Barrow, John D. - Das 1x1 Des Universums

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John D. Barrow, Autor von Der Ursprung des Universums und Theorien fr Alles, ist Physiker an der Universitt Cambridge (Grobritannien) und Autor zahlreicher Sachbcher. Seine Bcher wurden in 26 Sprachen bersetzt, er ist in Deutschland durch Lesereisen und Artikel bekannt.

John D. Barrow

Das 1x1 des UniversumsNeue Erkenntnisse ber die NaturkonstantenAus dem Englischen von Carl Freytag

Campus Verlag Frankfurt/New York

Die englische Originalausgabe The Constants of Nature erschien 2002 bei Jonathan Cape Copyright John D. Barrow Bibliograsche Information der Deutschen Bibliothek

Bibliograsche Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliograe. Detaillierte bibliograsche Daten sind im Internet ber http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-593-37330-0 Das Werk einschlielich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulssig. Das gilt insbesondere fr Vervielfltigungen, bersetzungen, Mikroverlmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright 2004. Alle deutschsprachigen Rechte bei Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main Umschlaggestaltung: mancini-design, Frankfurt/Main Satz: Publikations Atelier, Dreieich Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg Gedruckt auf surefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany

Fr Carol

Notwendige Bedingung fr unsere Existenz ist nicht die Fhigkeit, uns erinnern zu knnen, sondern ganz im Gegenteil die Fhigkeit, vergessen zu knnen. Sholem Ash

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2 Naturkonstanten einige Vorbemerkungen . . . . . . . . Eine Reise an den Rand der Welt Bruchlandung auf dem Mars . . . Ma fr Ma . . . . . . . . . . . . . Warum universelle Maeinheiten? Stoneys brillante Idee . . . . . . . . Plancks natrliche Einheiten . . . Planck landet in der Realitt . . . Anmerkungen ber das Altern . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Mensch und bermensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einstein und die Naturkonstanten . . . . . . . . . . . . Stoney- und Planck-Einheiten: die neue Mappa mundi Andere Welten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Varianten des Kopernikanischen Prinzips . . . . Einfach, praktisch, gut: die Theorie fr Alles Zahllose Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosmischer Kubismus . . . . . . . . . . . . . . . Neue Konstanten neue Probleme . . . . . . . Zahlenzauber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Eddingtons Unvollendete . . . . . . . . . . . Knnen Sie bis 136 x 2256 zhlen? . . . . . . Fundamentalismus . . . . . . . . . . . . . . . Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung Das Geheimnis der Superzahlen Geisterzahlen . . . . . . . . . . . Eine khne Hypothese . . . . . . Von den kommenden Dingen . Gro und alt, dunkel und kalt . Die grte aller Zahlen . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Leben im All . . . . . . . . . . . . . . . . Ist das Universum alt? . . . . . . . . . . Die Frchte des Lebens . . . . . . . . . Lebende Wolken . . . . . . . . . . . . . . Wachet auf! Das Ende ist nahe! . . . . Vom Zufall zum Schicksal . . . . . . . . Das Universum zu Zeiten Eduards VII. Das Anthropische Prinzip . . . . . Anthropische Argumente . . . . . Ein empndliches Gleichgewicht Brandon Carters Prinzipien . . . . Die Natur als Drahtseilakt . . . . Andere anthropische Prinzipien .. . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Es war einmal : Variable Konstanten und die Neufassung der Geschichte . . . . . . . . . Starre Welten contra exible Welten . . . . . . Inationre Universen . . . . . . . . . . . . . . . Virtuelle Geschichte ein kleiner Exkurs . . . . Neue Dimensionen . . . . . . . . . . . Ein Leben mit hundert Dimensionen Ein Spaziergang mit Planisauriern . Polygone und Polygamie . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

9. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Warum ist das Leben fr Physiker ein Kinderspiel? . Paul Ehrenfest: ein trauriger Fall . . . . . . . . . . . . . Gerald Whitrow: ein ganz besonderer Fall . . . . . . . Theodor Kaluza und Oskar Klein: ein seltsamer Fall Variable Konstanten fr den Tanz auf dem Brane . . 11 Variationen ber ein Thema . . . . Ein prhistorischer Kernreaktor . . Alexander Shlyakhters geniale Idee Die Uhr der Ewigkeit . . . . . . . . . Untergrund-Spekulationen . . . . . Der Griff nach den Sternen . . Rckblicke . . . . . . . . . . . . Schwankende Konstanten . . . Botschaften aus grauer Vorzeit Unser Platz in der Geschichte . Neue Welten neue Rtsel Multiversen . . . . . . . . . . Das Buch der Bcher . . . . Grenzenlose Welten . . . . . Das Ende der Reise . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

200 203 206 211 214 218 218 225 230 231 234 234 242 245 250 256 256 262 266 271

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Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319

Vorwort

Es gbt Dinge, die ndern sich nie. Von ihnen handelt dieses Buch. In frheren Zeiten waren es vor allem die besonderen Ereignisse, die Geschichte machten: berraschendes, Unerwartetes, Beunruhigendes, Katastrophen. Erst nach und nach begann die Wissenschaft, auch die Geheimnisse zu entschlsseln, die im Gesetzmigen und Vorhersagbaren verborgen liegen. Obwohl die Atom- und Moleklbewegungen so chaotisch verknpft sind, dass sie niemand im Einzelnen vorhersagen kann, offenbart sich uns die Welt als zusammenhngend und von groer Zuverlssigkeit. Wollen wir wissen, warum das so ist, suchen wir zunchst nach den Gesetzen, die angeben, wie sich die Dinge in der Natur verndern. Bei dieser Suche sind wir auf eine Anzahl geheimnisvoller Zahlen gestoen, die Ausdruck dieser Verlsslichkeit sind: die Naturkonstanten. Sie bestimmen die charakteristischen Eigenschaften unseres Universums und unterscheiden es von anderen vorstellbaren Welten. Die Naturkonstanten stehen fr zweierlei: unser tiefstes Wissen ber die Welt und unsere grte Ratlosigkeit. Einerseits messen wir die Gre dieser Konstanten mit zunehmender Genauigkeit und ziehen sie wegen ihrer Unvernderlichkeit heran, um mit ihnen unsere Maeinheiten zu denieren. Andererseits knnen wir ihre Gre nicht theoretisch erklren das ist bis jetzt fr keine einzige Naturkonstante gelungen! Wir haben neue Naturkonstanten entdeckt, alte miteinander in Beziehung setzen knnen und begreifen, welch entscheidende Rolle sie dabei spielen, dass die Dinge so sind wie sie sind aber ihre Gre bleibt weiterhin ein tief verborgenes Geheimnis. Um ihm auf die Spur zu kommen, mssen wir die grundlegendsten Theorien in

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Frage stellen und untersuchen, ob die Konstanten, die in ihnen vorkommen, wirklich auf immer und ewig konstant sind und eine bergreifende logische Gesetzmigkeit ausdrcken, oder ob auch bei ihnen der Zufall seine Hand im Spiel hat. Neben einigen Konstanten, die allem Anschein nach wirklich fest liegen, scheint es welche zu geben, die auch noch eine andere, bis jetzt unbekannte Bedeutung haben, whrend wieder andere vllig unabhngig von allem brigen sind. Ist ihre Gre ein Produkt des Zufalls? Knnten sie auch ganz anders ausfallen? Wie weit drfen sie abweichen, um trotzdem Leben im Universum zu ermglichen? In meinem Buch The Anthropic Cosmological Principle habe ich zusammen mit Frank Tipler alle damals bekannten Mglichkeiten untersucht, wie das Leben im Universum von der Gre der Naturkonstanten abhngen knnte. Es stellte sich heraus, dass jedes Universum mit (auch nur geringfgig) vernderten Naturkonstanten eine Totgeburt wre. Es gbe jenen komplexen organischen Zusammenhang nicht, den wir Leben nennen, geschweige denn, dass er dauerhaft Bestand haben knnte. Die Forschung befasst sich inzwischen ernsthaft mit der Existenz anderer Universen, in denen die Naturkonstanten grer oder kleiner sind, und hat immer mehr Mglichkeiten fr solche Varianten ausndig gemacht und damit immer mehr Mglichkeiten fr Fehlschlge bei der Entwicklung von Leben. Unbestreitbar leben wir in einer Welt, in der sich die Dinge gut entwickelt haben. Aber wie gro war die Wahrscheinlichkeit fr dieses Wunder? Wir werden uns in dem vorliegenden Buch mit vielen dieser anderen Mglichkeiten befassen und uns dabei mit den aufregenden Versuchen vertraut machen, die Naturkonstanten und ihre Gre zu verstehen. Die grundlegende Frage, ob die Konstanten wirklich konstant sind, hat in letzter Zeit nicht nur in der Forschung, sondern auch in den Medien groes Interesse gefunden. Ein Forscherteam hat eine neue Methode vorgeschlagen, die Gre der Naturkonstanten im Verlauf der letzten 11 Milliarden Jahre zu untersuchen. Das Licht, das uns von weit entfernten Quasaren erreicht, weist Muster auf, die uns von den Eigenschaften der Atome bei Antritt seiner Reise vor Milliarden von Jahren berichten. Die ersten Antworten auf die Frage, ob die Naturkonstanten schon immer so gro waren wie heute, sind

Vor wor t

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berraschend und schockierend. Sie erffnen vllig neue Mglichkeiten fr das Schicksal des Universums und die Gesetze, die es bestimmen. Damit befasst sich das vorliegende Buch. Ich mchte Bernard Carr, Rob Crittenden, Paul Davies, Michael Drinkwater, Chris Churchill, Freeman Dyson, Vladimir Dzuba, Victor Flambaum, Yasunori Fujii, Gary Gibbons, J. Richard Gott, Jrg Hensgen, Janna Levin, Joo Magueijo, Carlos Martins, David Mota, Michael Murphy, Jason Prochaska, Martin Rees, Hvard Sandvik, Wallace Sargent, Ilya Shlyakhter, Will Sulkin, Max Tegmark, Virginia Trimble, Neil Turok, John Webb und Art Wolfe fr viele Diskussionen danken, fr ihre Ideen, fr Forschungsergebnisse und fr die Abbildungsvorlagen, die sie mir zur Verfgung gestellt haben. Mein Dank gilt auch Elizabeth fr die Geduld whrend der Entstehung des Buchs, als es so aussah, dass A River Runs Through It einen besseren Titel abgeben wrde. Und ich danke unseren drei Kindern David, Roger und Louise, die immer Angst hatten, das Taschengeld knnte eine Naturkonstante sein. John D. Barrow Cambridge, im April 2002

Kapitel 1

Naturkonstanten einige VorbemerkungenWas sich zuerst ereignet ist nicht unbedingt der Anfang. Henning Mankell

Jede Vernderung ist eine Herausforderung. Wir leben in einer Phase der menschlichen Geschichte, in der uns alles als besonders schnell erscheint. Die Welt um uns herum wird von Krften angetrieben, die auch unser Leben fr kleinste nderungen und pltzliche Reaktionen anfllig machen. Das Anwachsen des Internet und die Fangarme des World Wide Web haben uns fest mit Computern und ihren Besitzern rund um den Globus vernetzt. Das unkontrollierte industrielle Wachstum hat zu kologischen Vernderungen und Zerstrungen unserer Umwelt gefhrt, die offenbar schneller und bedrohlicher vonstatten gehen, als es selbst die pessimistischsten Untergangspropheten vorhergesagt haben. Selbst unsere Kinder scheinen schneller gro zu werden. Politische Systeme ordnen sich schneller und huger als je zuvor in berraschender Weise neu. Die Menschen und die in ihnen gespeicherten Informationen sehen sich Eingriffen einer immer ehrgeizigeren Ersatzteil-Chirurgie oder der Neuprogrammierung des Genetischen Codes ausgesetzt. Fast berall beschleunigt sich der Fortschritt, und immer weitere Bereiche der Erfahrung sind in einen Sog geraten, der uns zwingt, alles zu erforschen, was mglich erscheint. Die Erkenntnis, dass sich unsere Welt ndert, ist natrlich nicht neu. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte die Forschung herausgefunden, dass es in grauer Vorzeit weder die Erde noch unser Sonnensystem gab, und dass sich das Aussehen und die geistigen Fhigkeiten der Menschen ber riesige Zeitrume hinweg verndert haben mussten. Das Universum bendet sich auf dem besten Weg, immer chaotischer und ungastlicher zu werden und wird irgendwann an

