Begegnung mit dem Nachbarn (IV.): Schweizer ... · gen Staigers Ablehnung der Gegenwartsliteratur...

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Michael Braun / Birgit Lermen (Hrsg.) Begegnung mit dem Nachbarn (IV.): Schweizer Gegenwartsliteratur Eine Veröffentlichung der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

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Michael Braun / Birgit Lermen (Hrsg.)

Begegnung mit dem Nachbarn (IV.):

Schweizer Gegenwartsliteratur

Eine Veröffentlichung der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

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Schutzgebühr: 5,- EUROBestelladresse: Konrad-Adenauer-Stiftung

Rathausallee 12, 53757 St. Augustin Tel.: 02241 / 246-2299 (9-12 Uhr) E-Mail: [email protected]

Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

Umschlag nach einem Entwurf der Druckerei Paffenholz, Bornheim.Titelbild: Menschen im Gespräch (1986) von Margot Jolanthe Hemberger (Lossburg), mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin.Redaktion: Michael Braun und Birgit Lermen.© 2005, Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., Sankt Augustin Alle Rechte Vorbehalten.Nachdruck - auch auszugsweise - allein mit Zustimmung der Konrad-Adenauer- Stiftung.Printed in Germany.ISBN 3-937731-66-0

Inhalt

Vorwort 9Michael Braun / Birgit Lermen

Grußwort 13

Christoph Kannengießer

Das Kreuz mit dem „Kreuz“. Grußwort 17

Norbert Bärlocher

Schweizerdeutsch, Schriftdeutsch

und Schweizer Deutsch 25

Erica Benz-Steffen / Martin Zingg

Paradoxie und Paratopie.

Der Ort der Schweizer Literatur 31

Michael Böhler

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Zum Diskurs „Schweizer Literatur“

in der Gegenwart

Corina Caduff

Zeitheimat Schweiz. Über eine „kleine Literatur“

in der W issensgesellschaft Europas

Gerhard Lauer

„Wir brauchen eine Vergangenheit,

an die wir glauben können. (Er lächelt müde.)“

Thomas Hürlimann und die Auseinandersetzung

mit der Zeit von 1933 bis 1945 in der

deutschsprachigen Schweizer Gegenwartsliteratur

Hans-Rüdiger Schwab

„Mit dem reinen Strahl der Gerechtigkeit“. Wertekritik

und Poetik bei Frisch und Dürrenmatt

Franziska Schößler

Die Welt als Wille zur Vorstellung.

Über Adolf Muschg

Martin Zingg

Was ist europäisch?

Adolf Muschg

A uswahlbibliographie

Autoren und Herausgeber

Bildliche Impressionen

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Zum Diskurs „Schweizer Literatur“

in der Gegenwart

Corina Caduff

Die internationale Forschung zur Geschichte von Nation, Nationalstaat und Nationalismus hat, als Folge der post-kommunistischen Reorganisation von Nationalstaaten sowie im Kontext der Globalisierungsprozesse, seit den 1990er Jahren Konjunktur. Dabei steht auch der Terminus der ,Nationalli­teratur4 noch einmal neu auf dem Prüfstand: Entstehungsgeschichtlich an die Bildung von Nationalstaaten bzw. an die Ausprägung von Nationalbe­wusstsein in und durch Literatur gebunden, ist der Prozess der Nationallite­ratur in diesem Sinne in Westeuropa längst abgeschlossen, während er zur Zeit eine heftige Aktualisierung in Ost- und Südosteuropa erfährt. So kann man heute nicht eigentlich davon sprechen, dass das Konzept einer Natio­nalliteratur ausgedient habe; vielmehr gilt es festzustellen, dass es sich um

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ein Konzept handelt, welches an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten wieder aufgerufen werden kann. Zugleich geraten heute ,das Euro­päische4 und mit diesem auch globalisierende Literarisierungsprozesse4 mehr und mehr in den Fokus literaturwissenschaftlicher Fragestellungen, womit man politisch diskutierten Grenzaufweichungen nachfolgt.

In dieser Situation versuche ich am Diskurs „Schweizer Literatur44 zu zei­gen, wie sich das nationalliterarische Konzept in der Schweiz realisiert hat und was es heute noch für Auswirkungen auf das literarische Kräftever­hältnis im gesamt-deutschsprachigen Raum zeitigt. Vorauszuschicken sind dabei einige Bemerkungen zur Geschichte dieses Diskurses, der in der Lite­raturgeschichtsschreibung seinen Ausgangspunkt findet. Die schweizeri­sche sowie auch die österreichische Literaturgeschichtsschreibung begrün­deten sich Mitte des 19. Jahrhunderts gleichermaßen in der Unzufriedenheit über die als hegemonial erfahrenen deutschen Kulturansprüche. In der deutschen Kultumation diente das Konzept der Nationalliteratur der politi­schen Willensbildung zum Nationalstaat und ging in dieser Funktion der Reichsgründung von 1871 voraus. In der Schweiz dagegen resultierte die nationalliterarische Idee aus der Bundesstaatsgründung von 1848 und trug dementsprechend nach dieser Staatsgründung, die nicht von einem bereits bestehenden Nationalbewusstsein getragen war, zu einer nationalen Identi­tätsbildung bei. Eine vergleichbare Situation präsentierte sich in der zwei­ten Republik Österreich: nach dem Zusammenbruch der deutsch-nationalen Ausrichtung war hier nach 1945 die Neu-Bildung eines Nationalgefühls gefragt, welche von der Literatur in ihrer Möglichkeit als Integrationsme­dium unterstützt wurde.

Die Anfänge einer schweizerischen Literaturgeschichtsschreibung um 1860 waren hauptsächlich von universitären Lehrstuhl-Inhabern betrieben wor­den; sie dienten dementsprechend auch der wissenschaftlichen Identitäts­bildung und gingen mit der Etablierung der institutionellen Germanistik in der Schweiz einher. Erste Literaturgeschichten von Johann Caspar Möriko-

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fer, Jakob Bächtold und Adolf Frey erschienen zwischen 1860 und 1914 und waren geprägt vom Bemühen, Schweizer Literatur unter Beibehaltung nationaler Eigenheiten in den deutschen Literaturraum zu integrieren.1 1933 folgte Ermatingers Entwurf eines literarischen Identitätskonzepts im Sinne der Geistigen Landesverteidigung,2 und nach 1945 machte Emil Staigers Stilkritik in der deutschen Germanistik Karriere, welche nationale, gesellschaftspolitische und historische Kontexte von Literatur außer Acht ließ; stattdessen wurde eine überzeitliche, allgemeingültige Bedeutung der Literatur betont. Zugleich fanden Frisch und Dürrenmatt in der Nach­kriegszeit mit ihren Parabelstücken - d.h. mit der Aufhebung konkreter his­torischer Konstellationen in eine typisierende Darstellung des allgemein Menschlichen - weltweite Beachtung.3

In den 60er Jahren dann trat die zweite (Nachkriegs)Schriftsteller-Gene- ration auf den Plan (u. a. Kurt Marti, Otto F. Walter, Hugo Loetscher, Peter Bichsei, Paul Nizon), die sich auch mit der Schweiz im 2. Weltkrieg, mit dem Arbeiteralltag und dem Kapitalismus auseinandersetzte und die anläss­lich des Literaturstreits 1966/67 zusammen mit Frisch und Dürrenmatt ge­gen Staigers Ablehnung der Gegenwartsliteratur antrat.4 In den 70ern und 80ern folgte die sogenannte dritte und vierte Generation, wobei sich die generation4 nicht am Autorenalter, sondern am Zeitpunkt der ersten Ver­öffentlichungen bemisst; mit dem Tod von Frisch und Dürrenmatt Anfang der 1990er Jahre hört diese Generationenzählung auf.

Die deutsche Germanistik nun scheint mit dem Ende der DDR-Literatur das Interesse an einer Literaturen-Teilung im deutschen Sprachraum verlo­ren zu haben. Die österreichische Germanistik ihrerseits diskutiert seit 1995 verstärkt die Frage einer österreichischen Literatur und Literaturgeschichts­schreibung, wobei die Traditionsbildung eines einheitsstiftenden Begriffes dessen, was das Österreichische sei, eher im Vordergrund steht als diffe­renztheoretische Aspekte, die sich auf Unterschiede im deutschsprachigen Literaturraum beziehen.5 In der Schweiz ist eine entsprechende Diskussion

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ebenfalls aufgekommen.6 Sowohl diese schweizerische als auch die öster­reichische Diskussion zeichnen sich dabei in hohem Grade als Binnendis- kurse aus: Schweizer sprechen über schweizerische und Österreicher über österreichische Literatur, wobei der Blick vorwiegend der ,eigenen* Litera­tur im ,Innern* der Nation gilt; eine vergleichende Perspektivierung, die Literaturen anderer Länder und Sprachen einbeziehen würde, bleibt weit­gehend aus.7

Ich beschäftige mich hier im Weiteren mit der Frage, wie sich der Diskurs „Schweizer Literatur** im Kontext derjenigen Autorinnen und Autoren prä­sentiert, die nach Frisch und Dürrenmatt an die Öffentlichkeit getreten sind. Den diskursiven Praktiken, die verantwortlich sind für die Produktion und Organisation von Wissen über „Schweizer Literatur**, sind bestimmte Formationsprinzipien inhärent, die ich zu rekonstruieren suche anhand der Schweizer Anthologie-Produktion und Literaturgeschichtsschreibung der letzten Jahrzehnte, anhand der Diskursfigur der nationalen Selbstreferenz sowie schließlich anhand der internationalen akademischen Rezeption des Diskurses „Schweizer Literatur**. Dabei wird sich zeigen, dass die Literatur selbst oszilliert zwischen Gegenstand, Produkt und Produzentin dieses Dis­kurses.

