Beiträge zur Pathologie des Gehirns

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_&us der Akademie ffir praktische M~dizin zu CSln a/Rh. Beitr ige znr Pathologie des Gehirns. Von Prof. Dr. lIoehhaus. I. Multiples Gliom yon ungew~hnlieher Ausdehnung. Die u des nachs~ehenden Falles rechtfer~igt sich a as zwe~ Grtinden: einmal war die Ausdehnung des Haupttumors eine so ungewShnlich grosse, wie ich sie bis jetzt in der Literatur noch nich~ beschrieben gefunden; dann waren ausser diesem noch zwei kleinere Neubildungen vorhunden, die nach ihrer ganzen Beschuffcn- hei~ and Lage zweifellos als selbst~indige Gliome anzusehen Waren, so dass ich glaube, dass dieser Fall den sel~enen yon multiplen Gliomen an- zureihen is~. Der klinische Verlauf war ein sehr pro~rahierter, der das bei diesen Neubildungen nicht so auffallende Abwechseln weitgehender Exazerbationen and Remissionen darbot; einzelne Ztige des Krankheits- bildes werden immerhin auch ein allgemeineres Interesse beanspruchen dtirfen. Krankengesehichte. Anamnese: H.H., 35j~th. Schiffskoeh, aufgenommen 9. VIII. 1902, war rtlher stets gesund gewesen. Zu Anfang Marz 1901 zuerst erkrankt an einem leichten Magenkatarrh, der aber bald schwand; kurz nachher stellten sich sehr heftige Kopf- schmerzen, h~tufiger Schwindel und Abnahme des SehvermSgens auf beiden Augen ein; ein am 9. III. 1901 koasultierter Augenarzt konstatierte auf beiden Augen Papillitis, Schwellung der Gefiisse and viele Netzhaut- blutungen. Die Sehschitrfe war 1. ~ 5/35, r. ~ 5/1oi in der linken Per!pherie waren symmetrische Einengungen des Gesichtsfeldes. Durch energische Diaphorese, Inunktionskur and Jod warden die Erscheinungen besser; Kopf- schmerz and Schwindel warden geringer; am 25. III. war der Befund am Augenhintergrund nur wenig verhndert; indes die Blutungen waren doeh zum grossen Tell resorbiert; es betrug S l.~ 5/:~5 , r.-~-5/7. Patient war so wohl, dass er den ganzen Winter hindureh a]s Sehiffs- koch arbeiten konnte; im Mai 1903 wurde das Sehen wieder schleehter; deshalb ginger am 16. V. in Bremen ins Krankenhaus. ~an konstatierte dort eine starke ~'euritis op~ica; S.I. ~ 5/6o, r. ~ 5/9; trotz Inunktionskur Deutsche Zeitschrift; f. Norvenhoilkunde. 34. Bd. ]4

Transcript of Beiträge zur Pathologie des Gehirns

_&us der Akademie ffir praktische M~dizin zu CSln a/Rh.

Beitr ige znr Pathologie des Gehirns. V o n

Prof. Dr. lIoehhaus.

I. Multiples Gliom yon ungew~hnlieher Ausdehnung.

Die u des nachs~ehenden Falles rechtfer~igt sich a as zwe~ Grtinden: einmal war die Ausdehnung des Haupttumors eine so ungewShnlich grosse, wie ich sie bis jetzt in der Literatur noch nich~ beschrieben gefunden; dann waren ausser diesem noch zwei kleinere Neubildungen vorhunden, die nach ihrer ganzen Beschuffcn- hei~ and Lage zweifellos als selbst~indige Gliome anzusehen Waren, so dass ich glaube, dass dieser Fall den sel~enen yon multiplen Gliomen an- zureihen is~. Der klinische Verlauf war ein sehr pro~rahierter, der das bei diesen Neubildungen nicht so auffallende Abwechseln weitgehender Exazerbationen and Remissionen darbot; einzelne Ztige des Krankheits- bildes werden immerhin auch ein allgemeineres Interesse beanspruchen dtirfen.

Krankengeseh i ch t e .

Anamnese: H.H., 35j~th. Schiffskoeh, aufgenommen 9. VIII. 1902, war rtlher stets gesund gewesen.