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sein Ende kommen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde die Vorstellung eines sich wandelnden Universums immer weiter ausgemalt. Das Klima und die Oberche unseres Planeten ndern sich stndig und mit ihnen auch die Tier- und Panzenarten, die auf ihm leben. Die dramatischste Erkenntnis aber war, dass sich auch das gesamte Universum mit seinen Sternen und Galaxien im Stadium eines stndigen dynamischen Wandels bendet: Riesige Cluster von Galaxien rasen auseinander und eilen auf eine Zukunft zu, die sich von der Gegenwart fundamental unterscheidet. Wir beginnen zu begreifen, dass unsere Zeit nur geborgt ist und die Kollision ganzer Welten zum kosmischen Alltag gehrt. Unsere Erde wurde schon in der Vergangenheit des fteren von Kometen und Asteroiden getroffen. Irgendwann wird sie das Glck verlassen, und der Schutzschild, den, wie es der Zufall will, der Riesenplanet Jupiter gegen die Weiten des Alls darstellt, wird zusammenbrechen und uns nicht mehr retten knnen. Schlielich wird sogar unsere Sonne erlschen und unsere Galaxie, die Milchstrae, wird von einem ungeheuren Schwarzen Loch aufgesaugt, das schon jetzt in ihrem Zentrum lauert. Jegliches Leben, wie wir es uns vorstellen knnen, wird damit verschwinden. berleben knnten nur Wesen, die ihre Formen, ihre Behausungen und ihre Krper so sehr verndert haben, dass wir sie nach unseren heutigen Mastben kaum als Vertreter von Leben bezeichnen wrden. Wir haben grundlegende Geheimnisse des Chaos und der unvorhersagbaren Prozesse aufgedeckt, die in so vielen Bereichen unsere Welt bestimmen. In groben Zgen verstehen wir das Wettergeschehen, knnen es aber nur fr wenige Tage vorhersagen. Wir haben einen Blick fr die hnlichkeit entwickelt, die zwischen solchen komplexen Systemen, der Vielfalt menschlicher Interaktion Gesellschaftsformen, Wirtschaftssysteme, Warenangebote, kosysteme und dem menschlichen Denken selbst besteht. All diese verwirrend komplizierten Entwicklungen kommen mit ungeheurer Geschwindigkeit daher und bestrken uns in der berzeugung, dass die Welt einer durchgedrehten Achterbahn gleicht, in deren Auf und Ab wir durcheinander geschttelt werden: Alles, was wir einmal fr wahr gehalten haben, knnte eines Tages ber den Haufen geworfen werden. Fr manche sind diese Aussichten ein

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Grund, der Wissenschaft zu misstrauen, weil sie uns den Boden unter den Fen wegzieht und uns jegliche Sicherheit raubt als ob man beim Entwurf des Universums und seiner Gesetze unsere psychische Zerbrechlichkeit htte bercksichtigen mssen.1 Man knnte sich aber auch auf den Standpunkt stellen, dass all diese Vernderungen und Unwgbarkeiten nur eine Illusion sind, da sie nicht die ganze Geschichte der Natur des Universums ausmachen. Die Grundstruktur unserer Realitt zeigt zwei Seiten: eine konservative und eine progressive. Bei allem fortwhrenden Wandel und bei aller Dynamik der Welt, wie sie mit unseren Sinnen begreifbar ist, gibt es auch Aspekte im Gerst des Universums, deren Geheimnis in ihrer unerschtterlichen Konstanz liegt. Es sind diese unvernderlichen Dinge, die unser Universum zu dem machen, was es ist und was es von anderen denkbaren Welten unterscheidet. Es gibt einen goldenen Faden, aus dem ein Netz von Kontinuitt gewebt ist, das die Natur durchzieht. Aufgrund dieses Netzes erwarten wir, dass sich bestimmte Dinge auch fernab im Weltall genauso wie auf der Erde verhalten, dass sie sich auch frher nicht anders verhalten haben als heute, dass dies auch in Zukunft so bleiben wird und dass fr sie weder Zeit noch Ort zhlen. Die Naturkonstanten garantieren, dass berall im Universum Gleichheit herrscht, und dass ein Elektron wie das andere ist (oder zumindest zu sein scheint). In der Tat gbe es vielleicht ohne diesen soliden Untergrund einer unvernderlichen Realitt weder den Fluss der Vernderungen an der Oberche noch irgendwelche komplizierte Gedanken noch berhaupt Materie. Die Existenz dieser Konstanten zhlt zu den letzten Geheimnissen der Wissenschaft, mit deren Entrtselung sich eine ganze Reihe der bedeutendsten Physiker befasst. Nachdem man lange Zeit nur vermuten konnte, dass es sich um Naturkonstanten handelt, will man heute herausnden, was sie ihrem Wesen nach sind. Was ist der letzte Stand des Wissens auf diesem Gebiet? Sind die Naturkonstanten wirklich konstant? Sind sie berall gleich? Sind sie alle miteinander verknpft? Htte sich auch Leben entwickeln knnen, wenn sie etwas grer oder kleiner ausgefallen wren? Das sind einige der Fragen, mit denen sich dieses Buch befassen wird. Wir wollen einen Blick zurck auf die Entdeckung der ersten Natur-

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konstanten werfen und uns mit dem Einuss befassen, den sie auf die Naturwissenschaftler und Theologen hatten, die sich mit Sinn, Zweck und Wesen des Seins befassten. Wir werden sehen, was man an der vordersten Front der Forschung heutzutage ber die Naturkonstanten annimmt und ob eine Theorie fr Alles, wenn es sie eines Tages geben wird, das wahre Geheimnis dieser Gren lften kann. Vor allem anderen will das Buch aber die Frage behandeln, ob die Naturkonstanten wirklich konstant sind.

Kapitel 2

Eine Reise an den Rand der WeltF r a n k l i n : Herr Direktor, haben Sie jemals daran gedacht, dass Ihre Grundstze vielleicht ein bisschen altmodisch sind? Di r e k t o r : Natrlich sind sie altmodisch. Grundstze sind immer altmodisch, das macht sie erst zu Grundstzen. Alan Bennett1

Bruchlandung auf dem MarsEs war in den letzten Wochen des September 1999, als die NASA den Medien eine groe Story liefern wollte. Der Mars Climate Orbiter stand kurz davor, wichtige Wetterdaten aus der oberen Atmosphre des Mars zu bermitteln. Es kam anders. Die Sonde zerschellte auf der Oberche des roten Planeten:Der MCO, der Wetter und Klima des Mars untersuchen sollte, wurde am 11. Dezember 1998 von Cape Canaveral in Florida mit einer Delta-Rakete ins All geschossen. Nach einer Reise von ungefhr 9 Monaten erreichte er den Mars. Seine Hauptantriebsdse wurde gezndet, um ihn am 23. September 1999 gegen 2 Uhr PDT (Pacic Daylight Time) in eine Umlaufbahn um den Mars einschwenken zu lassen. Nach 5 Minuten der fr 16 Minuten vorgesehenen Brenndauer des Antriebs verschwand der MCO von der Erde aus gesehen hinter dem Planeten. Ein Signal der Sonde, das gegen 02.26 Uhr PDT wieder erwartet wurde, blieb aus. Bis 24. September 1999 gegen 15 Uhr PDT wurden Anstrengungen unternommen, die Sonde wieder ausndig zu machen und Kontakt mit ihr aufzunehmen, dann wurden die Versuche eingestellt.2

Das Problem war, dass sich die Sonde 96,6 km nher an der Marsoberche befand, als die Kontrollstation auf der Erde annahm: 125 Millionen Dollar wurden im roten Sand des Mars versenkt. Der Verlust war schon schlimm genug, aber die Ursache des Desasters gab erst recht Anlass, sehr kleinlaut zu werden. Lockheed-Martin, die Firma, die fr die laufende Kontrolle der Raumsonde zustndig war, sandte die Daten fr die Antriebsraketen in den alten Einheiten wie Meilen, Fu und Pfund zur Bodenkontrollstation, whrend das

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NASA-Team wie die gesamte brige wissenschaftliche Welt annahm, dass metrische Einheiten verwendet wrden. Der Unterschied zwischen den Einheiten reichte aus, um die Sonde fast 100 Hhenkilometer vom Kurs abkommen zu lassen und sie auf eine selbstmrderische Umlaufbahn zu schicken.3 Die Lektion, die mit diesem Debakel erteilt wurde, ist klar: Es kommt auf die Einheiten an. Unsere Vorfahren haben uns eine Unzahl von Einheiten fr die Messungen im Alltag hinterlassen, die wir bei den verschiedensten Gelegenheiten auch heute noch verwenden, weil sie bequem und praktisch sind. Wir zhlen unser Alter nach Jahren, kaufen Zucker pfundweise, Eier im Dutzend und Diamanten nach Karat. Fr bestimmte Zigaretten gehen wir meilenweit und bestellen beim Oktoberfest die eine oder andere Ma Bier. Von Land zu Land Das Gremium zur Untersuchung des wurde auf unterschiedliche Weise ge- Verlusts des Mars Climate Orbiter hat messen, und man bentigte Umrech- festgestellt, dass die tiefere Ursache in dem Fehler bestand, metrische Einheinungstabellen wie heute beim Geld- ten benutzt zu haben. wechseln in exotischen Lndern. Das 4 war unproblematisch, solange der NASA-Bericht Handel nur in geringem Umfang und lokal betrieben wurde. Als man aber in alten Zeiten anng, international zu handeln, mussten neue Anstze zum Zhlen und Messen entwickelt werden. Mit dem Beginn der internationalen Zusammenarbeit an technischen Projekten wurde das noch wichtiger: Przisionstechnik verlangt nach przisen Umrechnungen der verschiedenen Maeinheiten.5 Es ist schn und gut, wenn Sie einer Zulieferrma auf der anderen Seite des Globus mitteilen, dass ein Bauteil fr ein Flugzeug exakt 1 m lang sein muss aber woher wollen Sie wissen, ob deren Meter exakt Ihrem entspricht?

Ma fr MaUrsprnglich waren die Maeinheiten ganz auf den engen Horizont des Alltagslebens und die Dimensionen des menschlichen Krpers zugeschnitten. Die Lngeneinheit leitete man von der Lnge des

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Arms des Knigs oder der Spannweite seiner Hand ab. In den Entfernungsmaen spiegelte sich wider, wie weit eine Tagesreise fhrte. Keines dieser alten Mae beanspruchte ewige Gltigkeit, denn sie waren alle nur fr den bequemen GeSie versteht das Prinzip der Rmischen brauch in bestimmten Situationen Zahlen nicht. Sie hat gedacht, dass entstanden, dabei aber zum Teil so wir gerade den Elften Weltkrieg hinter klug gewhlt, dass man sie auch heute uns haben. noch bentzt, obwohl sich das ofziJoan Rivers6 elle Dezimalsystem allgemein durchgesetzt hat. Das Lngenma Fu7, das im englischen Sprachraum als Foot immer noch gebruchlich ist, und das Barrel Erdl sind bekannte Beispiele. Das nicht mehr so bliche Lngenma Yard war als Lnge eines Bandes von der Nasenspitze zur uersten Fingerspitze des waagrecht ausgestreckten Arms deniert, whrend ein Cubit von dort bis zur Armbeuge reichte und zwischen 44 cm und 64 cm betrug.8 Die Lngeneinheit der Seeleute, der Faden oder Fathom, war die grte Einheit, die sich auf den menschlichen Krper bezog: Es war der Abstand zwischen den Fingerspitzen der nach links und rechts ausgestreckten Arme. Die Zeitmae verdankten sich den astronomischen nderungen von Erde und Mond, Gewichtsmae den Mengen, die man in der Hand oder auf dem Rcken tragen konnte. Ein offensichtliches Problem vieler dieser Maeinheiten bestand auch darin, dass die Menschen verschieden gro sind. Wen sollte man als Muster whlen? Die ersten Kandidaten waren natrlich Knig oder Knigin. Aber auch bei diesem Verfahren musste man die Mae immer neu festlegen, wenn der Thron neu besetzt wurde etwa, wenn auf einen kleinen Pippin ein groer Karl folgte. Eine bemerkenswerte Lsung dieses Problems fand um 1150 der schottische Knig David I., als es um die Festlegung des Scottish Inch ging: Er befahl, dass es gleich der durchschnittlichen Daumendicke dreier Mnner sein solle, eines groen Mannes, eines Mannes von mittlerer Statur und eines kleinen Mannes, und dass die Daumen an der Nagelwurzel zu messen seien.9 Die weiten Reisen der Hndler und Kaueute im Mittelmeergebiet lenkten schon in der Antike den Blick auf die Problematik solcher anatomisch denierter Maeinheiten. Ein einheitliches Ma-

