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WIRKLICHKEIT DER MITTE Beiträge zu einer Strnkturanthropologie Festgabe für August Vetter zum So. Geburtstag HERAUSGEGEBEN VON JOHANNES TENZLER VERLAG KARL ALBER FREIBURG/MÜNCHEN

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WIRKLICHKEIT DER MITTE

Beiträge zu einerStrnkturanthropologie

Festgabe für August Vetterzum So. Geburtstag

HERAUSGEGEBEN

VON

JOHANNES TENZLER

VERLAG KARL ALBER FREIBURG/MÜNCHEN

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Psychologisches Institutder Ludwig-Maximilians-Universität zu München

HERMANN BRANDSTÄTTER, WALTRAUT KUNKEL,

LUTZ VON ROSENSTIEL

Zur Diagnostik des Gefühlsals des Zentrums der Integration

Diese Arbeit stellt einen Ausschnitt aus einem größer angelegten Versuchdar, theoretisch begründete Regeln der Deutung sowohl von Ausdrucks-ais auch von Projektionsphänomenen durch Experimente, systematischeBeobachtungen und statistische Analysen zu überprüfen und damit zu-gleich einen Beitrag zur Theorie des Ausdrucks und der Projektion wieauch zur Sicherung diagnostischer Methoden zu leisten.

Dieses analytische Vorgehen mag zwar vom erscheinungswissenschaft-lichen Standort aus als wenig bedeutsam erachtet werden,

doch dürften

angesichts der andersartigen Hauptströmungen der heutigen diagnostischenPsychologie derartige Untersuchungen von Gewinn sein, da sie dazu bei-

tragen könnten, dem erscheinungswissenschaftlichen Ansatz stärkere Be-achtung zu verschaffen und so zu verhindern,

daß diese für das rechte

Verständnis des Menschlichen so wichtige Grundlegung der Diagnostikaußer acht gelassen wird.

Zur Beschreibung von strukturpsychologisch abgegrenzten Eigenschafts-bereichen, deren Ausdrude und Projektion wir näher untersuchen wollten,

bedienten wir uns einer möglichst umfassenden und repräsentativen Aus-wahl charakterologischer Begriffe aus dem Aufbau der Person" von

Ph. Lersch1. Diese Begriffe erschienen uns für unsere Fragestellungbesonders geeignet, da sie eine umfassende und differenzierte Beschreibungder individuellen Eigenart der Person zulassen, aus enger Verbindung mitausdruckspsychologischer Forschung erwachsen sind und so den Phäno-menen des Ausdrucks nahestehen. Zugleich ist diese Sprache, die sich aus-drücklich auch auf Charakterschilderungen der Weltliteratur bezieht, dengebildeten Laien ohne weiteres verständlich. Dies war uns deswegen wich-tig, weil wir Schülerinnen der Oberstufe von Gymnasien durch ihre Mit-schülerinnen beurteilen ließen

, um ein unabhängiges, empirisches Krite-rium für die zu diagnostizierenden Eigenschaften zu erhalten. Eine Grup-pierung der ausgewählten Eigenschaften nach strukturpsychologischenÜberlegungen ergab 14 übergeordnete Eigenschaften, von denen je zwei

1 Ph. Lersch, Aufbau der Person, München 1964.

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Zur Diagnostik des Gefühls

polartig aufeinander bezogen sind, wie z. B. Antriebsstärke gegen Antriebs-schwäche.

Wenn unser Teilbericht aus diesen Eigenschaften nur die der Integra-tion und Dissoziation in ihrem Zusammenhang mit dem Gefühlsbereichherausgreift, dann vorwiegend aus zweierlei Gründen. Zum einen würdedie Darstellung der Gesamtarbeit den hier vorgegebenen Rahmen weitüberschreiten; zum anderen glauben wir, innerhalb dieser Untersuchungkeine Fragestellung zu finden, die besser geeignet wäre, den für dieStrukturpsychologie August Vetters zentralen Gefühlsbereich in seinerBedeutsamkeit zu beleuchten.

Wenn wir beim Vergleich zwischen diagnostischen Aussagen und einerdavon unabhängigen Verhaltensbeurteilung durch Mitschülerinnen aucheinfache statistische Prüfmethoden heranziehen, bedarf dies im Rahmen

einer solchen Untersuchung einer besonderen Begründung.Die der Ausdrucksdeutung eigene intuitive Erkenntnis kann, soweit sie

auf Erscheinung des einzelnen Menschen bezogen ist, nicht statistischbestätigt oder widerlegt werden; denn das Individuelle ist nicht wieder-holt auffindbar und damit auch statistischen Methoden nicht zugänglich.Im Gegensatz zur Beobachtung des individuellen Ereignisses in der Natur-wissenschaft, bei der man bestrebt ist, durch spezifische methodische Vor-schriften und technische Vorrichtungen eine Wechselwirkung zwischenBeobachtungsgegenstand und Beobachter weitgehend auszuschalten, stehtim Zentrum einer erscheinungswissenschaftlich fundierten Diagnostik diepersonale Begegnung. Dieses Ereignis ist in seinem Kern sprachlich nichtfaßbar und daher selbstverständlich auch nicht einer statistischen Erhebungzugänglich.

Soweit die Intuition im Sinne der Erscheinungsdeutung eine umfassendeTheorie des Menschen begründet, gilt für diese Theorie ebenso wie fürjede auf andere Weise fundierte, daß sie als Theorie insgesamt nicht aufempirisch-statistischem Wege bestätigt oder widerlegt werden kann; denneine Theorie geht grundsätzlich über das anschaulich Gegebene hinaus.Was als anschaulich gegeben gelten kann, mag dabei je nach erkenntnis-theoretischer Grundüberzeugung verschieden sein.

Wenn man mit Vetter die Intuition dem mittleren Bereich zwischen

Wahrnehmung und Begriff"2 zuordnet, so kann man zwar im Einzelfallverschiedener Meinung darüber sein, wann nicht mehr von Wahr-nehmung"

, sondern von Begriff" gesprochen werden muß, doch ist nichtzu übersehen, daß auch die Erscheinungswissenschaft theoretische Begriffeverwendet. Gerade diese sind es aber, die nicht vollständig auf empirischeBefunde reduziert werden können. Die Bezeichnung empirisch" soll hier

A. Vetter, Natur und Person, Stuttgart 1949, S. 169.

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Waltraut Kunkel

nicht auf Beobachtungen eingegrenzt werden, wie sie die Naturwissen-

schaft gemeinhin versteht,sondern auch intuitive Einsichten

, also die An-schauung des Wesens in der individuellen Erscheinung mit umfassen.

In naturwissenschaftlichen Theorien (auch vom Menschen) sind es dieErklärungsbegriffe, die noch nicht beobachtete oder grundsätzlich nichtbeobachtbare Tatsachen meinen. In einer erscheinungswissenschaftlichfundierten Theorie vom Menschen ist es u

. a. der etwas Transphänome-nales

, eine ontische Wirklichkeit meinende Begriff der humanen Struktur,

der nicht vollständig empirisch belegt werden kann.

Nach dieser Vorüberlegung wäre zu fragen, wie denn überhaupt stati-stische Erhebungen und Analysen zur Klärung von ausdrucks- und pro-jektionspsychologischen Problemen sinnvoll eingesetzt werden können.

Wie wir festgestellt haben, ist das wesentlich Individuelle, weil es begriff-lich nicht faßbar ist

, statistisch unzugänglich und bleibt der intuitiven Ein-fühlung vorbehalten. Selbstverständlich entzieht sich auch das Wesen derhumanen Struktur

, die als transphänomenale, ontische Wirklichkeit ver-standen werden muß

, einer empirischen, schon gar einer statistischenErfassung.

Wir sind jedoch der Auffassung, daß von erscheinungswissenschaft-lichen Einsichten in die Struktur des menschlichen Wesens und in dieEigenart des einzelnen Menschen Vermutungen abgeleitet werden können,

die sich auf (beobachtbare) Äußerungen beziehen, die dann nach allge-meinen Begriffen (z. B. konsonantische oder vokalische Artikulation

,

Bildlösung oder Sachlösung im WZT3) klassifizierbar werden,so daß

sich Häufigkeiten und Ereigniswahrscheinlichkeiten sowohl für dieeinzelnen Merkmale als auch für bestimmte Merkmalskonfigurationenfeststellen lassen.

Dabei erscheint uns wesentlich, daß man nicht in blinder" Weise,

d. h.

ohne Bezug auf die Theorie des Ausdrucks und der Projektion, die Häufig-keit irgendwelcher Merkmale feststellt,

sondern nur eine theoretisch be-

gründete Auswahl von Merkmalen in theoretisch sinnvoller Kombinationberücksichtigt, die dem Strukturkonzept möglichst nahe kommt,

also nicht

in einer Addition von herausgelösten Teilmerkmalen steckenbleibt.

Von der Definition und der Auswahl der Beschreibungsbegriffe,mit

denen Ausdrucks- und Projektionsphänomene sprachlich erfaßt werdensollen, sowie von der Kompetenz der Beurteiler hängt es wesentlich ab,

ob die Ergebnisse einer experimentellen und statistischen Analyse über-haupt theoretisch bedeutsam sind.

Fragwürdiger als eine Theorie sind oft die Versuche,die zu ihrer

empirischen Bestätigung oder Widerlegung unternommen werden.Die

WARTEGG-Zeichentest, abgekürzt.

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Zur Diagnostik des Gefühls

statistische Signifikanz von Ergebnissen kann also keinesfalls das einzigeund auch nicht das wichtigste Kriterium für die Richtigkeit einer theo-retisch begründeten Vermutung (Hypothese) sein, sondern es muß stetszugleich gefordert werden, daß sich ein Ergebnis sinnvoll in die eventuellaufgrund der empirischen Befunde zu modifizierende Theorie einfügenläßt.

Bei aller Einsicht in die Grenzen der induktiv-statistischen Verifizie-

rungsversuche sehen wir in einer statistisch signifikanten Bestätigung derHypothesen, die aus einer strukturpsychologisch fundierten Ausdrucks-theorie abgeleitet wurden, einen Beitrag zur Verankerung eben dieserTheorie und zugleich eine Rechtfertigung jener diagnostischen Vorgehens-weisen

, die in dieser Theorie begründet sind.

Zum Begriff der Integration4

In der Personalen Anthropologie A. Vetters kommt dem Gefühl alsBedingungsgrund und Mittelpunkt seelischer Ganzheit"5 eine zentrale

Bedeutung zu. Während beim Tier der Instinkt zwischen Empfindungs-eindruck und Bewegungsantrieb, den beiden Polen der Vitalschicht, ver-mittelt, bedarf der Mensch infolge seiner Instinktenthebung einer anders-artigen Integrationsmitte

"

, die nach Vetter im Spannungsbezug vonGemüt und Gewissen zu sehen ist. In dieser seinshaften Instanz von Gemütund Gewissen überschneiden sich Geist und Leben sowie Innerung undÄußerung. Nur wenn das zentrale Organ voll ausgebildet ist, gelingt dieIntegration sowohl von Leben und Geist als auch von Empfindungsein-druck und Bewegungsantrieb im Vitalbereich, von Verstandeseinsicht undWillensentschluß im Bereich des Bewußtseins. Die Integration hat hieralso zwei Aspekte: den des vertikalen Schichtenaufbaus innerhalb derPerson und den der horizontalen Entsprechung von Innerung und Äuße-rung, also des Bezugs zur Welt, insbesondere zum Mitmenschen.

Die Störbarkeit des humanen Wesens und die Störung im einzelnenMenschen beruhen - vereinfacht ausgedrückt - auf der Möglichkeit einesAuseinanderbrechens der Strukturbereiche bzw. einer Verselbständigungihrer Funktion. Eine solche Störung ist gleichbedeutend mit einem Mangelan Integration. So wird beispielsweise ein triebhaft" genannter Charakterstrukturpsychologisch auf ein ausgeprägtes Überwiegen der Triebhaftig-keit gegenüber der Empfindsamkeit zurückzuführen sein, was eine emo-tionale Unstimmigkeit zur Folge hat.

4 Der hier eingeführte Integrations"-Begriff deckt sich nicht mit dem von Jaensch ge-prägten Begriff.5 A

. Vetter, Natur und Person, Stuttgart 1949, S. 216. Vgl. dazu: A. Vetter, PersonaleAnthropologie, Freiburg/München 1966, S. 159

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Waltraut Kunkel

Im Selbstgefühl erlebt der Mensch sein personales Innesein in der zwei-fachen Bestimmung des vital begründeten Eigenmacht- und des geist-bezogenen Selbstwertgefühls. Integration und Störung der Integrationwerden unmittelbar im Selbstgefühl erfahren. Gelungene oder miß-lungene Integration ist jedoch nicht nur im Selbstgefühl erlebbar, sondernzeigt sich auch im Mitgefühl und seinen entsprechenden Formen.

Methode der Untersuchung

Die tektonische Eigenschaft der Integration muß als das gesamte Erlebenund Verhalten durchdringender Wesenszug sowohl die tägliche Aus-einandersetzung mit der Umwelt und Mitwelt prägen als auch in jenenÄußerungen erscheinen, die in der Persönlichkeitsdiagnostik herangezogenwerden.

Es sind also zunächst theoretisch begründete Vermutungen darüber an-zustellen, wie sich Integration im täglichen Verhalten und in den vonuns ausgewählten diagnostisch relevanten Äußerungen der Stimme,

desWARTEGG-Zeichentests

, der Handschrift und des HoLTZMAN-Tests zeigen.Da keine Möglichkeit zu systematischer Beobachtung des täglichen Ver-haltens bei einer großen Zahl von Personen bestand,

mußten wir uns

auf Verhaltensbeurteilungen durch Bekannte,denen unsere Probanden

aus täglichem Umgang vertraut waren,stützen.

Wenn wir die Beurteilung durch Bekannte in dieser Untersuchungeinbeziehen und als Kriterium der Integration verwenden,

so setzen wir

dabei nicht voraus, daß die Eigenschaft, die mit dem theoretischen Begriff

der Integration gemeint ist, im täglichen Umgang vollständig erscheineund von den Mitschülern ganz treffend beurteilt werden könne; solcheUrteile können nicht als einziges und letztes Kriterium dafür gelten,

ob ein Mensch integriert oder nicht integriert sei. Sie sind aber ohneZweifel als bedeutsame Hinweise zu bewerten und haben als Kriterium

von diagnostischen Aussagen darüber hinaus besonderes Gewicht,weil

im Leben eines Menschen sehr viel davon abhängt,wie er von seinen

Mitmenschen beurteilt wird. Dem theoretisch nicht weniger bedeutsamenVergleich zwischen den verschiedenen anderen diagnostischen Medienim Hinblick auf Integrationsäußerungen kann hier nicht nachgegangenwerden.

Es war nicht unser Ziel, festzustellen, ob ein Diagnostiker aufgrund

seiner Gesamtbetrachtung der Ausdrucks- bzw. Projektionsphänomenezum gleichen Urteil über Integration kommt wie die Beurteiler des täg-lichen Verhaltens. Vielmehr suchten wir aufzuweisen

, daß Integrationin ganz bestimmten, nach theoretischer Überlegung abgegrenzten Quali-täten der diagnostischen Medien erscheine. Nur so läßt sich aufhellen,

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Zur Diagnostik des Gefühls

wie sich die strukturelle Eigenschaft der Integration in strukturellenZügen der verschiedenen Phänomene niederschlägt. Bei der Beurteilungder diagnostisch bedeutsamen Äußerungen wurde also keine Deutung,sondern eine möglichst phänomengetreue Beschreibung der aufgrund dertheoretischen Überlegungen als relevant erachteten Merkmale verlangt.Die Untersuchung erstreckt sich also auf die Merkmals- und nicht aufdie Deutungsebene. Trotzdem werden auf diese Weise die Deutungs-wege überprüft, nach denen sich im konkreten Fall die Deutung voll-ziehen würde, da diese Regeln nichts anderes sind als die von uns über-prüften Hypothesen.