Anthologie-Produktion und Literaturgeschichtsschreibung

Die Gattung der Anthologie ist deshalb so aufschlussreich, weil sie sich gleichsam in der Schwebe zwischen literarischer Praxis und der Rede über Literatur bewegt. Auf dem Wege von Textzusammenstellung, Textanord­nung und Titelgebung entsteht ein literarisches Gefüge, das nicht explizit entwickelt werden muss; der Textkörper der Anthologie manifestiert sich als Verkörperung eines vorwiegend implizit bleibenden Diskurses, dessen Regeln an den Praktiken der Auswahl bzw. Nicht-Auswahl zu studieren sind. So scheint es, dass die Literatur für sich selber spricht, während sie

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tatsächlich zum Medium eines Diskurses wird, der sie in eine bestimmte Ordnung bringt. Sofern sich Anthologien an nationalen Grenzen ausrichten, sind sie Konstituenten des entsprechenden Literaturbetriebs; als Teil der literarischen Traditionsbildung sind sie Indiz für dessen Selbstverständnis und Selbstinszenierung.

Anlässlich der Nationalausstellung Expo 1964 erscheint im selben Jahr die 900-seitige viersprachige Anthologie Bestand und Versuch. Schweizer Schrifttum der Gegenwart. Nachdem in den 30er Jahren etliche Antholo­gien erschienen sind, denen in den 40ern und 50em lediglich vereinzelte Textsammlungen folgten, bildet diese Anthologie den Auftakt einer bis heute kontinuierlich anhaltenden nationalen Anthologie-Produktion, die sich vorwiegend der Gegenwartsliteratur annimmt.

Der Titel „ Schweiz “

Erster Index für die konzeptuelle Ausrichtung einer Anthologie ist der Titel. Wie die folgende Liste deutschsprachiger Anthologie-Titel der letz­ten Jahrzehnte zeigt (bei den kursiv gesetzten Titeln handelt es sich um Produktionen der deutschen sowie der Auslandsgermanistik), fungiert das Wort „Schweiz** kontinuierlich als Leitmotiv, als zielgerichtete Hauptaus­sage:

1964 Bestand und Versuch. Schweizer Schrifttum der Gegen­wart. Lettres suisses d'aujourd’hui. Lettere elvetiche d ’oggi. Vuschs sivzras da nos temp.

1964 Prosa junger Schweizer Autoren.

1964 Modernes Schweizer Theater. Einakter und Szenen.

1968 Dichter der neueren Schweiz. 3 Bände (1963/68/86).

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1972 Gut zum Druck. Literatur der deutschen Schweiz seit

1974

1964.

Erkundungen. 35 Schweizer Erzähler.

1974 Taschenbuch der Gruppe Olten.

1975 Textbuch 1 der Gruppe Olten.

1976 Textbuch 2 der Gruppe Olten.

1976 Schweiz heute. Ein Lesebuch.

1977 Schweizer Lyrik des 20. Jahrhunderts.

1977 Forts ehr eiben. 98 Autoren der deutschen Schweiz.

1978 Gegengewichte. Lyrik unserer Tage aus dem deutsch­sprachigen Raum der Schweiz.

1978 Belege. Gedichte aus der deutschsprachigen Schweiz seit 1900.

1978 Literatur aus der Schweiz. Texte und Materialien.

1980 Unruhige Landsleute. Schweizer Erzähler zwischen Kel­ler und Frisch. Ein Lesebuch.

1980 Der Kuss.

1980 Ich hab im Traum die Schweiz gesehn. 35 Schriftsteller aus der Schweiz schreiben über ihr Land.

1981 Grenzgänge. Literatur aus der Schweiz 1933-45. Ein Lesebuch.

1982 Frühling der Gegenwart. Erzählungen 3 Bde. (1982/83).

1983 Geschichten aus der Geschichte der Deutschschweiz nach 1945.

1983 Literatur aus der Schweiz. Ein Jahrbuch.

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1984 Erkundungen II. 42 Schweizer Erzähler.

1984 Anthology o f Modern Swiss Literature.

1985 Zwischenzeilen. Schriftstellerinnen der deutschen Schweiz.

1988 Das helle und das dunkle Zimmer. Schweizer Schrift­stellerinnen und Schriftsteller schreiben von der Angst.

1988 Die skeptische Landschaft. Deutschsprachige Lyrik aus der Schweiz seit 1900.

1988 Zeitspuren. Kurzprosa.

1989 Geschichten aus einem ereignislosen Land. Schweizer Literaturtage in Marburg.

1989 Gasthausschildereien.

1990 Schweizer Erzählungen. Deutschschweizer Prosa seit 1950. 2 Bände.

1991 Frauen in der Schweiz. Erzählungen.

1991 Die Schweiz von aussen gesehn.

1991 Schweizer Erzähler des 19. und 20. Jahrhunderts.

1991 Neue Theaterstücke aus der Schweiz.

1991 Fundstücke der Schweizer Erzählkunst. 1800-1840, 1840-1870. 2 Bde.

1992 Moderne Schweizer Kurzprosa.

1993 Literatur aus der Schweiz.

1993 Kein einig Volk. Fünf schweizerische Zeitstücke 1933- 1945.

1994 Schweizer Lesebuch.

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1994 , Viel Köpfe, viel Sinn. ‘ Texte von Autorinnen aus der deutschsprachigen Schweiz 1795-1945.

1995 Banken, Blut und Berg: Kriminalgeschichten aus der Schweiz.

1998 Die Schweiz erzählt. Junge Erzähler.

1998 Sprung auf die Plattform. Junge Schweizer Literatur.

1998 Das Netz-Lesebuch: neue Literatur aus der deutsch­sprachigen Schweiz.

1998 Schnell gehen auf Schnee - Stadtgeschichten.

1998 Fenster mit Aussicht. Literarisches Zug. Texte und Ge­schichten.

1998 Made in Switzerland. Die schönsten Texte aus dem Schweizer Schreibwettbewerb.

1998 Berner Almanach. Literatur.

1998 Helvetische Herausforderung. Eine Anthologie von 24 Schweizer Autoren.

1998 Binnenwelten: Stimmen aus der Schweiz.

1998 Domino: Ein Schweizer Literaturreigen.

1998 Über Erwarten. Der 100. drehpunkt. Ein Lesebuch aus der Schweiz.

1998 , Abends um acht. ‘ Schweizer Autorinnen und Autoren inBerlin.

1998 Küsse und eilige Rosen. Die fremdsprachige Schweizer Literatur. Ein Lesebuch.

1999 Für den Tag schreiben. Journalismus und Literatur im Zeitungsland Schweiz.

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2000 Ch.eese. 30 Swiss Stories. Eine Zeitreise durch die Schweiz.

2000 Zeiträume.

2000 Herzschrittmacher in.

2001 Literarisches Zofingen. Texte und Geschichten.

2001 Zweifache Eigenheit. Neuere jüdische Literatur in der Schweiz.

2001 Swiss made. Junge Literatur aus der Schweiz.

2002 Natürlich die Schweizer! Neues von Paul Nizon, Ruth Schyveikert, Peter Stamm und anderen.

2002 Die schönsten Gedichte der Schweiz.

2003 Wir sind eigenartig, ohne Zweifel. Die kritischen Texte von Schweizer Schriftstellern über ihr Land.

2004 Literatur de Suisse.

2004/5 City Schweiz. [orte-Heft]

2005 Literatur aus der Schweiz. [ manuskripte, nr. 168]

Nicht nur die Betitelung, sondern auch die inhaltlichen Realisierungen die­ser Anthologien lassen Spezifizierungen vermissen, die über die Faktoren Genre, Geschlecht oder Zeit hinausgehen. Auffallend absent sind, von we­nigen Ausnahmen abgesehen,8 Textsammlungen zu thematischen oder mo­tivischen Schwerpunkten. In den Vor- oder Nachworten der Anthologien, die stets auffallend kurz gehalten sind, findet sich stereotyp ein nationaler Topos, mit dem die Herausgeber die Publikationen begründen: Es gehe darum, „Vielfalt44 sowie ein „breites, weites Spektrum44 zu präsentieren. Als Kriterien der Zusammenstellungen finden sich im wesentlichen zwei stan­dardisierte Angaben, die sich gleichförmig von Geleitwort zu Geleitwort fortschreiben: die Zusammenstellungen seien subjektiv sowie nicht-reprä-

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sentativ: „Es blieb keine andere Möglichkeit, als [...] sich wohl oder übel auf den subjektiven Geschmack [...] zu verlassen.“9 Oder: „Wir erheben nicht den Anspruch, Literatur aus der Schweiz repräsentativ vorzustel­len.“10 Mit diesen entlastenden Angaben kann man sich einer eigentlichen Begründung von Funktion und Zweck der Anthologien leicht entziehen.

Die Textmasse

Auffällig auch ist der wiederkehrende Hinweis auf die Masse der präsen­tierten Autoren und Texte. Die Anthologie Gut zum Druck. Literatur der deutschen Schweiz seit 1964 (1972) beispielsweise enthält 97 Texte von ebensoviel Autoren, die seit der Expo-Anthologie von 1964 entstanden sind. 1977 folgt eine Anthologie, welche die Gewichtigkeit der fast glei­chen Autoren-Anzahl programmatisch im Titel festhält: Fortschreiben. 98 Autoren der deutschen Schweiz. Der Herausgeber weist im Vorwort selbst darauf hin, dass er im Vergleich zur 72er-Anthologie nun nicht nur einen Autor mehr, sondern auch bereits rund 50 neue Automamen präsentiert. Solch numerische Operationen offenbaren, auch wenn dies nirgends expli­zit ausgeprochen wird, die klare Haupttendenz dieser Anthologien: das Do­kumentieren des Vorhandenen. Bereits in den Literaturgeschichten des 19. Jahrhunderts wurde stets auf die Menge der literarischen Texte hingewie­sen: „Man schneide irgend einen gleich großen, oder besser, gleich kleinen Teil aus der deutschen Länderkarte heraus und sehe zu, ob er sich dem Um­fange seiner Literatur nach mit der deutschen Schweiz messen könne.“ (1892).11 An anderer Stelle, 1914, heißt es: „Man vergesse nicht, dass auf keinem Flecke deutscher Erde von so geringem Umfange so viele Talente und Werke hervorgebracht worden sind als zwischen Jura und Alpen.“12 So ist Quantität ein wesentliches traditionsbegründendes und -bewahrendes Argument des Diskurses „Schweizer Literatur“, mit dem bis in die jüngste Gegenwart hinein positivistische Verfahrensweisen einhergehen.

