Becker-Pythagoreischen

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 DIE GEGENW RT DER GRIECHEN M NEUEREN DENKEN Festschrijt ü r H ans Georg Gadamer zum 6 o Geburtstag ARYlBUS I 1·8· ·1 I 9 6 J.C.B.MOHR PAUL SIEBECK) TÜBINGEN

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DIE GEGENWART

DER GRIECHEN IM NEUEREN

DENKEN

Festschrijt

für H ans-Georg Gadamer

zum 6o. Geburtstag

ARYlBUS

I

..

1 ·8 ·0 ·1

I 9 6 0

J.C.B.MOHR (PAUL SIEBECK) TÜBINGEN

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DIE AKTUALITÄT

DES PYTHAGOREISCHEN GEDANKENS

"AetiJpf[J (Jß u navi bdomev Jamblich, de vita Pythag. § 16z

OSKAR BECKER

IDie pythagoreische These, die in dem von Jamblich überlieferten

Wort ausgesprochen ist, ist zwar nur eine der pythagoreischen Lehren,aber jedenfalls diejenige, die am längsten in der Geistesgeschichte fortgewirkt hat. Sie ist die einzige, die heute noch "aktuell" ist.

Die These wird meistens dahin formuliert, daß nach Pythagoras "die

Dinge Zahlen seien". Blickt man freilich in die älteste zur Verfügungstehende Quelle, die aristotelische Metaphysik (wenn wir vorerst von denFragmenten des Philolaos absehen), so finden wir scheinbar eine ganze

Reihe von Formulierungen nebeneinander, deren Übereinstimmung demWortlaut nach zunächst nicht immer einleuchtet. Das ist die Folge derbekannten Neigung des Aristoteles, seine Kategorien zur Beschreibungälterer Philosopheme zu benutzen, deren Urheber in solchen Begriffennoch gar nicht gedacht haben.

Es heißt da einmal, alle Dinge seien Zahlen (Met. A 5, 987 b 2.8: äer&pov;elvat -rd neaypam), ein anderes Mal, die Körper seien aus Zahlen zusammengesetzt (-rd awpa-ra l ~ äedJpÖYP eivat avyxelpeva Met. M 8, 1083 b

n). Es finden sich auch unmittelbar nebeneinander beide Formulierungen: (ol llvf)ay6eewt) -rov äetfJpdv -rd lJv-ra Uyovm · -ra ywv fJewfll1pamneoa&movat -rot; awpaaw w; l ~ lxe{vwv lJv-rwv TWV äetfJpäiv . .. (Met. M 8,

1083 b 17). Das heißt: Einerseits sind die sinnlich wahrnehmbaren Dinge- -ra Bv-ra, -ra neaypam, -ra awpam, Ta alafhrca - selbst Zahlen, andererseits bestehen sie aus ( l ~ ) Zahlen oder endlich die Zahlen sind in (lv) denDingen 1.

Das würde nach dem sonstigen aristotelischen Sprachgebrauch bedeu-

1 AuchdieAusdrucksweisen mit ev undmit E'X findensich verbunden; I08ob, I-4:T O V ~ d Q t f J p o v ~ ••• ov xweun:ovc;, dU' ev T O i ~ a l C ! ' f h r r o i ~ ••• dU' w ~ E'X TWv detfJpwv

evv:n:aexmwv ÖJrra Ta al<Jfhrta.

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8 Oskar Becker

ten, einerseits seien die Zahlen die "Substanz" (ovata) der Dinge, andererseits ihr Stoff (fJÄ'YJ)· Man darf aber diese Ausdrucksweisen nicht allzuernst nehmen; denn es finden sich neben diesen extremen auch gemäßig

tere Formulierungen, in denen nur die Gleichheit oder gar nur Ähnlichkeit der Struktur der Zahlen und Dinge behauptet wird.

So heißt es z. B. Met. N3, 1090 a, 2o-25: Weil die Pythagoreer sahen,daß viele Eigenschaften der Zahlen den sinnlich wahrnehmbarenKörpern

zukommen, hätten sie die Körper zu Zahlen gemacht, aber nicht zu abgesonderten, sondern so, daß aus den Zahlen die sinnlichen Dinge bestehen. Und warum? Weil die Eigenschaften der Zahlen beherrschendzugrunde liegen (vnaexet) in der musikalischen Harmonie, im Welt

gebäude und in vielem anderem.Und an der Stelle im ersten Buch der Metaphysik, an der Aristotelesdie Philosophie der "sogenannten Pythagoreer" zuerst einführt, sagt er,diese hätten sich zuerst mit Mathematik beschäftigt und, da (dort) dieZahlen das erste seien, hätten sie gemeint, die Ursprünge (aexat) derZahlen wären die Ursprünge der seienden Dinge, womit sie die Grenzeund das Unbegrenzte meinten, wie die Philolaosfragmente zeigen 2• Siehätten viele Ähnlichkeiten (opounpa:ra) der seiendenundwerdendenDingemit den Zahlen zu erblicken geglaubt, mehr jedenfalls als mit dem Feuer

oder Wasser oder der Erde. Einerseits werden hier- für uns befremdend

Begriffe wie Gerechtigkeit, Seele, Geist und rechte Zeit genannt, andererseits - für uns viel verständlicher - die musikalische Harmonie (ihreEigenschaften undVerhältnisse) und die Himmelserscheinungen. Es hätteden Pythagoreern die gesamte Natur den Zahlen abbildlieh zu gleichen(aqmpotiiJa{}at) geschienen und deshalb hätten sie die Elemente (n! cn:ot-xeia) der Zahlen für die Elemente der Dinge gehalten und gemeint, dasganze Weltgebäude wäre Harmonie und Zahl.

Es wird noch öfter von der Übereinstimmung im Sinne der opoÄoyla,d. h. eigentlich der Verhältnis-Gleichheit (Gleichheit der Myot), zwischenZahlen und Dingen gesprochen. Endlich findet sich eine merkwürdigeStelle (Met. A6, 987 b 9), wo die pythagoreische Lehre ganz in die Näheder platonischen Ideenlehre gerückt wird. Nach den Pythagoreern stünden die Dinge im Verhältnis der "Nachahmung" (ptprJrYu;), nach Platondagegen der Teilhabe ( p e { } e ~ u ; ) zu den Zahlen, was lediglich eine Änderungder Bezeichnung bedeute. ,

Diese Stelle ist insofern auffallend, als Aristoteles sonst stets den Ge-

• Philolaos Bx und Bz (Diels). Ich möchte diese Fragmente jedenfalls insofern fürecht halten, als sie die pythagoreische Lehre inhaltlich richtig wiedergeben.

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Die Aktualität du p y t h a g o r e i . r ~ h e n Gedankens 9

gensatz zwischen der pythagoreischen These von der Immanenz derZahlen in den Dingen und der platonischen von ihrem Getrenntseinherausstellt, wobei Platon nicht nur die sogenannten "Idealzahlen", son-

dern auch die mathematischen Zahlen im Auge habe.Zum Schluß sei noch erwähnt, daß nach dem aristotelischen Bericht

(Met. A5, 987 a 10) sowohl die Pythagoreer als auch Platon das Eine, dieGrenze und das Unbegrenzte als selbständige Wesenheiten ("Substanzen"ovalat) angesehen hätten und nicht als etwas zu einer anderen Wesenheit(cp(Ja'-') Gehöriges. Deshalb hätten sie auch die Zahl als oila{a aufgefaßt.

I IDie vorliegende kleine Studie hat nicht die Absicht, eine philologisch-

historische Interpretation der zitierten Quellen, die ja auch nur einenkleinen, obzwar wichtigen Teil des Überlieferten darstellen, zu geben.Die uns gestellte Aufgabe ist vielmehr, die Frage der "Aktualität", derGegenwartsbedeutung der pythagoreischen Grundthese zu untersuchen.Um sie zu lösen, ist es nicht erforderlich, auf die historischen Einzelheiteneinzugehen, die sich darbieten. Aber es muß versucht werden, ein grund-legendes Verständnis für die zentrale pythagoreische These selbst zu ge-

winnen, das tiefe Befremden zu überwinden, das sie zunächst in uns er-regt. Es soll dabei aber nicht auf das offenkundig "archaische" Analogie-denken eingegangen werden, das sich in der Gleichsetzung bestimmterZahlen mit Wesenheiten wie die Gerechtigkeit, die Seele, der Geist, dierechte Zeit ( x a t e 6 ~ ; ) u. a. m. äußert. Denn, so interessant es auch sein mag,dieser frühen Denkform nachzugehen, es wird nicht erwartet werdenkönnen, daß dergleichen noch "aktuell" sein könnte. Was dagegen überdie musikalische Harmonie und das Weltgebäude von den Pythagoreern

gesagt wurde, ist auch heute noch nicht unverständlich, wenn im einzel-nen auch oft schwer zu deuten.Zweifellos sind die zahlenmäßigen Verhältnisse der in der Harmonie-

lehre wichtigen Intervalle schon den frühen Pythagoreern (wahrschein-lich schon dem· Pythagoras selbst) bekannt gewesen, wie z. B. die Zu-sammensetzung der Oktave aus Quint und Quart entsprechend der"Zusammensetzung" (avv{)ea'-') der Verhältnisse -f = t·t. Noch im

5· Jahrhundert (Hippasos, Philolaos) waren sämtliche aus den Zahlen derTetraktys I z ; 4 zu bildenden Verhältnisse musikalisch interpretiert(;:I, 4:1,9:8 d.h. Dezime, Doppeloktave, Ganzton, ja sogar 256:z4; =z8 : ; 5 als Restintervall, Äe'it-tfUl)· Später, um 400 , fügt Archytas als neue

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10 01kar Buker

Primzahlen die 5 und 7 hinzu, was die beiden Terzen 6: 5 und 8:7 lie

fert. Die Teilung der überteiligen Intervalle erfolgt vorzugsweise durch

Bildung des arithmetischen und harmonischen Mittels, welche schon in

sehr alten vorgriechischen Zeiten (in der babylonischen Mathematik) zurApproximation von Quadratwurzeln verwendet wurden.