Zu Anfang Marz 1901 zuerst erkrankt an einem leichten Magenkatarrh, der aber bald schwand; kurz nachher stellten sich sehr heftige Kopf- schmerzen, h~tufiger Schwindel und Abnahme des SehvermSgens auf beiden Augen ein; ein am 9. III. 1901 koasultierter Augenarzt konstatierte auf beiden Augen Papillitis, Schwellung der Gefiisse and viele Netzhaut- blutungen. Die Sehschitrfe war 1. ~ 5/35, r. ~ 5/1oi in der linken Per!pherie waren symmetrische Einengungen des Gesichtsfeldes. Durch energische Diaphorese, Inunktionskur and Jod warden die Erscheinungen besser; Kopf-

schmerz and Schwindel warden geringer; am 25. III . war der Befund am Augenhintergrund nur wenig verhndert; indes die Blutungen waren doeh zum grossen Tell resorbiert; es betrug S l . ~ 5/:~5 , r.-~-5/7.

Patient war so wohl, dass er den ganzen Winter hindureh a]s Sehiffs- koch arbeiten konnte; im Mai 1903 wurde das Sehen wieder schleehter; deshalb g inge r am 16. V. in Bremen ins Krankenhaus. ~an konstatierte dort eine starke ~'euritis op~ica; S.I. ~ 5/6o, r. ~ 5/9 ; trotz Inunktionskur

Deutsche Zeitschrift; f. Norvenhoilkunde. 34. Bd. ]4

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nahm das SehvermOgen schnell ab and am 7. VI. war dasselbe fast voll- kommen erloschen~ aueh die Kopfsehmerzen verloren sich nicht.

Am 15. VII. kam er wieder in die Behandlung seines Arztes in C51n, der an beiden Augen Atrophie der Sehnerven feststellt% ausserdem Parese einzelner Augenmuskeln, des linken N. faeialis und des ganzen linken Beines and Armes; es bestanden Anfalle yon Kopfschmerzen und Schwindel; der Harn wurde in sehr reiehlicher Menge entleert; enthielt aber kein Eiweiss und Zueker.

Da jetzt ein Erfolg dureh die Behandlung nicht eintrat, wurde Patient dem Krankenhause fiberwiesen.

St a tus p r ae s. am 10. VIII. 1902. Kriiftig gebauter, gut genahrter Mann der fiber Verlust seines Sehverm6gens nnd Anfalle yon sehr heftigen Kopf- und Gesichtsschmerzen klagt.

Das Sensorinm ist frei, die Psyche intakt, die Intelligenz nieht merk- lich gestiirt.

Im Gesieht ist die linksseitige Muskulatur mit Ausnahme des Stirn- muskels leieht paretisch; die Augen k6nnen naeh allen Seiten wohl bewegt werden, lades ist die Exknrsion gegen die Norm etwas verringert and besonders bei den Auswartsbewegungen tritt deutlieher Nystagmus auf. Der Pupillarreflex ist niehi auszulSsen. Die Untersuehung des Augen- hintergrundes ergibt beiderseits ausgesprochene Atrophia n. optiei, links deutlieher wie rechts; Patient hat nur noeh geringen Liehtschein.

Die Zunge wird gerade herausgestreekt~ zittert aber deutlich; das Gaumensegel hebt sieh symmetriseh; das Sprechen and Sehlucken ist gut.

Die Sensibilit~tt ist im Bereiche der linken Gesiehtshi~lfte deutlich herabgesetzt; ebenso auf der linken Zungenh~lfte und am linken Gaumen- bogen, der Kitzelreflex in der linken Nase sowie der linksseitige Corneal- reflex erseheinen geringer als in der Norm.

Eine Stiirung der Motilit~t und der Sensibilitat an den Extremiti~teu lhsst sich nicht sieher naehweisen; geffihrt geht Patient reeht gut, ohne Schwanken und Ataxie; der Patellarreflex ist beiderseits schwer auslSsbar; die fibrigen Reflexe sind normal.