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Die in den Anthologien vorgestellte Textmasse wird nur selten strukturiert bzw. thematisch unterteilt, eine aktive bedeutungsgebende Arbeit findet kaum statt. Dementsprechend richtet sich die Anordnung der Texte haupt­sächlich an konventionellen Ordnungssystemen aus: entweder an der Chronologie (Entstehungsdatum des Textes, Geburtsdatum des Autors) oder am Alphabet der Autornamen. Solch indifferente Präsentation sorgt dafür, dass die Textmasse nicht als Nebeneinander unterschiedlicher ästhe­tischer Praktiken wahrgenommen wird, sondern als literarische, im Titel­wort „Schweiz“ vereinigte Einheit, deren Bestand über die kontinuierliche Aufnahme immer neuer (junger, frischer) Autornamen garantiert wird.

Auch die literaturgeschichtliche Behandlung der Frisch und Dürrenmatt nachfolgenden Autoren ist wesentlich durch Quantifizierung geprägt. In verschiedenen literaturgeschichtlichen Artikeln der letzten Jahrzehnte13 werden jeweils möglichst viele Autoren möglichst,gerecht4, d.h. zeilenmä­ßig ausgewogen berücksichtigt; eine klare Heraushebung bestimmter Schriftsteller oder Texte fehlt, die eindeutige Favorisierung eines Einzelnen scheint tabuisiert. In einer Literaturgeschichte von 1995 beispielsweise sind auf 15 Textseiten an die 40 Autoren der 70er, 80er und 90er Jahre additiv vorgestellt, indem jedem Autor Va bis Vi Seite zugestanden wird.14 - Dem­entsprechend realisiert sich das EVzählmuster schweizerischer Literaturge­schichtsschreibung faktisch als ^w/zählmuster.

Ein solcher enzyklopädischer Charakter gründet offensichtlich im Wunsch, beständig ein Maximum an Autoren zu präsentieren. Wo die Geschichts­schreibung der Gegenwartsliteratur thematischen Aspekten folgt, da kommt es bisweilen zu Dopplungen. Einige der Aspekte - Vielfalt der Formen,15 Außenseiter,16 Krankheit,17 Frauen18 - zirkulieren in verschiedenen Arti­keln gleichermaßen als Kapitelüberschriften und befördern dergestalt eine Homogenisierung literaturgeschichtlichen Sprechens. Dabei wiese die prä­sentierte Literatur durchaus das Potential für die Behandlung von spezifi­scheren, auch in der deutschen und österreichischen Literatur präsenten

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Themen auf, z.B.: Technik und Technologie (Hans Boesch, Emil Zopfi, Kristin T. Schnider, Guido Bachmann),19 Literarisierung der Künste (Ger­hard Meier, Reto Hänny, Christoph Geiser, Erica Pedretti, Urs Faes),20 oder, als spezifische Krankheitsthematisierung, die Psychiatrie (Mariella Mehr, Gertrud Leutenegger, Christoph Mangold, Adolf Muschg, E.Y. Meyer).21 Auch die Traditionsbildung und Heterogenität syntaktischer Merkmale ließe sich betrachten (z.B. auf Thomas Bernhard verweisende Analogien bei Hermann Burger, Gerold Späth und Monioudis, oder, dia­metral dazu, äußerste Formen der Verknappung bei Klaus Merz und Adel­heid Duvanel).

Leerstelle Moderne

Ausländische Literatur wird in den Geleitworten! der Anthologien und in den literaturgeschichtlichen Artikeln (etwa als Vergleichsgröße oder Tradi­tionsbezug) in der Regel nicht zur Sprache gebracht, ebensowenig wie lite­raturtheoretisch fundierte Argumente. Symptomatisch und spektakulär zu­gleich ist eine spezifische terminologische Leerstelle: die Moderne. Einzig eine Dramen-Anthologie (.Modernes Schweizer Theater, 196422) ist ent­sprechend betitelt; im Vorwort werden die präsentierten Texte (von Dig- gelmann, Christoph Mangold, Herbert Meier u. a.) explizit in den Kontext des modernen europäischen Theaters gestellt. Zwei weitere Anthologien, die die Moderne im Titel anführen und damit eine ästhetische Kategorie von internationaler Bedeutung ins Spiel bringen bzw. die das Bewusstsein einer modernen Schweizer Prosa überhaupt ins Spiel bringen - Anthology o f Modern Swiss Literature (1984) und Moderne Schweizer Kurzprosa (1992) - ,23 sind Produkte der Auslandsgermanistik.

Der Verzicht, sich mit den theoretischen Debatten um Moderne und Post- moderne auseinanderzusetzen, hat die Fokussierung von entsprechenden literarischen Verfahren weitgehend verhindert. Eine solche müsste zwangs-

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läufig ästhetische Differenzierungen zutage fördern, da in der Literatur selbst eine Auseinandersetzung mit der Moderne zweifellos stattfindet. Der Staiger-Schüler Hans Rudolf Hilty beispielsweise veröffentlichte in den 50er Jahren erste, an klassizistischen Idealen ausgerichtete Erzählbände;24 Ende der 50er kommt er als ITerausgeber der Literaturzeitschrift Hortulus in Kontakt mit moderner ausländischer Literatur, die in seiner Lyrik25 und Prosa nachweislich Spuren hinterlässt. Im Roman Parsifal (1962) kritisiert er explizit die antimodeme Haltung der Geistigen Landes­verteidigung und beschäftigt sich mit Atomphysik, (Tanz)Ästhetik und NS- Geschichte, wobei er sich wie wenig später Diggelmann26 dokumentari­scher Techniken bedient.

Für die nachfolgende Autorengeneration ist die Moderne Teil der literari­schen Sozialisation; bei Urs Widmer hat sie zunächst zu experimentellen, erzählinstanz- und handlungsauflösenden Texten geführt,27 die mittlerweile von realistischeren Darstellungsformen abgelöst worden sind. Andere, jün­gere Autoren praktizieren eine fortlaufende Radikalisierung der Schreib­weise: etwa Christoph Geiser, der sich nach anfänglich konventionellen Texten in seinem Roman Die Baumeister (1998) intertextuell und de- konstruktivistisch mit Denkfiguren der ästhetischen Moderne auseinander­setzt,28 oder auch Christian Uetz, dessen poetologischen Texten eine krea­tive Beschäftigung mit der Sprachphilosophie der Moderne zugrunde liegt.29

Ungeachtet solch literar-ästhetischer Ausdifferenzierungsprozesse erscheint bei den Anthologien „Schweiz“ bis heute als titularische Chiffre für den immergleichen Vollzug eines in sich ruhenden autonomen Literaturraums, der mit jeder Textsammlung im Gestus einer nationalliterarischen Beweis­pflicht neu hergestellt wird.30 Anthologien sind zudem eine nicht zu unter­schätzende Instanz des Diskurses „Schweizer Literatur“: etliche nämlich weisen Erstveröffentlichungen auf, die damit nicht nur automatisch in ei-

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nen nationalen Literaturkontext eingebunden werden, sondern auch selbst an dessen nationaler Abschließung teilhaben.

Die Schweizer Literaturgeschichtsschreibung und die Anthologie- Produktion der letzten Jahrzehnte vollziehen wesentlich eine literarische Bestandsaufnahme. Sie sind die Praktikanten der Zauberformel „Schweizer Literatur“, welcher insbesondere drei bestimmte Operationen zugrunde lie­gen:

• Homogenisierung bzw. Entdifferenzierung von Themen und Schreib­weisen,

• Verzicht auf thematisch profilierte Textanordnung,

• Tabuisierung der Heraushebung eines einzelnen Autors.

So wie sich der politische Nachkriegsdiskurs am Ideal einer neutralen, ei­ner merkmal- und geschichtslosen Nation ausrichtet, resultiert aus diesen Operationen eine egalitäre Formierung der Texte, durch die die Neutralisie­rung eines literarischen Kanons zustande kommt - ein Ergebnis, das der ästhetischen Innovationsarbeit vieler Schweizer Autorinnen und Autoren der letzten Jahrzehnte nicht adäquat scheint.

Die Germanistik in der Schweiz

Die Gestaltung und Konservierung dieses nationalen Literatur-Archivs er­folgt außerhalb des akademischen Kontextes. Sie wird hauptsächlich von Literaturkritikern, Verlegern, Herausgebern von Literaturzeitschriften und Schriftstellern getätigt und hat an der Entwicklung neuerer, seit den 70er Jahren diskutierter literaturgeschichtlicher (sozialgeschichtlicher, aber auch medientheoretischer und interkultureller) Ansätze nicht teil. Die Schweizer Germanistik hat sich in den letzten Jahrzehnten, im Gegensatz zu früheren

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Germanisten-Generationen,31 kaum aktiv an der Anthologie-Produktion und Literaturgeschichtsschreibung beteiligt (vereinzelte Beispiele ausge­nommen32). Das ist wohl nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass der von Staigers Rede Literatur und Öffentlichkeit ausgelöste Literaturstreit 1966/67 eine Zäsur in der Geschichte der „Schweizer Germanistik“ mar­kiert. Diese Rede - eine radikale Entwertung der Gegenwartsliteratur in eben dem Moment, in dem die zweite Schriftsteller-Generation in Erschei­nung tritt - war letzter expliziter Höhepunkt einer antimodemen Gesell­schaftsvorstellung in der Schweizer Germanistik.33 Während jedoch etwa die österreichische Germanistik seit zwei, drei Jahrzehnten einen wesentli­chen Teil ihrer wissenschaftlichen Identität gerade auch über die kontinu­ierliche Beschäftigung mit österreichischer Gegenwartsliteratur zu bezie­hen scheint, da bildet in der Schweiz eine kontinuierliche akademische Re­zeption von aktueller Gegenwartsliteratur ein Desiderat.34 M.E. ist dies zum einen eine Spätfolge des seit den 70er Jahren nicht restlos gelungenen Mo- demisierungsprozesses der Germanistik in der Schweiz, was sich auch in einer „Verspätung in der Theoriebildung“35 manifestiert hat; gerade eine solche, an der Schweizer Literatur und an internationalen Diskursen orien­tierte Theoriebildung hätte eine internationale Kompatibilität von Schwei­zer Literatur im akademischen Bereich stärken können.