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system zu erreichen, war allerdings nicht leicht. Die nationalen Traditionen und Gewohnheiten erwiesen sich als starkes Hindernis, wenn es darum ging, Maeinheiten eines anderen Landes zu bernehmen. Das moderne metrische System mit Meter, Gramm und Liter und das im Britischen Weltreich bliche System mit Inch, Pound und Pint sind vom Prinzip her beide gleich gut zur Messung von Lngen, Gewichten (bzw. Massen) und Volumen geeignet. Das heit allerdings nicht, dass beide Systeme gleich praktisch sind. Im metrischen System spiegelt sich unser dezimales Zahlensystem wider: Aus einer Grundeinheit (beispielsweise dem Meter) werden fr den praktischen Gebrauch Einheiten abgeleitet, die um Zehnerpotenzen grer oder kleiner sind und entsprechende Vorsilben erhalten (beispielsweise 1 km = 103 m oder 1 mm = 103 m). Stellen Sie sich vor, diese Sprnge wren verschieden! Lange Zeit hatte man in England fr nicht-technische Gewichte (wie dem Gewicht des menschlichen Krpers oder den Zusatzgewichten beim Pferderennen) ein solches System, das nicht mit Einern, Zehnern und Hundertern rechnete, sondern uns 14 Pounds je Stone, 16 Ounces je Pound und 16 Drams je Ounce zumutete. Eine Bereinigung der Maeinheiten wurde in der Zeit der Franzsischen Revolution gegen Endes des 18. Jahrhunderts entschlossen angegangen. Die Einfhrung neuer Mae fhrt in jeder Gesellschaft zu einer gewissen Unruhe und wird von der Bevlkerung selten mit ungetrbter Begeisterung aufgenommen.10 Die Franzsische Revolution bot daher eine gute Gelegenheit fr solche Neuerungen, weil sie in den ohnehin stattndenden revolutionierenden Umwlzungen ein wenig untergingen.11 Die damals herrschenden politischen Vorstellungen gingen mit der Einsicht Hand in Hand, dass Gewichte und Mae weltweit gleich und nicht das Eigentum einer einzigen Nation sein sollten und keiner Nation beim Handel mit einer anderen Vorteile bieten drften. Um diesem Anspruch zu gengen, machte man sich daran, die Messungen auf einen allgemein akzeptierten Standard zu beziehen, an dem alle Messlatten, Gewichte und weitere abgeleitete Mae geeicht werden konnten. Im Mrz 1791 wurde von der Franzsischen Nationalversammlung mit der Untersttzung Ludwigs XVI. und mit einer deutlichen Absichtserklrung

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durch Charles Maurice de Talleyrand ein entsprechendes Gesetz erlassen. Darin hie es ber die neue Lngeneinheit:In Anbetracht dessen, dass, um die Einheitlichkeit der Gewichte und Mae einfhren zu knnen, es notwendig ist, eine natrliche und unvernderliche Maeinheit festzulegen, und dass das einzige Mittel, diese Einheitlichkeit auf andere Nationen auszudehnen und sie zu veranlassen, sich auf ein Masystem zu einigen, ist, eine Einheit zu whlen, die nichts Willkrliches noch etwas der Lage irgendeines Volkes auf der Weltkugel Spezisches enthlt, adoptiert die Nationalversammlung die Gre des Viertels des Erdmeridians als Basis des neuen Masystems.12

Zwei Jahre spter wurde der Meter13 als Lngeneinheit deniert: 1 Meter entspricht danach dem zehnmillionsten Teil eines Viertels des Erdmeridians.14 Das mochte ein plausibler Vorschlag zur Denition einer Standardlnge sein, fr den tglichen Gebrauch war er offensichtlich untauglich. So war es nur konsequent, als 1795 die Einheiten direkt mit besonders zu diesem Zweck hergestellten Urmaen verknpft wurden. 1 Gramm wurde als die Masse von 1 cm Wasser bei 0 C deniert, spter wurde dies durch die Denition des Kilogramms ersetzt: 1 Kilogramm ist die Masse von 1 000 cm Wasser bei 4 C. Der Meter wurde mit einem Urmeter deniert, dem Mtre des Archives. Unglcklicherweise waren die neuen metrischen Einheiten zunchst kein Erfolg, und Napoleon I. fhrte in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts die alten Einheiten wieder ein. Die politische Situation Europas lie zu dieser Zeit eine Vereinheitlichung der Maeinheiten noch nicht zu.15 Erst am Neujahrstag des Jahres 1840 erlie Louis Philippe eine Verordnung, die die metrischen Einheiten in Frankreich zum Standard erklrte.16 Ein groer Fortschritt war die Grndung einer internationalen Kommission fr die metrischen Mae in Paris, die am 8. August 1870 zum ersten Mal zusammentrat. Ihre Aufgabe bestand darin, die Maeinheiten zu vereinheitlichen und die Anfertigung neuer Standardmae, wie Urkilogramm und Urmeter, zu berwachen. 1875 wurde die Meterkonvention von den ersten 18 Staaten unterzeichnet. Das Urmeter besteht aus Platin und hat einen X-frmigen Querschnitt. 1879 wurde es zusammen mit zwei Kopien von Johnson, Matthey & Co. in London angefertigt. Das Urkilogramm17 ist ein Zy-

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linder von 39 mm Hhe und 39 mm Durchmesser, der aus einer besonderen Legierung von Platin und Iridium besteht. Es wird unter einem Satz von Glasglocken im Tresorraum des Bureau Internationale des Poids et Mesures in Svres bei Paris aufbewahrt, wo sich auch das Urmeter bendet.18 In hnlicher Weise denierte man die britischen Einheiten wie Yard und Pound. Ihre Prototypen werden in London im National Physical Laboratory und in Washington DC im National Bureau of Standards aufbewahrt. Im Zuge dieser Vereinheitlichung versuchte man auch, die Masysteme wissenschaftlich zu denieren. Das Ergebnis war das MKS-System (bzw. CGS-System), in dem Lnge, Masse und Zeit in Vielfachen der Grundeinheiten Meter, Kilogramm und Sekunde (bzw. Zentimeter, Gramm und Sekunde) angegeben werden.19 Diese praktischen Grundeinheiten stellen jeweils eine Menge dar, die wir uns leicht vorstellen knnen in 1 m Tuch, 1 kg Kartoffeln und 1 s bis Mitternacht spiegelt sich ein weiteres Mal ihr anthropozentrischer Ursprung wider. Dass sie auch unpraktisch sein knnen, wird schnell deutlich, wenn wir mit ihnen Dinge beschreiben wollen, die weit kleiner oder weit grer sind als wir selbst. Die kleinsten Atome sind mit einem Radius von 10-10 m zehn Milliarden Mal kleiner als ein Meter, die Masse der Sonne betrgt mehr als 1030 kg. Abbildung 2.1 vermittelt uns eine Vorstellung der ungeheuren Spanne von Masse und Ausma wichtiger Bewohner des Universums den Menschen eingeschlossen. Wir stehen in der Mitte zwischen den gewaltigen astronomischen Dimensionen auf der einen Seite und der winzigen subatomaren Skala der Elementarteilchen, aus denen die Materie zusammengesetzt ist, auf der anderen Seite. Trotz der Einfhrung universeller metrischer Einheiten durch Ministerien oder internationale Kommissionen nahmen die meisten Leute nur wenig Notiz von den neuen Verordnungen und Gesetzen. Das galt besonders fr Grobritannien, wo in allen mglichen Sparten von Industrie und Handel die unterschiedlichsten Maeinheiten in Gebrauch waren (und noch sind). Im Verlauf der industriellen Revolution entstand eine Reihe von Branchen wie Ingenieure, Brauer, Buchhalter, Metallarbeiter, Zeitnehmer und Schiffsbauer, die alle nach eigenen Wegen suchten, um die Dinge zu messen, mit

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A b b ild u n g 2 .1 Masse und Gre wichtiger Bewohner unseres Universums. Mit der Wahl von g und cm als Einheit liegen wir Menschen nahezu im Zentrum des Geschehens.

denen sie zu tun hatten und die sie bearbeiteten. Die Brauer wollten ihr spezielles Volumenma, die Wasserbauingenieure ein anderes. Ein Juwelier gab das Gewicht anders an als Seeleute oder Architekten. Das Ergebnis war eine Unzahl von Maeinheiten. Fr jedes Material erfand man eigene Grundmae zur Bestimmung von Festigkeit und Toleranz, Menge und Gewicht. Diese Einheiten waren nicht nur anthropozentrisch, sondern darber hinaus noch ganz speziell auf die jeweiligen Berufe zugeschnitten. Als ich noch zur Schule ging, hatten wir kleine linierte Notizbcher mit einem roten oder blauen Umschlag, auf dessen Rcken man eine Liste all dieser seltsa

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A b b ild u n g 2 .2 Typische Zusammenstellung verschiedener Maeinheiten aus einem englischen Ratgeber aus den 1950er Jahren.20

men Lngen-, Flchen-, Volumen- und Gewichtsmae abgedruckt hatte, die im Empire blich waren (siehe Abbildung 2.2). Fr den Ingenieur oder den Hndler war das alles ganz praktisch und ntzlich und erhhte zweifellos auch den Prot. Fr jemand, der auf der Suche nach einer umfassenden Naturphilosophie war, erschien das menschliche Wissen aber hchst zersplittert und glich einem merkwrdigen Konglomerat verschiedenster kleiner Parzellen. Ein Besucher von einem fernen Planeten wre sehr verwirrt darber gewesen, dass er zum Kauf von Gold, pfeln oder Siegellack unterschiedliche Gewichtsmae bentigt htte.

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Warum universelle Maeinheiten?Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden die Ingenieure, Industriellen und Naturwissenschaftler von all den Einheiten und Maen, die jeweils nur fr ganz besondere Zwecke geschaffen worden waren, frmlich berutet. Fr die industrielle Revolution waren Produktion, Mechanisierung, Messen, Entwerfen und Bauen zu magischen Begriffen geworden, und aus jedem dieser Bereiche kamen neue Maeinheiten. Auch die Puristen in den heiligen Hallen der Naturwissenschaft waren mit den Prototypen fr Lnge und Masse nicht zufrieden, denn immer wenn das Urkilogramm mit einer Spezialzange bewegt wurde, nderte es sich ein wenig. Auerdem konnten einzelne Atome von seiner Oberche entkommen oder sich umgekehrt Staub aus der Luft auf ihm absetzen: Es war also nicht wirklich konstant!21 So wenig die Lngen- und Massennormale konstant waren, so wenig waren sie universell. Stellen wir uns vor, ein Ingenieur htte von einem fernen Planeten eine Anfrage erhalten, wie gro wir Menschen seien. Es htte wenig Sinn gemacht, die ntigen Angaben in Meter und Kilogramm ins All zu senden, denn garantiert wre die Rckfrage gekommen: Von was reden Sie eigentlich? Mit unserer Antwort an den extraterrestrischen Brieffreund, Meter und Kilogramm seien Objekte, die in Paris in Glasbehltern lagern, und die wir ihm leider nicht als Warensendung zukommen lassen knnen, htten wir ihm kaum gedient. Unglcklicherweise hatte der Bedarf an universellen Standards Exemplare hervorgebracht, die weder Standards noch universell waren. Auch in den verschiedenen Bereichen der Naturwissenschaft waren unterschiedliche Masysteme gebruchlich, die im entsprechenden Verhltnis zu den metrischen Einheiten von Lnge, Masse, Zeit und Temperatur standen. Der mchtigste Impuls zur Formulierung rationaler Gesetze kam in den Naturwissenschaften aus der Erforschung von Elektrizitt und Magnetismus. Auf die daraus resultierende Notwendigkeit, das Masystem zu vereinheitlichen, reagierten als Erste Lord Rayleigh und James Clerk Maxwell. In seiner Ansprache als Prsident der British Association for the Advancement of Science riet Maxwell im Jahr 1870 zur Einfhrung von Standards, die nicht an Gegenstnde wie ein Urmeter und ein