Wiederum ist auf Einzelheiten nicht einzugehen 3, jedoch als wichtig

festzuhalten, daß hier zum ersten Mal Mathematik eingreift, um ein gan

zes Phänomengebiet in seiner Struktur zu kläten - ein Gebiet zudem, in

dem sich Naturgesetz und menschliche Normsetzung eigentümlich mi

schen. Das bedeutet, daß die Zahl ihre Herrschaft antritt, eine Herr

schaft, die sich heute bis zum Unheimlichen gesteigert hat.

Die musikalische Harmonielehre mit ihren verschiedenen Tetrachorden, aus denen sich die Oktavgattungen zusammensetzen, welche die ver

schiedenen "Stimmungen" oder Tongeschlechter entstehen lassen, zeich

net ganz bestimmte Töne als musikalisch in Frage kommende aus dem

Kontinuum möglicher Töne aus. Diese ausgezeichneten Töne können

auf einem Saiteninstrument hergestellt werden und dabei stellt sich her

aus, daß ganz bestimmte ganzzahlige Verhältnisse zwischen den Längen

der tönenden Saiten bestehen. Für den Musiker haben allein jene heraus

gegriffenen Töne und ihre Intervalle Bedeutung, sie allein können im

eigentlichen Sinne als seiend bezeichnet werden; die Zwischentöne sind

gewissermaßen nicht existent. Aus einer solchen Auffassung ergibt sich,

daß - im musikalischen Bereich wenigstens - nur solche "Dinge" Sein

haben, die durch in ganz bestimmten ganzen Zahlen ausdrückbare Ver

hältnisse festgelegt werden. Diese im musikalischen Bezirk offenbar zu

erst erworbene Erkenntnis wird von den Pythagoreern zu einem allum

fassenden Lehrsatz verallgemeinert: nur zahlenmäßig bestimmte Dinge

sind im eigentlichen Sinne.

In den Fragmenten des Philolaos wird dies in etwas anderer Weise ausgedrückt. Es heißt dort, das Wesen der Zahl sei erkenntnisspendend,

führend und lehrend und ihre Kraft sei sowohl in den dämonischen und

3 V gl. zur pythagoreischen Harmonielehre z. B. B. L. van der Wclerden, Die Harmo

nielehre derPythagoreer, Hermes Bd. 78 (1943) S. 163 f f .- M. Vogel, Die Zahl Sieben in

de r spekulativen Musiktheorie (Bonner philos. Dissertation), Bonn 195 5 - Fernerdie auf das Prinzipielle zielenden Arbeiten von]. Lohmann, Musike und Logos, Wiss.Zeitschr. d. Univ. Greifswald, gesellsch.- u. sprachwiss. Reihe, Jahrg. VI (1956/57)Nr. I /2 , S. 3 ff., 261 ff. - Die griechische Musik als mathematische Form, Archiv f.

Musikwiss. Jahrg. XIV (1957) S. 147 ff.; Der Ursprung der Musik, ebenda Jahrg. XVI

(1959) S. 148 ff. -Endlich meine eigene kleine Studie: Frühgriechische Mathematikund Musiklehre, Archiv f. Musikwiss. Jahrg. XIV (1957) S. 156 ff.

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Die A k t ~ ~ a l i t ä f des pythagoreil&ben Gedankens ti

göttlichen Dingen (d. i. in der Natur) wirksam als auch im menschlichen

Wesen und Wirken, besonders in der Musik. Es kommt der Gegensatz

des begrenzenden Wesens der Zahl zum "Unbegrenzten, Unsinnigen und

Unaussprechbaren" (dmtf!O'P, &.v6frrov xal dÄ.oyov) hinzu. Jenem ist "Trugund Neid" ( V ' c i J ~ o , xal q4}6vo,) zu eigen; aber das Wesen der Zahl nimmt

keinen Trug in sich auf,· er steht ihr als etwas Feindliches und Unver

söhnliches gegenüber. "Die Wahrheit aber ist etwas dem Geschlecht der

Zahl Eigenes und Eingeborenes." (Philolaos B II Diels.) Für den Be

griff des Seins tritt hier also der nach antiker Auffassung eng verwandte

der Wahrheit ein.

Der Gedanke wird weiter entwickelt von dem späten pythagorisieren

den Platonin

der bekannten klassischenErörterung im

Dialog "Philebos" (z4 a-z5 b) über den Unterschied von Unbegrenztem und Grenze.

Von der musikalischen Harmonie wird der Zahlgedanke auf das Welt

gebäude übertragen. Wie das genauer geschah, hat sich trotz aller Be

mühungen bisher nicht ganz aufklären lassen. Der Grundgedanke war,

das Verhältnis der Abstände der Planeten (von der Erde oder vom Zen

tralfeuer) den harmonischen Saitenverhältnissen entsprechen zu lassen.

Ein unmittelbarer Vergleich mit der Beobachtung war freilich im Alter

tum nicht möglich; die Entfernung der Planeten konnte nicht ermittelt

werden, nur die Winkelgeschwindigkeit gegen den Fixsternhimmel warmeßbar. Man hat wahrscheinlich angenommen, daß die lineare Geschwin

digkeit aller Planeten in ihren Kreisbahnen dieselbe ist, woraus sich die

Proportionalität von Umlaufszeit und Entfernung ergab 4•

Platon läßt den Pythagoreer Timaios in dem nach ihm benannten Dia

log eine auf die Zahlen 1, z, 3, 4, 9, 8, z7, also nach philolaischem Vorbild,

aufgebaute Tonleiter aufstellen, nach der die Planetenentfernungen von

der Erde berechnet werden, was mit den astronomischen Erfahrungen so

gut wie nichts zu tun hat 5• Es ist bezeichnend, daß Eudoxos, der exakteForscher, der die erste mathematisch genau bestimmte und mit der Be

obachtung nach Möglichkeit übereinstimmende Theorie der Himmels-

• Wir wissen heute, daß das nicht stimmt. Nach dem später zu erwähnenden dritten

Keplerschen Gesetz ist die Umlaufszeit der Planeten (um die Sonne) nicht ihrer mittleren Entfernung r selbst, sondern der Größe rVr proportional. Die lineare Geschwindigkeit der Planeten nimmt also nach außen hin ab.

' Vgl. indessen G.Junge, Von Hippasus bis Philolaus, Classica et Mediaevalia XIX

(Copenhague 1958) S. 42 ff. Dort wird folgende Rechnung aufgemacht (S. 61 f., 71):l Monat 27 Halbtage, Sonnenjahr 27.27 = 729 halbe Tage, Satumumlauf 27 Jahre =27.27.27 halbe Tage (in Wirklichkeit freilich beträgt die Umlaufszeit des Saturn29 Jahre!).- I Sonnenjahr = 27 halbe Monate; Saturnumlauf = 27.27 = 729 halbeMonate.- Vgl. dazu Plato, Rep. IX, 588 a.

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12 Oslear Becker

erscheinungengegeben hat (das System der homozentrischen Sphären)

auf die verschiedene Entfernung der Planeten von uns gar keine Rück

sicht nimmt, indem er die radiale Bewegungskomponente vernach

lässigt.