Zum andern hat es auch damit zu tun, dass die germanistischen Lehrstühle in der Schweiz nach einer Serie von Emeritierungen von Schweizer Ger­manisten36 größtenteils mit Deutschen besetzt worden sind, die sich kaum dezidiert mit Schweizer Literatur beschäftigen; dies ist als mehr oder weni­ger unmittelbare Folge des Diskurses „Schweizer Literatur“ zu sehen, der die deutschen Germanisten aufgrund seiner Binnenstruktur nicht erreicht hat, sodass diese in der Regel mit diesem Diskurs bzw. mit Schweizer Lite­ratur selbst kaum vertraut sind. Mit einer solch neuen verschärften Situati­on drohe, wie einer der letzten im Amt verbliebenen Experten für Schwei­zer Literatur in der Neuen Zürcher Zeitung im Frühjahr 2005 festhält, „die Literatur aus der Schweiz akademisch vollends in ein Abseits zu geraten“.37

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Zum Diskurs „Schweizer Literatur“ in der Gegenwart

Die Tatsache, dass es zu einem derartigen Abseits kommen kann, liegt ne­ben den bereits erwähnten Diskursmerkmalen insbesondere auch in einer spezifischen nationalen Selbstreferenz begründet, die bis heute den Diskurs „Schweizer Literatur“ prägt.

Zur nationalen Selbstreferenz heute

Nationale Selbstreferenz ist ein zentrales Formierungselement des Diskur­ses „Schweizer Literatur“, das einer internationalen Kompatibilität dieses Diskurses entgegensteht. Begründet im nationalliterarischen Konzept des 19. Jahrhunderts,38 ist sie im Geiste der Landesverteidigung verfestigt und des Weiteren durch die seit Jahrzehnten unaufhaltsam tradierten Außensei- ter-Topoi wie Dichter im Abseits und Diskurs in der Enge39 gestärkt wor­den. Diese Topoi haben sich im Laufe der 70er und 80er Jahre abgelöst von Einzelfiguren wie Robert Walser oder Friedrich Glauser, an denen sie ent­wickelt worden sind, und sind stattdessen schnell einmal in pauschalisie­render Weise verfügbar gemacht für die Existenz von Schweizer Literatur überhaupt. In dieser Funktion wurden sie v.a. in der zweiten Hälfte der 90er Jahre noch einmal zementiert im Rahmen der öffentlich gewordenen Nati­onalkrise, in der die Verwicklung der Schweiz in die Geschichte und Nachgeschichte des Nationalsozialismus laut wurde. Und noch im Mai 2005 betitelt die Weltwoche den Artikel des Schriftstellers Martin Dean über Schweizer Gegenwartsliteratur, publiziert in Hinblick auf die Solo- thurner Literaturtage, mit: „Drinnen vor der Tür.“ Dementsprechend schließt der Text selbst - gleichsam eine Pauschalbeschimpfung der Ge­genwartsliteratur, in der der Autor wie einst Staiger die Namen der gemein­ten Autoren nicht nennt - mit dem „Wunsch, endlich aus den engen Tälern herauszukommen.4 ‘40

In den 90ern wurden Aufsätze zur jüngsten Schweizer Literatur noch mit der altbekannten Frisch-Frage von 1965 eröffnet, ob denn die Schweiz für

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ihre Schriftsteller kein Thema mehr sei,41 und auch Literatur von jungen Autoren wie Peter Weber oder Ruth Schweikert, die Anfang der 90er er­schienen ist, wird unter dem Leitaspekt der „verlorenen Heimat“ gelesen.42 Solch kontinuierliche Insistenz auf der literarischen Artikulation von Hei­mat, Staatsbezug und nationalem Selbstwertgefühl verdeckt den Blick auf andere, der Literatur inhärente Fragestellungen. Und dieser Insistenz einher geht bis heute der Allgemeinplatz, dass sich nirgendwo Schriftsteller zu ihrem Land so häufig äußern wie in der Schweiz, dass der Schweizer Schriftsteller ein politischer Schriftsteller sei. Die im 19. Jahrhundert von der schweizerischen Literaturgeschichtsschreibung nationalisierte Dicho­tomie von Ästhetik und Politik (Kultumation Deutschland: ästhetische Li­teratur; Politnation Schweiz: politische Literatur)43 scheint noch immer nicht überwunden.

In den 1990er Jahren wurde der Typus des politischen Autors produziert durch Auftragsarbeiten für Zeitungskolumnen (die dann jeweils in Buch­form erscheinen44), für Anthologien und Literaturzeitschriften - beispiels­weise für das orte-Heft „Europa - Schweiz“ (1993) oder für die Entwürfe- Nummer zum Thema Schweiz von 1997. Solch schweiz-themenspezifische Zeitschriften-Nummem fungieren dann im diskursiven Zirkulationssystem der nationalen Selbstbezüglichkeit als Grundlage für die Produktion von wissenschaftlicher Sekundärliteratur, die sich ihrerseits wiederum mit dem Verhältnis von Nation und Literatur beschäftigt.45 Zugespitzt formuliert: Die nationale Selbstbezüglichkeit ist ein Retortenprodukt.

Die Lust der Schriftsteller an solcher nationaler Selbstproblematisierung hingegen scheint gering, so z.B. Peter Bichsei:

„Man verpflichtet in diesem Land die Autoren darauf, Spezialisten zu sein für die Frage: ,Was ist Heimat4? Wir haben uns alle schon vor 20 Jahren geschworen, uns nie mehr mit dieser uns aufgedrängten Frage zu beschäftigen, es nützte nichts.“46

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Tatsächlich hat es nichts genützt, tatsächlich hat sich diese Verpflichtung verstärkt in der zweiten Hälfte der 90er Jahre im Rahmen der genannten öffentlichen Debatte; diese war zweifellos Ausdruck einer gesellschaftli­chen Modernisierungskrise, und gerade bei solchen Krisen wird ja die Re­ferenz auf das Nationale jeweils besonders deutlich, so auch im Diskurs „Schweizer Literatur“.

1998 war die Schweiz Gastland an der Frankfurter Buchmesse. Auch dort war die Präsenz von weit über 100 geladenen Schweizer Autoren quantita­tiv überdurchschnittlich hoch, sodass sich diesbezüglich einmal mehr von einer Dokumentation des Bestehenden sprechen ließe. Im Zeichen des Frankfurt-Anlasses ist das Jahr 1998 ein Superjahrgang der Anthologien, womit die nationale Selbstreferenz noch höher in Kurs gerät als üblich. Et­liche der 98er Produktionen weisen eine auffallende Hinwendung zu jun­gen, in den 60ern und 70er Jahren geborenen ,Schriftstellern4 auf,47 als gäl­te es gerade jetzt, das Fortbestehen des Literaturraums Schweiz zu bewei­sen. Das Verlangen nach Texten zur Schweiz macht dabei, wie eine Antho­logie mit Texten von 11- bis 17-Jährigen zeigt, selbst vor Teenies nicht halt: Kaum haben die Kinder schreiben gelernt, müssen sie sich auch schon zur Schweiz äußern.48 Der Leitartikel zur Buchmesse in der Zeit, gemäß dem Binnendiskurs-Gesetz von einem Schweizer verfasst, trägt den Titel „Stillers Kinder44 und bespricht neue Texte von Ruth Schweikert, Daniel de Roulet, Silvio Huonder und Peter Stamm als „Echos auf den Stiller von Max Frisch44, als „Stiller-Variationen44;49 d. h. die neuen Texte werden an einem über ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Roman gemessen, der zum Original, ja zum Vater aller literarischer Nachkommenschaft erhoben wird (der Roman Augen zu von Ruth Schweikert beispielsweise ließe sich m.E. viel sinnvoller in Bezug setzen zur Konjunktur deutsch-jüdischer Themen in der deutschen Literatur, etwa zu Romanen von Barbara Honig­mann oder Rafael Seligmann).

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Das Bemühen der Schriftsteller, sich von der nationalen Referenz zu be­freien, indem sie über sie schreiben, hat eine immense Bandbreite ver­schiedenster Überwindungsversuche hervorgebracht. Als Beispiele für zwei Extrempositionen lassen sich Texte von Urs Widmer und Kristin T. Schny- der im Text und Kritik-Sonderband Literatur in der Schweiz (1998) anfüh­ren. Urs Widmer sucht hier den nationalen Literaturraum in einer universa­listischen Denkfigur aufzuheben, wenn er die „Welt44 als Alternative ins Spiel bringt: „Auch wir gehören zu Europa. Zur Welt. [...] Wir sind ein kleiner, aber hoffentlich nicht ganz bedeutungsloser Teil der Weltlitera­tur.4450 Neben solch idyllisch imaginierter Teilhabe, die das Problem einer Nationalliteratur im abstrakt-totalen Begriff der „Weltliteratur44 aufzulösen sucht, steht Schnyders Kritik an eben diesem Weltbegriff: „Stets stellt sich ,die Schweiz4 [...] in Vergleich zu etwas Diffusem, das platt ,Welf genannt wird.44 Der Ablehnung dieser ,W elf, die als Ort unmöglicher Differenzie­rung erscheint, geht die Weigerung einher, das „nationale Konstrukt [zu] tragen44. Was bei diesen Zurückweisungen sowohl des universalistischen Konzepts , Welt4 als auch des Konzepts ,Nation4 für die Literatur bleibt, ist eine rebellische Verwerfung überhaupt („Die Kategorie ,Literatur’ ist also bäh“).51

Solche, wie verschieden auch immer begründete Äußerungen gegen eine nationalisierende Kontrollfunktion des Diskurses „Schweizer Literatur44 werden von diesem Diskurs, gemäß der hohen Bindungsqualität jedes ge­schlossenen Diskurses, integriert.52 Sicher aber gilt: Je öfter ein Schriftstel­ler sich der nationalen Selbstbezüglichkeit bedient, je öfter er über die Schweiz spricht, sei es feuilletonistisch oder literarisch, sei es freundlich oder unfreundlich, desto sicherer ist ihm, auch im Ausland, eine Karriere als „Schweizer Autor44. Dies gilt nicht zuletzt für die deutsche Germanistik, die die Kenntnis von Schweizer Gegenwartsautoren entweder direkt aus den Bestsellerlisten zu beziehen scheint (Stichwort Markus Werner) oder dann eben aus dem nationalen Diskurs, in dem Autoren wie Muschg, Hür- limann oder Widmer klar als Schweizer zu identifizieren sind.