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Urkilogramm gebunden waren. Maxwell begrndete dies damit, dass Standards wie die genannten nie wirklich konstant sein knnen. Das gilt auch fr unsere Zeitmae, die auf der Erdumdrehung und auf dem Umlauf der Erde um die Sonne beruhen. Die Erdumdrehung wird langsam abgebremst und die Umlaufzeit um die Sonne unterliegt Schwankungen, womit sich auch die darauf begrndeten Zeitmae Tag und Jahr ndern. Sie sind zwar nicht mit dem Makel behaftet, den Menschen zum Ma zu haben, sind aber trotzdem keine Kandidaten fr ultimative Standards. Maxwell hatte sich schon lange mit der Untersuchung von Gasatomen befasst und war sehr von der Tatsache beeindruckt, dass sich alle Wasserstoffatome vllig gleichen im deutlichen Gegensatz zu all den groen Objekten, mit denen wir in unserem Alltag zu tun haben. Kein Stuhl gleicht dem anderen, vom Menschen ganz zu schweigen. Maxwell erkannte, dass die Ununterscheidbarkeit der Atome herangezogen werden kann, um absolute Standards zu denieren:Letztlich sind die Dimensionen unserer Erde und ihre Umdrehungszeit zwar relativ zu unseren derzeitigen Vergleichsmastben sehr konstant, das ist aber physikalisch nicht notwendigerweise so. Die Erde knnte bei ihrer Abkhlung schrumpfen oder sie knnte sich vergrern, weil sich auf ihr einfallende Meteoriten ablagern. Auch ihre Drehung um sich selbst knnte langsamer werden, und trotzdem wrde sie ein Planet bleiben wie zuvor. Ein Atom jedoch, nehmen wir etwa Wasserstoff, wrde nicht Wasserstoff bleiben, wenn sich entweder seine Masse oder seine Vibrationszeit auch nur ein wenig ndern wrde. Wenn wir also Lngen-, Zeit- und Massenstandards haben wollen, die absolut konstant sind, drfen wir sie nicht in den Ausmaen, der Bewegung oder der Masse unseres Planeten suchen, sondern in der Wellenlnge, der Vibrationsperiode und der absoluten Masse jener unvergnglichen, unvernderlichen und auf perfekte Weise gleichen Atome.22

Maxwell war an den Atomen besonders aus philosophischen Erwgungen interessiert, weil er die Bedeutung der Tatsache erkannt hatte, dass die Materie aus Bausteinen besteht, die man nicht unterscheiden kann. Jedes Stck reinen Eisens ist aus vllig identischen Eisenatomen aufgebaut eine uerst bemerkenswerte Eigenschaft unserer Welt! Maxwell stellte dieser Ununterscheidbarkeit die Vernderlichkeit und Entwicklungsfhigkeit der lebendigen Na-

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tur gegenber, wie sie der Gegenstand von Charles Darwins Evolutionstheorie mit ihrer natrlichen Auslese war. Maxwell betonte, dass die Atome als Bausteine der Natur weder der Auslese noch Anpassungs- oder Mutationsprozessen unterliegen. Auf der Grundlage dieser Unvernderlichkeit und Universalitt wollte er Maeinheiten denieren, mit denen man einerseits die durch menschliches Zutun entstehenden Fehler vermeiden konnte und andererseits zu den grundlegenden Invarianten der realen Welt vorzustoen vermochte. 1927 wurde die rote Emissionslinie des Cadmiums als erster atomarer Lngenstandard23 gewhlt. Man denierte mit ihr die Lngeneinheit ngstrm (1 = 10-10 m), indem man die Wellenlnge der Cadmiumlinie mit 6438,4696 festsetzte.24 Da die Wellenlnge des Lichts, das von Cadmium ausgestrahlt wird, einzig und allein von Naturkonstanten bestimmt wird, war diese Denition ein entscheidender Schritt, denn mit ihr wurde zum ersten Mal ein universelles Standardma festgelegt. Wenn wir also unserem Alien etwas ber die Gre der Menschen mitteilen wollen, knnen wir ihm jetzt sagen, dass die meisten von uns 2-3 Millionen Mal grer sind als die Wellenlnge der roten Cadmiumlinie und er wird uns verstehen.

Stoneys brillante IdeeIm August 1874 brachte George Johnstone Stoney (siehe Abbildung 2.3), ein ziemlich ungewhnlicher irischer Physiker, Ordnung in das babylonische Durcheinander der damals blichen Maeinheiten. Er war Und wo kam die Materie her? Das ist doch ganz gleich. Das Geheimnis eingeladen worden, vor der British Asdes Universums ist Apathie, Gleichgltigsociation for the Advancement of Scikeit. Die Sonne, die Erde, die Felsen, sie ence in Belfast einen Vortrag ber diealle sind gleichgltig, und das ist eine Art ses Thema zu halten.26 Diese jhrliche passive Kraft. Vielleicht sind Gleichgltigkeit und Schwerkraft das gleiche. Versammlung gibt es noch immer, sie 25 dient aber heute dazu, der breiteren Isaac B. Singer ffentlichkeit, den Medien und insbesondere jungen Menschen die neuesten Ergebnisse der Naturwissenschaft verstndlich zu machen. Zu Stoneys Zeiten war sie eines der

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weltweit bedeutendsten Treffen von Naturwissenschaftlern, auf dem die wichtigsten Entdeckungen in Fachvortrgen vorgestellt wurden. Die Presse berichtete seinerzeit ausfhrlich ber die heien Diskussionen auf diesen Veranstaltungen. Heute gibt es eine so groe Anzahl von Konferenzen, Workshops, Meetings, Diskussionen und Podiumsgesprchen ber jeweils ganz spezielle Themen, dass fr eine Veranstaltung, auf der alle Zweige der Naturwissenschaften auf hohem fachlichem Niveau abgehandelt werden, kein Platz mehr ist: Sie wre allzu gro, wrde ewig dauern und wre fr die meisten Teilnehmer nahezu unverstndlich. Stoney war ein exzentrischer und origineller Denker. Er hat als Erster gezeigt, wie man bei anderen Planeten unseres Sonnensystems herausnden kann, ob sie eine Atmosphre haben: Man berechnet, ob die Schwerkraft ausreicht, sie am Entweichen zu hindern. Aber Stoneys wahre Leidenschaft galt seinem Lieblingsthema: dem electron. Er hatte nachgewiesen, dass es einen Baustein der elektrischen Ladung geben msse. Bei der Auswertung der Elektrolyseexperimente, die von Michael Faraday durchgefhrt worden waren, gelang es ihm sogar, den Wert dieser Einheitsladung zu bestimmen ein Ergebnis, das spter von Joseph John Thomson besttigt wurde, der 1897 in Cambridge das Elektron entdeckte27 und dies der Royal Institution am 30. April anzeigte. Stoney gab seiner Elementarladung schlielich 189128 den Namen electron (nachdem er sie 1874 zunchst electrine29 genannt hatte). Er lie spter keine Gelegenheit aus, um ber diese Gre und die mglichen Vorteile seines Konzepts fr die Wissenschaft zu sprechen. Stoney war ein entfernter lterer Cousin des berhmten Mathematikers und Computerwissenschaftlers Alan Turing, der auch als Experte fr das Knacken von Geheimcodes galt. Dessen Mutter hielt in einem Buch ber ihren Sohn viele Erinnerungen an den seltsamen Onkel fest, den die Kinder electron-Stoney nannten. Ein anderer Onkel Stoneys war George FitzGerald, der Berhmtheit erlangte, weil er die Lorentz-FitzGerald-Kontraktion beschrieb, ein Phnomen, das man schlielich spter im Rahmen von Einsteins Spezieller Relativittstheorie interpretieren konnte. Stoney war auch praktisch veranlagt und baute zwei Jahre lang fr den Earl of Rosse und dessen

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A b b ild u n g 2 .3 Der irische Physiker George Johnstone Stoney (18261911).30

Privatobservatorium in Birr Castle empndliche optische Instrumente. Danach, 1850, wurde er Professor fr Naturphilosophie am Queens College von Galway. Nach seiner Emeritierung ging er nach Hornsey nrdlich von London und verffentlichte weiterhin eine Flut von Arbeiten in den wissenschaftlichen Zeitschriften der Royal Dublin Society. Es gibt kaum ein Thema, zu dem er nicht etwas beigetragen hat das Spektrum reicht von Zeitreisen bis zu der Frage, warum Fahrrder nicht umfallen. Stoney el auf, dass im Programm der oben erwhnten Tagung der British Association in Belfast eine Flle der unterschiedlichsten Einheiten und Standards auftauchten. Er wollte herausnden, wie man sie bestimmen konnte, wie man sie am besten deniert und wie man sie ineinander umrechnet. Fr Insider war das alles recht ntzlich, fr den Rest der Welt stellte es ein eher langwieriges Projekt dar. Stoney sah eine Chance, das hchst komplizierte Netz der Maeinheiten, die auf menschlichen Dimensionen beruhten, zu vereinfachen und dabei gleichzeitig seiner Hypothese von der elektrischen Einheitsladung31 mehr Gewicht zu verleihen. Als Mitglied eines Komitees32 der British Association, das schon in den Jahren vor der Tagung Vereinbarungen ber elektrische Einheiten getroffen hatte,

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war er bereits mit dem Problem der Standards und Einheiten konfrontiert gewesen. Ihm wurde klar, dass sein Konzept einer Elementarladung das fehlende Stck eines Puzzles war. Nehmen wir an, jemand will Einheiten fr Masse, Lnge und Zeit denieren, die nicht nur wie Pfund, Meile oder Tag fr den menschlichen Alltagsgebrauch geeignet sind. Sie mssten dann aus Grundeigenschaften des Universums abgeleitet werden und drften weder davon abhngen, wann man eine Messung durchfhrt, noch davon, wo man sich dabei bendet. Damit wre die bliche Hilfslsung berssig, ein Urkilogramm und ein Urmeter, das irgendwo unter besonderen kontrollierten Bedingungen aufbewahrt wurde, zum Vergleich fr andere Referenzmassen und -lngen heranzuziehen. Um den anthropozentrischen Fesseln zu entkommen, richtete Stoney sein Interesse auf physikalische Konstanten. Newton hatte schon mehr als zwei Jahrhunderte zuvor erkannt, dass die Schwerkraft einem einfachen Gesetz gehorcht: Die Kraft F zwischen zwei Massen m1 und m2 im Abstand r ist proportional zur Gre beider Massen und umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstands der beiden Massenmittelpunkte:F = G (m1 m2) / r2

Man nahm an, dass das Gravitationsgesetz universell gilt und die Proportionalittskonstante G berall im Universum gleich ist.33 Sie ist ein Ma fr die Strke der Schwerkraft. Wichtig an ihr ist, dass sie wirklich konstant ist: Wo auch immer sie in korrekter Weise gemessen wird, hat sie den gleichen Wert.34 Drckt man G in unseren gebruchlichen anthropozentrischen Einheiten aus, die ja nicht fr diesen Zweck geschaffen wurden, erhlt man eine krumme und recht sperrige Zahl: G = 6,67259 x 10-11 m3kg-1s-2. Die zweite Naturkonstante, auf die Stoney fr seine nicht-anthropozentrischen Maeinheiten zurckgriff, war die Lichtgeschwindigkeit c. Auch diese Konstante sprengt alle menschlichen Vorstellungen. Sie ist von grundlegender Bedeutung, ja von einer grundlegenderen Bedeutung, als es Stoney ahnen konnte. Einstein zeigte spter, dass die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum die hchste im Universum berhaupt