Wir gingen nun in unseren Experimenten auf folgende Weise vor:102 Schülerinnen der 8. und 9. Klasse verschiedener Münchener Mädchen-Gymnasien beurteilten in Fünfer-Gruppen sich selbst und die anderenvier Mitschülerinnen, die ihnen aus täglichem Umgang in vergleichbarenSituationen seit Jahren bekannt waren. Diese Gruppen wurden innerhalbder einzelnen Schulklassen nach Zufall zusammengestellt, um den even-tuell die Angemessenheit der Beurteilung störenden Einfluß besondererpersönlicher Beziehungen zu vermindern. 17 Schülerinnen dienten einemVor-Versuch, so daß wir 8 5 Mädchen in den Haupt-Versuch übernahmen,von denen noch eines ausgeschieden werden mußte, da es unvollständigesTestmaterial abgeliefert hatte. Erfahrungen mit unserer Vorgehensweisehatten wir schon zuvor an einer Gruppe von 64 Studenten gesammelt.

Wir wählten nur Mädchen der Oberstufe, um das Problem der Ge-

schlechtsunterschiede in den Verhaltensbeurteilungen und den diagnostischprovozierten Äußerungen zu vermeiden, außerdem um die Fähigkeit zudifferenzierter Beurteilung zu nützen, die bei diesen Mädchen voraus-gesetzt werden konnte. Trotz der erheblichen Anforderungen, die unserExperiment an die Schülerinnen stellte, arbeiteten sie durchwegs bereit-willig mit.

Die Beurteilung erfolgte nach 66 Eigenschaftsbegriffen, die in gemein-samer Arbeit mit Professor Lersch dem Aufbau der Person" entnommen

wurden und auf Kärtchen mit einer kurzen Erläuterung vorgegebenwaren. Der Vorteil dieser Vorgehensweise schien uns darin zu liegen,daß Urteile nur in bezug auf solche Eigenschaften abgegeben werdenmußten, für die die deutsche Sprache Worte bereithält, die jedem Ge-bildeten vertraut sind. Um aber darüber hinaus sicherzustellen, daß sie

von allen Beurteilern in weitgehend gleicher Weise verstanden wurden,fügten wir jeder dieser Eigenschaftsbezeichnungen eine kurze Bestimmungbei, die umschreiben sollte, was darunter zu verstehen sei. FolgendesBeispiel mag das verdeutlichen: Gefühlsunecht": Man merkt, daß hinterseinen (ihren) Gefühlsäußerungen kein wahres Erleben steht.

Bei jeder Beurteilung mußten die Eigenschaften in 7 Stufen nach dem

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Waltraut Kunkel

Grad ihres Zutreffens in vorgegebener Verteilung zugeordnet werden.

Ein Vorteil dieser Vorgehensweise ist darin zu sehen, daß sich die Urteilenicht auf irgendwelche Gruppennormen beziehen, sondern die Gewich-tigkeit der einzelnen Eigenschaften im Hinblick auf die individuelleEigenart der Persönlichkeit abgeschätzt werden mußte, woraus sich dieMöglichkeit ergibt, individuelle Dominanten herauszustellen.

Die befriedigend übereinstimmenden Urteile, die jedes Mitglied derFünfer-Gruppen von den vier Mitschülerinnen im Hinblick auf jede dereinzelnen Eigenschaften erhielt, wurden gemittelt, um zufällige Urteils-fehler so weit als möglich auszugleichen. Da die Selbstbeurteilung Pro-bleme besonderer Art aufwirft

, die einer hier nicht möglichen ausführ-lichen und verzweigten Diskussion bedürften, soll sie in dieser Unter-suchung nicht weiter berücksichtigt werden. Es sei nur darauf hingewiesen,

daß die Übereinstimmung zwischen Selbstbeurteilung und Fremdbeur-teilung im großen und ganzen recht gering war.

Um nun ein Urteil darüber zu gewinnen, ob unsere Probanden als

integriert oder nicht integriert zu bezeichnen seien, konfrontierten wir

deren Mitschülerinnen nicht mit einer direkt darauf abzielenden Frage,

da sie uns zu umfassend und zu komplex erschien, um von psychologischenLaien angemessen beurteilt werden zu können. Wir wählten dagegenden Weg, von Professor Lersch jene Eigenschaften, die wir seinemAufbau der Person" entnommen hatten

, auswählen zu lassen, die auf

Integration bzw. Dissoziation hinweisen. Im Gange dieser Auswahl ge-wichtete Professor Lersch die einzelnen Eigenschaften entsprechendihrer Bedeutung für die Integration bzw. Dissoziation.

Professor Lersch wählte als für Integration" und Dissoziation"

sprechend die folgenden Eigenschaften aus und gewichtete sie in der an-gegebenen Weise:

3

gelassengewissensgebundengemütvollnatürlich

Integration2

selbstsicher

entschlußfähigkonkret anschaulich denkend

religiöszufrieden

Eindrucksfähigkeitdes Gefühls

Dissoziation

3

gefühlsunechtverkrampft

nervös

mißmutiggereizttriebhaft

illusionistisch

eigensinnigpedantisch

furchtsam

eifersüchtigmißtrauisch

ehrgeiziggeltungsstrebend

5IO

Zur Diagnostik des Gefühls

Ein Gesamturteil über den Ausprägungsgrad der Integration bzw. Disso-ziation ermittelten wir in der Form, daß wir die Urteile, die für jedePerson in den einzelnen Eigenschaften in Graden des Zutreffens ab-gegeben worden waren, gewichteten und zu einem Endurteil zusammen-faßten.

Von den gleichen Mädchen wurden durdi Psychologie-Studenten imRahmen von wissenschaftlichen Hausarbeiten eine Bandaufnahme der

Sprechstimme, ein WARTEGG-Zeichentest, eine standardisierte Bleistift-Schriftprobe und ein HoLTZMAN-Test erhoben. Die Merkmale der Aus-drucks- und Projektionsphänomene wurden selbstverständlich ohneKenntnis der Schülerbeurteilung bestimmt.

Nach diesen allgemeinen theoretischen und methodischen Überlegungenwenden wir uns nun den einzelnen diagnostischen Verfahren zu.

7. Diagnose der Integration aus dem Ausdruck der Sprechstimme

Bei den von uns angewendeten Verfahren steht die Sprechanalyse derInterpretation des unmittelbaren Ausdrucksverhaltens am nächsten. Ausdiesem Grund wurde sie an den Anfang unserer Beschreibung gesetzt,die sich über die Ausdracksdeutung der Handschrift, den WARTEGG-Zeichentest und HoLTZMAN-Test immer mehr den eigentlichen Test-verfahren annähern wird.

Die Unmittelbarkeit der Sprechanalyse mag daraus erhellen, daß Band-aufnahmen - als bloße Konservierung zu verstehen - theoretisch für dieBearbeitung des Stimm-Materials, nämlich die Aufnahme der Einzel-merkmale, unterbleiben können, ja gelegentlich verfälschende, weil denKlang verzerrende Wirkung haben. Gleichwohl kann praktisch die Aus-drucksdeutung der Sprechstimme ohne dieses technische Hilfsmittel nichtauskommen, da der unmittelbare Mitteilungscharakter der Stimme denHörer so sehr gefangennimmt, daß auch der geübte Diagnostiker nurschwer zu einer brauchbaren Merkmalsanalyse im einmaligen Höraktkommen wird.

In die Gestaltung des alltäglichen Sprechaktes gehen zwei Faktorenein: die sich im Klang manifestierende stimmliche Ausdrucksbewegungund der persönliche Sprechstil, beide in Beziehung zueinander durch ihreErgänzung oder ihre Widersprüchlichkeit diagnostisch fruchtbar. Wennwir auf das freie Gespräch mit unseren Versuchspersonen verzichteten,so waren wir uns bewußt, daß wir damit die Interpretationsmöglichkeitdes Verhältnisses zwischen Sprechstil und Stimmausdruck verschenktenund zudem Gefahr liefen, durch vorgegebene zu lesende Texte eine

5"

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künstliche Situation zu schaffen, die möglicherweise als ausgesprochen

aufgabenbedingt" aufgefaßt werden und somit die stimmliche Äußerungverfälschen könnte. Dagegen stand jedoch die Überlegung des Gewinneseiner für alle Versuchspersonen gleichartigen und vergleichbaren Versuchs-

situation, die Vertrautheit unserer Probandinnen mit der Lesesituation

,

die leichtere Handhabung des Verfahrens und vor allem der praktischeAusschluß des Mitteilungssinnes für die beurteilenden Experten. Als Textwurde eine Stelle aus Erich Landgrebe: Das kurze Leben des Vincentvan Gogh"

gewählt, ein persönlich menschlicher Inhalt im sachlich ruhigenStil der Erzählung, der innere Anteilnahme des Sprechers erlaubt,

ohnejedoch der dramatischen Akzentuierung zur adäquaten Gestaltung zubedürfen oder gar schauspielerische Fähigkeiten zu verlangen oder auf-zudrängen. Jeder Sprecherin wurde genügend Zeit gelassen, sich in denText einzulesen; aus einem längeren Abschnitt wurde nach Ablauf derEinübungszeit eine Aufnahmezeit von etwa i bis 2 Minuten als genügendangesehen. Die technischen Aufnahmebedingungen konnten dabei mitAusnahme verschiedener Resonanzverhältnisse in normalen Schulräumen

und einiger variierender Außengeräusche konstant gehalten werden.

Die Merkmalsaufnahme wurde von drei Experten übereinstimmenderSchulung vorgenommen und in freier Diskussion gegeneinander ab-gewogen. Der für diese Reihenuntersuchung entworfene Merkmalsbogensoll hier im ganzen dargestellt werden, da die sehr komplexen hypothe-tischen Syndrome für die Feststellung von Integration bzw. Dissoziationohnehin praktisch die Gesamtbreite der Merkmale umfassen. Wir ver-zichteteten auf die Auswertung der Klangfarbe, um möglichen Täu-schungen durch die Bandqualitäten nicht zu verfallen und ließen auch vonvornherein die formalen Stimmqualitäten wegfallen,

da diese durch die

Textvorlage zu sehr festgelegt waren. Es blieben 11 Merkmale, die in jefünf Ausprägungsgraden eingestuft wurden, nämlich ausgewogen oderneutral" (der Mittenbereich, Stufe 3), vorhanden" (Stufe 4), nicht vor-

handen" (Stufe 2), extrem vorhanden" (Stufe 5),extrem nicht vor-

handen" (Stufe 1).

Die 11 Merkmale waren wie folgt definiert:1. Tempo (T) meint die Geschwindigkeit der Sprechbewegung, meßbar

als Silbenzahl in der Zeiteinheit.

2. Temposchivankung (Ts) meint die Schwankung der Ablaufgeschwin-digkeit im Sinne eines hohen bzw. tiefen Schwankungsgrades.

Menschen

mit niedrigem Schwankungsgrad sprechen also in gleichmäßigem Tempo,

unabhängig davon, ob das Gesamttempo langsam oder schnell ist. Tempo-schwankung ist also ein Verlaufsmerkmal.

3. Artikulationsgrad (Ag) meint den Ausprägungsgrad der Artikula-

512

Zur Diagnostik des Gefühls

tionsbewegungen, also die Präzision, in der die einzelnen Laute und Kon-sonanten gebildet und voneinander unterschieden werden. Ag (- !) würdealso eine Sprechweise bezeichnen, die die Formung der einzelnen Sprach-laute so nachlässig handhabt, daß die Verständlichkeit zu leiden beginntund man das Ergebnis dieser Sprechweise als verwaschen"

, genuschelt"

oder dergl. bezeichnen könnte.4. Artikulationsart (Aa) ist ein qualitatives Merkmal und meint die

Hervorhebung der vokalischen bzw. konsonantischen Artikulation. Dervokalisch artikulierende Sprecher gibt dem Klang und seiner Formungden Vorzug, beim konsonantisch Sprechenden treten die geräuschhaftenKonsonanten einschnitthaft in den Vordergrund. Sie sind scharf undprägnant, gelegentlich knallig

"

,während die Vokale hinsichtlich ihrer

Gewichtigkeit und Dauer zurücktreten. Die Merkmale Ag und Aa be-trachten also beide die Sprachformung, einmal hinsichtlich des Aus-prägungsgrades im ganzen, zum anderen hinsichtlich der Bevorzugungder einen oder anderen Gestaltungsart. In unserer Skala ist dabei diekonsonantische Artikulation auf der Minus-Seite, die vokalische auf der

Plus-Seite definiert, das Mittelfeld meint Ausgewogenheit zwischen beidenArtikulationsarten. Beide Merkmale können unabhängig voneinandervariieren, d. h., sowohl in einem hohen wie in einem niederen Ag könnenkonsonantische bzw. vokalische Aa vorherrschen.

5. Höhe (H) ist die im allgemeinen durchgehaltene Höhenlage derSprechgewohnheit. Die Interpretierbarkeit der Höhe ist insofern zu dis-kutieren

, als sie zum Teil vom Bau des Kehlkopfes (wie etwa die Unter-scheidung zwischen männlichen und weiblichen Stimmen) abhängig ist.Da aber der individuelle Gesamtumfang der Stimme erfahrungsgemäßstets größer ist als der beim Sprechen benützte, gibt es also Sprecher, diedie Gesamtmöglichkeit ihrer Stimme hinsichtlich der Höhenunterschied-lichkeit nach oben oder nach unten akzentuieren, also dazu neigen, eherdie Höhenlagen oder aber die Tiefen ihrer Stimme einzusetzen. Im Sinnedieser Sprechgewohnheit" ist die Tonhöhe sehr wohl ein Indiz persön-lichen Ausdrucksverhaltens.

6. Melos (M) meint die Tonhöhenschwankungen, das Auf- und Ab-

schwingen der Stimme bezüglich der Höhe während des Sprechaktes. Dasauf der Plus-Seite der Skala definierte reiche Melos" bevorzugt großeIntervalle, das auf der Minus-Seite zu suchende arme Melos" verfügtlediglich über niedere Tonschritte. Das sehr arme Melos" (Stufe 1)würde bei einer Tonhöhenschwankung von nicht größer als etwa einerQuart beginnen, und also bereits der Monotonie zuneigen. Es ist mitdiesem Merkmal nur der Schwankungsbereich der Tonhöhe angesprochen,über den Verlauf, also die Geschwindigkeit der Tonhöhenschwankung,ist nichts ausgesagt.

33 Wirklichkeit der Mitte 513

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7. Lautstärke (L) meint die Phon-Stärke der Stimme.8

. Lautstärke-Profil (Lp) meint Lautstärkeunterschiedlichkeiten. ImSprechablauf werden verschiedene Laute bzw. Silben verschieden starkbetont. Der Grad dieser Unterschiedlichkeit zwischen leisen und lauten

Silben ist individuell verschieden. Auch Hervorhebungen des Bedeutungs-gehaltes können u. a. durch Lautstärkeunterschiede zum Ausdruck gebrachtwerden. Wiederum ist wie beim Melos lediglich der gradmäßige Laut-stärkeunterschied, also der Schwankungsbereich zwischen sehr laut undsehr leise bei starkem Profil, bzw. der geringe Schwankungsgrad ent-weder nur leise, nur mittel

, nur laut gemeint, nicht aber der Ablauf,also

die zeitlichen Verhältnisse, in denen die Lautstärkeschwankungen statt-finden.