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Die internationale Rezeption des Diskurses „ Schweizer Literatur “

Die umfassendste Geschichte der Deutschsprachigen Schweizer Literatur im 20. Jahrhundert wurde 1991 von der ostdeutschen Germanistik heraus­gegeben; eine Neuauflage ist angekündigt.53 Die ostdeutsche Germanistik, die aufgrund ihrer eigenen Sonderstellung im deutschsprachigen Raum (BRD/DDR/CH/A) ein großes Interesse an entsprechenden nationalen Lite­raturfragen hatte, edierte in den 1970er und 80er Jahren auch einige Antho­logien zur Schweizer Literatur.54 Darüberhinaus gibt es für die Präsenz von Schweizer Literatur in deutschen Literaturgeschichten vorwiegend zwei Muster: Zum einen wird sie stillschweigend unter die Literatur der BRD subsumiert, wobei Schriftsteller, die nach Frisch und Dürrenmatt an die Öffentlichkeit getreten sind, kaum besprochen werden.55 Zum andern prä­sentiert mehr als die Hälfte der seit den 80er Jahren erschienenen deutschen Literaturgeschichten „Schweizer Literatur“ in Sonderbänden, Einzelarti­keln oder gar Exkursen (teilweise analog zur österreichischen).56 Der genuin schweizerische Entwurf des Diskurses „Schweizer Literatur“ wird mit solch nationalisierender Rahmenbehandlung gleichsam en bloc über­nommen und auch hier dadurch gefestigt, dass das Verfassen der entspre­chenden Artikel meist an Schweizer delegiert wird.57 Was Johann Caspar Mörikofer, der Verfasser der ersten eigentlichen schweizerischen Literatur­geschichte 1861 propagiert hat, nämlich dass nur ein Schweizer Schweizer Literatur verstehen könne,58 das scheint sich eineinhalb Jahrhunderte später durchgesetzt zu haben.

In der Konsequenz bedeutet solch national-literaturgeschichtliche Sonder­stellung: Für die Darstellungsweise von deutschen Literaturgeschichten wird neue Schweizer Literatur nicht strukturbildend, sie hat an der Formie­rung von Kapitel-Titeln und leitenden Denkfiguren nicht teil. Schweizer Automamen (abgesehen von Frisch und Dürrenmatt) kommen nur selten über ihren Ort in den Sonderartikeln hinaus. So sucht man sie beispielswei­se in Abschnitten über postmodemes Erzählen vergebens, obschon Jürg

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Laederach hier als wichtiger Repräsentant vertreten sein könnte; ebenso­wenig findet man etwa die Namen von Reto Hänny, Kuno Raeber oder Christina Viragh in Kapiteln zu experimenteller Literatur oder zur neuen Avantgarde. In enzyklopädischen Werken dagegen, etwa im KLG oder im Handbuch der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1945, sind Schweizer Schriftsteller außerordentlich gut vertreten, eine nunmehr posi­tive Folge schweizerischer Archivierungspraxis.59

Die (west)deutsche Germanistik hat sich über die literaturgeschichtliche Rezeption hinaus kaum mit dem Problem der nationalisierten Sonder- Einheit „Schweizer Literatur“ auseinandergesetzt. Schweizer Gegenwarts­autoren erfahren in Deutschland generell, so wie es die Literaturgeschich­ten signalisieren, eine randständige Rezeption (anders als österreichische Autoren: z.B. Handke, Ransmayer, Jelinek). In aktuellen grundlegenden Studien der deutschen Germanistik zur deutschsprachigen Gegenwartslite­ratur werden Schweizer Schriftsteller dementsprechend entweder überhaupt nicht behandelt,60 oder aber sie sind auch hier in jeweiligen Sonderaufsät­zen zur Schweizer Literatur besprochen, deren Titel stets das Wort „Schweiz“ enthalten;61 Ausnahmen von diesen beiden Mustern sind äußerst selten.62 Für die Herausbildung neuer literaturwissenschaftlicher Paradig­men der Gegenwartsliteratur (z.B. Reflexion der Moderne, Literatur und Medialität, Literatur und Wissenschaftsgeschichte) wird Schweizer Litera­tur, wiederum im Gegensatz zur österreichischen, also praktisch kaum bei­gezogen.

Eine beachtliche Auseinandersetzung mit Schweizer Gegenwartsliteratur hingegen präsentiert die (v.a. anglo-amerikanische und osteuropäische) Auslandsgermanistik. Wie in den Schweizer Anthologien erscheint auch im Titel dieser verschiedenen Arbeiten „Schweizer Literatur“ jeweils als national abgegrenzte Literatureinheit.63 Zudem folgen die Textanalysen selbst weitgehend den Leitfragen des Schweizer Diskurses: Sie untersuchen die literarische Darstellung von Heimat und Nation und analysieren Außen-

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seiterfiguren in der Schweizer Literatur.64 Insgesamt bietet das Gros dieser Interpretationen eher wenig theoretischen Input, die Haupt-Referenz bildet immer die schweiz-interne Literatur-Diskussion. Im Wesentlichen also übernehmen diese Studien, an denen oft auch Schweizer Beiträger beteiligt sind, die operativen Verfahren des in der Schweiz entworfenen Diskurses und schreiben ihn entsprechend fort.

Ein Plädoyer für vergleichende Neu-Perspektivierungen

Die internationale Rezeption des Diskurses „Schweizer Literatur“ macht als Spiegel eines deutlich lesbar: den „Sonderfall Schweiz“. Das Denken des Sonderfalls formierte sich in der Nachkriegszeit in politischen, histori­schen, ökonomischen und auch künstlerischen Diskursen, wobei sich die Mythisierung des ,Besonderen* wesentlich über die Absenz des Vergleichs konstituiert, d. h. man verweist stets einzig auf sich selbst (Landestopogra­phie, Vielsprachigkeit, demokratische Werte) und verzichtet darauf, das vermeintlich Singuläre einem Vergleich auszusetzen,65 so auch in Bezug auf das Literarische. Literaturgeschichten um 1900 haben das Verhältnis der schweizerischen zur deutschen Literatur, im Kontext der Diskussion um Integration oder Abgrenzung, noch explizit thematisiert.66

Nicht nur dieser Vergleich ist nach 45 ausgefallen, sondern es hat sich auch keine Tradition einer schweizerischen Komparatistik herausgebildet, die gleichzeitig die italienisch-, französisch-, romanisch- und deutschsprachige Schweizer Literatur ins Auge gefasst hätte. Einige wenige, zwischen 1966 und 1995 erschienene Literaturgeschichten behandeln zwar die Literaturen sämtlicher Sprachregionen, jedoch immer in jeweils voneinander getrenn­ten und additiv angeordneten Kapiteln.67 Tatsächliche komparatistische Lektüren und Begegnungs-Projekte bleiben disparat und können sich kaum auf einen bereits etablierten Sprach- und Denkraum beziehen.68 Dabei könnte in diesem Punkt noch einmal die Auslandsgermanistik leitend sein:

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Die Reflexion der verschiedenen Literatursprachen nämlich hat hier Tradi­tion, etliche der in den letzten Jahren erschienenen Studien sind tatsächlich komparatistisch konzipiert.69

Im Anschluss daran wäre eine doppelte Neu-Perspektivierung der Schwei­zer Literatur vorzuschlagen: eine gleichzeitig komparatistisch und interna­tional orientierte Perspektivierung von Themen und Schreibweisen. Damit soll keinesfalls die Schweiz als intégratives (europäisches) Zentrum in­standgesetzt werden, wie es etwa der Komparatist Fritz Ernst und der Ger­manist Fritz Strich vor einem halben Jahrhundert gefordert haben.70 Viel­mehr könnte eine solche Perspektivierung dem Problem der nationalen Binnengliederung im deutschsprachigen Literatur-Raum (D/CH/A) sowie der sprachlichen Binnengliederung im Schweizer-Literaturraum (Tessin, Romandie, deutschsprachige Schweiz, romanischsprachiges Graubünden) entgegentreten: Es wären nicht weiterhin nationale Fragestellungen auf lite­rarische Texte zu projizieren, sondern man könnte, ausgehend von literatur­inhärenten Fragestellungen, verschieden-sprachliche und internationale li­terarische Prozesse fokussieren und damit auch eine ästhetische Diversifi­zierung vorantreiben. So wäre nicht mehr die Schweizer Literatur Gegenstand des Interesses, denn das Textkorpus, das heute unter diesem Begriff gebündelt wird, lässt sich neu kontextualisieren, es lässt sich neu besprechen, es lässt sich anderen, auch theoretischen Diskursen zur Verfü­gung stellen. ■

Anmerkungen:

1 Johann Caspar Mörikofer: Die schweizerische Literatur des 18. Jahrhunderts. Leip­zig 1861; Jakob Baechtold: Geschichte der Deutschen Literatur in der Schweiz. Frauenfeld 1892; Adolf Frey: Schweizer Dichter. Leipzig 1914. Für eine resolute Abgrenzung gegenüber der deutschen Literatur plädiert einzig Robert Weber (Hrsg.): Die poetische Nationalliteratur der deutschen Schweiz. Erster Band. Glarus

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1866. - Vgl. zur Situation der Schweizer Literaturgeschichtsschreibung um 1900 Nicole Rosenberger: Schreiben für die Republik. In: Corina Caduff/Michael Garn- per (Hrsg.): Schreiben gegen die Moderne. Beiträge zu einer kritischen Fachge­schichte der Germanistik in der Schweiz. Zürich 2001, S. 191-205.