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denkbare Geschwindigkeit darstellt und es keine Mglichkeit gibt, Informationen schneller zu verbreiten. Man hat auerdem entdeckt, dass das Produkt aus Permeabilitt und Permittivitt, mit denen die magnetische und die elektrische Grundeinheit deniert werden, gleich dem inversen Quadrat der Lichtgeschwindigkeit ist, was die Bedeutung der Lichtgeschwindigkeit auch fr den elektromagnetischen Bereich unter Beweis stellt.35 Zu den zwei Konstanten G und c fgte Stoney seinen Kandidaten fr eine dritte Naturkonstante hinzu: die Elementarladung, die inzwischen meist mit dem Symbol e bezeichnet wird. Damit war das Puzzle komplett, denn e passte in gleicher Weise wie G und c in die Rechnung. Die Elementarladung galt als universell, sie war mit der Grundstruktur des Universums verknpft, und sie wurde nicht von menschlichen Zwecken und Bedrfnissen bestimmt. Stoney prsentierte das Dreigestirn seiner Konstanten wie folgt:Die Natur liefert uns drei derartige Einheiten, und wenn wir diese als Grundeinheiten whlen anstatt eine willkrliche Wahl zu treffen, werden wir unsere Rechnungen in eine bequemere Form bringen, die zudem zweifellos einen engeren Bezug zur Natur hat, wie sie wirklich ist. Zu diesem Zweck mssen wir Phnomene auswhlen, die berall in der Natur vorkommen und nicht nur mit ganz bestimmten Gegebenheiten verbunden sind. Die erste der absoluten Naturgren, auf die ich Ihre Aufmerksamkeit lenken will, ist jene bemerkenswerte Geschwindigkeit von absoluter Gre, die von den Einheiten, in denen sie gemessen wird, unabhngig ist und unsere elektrostatischen Einheiten mit den zugehrigen elektromagnetischen Einheiten verknpft. Ich werde diese Geschwindigkeit c nennen.36 Whlen wir sie als unsere Geschwindigkeitseinheit, vereinfachen wir auf einen Schlag die Behandlung aller elektrischen Phnomene und vermutlich auch unsere Untersuchungen von Licht und Wrme. Darber hinaus liefert uns die Natur einen Gravitationskoefzienten, der eine absolute Gre darstellt und von den verwendeten Einheiten, in denen er angegeben wird, unabhngig ist. Mit ihm kann man die schwere Materie unseres gesamten materiellen Universums beschreiben. Diesen Koefzienten werde ich G nennen. Whlen wir ihn als Koefzienten fr die Anziehung, knnen wir damit vermutlich einen ersten Schritt zur Beantwortung der Frage machen, worin die bisher nur vermutete tiefere Verbindung zwischen dem Phnomen der Schwerkraft, jener wunderbarsten Eigenschaft, die alle schwere Materie hat, zu den anderen Naturphnomenen liegt. Schlielich zeigt uns die Natur im Phnomen der Elektrolyse, dass es einen Grundbaustein der Elektrizitt gibt, der unabhngig vom jeweiligen Stoff ist.

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Um dies zu verdeutlichen, will ich Faradays Gesetz mit den folgenden Begriffen ausdrcken, die, wie ich zeigen werde, das Gesetz prziser fassen: Fr jede chemische Bindung, die in einem Elektrolyt gelst wird, durchquert eine Menge an Elektrizitt den Elektrolyt, die in allen Fllen gleich ist. Dieses bestimmte Elektrizittsquantum nenne ich e. Wenn wir es zur Grundeinheit der Elektrizitt whlen, haben wir vermutlich einen uerst wichtigen Schritt auf dem Weg zur Erkenntnis der molekularen Phnomene gemacht. Wir haben also guten Grund zu der Annahme, dass wir mit c, G und e drei aus einer Reihe systematischer Einheiten haben, die in einem besonderen Sinn Natureinheiten sind und in enger Beziehung zu den Vorgngen stehen, die im gewaltigen Laboratorium ablaufen, welches die Natur darstellt. Wir haben so die drei groen fundamentalen Einheiten erhalten, die uns die Natur anbietet. Auf ihnen knnen wir ganze Reihen physikalischer Einheiten aufbauen, die mit Recht natrliche Reihen genannt werden knnen.37

Stoney zeigte, dass das magische Trio aus c, G und e auf eine (und nur eine) Art miteinander kombiniert werden kann, um aus ihm Einheiten fr Masse, Lnge und Zeit abzuleiten. Fr die Lichtgeschwindigkeit whlte er einen Durchschnittswert der damals bekannten Messungen mit c = 3 x 108 m/s. Fr die Newtonsche Gravitationskonstante nahm er den von John Herschel bestimmten Wert G = 0,67 x 10-11 m3kg-1s-2 und fr die Ladung des electrine e = 1020 Ampre.38 Stoney fand durch die Kombination von c, G und e die folgenden reichlich ungewhnlichen Denitionen fr natrliche Grundeinheiten von Masse, Lnge und Zeit:mSt= (e2/G)1/2 10-7 g lSt = (Ge2/c4)1/2 10-37 m tSt = (Ge2/c6)1/2 3 x 1046 s

Whrend eine Masse von 107 g nicht vllig aus dem Rahmen fllt sie entspricht etwa der eines Staubteilchens , passen Stoneys Lngen- und Zeiteinheiten zu nichts, mit dem man sich je in den Naturwissenschaften befasst hat. Sie sind in ihrer Winzigkeit einfach fantastisch und unbegreiich. Es gab damals natrlich auch keine Mglichkeit, derart kleine Lngen und Zeiten direkt zu messen auch heute ist das noch nicht mglich. Irgendwie war das Ergebnis aber auch nicht berraschend, denn die neuen Einheiten waren ja ganz bewusst weder aus menschlichen Maen gewonnen noch fr

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menschliche Zwecke passend geschneidert worden. Die Grundgren des Universums, die zu ihrer Denition benutzt wurden, kmmern sich nicht um unsere menschlichen Belange. Stoney hatte mit seinem Versuch, ein die Menschenwelt transzendierendes Einheitensystem zu nden, einen glnzenden wissenschaftlichen Erfolg errungen. Aber leider war das Interesse an den neuen natrlichen Einheiten gering, denn es gab fr sie keine praktische Verwendung, und ihre tiefere Bedeutung blieb fr alle, auch fr Stoney selbst, noch verborgen. Stoney war zudem mehr daran interessiert, sein electrine zu propagieren. So kam es, dass die natrlichen Einheiten spter neu entdeckt werden mussten.

Plancks natrliche EinheitenStoneys Einheitensystem wurde 1899 in einer etwas abgewandelten Version von Max Planck zu neuem Leben erweckt. Planck wurde fr sein Gesetz zur Beschreibung der WrDie Naturwissenschaft kann das tiefste mestrahlung und die damit verbunMysterium der Natur nicht entschlsseln. dene Entdeckung der Quantenstruktur Der Grund ist, dass wir letztlich selbst berhmt. Eine der fundamentalen NaTeil dieses Mysteriums sind, das wir zu turkonstanten, das Plancksche Wirentschlsseln versuchen. kungsquantum, ist nach ihm benannt. Max Planck39 Als einer der fhrenden Physiker seiner Zeit erhielt er 1918 den Nobelpreis fr Physik. Zurckhaltend, bescheiden und tief religis40 wie er war, wurde er von seinen jngeren Kollegen wie Einstein und Bohr verehrt. Fr Planck war die Natur von einer ihr innewohnenden Rationalitt bestimmt, die vom menschlichen Denken unabhngig ist. Er glaubte an eine hhere Intelligenz hinter den Erscheinungen der Wirklichkeit und versuchte, dieser tieferen Struktur gewahr zu werden, die jenseits aller menschlichen Zwecke und Notwendigkeiten liegt.41 In seinem letzten Lebensjahr erhielt Planck einen Brief von Ilse Rosenthal-Schneider (siehe Abbildung 2.4), einer seiner frheren Studentinnen. Sie interessierte sich sehr fr die philosophischen As-

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pekte der Naturwissenschaften und war in ihren jungen Jahren sowohl mit Einstein als auch Planck befreundet gewesen. 1938 emigrierte sie zusammen mit ihrem Mann aus Nazi-Deutschland nach Sydney. In einem Brief vom 22. Februar 1947 fragte sie Planck, ob er

A b b ild u n g 2 .4 Ilse Rosenthal-Schneider (1891-1990).42

glaube, dass die Anstrengung zur Vereinigung der Naturkonstanten in einer umfassenden Theorie Sinn machen wrde und was von den berlegungen Arthur Eddingtons43 zu halten sei. Planck zeigte sich von Rosenthal-Schneiders Vorstellung begeistert, war aber gleichwohl skeptisch, was den Erfolg eines solchen Versuchs betraf:Was Ihre Frage nach dem Zusammenhang der universellen Konstanten betrifft, so ist es ohne Zweifel ein schner Gedanke, ihn so eng als mglich zu gestalten, indem man diese verschiedenen Konstanten auf eine einzige zurckfhrt. Ich fr meinen Teil zweie allerdings daran, dass dies gelingen wird. Aber ich kann mich ja auch irren.44

Anders als Einstein glaubte Planck nicht wirklich, dass irgendeine umfassende Theorie zur Erklrung aller Naturkonstanten gefunden

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werden knnte, denn mit ihr wrde die Physik aufhren, eine induktive Wissenschaft zu sein. Planck misstraute der Vorstellung, Gren, die ihre Existenz den Zufllen unserer irdischen Situation verdanken, eine grundlegende Bedeutung beizumessen:Alle bisher in Gebrauch genommenen physikalischen Masysteme, auch das so genannte absolute C.G.S.-System, verdanken ihren Ursprung insofern dem Zusammentreffen zuflliger Umstnde, als die Wahl der jedem System zugrunde liegenden Einheiten nicht nach allgemeinen, notwendig fr alle Orte und Zeiten bedeutungsvollen Gesichtspunkten, sondern wesentlich mit Rcksicht auf die speziellen Bedrfnisse unserer irdischen Kultur getroffen ist. So sind die Einheiten der Lnge und der Zeit aus den gegenwrtigen Dimensionen und der gegenwrtigen Bewegung unseres Planeten hergeleitet worden, ferner die Einheit der Masse und der Temperatur aus der Dichte und den Fundamentalpunkten des Wassers, als derjenigen Flssigkeit, die an der Erdoberche die wichtigste Rolle spielt, genommen bei einem Druck, welcher der mittleren Beschaffenheit der uns umgebenden Atmosphre entspricht. An dieser Willkr wrde prinzipiell auch nichts Wesentliches gendert werden, wenn etwa zur Lngeneinheit die unvernderliche Wellenlnge des Na-Lichtes genommen wrde. Denn die Auswahl gerade des Na unter den vielen chemischen Elementen knnte wiederum nur etwa durch sein huges Vorkommen auf der Erde oder etwa durch seine fr unser Auge glnzende Doppellinie, die keineswegs einzig in ihrer Art dasteht, gerechtfertigt werden. Es wre daher sehr wohl denkbar, dass zu einer anderen Zeit, unter vernderten ueren Bedingungen, jedes der bisher in Gebrauch genommenen Masysteme seine ursprngliche natrliche Bedeutung teilweise oder gnzlich verlieren wrde. Dem gegenber drfte es nicht ohne Interesse sein, dass mit Zuhilfenahme der beiden Konstanten h und k die Mglichkeit gegeben ist, Einheiten fr Lnge, Masse, Zeit und Temperatur aufzustellen, welche, unabhngig von speziellen Krpern oder Substanzen, ihre Bedeutung fr alle Zeiten und fr alle, auch auerirdische und auermenschliche Kulturen notwendig behalten und welche daher als natrliche Maeinheiten bezeichnet werden knnen. 45

Stoney wollte den gordischen Knoten der Subjektivitt durchschlagen, der durch die Wahl praktischer Einheiten entstanden war. Planck hingegen war daran gelegen, mit seinen neuen Einheiten eine Grundlage der Physik zu schaffen, die nicht auf menschliche Belange bezogen war. Solche Einheiten knnten dann mit Recht natrliche Einheiten genannt werden und als Fortschritt auf dem Weg