Das Wasserlassen ist ohne StSrung. An den inneren Organen ist der Befund normal; der Pnls ist regel-

m~ssig, kr~ftig, 60--70 in der Minute. Ord: Inunktionskur 5,0 g Ungt. hydrarg, pro die, Jodkali 3 x 1 , 0 . 20. VIII. Die Klagen des Patienten sind weehselnd; bald hat er sehr

heftigen diffusen Kopfsehmerz, bald sind die Sehmerzen mehr in der linken Gesiehtshfilfte konzentriert. Dieselben treten anfallsweise auf und sehwin- den haufig auf Tage vollkommen; jetzt ist in tier linken KOrperh~lfte eine leiehte Parese bemerkbar; beim Gehen hat Patient die Tendenz naeh links hin zu f~llen; die Sensibilit~t ist in der linken Gesiehtshfilfte deutlich, am linken Bein in sehr geringem Grad gestOrt. Der Befund am Augen- hintergrund: Ausgesproehene Atrophie ist nnge~tudert. Aiopetit gut, Stuhl regulfir. Puls 70 in der Minute.

22. IX. In letzter Zeit unter starkeu Kopfsehmerzen haufige Anf~lle kurzdauernder Bewusstlosigkeit, dabei Ubelkeit and Sehweissausbrueh und Pulsverlangsamung; nach diesen Anf~lle haufiger Zuekungen in den Fingern, besonders reehtsseitig. Die Intelligenz scheint in letzter Zeit doeh gestOrt zu sein.

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Die Lahmungserscheinungen an dor linken Seite treten deutlicher horror; der Patellarreflex ist beiderseits nicht ausl5sbar; Fusssohlenreflex vorhanden.

Die Untersuehung des Augenhintergmndes zeigt heute eine starke Verbreiterung der Papille mit weisslicher Verf~trbung and ansgesprochener Schwelhng; die Venen sind dunkel, verbreitert, geschliingelt, deutlich abge- knickt an der Papillengrenze. Die Schwellung ist links am starksten, die Oefhsse sind anf der Papille zum Toil ganz verdeckt (0dem). Die Arterien sind diinn, kaum sichtbar (Herr Dr. P roebs t ing ) .

20. XI. In der letzten Woche waren die Schmerzen im Kopf sehr stark; dieselben werden bald an der reehten Seite, bald in den ttinter- kopf lokalisiert; bei der Perkussion ist der rechte Toil der Occipitalgegend bei weiten am empfindlichsten.

Die Parese der Augenmuskeln ist deutlich; aueh die linksseitige Hemi- plegie; erst in den letzten Tagen geht anch das Sehlucken and Sprechen etwas schleehter. Der Befund am Augenhintergrund ist sehr wechselnd, bald nur das Bild der Atrophic des hi. options, bald herrscht die Stauung vor, besonders wenn h~iufiger die AnfMlo yon Bewusstlosigkeit auftreten. Die Intelligenz nimmt doch in letzter Zeit wesentlich ab; Appetit und Verdauung ist meistenteils gut.

35. II. Das Symptomenbild ist ein sehr wechselndes; tagelang fehlen die Kopfschmerzen vollkommen; Patient fahlt sich dann leidlieh wohl nnd aueh die St6rung der Intelligenz ist dann geringor; zu anderen Zeiten sind die Anfalle yon Bewusstlosigkeit, die jetzt auch mit Krgmpfen in den Extremit~tten, besonders in den rechtsseitigen, verkniipft sind, hiiufiger.

Im allgemeinen werden die Liihmungserseheim~ngen in tier ]inken Seite st~irker, jctst f~tllt auch dem Kranken das Aufrichten sehwer; beson- ders lastig ist das h~tufige Verschlucken; iiber den unteren Lungenpartien beiderseits deutliche Bronchitis.

10. IV. Es bcsteht jetzt eine starke Parese samtiicher Augenmuskeln; der rechte Bnlbus ist deutlich protrudiert; der Angenhintergrund zeigt das frfihere weehselnde Verhalten. Blase und Mastdarm funktionieren noeh gut.

8. VII. Patient. wird sehw~cher and apaflliseher, alle L~hmungsersehei- nungen treten st~trker zutage; besonders dann, wenn Anfalle yon Bewusst- losigkeit and Kr~mpfe auftreten, was jetzt haufig der Fall ist.