2 Emil Ermatinger: Dichtung und Geistesleben der deutschen Schweiz. München 1933, S. 22. Wie Ursula Amrein gezeigt hat, mündet hier das doppelte Streben nach Integration und Abgrenzung in jene spezifische Ambivalenzfigur der Geistigen Landesverteidigung, die sich einerseits von der deutschen Literatur absetzt, sich an­dererseits aber deren völkisch-nationale Denkfiguren aneignet. Ermatinger stellt die „Naturverbundenheit“ der Schweizer Dichtung heraus und überträgt damit den To­pos von der zivilisatorisch unversehrten Schweiz auf den Literaturraum, der somit als vormodem erscheint. Siehe Amrein: Diskurs der Mitte. Antimodeme Dichtungs­theorien in der Schweizer Germanistik vor und nach 1945. In: Caduff/Gamper (Anm. 1), S. 43-64.

3 Siehe dazu Michael Böhler: „Auch hierzulande reden wir vom Heute, als stünde kein Gestern dahinter.“ - Literarischer Umgang mit der Vergangenheit des Zweiten Weltkrieges in der Schweiz. In: Jakob Tanner und Sigrid Weigel (Hrsg.): Gedächt­nis, Geld und Gesetz. Vom Umgang mit der Vergangenheit des Zweiten Weltkrie­ges. Zürich 2002, S. 163-165.

4 Emil Staiger: Literatur und Öffentlichkeit. In: Sprache im technischen Zeitalter 21 (1967), S. 90-97, hier insbes. S. 93. Zum Zürcher Literaturstreit siehe die Dokumen­tation ebd., S. 83-206.

5 Vgl. Wendelin Schmidt-Dengler/Johann Sonnleitner/Klaus Zeyringer (Hrsg.): Lite­raturgeschichte: Österreich. Prolegomena und Fallstudien. Berlin 1995; Wendelin Schmidt-Dengler (Hrsg.): Probleme und Methoden der Literaturgeschichtsschrei­bung in Österreich und der Schweiz. Wien 1997; Beginn eines Polylogs zur öster­reichischen Literatur. 1999 (Trans, Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften Nr. 7, 1999; Zeitschrift des Instituts zur Erforschung und Förderung österreichischer und internationaler Literaturprozesse); Klaus Zeyringer: Österreichische Literatur seit 1945. Überblicke, Einschnitte, Wegmarken. Innsbruck 2001; Michael Braun/Birgit Lermen (Hrsg.): Begegnung mit dem Nachbarn. Aspekte österreichi­scher Gegenwartsliteratur. Sankt Augustin 2003.

6 Vgl. Michael Böhler: Nationalisierungsprozesse von Literatur im deutschsprachigen Raum. Verwerfungen und Brüche - vom Rande betrachtet. In: Martin Huber/Ger- hard Lauer (Hrsg.): Bildung und Konfession. Tübingen 1996, S. 21-36; Peter von Matt: Die tintenblauen Eidgenossen. Über die literarische und politische Schweiz. München/Wien 2001; Caduff/Gamper (Anm. 1); Pia Reinacher: Je Suisse. Zur aktu­ellen Lage der Schweizer Literatur. München/Wien 2003; Ursula Amrein: „Los von Berlin!“ Die Literatur- und Theaterpolitik der Schweiz und das „Dritte Reich“. Zü­rich 2004.

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I Zum Versuch, solche vergleichende Perspektivierungen zu etablieren, vgl.: Michael Böhler/Hans Otto Horch (Hrsg.): Kulturtopographie deutschsprachiger Literaturen. Perspektivierungen im Spannungsfeld von Integration und Differenz. Tübingen 2002; Corina Caduff/Reto Sorg (Hrsg.): Nationale Literaturen heute - ein Fantom? Die Imagination und Tradition des Schweizerischen als Problem. München 2004.

8 Siehe die Anthologien zum Thema Angst (.Das helle und das dunkle Zimmer, 1988), zur Gastronomie (Gasthausschilderein, 1989) und zum Warten {Über Erwarten, 1998).

9 Frühling der Gegenwart. Bd. I. Hrsg, von Charles Linsmayer. Zürich 1982, S. 474.

10 Egon Amann und Eugen Faes (Hrsg.): Literatur aus der Schweiz. Frankfurt a.M. 1978, S. 11.

II Baechtold (Anm. 1), S. V.12 Adolf Frey: Über Stand und Ziel schweizerischer Literaturgeschichte (Habilitati­

onsvortrag an der Universität Zürich, 17.6.1882). In: NZZ, 27.7.1882, zit. nach Ro­senberger (Anm. 1), S. 205, Anm. 39.

13 Elsbeth Pulver: Die deutschsprachige Literatur der Schweiz seit 1945. In: Manfred Gsteiger (Hrsg.): Die zeitgenössischen Literaturen der Schweiz (Kindlers Literatur­geschichte der Gegenwart). Zürich/München 1974, S. 143-406; Klara Obermüller: Die Literatur der Gegenwart in der Schweiz. In: Manfred Durzak (Hrsg.): Deutsche Gegenwartsliteratur. Ausgangspositionen und aktuelle Entwicklungen. Stuttgart 1981, S. 620-631; Elsbeth Pulver: Als es noch Grenzen gab: Zur Literatur der deut­schen Schweiz seit 1970. In: Blick auf die Schweiz. Zur Frage der Eigenständigkeit der Schweizer Literatur seit 1970. Hrsg, von Robert Acker und Marianne Burkhard. Amsterdam 1987, S. 1-42; Martin Zingg: Besuch in der Schweiz. In: Klaus Briegleb und Sigrid Weigel (Hrsg.): Gegenwartsliteratur seit 1968. München/Wien 1992, S. 643-666; Roland Käser: Die Literatur der deutschsprachigen Schweiz. In: Die vier Literaturen der Schweiz. Hrsg, von Pro Helvetia. Zürich 1995, S. 31-82.

14 Käser (Anm. 13), S. 61-82.15 Käser (Anm. 13) und Pulver (Anm. 13).

16 Käser (Anm. 13) und Pulver (Anm. 13).

17 Pulver (Anm. 13) und Zingg (Anm. 13).18 Käser (Anm. 13), Pulver (Anm. 13) und Zingg (Anm. 13).19 Boesch: Der Kiosk (1978); Der Bann (1996); Zopfi: Jede Minute kostet 33 Franken

(1977); Computer für tausendundeine Nacht (1980); Fabrikglocke. Vom Aufstand der Glarner Stoffrücker gegen die Zeit (1991); Schnider: Die Kodiererin (1992); Bachmann: Die Wirklichkeitsmaschine (1994).

20 Meier: Baur und Bindschädler (1987), Hänny: Helldunkel Ein Bilderbuch (1994), Geiser: Das geheime Fieber (1987), Die Baumeister (1998), Pedretti: Valerie oder

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Das unerzogene Auge (1986), Faes: Ombra (1997); X/s hätte die Stille Türen (2005).

21 Mehr: Steinzeit (1981), Zews oder der Zwillingston (1994), Leutenegger: Vorabend (1975), Mangold: Rückkehr aus der Antarktis (1977), Muschg: Albissers Grund (1974), Meyer: Das System des Doktor Maillard (1994).

22 Hrsg, von Hans Rudolf Hilty.

23 Anthology of Modem Swiss Literatur. Hrsg, von H.M. Waidson. London 1984; Moderne Schweizer Kurzprosa. Hrsg, von Janos Szabo. Budapest 1992.

24 Die Entsagenden (1951), Das indisch-rote Heft ( 1954).

25 Eingebrannt in den Schnee (1956), Dass die Erde uns leicht sei (1959); vgl. diese beiden Lyrikbände mit der frühen Hilty-Lyrik: Nachtgesang (1948).

26 Siehe den Roman: Hinterlassenschaft (1965).

27 Alois (1968), Die Amsel im Regen im Garten (1971).

28 Der Autor hat Ende der 70er mit autobiographischen Texten debütiert und sich im Folgenden komplexen Themen wie ,Medialität der Bildbetrachtung4 und ,Diskurse der Sexualität4 zugewandt. Vgl. Grünsee (1978), Brachland (1983), Wüstenfahrt (1986), Das geheime Fieber (1987), Das Gefängnis der Wünsche (1992), Kahn, Knaben, schnelle Fahrt (1995).

29 Zoom Nicht (1999), Don San Juan (2002), Das Sternbild versingt (2004).

30 Bedroht erscheint dieser Raum nur im Blick „von außen“. Exemplarisch hiefur ist die Anthologie Die Schweiz von aussen gesehen (1991), die aus der Schweiz ausge- wanderte Autoren aller vier Landessprachen berücksichtigt, welche im Auftrag der Herausgeberin Alice Vollenweider über „ihr Verhältnis zur Schweiz“ schreiben.

31 Der vierte Band der von Weber realisierten Poetischen Nationalliteratur-Anthologie (1876) wurde von Johann Jakob Honegger, einem Zürcher Professor für Literatur- und Kulturgeschichte besorgt. Vgl. auch: Emil Ermatinger/Eduard Haug (Hrsg.): Schweizerisches Dichterbuch. Frauenfeld 1903; Robert Faesi (Hrsg.): Anthologia Helvetica. Leipzig 1921.