Auch noch in einem anderen Punkte knüpft Platon wenigstens teil

weise an die Pythagoreer an, nämlich in der Verwendung der von diesen

entdeckten regelmäßigen Körper, die er zur Aufklärung der Konstitution

der Materie (der vier Elemente) benutzt. Ein entscheidend neuer Zug

dieser platonischen Theorie gegenüber den Atomisten (Leukipp, Demo

krit) ist, daß die kleinsten Teile der Körper als reguläre Polyeder gedacht

werden, die ihrerseits aus Dreiecks-Flächen- also nicht wieder aus klei

neren Körpern- zusammengesetzt sind. Das dreidimensional Körperlichebesteht also schließlich aus einer bestimmten Zahl von zweidimensionalen

Flächen. Das ist schon im Altertum als paradox, ja als widersinnig emp

funden worden; man erinnere sich der scharfen Polemik bei Aristoteles,

de coelo III, 1 : Körperliches könne nur aus Körperlichem zusammen

gesetzt werden und Schweres aus Schwerem. Aber damit ist der geniale

Tiefsinn der platonischen Theorie verkannt. Für Platon handdt es sich

nicht darum, großeMaterienstücke aus ebensolchen kleineren zusammen

zusetzen, wie das die früheren Atomisten getan hatten. Es kommt ihmvielmehr darauf an, das Wesen der materiellen Elemente selbst aufzu

klären. Weshalb gibt es gerade vier Elemente? Weil es -außer dem für die

Figur des Gesamtkosmos zu verwendenden Pentagondodekaeder - nur

vier regelmäßige Körper gibt. Was bedeutet ihre Zusammensetzung aus

Dreiecken? Nicht die triviale Zusammensetzung von größeren Stücken

Stoffs aus kleineren derselben Art, was nichts erklärt, sondern das Pro

blem der Konstitution der Materie nur ins quantitativ Kleinere zurück

schiebt, sondern mathematische Konstruktion. Die vier Polyeder sind

nichts anderes als Bilder für vier Arten von Symmetrie, d. h. für bestimmte Gruppen von Deckungsoperationen, welche die Körper in sich

selbst zurückführen 6• Damit wird aber prinzipiell die Existenz der Ele

mente aufdie der entsprechenden Symmetrien begründet.

Man kommt hier schon in die Nähe ganz moderner Gedanken. Ein

führender theoretischer Physiker unserer Tage, W. Heisenberg, hat ge

sagt, daß heute durch die Quantentheorie der Materie und besonders

durch die so aktuelle Theorie der Elementarteilchen "von neuem die Ge

danken Platons in die Naturwissenschaft eintreten, daß der atomaren• Freilich sind einerseits Oktaeder und Würfel, andererseits Ikosaeder und Penta

gon-Dodekaeder Verkörperungen derselben Drehungsgruppen.

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Die Aktualität des pythagoreischen Gedankens

Struktur der Materie letzten Endes ein mathematisches Gesetz, eine

mathematische Symmetrie zugrunde liege". Und er spricht weiter ,,von

der Existenz der Atome oder der Elementarteilchen als Ausdruck einer

mathematischen Struktur"7.

Dieser Gedanke wird später noch etwas weiter zu verfolgen sein. Zu

nächst muß jedoch über den pythagoreischen Zahlbegriff noch einiges

Klärende gesagt werden.

I I IEs ist bekannt, daß der griechische Zahlbegriff in mancher Hinsicht

enger ist als der unserer heutigen Mathematik. Im Altertum kannte man

weder negative noch komplexe Zahlen und, was wichtiger ist, auch der

Begriff der irrationalen (und sogar rationalen) Zahl wurde nicht gebildet.Das Irrationale trat nur in der Form von ,,inkommensurablen" homo

genen Größen auf, wobei das eudoxisch-archimedische Axiom des Mes

scns vorausgesetzt wurde. Der Bereich des Diskreten, der Zahl (det1Jfl6t;)

und der des Kontinuierlichen waren streng geschieden. Auch wurde zu

meist (wenn auch nicht immer), gerade von den pythagoreischen Mathe

matikern, die Eins nicht als Zahl betrachtet, sondern als Zahl-Ursprung

und gelegentlich hatte sogar die Zwei eine ähnliche Sonderstellung 8•

Doch mit der Erkenntnis dieser Beschränktheit des griechischen Zahlbegriffs ist seine Eigenart noch nicht vollständig begriffen. Die Zahlvor

stellung der älteren Zeit, gerade auch die pythagoreische, ist viel kon

kreter, viel mehran anschauliche Gegebenheiten gebunden, als die unsere.

Dieses Haften der Zahlen an den Dingen ist zwar ein allgemein primi

tiver Zug; aber der Scharfsinn griechischer Denker hat diese Eigenart

sehr bewußt empfunden und begrifflich expliziert.

Die Hauptquelle dafür ist wieder Aristoteles. Er unterscheidet 9 ,,die

Zahl, mit der wir zählen" (aet1Jp,Oc; i[> aet1Jflo1if1EP) von der ,,gezählten"

oder ,,zählbaren" Zahl (aetfJp,Oc; aet1Jfl'WflE'I'Oc; bzw. aetfJflrp:6c;). Die erste

Art existiert nur in unseren zählenden Akten; wenn wir zählen, sagen wir

,,eins, zwei, drei ... Diese Zahl ist die uns geläufige natürliche unbe

nannte Zahl. Die zweite Zahlart läßt sich dagegen am besten wieder

geben durch die Wortfolge ,,Zwilling, Drilling, Vierling ... (Paar,

Tripel, Quadrupel ... griechisch: övdc;, reuzc;, nrreac; ... in konkreter

7 W. Heisenberg, Die Plancksche Entdeckung und die philosophischen Grundlagen

der Atomlehre, Naturwissenschaften Jahrg. 45 (1958) S.2.2.7

ff., bes. S.2.2.8

a.8 Pm«<o-/amblichiiS, Theologoumena arithmeticae p. 9, 1 ff. (de Falco).' Physik IV, u (2.19 b 6).

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14 Oskar Becker

Bedeutung). Und zwar ist die übertragene Verwendung dieser Worte

besonders aufschlußreich. So etwa, wenn wir ein Jagdgewehr mit drei

Läufen einen ,,Drilling" nennen oder wenn wir von der Göttertrias Zeus,

Poseidon, Pluton sprechen oder von der christlichen Trinität. Das allessind konkrete Dreiheiten, gezählte Zahlen, aed}pol d(!d}pa6fJEPat·

Wie man sieht, entspricht das griechische Wort d(!tf}p6r; nicht ganz un

serem Wort ,,Zahl". Es hat eher die Bedeutung ,,durch Zahlen bestimmte

diskrete Mannigfaltigkeit" oder ,,zahlenmäßig bestimmtes Gefüge"; in der

Tat hängt aedJp6r; mit dem Verbum aeaeünew, ,,ich fUge", zusammen

und bedeutet also, ganz wörtlich wiedergegeben, "Gefüge".

Man kann aus Aristoteles noch manche Stelle beibringen, die diese

Deutung bestätigt. Soz.

B. Met. A5, 987 a,2.4-2.5:

wl1nee ernr; oi'on:o't'amov elvat ~ t n A a ( J W V ual -r:r,v ~ v a b a , bt6Tt 11:f!W't'OV vn<l(!zet wir; ~ V ( J l TO~ t n A a a w v . Der Dyas, der konkreten Zweiheit oder dem Paar kommt in

erster Linie das Doppeltsein zu, so daß beides von manchen identifiziert

wurde. (In zweiter Linie kommt das Doppeltsein dem Quadrupel, Sex

tupel, Oktupel usw. zu.) Man kann aber offenbar nicht sagen, der Zahl

Zwei, "mit der wir zählen", komme das Doppeltsein zu 10• Ebensowenig

kann unser heutiger Zahlbegriff gemeint sein, wenn Aristoteles von einer

Melodie als einem aedJpor; ~ t i a s w v , einer "Zahl" von kleinen Halbtönen,

oder von einem Polygon (oder vielleicht auch Polyeder) als einem aetf}pdr;'t'(!tydwwv, einer "Zahl" von Dreiecken spricht 11• Er meint doch offenbar

ein (zahlenmäßig bestimmtes) Gefdge von Halbtönen bzw. Dreiecken.

Dieser Begriff des zahlenmäßig bestimmten diskreten Gefdges ist nun

der Grundbegriff der pythagoreischen Lehre von der Gleichheit oder

Verwandtschaft der Dinge und Zahlen. An diesen Begriff der "gezählten

Zahl" knüpft die Diskussion über das Wesen der Zahl und des Mathe

matischen überhaupt an, die sich zwischen den Pythagoreern, Platon

und Aristoteles entwickelte. Erst so kann man die aristotelische Thesewirklich verstehen, der Mathematiker bettachte das nicht Getrennte als

Getrenntes; d. h. die mathematischen Strukturen würden dadurch erst

zu spezifisch mathematischen, daß ein an sich in den Dingen liegendes

Gefdge vom betrachtenden Menschen, sofern er Mathematiker ist, heraus

gehoben und isoliert, abgelöst von seinem ursprünglichen Zusammen-

10 Andere in Frage kommende Stellen, deren Interpretation hier zu weit führen

würde, sind: Met. z 10, 1036 b, I2-J7; de anima r 4.429 b, I8; Met .d 2, 1013 a,

26-29; I 2, 1053 b, 32-1054 a, 1I; N 1, 1087 b, 33-1088 a 14.11 Ja sogar eine Definition (durch eine Ideenkette nach platonischer Art) wird als

"eine Art Zahl" bezeichnet: (Met. H 3, 1043 b, 34) oetup.or; det{)p.o; nr;.

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Di1 Aklll4/itäl tks pylhagoreitfhen Gedankms

bang betrachtet w i r ~ welche Ablösung ausdrücklich als dlpa{eer1u;, ab-stractio, bezeichnet wird.