30. VIII. In den letzten Tagen scblief Patient nnunterbroehen; heute Abend Exitus letulis.

0 b d u k t i o n s b e f u n d yore 31. VIII. Nach Er6ffnung der Seh~deldeeke~ die niehts Besondores bot, war die Darn stark gespannt; auf der Aussen- seite einige braune und weisse Fleeken; nach Abziehen der Dura pr~t- sentiert sich das Gehirn mit abgeplatteten Windungen; die reehte Hirn- h~ilfte erscheint in allen ibren Dimensionen grOsser als die linke; es misst dieselbe in der Lfinge 21 ore, die linke 20 cm; die Breite des rechten Stirnlappens betragt 7112 cm, die des linken 6 cm; in der Gegend der hinteren Zentralwindung betragen die Mal~e rechts 10~/2 era, links 9 era; am stiirksten seheint der reehte Temporallappen "Jergr6ssert; aus dem unteren Toil desselben ragt eine platte, hahnenkammartige Geschwulst her- vor, die sich an den rechten ~Hirnschenkel anlegt; der letztere ist or-

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heblich breiter als der linke; letzterer misst 2 cm, ersterer 3 cm in der Breite.

Das Iufundibulum sowie das Chiasma n. optiei sind in Gesehwulst- masse eingebettet; die beiden Sehnerven erscheinen ganz erheblich verdickt. Die beiden ~n. olfactorii erseheinen eher dann und yon normalem Aus- sehen; an der Unterseite des rechten Stirnlappens dicht neben dem N. olf. fund sieh ein haselnussgrosser, rundlicher Tumor, der sieh mit wenig 5Iiihe yon den zarten Hirnhhuten~ mit denen er fest verbunden war, abtrennen liess; die Stelle, wo er gesessen, war durch eine deutliche Delle kenntlich.

Auf einem Frontalschnitt~ dieht hinter der Fossa Sylvii, land sieh auf der linken Seite der Ventrikelspalt deutiich erweitert; im i;Lbrigen die gauze Konfiguration yon grauer and weisser Substanz gut kenntlich und v0n normaler Form; dagegen war auf der reehten Seite der gauze Quer- schnitt fast eingenommen durch eine graurStliehe Gesehwulstmasse, die nach allen Seiten dan Ventrikel fast nmgab und peripherwarts welter, fast his zur girnrinde reicht. Zur genaueren Untersuehung wurde das Gehirn in toto in Formol-~[llller geh~rtet und mit Alkohol nachbehandelt.

Das Gehirn wurde nach der Hiirtung in zahlreiehe Frontalsehnitte zerlegt, um die Ausdehnung der Gesehwulst, die sieh jetzt leicht ~tber- sehen li~sst, feststellen zu k0nnen. Dabei zeigte sieh nun, dass der Tumor sieh erstreckte yon der Spitze des Stirnhirns d~irch die gauze reehte Hemi- sphfire hindureh his zum entgegengesetzten Pol des 0eeipitallappens; die grSsste Ausdehnung zeigte sieh auf einem Querschnitt, der dureh das Infuudibulum ging; fast der gauze Quersehnitt war yon der Geschwulst- masse eingenommen, die sieh aueh in grosser Ausdehnung im Temporal- lappen nachweisen liess. Der Ventrikelspalt war minimal und der darin enthaltene Plexus ersehien verdickt. Die Gesehwulst war nun noch nach zwei Riehtungen welter gewuehert: einmal direkt nach unten in das lnfundibulum und yon dort in das Chiasma nn. opticorum hinein, diese urn- und durchwaehsend; ausserdem war sie yon dort in geringem Grade auch auf die audere Seite hinaber gewuehert.

Dann war der Tumor yon dem Markweiss aus dureh die Regio sub- thalamica welter fortgewachsen dureh den rechten Hirnschenkel, der ja sehou ausserlich betri~chtlich vergr6ssert erschien, bis zur Pyramiden- kreuzung, wie die mikroskopisehe Untersuehung erwies.