32 Ausnahmen hierzu sind folgende Anthologien: Werner Weber (Hrsg.): Belege. Ge­dichte aus der deutschsprachigen Schweiz seit 1900. Zürich/München 1978; Chris­toph Siegrist (Hrsg.): Schweizer Erzählungen. Deutschschweizer Prosa seit 1950. 2 Bände. Frankfurt a.M. 1990; Rémy Charbon (Hrsg.): Fundstücke der Schweizer Er­zählkunst. 1800-1870. 2 Bände. Basel 1991. Siehe auch die von dem Lausanner Komparatisten Manfred Gsteiger hrsg. Literaturgeschichte im Kindler-Verlag (Anm. 13) sowie Christoph Siegrist: Nationalliterarische Aspekte bei Schweizer Autoren. In: Ludwig Fischer (Hrsg.): Literatur in der Bundesrepublik Deutschland bis 1967. München/Wien 1986, S. 651-671. Seit seiner Emeritierung betätigt sich auch der

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Germanist Peter von Matt als Herausgeber, er ediert im Verlag Nagel & Kimche ei­ne Reihe mit Schweizer Texten.

33 Vgl. zu dieser Ablehnung Caduff/Gamper (Anm. 1), darin insbesondere Michael Gampers Beitrag: „Er schreibt für das Volk, nicht für die Masse“. Die Ablehnung der gesellschaftlichen Moderne in der Schweizer Germanistik - Konzepte und Kon­sequenzen, S. 85-110.

34 Beispiele von Einzelstudien zur Gegenwartsliteratur sind: Gerda Zehner: Das Ich ohne Gewähr. Gegenwartsautoren aus der Schweiz. Zürich. Frankfurt a.M. 1980; Yvonne-Denise Köchli: Themen in der neueren schweizerischen Literatur. Bern/Frankfurt a.M. 1982 [behandelte Themen: Schweiz, Religion, Liebe, Natur, Kommunikationsproblematik]; Sven Spiegelberg: Diskurs in der Leere. Aufsätze zur aktuellen Literatur der Schweiz. Hermann Burger, E.Y. Meyer, Jean-Marc Lo- vay, Gerhard Meier, Paul Nizon. Bern/Frankfurt a.M./New York 1990; Peter von Matt: Der Zwiespalt der Wortmächtigen. Essays zur Literatur. Zürich 1991; Rose­marie Zeller: Der neue Roman in der Schweiz. Die Unerzählbarkeit der modernen Welt [zu Bichsei, Frisch, Hänny, Loetscher, Gerhard Meier, Otto F. Walter]. Frei­burg 1992; Marc Aeschbacher: Vom Stummsein zur Vielsprachigkeit. Vierzig Jahre Literatur aus der deutschen Schweiz (1958-1998). Bern u. a. 1997. 2. überarb. Aufl. 1998; Irene Weber Henking: Differenzlektüren. Fremdes und Eigenes der deutsch­sprachigen Schweizer Literatur, gelesen im Vergleich von Original und Überset­zung. München 1999; Peter von Matt (Anm. 6).

35 Gamper (Anm. 33), S. 87.36 Johannes Anderegg, Michael Böhler, Bernhard Böschenstein, Peter von Matt, Karl

Pestalozzi, Christoph Siegrist, Martin Stern, Helmut Thomke.37 Peter Utz: Einstieg in die literarische Lufthansa. Oder soll es eine „Schweizer Ger­

manistik“ geben? In: NZZ, 23.4.2005.38 „alle Kunst [muss] eine nationale Basis haben“, „die Phantasie [...ist] national“; Ro­

bert Weber (Anm. 1), S. XIII und VII.39 Siehe die entsprechenden Buchtitel von Dieter Fringeli (Dichter im Abseits, 1974)

und Paul Nizon (Diskurs in der Enge, 1970).40 Martin Dean: Drinnen vor der Tür. In: Weltwoche, 4.5.2005. In traditionell parado­

xen Wendungen (siehe dazu den Beitrag von Michael Böhler im vorliegenden Band) kritisiert und vollzieht Dean hier zugleich die Isolation von Schweizer Literatur mit der Wiedergabe von Topoi wie „Inselliteratur“ und „Enge des Heimattals“.

41 Zingg(Anm. 13), S. 643.42 Siehe Plinio Bachmann: Die Sprache der verlorenen Heimat. Vier Schweizer Auto­

ren der jüngsten Generation. In: Christian Döring (Hrsg.): Deutschsprachige Ge­genwartsliteratur. Wider ihre Verächter. Frankfurt a.M. 1995, S. 246-270.

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43 Auch hier wird Schweizer Literatur ins Verhältnis zum Staat gesetzt, wobei ihre mangelnde „ästhetische Form“ begründet wird mit der zunächst vorrangig politi­schen Aufgabe der Schweizer Literatur, die Staatsidee zu stabilisieren. Schweizer Literatur sei, so Robert Weber im Vorwort seiner Nationalliteratur-Anthologie von 1866 (Anm. 1), „erst jetzt im Begriffe, aus der politischen Epoche in die ästhetische überzutreten“ - im Gegensatz zur deutschen Kultumation, die zwar ästhetisch voll­endet sei, aber noch politischer Ausprägung (d. h. der Staatsgründung) bedürfe. (Er­ster Band, S. XIII).

44 Vgl. Rolf Niederhauser: Alles Gute. Fussnoten zum Lauf der Dinge (1987); Urs Widmer: Auf auf ihr Hirten! Die Kuh haut ab! (1988); Peter Bichsei: Irgendwo an­derswo. Kolumnen 1986-1990 (1990); Thomas Hürlimann: Die Satellitenstadt (1992); Gisela Widmer: Die fünfte Kolumne. Gesammelte Kolumnen aus dem ,Ma- gazin‘ (1994); Hugo Loetscher: Lesen statt klettern. Aufsätze zur literarischen Schweiz (2003).

45 Siehe Orte 85, 1993 und Entwürfe 10, 1997 sowie Beatrice Sandberg: Die fortgebla­senen Mythen - Identitätskrise als Chance. In: Gérard Krebs (Hrsg.): Schweiz 1998. Beiträge zur Sprache und Literatur der deutschen Schweiz (Ginkgo-Baum 1998. Germanistisches Jahrbuch für Nordeuropa, 16. Folge). Helsinki 1998, S. 191-212.

46 Peter Bichsei: An die Schweiz erinnern. In: Martin Lüdke (Hrsg.): Der Ort einer verlorenene Utopie. Essays zum Werk von Otto F. Walter. Reinbek bei Hamburg 1993, S. 16.

47 Jürg Schubiger (Hrsg.): Made in Switzerland. Die schönsten Texte aus dem Schwei­zer Schreibwettbewerb. Weinheim/Basel 1998; Plinio Bachmann (Hrsg.): Die Schweiz erzählt. Junge Erzähler. Frankfurt a.M. 1998; Fenster mit Aussicht. Litera­risches Zug. Texte und Geschichten. Hrsg, von Hardy Ruoss. Zug 1998; Sprung auf die Plattform. Junge Schweizer Literatur. Hrsg, von Renate Nagel und Regula Wa- ser. Frauenfeld 1998; Schnell gehen auf Schnee - Stadtgeschichten. Zürich 1998.

48 Siehe Made in Switzerland (Anm. 47).

49 Andreas Isenschmid: Stillers Kinder. Wie das Unbehagen an der Mittelmäßigkeit des Kleinstaates die Autoren unseres Nachbarlandes belastet und beflügelt. In: Die Zeit, 8.10.1998, S. B15.

50 Urs Widmer: Fragmentarisches Alphabet zur Schweizer Literatur. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Literatur in der Schweiz. Text und Kritik Sonderband. München 1998, S. 7-12, hierS. 12.

51 Kristin T. Schnyder: Ist denn hier niemand, der basta ruft, anstatt sempre da capo? In: Ebd., S. 206-213, Zitate S. 210, 213 und 208.

52 Analog zum Außenseiter-Topos, der immer auf ein Zentrum des Nationalen ver­weist, welches gerade durch die Integration des jeweiligen Außenseiter-Konstrukts stabilisiert wird. Dieser Topos steht im Kontext anderer nationaler Literaten-Topoi

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wie Dichter im Abseits, Unbehagen im Kleinstaat oder Diskurs in der Enge. Würde man sämtliche Autoren aufzählen, die je als „Außenseiter“ oder „Verweigerer“ be­sprochen worden sind, so hätte man ein neues Lexikon der Schweizer Autoren zur Hand, denn der Topos hat sich mittlerweile längst von einzelnen Figuren abgelöst. Vgl. etwa den 1988 von Peter Grotzer herausgegebenen Band Aspekte der Verwei­gerung in der neueren Literatur aus der Schweiz, mit dem „Schweizer Literatur“ als Literatur der Verweigerung etabliert wird (Aufsätze u. a. zu Gerhard Meier, E.Y. Meyer, Hanna Johansen, Matthias Zschokke). Zudem enthält dieser Band von Schriftstellern verfasste Auftragstexte zum Thema „Verweigerung“, d. h. die Leit­frage greift hier aktiv in die literarische Produktion ein.

53 Geschichte der deutschsprachigen Schweizer Literatur im 20. Jahrhundert. Von ei­nem Autorenkollektiv unter der Leitung von Klaus Pezold. Redaktion Hannelore Prosche. Berlin 1991 (Volk und Wissen); eine durchgesehene und erweiterte Neu­auflage wird voraussichtlich 2006 im Leipziger Verlag Militzke erscheinen.

54 Roland Links (Hrsg.): Erkundungen. 35 Schweizer Erzähler. Berlin 1974; Schweiz heute. Ein Lesebuch. Berlin 1976; Ingeborg Quaas (Hrsg.): Erkundungen II. 42 Schweizer Erzähler. Berlin 1984; Klaus-Dieter Schulte (Hrsg.): Die skeptische Landschaft. Deutschsprachige Lyrik aus der Schweiz seit 1900. Leipzig 1988. Vgl. auch den Band: Entwicklungstendenzen der deutschsprachigen Literatur der Schweiz in den 60er und 70er Jahren. Karl-Marx-Universität Leipzig. Leipzig 1984.

