg, die sie sogleich verschloß. Die ganze Operation war in wenig Sekunden getan, worauf die Tochter des Aeskulap den duldsamen Patienten vor den Spiegel führte und sprach: »Sehet da, edler Graf! die Bedingung, unter welcher die spröde Lukrezia Euch den Besitz ihres Herzens zugesichert hat, ist erfüllt. Meine Hand hat dem kleinen Makel Eurer körperlichen Vollkommenheit abgeholfen: Ihr seid jetzt so schlank wie eine Tanne, und so gerade wie eine Kerze. Laßt Eure Traurigkeit nun schwinden, und ziehet getrosten Mutes nach Goslar: denn der Eigensinn des Fräuleins hat keinen Vorwand mehr, Euch zu täuschen.« Graf Ulrich staunte seine eigne Gestalt lange schweigend im Spiegel an, das Übermaß der Verwunderung und Freude machte ihn jetzt so stumm, wie vorhin die Verlegenheit. Er ließ sich auf ein Knie nieder, faßte die wohltätige Hand, welche die Anomalie seines körperlichen Ebenmaßes so glücklich weggenommen hatte, und fand endlich Worte, die innigste Dankbegierde seiner Wohltäterin kund zu machen. Sie führte ihn wieder in den Saal zur Gesellschaft zurück: Signora Ughella und ihre drei Gespielinnen klatschten vor Freuden in die Hände, da sie den herrlichen jungen Mann erblickten, der nun ganz ohne Tadel war. Vor Ungeduld, seine Rückreise anzutreten, konnte er die Nacht kein Auge schließen. Es gab für ihn kein Heiliges Land mehr: seine Sinnen und Gedanken waren nur auf Goslar gerichtet. Er erwartete den Anbruch der Morgenröte mit sehnlichem Verlangen, verabschiedete sich von der

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Signora Dottorena und ihren Gesellschafterinnen. Eilig beflügelte er die Füße des Rosses, durch den Stachel seiner ritterlichen Sporen, und trabte voll schmeichelhafter Hoffnung immer den Weg nach Goslar zurück. Die Sehnsucht, mit der schönen Lukrezia wieder einerlei Luft zu atmen, unter einem Dache zu hausen, in einem Gemach zu tafeln, und den Schatten eines Baumes mit ihr zu teilen, ließ ihm nicht Zeit, an den lehrreichen Wahlspruch des Kaiser Augusts zu gedenken: Eile, mit Weile! Als er bei Brixen die Bergstraße herabritt, gleitete sein Rosinant aus, und er tat einen schweren Fall, daß er den Arm an einem Stein zerschellete. Dieser Aufenthalt auf der Reise bekümmerte ihn sehr: er fürchtete, Lukrezia möchte in seiner Abwesenheit ihr Herz versagt haben, von einem glücklichen Eroberer sich zum Altare fortreißen lassen, und solchergestalt es ihm unmöglich machen, sie beim Worte zu halten. Um sich auf allen Fall sicher zu stellen, schrieb er einen Brief an seine große Gönnerin, die Kaiserin, worinnen er ihr authentischen Bericht von seinem Abenteuer, und auch von dem erlittenen Unfall erteilte, nebst angefügter demütiger Bitte, nichts davon bis zu seiner Ankunft laut werden zu lassen, und schickte damit einen reitenden Boten eilends nach Hofe. Ihr' Hoheit war aber das Talent der Verschwiegenheit nicht verliehen: ein Geheimnis drückte sie auf dem Herzen, wie ein enger Schuh auf dem Leichdorn. Daher machte sie die empfangene Depesche beim nächsten Courtage der sämtlichen Antischamber kund, und da der erste Kämmerling und Hofschmeichler, aus Liebedienerei gegen die schöne Lukrezia, einen untertänigen Zweifel in die Sache setzte, kommunizierte