Ausserdem fanden sich an zwei Teilen der Hirnrinde noch umsehriebene Tumoren: der eine an dem Temporallappen yon platter Gestalt, der andere am reehten Stirnlappen; der erstere ging unzweifelhaft aus yon der girn- rinde, w~thrend der zweite yon den ~eningea seinen Ursprung nahm.

Die mikroskopische Untersuchung der Gesehwulst ergab, dass dieselbe fast durehweg aus kleinen gliaartigen Zellen zusammengesetzt war, zwischen denen an vielen Stellen noch gut erhaltene Hirnsubstanz vorhanden war; auch die beiden kleineren Tumoren zeigten den charakteristischen Typus des kleinzelligen Glioms, was auch Herr Prof. Jo res , dem die Pri~parate vorlagen, best~tigte.

Der Befund an den inneren Organen ergab in den Lungen zahlreiche bronchopneumonische IIerde, in den i~brigen Organen niehts Besonderes.

Die wesentliehsten Punkte des vorhin ausfiihrlich gesehilderten

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Krankheitsbildes sind folgende: Beginn der Erkrankung im M~rz 1901 mit Kopfsehmerzen, Schwindel und Sehsehw~iehe; dureh Behandlung Besserung; nach einem Jahr wieder st~rkeres Auftreten der s~m~liehen Erseheinungen.' Die Sehschwiiche wird zur Erblindung; Parese der Augenmuskeln; im August 1902 Hinzntreten der beiderseitigen KSrper- parese; jetzt auch Anfi~lle yon Bewuss~losigkei~ und Kr~mpfe; unter hiiufigen Remissionen und Exazerbationen, besonders der Li~hmungen Exitus im August 1903. Die ganze Dauer der Erkrankung betrug also 21/2 Jahre, die auffallend starken Remissionen, wie sie unser Fall hot, sind bet Gliomen nieht so selten; weniger ofl finder man den bet unserem Fall so wechselnden Befund am Augenhintergrund; bet allen grSsseren Exazerbationen gab sieh die im Him vorhandene Hyperiimie in der Netzhaut dureh eine Schwellung der:Papille und dureh eine starke venSse ]=Iyper~mie kund, so ein getreues Bild der Vorg~inge im Gehirn darbietend; in den Remissionen war die Papi]le stets nur weiss atrophiseh, die Venen nicht geschwollen; sons~ w~ire noeh zu be- merken, als seltene Erseheinung, die Protrusion des rechten Bulbus, die sehr ausgesproehen bet unserem Pa~ienten hervortrab. Quinckel ) hat neuerdings dutch seinen Assistenten F la t au eine Zusammenstellung der bis jetz~ beobaehteten eigenen und fremden F~lle yon Exophthal- runs bet Hirndruek verSffen~lichen lassen; die Zahl der Fi~lle (15)ist darnach noch reeht gering; indes glaube ieh auch, dass, wie F la t au bemerkt., das Symptom h~ufiger wird, wenn man genau darauf aehte~. Die Ursachen des Exophthalmus sind zweifellos ZirkulationsstSrungen, die dureh den Hirndruek veranlasst werden.

Hinweisen mSehte ieh dann noch auf die starke Wirkung, we]ebe die erste Inunktionskur auf das Zurtiekgehen siimtlicher, doeh sehon sehr ausgesproehener Erseheinungen hatte; fiber 1/2 Jahr war Pa~ien~ danaeh imstande, seine immerhin nieht leiehte T~itigkeR als Sehiffs- ]~oeh zu versehen; die Wirkung war so auffallend, dass man mi~ ether gewissen Berechtigung an einen lue~ischen Ursprung der Er- ]~rankung daehte; - - war das, wie die Folge bewies, aueh nicht der Fall, so muss man doeh dem Quecksilber in diesem Falle naeh meiner Meinung eine gewisse Einwirkung auf den Prozess zusehreiben, denn die Wirkung war eine so eklatan~e und langdauernde, dass sie kaum als einfaehe Remission aufgefasst werden kann.

Von ganz besonderem Interesse ist der anatomisehe Befund, am meisten wege n der Ausdehnung der Gesehwulst; sie erstreekte sich dutch die ganze rechte I:Iemisph~ire in ether Ausdehnung yon fast 20 em in die Li~nge, dabei in der Mitre fast den ganzen Quersehnitt einnehmend; ausser-

1) Deutsches Archly flit klin. Medizin. 77. Bd. 1903. S. 433.