Diese aristotelische Auffassung scheint als eine Synthese der pythago

reischenund platonischen Meinung gedacht werdenzu

müssen. Nach denPythagoreem sind die Zahlen ein inneres Gefüge in den Dingen, gewissermaßen wie das Knochengerüst im Körper eines Wirbeltiers. NachPlaton sind auch die mathematischen Zahlen (nicht bloß die "Idealzahlen", deren schwierige Problematik hier nicht entwickelt werden kann)ideale Gebilde, ebenso wie die geometrischen Figuren, die durch einenoch so sorgfältig ausgeführte Zeichnung oder ein plastisches Modellniemals adäquat dargestellt werden können 12• Platon verlangt nun von

den Zahlen der "philosophischen Arithmetik", daß sie aus völlig glei

chen, unausgedehnten Einheiten bestehen, weshalb sie auch detDpol pova-13t"ol genannt werden. Bei sinnlich wahrnehmbaren Dingen, etwa beieiner Gruppe Menschen, ist so etwas nie der Fall. Somit ist die mathematische oder "monadische" Zahl getrennt von den wahrnehmbarenKörpern, was nach der wiederholten Behauptung des Aristoteles imstrikten Gegensatz zur pythagoreischen Anschauung steht, gemäß welcher die Zahlen den Dingen immanent sind und Einheiten von einer bestimmten, offenbar nicht streng gleichen "Größe" (peye1Jot;) haben 13•

Andererseits gibt es aber auch eine gewisse Gemeinsamkeit zwischen derpythagoreischen und platonischen Auffassung, insofern beide Male dieEins, das Begrenzte und das Unbegrenzte als selbständige Wesenheiten(o1Jr1lat) angesehen werden, nicht wie bei Aristoteles als ein Moment anden Dingen, das abstrahiert werden kann.

Eine gewisse Unklarheit besteht bei den Pythagoreern bezüglich derFrage des sogenannten "idealen" Charakters des Mathematischen. Aristoteles sagt einmal (wie schon erwähnt), die Dinge hätten nach den Pythagoreem ihr Sein durch nachahmende Darstellung (ptfl11r1et) der Zahlen, und die platonische Ideenlehre unterscheide sich von dieser Auffassung nur durch die Terminologie, indem hier an der Stelle der p l f - W 1 r 1 ~ diep i D e e ~ (Teilhabe) getreten sei14.Es bleibt unklar, wie das mit der Immanenz der Zahlen in den sinnlichen Dingen zu vereinbaren ist. Vielleichthandelt es sich um Differenzen innerhalb der pythagoreischen Schule

n Über geometrische Figuren: Rep. VI po b ff.; über Zahlen: Rep. VII 525 c ff.,Phileb. 56 c ff., Theaet. 198 aff.- Vgl.A. Wedberg, Plato's philosophy of mathematics

(Stockholm 1955), Ch. IV., Ch. V, App. D.13 Met. M 6, 1080 b, n-21, 3o-33 und öfter.u Met. A 6, 987 b, 9-14.

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16 Oskar Becker

selbst. Aber es muß gesagt werden, daß hier ein tiefes sachliches Problem

vorliegt. Es besteht eine echte Spannung zwischen der "idealen", aus

dem menschlichen Geist "a priori" herausgesponnenen mathematischen

'J'heorie und den "mathematischen Strukturen" in der Natur, d. h. in der"Realität", dieapriorinicht ohne weiteres zu verstehen ist. Diese Pro

blematik is t bis in die Neuzeit und Gegenwart hinein lebendig geblieben.

IVWenn das Verfolgen des Weiterwirkens pythagoreischer Gedanken im

Verlauf der mittelalterlichen und neuerenGeschichte auch ein Thema ist,

das den Rahmen dieser kleinen Studie weit überschreiten würde, ist es

doch erforderlich, einen Blick auf den Einfluß der fundamentalen These

von derVerwandtschaft, wenn nicht Gleichheit der Dinge und der Zahlen

auf die Wissenschaft des 17. Jahrhunderts zu werfen.

Ganz offenkundig is t die Einwirkung des platonischen "Timaios" auf

Kepler. Sein Jugendwerk "Mysterium cosmo.f!Taphicum" ( 1 ~ 9 6 ) und sein

Spätwerk "Harmonice mundi" (1619) legen dafür ein beredtes Zeugnis ab.

Die beiden pythagoreischen Grundgedanken des "Timaios", die kos-

mische Tonleiter und die Konstitution der materiellen Elemente aus

regelmäßigen Körpern, werden von Kepler aufgenommen. Allerdingsdienen die Polyeder jetzt der Erklärung des Weltbaus. Das kopernika-

nische Weltsystem ermöglicht nämlich die Bestimmung des relativen Ab

stands der Planeten von der Sonne aus den astronomischen Beobachtun-

gen. Kepler brachte nun die Sechszahl der damals bekannten Planeten

(einschließlich der Erde) und ihre sechs Sphären mit den fünf platoni-

schen Körpern zusammen. In die Saturnsphäre schrieb er einen Würfel

ein, in diesen die Jupitersphäre, in diese ein Tetraeder, in dieses die Mars-

sphäre und so fort bis zur Merkursphäre, unter Verwendung des Dodekaeders, Ikosaeders und schließlich des Oktaeders. Diese apriorische

Konstruktion stimmte- worauf Kepler entscheidenden Wert legte- mit

den kopernikanischen Berechnungen der Sphären überein. Freilich ver-

sagte diese Theorie gegenüber den wesentlich genaueren Beobachtungen

Tycho Brahes. In der ,,Harmonice mundi" entwirft daher Kepler ein anderes

System, das auf einer kosmischen Tonleiter von sieben Oktaven beruht.

Die späteren Entdeckungen anderer Planeten, des Uranus, Neptuns und

Plutos, haben alle diese Spekulationen überholt. Dagegen ist ein Neben-

ergebnis der "Harmonice mundi", das sogenannte dritte Keplersche Gesetz,

nach welchem die Quadrate der Umlaufszeiten der Planeten den Kuben

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Die Aktualität der pythagoreischen Gedankenr 17

ihrer mittleren Entfernungen von der Sonne proportional sind, von dergrößten Bedeutung für den Fortschritt der Astronomie gewesen. Denn

in Verbindung mit der Huygensschen Berechnung der Zentrifugalbe

schleunigung (die wieder auf der galiläischen Analyse der Fall- undWurfbewegung beruhte) führte dieses Gesetz zur Ableitung des Newtonsehen Gravitationsgesetzes. Die Newtonsehe Himmdsmechanik aberermöglichte die vollständige Berechnung der Planetenbahnen (vonmathematischen Schwierigkeiten, die bereits beim Dreikörperproblemauftreten, abgesehen).

Indessen gibt die Newtonsehe Theorie keinen Aufschluß über denBau des Weltsystemes, keine Erklärung dafür, daß es gerade diese bestimmte Zahl von Planeten in diesen bestimmten Abständen gibt und

keine anderen. Das aus dem Altertum stammende Problem der "Sphärenharmonie" wurde nicht gelöst, bis auf den heutigen Tag nicht. Die un-

mittelbare Anwendung pythagoreischer Gedanken, die noch Kepler versucht hatte, bewährte sich nicht. Vielmehr erfolgte eine Wendung insAbstrakt-Formale; nicht mehr der anschaulich erfaßbare Bau der Weltist Gegenstand der Theorie, sondern ihre Dynamik, die man nicht mit

Augen sehen kann. Aber es entsteht eine universelle Mechanik, derenGesetze ebenso für die irdischen Bewegungen gelten wie für die himm-lischen.

V

Die Rolle der Symmetrien ist indessen nicht ausgespidt. Nur sind siejetzt abstrakterer Art; sie betreffen die Invarianz der dynamischen (undanderer) Naturgesetze gegenüber gewissen Gruppen von Transformationen. Ein bekanntes Beispiel bilden die verschiedenen "Relativitätstheorien", die Galilei-Newtonsche ebenso wie die Einsteinsche. Dazu

kommen die heute aktuellen Probleme der Quantentheorie, besonders derTheorie der Elementarteilchen. So sind für W. Reisenberg die Symmetrieeigenschaften der grundlegenden Gleichungen (die Raum- und Zeitgrößen betreffen) von entscheidender Bedeutung. Er spricht 15 von Strukturen, die "so miteinander verknüpft sind, daß man eigentlich an keinerStelle mehr Änderungen vornehmen kann, ohne alle Zusammenhängein Frage zu stellen". Man würde "an die kunstvollen Bandornamentearabischer Moscheen erinnert, in denen so viele Symmetrien gleichzeitigverwirklicht sind, daß man nicht ein einziges Blatt verändern könnte

u Reisenberg a.a.O. S. 243.

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18 OsJ:ar Be&lur

ohne den Zusammenhang des Ganzen entscheidend zu stören". Damit

wird auf die gruppentheoretische Analyse von Ornamentik und Musikdurch A. Speiser 18 angespielt, der sich so ausdrückt: Ebenso wie es für

eine algebraische Gleichung eine ,,Metaphysik", ihre Gruppe, gebe, soauch für ein Kunstwerk, nämlich sein Symmetriegehalt. Es sei zu ver-muten, daß es Kompositionen, z. B. Fugen von J. S. Bach, gebe, bei denenjeder Ton durch Bindungen so festgelegt sei, daß als einziger Freiheits-grad die Tonart bleibe. Das gute Kunstwerk sei vielleicht durch dieMinimaleigenschaft ausgezeichnet, das einfachste Stück zu sein mit demin ihm enthaltenen Symmetriekomplex.