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gelten, die Phnomene der ueren Welt von denen des menschlichen Bewusstseins so deutlich wie mglich zu trennen. Planck whlte dazu neben den uns schon von Stoney bekannten Gren c (Lichtgeschwindigkeit) und G (Gravitationskonstante) das Wirkungsquantum h (oder = h/2), das heute Plancks Namen trgt und mit den kleinsten Energiequanten verknpft ist, die ausgetauscht werden knnen.46 Planck nahm zustzlich noch die Boltzmann-Konstante k auf, den Faktor zur Umrechnung von Energieeinheiten in Temperatureinheiten, der die Denition einer natrlichen Temperatur ermglicht. Plancks Einheiten stellen nun hnlich wie bei Stoney die einzig mglichen Kombinationen seines Quartetts aus c, G, h und k dar, die zu Massen-, Lngen-, Zeit- und Temperatureinheiten fhren. Die Zahlenwerte unterscheiden sich von denen Stoneys nur wenig:Planck-Masse: Planck-Lnge: Planck-Zeit: mPl = (hc/G)1/2 = 5,37 x 10-5 g lPl = (Gh/c3)1/2 = 3,99 x 10-33 cm tPl = (Gh/c5)1/2 = 1,33 x 10-43 s

Planck-Temperatur: TPl = k-1(hc5/G)1/2 = 3,60 x 1032 K

Wieder treffen wir auf den Gegensatz zwischen einer zwar kleinen, aber nicht auergewhnlich kleinen natrlichen Masseneinheit und den geradezu fantastisch winzigen natrlichen Einheiten von Lnge, Zeit und Temperatur (wobei hier 1/T betrachtet werden muss).47 Fr Planck lag die besondere Bedeutung seiner natrlichen Einheiten darin, dass sie weit ber unsere menschlichen Bereiche hinausgehen und fr die Grundlagen der physikalischen Realitt entscheidend sind:Diese Gren behalten ihre natrliche Bedeutung solange bei, als die Gesetze der Gravitation, der Lichtfortpanzung im Vacuum und die beiden Hauptstze der Wrmetheorie in Gltigkeit bleiben, sie mssen also, von den verschiedensten Intelligenzen nach den verschiedensten Methoden gemessen, sich immer wieder als die nmlichen ergeben.48

Planck spielte auf Beobachter an, die irgendwo im Universum leben: Sie wrden diese Einheiten in genau der gleichen Weise denieren und anerkennen wie wir. Er ging noch weiter und denierte natrlichen Einheiten so, dass in dem neuen Masystem jede der vorste-

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henden Constanten den Wert 1 annimmt49. Man kann nun alle Massen, Lngen, Zeiten und Temperaturen als Vielfache der Planckschen Elementargren angeben. Die Gren hatten fr die damalige Zeit etwas Bemerkenswertes wie Jahre zuvor die Stoneys. Sie verochten die Schwerkraft mit der Elektrizitt und dem Magnetismus. Die Schwerkraft war schon immer ein Forschungsbereich der Physik, in dem sich nur wenig abspielte. Newton hatte das Gesetz der Schwerkraft entdeckt, und niemand stellte spter dazu noch viele Fragen. Allerdings gab es beunruhigende kleine Abweichungen zwischen den Berechnungen und den Beobachtungen von Bahnabweichungen des Planeten Merkur auf seinem Weg um die Sonne. Man hatte schon vorgeschlagen, nderungen am Newtonschen Gesetz vorzunehmen, um die Abweichungen zu erklren. Doch die meisten Astronomen nahmen an, dass der Einuss der nicht vollkommen sphrischen Gestalt der Sonne oder Messfehler zur Erklrung ausreichen wrden. Offenbar schien damit das Kapitel Schwerkraft abgeschlossen zu sein. Ganz anders sah es im Bereich der Elektrizitt und des Magnetismus aus. Die dort herrschenden Gesetze waren Gegenstand der aktuellen Diskussion. Zunchst nahm man an, es gbe fr die statische Elektrizitt (die dafr sorgt, dass uns die Haare zu Berge stehen), die dynamische Elektrizitt (die den Strom zum Flieen bringt) und den Magnetismus verschiedene Gesetze. Nach und nach stellte sich dann aber heraus, dass die beiden Elektrizittsarten nur verschiedene Erscheinungsformen einer einzigen elektrischen Kraft darstellen. Und dann kam Maxwell. Er konnte zeigen, dass auch Elektrizitt und Magnetismus nur zwei Seiten einer einzigen Medaille sind. Bewegt man einen Magneten, so bringt man Strom zum Flieen, und ieender Strom erweckt umgekehrt magnetische Krfte. Bei all dem schien aber nie die Schwerkraft ins Spiel zu kommen. Weder die Elektrizitt noch der Magnetismus noch das Verhalten von Atomen und Moleklen schien von ihr beeinusst zu werden. Auch auf dieser Grundlage konstruierte man natrliche Einheiten, die sich allerdings deutlich von denen Stoneys und Plancks unterschieden. Der Physiker Paul Drude, der wichtige Beitrge zur Erforschung der elektromagnetischen Wellen, der Optik und von

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Festkrpern geleistet hat, war 1894 auf den angesehenen Lehrstuhl fr Physik in Leipzig berufen worden. Er hoffte auf ein System absoluter Massen-, Lngen- und Zeiteinheiten, das an universelle Eigenschaften, an die des thers, anknpft, von dem man damals noch glaubte, er durchdringe den gesamten Raum. Als Grundgre whlte Drude die Lichtgeschwindigkeit. Die mittlere freie Weglnge der theratome knnte z.B. das Lngenma sein, das Zeitma wrde sich dann sofort aus der Lichtgeschwindigkeit ergeben.50 Nach Drude gab es keine Mglichkeit einer Kopplung der Schwerkraft an Elektrizitt und Magnetismus. Daher folgte er Stoney und Planck nicht, in deren natrlichen Einheiten die Gravitationskonstante G enthalten war.51 Selbst fr Planck war es ein ungelstes Rtsel, wie G in seine natrlichen Einheiten gelangte. Er konnte es so wenig erklren, wie die winzigen Grundgren von Lnge und Zeit. Welche Bedeutung hatten sie? Was wrde man in einer Welt beobachten, die diese Ausmae htte? Die Zeit fr solche Fragen war damals noch nicht gekommen52 und schon gar nicht die Zeit, in der man sie htte beantworten knnen.

Planck landet in der RealittPlanck hat uns gezeigt, dass man aus der Existenz von Naturkonstanten auf eine physikalische Realitt schlieen kann, die von unserer menschlichen Denkwelt losgelst ist. Er wollte aber noch einen Schritt weiter gehen und die unvernderlichen Naturkonstanten als Argument gegen die Positivisten ins Feld fhren, die der Auffassung sind, das Gebude der Naturwissenschaft sei allein von Menschen errichtet und bestnde nur aus Messergebnissen, die in geeigneter Weise von einer Theorie angeordnet werden einer Theorie, die irgendwann von einer besseren abgelst wird. Obgleich Planck das Aufstellen von Gleichungen und die Formulierung physikalischer Theorien als eine menschliche Erndung betrachtete, war es fr ihn noch weit mehr. Die Naturkonstanten waren ohne sein Zutun aufgetaucht und, wie seine natrlichen Einheiten deutlich zeigten, offensichtlich nicht nur fr menschliche Zwecke festgelegt worden. Er schrieb:

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Diese kleinen Zahlen, die sogenannten universellen Konstanten, sind gewissermaen die unvernderlich gegebenen Bausteine, aus denen sich das Lehrgebude der theoretischen Physik zusammensetzt. Welches ist denn nun, so mssen wir weiter fragen, die eigentliche Bedeutung dieser Konstanten? Sind sie in letzter Linie Erndungen des menschlichen Forschergeistes oder besitzen sie einen Zuerst entfernt sich die Wissenschaft realen, von der menschlichen Intelligenz bei der Arbeit an dem von ihr geschaffeunabhngigen Sinn? nen Weltbild auf der Suche nach dem Das erste behaupten die Anhnger des metaphysisch Realen in fortschreitendem Positivismus, wenigstens in seiner extremen Mae von den Gegebenheiten und InterFrbung. Nach ihnen hat die Physik keine essen des Lebens, insofern sie immer unandere Grundlage als die Messungen, auf anschaulichere, immer einsamere Wege denen sie sich ja aufbaut, und ein physikalieinschlgt. Aber gerade auf diesen Wescher Satz hat nur insofern Sinn, als er gen werden neue Zusammenhnge durch Messungen belegt werden kann. sichtbar, die nun wieder in das Leben zuDaher haben auch die Positivisten aller rckbersetzt und dadurch fr menschliSchattierungen der Einfhrung atomistiche Bedrfnisse nutzbar gemacht werden scher Hypothesen und damit auch der Anerknnen. kennung der obengenannten universellen Max Planck53 Konstanten bis zuletzt den schrfsten Widerstand entgegengesetzt. Das ist wohl verstndlich; denn die Existenz dieser Konstanten ist ein greifbarer Beweis fr das Vorhandensein einer Realitt in der Natur, die unabhngig ist von jeder menschlichen Messung. Freilich knnte ein konsequenter Positivist auch heute noch die universellen Konstanten als eine Erndung bezeichnen, die sich deshalb als ungemein ntzlich erwiesen hat, weil sie eine genaue und vollstndige Beschreibung der verschiedenartigsten Messungsergebnisse ermglicht. Aber es wird kaum einen richtigen Physiker geben, der eine solche Behauptung ernst nehmen wrde. Die universellen Konstanten sind nicht aus Zweckmigkeitsgrnden erfunden worden, sondern haben sich mit unwiderstehlichem Zwang aufgedrngt durch die bereinstimmenden Resultate smtlicher einschlgiger Messungen, und, was das Wesentliche ist, wir wissen im Voraus genau, dass alle knftigen Messungen auf die nmlichen Konstanten fhren werden.54

Die Gegner der Planckschen Annahmen meldeten noch eine Reihe weiterer Einwnde an. Es knnte beispielsweise sein, dass sich die von Planck gewhlten Konstanten als nicht wirklich konstant erweisen, wenn man sie mit grerer Genauigkeit misst. Es knnte auch sein, dass sie sich uerst langsam ndern, vielleicht nur um wenige Millionstel im Verlauf der Geschichte des Universums. Es knnte

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weiter sein, dass sie nur im statistischen Sinn, etwa als Mittelwert, konstant sind. Weil man all diese Mglichkeiten nicht durch bloe Gegenbehauptungen oder ein Glaubensbekenntnis ausschlieen kann, sind przise experimentelle Untersuchungen dieser Gren ntig. Die Physiker widmeten sich dieser Aufgabe mit groem Eifer, einigen schien sie sogar das letzte gewaltige Ziel der Physik darzustellen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war amsanterweise der Glaube weit verbreitet, alle wesentlichen Entdeckungen in der Physik seien bereits gemacht, und was noch als Aufgabe verbliebe, seien Messungen mit immer grerer Genauigkeit: ein Unternehmen, dem es eher auf die Verschnerung des Vorhandenen ankam, als auf Neuentdeckungen oder Revolutionen. Albert Michelson machte sich 1894 ber diese Hybris lustig, die sich in der weit verbreiteten Ansicht ausdrckte, dassdie wichtigsten Grundgesetze und Fakten der Physik entdeckt worden sind. Sie sind heute so etabliert, dass die Mglichkeit, sie knnten jemals durch neue Entdeckungen ersetzt werden, vernachlssigt werden kann. Unsere zuknftigen Entdeckungen werden sich in der sechsten Stelle nach dem Komma niederschlagen.55

Auch Planck sah sich mit dieser Ansicht konfrontiert. Man riet ihm 1875, als er noch studierte, lieber auf dem Gebiet der Biologie zu arbeiten, da alle wichtigen physikalischen Probleme schon gelst seien und dieses Gebiet sich dem Abschluss nhere. Ironischerweise war es dann gerade Planck, der mit seiner Quantentheorie einen vllig neuen Blick auf die Realitt erffnete eine Revolution, die dann durch Einsteins Angriff auf die gngigen Vorstellungen von Raum, Zeit und Schwerkraft weitergefhrt wurde. Die Physik war weit davon entfernt, an ihr Ende zu kommen: Sie hatte gerade erst angefangen.