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dem zog sie hinunter in den reeh~en Hirnsehenkel bis fast zur Pyramiden- kreuzung; einen Fall yon gleicher Ausdehnung konnte ich in tier Literatur nicht wieder finden. Bei Oppenhe im 1) finde ich als grSsste L~inge angegeben 3--10 cm, w~hrend sie bier in der Hemisphere allein das Doppelte betrug, dazu komm~ noch die Ausdehnung nach dem Riickenmark hin; im Pons und in der Medulla oblongata hatte die Wueherung zu einer ausgesproehenen Hypertrophie der rech~s- seitigen Partien geffihr~.

Ausser der Haup~masse des Tumors fanden sich dann noch, wie im Obduktionsbefund beschrieben, zwei kleinere Geschwulstbildungen, die eine am Temporallappen, die andere am Stirnl~ppen; beide waren durch- aus selbst~indig, hingen mit dem ursprfinglichen Tumor nieht zusammen und miissen m. E. doeh als selbst~ndige Gliom% auch nach ihrer mikroskopischen Zusummense~zung, angesehen werden.

Uber das Vorkommen multipler Gliome sind die Meinungen der Autoren ge~eilt; Bors t 2) gibt an, dass his je~z~ ein solcher Fall noeh nieht: bekannt sei, 0 p p e n h elm 3) h~il~ das Vorkommen fi~r sehr selten; bei Gowers finale ieh einen solchen Fall abgebildet; ich glaube doch, dass unser Fall als ein sicherer yon multiplem Gliom aufzufassen ist, besonders der Tumor in dem S~irnhirn muss sowohl dureh seine Lage wie GrSsse and Bau sicher als ein selbst~ndiges Gliom aufgefasst werden.

H. Infantile Cerebrall|ihmung mit Obduktionsbefund.

Die eerebrale Kinderl~hmung fiihrt in ihrem akuten Stadium nuc sehr selten zu einem tSdliehen Ausgang; daher kommt es, dass patho- logisch-anatomische Befunde in einem frfihen Stadium his jetzt nut vereinzelt erhoben worden sind, w~hrend man ~iber die anatomische Grundlage ~lterer F~lle schon lange durch zahlreiche Obduktionsbe- funde unterrichte~ is~: Sklerosen, Poreneephalien, Cysten finde~ man am h~iufigsten; aus welehen initialen L~sionen nun diese Prozesse ent- standen sind, das l~sst sich nieht immer mi~ Sicherheit sagen; sieher sind Blutungen und Embolien eine h~ufige Ursache; dagegen ist noch stri~tig, welehe Rolle entzfindliehen Prozessen zuzuschreiben is& Manehe Autoren (Vieioli , Str~tmpell, Go ldsche ide r u. a.) sind geneigt, diesen eine hohe Bedeutung zuzusehreiben und zu glauben, dass enee- phalitische Prozesse, die in Analogie mit der Poliomyelitis anterior

1) Oppenheim, Die Geschwfilste des Gehirns. ~othnagels ttandbuch. 2) Borst, Lehre yon den Geschwfilsten. Bd. I. S. 354. 3) Oppenheim, Die Geschwfilste des Gehirns. ~othnagels ttandbuch. S. 8.

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der Kinder zu stellen sind, h~iufig die prim~ire Grundlage tier cerebralen Kinder]i~hmung abgeben.

Andere, insbesondere F r e u d 1) in seiner grossen Monographie, halten dem entgegen, class weder der klinisehe Verlauf noch die bis- herigen Obduktionsbefunde eine derartige Ansicht rechtfertigen.

Der nachfolgende Fall gib~ zu dieser Frage einen kleinen Bei- trag, insofern, als fiir ihn die entziindliche Genese als Ursaehe tier cere- bralen Kinderl~hmung durch die genauere Untersuchung sich nach- weisen liess.

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Krankengesch i ch t e .

Anamnese: K1. K.~ 21/2 Jahre alt, aufgen. 17. VIII. ]903, gest. 2. IX. 1903.