sie ihm die species facti ad statum legendi im Original, um sich von der Wahrheit zu überzeugen. Dadurch fiel die Relation auch in Graf Ruprechts Hände, der alsbald mit sich zu Rate ging, ob es nicht tunlich sei, auf gleiche Weise der Bedingung des Fräuleins Gnüge zu leisten, und dabei seinem Rival noch obendrein den Rang abzulaufen. Er berechnete die Zeit, welche mutmaßlich bis zur Wiederherstellung des zerschellten Armes seines Mitkompetenten erforderlich sein dürfte, und fand, daß er den Weg von Goslar nach Roveredo, um der Signora Dottorena einen fliegenden Besuch zu machen, und von ihr das beneficium restitutionis in integrum gleichmäßig zu erhalten, – Aufenthalt und Rückweg mit eingerechnet, – eher beendigen könne, wenn er sich nur etwas spute, als die Wundärzte in Brixen ihren Patienten entlassen würden. Gedacht, getan! Er ließ seinen Wettrenner satteln, saß auf und machte den Ritt mit der Eilfertigkeit eines Zugvogels, der im Herbste in einem andern Weltteile ein wärmeres Klima sucht. Es kostete wenig Mühe, den Aufenthalt der Dame, die er suchte, zu erfragen: sie war allenthalben im Lande wohlbekannt. In Ermangelung der Kräuterfrau, introduzierte er sich selbst, unter dem Inkognito eines irrenden Ritters, und genoß eben die freundliche Aufnahme seines Vorgängers. Der sittsamen Hauspatrona mißfielen indessen gar bald des neuen Gastes freie Manieren, die vornehme Frechheit, die ihm aus den Augen sahe, und sein zuverlässiger entscheidender Ton; ob sie sich's gleich nicht austat, und seiner höfischen Insolenz mit vieler Schonung begegnete. Es war schon einigemal des Abends kleiner Ball nach der musikalischen Akademie gegeben worden, und Graf Ruprecht hatte immer gehofft, daß ihn die Signora auffordern würde; allein sie schien keinen Geschmack mehr am Tanzen zu finden, und gab eine bloße Zuschauerin dabei ab. Ungeachtet er keine Mühe sparte, ihre Gunst zu gewinnen, und die artigsten Schmeicheleien, nach seiner Weise, ihr vorsagte: so wurden sie doch ihrerseits nur mit kalter Höflichkeit erwidert. Dagegen schien sein Glücksstern bei Fräulein Ughella aufgegangen zu sein, ihr Blick munterte ihn auf, dem Berufe zu folgen, welchen er als ein Hofjunker zu haben vermeinte, auf jeden Schleier, der ein Paar schmachtende Augen verbarg, Jagd zu machen wie ein Seekaper auf jedes Segel, das in seinem Gesichtkreise wehet. Obgleich seine Figur nicht eben sehr anziehend war, so war er doch die einzige Mannsperson in der Gesellschaft auf dem Landhause, und aus Vorliebe für das andere Geschlecht, nahm es Donna Ughella, wenn sie keine Vergleichung unter mehrern

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anstellen konnte, eben nicht so genau mit der Körperform: ihr Herz mußte beschäftiget sein, wenn sie nicht vor Langerweile sterben sollte. Graf Ruprecht konnte ihren Reizen nicht widerstehen, und da er einer von den leichtsinnigen Kundleuten war, die ein Quintlein gegenwärtigen Genuß, gern für einen Zentner zukünftige Hoffnung eintauschen: so vergaß er der spröden Lukrezia, und erklärte einsweilen die reizende Ughella für die Dame seines Herzens. Die scharfsichtige Patrona entdeckte bald, daß ein Clodius, in ihrer Villa, das Heiligtum der Vesta verwirre; sie empfand