9. Spannung (Sp). Mit dieser Bezeichnung beginnen die komplexerdefinierten Merkmale, die sich strenggenommen aus verschiedenen ein-zelnen Komponenten zusammensetzen. Hier ist der Spannungsgrad ge-meint

, der der Sprechweise innewohnt. Stellt man sich den Spredivorgangentstanden aus dem Grundmaterial des Atemstromes vor, das im Kehlkopfin Klang umgesetzt, im Ansatzrohr (Zunge, Lippen, Zähne) als Artiku-lationsapparat zum Sprachlaut geformt wird, so kann der Atem einengewissen Druck gegen Kehle und Sprechwerkzeuge ausüben, den diesedurch Gegenspannungen beherrschen müssen (hoher Spannungsgrad),oder er kann so leicht fließen, daß kein Gegendruck notwendig wird(entspannte Sprechweise). Hörbar wird dieses Phänomen u. a. in der ge-preßten oder gequetschten Färbung der Vokale, aber auch in den ab-gedrosselten Endphasen, knalligen Nebengeräuschen, wenn der Druck dieBremsungsbarrieren durchbricht und dgl.

10. Rhythmus (Rh) meint den Gesamteindruck des Sprechverlaufes,bei dem Lautstärkeverschiebungen, Tonhöhenschwankungen und Tempo-unterschiedlichkeiten im Charakter ihres Verlaufes zusammengefaßt alsganzheitlicher Eindruck wiedergegeben werden, eingeordnet auf den Polen

stoßend" (Minus-Seite) und schwingend" (Plus-Seite).11. Fülle (F) ist zu unterscheiden von der Lautstärke, denn dieses

Merkmal spricht nicht die eigentliche Lautheit, sondern die Rundheit"der Stimme an, ist also ein ganzheitliches Resonanzphänomen, das dieBeteiligung der mitschwingenden Körperzonen unterscheidet. HoheFülle" würde vorwiegend die Beteiligung der Brustresonanz, aber unterMitbenutzung der Kopfstimme meinen, die selbstverständliche Einsatz-fähigkeit also aller Resonanzmöglichkeiten des Körpers, während geringeFülle" isolierte Resonanzgebung beinhaltet.

Die Überprüfung der mit diesen Stimm-Merkmalen zu bildenden Hypo-thesen hinsichtlich der Eigenart der Integration bzw. Dissoziation wurde

5i4

Zur Diagnostik des Gefühls

durch eine entsprechende Rangreihe aus dem Kameradenurteil in ebendiesen Rahmeneigenschaften" vorgenommen. Dabei ergaben sich imeinzelnen folgende Überlegungen:

Wie erinnerlich, waren die beiden gesuchten Rahmeneigenschaftendurch zwei unterschiedliche Eigenschaftsgruppierungen festgestellt wor-den, nämlich einmal durch Zutreffen von Integration, zum anderen durchdas Zutreffen von Dissoziation. Es ergaben sich also zwei verschiedeneRanglisten, deren erste von der Versuchsperson angeführt wird,

die den

höchsten Wert an Integrationspunkten trägt, während Rangplatz 84 denniedrigsten Wert an Integration, also das Nichtzutreffen jener Eigen-schaften meint, die die Rahmeneigenschaft der Integration bestimmen.Die zweite Liste verhält sich umgekehrt; nämlich hoch" meint Disso-ziation hoch und gegengleich. Ein Nichtintegrierter" kann also einmal

negativ durch die Abwesenheit von harmonisierenden Eigenschaften,das

andere Mal positiv durch die Anwesenheit von Störungseigenschaften,

etwa nervös", gereizt",

mißtrauisch"

, verkrampft"

, eifersüchtig"

usw. definiert sein. Für diese beiden unabhängig voneinander gewonnenenRanglisten konnte ein hochsignifikanter negativer Zusammenhang auf-gewiesen werden, ein Ergebnis, das psychologisch ohne weiteres verständ-lich ist. Trotzdem wurden in diesem Teil der Arbeit beide Grundmerk-

male gesondert voneinander behandelt, da sich dadurch zusätzlicheErfassungsmöglichkeiten durch das ausdruckskundliche Kriterium ergaben.Es wurden also einmal Integration" als die eingangs beschriebene Fähig-keit zur Harmonisierung" der Persönlichkeit verstanden, zum anderenDissoziation" als Auseinanderbrechen" der Persönlichkeitsbereiche, so

daß sich die Möglichkeit ergab, eine Syndromatik anzuwenden,die ein-

mal die Harmonisierung ausdruckskundlich darzustellen sich bemühtebzw. die Dissoziation als eine Störung verstand.

Um eine brauchbare Ausgangsgruppierung aus dem Außenkriteriumzu gewinnen, wurde die aufgrund der Kameradenurteile aufgestellteRangliste in drei Gruppen unterteilt (hoch, mittel, tief), wobei die Mittel-gruppe doppelt so groß gewählt wurde wie die beiden Randgruppen, diealso die Extremausprägungen erfaßten. Die zu bildende Merkmalshypo-these beinhaltete die Aussage, daß Personen der Gruppe Integrationhoch" sich durch ein bestimmtes Zusammentreffen von bestimmten Einzel-

merkmalen der Sprechstimme auszeichnen würden bzw. solche Versuchs-personen mit Integration tief" überdurchschnittlich gehäuft die gegen-teilige Merkmalskombination aufweisen würden.

Dabei ist zu beachten, daß nicht Einzelmerkmale in ihrer Gruppen-häufigkeit herangezogen wurden,

sondern Merkmalskombinationen, die

im Einzelfall zusammentreffen mußten, sollte das Syndrom" erfüllt sein.Erfüllte beispielsweise eine Versuchsperson von 5 geforderten Bedingungen

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nur 4, wurde sie ausgeschieden. Dabei waren in jedes Syndrom positivbestimmende

, also für das Vorhandensein der Rahmeneigenschaft spre-chende Merkmalskombinationen angegeben, aber auch ausschließendeverboten"

, was die Syndromatik verständlicherweise einengt, aber auchkompliziert, da ein ganz bestimmtes Merkmalsgefüge hergestellt wird

.

Wenn also die Merkmale ABC, die für Integration sprechen, zusammen-

treffen und damit die geforderten Bedingungen erfüllen, zugleich abermit dem Ausschließungsmerkmal D gekoppelt sind, dann ist die Inter-pretationseinheit von ABC gestört und die für diesen Sonderfall zu-treffende Versuchsperson wurde nicht mehr in die Gruppe Integrationhoch" aufgenommen.

Es entsprach der Eigenart der schwierigen Vorhersagen für die Rahmen-eigenschaften der Integration und Dissoziation

, daß alle Definitionennegativ gewählt wurden, aus der Grundüberlegung heraus, daß der inte-grierte Sprecher extreme Ausprägungen vermeiden müßte, während derdissoziierte - in der Definition einer Störung, wie sie die Eigenschaftennervös"

, gereizt" usw. anzeigen - gerade den Mittenbereich der Merk-male nicht benützen

, sondern in seiner Sprechweise in Extreme bzw.

Wechselmerkmale verfallen würde.

Für Vorhandensein von Dissoziation wurden folgende Vorhersagengemacht:kein mittleres Tempo, keine mittlere Temposchwankung;Spannung nicht tief, Rhythmus nicht extrem schwingend;Fülle nicht extrem hoch

, Tonhöhe nicht extrem tief.

Hinsichtlich seines Tempos wurde dieser Idealsprecher" der Disso-ziation also in Wechselmerkmale mit starken Schwankungen zwischenlangsam und schnell gezwungen, was für seine Reizbarkeit sprechenwürde, hinsichtlich der Stimmfülle mußte er isolierte Resonanzen benützen

und im übrigen wurden ihm Spannungen zugemutet bzw. Entspannungenverboten

, was auch hinsichtlich des Verbotes einer tiefen,

nach untenausklingenden, eher den hohen Diskant bevorzugenden Sprechweise zu-trifft. Es wurde davon ausgegangen, daß die Umkehrung dieses Syndromsbei denjenigen Versuchspersonen mit überdurchschnittlicher Wahrschein-lichkeit vorherrschen würde

, die der Gruppe Dissoziation tief" im

Außenkriterium angehörten.

Um die Arbeit" dieses Syndroms im einzelnen zu beobachten,wurde

aufgrund eines Sortierverfahrens das Zusammenwirken des vorher-

gesagten Merkmalsgefüges im einzelnen aufgebaut und kontrolliert. Inner-halb dieses Sortiervorganges wurde zumTeil nichtdie Beteiligung des Merk-mals am Syndrom, aber seine Definition abgeändert, so beispielsweise:

Spannung darf beim Dissoziierten nicht gering sein" ist umdefiniert in:

Spannung darf beim wenig Dissoziierten nicht extrem hoch sein.

"

516

Zur Diagnostik des Gefühls

Auch hinsichtlich des Rhythmus wurde bei Dissoziation tief" der

extrem stoßende Rhythmus ausgeschlossen, während andererseits das

Verbot des schwingenden Rhythmus bei stark Dissoziierten zahlenmäßigkeine Wirkung zeigt, was z. T. auf die kleine Versuchsgruppe zurückzu-führen sein mag. Die übrigen Hypothesen als Gesamtsyndrom arbeiteten,wie vorhergesagt, gegengleich. Der Versuch, ein niederes Lautstärkeprofilfür den Hoch-Dissoziierten zu verbieten, betraf nur noch eine Versuchs-person und kann wegen dieser kleinen Zahl in seinem diagnostischen Wertnicht gewürdigt werden.

Es hat sich also gezeigt, daß die Nervosität und Unausgeglichenheitdes Dissoziierten in der Abwesenheit eines mittleren Tempos und mitt-lerer Temposchwankung zum Ausdruck kommt. Der Mangel guterStimmfülle bringt das Versagen im freien Zusammenspiel aller Resonanz-möglichkeiten zum Ausdruck. In Verbindung mit der Abwesenheit der

Tieflagen zeigt sich in dem Syndrom ein Vermeiden vor allem der Brust-resonanz; die Vibration der Stimme geht also nicht mehr in das Körper-

gefühl des Brustraumes mit ein. Da umgekehrt ein extrem stoßender

Rhythmus beim wenig Dissoziierten nicht mehr auftreten darf, findetsich auch von da her eine Bestätigung, daß vorhersagegemäß das Aus-einanderbrechen" der einzelnen Merkmalsbereiche, die Unausgeglichen-heit - sowohl im Verlauf als auch im Mangel einer Einbettung desSprecherlebnisses in das Körpergefühl - den Dissoziierten kennzeichnen.

Tabelle I

Verteilungsergebnis des Merkmalssyndroms für Dissoziation[ -T(±);Ts(±);-F(-!);-H(-!) ]

Außenkriterium

hoch mittel tief

hoch 11 11 7

(i4,5) (7>*)

mittel 7 22 5 34

(8,5) (i7) (8,5)

tief 3 9 9 21

(5.2) (10,5) (5,2)

21 42 21 84

Bei dieser Darstellung sind die Versuchspersonen, die im Außenkriteriumin einer Gruppe zusammengefaßt waren, in den Spalten mit der stereo-typen Gruppierung 21-42-21 angeordnet; diejenigen, die in dem Stimm-

syndrom Zusammengehörigkeit zu einer Gruppe zeigten, in den Zeilen.

5i7

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In diesem Fall zeigten also 29 Versuchspersonen das Syndrom Disso-ziation hoch", von denen 11 auch im Außenkriterium hoch lagen, 11 dortim Mittenbereich und 7 im Bereich tief". Gegengleich läuft die Häufig-

keitsverteilung für das Stimmsyndrom Dissoziation tief". Der Mitten-

bereich des Stimmsyndroms kommt so zustande, daß alle jene Versuchs-

personen, die weder hoch noch tief klassifiziert werden konnten, in den

Mittenbereich genommen wurden. Die in der Tabelle in Klammern ge-

gebenen Zahlen geben die Erwartungswerte bei Zufallsverteilung an.

Da eine Definitionsänderung während des Sortierungsvorganges vor-genommen wurde, bedarf dieses Ergebnis der Nachprüfung.

Die Hypothese, die die Wahrscheinlichkeit einer vorhandenen hohenAusprägung von Integration vorhersagte, ging von der gleichen Grund-überlegung aus. Sie verbot nämlich die extremen Ausprägungsgrade. DasTempo wurde dabei nicht mit herangezogen. Beim Dissoziierten als mitt-leres Tempo ausgeschlossen, würde es eine durch das individuelle Tem-perament der Einzelperson bedingte Frage sein, in welchem Tempo -Integration vorausgesetzt - die Einzelperson sprechen würde. Dagegenwurde der Artikulationsgrad herangezogen in der Überlegung, daß inte-grierte Persönlichkeiten nicht schlecht artikulieren dürften. Diese Defini-tion - Ag (-!, -) wurde umdefiniert in + Ag ( + ); d. h., in Frage kom-men nur solche Versuchspersonen, die einen guten Ausprägungsgrad auf-weisen

, ausgeschlossen werden alle anderen,

also auch die, die einen extrem

hohen Artikulationsgrad besitzen. Beide Definitionen sind sich darin einig,

daß derArtikulationsgrad auf der positiven Seite liegen muß und keines-falls das Negativum berühren darf. Die zweite Definition ist aber wesent-lich enger als die erste, da sie den mittleren und den extrem hohen Artiku-lationsgrad zusätzlich ausschließt. Daß eine extrem hohe Ausprägung derLautstärke und des Lautstärkeprofiis ausgeschlossen wurde, ist ohne weite-res verständlich, da der ständig laut Sprechende, der diese Lautstärke auchnoch mit großer Lautstärkeunterschiedlichkeit versieht

, jedenfalls in einemadressierten Affektstoß gegen die Umwelt stehen würde, der dem in sichruhenden Integrierten nicht eigen sein kann. Aus dem gleichen Grundwurde extrem stoßender Rhythmus verboten. Wenn wir für den hochIntegrierten auch das extrem reiche Melos verbieten

, so mag das zunächsterstaunen

, da das starke Schwingen des Tonhöhenbandes möglicherweiseeine Innerlichkeit verrät

, die gerade dem zentrierten und in sich harmoni-schen Sprecher eigen sein sollte. Da aber nur der extreme Ausprägungs-grad ausgeschlossen wurde, ist diese Vorhersage so zu verstehen

,daß

Gefühlsexaltation, das überchwenglich starke Auf und Ab der darstellen-

den Sprechweise, dem Integrierten abzusprechen ist, eine Überlegung,die

sich im Sortiervorgang als ausgesprochen ergiebig erwiesen hat. BeimRhythmus ergab sich die gleiche Erfahrung wie schon bei der Feststellung

518

Zur Diagnostik des Gefühls

der Dissoziierten. Diese Hypothese zeigt in der Verteilung zwar eindeu-tige, nicht aber ausreichende Tendenz in der vorhergesagten Richtung.

Zu einer Ermittlung der optimalen Verteilung am empirischen Materialführten uns folgende Überlegungen:

Bei der Durchsicht der im Kameradenurteil zu der Feststellung Integra-tion hoch" führenden Eigenschaftsgruppierungen fallen folgende Eigen-schaften auf, die sowohl für Integration als auch für Gefühlswärme spre-chen

,wenn auch zum Teil in verschiedener Gewichtung: natürlich

"

,

gemütvoll"

, Eindrucksfähigkeit des Gefühls"

,zufrieden"

, gelassen".

Leider müssen wir die Frage offenlassen, ob in dieser Untersuchung perdefinitionem die Integration vom Außenkriterium her mit einem gewissenAnteil von Gefühlsärme geladen war oder ob Integration eben tatsäch-lich nicht nur formal als eine gewisse Ausgeglichenheit des in-sich-ruhen-den Menschen, sondern auch durch einen Anteil an Gefühlswärme undGemüthaftigkeit inhaltlich zu formulieren ist.