55 So in: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stutt­gart 1979ff. (Metzler); Sozialgeschichte der deutschen Literatur von 1918 bis zur Gegenwart. München 1981 (Fischer); Peter J. Brenner: Neue deutsche Literaturge­schichte. Tübingen 1996 (Niemeyer). - Die im Beck-Verlag erschienene Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis zur Gegenwart (München 1996) präsentiert abwechselnd Kapitel zur BRD- und DDR-Literatur und nennt „Schweizer Literatur“ einmal explizit im Kapitel zur Literatur der 70er Jahre („Erzähler-Repräsentanten der Schweiz: Walter und Muschg“; „Helvetische Begleitstimmen: Jaeggi, Loetscher, Blatter, Burger, Späth“).

56 Die zeitgenössischen Literaturen der Schweiz. Zürich, München 1974 (Kindler); Deutsche Gegenwartsliteratur. Stuttgart 1981 (Reclam); Deutsche Literatur zwi­schen 1945 und 1995. Bern 1997 (Rowohlt Bd. X); Literatur in der BRD bis 1967. München/Wien 1986 (Hansers Sozialgeschichte Bd. 10); Gegenwartsliteratur seit 1968. München/Wien 1992 (Hansers Sozialgeschichte Bd. 12); Geschichte der deutschsprachigen Literatur seit 1945 von Ralf Schnell. Stuttgart/Weimar 1993. - Vgl. zur Frage der kulturräumlichen Binnengliederung des deutschsprachigen Lite­raturraums Michael Böhler: Vom Umgang der Literaturwissenschaft mit kulturto­pographischen Aspekten der deutschsprachigen Literatur. In: Böhler/Horch (Anm. 7), S. 11-44.

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57 Als Ausnahme hierzu siehe den „Schweizer Literatur“-Artikel des deutschen Ger­manisten Jürgen Egyptien (Anm. 56). - Eine in Arbeit befindliche Schweizer Litera­turgeschichte, die unter der Leitung des emeritierten Berner Germanisten Peter Rusterholz entsteht und an der wiederum gemäß dem Binnengesetz ausschließlich Schweizer mitwirken, ist vom Metzler Verlag für das Frühjahr 2006 angekündigt.

58 Mörikofer (Anm. 1), S. IV.

59 Literaturlexika in der Schweiz: 1978 kommt das erste orts- und verbandsunabhägige Schweizer Autoren-Lexikon heraus, 1988 und 2002 folgen Neuauflagen, heute ist es zugänglich auf der Website der Schweizer Schriftstellervereinigung „Autorinnen und Autoren der Schweiz“: www.a-d-s.ch. Im Rahmen der 700-Jahr-Feiern er­scheint 1991 das Lexikon der Schweizer Literaturen. Hinzu kommt der als Nach­schlagewerk zu betrachtende Band Literaturszene Schweiz (1989) von Charles Linsmayer mit Kurzportraits von 157 Schweizer Autoren.

60 Siehe z. B. Paul Michael Lützeier (Hrsg.): Spätmodeme und Postmodeme. Beiträge zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Frankfurt a.M. 1991; Rolf Grimmin- ger/Jurij Murasov/Jöm Stückrath (Hrsg.): Literarische Moderne. Europäische Litera­tur im 19. und 20. Jahrhundert. Reinbek bei Hamburg 1995; Dieter Borchmeyer (Hrsg.): Signaturen der Gegenwartsliteratur. Würzburg 1999.

61 So in Helga Abret/Ilse Nagelschmidt (Hrsg.): Zwischen Distanz und Nähe. Eine Autorinnengeneration in den 80er Jahren. Bern 1998 (darin nebst Beiträgen zu Mo- nikova, Steinwachs, Neuwirth, Barbara Honigmann u. a.: Schreibende Frauen in der Schweiz. Helen Meier: Landleben); Döring (Anm. 42) (darin: Die Sprache der ver­lorenen Heimat. Vier Schweizer Autoren der jüngsten Generation); Hans-Jörg Kno- bloch/Helmut Koopmann (Hrsg.): Deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Tübingen 1997 (darin neben Aufsätzen, die Schweizer Literatur in die Untersuchung mitein- beziehen, je ein Beitrag zur österreichischen und schweizerischen Literatur); Der Band Bestandsaufnahme Gegenwartsliteratur von 1988 (Text und Kritik Sonder­band. München 1988) folgt noch der nationalen Literaturen-Teilung (BRD/DDR/CH/A).

62 Helmut Böttiger integriert in seine Untersuchung Nach den Utopien. Eine Geschich­te der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (Wien 2004) eine Analyse von Tex­ten von Markus Werner, die er gemeinsam mit Texten von Genazino und Thomas Strittmatter unter dem Aspekt „Humor und Melancholie“ bespricht (siehe S. 55-84).

63 Vgl. folgende Bände: John L. Flodd (Hrsg.): Modem Swiss Literature. Unity and Diversity. New York 1985; Zygmunt Mielczarek: Kurze Prosaformen in der deutschsprachigen Schweizer Literatur der sechziger und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Katowice 1985; Robert Acker/Marianne Burkhard (Hrsg.): Blick auf die Schweiz. Zur Frage der Eigenständigkeit der Schweizer Literatur seit 1970 (Am­sterdamer Beiträge 22). Amsterdam 1987; Janos Szabo (Hrsg.): Erzieher und Ver-

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weigerer. Zur deutschsprachigen Gegenwartsprosa der Schweiz. Würzburg 1989; Michael Butler/Malcolm Pender (Hrsg.): Rejection and Emancipation. Writing in German-speeking Switzerland 1945-1991. New York/Oxford 1991; Jattie En- klaar/Hans Ester (Hrsg.): Die Schweiz: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Ams­terdam 1992; Romey Sabalius (Hrsg.): Neue Perspektiven zur deutschsprachigen Li­teratur der Schweiz (Amsterdamer Beiträge 38/39). Amsterdam 1995; Gérard Krebs (Hrsg.): Schweiz 1998 (Anm. 45); Joy Chamley/Malcolm Pender (Hrsg.): Images of Switzerland. Challenges from the Margins. Bern u.a. 1998; Malcolm Pender: Con­temporary images of death and sickness: a theme in German-Swiss literature. Shef­field 1998; Zygmunt Mielczarek (Hrsg.): Flucht und Dissidenz.Aussenseiter und Neurotiker in der Deutschschweizer Literatur. Frankfurt a.M. u.a. 1999; Joy Chamley (Hrsg.): Visions of Utopia in Switzerland. Oxford u.a. 2001; Joy Chamley/Malcolm Pender (Hrsg.): Living with Languages. The Contemporary Swiss Model. Oxford u.a. 2003.

64 Siehe die Studien von Chamley/Pender/Mielczarek (Anm. 63); vgl. dazu Manfred Gsteiger: Nationales Selbstverständnis in den Literaturen der Schweiz. In: Hugo Dyserinck/Karl Ulrich Syndram (Hrsg.): Europa und das nationale Selbstverständ­nis. Bonn 1988, S. 119-133.

65 Vgl. Guy P. Marchal/Aram Mattioli (Hrsg.): Erfundene Schweiz. La Suisse imagi­née. Zürich 1992, S. 15f.

66 Adolf Frey beispielsweise präsentiert richtiggehend komparative Verfahren (Schweizer Dichter, 1914, Anm. 1).

67 Guido Calgari: Die vier Literaturen der Schweiz. Olten 1966 (it. 1959); Manfred Gsteiger (Hrsg.): Die zeitgenössischen Literaturen der Schweiz. München 1974; Bernhard Wenger: Die vier Literaturen der Schweiz. Zürich 1983; Iso Camar- tin/Roger Francillon/Doris Jakubec-Vodoz, Rudolf Käser/Giovanni Orelli/Beatrice Stocker: Die vier Literaturen der Schweiz. Zürich 1995.

68 Siehe insbesondere die Arbeiten des Komparatisten Manfred Gsteiger, z.B.: Die Beziehungen der deutschschweizerischen zu den anderssprachigen Literaturen der Schweiz. In: Geschichte der deutschsprachigen Schweizer Literatur (Anm. 53), S. 318-326, und: Die Schweiz von Westen Beiträge zum kulturellen Dialog. Bern 2002.

69 Siehe z. B. Chamley/Pender (Anm. 63) sowie Beatrice Sandberg: Der ,Sonderfall Schweiz4: Vom Mythos zum Alptraum in der literarischen Auseinandersetzung mit der faschistischen Bedrohung. In: Stein Ugelvik Larsen/Beatrice Sandberg (Hrsg.): Fascism and European Literature. Faschismus und Europäische Literatur. Bern u.a. 1991. Dementsprechend gibt es auch Anthologien der Auslandsgermanistik, die Schweizer Literatur aller Sprachregionen berücksichtigen: Anthology of Modem

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Swiss Literature (Anm. 23); Frauen in der Schweiz. Erzählungen. Hrsg, von Andrea Wörle. München 1991.

70 Vgl. Fritz Emst: Helvetia Mediatrix. Zürich 1939; Gibt es eine schweizerische Nationalliteratur (1955)? In: Fritz Emst: Späte Essais. Zürich 1963, S. 93-111. Fritz Strich: Zwei Vorträge. Europa und die Romantik. Mein Verhältnis zur Schweiz. Bern 1966.

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Zeitheimat Schweiz

Über eine „kleine Literatur“

in der Wissensgesellschaft Europas

Gerhard Lauer

Schwierigkeiten mit der Klassifikation der Literatur gehören zum Alltags­geschäft der Literaturgeschichtsschreibung. Wenn nach Gruppen oder Sti­len, Epochen oder Regionen die Literatur eingeteilt wird, meldet sich Wi­derspruch. Wir sprechen von der Epoche des Sturm und Drangs. Aber man muss einwenden: Nur die wenigsten Autoren haben um 1770 so geschrie­ben wie die Straßburger Studenten um Johann Gottfried Herder, die uns als Inbegriff ihrer Zeit gelten. Auch die Literatur der Frühromantiker repräsen-

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