dieses sehr hoch, beschloß dem Spiel ein Ende zu machen, und die Verletzung der Gerechtsame ihres Hauses zu ahnden. Eines Abends proponierte sie einen Ball, und forderte unverhofft den Paladin des Fräuleins zum Tanz auf. Dieser Ehre hatte er sich beinahe verziehen, desto größer war die Freude, die er empfand, daß die Zeit der vermutbaren Entbindung von seiner bisherigen Leibesbürde ihm so überraschend kam. Er machte alle die Meisterschritte in der Tanzkunst, die der eigensinnige Vestris der schönen Liljenkönigin zu versagen sich erdreustete, und für diese Künstlerlaune eine wohlverdiente Bastonade nicht empfing, deren er so würdig war. Nach geendigter Sarabande, winkte Signora ihrem Tänzer, ebenso wie vormals dessen Vorgänger, in das an den Salon stoßende Kabinett ihr zu folgen, und voll der freudigsten Ahndung, folgte ihren Schritten Graf Ruprecht mit dem Höcker. Sie nestelte ihm, wie gewöhnlich, das Koller auf, welche etwas mißständige Handlung für eine ehrbare Frau, ihn so wenig in Verlegenheit setzte, daß er ihrer geschäftigen Hand vielmehr zur Hülfe kam. Flugs öffnete die Dottorena ihre Truhe, und zog aus einer Schublade eine Substanz hervor, die einem korpulenten Eierkuchen ähnliche sahe, schob ihm diese rasch in den Busen, und sprach: »Unbescheidener, nimm dies zur Ahndung des verletzten Gastrechts, winde dich in ein Knauel, und runde dich wie ein Plauel!« Indem sie dieses sagte, öffnete sie ein Riechfläschgen, und sprengte ihm eine narkotische Essenz ins Gesicht, davon er betäubt zurück auf einen Sofa sank. Als er wieder zu einiger Besinnung kam, fand er sich von ägyptischer Finsternis umgeben, die Wachskerzen waren erloschen, und alles um ihn her war leer und öde. Bald aber regte sich was an der Tür, der Flügel tat sich auf, da trat ein hagres altes Weib herein, mit einer brennenden Laterne, und leuchtete ihm unter die Augen, welche er alsbald, nach der Beschreibung aus Graf Ulrichs Depesche, für die Kräuterfrau der Signora Dottorena erkannte. Da er sich vom Sofa erhob, und inne ward, mit welchem ansehnlichen Zuwachs von Korpulenz er begabt war, geriet er in Wut und Verzweiflung, er faßte die hagre Matrone beim Leibe und sprach: »Alte Unholdin, sag an, wo ist deine Frau, die schändliche Zauberin? daß ich mit dem Schwerte die an mir erwiesne Bosheit räche, oder ich erwürge dich hier auf der Stelle.« »Lieber Herr«, antwortete die Alte, »erzürnet Euch nicht über eine geringe Magd, die keinen Teil hat an der von ihrer Frau an Euch verübten Schmach. Die Signora ist nicht mehr hier, sondern nebst ihrem Gefolge, sobald sie aus dem Kabinett kam, davongezogen. Unterfahet Euch nicht, sie aufzusuchen, daß Euch nicht noch etwas Ärgeres widerfahre; wiewohl Ihr sie auch schwerlich finden würdet. Ertraget mit Geduld, was nicht zu ändern stehet. Die Signora ist eine mitleidige Frau, wenn sie ihren Unwillen gegen Euch vergessen hat, und Ihr nach Verlauf von drei Jahren wieder hier einsprecht, und Euch vor ihr demütiget, kann sie alles, was sie krumm gemacht hat, wieder so schlicht und gleich machen, daß Ihr würdet durch einen Fingerreif schlüpfen können.« Der wohlbepackte Lastträger gab, nachdem seine Galle ausgetobt hatte, diesem Vorschlag Gehör, ließ sich bei frühem Morgen von dem Meier und seinen Knechten in den Sattel heben, und ritt nach seiner Heimat, woselbst er im Verborgnen blieb, bis der Termin würde abgelaufen sein, welchen ihm die botanische Matrone zur Wiederaussöhnung mit ihrer Signora gesetzt hatte. Graf Ulrich war indes genesen, und zog triumphierend in Goslar ein; denn er trug keinen Zweifel, daß seine große Gönnerin bei der stolzen Lukrezia seine Rechte aufs beste werde