Um die Veränderung des Syndroms für Integration zu erklären, mußaus diesem Grund kurz auf das Stimmsyndrom für Gefühlswärme hoch"

eingegangen werden. Dieses Syndrom, ausgesprochen komplex gebaut,mit Ausnahme der Temposchwankung mit allen Merkmalen arbeitend,

konnte in vollem Umfang der Vorhersage bestätigt werden. Es ging voneinem dominant gegebenen reichen Melos aus, d. h

., nur solchen Spreche-rinnen sollte Gefühlswärme zugestanden werden, deren Sprechweise her-vorstechend in der Gesamtgestaltung durch stark schwingende Tonhöhen-veränderungen gekennzeichnet waren, die sich bevorzugt in tiefererStimmlage abspielen sollten. Damit war der gefühlswarme Mensch aufdie lockere, weiche und kultivierte Funktion des klangbildenden Kehl-kopfes akzentuiert, vom Hörbild her in eine vorwiegend musikalischeSprechformung eingebunden. Die trotz vorhandenem reichen Melos dieGefühlswärme ausschließenden Bedingungen waren vielfältig: Die gesamteBreite der konsonantischen Artikulation wurde ausgeschlossen, ebenso wieder extreme Ausprägungsgrad der Artikulation überhaupt, womit einebetont starke Willenshaltung gekennzeichnet wäre. Überschnelles Temposowie laute Sprechgewohnheit bei übergroßem Lautstärkeprofil sind alsAusschluß der Gefühlswärme ohne weiteres verständlich, würden sie docheine gehetzte, affektive bis aggressive Sprechweise ergeben, die als hervor-

stechende Triebhaftigkeit die dominante Emotionalität nicht mehr wahr-

scheinlich machte. Das gleiche gilt für den hohen Spannungsgrad und den

stoßenden Rhythmus, der ebenso wie die geringe Fülle als Isolierungs-merkmal verboten war.

Das Syndrom von Integration ging davon aus, daß eher im Rhythmus,der schwingend und weich gehalten bzw. als stoßend verboten wurde,

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die Gefühlsbeteiligung des harmonisch Integrierten zum Ausdruck kom-

men würde. Diese Vorhersage, nur zum Teil bestätigt, ließ die mehr inhalt-liche Bestimmung als Kernmerkmal der Gefühlswärme, nämlich dasreiche Melos, unberücksichtigt; ein Merkmal, das nun nach den vorgeschil-derten Überlegungen im Vergleich mit dem Außenkriterium in das Syn-drom eingefügt wurde. Es hatte sich in der ersten Hypothese gezeigt,

daßein überreiches,Melos beim Integrierten nicht anzunehmen ist, daß er alsonicht in der Gefahr

, einseitiger Gefühlsmensch zu sein, stehen dürfe. Um-gekehrt zeigte sich aber nun, daß für Integration hoch" das geringe Melosauszuschließen ist

, während die hohe Stimmfülle, also die ausgesprocheneSattheit" des Klanges und die Benutzung der vollen Resonanz, für den

Nicht-Integrierten nicht mehr zutrifft. Diese Veränderung der Hypothesestellt praktisch eine Vereinigung unserer beiden Anfangsgedanken dar,einmal die bis zur letzten Konsequenz vorgetriebene Annahme,

daß Aus-

geglichenheit im Mittenbereich der Merkmale den strengen Ausschlußder Extremausprägungen meint [hier also nicht nur -M (+!),

sondernzusätzlich: -M (-!,-) bzw. reziprok ausgedrückt: + M ( + , + )], zum an-deren, daß die Gefühlsbeteiligung zumindest durch die Definition desAußenkriteriums dahingehend abzuändern sei, daß das für die Gefühls-wärme dominant arbeitende Merkmal des reichen Melos in dem Syndrommitenthalten sein müßte

, wenn auch hier die individuelle Dominanz desmelodischen Reichtumes nicht verlangt wurde. Durch diese Überlegungenkonnte eine gut überzufällige Verteilung festgestellt werden,

die freilich

einer Überprüfung bedarf, da wir an dieser einen Versuchsgruppe em-pirisch gewonnene Erfahrungen in das Syndrom einbauten.

Stimmsyndrom für Integration hoch":+ Ag( + ); +M(±, + ); - L ( + ,+ !); -Lp(+!); -Rh(-!);-F(-!).Das Syndrom für Integration tief" arbeitet gegengleich,

wobei aller-

dings die Aussortierung - Rh (+ !) und -F (+!) nur noch die Verän-

derung von jeweils einer Versuchsperson bringt, da die Festlegung durchAg, M und Lp die Teilstruktur bereits stark genug festlegen dürfte.

Betrachten wir abschließend auf dem Hintergrund dieser Erfahrungendas Syndrom für den hoch Dissoziierten,

so wird klar, daß auch hier

Gefühlsmomente mit eingeflossen sind, die der Sprechweise des Integrier-ten diametral entgegengesetzt sind.

Im Merkmal der Fülle finden wir eine spezifisch dem Stimmklang an-haftende Bestimmung, die die Resonanz und letztlich auch die Register-freiheit beim Dissoziierten in Abrede stellt

, während umgekehrt für denIntegrierten der Mangel an Fülle verboten wurde. Folgerichtig verhältsich das Merkmal bei den Ausschließungssyndromen, da der wenig Inte-

520

Zur Diagnostik des Gefühls

Tabelle II

Verteilungsergebnis des Merkmalssyndroms für IntegrationAußenkriterium

hoch mittel tief

hoch 9

(5)11

(ro)0

(5)20

mittel 9(10,2)

22.

(20,5)10

(10,2)41

tief

(5,7)9(11,5)

11

(5.7)23

21 42 21 84

grierte keine hohe Fülle, der wenig Dissoziierte dagegen hohe Fülle besit-zen muß. In der Klangfülle liegt damit ein Merkmal vor, das in allen vier

Syndromen völlig gegengleich arbeitet und demnach wohl als das Kem-merkmal der Integration bzw. Dissoziation angesprochen werden muß.

Die Interpretation liegt auf der Hand: Die Farbigkeit des Sprechens, näm-lich das Ansprechen der Brustresonanz bei Erhaltung der hellen Kopf-töne, kommt zustande, wenn hohe Spannungen im Körper vermiedenwerden, da durch Versteifungen die Schwingungsfähigkeit der Resonanz-

räume leidet. Andererseits muß aber auch genügende Lebendigkeit vor-handen sein, um Erschlaffungszustände zu vermeiden. Es läßt sich in derSelbstbeobachtung leicht nachprüfen, daß das Vibrationserlebnis derStimme im eigenen Körpergefühl ohne weiteres bewußt zu machen ist,falls die Resonanzen gut ansprechen. Man kann also bei großer Füllevon einer Einlagerung des Sprecherlebnisses in das eigene Körpergefühlsprechen. Die erlebnismäßige Rückbezogenheit auf die eigene Leiblichkeit

mag als Ausdruck jener Eigenschaft gelten, die wir in unserer Definition

für den Integrierten annahmen: seiner selbst inne"zuwerden, in-sich-zu-ruhen"

. Das freie Spiel der Resonanzen innerhalb eines ausgeglichenenMelos bildet physiologisch augenfällig das Integrieren

"

,nämlich das:

Ineinanderspielen der einzelnen Bereiche ab, wobei man die Körperzonenvon Brustraum, Kehle und Ansatzrohr gleichsam als Repräsentanten der

Schichten der Persönlichkeit ansehen kann. Ausschließung von extremerLautstärke und von extremem Lautstärkeprofil verbietet das Vorherrschenextremer Antriebe und überstarker Adressiertheit und spielt dabei eben-

falls nicht nur auf die Ausgeglichenheit in der Gewichtigkeit der vertikalenSchichtung an, sondern auch auf Harmonisierung im horizontalen Polbezugvon Äußerung und Innerung. Auch der Rhytmus, für hohe Integrationwie für tiefe Dissoziation in seinen extrem stoßenden Formen ausgeschlos-

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Waltraut Kunkel

sen, für die niedere Integration folgerichtig in extrem fließender Formverboten, zeigt deutlich als Gesamtverlaufseigenschaft im Eindruck diepositive Definition einer mittleren, schwingenden Ausgeglichenheit für dieIntegration; eine Feststellung, die die Tatsache, daß das Lautstärkeprofilbeim stark Dissoziierten nicht ausgesprochen flach, also nicht ausgeglichensein darf, ergänzt. Die bei der hohen Integration durch die Notwendigkeitreicher Melosgestaltung gegebene Gefühlskomponente zeigt sich bei derhohen Dissoziation durch die Abwesenheit der Tieflagen, die, wie erinner-lich, am Syndrom für Gefühlswärme Anteil hatte, so daß die Kombinationder vollen, tiefen Stimme

, die gerade bei Frauenstimmen,um die es sich

ja hier handelt, ein gemütvolles In-sich-Ruhen und die eigentliche

Wärme" des Klanges wohl für jeden Hörer unmittelbar zum Ausdruckbringt, bei der Dissoziation nicht vorliegen darf.

Abschließend können wir feststellen, daß die Diagnose der Sprechstimme

doch wohl in der Lage zu sein scheint, eine so komplexe und schwer-wiegende charakterdiagnostische Aussage wie den Grad der Integriertheitbzw. Dissoziiertheit feststellen zu können. Dabei ist zu beachten

,daß

keines der verwendeten Einzelmerkmale in der Lage gewesen ist,diese

Aussagekraft zu erreichen,sondern die Merkmale nur in ihrem Zusammen-

spiel - bzw. unter Berücksichtigung der sie ausschließenden Merkmale -zu einem Syndrom zusammengefügt arbeiteten, das gestaltpsychologischals eine Teilstruktur" aufzufassen ist. Je differenzierter man die Merk-malsaufnahme gestaltet, je stärker man sich also auf eindeutige Grund-merkmale beschränkt

, die nicht mehr auf sie bedingende andere zurück-geführt werden können, um so leichter wird es sein, solche Teilstrukturen"durchsichtig als je und je gegebenes Zusammenspiel dieser Merkmale auf-bauen und nachprüfen zu können. Um so mehr Merkmale werden aberim einzelnen am Syndrom teilnehmen. Beurteilt man dagegen ganzheit-liche Eindrucksqualitäten,

wie man sie etwa für die Kombination eines

mittleren Artikulationsgrades und eines eher reichen Melos als farbigeElastizität" hätte benennen können

, um so weniger Merkmale wird manbenötigen, um so mehr wird man aber von der intuitiven Beurteilungs-fähigkeit des Bearbeiters abhängig sein. Vielleicht ist dies der Grund,

warum das Merkmal Spannung" schlechter arbeitete als das der Ton-höhe", einfach, weil es schwerer eindeutig zu definieren und damit einheit-lich zu erkennen ist. Die von uns verwendeten Merkmale: Tempo",Temposchwankung", Artikulationsgrad", Artikulationsart", Höhe",Melos", Lautstärke" und Lautstärkeprofil" ebenso wie Rhythmus"

bei genügend langen Sprechphasen und Fülle" bei genügend guten Ton-aufnahmen, sind übrigens photoelektrisch aufzunehmen und demnach nichtnur der Schätzung des menschlichen Ohres, sondern auch der physikali-schen Messung zugänglich.

522

Zur Diagnostik des Gefühls

Wir glauben uns berechtigt, festzuhalten: daß die je und je gegebeneKombination dieser Merkmale als Teilstruktur anzusehen ist, in der ein

Merkmal in seiner diagnostischen Bedeutung das andere bedingt, durchausschließende Merkmale in eben dieser Bedeutung zunichte gemacht wird;daß also die Merkmale in eben diesem Zusammenhang nur eben dieseBedeutsamkeit erlangen, was für das Vorliegen eines echten Struktur-zusammenhanges spricht.

Waltraut Kunkel

II. Integration in der Handschrift

In einer erscheinungswissenschaftlichen Theorie der Handschrift ist dieSchreibbewegung von der im Schreiben entwickelten Schriftgestalt abzu-heben. In der Schreibbewegung vollzieht sich ein vitaler Antrieb, der sichauf die Gestaltung eines in der Vorstellung vorweggenommenen Schrift-bildes richtet und durch die Wahrnehmung des Schreibvorganges und desjeweiligen Schreibergebnisses gesteuert wird. Die vor allem sensorischbestimmte, vorgestellte Schriftgestalt geht zeitlich der motorisch bestimm-ten Schreibbewegung voraus; die wahrnehmbare Schriftgestalt, die in derSchreibspur verwirklicht ist, ist eine Folge der Schreibbewegung.

Bewegung und Form sind unmittelbar aufeinanderbezogen. IndividuelleEigenart zeigt sich in einer stärkeren Betonung der Bewegung oder derForm, von einer fortreißenden, die Form zerstörenden, ungesteuertenBewegung bis zu einer den Bewegungsfluß hemmenden und zerstücken-den starren Formung.

In einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Gestalt und Bewegungersdteint die Integration des vitalen Antriebs mit wacher Wahrnehmungund differenzierter Vorstellung in einer lebendigen und geistig durch-formten Schriftgestalt. Formlosigkeit zeigt ebenso wie Bewegungserstar-rung eine bedeutsame Störung der personalen Struktur an, die oft als Halt-losigkeit und Getriebenheit bzw. als Hemmung und Zwang erlebt und vonanderen wahrgenommen wird.

Wenn man aufgrund der Handschrift etwas über die so verstandeneIntegration von Geistigkeit und Vitalität (vertikal betrachtet), Sensorikund Motorik (horizontal betrachtet) aussagen will, wird man also zuerstnach der Ausgewogenheit von Form und Bewegung fragen.

Ein wesentliches die ganze Schrift durchdringendes Merkmal derSchreibbewegung ist die Elastizität, in der sidh ein stetig schwingenderWechsel zwischen Spannung und Lösung, eine geschmeidige Anpassungder Bewegung an die jeweilige Form, ein ungestörtes Zusammenwirken

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Hermann Brandstätter

der verschiedenen Bewegungsimpulse anzeigen. In Übereinstimmung mitanderen Autoren wird eine elastische Schrift von einer schlaffen einerseitsund einer steifen (starren) andererseits unterschieden.

Elastizität" ist die Hauptkomponente des noch komplexeren Merk-

mals Bewegungsrhythmus", in das außer Elastizität noch Differenziert-heit der Bewegung mit eingeht, und offenbart vor allem die Beschaffen-heit des Vitalbereiches

. Eine gesunde, kräftige Vitalschicht ist derAusbildung eines sicheren Selbstgefühls (Eigenmachtgefühls) und dadurch

auch der Integration förderlich. Man wird daher Elastizität in der Hand-schrift als zweiten Hinweis auf Integration auffassen und bei schlaffen oder

steifen Handschriften einen Mangel an Integration vermuten.

In strukturpsycholgischer Sicht im Sinne von August Vetter ist einwohlausgebildeter, lebendiger Gefühlsbereich Bedingungsgrund der Inte-gration. Dies erscheint auch in der von Ph. Lersch gewählten Umschrei-bung der Integration berücksichtigt, wenn Eigenschaften wie gemütvoll"und Eindrucksfähigkeit des Gefühls" genannt werden.

Da sich nach der erscheinungswissenschaftlichen Theorie der Handschriftin der Ausbildung der Mittelzone im Verhältnis zu den Ober- und Unter-längen zeigt, ob ein Mensch aus der Mitte des Gefühls heraus lebt oder imZwiespalt ausgespannt ist, müssen geringe Längenunterschiedlichkeit undmittlere Weite - die Hauptkennzeichen eines das Schriftbild tragendenMittelbandes - als weitere Hinweise auf Integration gelten.

Aus einer gelungenen Integration der Persönlichkeitsbereiche ergibtsich eine natürliche Sicherheit in der Begegnung mit der Umwelt,

die es

einem Menschen ermöglicht, unbefangen aus sich herauszugehen und sichden Lebensraum zu schaffen

, der dem eigenen Wesen entspricht. Dieskommt in den Eigenschaften selbstsicher"

, entschlußfähig" gegenübernervös" und furchtsam" zum Ausdruck und müßte sich in der Hand-

schrift als Ausbreitung und kräftige Berührung,also in breiten Buchstaben

und einem breiten und zugleich vorwiegend druckstarken Strich zeigen.