Elteru gesund; zwei Gesehwister leben gleichfalls ganz normal. Die Geburt des Kindes war leicht und ohne StSrung verlaufen. Die Entwick- lung des Kindes liess in keiner Beziehung zu wtinschen tibrig. Fanf Woehen vor tier Aufnahme erkrankte sie an Masern mit Lungenentztindung; sie genus vollkommen~ war nur etwas magerer als zuvor. Am 10. VIII. abends 6 Uhr trat plStzlieh Bewusstlosigkeit~ Zueken des Mundes, der Zunge und der ganzen linken KSrperh~ilfte auf, wi~hrend die rechte Seite ruhig blieb. Der Zustand dauerte bis 2 Uhr nachts, dann verfiel sie in tiefen Sehlaf bis zum Morgen. Da gewahrten die Eltern, dass die rechte Seite voll- kommen gel~thmt war; seit der Zeit lag die Kleine stets ruhig im Bert, sprach nicht mehr, schien auch nieht mehr wie friiher zu hSren und zu sehen; das Schlucken war stets gut; die linksseitigen Gliedmassen wurden haufiger bewegt wie die rechtsseitigen; sie weinte viel. Erbrechen war nur zu Anfang wi~hrend der Kriimpfe aufgetreten. Stuhl und Harn stets in 0rdnung.

Seit den 14. VIII. h~ufiger Husten. Ob Fieber dagewesen~ kanu nieht mit Sieherheit festgestellt werden.

S ta tus praes. 17. VIII.: Blasses, etwas mageres~ aber ftir sein Alter gut entwickeltes Kind; liegt mit leicht nach hinten ilbergebeugtem Kopf ruhig im Bert; die Augen sind meist stark nach links gewendet; Gegenst~tnde werden nicht fixiert; Pupillen mittelweit, reagieren.

Auf Anrufen keine Reaktion. Die Perkussiou des Sehiidels, der in seiner Konfiguration keine St0-

rungen zeigt~ ist nicht empfindlieh. Der linke Arm und das linke Bein werden h~tufig sp0ntan bewegt und

zwar ausgiebig. Arm und Bein der reehten Seite werden in leicht gebeugter Stellung

gehalten, bei passiven Bewegungen Bin mi~ssiger Widerstand; spontane Be- wegnngen sieht man kaum, zuweilen eine geringe Bewegung an den Zehen; hebt man eine reehtsseitige Extremit~tt in die HShe, so fallt sie ohne Unter- stiitzung seblaff auf die Unter]age.

1) Freud, ~'othnagels Handbuch.

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Der Patellarreflex scheint Bin wenig gesteigert; Babinski reehts vor- handen.

An den Hirnuerven sind ausgesproehene St5rungen nieht naehweisbar. Aufsitzen ist nicht mOglieh. Uber den hinteren unteren Lungenpartien verscharftes Vesikul~ratmen

mit verlangertem Exspirium und zahlreichem feuchtem insp. Rasseln. Puis frequent, 120 in der Minute. An den [(brigen inneren Organen nichts Besonderes. Temperatur 36i6--37,2 0. Ord.: 3 x 0 , 0 2 Calomel, Biider. 19. VIII. Zeitweise rhythmische Zuckungen im reehten Arm; Puls 138.

194 X. Hocn~us, Beitr/ige zur Pathologie des Gehirns.

gegeben. Zwei Erkliirungen seheinea mir bier mSglich: Entweder sind die Hirnerscheinungen nicht bloss Folge entztindlicher, sondern :~ueh zum Tell ~oxischer Einfifisse, oder sber beim kindlichen Him kSnnen unter Umstiinden such sehon weniger umfsngreiehe Ent- ziindungen in Verbindnng mit ()dem tiefgreifendere Schiidigungen tier Funktion hervorrufen.

Welehe Deu~ung man aber such aceeptieren mug, jedenf~l|s spielen die s wenn auch wenig susgedehn~en Entziindungsprozesse in den Meningen und im Gehirn bier eine massgebende Rolle als Ursache tier cerebralen Hemiplegie.

Beitri~ge zur Pathologie des Gehiras. 193

Zellen derselben Beschaffenheit bemerkbar. Ausgedehnte Veri~nderungen waren aber nirgends zu entdecken. Die Ganglienzellen boten keine mar- kanten Verandernngen.