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gewahret haben. Als er nach Hof ritt, der Kaiserin aufzuwarten, war ein solcher Zulauf des Volks, die wunderbare Veränderung, die sich dem Gerüchte nach an dem Grafen Ulrich mit dem Bühel sollte begeben haben, in Augenschein zu nehmen, daß eine schwarze Abgesandtschaft des Königs von Habyssinien, die Neugierde der löblichen Bürgerschaft nicht mehr hätte reizen können. Die Kaiserin empfing ihn mit allen Merkmalen ihrer Huld, und führte ihm das Fräulein, wie eine Braut geschmückt entgegen, um sie aus ihrer Hand als einen Ritterdank, daß er der mißlichsten Bedingung Gnüge geleistet, zu empfangen. Ihr Mund willigte in die Verbindung mit dem Grafen ein, und im Taumel des ersten Entzückens untersuchte er nicht, ob dieses Geständnis auch mit den Gesinnungen des Herzens übereinstimme. Noch weniger hatte er daran gedacht, wovon er seiner zukünftigen Gemahlin standesmäßigen Unterhalt verschaffen würde, da seine Grafschaft verpfändet war; oder welches Wittum er ihr in dem Ehekontrakt anweisen könnte. Er befand sich in keiner geringen Verlegenheit, als die Kaiserin, die sich dieser Freierei eifrigst unterzog, ihn befragte, welche Gegensteuer er dem Fräulein für den Brautschatz verschreiben wolle, womit sie dieselbe auszusteuren gedächte; und er gestund, daß er kein Eigentum weiter besitze, als sein Ritterschwert, welches er gegen die Feinde des Kaisers also zu gebrauchen gedenke, daß es ihm Ruhm und Belohnung erwerben werde. Das Fräulein wurde befragt, ob sie an dieser idealischen Gegensteuer ihr wolle gnügen lassen, und der Graf befürchtete schon, daß sie einen neuen Vorwand dadurch suchen würde, der Verbindung zu entschlüpfen. Aber seit der Wiederkehr des Grafen schienen sich ihre Gesinnungen gegen den getreuen Amadis merklich geändert zu haben, sie nahm das Wort und sprach: »Ich bin nicht in Abrede, edler Graf, einer schweren Liebesprobe Euch unterworfen zu haben. Dieweil Ihr Euch nun dadurch nicht von Eurer Liebe abwendig machen lassen, sondern selbst das Unmögliche möglich zu machen versucht habt: so ist es billig, daß ich mich in Eure Hand ergebe, ohne Eure Hoffnung länger aufzuhalten. Ich begehre kein andres Heuratsgut Euch zuzubringen, als mein Herz, und das bißchen Armut von dem Nachlaß meiner Mutter, wenn sie dereinst die Welt gesegnen wird: dagegen verlange ich auch keine Gegensteuer oder Leibgeding als das Eure, welches Ihr mir bereits zugesaget habt.« Die Kaiserin und all ihr Hofgesinde verwunderten sich höchlich über diese edle Gesinnung des Fräuleins, und Graf Ulrich wurde dadurch innigst gerührt. Er erfaßte ihre Hand, drückte sie kräftig an seinen Busen und sprach: »Habt Dank, edles Fräulein, daß Ihr meine Hand jetzt nicht verschmähet: ich will ehrlich dran sein, Euch als mein Ehgemahl zu nähren, wie es einen Ritter ziemet, durch diese Faust und mein gutes Schwert.