Man mag dagegen einwenden, daß Ausbreitung und kräftige Berührungirrelevant für das sei

, was eingangs als Integration" bezeichnet wurde;doch ist nicht zu übersehen

, daß in der von Ph. Lersch abgegrenztenIntegration diese Züge enthalten sind.

Demnach wird man also vermuten, daß die Schriften der Integrierten

folgende Merkmale aufweisen: elastisch, nicht einseitig form- oder be-wegungsbestimmt, nicht zu eng und nicht zu weit, geringe Längenunter-schiedlichkeit

, breite Buchstaben, breiter und zugleich druckstarker Strich.Gegen Integration sollen Schlaffheit des Strichs, Mangel an Formung,

mittlere oder große Längenunterschiedlichkeit, geringe Buchstabenbreite,schmaler und zugleich druckschwacher Strich sprechen.

Alle Schriftmerkmale, die teils einfühlend-ganzheitlich wahrgenommen

524

Zur Diagnostik des Gefühls

werden müssen und einen deutlichen Anmutungscharakter haben (Elasti-zität, Form- oder Bewegungsbestimmtheit), teils mehr einzelheitlich fest-gestellt werden (Weite, Längenunterschiedlichkeit, Buchstabenbreite,Druckstärke und Strichbreite), wurden sowohl in der Erkundungsgruppe(54 Handschriften) als auch in der Bestätigungsgruppe (30 Handschriften)ohne Kenntnis der Mitschülerurteile eingestuft.

Die ganzheitlichen Merkmale wurden von einem der Verfasser, die ein-zelheitlichen von etwa 40 Studenten beurteilt, die sich im 4. Semester einessechssemestrigen graphologischen Kurses befanden und über je zweiSchriften ein Merkmalsprotokoll erstellten. Von jeder Schülerin lag einnach Diktat mit einem Bleistift mittleren Härtegrades geschriebener Ein-heitstext (eine Fabel) vor. Die Aufmerksamkeit war beim Diktat dadurchvom Schreibvorgang auf den Inhalt gelenkt worden, daß angekündigtwurde, der Sinn der Fabel müsse am Ende mit einem Satz angegebenwerden.

Durch Zusammenfassung der Urteilsstufen ergab sich für jedes Schrift-merkmal sowohl in der Erkundungsgruppe als auch in der Bestätigungs-gruppe eine Einteilung der Handschriften in drei gleich häufig besetzteKategorien (3x18 Schriften in der Erkundungsgruppe, 3x10 Schriftenin der Bestätigungsgruppe). So wurden z, B. in der Erkundungsgruppe 18Schriften als schlaff, 18 als elastisch und 18 als steif bezeichnet.

Zwar bereitet die nach einfühlender Wahrnehmung erfolgende Ein-stufung der Schriften nach ganzheitlichen Merkmalen einige Schwierig-keiten, und sie ist oft mit dem Gefühl der Unsicherheit verbunden, da

widerstreitende Züge unter nicht immer eindeutig fixiertem Aspekt zufassen sind. Diese Form der Beurteilung genügt jedoch - wie gezeigtwerden könnte - sowohl der Forderung nach übereinstimmend wieder-holbarer als auch nach phänomennaher sprachlicher Bezeidmung. Alsphänomennah kann die sprachliche Bezeichnung eines anschaulich Ge-gebenen dann gelten, wenn die Vorstellung, die durch die Bezeichnung imHörer geweckt wird, sich in der dann folgenden Anschauung wesentlichbestätigt. Als übereinstimmend wiederholbar und damit einem gängigen,wissenschaftstheoretischen Postulat entsprechend kann eine Aussage überein Phänomen dann gelten, wenn zwei oder mehrere Beurteiler, die sichüber die Bedeutung der Worte geeinigt haben und mit der nötigen Dif-ferenziertheit wahrnehmen können, angesichts desselben Gegenstandesdie gleiche sprachliche Bezeichnung wählen.

Das handschriftliche Syndrom für Integration (bzw. Mangel an Inte-gration) wurde aufgrund theoretischer Überlegung und nach empirischerErprobung in der Erkundungsgruppe zusammengestellt und unverändertin der Bestätigungsgruppe zur Diagnose der Integration verwendet.

Ein Merkmal wurde nur dann als relevant betrachtet, wenn es in der

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Erkundungsgruppe mindestens doppelt so häufig bei den Integrierten als

bei den Nicht-Integrierten (bzw. umgekehrt) auftrat, wenn also das Ver-hältnis 6 zu 12 bzw. 12 zu 6 oder noch extremer war

.

Das Kriterium für Integration wurde aus den Mitschülerurteilen ab-

geleitet; der Grad des Zutreffens einer Eigenschaft wurde je nach demGewicht, das ihr in der Bestimmung der Integration von Professor Lerschgegeben wurde, mit +3, +2, +1, o, - 1, -2, -3 multipliziert. Eine Addi-tion dieser Produkte über alle 66 Eigenschaften ergab den Ausprägungs-

grad von Integration, wobei ein hoher Wert für, ein niedriger Wert gegenIntegration, also für Dissoziation spricht. Geringe Integration ist alsohier - wie auch beim Bericht über den HoLTZMAN-Test - gleichbedeutendmit hoher Dissoziation. Getrennt nach Erkundungs- und Bestätigungs-gruppe, wurden die Schülerinnen nach dem Grad der auf diese Weiseermittelten Integration in Integrierte" und Nicht-Integrierte" gleich-mäßig eingeteilt. 27 Personen der Erkundungsgruppe und 15 Personen derBestätigungsgruppe gelten so als integriert und ebensoviele als nicht-inte-griert.

Es war ursprünglich angenommen worden, daß noch andere ganzheit-liche Qualitäten (harmonisch - unharmonisch

, vielfältig - einförmig,eilig - langsam) für die Diagnose der Integration relevant seien. Da diese

Merkmale jedoch nur teilweise und nicht deutlich genug in die erwarteteRichtung wiesen (Integrierte schreiben eher harmonisch und mittelschnell;vielfältig - einförmig besagt nichts) wurden sie nicht weiter verfolgt.

Daß die übrigen Einzel-Merkmale,die in der Merkmalsliste von

Müller-Enskat 8 enthalten sind, für Integration relevant seien,

war nicht

erwartet worden; sie stellten sich auch tatsächlich als bedeutungslos heraus.

Die Diagnose integriert" wurde dann gestellt,wenn die Zahl der

auf Integration hinweisenden Schriftmerkmale (maximal 6) die Zahl derauf Störung der Integration deutenden Merkmale (maximal 5) überwog.

Dies ergab eine Einteilung in 28 nichtintegrierte Personen,von denen tat-

sächlich nur 7 von den Mitschülerinnen als integriert bezeichnet wurden,

und 26 integrierte Personen,von denen durch die Mitschülerinnen nur 6

als nichtintegriert eingestuft worden waren.

Um diese Befunde zu bekräftigen und zu überprüfen, wurden die 30Handschriften der Bestätigungsgruppe nach den gleichen Regeln im Hin-blick auf Integration beurteilt. Wieder galt als integriert,

wer in seiner

Handschrift mehr Hinweise auf Integration als Hinweise auf Störung derIntegration aufwies.

Von den 15 aufgrund der Handschrift als nicht-integriert bezeichnetenPersonen wurden nur 4 von den Mitschülerinnen als integriert bezeichnet,

W.H.Müller und A. Enskat

, Graphologische Diagnostik, Bern/Stuttgart 1961.

526

Zur Diagnostik des Gefühls

von den 15 nach der Handschrift als integriert beurteilten Personen warennach Meinung der Mitschülerinnen nur 4 nicht-integriert. Dies ist in Ab-bildung 1 graphisch dargestellt.

Abbildung 1Beziehung zwischen der Diagnose der Integration aufgrund eines Syndroms von Hand-

schriftmerkmalen und der Beurteilung der Integration durch Mitschülerinnen.

Erkundungsgruppe Bestätigungsgruppe(54 Mädchen) (30 Mädchen)

Integration nach dem Merkmalssyndrom der Handschrift

botu

1*

integriert

2-Snicht

integriert

Diagnose nach der Handschrift und dem Mitschülerurteil stimmen überein

j [ Diagnose nach der Handschrift und dem Mitschülerurteil widersprechen einander

Wie man sieht, hat sich die Erwartung auch in der zweiten Gruppe bestä-tigt. Damit kann man in die Befunde nicht nur aufgrund theoretischer Ein-sicht

, sondern auch aufgrund statistischer Wahrscheinlichkeit ein gewissesVertrauen haben. Denn der an statistisdie Prüf-Verfahren gewöhnte Leserkann sich vergewissern, daß für ein zufälliges Zustandekommen des ganzunabhängig gewonnenen Ergebnisses in der Bestätigungsgruppe nur 1%Wahrscheinlichkeit spricht.

Vielleicht erscheint dem strukturpsychologisch orientierten Leser dasberichtete diagnostische Vorgehen zu sehr dem herausgelösten Einzelmerk-mal und dem Auszählen von Häufigkeiten verhaftet. Doch sollte man

bedenken, daß zumindest drei der berücksichtigten Handschriftenmerk-male (Elastizität, Ausgewogenheit zwischen Bewegung und Form, Beto-

nung des Mittelbandes) von ganzheitlich-struktureller Art sind. Auch dieSchriftweite ist im Grunde ein strukturelles Merkmal, indem sie das Ver-

hältnis zwischen Grundstrichlänge und Buchstabenbreite und damit dieAusgewogenheit zwischen vertikaler und horizontaler Bev/egungsrichtungim Mittelband beinhaltet.

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Waltraut Kunkel

Sobald größere Vergleichsgruppen zur Verfügung stehen, wird man

dem theoretischen Begriff der Struktur auch in der statistisch-empirischenPrüfung noch näher kommen, da man dann genügend große Untergruppenvon Personen findet

, die bestimmte strukturelle Züge als jeweils eigen-artige Merkmalskombination sowohl in der Handschrift als auch im Cha-

rakter gemeinsam haben. Dies bedeutet eine Annäherung an das letztlichunerreichbare Individuelle und an eine Darstellung der Persönlichkeits-

struktur aus einem Gefüge unterscheidbarer Züge geringerer Komplexität.

Hermann Brandstätter

III. Diagnose der Integration aus dem Wartegg-Zeichentest

Besitzt die Schrift in der Buchstabenform ihr vorstellungsmäßig gegebenesBildmaterial

, an dem sich Ausdrucksbewegung gestaltend vollziehen kann,

so ist in der freien Zeidmung der Einfall" ebenfalls individuelles Eigen-gut des Probanden. Aus diesem Grund ist bei der Zeichnung das Verhältnisder Ausdrucksbewegung, deren Spur sich automatisch im Strich registriert,

zum Einfall ebenfalls diagnostisch verwertbar, und diese Eigenart desAusgangsmaterials allein macht es notwendig, zum Teil andere Merkmals-

kategorien zu verwenden als in der Graphologie.

Der WZT gibt nun eine Vorlage, bei der auf 8 Feldern graphische Reizevorgegeben werden, zu deren Vervollständigung der Proband angehaltenund damit zu einer Reaktion genötigt wird. Inhaltlich völlig frei, ist eran graphisches Reizmaterial durch die Aufgabenstellung gebunden.

Die

Art dieser Reaktion geht in den Test mit ein, ja ursprünglich wurde aufdiese Testreaktion schlechthin bei der Interpretation abgezielt.

Dabei

wurde der Reiz als eine Anmutungsqualität"7 beschrieben.So wird bei-

spielsweise das Zeichen i, das im Schnitt der fiktiven Diagonalen desquadratischen Feldes einen kleinen Punkt trägt, in seiner Winzigkeit"als etwas Mittenhaftes

, Konzentriertes, Ursprunghaftes" beschrieben.Von den übrigen Zeichen hat jedes eine differente Anmutungsqualität,

deren jedes in einem bestimmten Verhältnis auf die anderen abgestimmtist. Bei der Auswertung geht man von der Annahme aus,

daß der Besdiauer

von dieser Anmutung betroffen wird und nun durch die graphische Reak-tion eine Antwort" auf diesen Reiz gibt, wie es in unserem Beispiel bezüg-lich Zeichen i etwa in der Auffassung als räumliche Mitte das Rad,

die

Schießscheibe oder dergl, als ursprunghafte Mitte die Blume,als Mitte

7 Maria Renner, Der Wartegg-Zeichentest im Dienste der Erziehungsberatung (Aus-

wertung von Vetter), München 1953.

528

Zur Diagnostik des Gefühls

einer zentrierten Kraftbewegung das Ausstrahlende eines sternförmigenFeldes und ähnliches sein könnte.

Nicht so sehr wird bei diesem Ansatz der Interpretation die Aufgabein den Vordergrund gerückt, die gleichwohl in der Vorlage enthalten ist,denn die vorgegebenen graphischen Reize wirken gleichzeitig als eineAnregung, aus der etwas zu machen" ist. Seien sie aber aktiv im Sinneihrer Verwendbarkeit oder eher pathisch im Sinne ihrer Anmutung ver-standen, die Versuchsperson wird stets in die Lage versetzt zu re-agieren,um in irgendeiner Form auf die Zeichen einzugehen. Sie kann den Reizaufnehmen und die Aufgabe lösen"

, d. h. adäquat beantworten und ver-arbeiten

, sie kann ihn aber auch nicht empfinden, ihn ablehnen und gleich-sam an der Aufgabe vorbeizeichnen"

.Beim Ausfüllen des Testes entsteht

also ein Vorgang, bei dem die Anmutung, die Anregung und die Beant-wortung im Einzelfall wohl unreflektiert ineinander fließen, um zu einemEinfall" zu werden, der dann zur Ausführung kommtDie zeichnerischen Einfälle sind stets inhaltlich zu definieren, denn auch

die rein formale Beantwortung würde den Inhalt Ornament" darstellen.Die Neigung der Versuchsperson, sich bestimmten Inhalten bevorzugt zu-zuwenden, wird also vom Test nicht nur nicht gestört, sondern im Gegen-teil durch die Nötigung der Reizbeantwortung provoziert. Es ist also indi-viduell verschieden, ob Menschen, Tiere, Pflanzen, die Atmosphäre destätigen Lebens, der sachlichen Welt oder ästhetische Formlösungen bevor-zugt werden und in welcher Mischung gegebenenfalls diese Inhalte er-scheinen. Dabei legt die Eigenqualität der Zeichen, in runde und eckigezahlengleich aufgeteilt, durch die Anregung ihrer Verwendbarkeit einmaleher die organische, einmal die sachbezogene Lösungsform nahe.

Wie aus dieser Einteilung der Zeichen hervorgeht, ist es nicht nur dasZeichnen schlechthin, das individuelle Formgebungen der Gestaltung pro-voziert; sondern durch die Anregung runder oder eckiger, großer oderkleiner, zarter oder schwerer Zeichen wird gleichsam eine Palette derFormmöglichkeiten angespielt, auf die der Zeichner eingehen oder die erablehnen kann. Die Breite des formalen Vokabulars, durch den Test im

Vorentwurf angeregt, kann also ebenfalls in individuell verschiedenerVariationsbreite erscheinen und ist der diagnostischen Auswertung um somehr zugänglich, als die Bevorzugung des einen, die Aussparung des ande-ren formalen Stilelementes Ausfallerscheinungen so gut wie Dominantenpersönlicher Eigenart zur Erscheinung bringt.