Bakterienf~rbungen sind leider nicht gemacht worden. Die Zusammenfassung der wesentliehen Punkte des Krankheitsverlanfs

ergibt folgendes ]~ild: Ein 21/2 j~lhr., his dahin ganz gesnndes Kind er- krankt an Masern, die es gut ilbersteht; 4 Wochen spater plStzlich Be- wusstlosigkeit und Lahmung der rechten KSrperhalfte; Intelligenz und Psyche bleiben dauernd sehr stark gest6rt, and ohne _~nderung der Lahmungserscheinungen stirbt das Kind am 23. Krankheitstage (wohl in- folge der Bronchopneumonie und der tterzschwi~che). Die 0bduktion ergibt 0dem der Pia mater fiber den linken Zentralwindungen verbunden mit leichten Entzt~ndungserscheinungen sowohl in den Meningen wie in der Hirnsubstanz.

Der vorher noch einmal km'z skizzierte klinisehe Verlauf reiht unseren Fall in die gubrik der typischen cerebralen Hemiplegie. A]s ~itiologiseh bedeutsam kommen die eben iibers~andenen Masern in Betrach~, wie das gerade bei dieser Erkrankung so h~iuflg der Fall isL Der plStzliche Beginn mit Kr~mpfen und schweren allgemeinen tIirn- symptomen und nachfo]gender halbseitiger Li~hmung ist ebenfalls sehr gewShnlich; ob Fieber vorhanden gewesen, li~sst sich nicht mi~ Sicher- hei~ yon den Eltern eruieren; jedenfalls ist dasselbe nieht erheblieh gewesen. Die Liihmung der rechten Seite blieb w~hrend der ]~eobaeh- tung konstant, nur eine leichte Besserung des a]lgemeinen Hirnzustandes bahnte sich eben an, als der Exi~us, hSchst wahrscheinlich infolge der Bronchopnenmonie, eintrat.

Die Autopsie ergab als Ursache ffir die im Leben beobachte~en Er- seheinungen am Gehirn starkes sulziges ()dem der Pin und in tier Gegend der linken Zentralwindungen eine zwar deutliehe, aber nieh~ sehr intensive Meningoeneephalitis. Die en~ziindliche Genese als Ursaehe einer cerebralen Kinderl~hmung w~re damit wohl er~viesen und wfirde auch tier Fall sich den wenigen bis je~z~ in der Li~eratur bekannten anreihen. 1) Eine andere Frage wi~re nun die, wie sich die beobachte~en sehweren Hirnerscheinungen aus dem ana~omischen Befund erkl~ren lassen; zweifellos besteht hier eine Differenz zwischen den nut m~ssigen, Entziindungserscheinungen und den ausgesproehenen L~hmungen; -- ieh haste geglaub~ eine genauere mikroskopisehe Untersnchung wiirde noeh weitere Aufkl~rung bringen; indes war das nieht der Fall, auch die weitere tiefere Durchforschnng des Gehirns liess keine ausge- dehnteren Ver~nderungen en~decken, die ohne Schwierigkeiten den Befund erkl~ren kSnnten. Vereinzelt is~ derselbe naeh dieser Riehtu~g nicht; ich ilnde in der Monographie F r e u d s mehrfach Ahnliehes an-

1) Literatur siehe bei Freud.

194 X. I-Iocu~us, Beitritge znr ~'athologie des Gehirns.

gegebem Zwei Erkl~rungen schcinen mir bier mSglich: Entweder sind die ttirnerscheinungen ~cht bloss Folge entziindlicher, sondern =auch zum Tell toxischer Einfliisse, oder aber beim kindlichen Him kSnnen unter Umsiiiuden ~uch schon weniger umfangreiche Ent- ziindungen in Verbindnng mit 0dem tiefgreifendere Schiidigungen tier Funklion hervorrufen.

Welche Deutung man abet auch acceptieren mag, jedenfalls spielen die, wenn auch wenig ausgedehnteu Entziindungsprozesse in den Meningen und im Gehirn bier eine massgebende Rolle als Ursache tier cerebralen Hemiplegie.