« Hierauf ließ die Kaiserin den Bischof rufen, das liebende Paar einzusegnen, und auf ihre Kosten wurde das Beilager bei Hofe mit großem Pomp vollzogen. Nachdem das hochzeitliche Geräusch vorüber war, die Heurat bei Hofe und in der Stadt lange gnug bekrittelt und beschwatzt, der neuen Ehe auch, nach Maßgabe der mancherlei Gesinnungen des teilnehmenden Publikums, die Nativität gestellt war, und nun niemand mehr von den Neuvermählten Notiz nahm: gedachte Graf Ulrich an sein Versprechen, und rüstete sich, ins Heer zu ziehen, seiner Gemahlin ein Erbgut zu erwerben. Sie wollte ihn aber nicht entlassen und sprach: »Im Spieljahr der Ehe kommt es Euch zu, meinem Willen nachzuleben, hernach möget Ihr das Haus regieren und tun, was Euch gefällt. Jetzt begehr ich, daß Ihr mich gen Bamberg zu meiner Mutter geleitet, daß ich sie heimsuche, und daß Ihr Eure Schwieger als Eidam grüßet.« Er antwortete: »Ihr habt wohl geredet, traute Gemahlin, Euer Wille geschehe.« Drauf machte sich das edle Paar auf, und zog gen Bamberg, und in dem mütterlichen Hause war große Freude und viel Jubilierens, bei der Ankunft der geliebten Gäste. Das einzige, was den Grafen daselbst nicht behagte, war, daß alle Morgen in der Nähe seines Schlafgemachs ein Huhn gackerte, das ihn aus dem Schlafe störte, der in den Armen seiner zarten Gemahlin ihm so süße war. Er konnte sich nicht enthalten, seinen Verdruß darüber ihr zu eröffnen, und schwur dem Huhn den Hals umzudrehen, wenn er es in seine Gewalt bekäm. Lukrezia antwortete ihm

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lächelnd: »Mit nichten sollt Ihr das Hühnlein abwürgen, das jeden Tag ein frisches Ei legt, und dem Hause guten Gewinn bringt.« Der Graf verwunderte sich, wie eine verschwenderische Hofdame so plötzlich in eine wirtschaftliche Hausfrau sich habe umwandeln können, und erwiderte auf diese Rede: »Ich habe Euch meine Grafschaft aufgeopfert, die Ihr verschleudert habt, Pfaffen und Nonnen damit zu mästen, und Ihr wollet mir nicht ein elendes Huhn zum Gegenopfer verleihen, daran erkenn ich Euch, daß Ihr mich nicht liebet.« Die junge Frau streichelte ihrem Gemahl die vor Unwillen aufschwellende Wange und sprach: »Vernehmet, lieber Herzgespiel, daß dieses Hühnlein, das Eure Ruhe störet, jeden Morgen ein goldnes Ei leget, darum ist es meiner Mutter lieb und wert, ißt mit ihr aus der Schüssel, und schläft bei ihr in der Kammer. Seit neunzehn Jahren hat es das Haus mit diesen köstlichen Eiern versorgt. Daraus möget Ihr urteilen, ob ich um Lohn der Kaiserin Söldnerin war; ob mich der Eigennutz nach Euren Geschenken lüstern machte, und ob sie etwas über mein Herz vermochten. Ich nahm sie, nicht um Euch zu plündern, sondern Eure Liebe zu prüfen, und schüttete sie in den Schoß der heiligen Kirche, um mich von dem Verdachte des Eigennutzes zu befreien. Ich wollte, daß die Liebe allein unsre Herzen verbinden sollte, darum nahm ich Eure Hand ohne Erbgut, und gab Euch die meine ohne Brautschatz; nun soll's weder Euch an der Grafschaft, noch mir an der Aussteuer fehlen.