Neben dieser testreaktiven, der inhaltlichen und der formalen Gestal-

tung zeigt der Test natürlich auch in der Spur des Bleistiftstriches denNiederschlag der individuellen Ausdrucksbewegung und trägt so denunverwechselbaren Stempel des persönlichen graphischen Gestaltens. Diesegraphische Ebene"

, wie wir sie neben den drei übrigen, der formalen",

34 Wirklichkeit der Mitte

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Waltraut Kunkel

inhaltlichen" und testreaktiven" Ebene nennen wollen, über die ur-sprüngliche Konzeption von Wartegg hinausgehend, zu erschließen, ist imwesentlichen das Verdienst von A. Vetter, der damit den WZT mit dem

Wissensschatz der Graphologie konfrontierte und gegenseitige graphischeBereicherung schuf. Es machte einige Schwierigkeiten, diese graphisdieEbene, deren Vielfalt und Differenziertheit gerade der intuitiven Aus-wertung ein breites Feld bietet, für die statistische Erfassung aufzubereiten.

Die Grundgedanken unseres Vorgehens sollen zur besseren Verständlich-keit unserer Syndromatik kurz skizziert werden.

Wir wählten den Weg, auf Grundmerkmale zurückzugreifen, in derHoffnung, daß deren je und je gegebene Kombination sich zu Eindrucks-qualitäten zusammenschließen würden, die man dann etwa mit gestrafft",versteift"

, schwingend"

, klobig" usw. benennen könnte. Solche Benen-nungen, aus dem Wahrnehmungseindruck des Betrachters gewonnen, set-zen einer präzisen Definition ebenso wie einer objektiven, d. h. von mehre-

ren Betrachtern in gleicher Weise vorzunehmenden Erfassung erfahrungs-gemäß Schwierigkeiten entgegen. Greifen wir auf Elemente, deren je undje gegebenes Zusammenspiel eben diese Ausdrucksqualitäten ergibt, zurück,dann können wir diese Definitionsschwierigkeiten umgehen. Wir gingenalso bei der Merkmalserfassung nicht von dem Eindruck des Beschauers,

sondern von der Herstellung des Urhebers aus, was zunächst etwas nüch-

tern wirkt, aber durch die Vielzahl der Kombinationen eine sehr differen-zierte Erfassung ermöglicht. Zudem hat dieses Vorgehen den Vorteil, daß

die Herstellung im Ergebnis des registrierten Striches verhältnismäßigleicht ersichtlich ist, also gute Übereinstimmung mehrerer geschulterBetrachter bei der Merkmalsaufnahme erreicht werden kann.

Bei der Herstellung eines Striches ist der Zeichner genötigt, den Stiftmit einem bestimmten Gewicht (D = Druck), unter einem bestimmtenWinkel (W = Winkel) auf das Papier zu setzen, ihn mit einer bestimmtenGeschwindigkeit (T = Tempo) weiterzuziehen. Dabei verfolgt er inmehr oder minder starkem Grade eine Konzeption, d. h., seine Bewegungwird mehr gerichtet zielend oder mehr pendelnd, der freien Motorik

folgend, ausfallen, was sich in der Zeichnung in der gerichteten Konturgegenüber der Schattierungsbewegung zeigt (Sch = Schattierung). Die

Konzeption wird mit mehr oder weniger großer Richtungskonstanz ver-folgt (S = Sicherheit), und schließlich wird der Impuls eine mehr oderweniger lange Dauer besitzen (V = Verbundenheit). Mit diesen 6 Grund-

merkmalen, die aus dem Schreibvorgang entwickelt wurden - ein Ent-

wurf, mit dem wir im Grunde den Ansatz von L. Klages verfolgten -,glauben wir für die graphische Erfassung genügend Differenzierung zuerreichen. Allerdings muß die Einstufung eine genügende Spannweite um-

fassen und zudem eine qualitative Unterscheidung zulassen, die sich als

530

Zur Diagnostik des Gefühls

wichtig herausgestellt hat (gemeint ist die Stereotypie oder Variabilitätdes Merkmals). Diese Differenzierungen, in denen auch die Variations-breite des Merkmals eingeschlossen ist, sind auf einer pstufigen Skalamöglich, bei der das mittlere Feld die Neutralität des Merkmals (±)meint, die beiden äußeren Felder

, also 1 und 2 sowie 8 und 9,für die

Stereotypmerkmale in je 2 Ausprägungsgraden (vorhanden,

stark vor-handen) und der Bereich zwischen 3 bis 7 für die Variationsmöglich-keiten vorbehalten sind. Bei dieser Variation hat es sich als wichtig heraus-gestellt, das gesamte Vokabular im erscheinenden Merkmal aufzunehmen

,

also keine Mittelwerte zu schätzen. Das heißt praktisch,

ein Zeichner,

dereinmal sehr druckstark

, im gleichen Bogen aber auch sehr druckschwachzeichnet

, und zwischen diesen seinen extremen individuellen Ausprägungs-graden alle Schattierungen der Druckstärke zu durchlaufen imstande ist

,

wäre nicht etwa auf mittelstark" einzuschätzen, sondern er hätte zwischendruckschwach (Stufe 3) und druckstark (Stufe 7) alle Felder des Merk-

malsbogens besetzt. Das würde bedeuten: Er hat sowohl die Möglich-keit starker Druckgebung als auch die der Zartheit des Druckes

,nimmt

also bei einer maschinellen Merkmalssortierung in der Gruppenunter-suchung an allen Ausprägungsgraden der möglichen Druckvariabilität teil,scheidet aber für die stereotype Druckgebung aus. Die gleiche Differen-zierungsmöglichkeit, wie für die Druckgebung beispielhaft erwähnt, giltnatürlich für alle anderen graphischen Merkmale.

Es wäre zu platzraubend, wollten wir die Vielfalt des so entstehendenMerkmalsbogens beschreiben, der 24zeilig je 9 Stufen umfaßt, wobei

jedes Feld mit jedem kombiniert werden kann. So ist wohl der Grund-

gedanke des Vorgehens genügend geklärt, um die Hypothesebildung fürdie Diagnose der Integration bzw. Dissoziation darstellen zu können

.

In bezug auf die zahlenmäßige Erfassung ist dabei folgendes voraus-zuschicken: Ebenso wie bei der Bearbeitung der Sprechanalyse wurdenbeide Rangreihen verwendet, also Bestimmung Integration hoch" undDissoziation hoch". Es war also wiederum die Möglichkeit offen,

die

Hypothese als harmonisierendes Integrationssyndrom oder aber alsStörungssyndrom aufzufassen. Dabei wurde die Rangreihe aus demKameradenurteil in drei gleichgroße Gruppen unterteilt (Integrationhoch - mittel - tief) und nur eine Klassifizierung vorgenommen; eswurden nämlich die Versuchspersonen aussortiert, bei denen das Syndromunserer Vorhersage gefunden wurde. Alle Versuchspersonen,

die mit

dieser Klassifizierung nicht zu erfassen waren, wurden in die Gegengruppeaufgenommen, so daß eine 6-Felder-Gruppe entstand, deren auf der 5 %-Ebene signifikantes Verteilungsergebnis wir jeweils mitteilen werden.

Eine Voruntersuchung von 64 Versuchspersonen (männliche und weib-

liche Studenten) diente uns dazu, erste Erfahrungen zu sammeln. Zum

53i

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Waltraut Kunkel

Teil konnten wir die in der Erstgruppe eindeutig arbeitenden Syndromeauch in der Zweitgruppe signifikant nachweisen, zum Teil ergaben sichaus der Erstgruppe lediglich Tendenzen, die Erfahrungen für die Hypo-thesen der zweiten Versuchsgruppe lieferten.

Die ersterwähnte Möglichkeit, also ein in beiden Gruppen eindeutigverteiltes Ergebnis, wurde durch folgende Überlegungen erreicht: Wirhatten angenommen, daß der Integrierte angepaßt auf die Umwelt ein-gehen und zugleich in-sich-ruhend und harmonisch reagieren würde. Diesläßt sich im WZT am einfachsten in dem Merkmal harmonisch" er-

fassen, das auf der Ebene stilistisch formaler Gestaltung von uns quali-tativ erfaßt und innerhalb jedes Testbogens ausgezählt wurde. Die Defi-nition Harmonie vorhanden" (ha +) meint dabei,

daß einzelne Zeichen

aufgenommen und positiv gelöst, darüber hinaus aber eine Ausgewogen-heit der zeichnerischen Gestaltung erreicht wurde. Es fällt bei Betrach-tung der Testvorlage auf,

daß mit Ausnahme des mittenhaften Zeichens i

alle graphischen Reizgegebenheiten außerhalb des Mittelpunktes derFelder liegen und so den Zeichner nötigen,

will er harmonisch und aus-

gleichend das einzelne Feld gestalten, vom Zeichen wegzustreben undsich in irgendeiner Weise mit dem freien Raum auseinanderzusetzen. DasKleben am Zeichen"

, also einfach eine knappe Vervollständigung desvorgegebenen Reizes, wird diese Harmonisierung nie ergeben; vielmehrmuß hier die Reizgegebenheit mit dem Raumempfinden in Einklang ge-bracht und das ganze Feld als Ganzes in die Gestaltung miteinbezogenwerden. Aber auch ein irritiert überfahrendes oder auch aggressiv ab-standloses, ausfüllendes Zumalen des Feldes würde den Eindruck der

Harmonie nicht mehr erwecken können, da die Ausgewogenheit im Ver-

hältnis der Reizgegebenheit mit dem Raum nicht mehr erhalten bleibt.Der Zeichner stellt vielmehr seine Motorik

,vielleicht auch seine Sub-

jektivität des Ausdruckes zu sehr in den Vordergrund. Er platzt sozu-sagen auf die Reizgegebenheit zu oder ist durch sie irritiert,

was er mit

einem motorischen Bewegungssturm beantwortet. Harmonie" meint

also die Ausgewogenheit zwischen Reizempfinden und Reizbeantwortungeinerseits und die Ausgeglichenheit von Motorik und Sensorium so gutwie die der Raumgestaltung andererseits. Qualitativ erfaßten wir denMangel an Harmonie unter den Kategorien stereotyp-leer" und un-rhythmisch-fahrig"

, die Harmonie als sparsam-ästhetisch" und rhyth-misch gefüllt". Bei der Auszählung wird die harmonische Lösung von 3,4 und 5 Feldern als Mittel betrachtet, die von 1 und 2 als tief, von o alssehr tief; sinngemäß von 6 und 7 als hoch,

von 8 als sehr hoch. Für den

Integrierten verlangten wir eine mittlere bis höhere Harmonie,für un-

seren Merkmalsbogen ausgedrückt als: + ha 5 6 7. Der Versuch,durch

die Harmonie allein den integrierten Zeichner zu bestimmen, zeigte zwar

532

Zur Diagnostik des Gefühls

in der ersten Untersuchungsgruppe gute Tendenz, wenn auch nicht ge-nügend Eindeutigkeit der Verteilung in der vorhergesagten Richtung,so daß eine Vervollständigung des Syndroms notwendig wurde.

Wir hatten mit dieser Überlegung zunächst ein recht komplexes Merk-mal in den Mittelpunkt gestellt, das wir - wie später zu berichten - aufder graphischen Ebene auf seine Elemente der Strichgebung hin unter-suchten. Zunächst aber vervollständigt sich das Integrationssyndromdurch die weitere Überlegung, daß hohe Aggressivität so gut wie hoheAngst nicht in dem WZT-Bogen der Hochintegrierten enthalten seindürften. Beide Merkmale werden inhaltlich und formal erfaßt und in der

Auszählung im gleichen Verhältnis wie die Harmonie eingestuft. Wirbetrachteten als Ausschließungsmerkmal, wenn mittlere bis höhere Ag-gression (hs) oder Angst (ax) vorhanden waren, und ließen hs und axauf höchstens 2 Feldern zu (- hs 5 6; - ax 5 6).

Die inhaltliche Definition der hs bezieht sich auf das Auftreten von

Spitzen und Waffen, von aggressiver Physiognomik (fletschende Tiere,deutlich böse Menschengesichter bzw. Darstellung von aggressiven Hand-lungen) und dynamische Durchstoßungen von Oberflächen, ax wird in-haltlich erfaßt durch Angstphysiognomien, in der Hauptsache er-schreckende Masken, die sehr häufig durch eine leichte Stilisierungstendenzeinen Unheimlichkeitscharakter bekommen. Dabei kann die Entscheidungschwerfallen, ob reine ax- oder auch eine hs-Komponente diesen Gesich-tern eigen ist, was dann eine Doppelsignierung zur Folge hatte, ähnlichwie in der RoRSCHACH-Signierung üblich. Weiter trat ax in allen Kata-strophen" zutage, brennenden Häusern, stürzenden Flugzeugen, Hinein-fallen in Abgründe usw. und in Angstatmosphären", wobei vom Themaher etwa Wohnung am Galgen" oder unheimliche Höhle" bezeichnendist

, von der Gestaltung her Schwärzungscharakter, jedenfalls entschiedenatmosphhärische Hell-Dunkel-Wirkung gegeben sein muß. Die nicht in-haltlich gegebene Erfassung von ax und hs bezog sich auf den Umgangmit dem Raum (R), also dem zur Verfügung stehenden Feld, mit demPapier (B), d. h. der Berührungsqualität und dem Tempo (T), also demVerhältnis zur eigenen Motorik. AxR meint ängstliches Sich-Zurück-ziehen, Vermeiden des Wagnisses, den Raum in Besitz zu nehmen,ängstliche Kleinheit; axB ist das ängstliche Zurückzucken vor der Papier-berührung; axT das ängstliche Zurückweichen vor der Entfaltung dereigenen Motorik. Dagegen meint hsR die rücksichtslose Ellenbogen-technik in der Raumerfassung, das aggressive Herausplatzen aus demRahmen, etwa ausgedrückt durch schnelle Randüberfahrungen; hsB meintdie aggressive Papierbehandlung, also heftigen Druck, meist in Bewegungs-attacken vorgetragen,

und hsT schließlich die ausfahrende Motorik ent-

hemmter Affektbewegungen.

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Waltraut Kunkel

So setzt sich also das Syndrom für die erhöhte Integration zusammenaus dem Vorhandensein von Harmonie bei mindestens 3 Feldern unterAusschluß einer Aggressivitäts- und Angstkomponente, die nicht mehr als2 Felder im Bogen betragen darf. Dieses Syndrom zeigt in beiden Unter-suchungen eine eindeutige Verteilung. Wir teilen sie der Hauptunter-suchung mit.

Tabelle HI

Verteilungsergebnis des Merkmalssyndroms I für Integration(+113567; -11556; -3x56)

Außenkriterium

+ ± -

+ 13 5 5 23

-

23 23 61

28 28 28 84

Auf der gleichen Basis, nämlich der Ebene der formalen Gestaltung unddes Inhalts, arbeiten zwei umgekehrt konzipierte Syndrome in beidenUntersuchungsgruppen für Dissoziation, bei denen extrem niedere Har-

monie verlangt wurde - harmonische Gestaltung also in nicht mehr alszwei Feldern des Testbogens -, während Aggressivität in wenigstens2 Feldern zur Bedingung gemacht wurde. Die Interpretation des Syndromsist einleuchtend: Der hoch dissoziierte Zeichner sei wenig angepaßt, ergehe wenig auf die Zeichen ein, verstehe sie nicht zu gestalten und habedabei deutlich zutage tretende aggressive Tendenzen.