Das alles sind pythagoreische Gedanken, die sogar eine gewisse Zu-

spitzung erfahren haben. Aber auch wenn man von derartigen vielleichtnicht ungerahrlichen Zuspitzungen oder gar Überspitzungen absieht, istnicht zu leugnen, daß "exakte", d. h. aufMathematikgründende Natur-wissenschaft nur möglich ist, wenn ein "Glaube" an die "harmonische",mathematisch einfache und durchsichtige Struktur der Welt zugrunde ge-legt wird 17• Und diese Grundannahme ist auch der eigentliche Kern desvon aller Abstrusität gereinigten pythagoreischen Gedankens. Daß sicheine von unserem menschlichen Geist a priori zu entwerfende mathe-matische Struktur der Welt empirisch bewährt, daß die unserer Be-obachtung zugängliche Weltstruktur einem solchen einfachen und durch-sichtigen Entwurf mit einem hohen Grade von Approximation ent-spricht, ist ja keineswegs selbstverständlich. Es wird an ein "Entgegen-kommen" der Natur geglaubt, an ihre Angepaßtheit an die Fähigkeit desendlichen und sozusagen "kleinen" menschlichen Geistes. Dies ist der"gläubig" erfaßte Hintergrund des Weltbildes der großen exakten Natur-forscher des 17. Jahrhunderts, aber auch nicht minder der heutigen füh-renden Physiker, so sehr sich die religiösen Konzeptionen in den inzwi-

schen verflossenen dreihundert Jahren gewandelt haben mögen.

VIMit unserer letzten Bemerkung, die wir an anderer Stelle näher ausge-

führt haben 18, ist die Aktualität des pythagoreischen Gedankens in der

11 A . Speiser, Die mathematische Denkweise. 2 . Auß. Basel1945, S. H·17 I. Kanl, Kritik der Urteilskraft, Einleitung Abschn. V und VI. -Vgl. Kritik der

reinen Vernunft, Anhang zur transzendentalen Dialektik. Von dem regulativen Ge-brauch der Ideen der reinen Vernunft. A 643 ff. B 671 ff.

1a In meiner Schrift "Größe und Grenze der mathematischen Denkweise" (Frei-burg/München 1959), die auch zum Folgenden vielfach nähere Ausführungen enthält.

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Die Aktualität der pythagore#chen Gerlankmr

exakten Nafllnllissenschaft von heute angedeutet. Worauf es uns aber

eigentlich ankommt, ist die Bedeutung jenes Gedankens für diePhilosophie

der Gegenwart herauszustellen.

Diese Absicht führt sofort auf die Vergegenwärtigung der jetzigenLage der (deutschen) Philosophie. Auch dem oberflächlichen Blick muß

der Gegensatz zwischen der Position der hermeneutischen Geisteswissen

schaft und der mathematisch fundierten Naturwissenschaft entgegen

treten, ein Gegensatz, der bereits so groß und klaffend geworden ist,

daß beide Seiten sich kaum noch verstehen, ja gar nicht mehr verstehen

wollen.

Es soll nun davon abgesehen werden, die offenen oder versteckten Vor

würfe mancher exakter Forscher zu widerlegen, die Geisteswissenschaft

ten entbehrten der Strenge und verfielen (wenigstens in ihrer Behandlung

der Probleme der "höheren" Hermeneutik) in subjektive Willkür; sie

pflegten eine Art Begriffsdichtung, die mit suggestiven und rhetorischen

Mitteln zu überreden, aber nicht als ernst zu nehmende Wissenschaft mit

nachprüfbaren Argumenten zu überzeugen suche. Denn an dieser Stelle

würden damit offene Türen aufgestoßen, obschon von der Rolle des

Mythos in der Auffassung gewisser heutiger Philosophen selbst noch et

was zu sagen wäre.

Vielmehr soll der umgekehrte Versuch gemacht- oder soll man sagen:gewagt? - werden, den eigentlichen, eigenständigen Sinn des mathe

matischen und exakt-naturwissenschaftlichen Denkens dem hermeneu

tischen Geisteswissenschaftler und nicht zuletzt dem hermeneutisch

existentialanalytisch orientierten Philosophen verständlich zu machen.

Dabei is t der zuletzt genannte Begriff weitherzig aufzufassen. Es ist mit

dieser Art von Philosophen nicht nur der hermeneutische Idealist ge

meint oder gar der ,,philosophische Anthropologe", sondern ebenso und

vielleicht sogar recht eigentlich der Seins-Denker imUmkreis Heideggers.

Die Aufgabe stößt sofort auf wesentliche Schwierigkeiten. Denn die

mathematische Denkweise is t dem hermeneutischen Denken ihrer ganzen

Natur nach fremd, ja befremdend. Es is t für den interpretierenden For

scher, der von vomherein alles geschichtlich versteht, der nur im Rahmen

eines historisch-hermeneutischen Zugriffs sich das Weltbild zu schaffen

vermag, das er als Vorbedingung und Hintergrund jedes konkreten

Verstehensversuchs braucht, fast unmöglich, die ihm notwendig undurch

sichtig erscheinende Oberfläche des Naturhaften oder Rein-Mathemati

schen, die zunächst in sein Blickfeld gerät, aufzuhellen.Denn für ihn bedeutet ,unter die Oberfläche dringen'Verstehen: so, wie

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20 OJI:ar Becker

man versteht, was ein Mensch zu einem sagt. Aber einen Kristall kann

man nicht auf diese Weise verstehen; ebensowenig einen Planeten in sei

nem Lauf. Im zweiten Fall könnte man freilich zweifeln. Platon und Ari

stoteles glaubten die Planeten in ihrer Bewegung am Himmel sehr wohl

zu begreifen, als göttliche Wesen von höchster Intelligenz. Das schien

durch die Genauigkeit erwiesen, mit der sie ihre regelmäßigen Bahnen

und Umlaufszeiten innehielten. In dieser ihrer exakten Bewegtheit galten

sie als Vorbilder für die menschliche Seele und ihr Leben 19•

Diese Lehre hat sich bis auf Kepler erhalten, der als erster mit der

antik-mittelalterlichen Tradition brach, als er die Welt nicht mehr ,,instar

divini animalirt sondern ninstar horologii" begreifen wollte. Das Uhrwerk

des bewegten Weltsystems denkt er sich allerdings von Gott geschaffen,dessen überlegene Intelligenz sich darin manifestiert. Aber immerhin ist

es mit der "romantischen" Auffassung der Allbeseelung des Kosmos

die freilich im deutschen Idealismus für eine Zeit wieder Geltung haben

sollte- vorbei und Laplace bedurfte "dieser Hypothese" (d. h. Gottes

als Schöpfers und Erhalters der Welt) nicht mehr. Ernüchtert stehen wir

heute vor dem "Wunder" des Sternenhimmels:

"Es blinken die Sterne gleichgültig und kalt

Und ein Narr wartet auf Antwort."

VII

Man hat diese eigentümliche geistige Situation der Gegenwart zu erfas

sen gesucht durch die grundsätzlichen Begriffe "verstehen" und "erklä

ren". Der Physiker und Astronom soll nicht verstehen, sondern erklären.

Es scheint, als ob das im wesentlichen bedeutet,daß verwickeltere Erschei

nungen in einfache Komponenten zu zerlegen sind, welche uns gewohnt

sind und uns deshalb als "selbstverständlich" erscheinen. Was man in diesem Sinn für selbstverständlich hält, schwankt allerdings im Lauf der

Geschichte. Die Trägheit und die Schwere sind z. B. von Galilei und New

ton für elementar verständlich angesehen worden bei der Analyse der Wurf

bewegung und der Bewegung der Planeten um die Sonne. Huygens wollte

dagegen die Schwerkraft auf die durch die Trägheit allein bedingte Zen

trifugalkraft zurückführen 20• Die "kritische" Mechanik des 19. Jal!r-

19 Vgl. Plato, Timaeus 47 bc.10 Die gleichformigen Kreisbewegungen, die in der Antike als elementar verständ

lich galten, waren auf Grund metaphysischer Betrachtungen zu begreifen. V gl. z. B.Aristoteles, Physik VIII und Metaphysik A 8.

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Die Aklti4/ität tles pythagoreischen Geelankms 21

hunderts schließlich setzte als Ziel der Wissenschaft an die Stelle der Er-klärung die ,,einfachste Beschreibung" (Kirchhoff und ähnlich Mach).