« Graf Ulrich erstaunte über die Rede seiner Gemahlin: seine Seele schwankte zwischen Glauben und Zweifel. Um den ungläubigen Thomas zu überzeugen, rief sie die Mutter herbei, offenbarte ihr, daß sie das Eiergeheimnis an ihren Gemahl verraten habe, und überließ es ihr, denselben von der Wahrheit zu überführen. Die gute Mutter schloß ihre Truhen auf, und der verwunderte Eidam stund wie bezaubert da, als er den unermeßlichen Reichtum erblickte. Er gestund, daß der Brautschatz eines güldnen Eiersegens5 ein herrlicher Fund für einen Grafen ohne Grafschaft sei; jedoch beschwor er mit einem teuren Eide, daß aller Welt Schätze dem Übermaß der Liebe gegen seine Gemahlin keinen Zusatz zu geben vermöchten. In kurzem war die verpfändete Grafschaft wieder eingelöst, und noch eine andere dazu erkauft, ohne daß es seiner ritterlichen Talente zu dieser Akquisition bedurfte. Er ließ Wehr und Harnisch ruhen, und verlebte seine Tage in Ruhe, beim Genuß des unwandelbarsten Minneglücks; denn die schöne Lukrezia bewies durch ihr Beispiel, daß die spröden Schönen zuweilen die gefälligsten Gattinnen werden.

Fußnoten

1 Die Ochsenfuhren waren in Deutschland vor Zeiten nichts Ungewöhnliches, selbst Fürsten bedienten sich ihrer. Als Kaiser Maximilian der Erste einsmals durch Franken zog, wurden auf einer Station, anstatt der Pferde, vier Joch Ochsen vor seinen Wagen gespannt, welches er sich gefallen ließ, und scherzweise zu seinen Hofdienern sagte: »Seht, da fährt das römische Reich mit Ochsen um.«

2 Der entgegengesetzte Begriff von geistlich, ist weltlich und auch fleischlich. Aus Unkunde der Sprache oder Übereilung, verwechselte eine junge Ausländerin beide Ausdrücke. »Wer ist der Schwarzrock?« frug sie beim Eintritt zweier Herren in eine Gesellschaft. Ihr ward geantwortet: »Ein geistlicher Herr.« »So ist«, erwiderte sie, »der Blaurock wohl ein fleischlicher?« Der Sprachfehler wurde belacht, aber doch eingestanden, der Ausdruck sei passend, und verdiene in Umlauf zu kommen. Er paßt aber gewöhnlich für Schwarzrock und Blaurock zugleich.

3 Im Jahr 1057.

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4 Das beweisen die Gravamina der sächsischen Stände, die sie durch eine feierliche Gesandtschaft nach Hofe gelangen ließen, welche darauf antragen mußte, der Kaiser möchte die Konkubinen wegschaffen, sich an einer Gemahlin begnügen, und ein unbescholtner Leben führen.

5 Das Hühnergeschlecht, das goldne Eier legt, ist zwar nicht so gemein und zahlreich, wie das übrige Federvieh, es ist aber doch nicht ausgestorben, oder von der Erde vertilgt, wie das Einhorn, welches nicht mit in die Arche gehen wollte. Denn es gibt noch immer Bräute, die dem zukünftigen Ehekonsorten einen güldnen Eierschatz zur Aussteuer zubringen, zum Beispiel, Milady Hastings, Fräulein Necker, Fräulein von Matignan, die deutschen Landsmänninnen in Wien nicht zu vergessen. Das letztgenannte Fräulein wär für einen Grafen ohne Grafschaft eben keine unrechte Partie. Zur Nachweisung dienet, daß sie die Großtochter des Baron von Breteuil, gegenwärtig dreizehn Jahr alt, und in einem Jahr und sieben Wochen völlig qualifiziert ist, das Brautbett zu besteigen. Schön oder häßlich kommt hier nicht in Anschlag. Wers Glück hat, die Braut heimzuführen, dem wachsen 400.000 Livres jährlicher Renten zu.