Anmerkungen ber das AlternEines der Paradoxa bei der Erforschung unseres Universums ist, dass wir seine Struktur und die in ihm stattndenden Prozesse immer exakter beschreiben knnen, uns dabei aber immer weiter von allem

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entfernen, was wir aus unserem Alltag kennen. Die genauesten Vorhersagen, die wir heute machen knnen, betreffen Elementarteilchen und Systeme rotierender Galaxien und nicht die Brsenkurse und das launische Verhalten von Konsumenten und Whlern. Dies spricht fr eine Welt, die nicht das Produkt menschlichen Denkens ist, sondern von uns nur entdeckt und enthllt wird. Das ist nicht selbstverstndlich. In unseren Versuchen, die Kompliziertheit des menschlichen Verhaltens zu begreifen, ist ein starkes subjektives Element nicht zu bersehen. Es fhrt dazu, dass auf diesem Gebiet unsere Schlsse in der Regel umso weniger verlsslich werden, je weiter wir uns von unseren eigenen Erfahrungen entfernen und je mehr wir uns mit Menschen befassen, die vllig anders sind als wir selbst. Im Gegensatz zu unseren Bemhungen in den Humanwissenschaften hat uns die Entdeckung der Naturkonstanten, die hinter den Gesetzen von Sein und Werden stehen, absolute Mastbe geliefert, mit denen wir beispielsweise angeben knnen, ob Dinge gro oder klein, jung oder alt, schwer oder leicht und hei oder kalt sind. Stufen wir das Universum als alt ein, wenn wir feststellen, dass es sich seit ber 13 Milliarden Jahren ausdehnt? Eine Zeitspanne von 13 Milliarden Jahren bedeutet uralt, wenn wir sie mit unserer eigenen Lebensdauer vergleichen oder in Tag, Monat und Jahr messen. Es knnte aber sein, dass das Universum sich noch weitere Trillionen von Jahren ausdehnt, vielleicht auch fr ewige Zeiten. Daran gemessen wre es noch sehr jung. Die natrlichen Einheiten sagen uns, dass das Universum in einem wohldenierten Sinn tatschlich schon sehr alt ist: Es existiert schon mehr als 1060 Planck-Zeiten! Das Leben auf der Erde tauchte erst auf, als die Welt schon 1059 PlanckZeiten alt war. Wir sind Sptgeborene.

Kapitel 3

Mensch und bermenschMein Bruder Mycroft kommt zu Besuch. Arthur Conan Doyle1

Einstein und die NaturkonstantenMehr als jeder andere Naturwissenschaftler hat Albert Einstein das Bild bestimmt, das wir von der Natur haben. Unsere heutige Auffassung von der atomaren Struktur und dem Quantencharakter der materiellen Mikrowelt sind entscheidend von seinem Einuss geprgt. Die konstante Lichtgeschwindigkeit bildete den Ausgangspunkt fr sein Konzept der Relativitt von Raum und Zeit. Ganz auf sich allein gestellt entwickelte er eine neue Theorie der Schwerkraft, die die klassische Vorstellung Newtons ablste. Dass es in unserer Welt Dinge gibt, die sich unter keinen Umstnden ndern, faszinierte ihn ganz besonders. Wie schnell sich eine Lichtquelle relativ zu uns auch bewegen mag, die Geschwindigkeit des ausgesandten Lichts bleibt dabei stets gleich. Das steht im krassen Gegensatz zu allen Erfahrungen im Bereich kleiner Geschwindigkeiten, wie sie in unserem Alltagsleben vorkommen. Wirft man aus einem Auto, das mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h fhrt, einen Ball mit 10 km/h in Fahrtrichtung, so wrde er einen Zuschauer am Straenrand mit 110 km/h treffen. Schickt man dagegen von einem Raumschiff, das mit nahezu Lichtgeschwindigkeit iegt, ein Funksignal ab, so breitet es sich vom Boden aus gemessen im luftleeren Raum immer mit 300 000 km/s aus. Die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ist eine ganz besondere Naturkonstante. Sie stellt einen Grenzwert dar, den wir zum Mastab dafr nehmen knnen, ob eine Bewegung im absoluten Sinn langsam oder schnell ist. Wir gehen davon aus, dass die Lichtgeschwindigkeit berall im Universum die-

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selbe grundlegende Rolle spielt. Sie ist eine kosmische Schranke: Keine Information kann schneller bermittelt werden.2 Einstein hat in den verschiedensten Phasen seines Lebens interessante Aussagen ber die Naturkonstanten gemacht. Fr die Entwicklung seiner Speziellen RelativittsObwohl ich nun ein alter Knochen bin, theorie ist die absolute Geschwindigkeit bin ich noch fest bei der Arbeit und des Lichts von zentraler Bedeutung. glaube immer noch nicht, dass Gott Was Stoney und Planck nur vermuten wrfelt. konnten, wurde hier zur Gewissheit: Albert Einstein3 Die Lichtgeschwindigkeit ist eine der grundlegenden, von allem Treiben der Menschen unabhngige Naturkonstante. Die zweite Hlfte von Einsteins Leben bestimmte mehr und mehr die Suche nach einer endgltigen, einheitlichen Theorie der Physik, die er einheitliche Feldtheorie nannte. Heute wird sie meist als Theorie fr Alles bezeichnet.4 Einsteins Versuch, die Allgemeine Relativittstheorie zu erweitern und neben der Schwerkraft auch die anderen Naturkrfte mit einzubeziehen, war kein Erfolg beschieden.5 Er war aber fest von der Existenz einer solchen Theorie, die in ihrer Einzigartigkeit und Vollstndigkeit keinen mathematisch unaufgelsten Rest haben wrde, berzeugt. Folglich sollte sie mit der kleinstmglichen Zahl von Naturkonstanten6 auskommen, die nicht theoretisch, sondern nur experimentell bestimmt werden knnen. Bei der Suche nach der letzten aller Theorien entwickelte man immer bessere Versionen, die jeweils die vorausgegangenen ersetzten, jedoch weiterhin eine Anzahl freier Naturkonstanten enthielten, die man nur durch Messungen bestimmen konnte. Einstein war ber die Tatsache, dass berhaupt irgendwelche Konstanten brig bleiben wrden, nicht gerade glcklich. Er nahm an, dass es letzten Endes darauf hinauslaufen wrde, aus einer einheitlichen Feldtheorie die Werte von Konstanten wie e, G und c als dimensionslose Zahlen mit aller gewnschten Genauigkeit berechnen zu knnen. In Einsteins Verffentlichungen ndet sich darber fast nichts. Aber in seinem Briefwechsel mit Ilse Rosenthal-Schneider zwischen 1945 und 1950 drehte sich fast alles um die Frage der Naturkonstanten. Einstein erluterte seine Erklrungsversuche und gab seinen Vermutungen und Hoffnungen ber die Zukunft der Physik Ausdruck.

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Rosenthal-Schneider thematisierte die Naturkonstanten oder universellen Konstanten zum ersten Mal 1945.7 Was sind Naturkonstanten? Was sagen sie uns ber die Gesetzmigkeiten in der Natur? Sind sie alle miteinander verknpft? Sie war von der schnellen Atwort Einsteins berrascht, der uerst aufgeschlossen fr das Thema Naturkonstanten schien, auf Fragen nach seiner Gesundheit, seiner allgemeinen Situation oder zu persnlichen Angelegenheiten jedoch meist nicht reagierte. Am 11. Mai 1945 schrieb Einstein aus Princeton:Sie haben in der Frage der universellen Konstanten eine der interessantesten Fragen aufgeworfen, die man wohl stellen kann. Es gibt deren zweierlei: scheinbare und wirkliche. Die scheinbaren kommen einfach von der Einfhrung willkrlicher Einheiten, sind aber eliminierbar. Die wahren sind echte Zahlen, die Gott gewissermaen willkrlich zu whlen hatte, als er diese Welt zu erschaffen geruhte. Meine Meinung ist nun, kurz gesagt, dass es solche Konstanten der zweiten Art gar nicht gibt, und dass ihre scheinbare Existenz darauf beruht, dass wir nicht tief genug eingedrungen sind. Ich glaube also, dass derartige Zahlen nur von rationaler Art sein knnen, wie zum Beispiel oder e.8

Nach Einstein gibt es also einige Konstanten, die nur dadurch zustande kamen, weil wir fr unsere Messungen ganz bestimmte Einheiten verwenden. Ein Beispiel dafr ist die Boltzmann-Konstante, die nur einen Umrechnungsfaktor zwischen Energie- und Temperatureinheiten darstellt und damit dem zwischen Fahrenheit- und Celsiusgraden gleicht. Die wahren Konstanten knnen nur reine, dimensionslose Zahlen sein, keine dimensionsbehafteten Gren wie eine Geschwindigkeit, eine Masse oder die Lnge, bei denen sich der Zahlenwert ndert, wenn man das System der Maeinheiten wechselt. Danach wre selbst die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum keine der wahren Naturkonstanten, nach denen Einstein suchte. Geschwindigkeiten haben die Dimension Lnge dividiert durch Zeit und knnen daher nicht als eine Kombination reiner Basiszahlen (wie beispielsweise ) dargestellt werden. Die Lichtgeschwindigkeit betrgt 669 600 000 Knoten oder 300 000 km/s: Keine dieser Zahlen kann von einer ultimativen physikalischen Theorie erklrt werden. Man msste stattdessen eine weitere Naturkonstante nden, die ebenfalls die Dimension einer Geschwindigkeit hat. Das

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Verhltnis zwischen dieser neuen Konstante und der Lichtgeschwindigkeit wre dann eine dimensionslose Zahl, die mglicherweise als Kombination von und anderen derartigen Gren angegeben werden kann. Rosenthal-Schneider erinnerte in ihrer Antwort an Gedanken Plancks zu den besonderen Konstanten, die er herangezogen hatte, um seine natrlichen Einheiten zu denieren:Ich denke jedoch immer noch und dies ist der Grund, warum ich Sie mit meinen Fragen wiederum belstige darber nach, was die universellen Konstanten bedeuten, wie sie Planck aufzuzhlen pegte: die Gravitationskonstante, die Lichtgeschwindigkeit, das Wirkungsquantum etc., alle diese harmlosen kleinen Dinge, die nicht von ueren Bedingungen wie Druck, Temperatur etc., abhngen und die sich daher wohltuend von den Konstanten der irreversiblen Prozesse unterscheiden? Wenn diese alle nicht existierten, wren die Konsequenzen katastrophal. Wenn ich Planck richtig verstanden habe, betrachtete er solche universelle Konstante als absolute Gren. Sollten Sie nun sagen, dass sie alle nicht existieren, was bliebe berhaupt in den Naturwissenschaften fr uns brig? Dies beunruhigt einen gewhnlichen Sterblichen viel mehr, als Sie sich vorstellen knnen.9

Einsteins Brieffreundin war ber die Konsequenzen beunruhigt, die sich ergeben wrden, wenn es keine wahren Naturkonstanten gbe. Was ist die Grundlage unseres Seins, wenn sie nur Einbildung sind? Warum scheint das Universum vom einen Tag zum nchsten das gleiche zu sein? Einsteins Erklrung, es gbe keine freien Naturkonstanten, hatte ein Missverstndnis ausgelst: Sie unterstellte Einstein, er hielte die Naturkonstanten fr nicht wirklich konstant er hatte aber nur behauptet, sie seien nicht frei, knnten aber schlielich von einer tiefer gehenden Theorie bestimmt werden. Aus dem Gefhl heraus, seiner Briefpartnerin ein falsches Bild vermittelt zu haben, analysierte er in einem weiteren Brief die Lage ausfhrlicher.10 Zunchst wies er darauf hin, dass in physikalischen Formeln dimensionslose Gren wie 2, oder e, die Basis des natrlichen Logarithmus, die 2,718. betrgt, auftauchen. Einstein fand es bemerkenswert, dass sie zwar in physikalischen Formeln vorkommen, aber weder besonders gro noch besonders klein sind: Sie unterscheiden sich nie allzu sehr von der Zahl 1.11 Vielleicht sind sie zehnmal gr-

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er oder kleiner, aber nie Millionen Male. Das war fr Einstein etwas Unerklrliches. Fr die Physiker stellte dies einen Glcksfall dar, weil sie unter diesen Voraussetzungen ein physikalisches Problem mit einer Dimensionsanalyse untersuchen knnen, um die Form des Gesetzes herauszunden. Einstein schrieb:Ich sehe aus Ihrem Briefe, dass Sie meine Andeutungen bezglich der universellen Konstanten der Physik nicht begriffen haben. Ich will die Sache also deutlicher zu machen suchen. 1. Rationelle Zahlen. Diese sind solche, welche bei der logischen Entwicklung der Mathematik als einzigartige individuelle Bildungen gewissermaen notwendig auftreten.