Das heißt: man begnügte sich, durch ein System von mathematischen

Formeln eine große Gruppe von Erscheinungenzu ,,beherrschen". DiesesPrinzip bewährte sich besonders in der neu entstandenen Elektrodyna

mik. Die Maxwellsehen Gleichungen beherrschen dieses Gebiet (soweit

nicht atomistische Vorstellungen eingeführt werden müssen) vollstän

dig, ohne daß von ihnen eine mechanische Interpretation gegeben würde;

sie sind vielmehr Grundgesetze slli jllris. Damit entfernt man sich aber

vom alten Ideal des Natur-Verständnisses bis zu seiner völligen Preis

gabe.

AufGrund dieser Sachlage entwickelt sich die Polemik der hermeneu

tischen Geisteswissenschaft und Philosophie gegen die exakten Wissen

schaften. Die Weise ihrer Erkenntnisbemühung wird als eine entartete

Randerscheinung des vollen Verstehens der interpretierenden Wissen

schaften gescholten; zum mindesten erscheint sie als ein privativer Mo-

dus einer eigentlichen Interpretation, die nicht mehr gelingt. Dieser

hermeneutischen Krit ik verfällt schließlich auch der Begriff der ,,Objek

tivität", auf den die exakten Wissenschaften mit Unrecht so stolz seien.

Besonders das Hervortreten der Aufgabe der Berechnung, oft der Voraus

berechnung, in ihnen mißfällt. Man weist darauf hin, daß menschlichwichtige Entscheidungen nicht errechnet werden können, ebensowenig

echte schöpferische Leistungen. Für die Betreuung des ,,Massenvolks der

Daseinsfürsorge'' seien Berechnungen gewiß notwendig; in der Sphäre

eigentlicher Existenz hätten sie keinen Platz. Dazu ist jedoch zu be

merken, daß für den Mathematiker und theoretischen Physiker die Fest

stellung bestimmter Zahlen nicht das letzte ist, sondern auf dem Wege

zu seinem eigentlichen Ziel liegt, der Deweta, der "Schau" der Natur und

der idealen Welt des Mathematischen.

vmEs kommt freilich ein anderes hinzu: die Bewährung des Berechneten

an der Beobachtung, ein in der Astronomie uraltes Motiv, das erst in der

Neuzeit auf die anderen "irdischen" Naturwissenschaften sich übertrug.

Man hat dieses Motiv mit der beginnenden Entwicklung der Technik

im frühkapitalistischen Zeitalter in Verbindung gebracht und von da aus

wesentlich zu verstehen versucht. Die harmlosen Experimente im kleinenMaßstab wurden im 19. und zo. Jahrhundert zur Großtechnik mit ihren

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22 Oskar Buker

ungeheuren Erfolgen und Gefahren. Das erschien dann als eine "Heraus

forderung der Natur", als ein frevelhafter Angriff auf die alte heilige

Mutter, der sie unter den Willen des Menschen beugen will.

Obwohl die Natur im Experiment auf die forschende Frage des Menschen antwortet, verbirgt sie sich gerade in dieser Art zu antworten. Die

"Herausforderung" der Natur liegt darin, daß wir die natürlichen Vor

gänge in unserer täglichen Umwelt künstlich variieren, daß wir mit eigens

dazu erdachten Apparaten ungewöhnliche Bedingungen schaffen, unter

denen dann ungewöhnliche Erscheinungen auftreten. Das natürliche

Geschehen wird eigentümlich und befremdend verwandelt in unseren

"analytischen Experimenten", die die Antike nicht kannte. Die heraus

geforderte Natur wird "verfremdet" und entzieht sich.Aber der exakte Naturforscher hat keine Wahl; gerade in der Analyse

hat er seine methodische Chance. Die Zerlegung der Naturvorgänge in

ihre Elemente und ihr exakter Wiederaufbau aus diesen entspricht der

mathematischen Methode der Konstruktion und des Beweises von Theo

remen aus einfachsten Axiomen. Das bedenkt der hermeneutische Kriti

ker selten.

Die erste Aufgabe, die sich der Naturforscher auch schon primitiver

Art stellt, ist die einet genauen und getreuen Beobachtung und Be

schreibung eines Vorgangs. Man hat von hermeneutisch-philosophischer

Seite aus gesagt, ein geschichtliches Ereignis sei etwas ganz anderes als

ein Natur-Vorgang. Dieser sei schon etwas Abstraktes, gewissermaßen

eine Denaturierung des ursprünglichen Geschehens.

Aber es scheint, als ob eine getreue Wiedergabe des "Sachverhalts"

für beide, den Naturforscher und den Historiker, zunächst das Wichtigste

ist. Bei allen ihren verschiedenen Tendenzen ist ihnen doch dies gemein

sam, daß sie die Täuschung, die die Wahrheit verdeckt, durchschauen und

vermeiden wollen. Der Historiker versucht das durch die Kritik seinerQuellen, das Mißtrauen gegen Erzählungen und Berichte über die ihn

interessierenden geschichtlichen Ereignisse, das methodische Verhör von

Augenzeugen, die kritische Durchsicht von Aktenstücken usw. Der

Naturforscher seinerseits tut gut daran, der unmittelbaren Sinneswahr

nehmung zu mißtrauen, die - wie viele schon in der Antike bekannte

Beispiele zeigen - oft genug trügt.

SeineMaxime ist es, genau hinzusehen und vorurteilslos zu beschreiben.

Der Begriff der "Exaktheit" meint nichts anderes als diese äußerste Ge

nauigkeit. In diesem Genauigkeitsstreben hat auch die Hinwendung und

schließlich Beschränkung auf die quantitative Seite der Erscheinungen

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Die Aktualität des pythagoreischen Gedankens

ihre Wurzel. Denn nur Größen lassen sich, wenn man sie mit geeigneten

Maßstäben mißt, genau definieren und festlegen. (Man denke z. B. an

Thermometer und Barometer.) Genauigkeit in der Größenbestimmung

ist also kein willkürlich proklamiertes Ideal,das

einem abseitigen Forschungstrieb entsprang.

In seiner Art will auch der Historiker Genauigkeit und Zuverlässigkeit

seiner Berichte erzielen; auch er strebt nach "Objektivität", nach treuer

Wiedergabe der geschichtlichen Wirklichkeit ,,sine ira et st11diott. Aus die

ser Taciteischen Bemerkung geht allerdings auch hervor, daß der Ge

schichtsschreiber bei der kalten Beschreibung der Geschehnisse nicht

stehen bleibt. Von vornherein sind sie für ihn keine gleichgültigen Vor

gänge, sondern Ereignisse, an denen er Anteil nimmt. Die Fremdheit der

Naturvorgänge (besonders der anorganischen), die der Naturforscherexakt wiederzugeben bestrebt ist, läßt eine solche Anteilnahme nicht zu.

Wenn er gelegentlich von der Erhabenheit oder Furchtbarkeit eines ge

waltigen Naturgeschehens, wie etwa eines Vulkanausbruchs, spricht, ist

das eine unwesentliche Zutat. Das ist nicht die Folge einer willkürlichen

Wahl seiner Betrachtungsweise, sondern diese ist der eigentümlichen

Fremdheit der Natur angepaßt. Die Natur gibt dem Menschen auf seine

Verständnis heischende Frage keine Antwort. Sie sagt nichts aus, sondern

schweigt; die Sterne "blinken gleichgültig und kalt".Die Romantiker aller Zeiten - das sei hier nochmals gesagt - haben

davon nichts wissen wollen; sie haben sich der Konfrontation mit der

Natur, wie sie wirklich ist, entzogen. Sie haben sich in phantastischen

Vorstellungen vom Alleben der Natur ergangen, denen die harten und

dürren Tatsachen widersprechen. Das Leben ist im Universum eine sehr

seltene und kostbare Erscheinung, an ganz bestimmte, sehr eng um

grenzte und selten verwirklichte Bedingungen gebunden. Von einem

Alleben oder gar vom Kosmos als einem divinum animal kann keine Rede

sein. Der Naturforscher und nicht weniger der Naturphilosoph muß

sich dieser fundamentalen Tatsache stellen; die Zeit für romantische

Träume ist vorbei.

Ebensowenig ist die Konzeption des Universums als eines von Gott

geschaffenen Uhrwerks noch diskutabel. Es ist kein Zweck zu erkennen,

den die Welt, wie sie ist, in ihrer Gesamtheit haben könnte. Man muß sich

also auch der in der Zeit der Aufklärung so beliebten rational-teleologi

schen Gedankengänge entschlagen.

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Oskar Becker

IX

Es fragt sich nun, welche philosophischen Folgerungen aus dem Vor-

stehenden gezogen werden müssen. Was ist das Wesen der Natur? Wie

können wir es erkennen? In welcher Richtung können wir die "schwei-

gende" Natur überhaupt befragen?

Negativ läßt sich sofort dies sagen: Wir können der Eigenart der an-

organischen Natur nicht gerecht werden, wenn wir sie in Analogie zum

Menschen oder Menschenwerk zu verstehen suchen. Weder "spricht" sie

selbst zu uns noch strahlt sie "objektiven Geist" wider wie ein vonMen-

schen geschaffenes Werkstück. Es gilt auch heute noch der alte Spruch

des Heraklit (fragm B. 30): x6apov -roihov •.. o1he -rtr; fJe(jyp crihe avfJedm;wvbr:ol'f/ae'JI.