Tabelle IV

Verteilungsergebnis des Merkmalssyndroms I für Dissoziation(+ha 34; +hs45 6)

Außenkriterium

+ ± -

+ 13 9 4 26

- 15 24 58

28 28 28 84

Um zu untersuchen, inwieweit die Wahl des Inhaltes - aufgeteilt in

Leben",

Sachen", Ornamente" mit entsprechenden qualitativen Unter-

scheidungen der stilisierenden, physiognomischen bzw. atmosphärischen

534

Zur Diagnostik des Gefühls

Tendenzen - in Zusammenhang mit Dissoziation stünden, wurde dieerste Untersuchungsgruppe dazu benutzt, die Bevorzugung lebendigerLösungen gegen die der Stilisierung und der Ornamentik abzuwägen,wobei sich zeigte, daß der dissoziierte Zeichner bevorzugt Ornamentikverwendet, aber unter der Voraussetzung, daß die harmonische Gestaltungnicht ansteigt. Es entstehen dabei Ornamente, die wir als zeichen-abwehrend" (gemeint ist eine abwehrende Verdeckung der vorgegebenenReizqualität), zeichenverdoppelnd" (gemeint ist eine stereotype Wieder-holung der vorgegebenen Zeichen), zeichenfixierend" (gemeint ist eineenge Umgrenzung oder Überfahrung des vorgegebenen Zeichens) bzw.

stilisierend" bezeichneten, während die gestaltenden und schmückendenOrnamente wegen ihrer harmonischen Raumerfassung nicht einbezogenwurden. Bei diesem Syndrom wurden verständlicherweise weniger Ver-suchspersonen klassifiziert; die Verteilung zeigte abernoch eindeutiger eineTendenz in der vorhergesagten Richtung, stellt also praktisch eine Extrem-

Tabelle V

Verteilungsergebnis des Merkmalssyndroms II für Dissoziation(+ ha 3 4; + hs 4 5 6; + Ornamentik)

Außenkriterium

+ i -

+ 11 6 2 19

HKl _ 22 26 65

28 28 28 84

auslese dar. Um auf der graphischen Ebene die Grundmerkmale zu ermit-

teln, die durch die Strichführung Integration bzw. Dissoziation anzeigenwürden, untersuchten wir in der ersten Gruppe zunächst einzelne Merk-

male, von denen vor allem das der Sicherheit hypothetisch vorangestelltworden war. Strichsicherheit ist definiert als Richtungskonstanz

"

.Sie

kommt zustande, wenn die Feder in reibungslosem Zusammenspiel zwi-schen sensorischer Kontrolle und motorischem Ablauf der vorgestelltenKonzeption zu folgen vermag; eine Funktion, die praktisch das Ineinander-greifen der am Zeichenvorgang beteiligten psychischen Faktoren beinhaltetund damit Integration für sich allein anzeigen könnte. Diese Vermutungwurde jedoch nicht genügend eindeutig bestätigt. Wir sehen die Begrün-dung darin, daß in dieser Definition (Integration hoch = + 856789)auch das Stereotypmerkmal der starren Sicherheit miteingeschlossen war,was bedeuten könnte, daß Übersteuerung, die wegen ihrer Willensver-

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krampfung bzw. einseitiger Rationalität gegen Integration sprechen würde,

aus dem Syndrom ausgeschlossen würde. Die gleiche Überlegung und Er-probung zeigte sich am Merkmal der Verbundenheit. Die Erfahrung derErstgruppe bewies also, daß bei diesen beiden Merkmalen die extremen

Ausprägungsgrade, nämlich die stereotype Sicherheit bzw. Unsicherheit,

sowie stereotype Verbundenheit bzw. Unverbundenheit auszuschließenwaren. Die Definition Integration hoch = - S23789; - V23789"ließ nur jene Versuchspersonen für das Syndrom zu,

die im Zusammen-

spiel beider Merkmale im ausgeglichenen Mittelbereich liegen würden,

bei denen also keine Stereotypien vorkamen und deren Variationsbreitebei beiden Merkmalen die extremen Ausprägungsgrade (3 und 7) nichterreichten.

Zugleich wurde eine andere Erfahrung der Erstuntersuchung mit-einbezogen, nämlich die, daß stereotyp hohes Tempo eindeutig gegenvorhandene Steuerung sprach. Die Hetze und Ungenauigkeit, der augen-scheinliche Mangel an Gelassenheit, der sich in ständig überhöhtem Tempokundtut

, muß eine Forciertheit der Psyche darstellen, die eher als Störungs-merkmal anzusehen ist

, jedenfalls gegen Integration sprechen muß. DieAbwesenheit steuernder Selbstdisziplin, die das überhöhte Tempo deutlichmacht, darf dem Integrierten nicht eigen sein. Es wurde also die Hypo-these gebildet, der Integrierte müsse einen mittleren Ausprägungsgradvariabler Sicherheit und variabler Verbundenheit besitzen bzw

.den

Mittenbereich dieser Merkmale auf keinen Fall verlassen, wobei stereotyp

hohes Tempo ausschließend wirkte.

Vergegenwärtigt man sich das graphische Bild,das durch diese Grund-

merkmale festgelegt wird, dann trifft man eine Federführung elastischmittellanger Impulse, die nicht unadäquat abreißen, aber auch nicht zähweitergesponnen werden,

sondern des frischen Einsatzes motorischer

Tätigkeit wie der Unterbrechung steuernder Kontrolle fähig sind.Ob

freie Pendelbewegungen auftreten oder nicht, ist für dieses Syndromneutral. Die Kontur jedoch muß die Konzeption umgrenzend gestalten,

sich ihr locker anschmiegen, wobei der geringfügige Grad an Sicherheit,der gefordert wurde, gleichsam die vibrierende Sensibilität der Offenheitfür Außeneindrücke wie für innere psychische Schwankungen anzeigenmag. Unsicherheiten, die die Ansprechbarkeit anzeigen, dürfen jedochnicht überhandnehmen

,sondern werden in stets sich kontrollierender

Weise aufgefangen, also integrierend verarbeitet. Es wird so die Lebendig-keit der aktuellen psychischen Arbeit" unmittelbar sichtbar, was bei derstarren Sicherheit einer steifen

, nicht irritierbaren Federführung fort-fallen würde. Schaltet man die Hetze nervös rascher Federführung aus,

dann bleibt die muntere Frische der ungehemmten Ablaufgeschwindigkeitoder das verweilende Bilden in sich ruhender Gestaltung erhalten.

Diese

536

Zur Diagnostik des Gefühls

am Material der Erstgruppe erarbeitete Hypothese hat sich in der zweitenUntersuchungsgruppe durch folgende Verteilung signifikant bestätigt.

Tabelle VI

Verteilungsergebnis des Merkmalssyndroms II für Integration(-S 2 3 7 8 9; - V 2 3 7 8 9; - T 8 9)

Außenkriterium

+ ± -

+ 18 12 8 38

- 10 l6 20 48

28 28 28 84

(Daß bei den Merkmalen S und V das Feld 1 des Merkmalsbogens nichtausgeschaltet wurde, rührt von der Definition dieser Felder her, die fürdie Sonderphänomene des Kritzelstriches bzw. der Randüberfahrungreserviert waren.)

Versucht man dieses Syndrom im wesentlichen umgekehrt für dieDissoziation anzuwenden (wir wählten + S 1 2 3 4; + ha 1 2; + V 1),ergibt sich zwar eine Verteilungstendenz in der gewünschten Richtung,jedoch nicht mit genügender Eindeutigkeit. Es wurde deshalb versucht,am Zweitmaterial die bestmögliche Verteilung auf der graphischen Ebenefür Dissoziation zu finden. Sie entsteht unter folgenden Bedingungen:Das Sonderphänomen der Unverbundenheit, Kritzelstrich", ist verlangt,ebenso wie Stauungen bei Verbot untermittlerer Kleinheit der Formen.Vergegenwärtigt man sich das durch die Gleichzeitigkeit dieser Merk-male sich ergebende graphische Bild, fällt sofort die Uneinheitlichkeit insAuge. Beim Kritzelstrich werden winzige Bewegungsimpulse aneinandergestückelt, wobei diese mehr oder weniger gelötet ineinander übergehenoder doch aneinander hängen mögen. Er tritt auf in Verbindung mitStauungsbewegungen, die in umgrenzten Feldern oder vor irgendwelchenBarrieren durch gehäufte Bewegungen auf der Stelle eine geschwärztekleine Fläche hinterlassen. So ergibt sich einerseits die Interpretation einerständigen Kontrolle des Bewegungsablaufes im Sinne einer Unterbrechungder motorischen Impulse, andererseits die einer Hemmungsbewegung,die gleichsam auf der Stelle tritt. Der Kritzelstrich als extreme Unver-bundenheit mit stückelnden Wiederholungsbewegungen würde ehersehr kleinen Formen angemessen sein und in dieser Verbindung pedan-tische Genauigkeit, aber auch ein sehr introvertiertes Verweilen anzeigen(V 1 ergibt signifikante Verteilung für Introversion). Der übermittleren

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Größe, wie wir sie verlangten, ist diese Bewegung jedoch unbedingt un-angemessen, so daß ein unharmonisches Bild entsteht. Hier werden alsogroß angelegte Formen mit vielen kleinen Bewegungen zusammengesetzt

,

während auf der anderen Seite die Motorik, in der Stauung befangen

'

auf der Stelle verharrt und sich gleichsam in wiederholenden Bewegungenfestfrißt. Dieses psychologisch einleuchtende, aber empirisch gewonneneSyndrom zeigt eindeutige Verteilung in unserer Versuchsgruppe als Erst-gruppe und bedarf daher der Nachprüfung in einem zweiten Verfahren

.

Tabelle VII

Verteilungsergebnis des Merkmalssyndroms III für Dissoziation(+ V i; + Sdi 9;-g i 2 3 4)

Außenkriterium

+ ± -

+ IO 3 i 16

- 18 25 25 68

28 28 28

Der Umgang mit dem WZT in diesen Versuchen hat uns gezeigt, daßin diesem Verfahren der Proband besonders vielfältige Möglichkeitenhat, seine persönliche Eigenart zum Ausdruck zu bringen, was den WZTnaturgemäß der intuitiven Erfassung besonders aufschließt,

während er.der statistischen Berechnung Widerstände entgegensetzt. In der Syndro-matik schließen sich mehrere Tendenzen zu Teilstrukturen auf der Merk-

malsebene zusammen, können sich aber auch gabeln,

da der individuellen

Eigenart eben besonders große Spielbreite belassen wird. Fügt man alleTendenzen in ein einziges Syndrom zusammen,

dann werden die Be-

dingungen so spezifiziert, daß bei den relativ kleinen Zahlen unserer Ver-suchsgruppen nidit mehr genügend Versuchspersonen das volle Syndromaufweisen

, eine Tendenz, die in den ersten beiden Dissoziationssyndromen

bereits deutlich wird. Wichtig erscheint uns die Möglichkeit,auf den

verschiedenen Ebenen" des Tests arbeiten zu können,

einmal die mehr

.ganzheitlich bestimmten Merkmale der formalen Gestaltung bzw. desInhaltes und der Testreaktion heranzuziehen

,ein anderes Mal

,auf der

rein graphischen Ebene vom Strichcharakter ausgehend, gleichsam derMikrostruktur" des Syndroms nachzugehen.

Fragen wir uns abschließend, wie nun die gemüthafte Bindungsmitteals Zentrum der Integration in diesen Syndromen deutlich wird: sozweifellos in dem Merkmal der Harmonie

, aber auch in der Vermeidung

538

Zur Diagnostik des Gefühls

stereotyper oder extremer Ausprägungsgrade von Sicherheit und Ver-bundenheit, wo die graphische Ausdrucksgebung der des stimmlichen Aus-druckes folgt. Allerdings handelt es sich hier um mehr formale Bestim-mungen der Ausgeglichenheit, während in der inhaltlichen Bestimmung,vor allem in der Anwesenheit von Ornamentik beim Dissoziierten, die

Gefühlskomponente insofern deutlich zum Ausdruck kommt, als dadurchrein zahlenmäßig die Vermeidung lebendiger und atmosphärischer Bild-lösungen impliziert ist.

Waltraut Kunkel

IV. Integration in einem Fomdeutverfahren

Hatten die bisherigen Untersuchungen gezeigt, daß Verfahren dergraphischen Gestaltung, wie sie der WARTEGG-Zeichen-Test und die

Handschrift darstellen, durchaus in der Lage sind, zwischen integriertenund nichtintegrierten Personen zu differenzieren, so interessiert uns nun

die Frage,ob auch ein Formdeutverfahren fähig ist, zwischen diesen ver-

schiedenartigen Persönlichkeitsstrukturen zu unterscheiden.Wir suchten diese Frage mit Hilfe der von Holtzman und seinen

Mitarbeitern8 entwickelten HoLTZMAN-Technik (Satz A) - die wir inder Gruppenform9 heranzogen - zu beantworten. Bei diesem Test handeltes sich um eine Verfahrensweise, die auf den RoRSCHACH-Test zurück-

geht, sich jedoch in mehrfacher Weise von diesem unterscheidet:Bei der Interpretation des RoRscHACH-Tests lassen sich ja grundsätzlich

zwei verschiedene Vorgehensweisen unterscheiden: einmal die Klassi-

fikation von Personen auf der Grundlage der statistischen Beziehungzwischen spezifischen Antwortenarten und bestimmten Gruppen vonPersonen, etwa extravertierten oder introvertierten, was in der AussageRorschachs" - die Schlüsse, die sich aus dem Experiment ergeben, sinddaher eher als Befunde denn als theoretische Ableitungen zu betrachten

"

,

oder an anderer Stelle11: die größte Zahl dieser Ableitungen ist auf

statistischem Wege entstanden" - deutlich wird, zum anderen die Er-

hellung der Persönlichkeitsstruktur auf der Grundlage des Nadivoll-ziehens und verstehenden Nacherlebens der jeweiligen individuellen Ein-

8 W. H. Holtzman u. a., Inkblot Perception and Personality, Austin 1961.

9 W. H. Holtzman u. a., Comparison of the Group Method and the Standard Individual

Version of the Holtzman Inkblot Technique, Journal of clinical Psychology 19 (1963)S

. 441-449. Ferner J. D. Swartz u. a., Group Method of Administration for the HoltzmanInkblot, Technique, Journal of clinical Psychology 19 (1963) 8.433-441-10 H

. Rorschach, Psydiodiagnostik, Bern/Stuttgart 1962, S. 13.11 Ebd

. S. 31.

539

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Lutz von Rosenstiel

fälle und Deutungen des Probanden, was sich darin verdeutlicht, daß

Böhm12 fordert, daß der Charakter des Tests mit allen seinen Möglich-

keiten individueller Nuancierung gewahrt bleibt". Freilich darf nicht über-sehen werden

, daß diese Gegenüberstellung überspitzt ist, denn es er-scheint durchaus sinnvoll

, auch die Eigenart bestimmter statistisch unter-suchbarer Antwortenkategorien, etwa der Bewegungsantworten,

ein-

fühlend zu verstehen und damit vertiefte Einsicht in ihren Symptomwertzu gewinnen.

Trotz oder gerade wegen der unterschiedlichen Vorgehensweisen,die

der Test ermöglicht, haben Würdigung und Kritik,wie sie Kronfeld13

schon früh der Arbeit Rorschachs gegenüber aussprach,noch heute Ge-

wicht: Die Schlußfolgerungen, zu denen er gelangt,sind überaus reich-

haltig, programmatisch richtig und vielseitig. Sie regen die Probleme derCharakterkunde fast in ihrem ganzen Umfang an, aber sie erwecken hin-

sichtlich ihrer Begründung fast durchgehend ernste Bedenken.

"

Diese Bedenken lassen sich sowohl auf den statistischen wie auch aufden intuitiven Ansatz beziehen

.