z.B.: e = 1 + 1 + 1/2! + 1/3! + Ebenso ist es mit , das ja mit e nahe verknpft ist. Im Gegensatz zu solchen rationellen Zahlen steht der Rest der Zahlen, welche nicht durch eine durchsichtige Konstruktion aus 1 hervorgehen. Es drfte in der Natur der Sache liegen, dass solche rationelle Zahlen sich der Grenordnung nach nicht von 1 unterscheiden, wenigstens solange man sich auf einfache, bzw. natrliche Bildungen beschrnkt. Dies ist aber nicht fundamental und nicht scharf fassbar.12

Aber Einstein wusste sehr wohl, dass die rationellen Zahlen nicht die interessantesten Naturkonstanten sind. Er erklrte, dass die gebruchlichen Konstanten wie die Lichtgeschwindigkeit, das Plancksche Wirkungsquantum oder die Gravitationskonstante Gren sind, deren Einheiten sich aus verschiedenen Potenzen von Lngen-, Masse- und Zeiteinheit zusammensetzen. Aus ihnen knnen wir wiederum Kombinationen bilden, die reine Zahlen darstellen, mssen dazu aber mglicherweise weitere Gren einfhren.2. Es liege nun eine vollstndige Theorie der Physik vor, in deren Grundgleichungen die universellen Konstanten c1, , cn auftreten. Diese Gren seien irgendwie auf gr, cm, sek. reduziert. Die Wahl dieser drei Einheiten ist offenbar ganz konventionell. Jedes der c1, , cn hat eine Dimension in diesen Einheiten. Wir wollen es nun so whlen, dass c1, c2, c3 solche Dimensionen haben, dass man daraus kein dimensionsloses Produkt c c c bilden kann. Dann 1 2 3 kann man c4, c5, etc. in solcher Weise mit aus Potenzen von c1, c2, c3 gebildeten Faktoren multiplizieren, dass diese neuen c*, c*, c* reine Zahlen sind. Dies 4 5 6 sind die eigentlichen universellen Konstanten des theoretischen Systems, welche nichts mit konventionellen Einheiten zu schaffen haben.13

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Nehmen wir an, Einsteins c1, c2 und c3 entsprechen Plancks Konstanten c, h und G. Es gibt dann keine Mglichkeit, sie in verschiedener Weise zu kombinieren und eine reine, dimensionslose Zahl zu erhalten.14 Um das zu erreichen, muss man eine weitere dimensionsbehaftete Naturkonstante mit einbeziehen. Multipliziert man beispielsweise G/hc mit dem Quadrat irgendeiner Masse, etwa der Masse des Protons mpr, erhlt man die dimensionslose Gre Gmpr2/hc, die wir c* nennen wollen und die ungefhr 1039 entspricht.15 Die mit einem 4 Stern markierte Gre, die wir soeben erschaffen haben, ist entstanden, indem wir eine Naturkonstante die Masse des Protons durch die Planck-Masse dividiert haben. Wir knnen hnliche Gren erzeugen, indem wir eine Zeit durch die Planck-Zeit oder eine Lnge durch die Planck-Lnge dividieren. Einstein hielt die so entstandenen Gren mit Stern fr die grundlegendsten. Sie sind unabhngig vom jeweils verwendeten System von Maeinheiten und haben immer den gleichen Wert. Woher kommen sie? Wer oder was legt sie fest? Warum ist Gmpr2/hc 1039 und nicht 103 oder 1068? Einstein wusste es nicht, aber er war der festen berzeugung, dass es sich um absolute Gren16 ohne Spielraum fr nderungen handelt:3. Meine Erwartung geht nun dahin, dass diese Konstanten c* etc. rationelle 4 Zahlen sein mssen, deren Wert durch die logische Grundlage der ganzen Theorie festgelegt ist. Man kann es auch so sagen: Es gibt in einer vernnftigen Theorie keine (dimensionslosen) Zahlen, deren Wert nur empirisch bestimmbar ist. Beweisen kann ich dies natrlich nicht. Aber ich kann mir keine einheitliche und vernnftige Theorie vorstellen, die explizite eine Zahl enthlt, welche die Laune des Schpfers17 ebenso gut anders htte whlen knnen, wobei die Welt qualitativ anders in ihren Gesetzmigkeiten ausgefallen wre. Man kann es auch so sagen: Eine Theorie, die in ihren Grundgleichungen explizite eine nicht rationelle Konstante enthlt, msste irgendwie aus logisch voneinander unabhngigen Brocken zusammengefgt sein; ich vertraue aber darauf, dass diese Welt nicht so ist, dass man zu ihrer theoretischen Erfassung einer so hsslichen Konstruktion bedarf.18

Einstein wird oft mit seiner berhmten Frage zitiert, ob Gott bei der Erschaffung der Welt auch eine andere Wahl gehabt htte. Was er damit meinte, wird aus dem zitierten Brief deutlich: Knnen bei

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gleichen physikalischen Gesetzen die dimensionslosen Naturkonstanten auch andere Werte annehmen oder gibt es nur genau diese eine Mglichkeit? Und wie wrden die Naturkonstanten bei anderen Naturgesetzen aussehen? Auch heute gibt es auf diese Fragen noch keine Antworten. Zu Einsteins Zeiten befasste sich nur Arthur Eddington mit dem Problem, warum die Naturkonstanten gerade die Gre haben, die man heutzutage misst. Von anderen Physikern wurden seine Arbeiten jedoch nicht gerade mit Begeisterung aufgenommen. Einstein kommentierte in einem Brief an Rosenthal-Schneider Eddingtons Zahlenzauber. Sie hatte zuvor Einstein darum gebeten, fr einen Artikel in der Einstein-Ausgabe von Philosophen des 20. Jahrhunderts19 aus seinen Briefen zitieren zu drfen. Er antwortete ihr:Sie knnen in Ihrer Abhandlung von meinen Bemerkungen Gebrauch machen, es sollte aber gesagt werden, dass es sich hier keineswegs um kategorische Behauptungen handelt, sondern um lediglich auf Intuition beruhende Vermutungen. Eddington hat viele geistreiche Vorschlge gemacht, die ich jedoch nicht alle verfolgt habe. Ich nde, dass er im Allgemeinen seinen eigenen Ideen gegenber merkwrdig unkritisch gewesen ist. Er hat wenig Gefhl dafr gehabt, dass eine theoretische Konstruktion kaum Aussicht auf Wahrheit hat, wenn sie nicht logisch sehr einfach ist.20

Der erhellende Briefwechsel ber die Naturkonstanten endete mit einem Brief Einsteins vom 24. Mrz 1950, in dem er seine religise Sichtweise wiederholte, dass Gott bei der Schaffung der Naturkonstanten und ihrer Gre keine andere Wahl hatte:Dimensionslose Konstante in den Naturgesetzen, die vom rein logischen Standpunkt aus ebenso gut andere Werte haben knnen, drfte es nicht geben. Mir erscheint dies einleuchtend in meinem Gottvertrauen, aber es drfte Wenige geben, die dieselbe Meinung haben.21

Nachdem wir nun Einsteins Gedanken ber die Zwangslugkeit der Naturkonstanten kennen, wollen wir herausnden, was andere groe Physiker ber die Bedeutung dieser Gren dachten und welche Spekulationen sie anstellten, um sie zu erklren. Da ist zunchst George Gamow zu nennen, ein exzentrischer sowjetischer Physiker, der sein Leben riskierte, um der UdSSR zu entkommen und in den Vereinigten Staaten zu arbeiten. Dort wurde er zu einem der Begrn-

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der der modernen Kosmologie und lieferte darber hinaus frhe Beitrge zum Verstndnis der DNS und des Genetischen Codes. Gamow nahm wie all seine Zeitgenossen vier unterschiedliche Naturkrfte oder Wechselwirkungen an: die Schwerkraft, den Elektromagnetismus, die schwache und die starke Kraft. Die Strke jeder dieser Krfte sollte der Theorie nach durch eine der Einsteinschen dimensionslosen Zahlen bestimmt werden. Gamow interessierte sich nicht so sehr fr die Frage, ob es nur ein einziges mgliches Quartett dieser Gren gibt.Wenn man sie jedoch verstehen und im Rahmen einer Theorie exakt berechnen knnte, wre dies wie der Zieleinlauf beim Formel-I-Rennen: Mit den Naturkonstanten htte man auch die Naturkrfte vollstndig verstanden. Diese Aussicht hatte allerdings in seinen Augen auch etwas Deprimierendes und erweckte in ihm ein Gefhl wie kurz vor dem Ende eines groen Romans oder auf dem Gipfel eines Berges, den man mit Mhen erstiegen hat:In dem Augenblick, in dem alle Gesetze der physikalischen Phnomene schlielich entdeckt sein werden und alle empirischen Konstanten, die in ihnen vorkommen, durch die vier unabhngigen Grundkonstanten ausgedrckt sind, knnen wir sagen, dass die Physik an ihr Ende gekommen ist. Es wrde dann keinen Anreiz mehr geben, weitere Forschungen anzustellen, und alles was fr einen Physiker bliebe, wre einmal die langwierige Arbeit an kleinen Details und zum anderen die Bewunderung fr die Groartigkeit des nun vollstndigen Systems. In diesem Moment geht die Physik von der Epoche eines Columbus und Magellan in die Epoche des National Geographic Magazine ber.22

Stoney- und Planck-Einheiten: die neue Mappa mundiEines der merkwrdigen Probleme der modernen Physik besteht darin, dass sie ber zwei wunderbare und wirkungsvolle Theorien verfgt die Quantenmechanik und die Allgemeine Relativittstheorie. Leider gelten diese in ganz unterschiedlichen Bereichen der Natur. Die Quantenmechanik beherrscht die Mikrowelt der Atome und Elementarteilchen und lehrt uns, dass jegliche Materie, so krper-

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haft und auf einen Punkt konzentriert sie erscheinen mag, auch Wellencharakter besitzt. Diese Wellen haben nichts mit Wasserwellen gemein, sondern hneln eher Wellen von Kriminalitt oder Hysterie. Es sind Signale oder Informationswellen, die angeben, mit welcher Wahrscheinlichkeit man auf ein Teilchen stt. Durchluft die Welle eines Elektrons den Detektor, erhht sich die Wahrscheinlichkeit, dass man ein Elektron registriert so wie es wahrscheinlicher ist, ausgeraubt zu werden, wenn eine Welle von der Kriminalitt unser Wohnviertel heimsucht. Die Quantenwellenlnge eines Teilchens ist umso kleiner, je massereicher es ist. bersteigt sie die physikalische Gre des Teilchens, wird die Situation vorwiegend von seinem Wellencharakter bestimmt. Die Objekte, die uns in unserem Alltag begegnen, wie ein Auto oder ein schnell iegender Ball, haben derart groe Massen, dass ihre Quantenwellenlngen weitaus kleiner sind als ihre Abmessungen. Daher knnen wir im Auto oder bei einem Fuballspiel die Quanteneffekte vllig vergessen. Im Gegensatz zur Quantenmechanik kommt die Allgemeine Relativittstheorie immer ins Spiel, wenn sich Objekte mit Lichtgeschwindigkeit oder nur wenig langsamer bewegen, oder wenn die Schwerkraft uerst stark ist. Mit der Allgemeinen Relativittstheorie beschreibt man die Expansion des Universums oder so extreme Vorgnge wie die Bildung eines Schwarzen Lochs. Die Schwerkraft ist jedoch verglichen mit den Krften, die Atome und Molekle zusammenhalten, sehr schwach. Sie ist bei weitem zu schwach, um irgendwelchen Einuss auf die Struktur der Atome oder der Elementarteilchen zu haben. Aus diesen Eigenschaften folgt, dass Quanteneffekte und Schwerkraft in verschiedenen Reichen herrschen, fr die es wenig Grund gibt, miteinander in Beziehung zu treten. Niemand wei, wie man die beiden Theorien nahtlos zu einer neuen, greren und besseren Supertheorie zusam