Aber wie kann man dann noch etwas über das Wesen der Natur aus-

sagen? WelcheMöglichkeit bleibt da noch? Welche Art von Antwort ist

da noch denkbar?

Galilei verzichtete scheinbar auf die Lösung dieses Problems, indem

er von den aristotelischen aexal xal ahlat, den "Ursprüngen und Ur-

sachen", absah und nur noch den meßbaren Verlauf der Naturerscheinun-

gen zu untersuchen unternahm. Diese Beschränkung auf die größen-

mäßige Seite der Phänomene, die seither im Interesse der Exaktheit

durchgeführt wurde, reduziert die Ergebnisse der Untersuchungen auf

die Bestimmung von Zahlen. Will man nun doch damit in das Wesen der

Natur eindringen, so bleibt nichts anderes übrig, als dieses Wesen in Zahlen

ausgedrückt zu finden. In der Tat sagte Galilei, daß das Buch des Univer-

sums in mathematischer Sprache geschrieben sei.

Das hermeneutische Denken wird hier einwenden, die Zahlen bildeten

eine gleichförmige Masse; sie würden im Verlauf einer Rechnung ver-

braucht wie ein gleichgültiges und gewissermaßen stumpfsinniges Mate-rial, aus dem keine Aussage zu gewinnen sei. Nun is t gewiß jede einzelne

Zahl, für sich isoliert genommen, ziemlich so gut wie eine andere; aber

ein geordnetes Gefüge von Zahlen ist gestaltet, es hat eine wenn auch ab-

strakte Form, die des Ausdrucks und der Aussage sehr wohl fahig ist.

Räumliche Gestalten, die vom Künstler geschaffen alles, die ganze

Welt menschlicher Erfahrungen und Erlebnisse, ausdrücken können,

sind jedem Einsichtigen bekannt; aber sie sind sichtbar. Hierzu treten

jedoch die unsichtbaren, aber doch hörbaren musikalischen Formen undendlich die Sprachgestalt der Dichtung.

Die Gebilde, welche aus reinen Zahlen bestehen, sind viel abstrakter

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Die Aktuditlil des pythagoreischen Gedankens

und damit "geistiger« als die Gestalten der Kunst. In einer gewissen

Analogie zum Gedankengang der Hegeischen ,.Enzyklopädie . der die

Religion über die Kunst und die in Begriffen denkende Philosophie noch

über die Religion stellt,als

die höchste Gestalt des absoluten Geistes,steht auch für uns die reine Zahlgestalt in ihrer reinen absoluten Geistig

keit am Ende der Reihe. (Allerdings ist unser Begriff des Abstrakten nicht

derselbe wie der Hegels, der sich bei ihm auf die noch unzulängliche

Form der Wahrheit am Beginn des dialektischen Prozesses bezieht.)

Wir kommen mit unserem Gedankengang auf die pythagoreische Fun

damentalthese zurück, daß die Dinge-Naturdinge wie Kunstprodukte, die

der bildenden Künste nicht weniger wie die der Musik-"Zahlen . sind, d.h.

zahlenmäßig bestimmte Gefüge symmetrischen Charakters. Das "Wesen .

der anorganischen Natur, der innere Grund 21, warum sie so ist wie sie ist

und nicht anders, liegt darin, daß sie nur so das ihr eigene große, ja viel

leicht das überhaupt denkbar größte Ausmaß an Symmetrie besitzen kann.

Der Beleg dafür ist die Tatsache, daß die die Naturstruktur "beherr

schenden.. Gleichungen weitgehenden Invarianzforderungen genügen.

Die Anerkennung und Würdigung dieser Grundtatsache hält sich von

jeder "Romantik" fern, legt keine phantastischen menschenähnlichen

Eigenschaften und Geschehnisse in die Naturvorgänge hinein und ver

zichtet auch auf jede teleologische Deutung.Die Natur erscheint weder als divinum a11imal noch als von Gott ge

schaffenes horologium, sondern als ein gewachsener Kristall. Wenn jemand

hieraus einen "Gottesbeweis" entnehmen wollte, so könnte dieser nicht

,.physikotheologisch" (d. h. teleologisch), sondern nur "morphologisch"

sein. Will man spekulieren, so könnte man sagen, hierin offenbare sich

die intelligible Schönheit des Universums (Plotins "'01J7:0v " d Ä Ä o ~ ) ; esgebe nur eine ästhetische Rechtfertigung der Welt (Nietzsche). Wir wol

len hier einer derartigen Spekulation weder das Wort reden noch sie ver

bieten. Aber auch der Skeptiker muß die eigenartige ,.durchformte"

Struktur der Welt oder genauer gesagt des Kosmos anerkennen. Gerade

sie drückt ja auch das Wort "6apot; und der entsprechende klassische

griechische Begriff aus.

In einer jener großen Vorausnahmen des frühgriechischen Denkens

haben die Pythagoreer den ganz unsentimentalen, hellen, von Düsternis

und Existenzangst freien Gedanken gefaßt, daß die Dinge und ihre Wahr-

11

Der Grund im Sinne derVerursachung ( cau.ra efftdens) ist wohl zu unterscheidenvon der Art wie das "Sein" Grund für Seiendes ist. Vgl. M. Heitlegger, Der Satz vom

Grund (Pfullingen I9H)·

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2.6 Oskar Becker

heit vom Charakter der "Zahl" sind. Dieser große Gedanke ist heutekeineswegs veraltet oder überwunden, er ist von aktuellster Gegenwartsbedeutung.

XWenn jetzt auch die Aktualität des pythagoreischen Gedankens erwie

sen sein dürfte, erheben sich doch weitere Fragen. So vor allem die, welche Folgen für die gegenwärtige philosophische Situation sich ergeben.Dem seien noch einige kurze Worte gewidmet.Der hermeneutische Frageansatz hat tiefere philosophische Gründe, die

vorzüglich von Heideggerim

Hauptwerk seiner früheren Zeit "Sein undZeit" eingehend dargestellt wurden 22• Das Verstehen, der fundamentalehermeneutische Begriff, geht auf das Existenzial ,Verstehen' zurück, dasdie ,Existenz' des Daseins im engeren Sinne (den existenziellen Entwurf)im Gegensatz zu seiner ,Faktizität' (Geworfenheit) bezeichnet.

Wir sahen nun, daß das hermeneutische Verstehen gegenüber derFremdheit der anorganischen Natur versagt. Das deutet zugleich daraufhin, daß das existenziale Verstehen, das wieder auf dem existenziellen Entwurf des Daseins beruht (oder, vielleicht besser gesagt, ihm entspringt),

hier seine Grenze findet. Da aber das Dasein des Menschen im geworfenen Entwurf (in der faktischen Existenz) sein Sein hat, wird damit diesesDasein selbst überschritten; es wird gewissermaßen überfragt, wenn demMenschen die ihm fremde Natur entgegentritt. Indessen ist auf das hierstattfindende Überschreiten kein besonderes Gewicht zu legen, vielleichthandelt es sich ebensosehr um ein Unterschreiten. Es tritt vielmehr jetzteine andere Seite, eine wesenhafte Struktur des Menschlichen hervor:das Da-wesen.

Es scheint entsprechend dem hermeneutischen Verstehen, der Interpretation oder "Auslegung" der Welt, ein Begreifen zu geben, das keineninterpretatorischen, sondern einen divinatorischen Charakter hat. DieSymmetrie der Naturerscheinungen wird e"aten; es gibt gewissermaßeneinen mathematischen Zauberschlüssel, der sie enträtselt und damit dieNatur, die "sich zu verbergen liebt", enthüllt. In der Tat ist das Verfahrendes heutigen theoretischen Physikers oft so, daß er mit einem fertigen,völlig apriorischen mathematischen Formalismus in die physikalischeProblematik hineinspringt, indem er ein zuvor konzipiertes mathemati-

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Die Aktuaiität Je.r pythagorei.rchen Gedanken.r

sches Modell der Erscheinungen konstruiert und dieses dann nachträglich

mit der Erfahrung vergleicht 23•

Die Möglichkeit eines solchen divinatorischen Begreifens wurzelt im

Dawesen. Dem ,geworfenen Entwurf' des Daseins entspricht die ,Getragenheit' des Dawesens, dem gedoppelten Existenzial das einfache Para

existenzial, der faktischen (geworfenen) Möglichkeit des Daseins die

schlichte Notwendigkeit des Dawesens 24•

Das interpretierende Verstehen des historischen Menschen entspringt

der jeweiligen hermeneutischen Situation des· Daseins in seiner Ge

schichtlichkeit; das divinatorische Begreifen erfolgt situationslos, ohne

hermeneutische Atmosphäre, gewissermaßen aus dem Allmittelpunkt

einer leeren unendlichen Sphäre 25, nicht von einem bestimmten "meta

physischen Punkt", einer situationsgebundenen Leibnizschen Monade

aus.

Der spätere Heidegger deutet die "Vollzugsgeschichte" des Daseins

"umgekehrt" als Seins-Geschick; Geschicht-lichkeit wird ihm zur Geschick-

lichkeit. Das "Geschick" ist der Ausdruck für die Spannung zwischen

Sein und Seiendem, die sich als Zeitlichkeit, das heißt als Seins-Geschichte,

als das Geschehen, das sich-Ereignen des Seins auswirkt. Demgegenüber

sind die symmetrischen, kristallartigen Strukturen der Natur und des

rein Mathematischen selbst ohne eigentliche Zeit, ohne faktisches Geschehen oder gar Sich-ereignen. Zwar geht in die symmetrischen mathe

matischen Formen abstrakter Art, durch die die Natur begriffen wird, die

Zeit als vierte (oft imaginär angesetzte) Koordinate ein, aber doch nicht

als eigentliche Zeit, die sich und anderes "zeitigt". Denn dem Naturhaften

als dem wesenden Wesen fehlt jene Spannung, aus der Zeitigung ent

springt.

Ein sehr merkwürdiger Beleg dafür is t der Umstand, daß das Fak

tische (im Sinne des "faktischen Lebens" gemeint) in die Formeln der

Quantentheorie und auch schon der statistischen Thermodynamik nicht

eingeht. Jene Formeln verknüpfen nur reine Möglichkeiten (in quanti

fizierter Form als Wahrscheinlichkeiten), die jedoch etwas gänzlich

anderes als existenzielle Möglichkeiten im Sich-Entwerfen des Daseins

111 Vgl. meine Schrift "Mathematische Existenz" (Halle a. S. 1927), S. 324-328, und

"Das Symbolische in der Mathematik" (Blätter für deutsche Philosophie Bd. I (1928),

s. 347)·

u V gl. hierzu und zum Folgenden meine Abhandlung "Paraexistenz. MenschlichesDasein und Dawesen" (Blätter f. deutsche Philosophie Bd. XVII (1943), S. 62--95).15 Zu diesen Grundbegriffen mathematischer Mystik vgl. D. Mahnke, Unendliche

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28 O.rkar Becker

sind 26• Jene physikalischen Möglichkeiten spielen ganz in Systemen

von einer "Objektivität", die nicht "real" ist. Reale, faktische Gescheh

nisse, d. h. Ereignisse, fallen dem "Zufall" anheim; sie entziehen sich

der symmetrischen Naturgesetzlichkeit 27• Das Versagen der hermeneutischen Methode gegenüber der Kristallstruktur des Kosmos wird hieraus

verständlich, zugleich aber auch das umgekehrte Versagen der symme

trischen Formeln angesichts des faktischen Geschehens, nicht bloß in

der Geschichte der Menschheit, sondern auch in der "Geschichte der

Natur" 28•

Was ergibt sich hieraus für die Beurteilung der gegenwärtigen philo

sophischen Situation? Zunächst eine Warnung vor dem Glauben an die

Allmacht der hermeneutischen Methode, worin auch das Denken von derSeinsgeschichte als dem Seinsgeschick aus begriffen ist.

Der Versuch einer solchen Warnung wird freilich sofort auf Wider

spruch stoßen. Man wird sagen, "Sein" sei seinem sprachlichen Sinn nach

ein allumfassender Begriff, es sei das Schlüsselwort für das Letzte, Alles

Umgreifende.Doch sind mehrere solcher "Chiffren" für das Letzte in der

Geschichte des Denkens hervorgetreten. Schelling z. B. sprach vom "Ab

soluten" (was ursprünglich ein neuplatonischer Terminus war: -ro &.n6Äv-

-rw), Nietzsche vom "Leben" als dem Letzten; wenn auch schon seit Par

menides das Wort "Sein" (Bv fi 8v u. ä.) bevorzugt wurde.Man könnte nun vielleicht über diese terminologischen Eigentümlich

keiten hinwegsehen- wenngleich die philosophische Sprache weit davon

entfernt ist, eine willkürlich wählbare Bezeichnungsweise zu sein -, wenn

nicht die "ontologische Differenz", die fundamentale Unterscheidung

von Sein und Seiendem durch Heidegger (die den antiken Denkern noch

fremd war) eine tragende Rolle spielte. Dadurch, daß allem und jedem,

insofern es irgendwie "ist" -und es scheint, als ob alles und jedes irgend

wie "ist" - Sein zugeschrieben wird, erstreckt sich die ontologische Differenz auf alles.

Und hier erhebt sich nun die entscheidende Frage: Is t das naturhaft

oder mathematisch "Seiende" von seinem "Sein", das nicht mit seiner

"Seiendheit" (die man ihm nicht absprechen kann und wird) zusammen

rallt, wirklich unterschieden?

Sphäre und Allmittelpunkt (Halle a. S. 1937).26 Vgl. meine "Untersuchungen über denModalkalkül" (Meisenheim a. Glan 1952),

Abschn. IV, § II.21 V gl. "Größe und Grenze d. math. Denkweise" Kap. II , § 6.28 Vgl. C. F. 11. Weiz.rä&ker, Die Geschichte der Natur (Göttingen 19S4), S. 9-14,

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Die Aktualität des pythagoreischen Gedankens

Der hermeneutische Philosoph faßt das Sein als "Grund« (was nicht

mit causa efftciens verwechselt werden darf) des Seienden und zwar von

jeglichem Seienden; aber es fragt sich, ob das Naturhafte überhaupt einen

solchen "Grund« hat- ob es nicht vielmehr das, was es ist, aus sichselbstheraus ist. Der Unterschied zwischen dem Seienden und seinem "Grun

de" fiele dann weg; sagte doch schon Goethe:

"Natur hat weder Kern noch Schale,

Alles ist sie mit einem Male."

Nun hat zwar Leibniz die grund-sätzliche Frage aufgeworfen: "War

um (d. h. aus welchem Grunde) ist überhaupt etwas und nicht vielmehr

nichts?"- eine Frage, die von den Seins-Denkern von heute wieder auf

genommen worden ist. Leibniz beantwortet sie mit dem Hinweis auf den

jenseitigen Weltschöpfer als letzten Grund des Seienden. Aber hatte nicht

Heraklit, der urtümliche, ursprungsnähere Denker, viel mehr Recht, als

er ausdrücklich leugnete, daß ein Gott oder Mensch den Kosmos er

schaffen hätte? Dahinter taucht das alte Problem auf: Gibt es eine mit der

Schöpfung beginnende Welt-Geschichte? Oder kehrt Gestalt-Gleiches

ewig wieder?

Man sieht sich immer wieder derselben Alternative gegenüber: Ist die

Welt und der Mensch und alles, was in irgend einem Sinne "ist", ge-schichtlich zu begreifen oder nicht? Und "geschichtlich" hat hier zuletzt

die Bedeutung "hei!sgeschichtlich" in einem mehr oder weniger säku

larisierten christlichen Sinn. Das ist jedenfalls die Lage in der europäi

schen und amerikanischen Philosophie der Gegenwart, einschließlich der

marxistisch-leninistischen, die auch nur eine säkularisierte, "dialektisch

umgeschlagene" christliche Philosophie ist. Es ändert sich daran auch im

Prinzip nichts, wenn man (wofür es neuerdings wieder Beispiele gibt) das

Heil nichtvon

der Wiederkunft desHerrn oder von

einer "fortschrittlichen" Utopie, sondern vom Glauben an einen neuen Mythos erwartet.

Aber es fragt sich- und wir müssen diese Frage als eine letzte und

prinzipielle stellen-, ob überhaupt etwas zu "erwarten" ist, sei es was es

sei, wenn wir auf die Natur hinblicken. Ist sie nicht die Ewig-Gleiche?

Physik und Astronomie geben keine eindeutige Antwort, so sehr es

heute "modern" ist, an die Endlichkeit des Raumes und an eine Ge

schichte des Kosmos zu glauben. Man muß blind sein, um den geistes

geschichtlichen Zusammenhang zwischen den von vielen heutigen Phy

sikern bevorzugten- vor anderen auch möglichen Hypothesen bevorzugten - Weltentwürfen und der "existenzialistischen (übrigens zweiten)

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Oskar Be&J:er, Die AJ:iualitäl tkr pythagoreischen Gedankenr

Welle" in der Philosophie, Literatur und bildenden Kunst unserer Tage

zu verkennen.

Man gerät also hier in einen c i r e ~ ~ l u s vitiosus, dem gegenüber nur eine hell-

wache, aufmerksame Shpsis angebracht erscheint, welche sich ebenso-sehr gegen eine gewisse einem Wunschdenken entspringende "neue

Gläubigkeit" an Dogma und Mythos, wie gegen eine tiefenpsycholo-

gische oder soziologische Entlarvungstendenz bis ins völlig Triviale

richtet. Die europäische Philosophie wird, wenn sie überhaupt noch eine

Zukunft haben soll, ihre jahrtaosende lange Wanderung auf dem schma-

len Grat zwischen gläubigem Wunschdenken und die Urphänomene

trivialisierendem, unfruchtbarem und im Grunde dummem Zynismus

fortsetzen müssen. Diesen engenund

getahrlichen, oft auch im Dunkelverlaufenden Weg kann der pythagoreische Gedanke vielleicht in etwas

erhellen.