Die Unterscheidung von Personengruppen aufgrund statistischer Häufig-

keiten spezifischer Antworten - etwa der Ganzantworten - erscheintproblematisch, da beim RoRSCHACH-Test für jede Tafel beliebig vieleDeutungen gegeben werden dürfen und somit die Protokolle verschiedenerProbanden aufgrund der unterschiedlichen Antwortenzahl nicht direktmit-einander verglichen werden können. Die Ermittlung des relativen Anteilsbestimmter Antwortenkategorien an der Gesamtantwortenzahl zumZwecke des direkten Vergleichs von Protokollen unterschiedlichen Um-fangs erscheint nicht gerechtfertigt, da zwischen den einzelnen Antworten-kategorien und der Gesamtantwortenzahl keine linearen Beziehungen be-stehen Und selbst

, wenn eine gleiche Antwortenzahl bei verschiedenenProbanden gegeben sein sollte, ist eine echte Vergleichbarkeit damit nochnicht gewährleistet, da diese Antworten sehr unterschiedlich über die10 Tafeln verteilt sein können

. So ist es unmittelbar einsichtig,daß bei

einem 30 Antworten umfassenden Protokoll,

dessen Antworten schwer-

punktmäßig auf die Farbtafeln gegeben wurden, 10 Farbantworten etwasanderes bedeuten und anders zu sehen und zu interpretieren sind als10 Farbantworten bei einem 30 Antworten umfassenden Protokoll

,dessen

Antworten schwerpunktmäßig auf die Dunkeltafeln erfolgten. Derartigeinterpretativ bedeutsame Besonderheiten, die sich aus der Stellung be-

12 E. Böhm, Lehrbuch der Rorschach-Psydiodiagnostik, Bern/Stuttgart 1957,S. 16.

13 A. Kronfeld, Hermann Rorschadi, Psydiodiagnostik, Zeitschrift für angewandte Psy-chologie 20 (1922) S. 290-293.

14 D. W. Fiske u. a., Relationship between Rorschadi Scoring Categories and the totalNumber of Responses, Journal of abnormal soc. Psychology 48 (1953) S. 25-32.

540

Zur Diagnostik des Gefühls

stimmter Antworten innerhalb des Ganzen ergeben, übersieht der stati-stische Ansatz beim RoRSCHACH-Test.

Doch auch für die intuitive und verstehend-nacherlebende Interpretationder einzelnen Deutungen ist der RoRSCHACH-Test nur bedingt geeignet.Das liegt weitgehend an der Gestaltung der Tafeln. So schreibt Vetter15

:

Abgesehen davon, daß ihre durch Faltung des Blattes, also mechanistischbewirkte Symmetrie die Einbildungskraft einschränkt und unwillkürlichauf die Mitte fixiert, was keineswegs ausdrücklich beabsichtigt ist undbei der Auswertung auch nicht beachtet wird, lassen die Tafeln wedernach Form noch nach Farbe eine planmäßige Gliederung graphischer

Möglichkeiten erkennen ..."Dadurch ist nun den RoRSCHACH-Tafeln ein relativ geringer Abwechs-

lungsreichtum eigen. Da die auftauchenden Einfälle wesentlich von derEigenart der dargebotenen Gebilde abhängen und durch sie jedenfallsschon vorab mitbeeinflußt werden"16

, ist nun zu erwarten, daß angesichtsder geringen Streuung der Eigenqualität der RoRSCHACH-Tafeln nur Ein-fälle von geringer Streubreite angeregt und somit nur spezifische Aus-schnitte aus dem Insgesamt der menschlichen Struktur angezeigt werden.

Daß man nachträglich versuchte, den Aufforderungscharakter der ein-zelnen RoRSCHACH-Tafeln aufzuhellen17

, zeigt, daß man sich im weiterenGange der RoRSCHACH-Forschung des Problems der Eigenqualität derTafeln bewußt wurde, doch änderte dies nichts mehr daran, daß dieEigenqualität der RoRSCHACH-Tafeln eben nur begrenzt streut. So fehltetwa, um ein besonders deutliches Beispiel aufzuzeigen, innerhalb der

RoRSCHACH-Tafeln eine zarte und beschwingte Vorlage, die - ähnlich derTafel II des Auffassungstests von Wartegg-Vetter - Sensibilität undEmpfindsamkeit ansprechen könnte.

Das von Holtzman und seinen Mitarbeitern entwickelte Verfahrenbedeutet nun gegenüber dem RoRSCHACH-Test sowohl in bezug auf denstatististisdien wie auch in bezug auf den intuitiven Interpretationsansatzeine erhebliche Verbesserung.

Dadurch, daß auf 45 unterschiedlichen Tafeln jeweils nur eine Deutunggegeben werden darf, ist eine annähernd gleiche Zahl von Antworten -

die sich gleichmäßig über die einzelnen Tafeln verteilen - für jeden Pro-banden gewährleistet. Geringfügige Abweichungen der Antwortenzahlnach unten, wie sie sich durch gelegentliche Versager ergeben können,

sind leicht durch eine einfache Berechnung korrigierbar, so daß Vergleich-

barkeit aller Protokolle gegeben ist - dies auch bei der Gruppenform noch

15 A. Vetter, Der Deutungstest, Stuttgart 1954, S. 18 f.

18 Ebd., S. 27.

17 E. Böhm, Psychodiagnostisches Vademecum, Bern/Stuttgart i960.

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Lutz von Rosenstiel

zusätzlich dadurch, daß, ähnlich wie beim Auffassungstest nach Wartegg-

Vetter, die Tafeln nicht - wie etwa beim RoRSCHACH-Test und der

Individualform der HoLTZMAN-Technik - gedreht werden können, so daßjedem Probanden tatsächlich ein vergleichbares Material vorgegeben wird.

Weiterhin ist hervorzuheben, daß bei der Signierung der Deutungen

der HoLTZMAN-Technik die symbolischen Inhalte spezifisch beachtetwerden - genannt seien hier die Signierungsreihen Angst, Feindseligkeit,Beschirmung und Durchdringung -, die bei der ursprünglichen Konzep-tion des RoRSCHACH-Tests vernachlässigt wurden, freilich bei späterertiefenpsychologischer Interpretation der Deutungen wieder angemesseneBeachtung erlangten.

Zu beachten ist weiterhin, daß die 45 Tafeln eine große Streuung der

Eigenqualität aufweisen. So umfaßt die Serie symmetrische und asymme-trische Formen

, Vorlagen von Grau bis zur grellen Buntheit, von beinahenaturalistisch konturiertem Umriß bis zu gänzlich verschwommener Form

,

von zarter Tönung bis zum krassesten Farbkontrast reichend. Es über-

rascht denn auch nicht, daß die - den RoRSCHACH-Tafeln gegenüber -

weit umfangreichere Eigenqualität der Hoi/rzMAN-Tafeln empirisch nach-gewiesen werden konnte18.

Man wird geneigt sein, die Hoi/rzMAN-Technik, da man dies vom

RoRSCHACH-Test her so gewohnt ist, als projektives Verfahren zu be-zeichnen

. Mit dieser Klassifikation wird man dem Verfahren aber - wieübrigens auch dem RoRSCHACH-Test - nur teilweise gerecht. Der Begriffder Projektion legt allzusehr die Annahme nahe, daß die Deutung Hinaus-verlegung konflikthafter Spannung in symbolischer Form sei, dem Wahr-

nehmungsmaterial aber kaum Bedeutung zukomme. Tatsächlich aber

würde man mit dieser Annahme den Vermutungen Rorschachs nicht

gerecht werden - der seinen Test ausdrücklich als wahrnehmungs-diagnostisches Experiment19 kennzeichnet

, damit die Rolle des Wahr-nehmungsmaterials betonend; - sie widerspricht auch aller Erfahrung mitdem Verfahren

.

Auch Vetter20 schreibt, daß es sich beim RoRSCHACH-Test strengge-

nommen ... um einen Auffassungstest handelt".Und

, an anderer Stelle21,es ist auch unzulässig, die Fortführung bestimmter Anfänge oder gar

Deutungsversuche sinnfreier Bildvorlagen als ,Projektionstest' schlechthinzu bezeichnen, wie stark der Anreiz dazu auch immer sein mag". Spitz-

18 M. W. Otten u. a., A Comparison of Set "A" of the Holtzman Inkblots with theRorschach by Means of the Semantic Differential

, Journal of projected Tech. (1963)S

. 452-460.19 H. Rorschach, a. a. O.20 A. Vetter, Der Deutungstest, Stuttgart 1954, S. 19.21 Ebd

.,S.2i.

542

Zur Diagnostik des Gefühls

nagel22 bemerkt zur Frage der Klassifikation speziell in bezug auf denRoRSCHACH-Test: Darüber hinaus hat die RT (RoRSCHACH-Technik) auchnicht-projektive Aspekte, die vielfach übersehen werden. Man kann daher

strenggenommen nur von einer graduellen Zugehörigkeit sprechen."

Rorschach selbst, obwohl er der Psychoanalyse nahestand, ging dennauch nicht von der Theorie der Projektion als der Grundlagentheorie

seines Tests aus, sondern vom Prozeß der Wahrnehmung: Die Deutungender Zufallsbilder fallen vielmehr unter den Begriff der Wahrnehmungund Auffassung ... Kann man ... die Wahrnehmung bezeichnen auch als

assoziative Angleichung vorhandener Engramme (Erinnerungsbilder) anrezente Empfindungskomplexe, so läßt sich die Deutung der Zufallsfor-

men bezeichnen als eine Wahrnehmung, bei der die Angleichungsarbeitzwischen Empfindungskomplex und Engramm so groß ist, daß sie intra-

psychisch eben als Angleichungsarbeit wahrgenommen wird. Diese intra-

psychische Wahrnehmung der unvollkommenen Gleichheit zwischen

Empfindungskomplex und Engramm gibt der Wahrnehmung den Cha-rakter der Deutung."23

Rorschach bestimmt also die Deutung als einen Sonderfall der Wahr-nehmung, der eben dadurch bestimmt ist, daß eine besonders große Dis-

krepanz zwischen Empfindungskomplex und Erinnerungsbild - die meistauch bewußt wird - besteht. Er scheint dabei eine wesentliche Eigenartder Deutung zu übersehen: das der Wahrnehmung gegenüber produktiveMoment. Wesentlich bei der Deutung von unbestimmten Formen scheintzu sein, daß durch die ganzheitliche Eigenqualität der Gebilde die Phan-

tasie angeregt und zu produktiver Tätigkeit geleitet wird. Die Deutungensind also weder von den Klecksformen unabhängige Projektionen derInnerlichkeit, noch Wahrnehmungen im üblichen Sinne des Wortes, son-dern sie entwachsen der Phantasie, die durch Rezeption und Produktiongekennzeichnet ist. Zureichend verstehen lassen sich die aufsteigendenEinfälle nur aus der jeweils besonderen und ,sensorischen' Aufgeschlossen-heit für die Umwelt und ihre Eindrucksqualität, auf die sie antworten.

"24

Diese Antwort entwächst nun der Phantasie, die wiederum in starkemMaße - neben den Bildern der Erinnerung - von der Gefühlswelt ab-hängig ist. In diesem Sinn nennen wir das Phantasiebild eine Spiegelungdes Gemütszustandes, der selbst wieder durch die Empfänglichkeit fürWahrnehmungseindrücke bedingt ist."25 Aus diesem Grunde vermutenwir, daß jene Deutungen, mit denen unsere Probanden auf die vieldeuti-

22 A. Spitznagel, Grundlagen, Ergebnisse und Probleme der Formdeutverfahren, in:R

. Heiss, Psychologische Diagnostik, Göttingen 1964, S. 556-608.23 H

. Rorschach, a. a. O., S. 17.24 A. Vetter, a. a. 0.,S. 21.25 A. Vetter, Die Erlebnisdeutung der Phantasie, Stuttgart 1950, S. 39.

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gen Formen der HoLTZMAN-Tafeln antworteten, Aufschluß über die Emo-tionalität unserer Probanden geben zu können. Die Aufgabe, die wir uns

gestellt, sowie die Methode, die wir gewählt hatten, forderten, die einzel-nen Deutungen - bedenkt man den Gesamtzusammenhang, in dem sie

stehen - nicht in ihrer nahezu unverwechselbaren Eigenart zu sehen,son-

dern nach bestimmten generalisierenden Aspekten zu ordnen und vonein-

ander zu unterscheiden, deren diagnostische Valenz wir freilich schwer-

punktmäßig nicht aus statistischen Befunden, sondern aus der Einfühlungin seelische Eigenart,

die sich in ihnen ausdrückt, zu erfahren suchten.

Dabei schienen uns für unsere Frage vor allem zwei Aspekte bedeutsam,

von denen - folgen wir der Terminologie des RoRSCHACH-Tests - je einerder Erfassungsreihe und der Inhaltsreihe zuzuordnen wäre.

Da wären zunächst die Zwischenfigurdeutungen zu nennen, worunter

jene Deutungen zu verstehen sind, bei denen nicht die gestalthaft aus demweißen Untergrund hervortretende Figur, sondern ausschließlich oder

doch schwerpunktmäßig die zwischen den Figuren ausgesparten weißenZwischenräume erfaßt werden"26

. Es ist im Nacherleben derartiger Deu-tungen verstehbar, daß sich hinter der Tendenz, nicht die gestalthaft her-vortretende Figur, sondern den Hintergrund zu deuten und damit gewis-sermaßen gegen die natürliche" Art der Wahrnehmung nach vorn zuziehen, eine - schon von Rorschach gesehene - Tendenz zur Oppositionanzeigt. Böhm27 vermutet, daß die Anzahl der DZw (Zwischenfigur-antworten) ... ein ungefährer Maßstab für die Stärke des Aggressions-drucks" ist

, wobei es abhängig von der Struktur der Person ist,ob sich

die Aggression nach außen oder nach innen wendet, ob sie sich auf körper-

lichem oder geistigem Gebiet auslebt, ob sie als Oppositionstendenz,

Milieuspannung, Minderwertigkeitsgefühl, Selbstkritik oder Zweifelssuchterlebt wird

. In jedem Falle aber scheinen die Zwischenfigurantworteneine nach innen oder nach außen gerichtete Spannung - wie sie etwa inden Eigenschaften des von Lersch entwickelten Syndroms gereizt",

eigensinnig"

, geltungsstrebend" zum Ausdruck kommt - zu verraten,die eine Störung der gefühlsmäßigen Integration der Person in sich undin der Welt anzuzeigen scheint, weshalb wir vermuten, daß integriertePersonen weniger Zwischenfigurantworten als nichtintegrierte geben.

Weiterhin zogen wir jene Deutinhalte zur Untersuchung unserer Frageheran

, die man als Angstantworten bezeichnen kann, worunter jene Ein-fälle verstanden werden sollen

, die einen symbolischen Ausdruck derAngst darstellen, wie sie etwa in den Deutungen fliehendes Mädchen"

,

ein Toter", Gespenst" und ähnlichem zum Ausdruck kommt.

Die Kon-

26 H. Rorschach, a. a. O., S. 39.27 E. Böhm, a. a. O., S. 56.

544

Zur Diagnostik des Gefühls

zeption dieser Antwortengruppe geht auf Untersuchungen von Elizur28

mit dem RoRSCHACH-Test zurück und wurde von Holtzman für sein Ver-fahren übernommen.

Verschiedene Untersuchungen legen die Vermutung nahe, daß dieAngstantworten eine Überschwemmung der Phantasie mit angstvollenVorstellungen anzeigen29.

Vermuten wir nun, daß diese von der Angst durchtönten Vorstellungender Phantasie bei jenen Personen gehäuft auftreten, denen Sicherheit imBereich des Gefühls nicht gegeben ist und bei denen das Gefühl seineintegrierende Kraft verloren hat, so folgt daraus, daß wir bei den Inte-grierten weniger Angstantworten erwarten als bei den Nichtintegrierten,eine Hypothese, die sich dadurch stützen läßt, daß in dem von Lersch

entwickelten Syndrom furchtsam" und mißtrauisch" gegen Integrationsprechen.

Schließlich vermuteten wir, daß die Integrierten, durch erhöhte gefühls-mäßige Offenheit der Welt gegenüber gekennzeichnet, eine größere An-zahl von Farbantworten geben, daß sie - mehr zu ganzheitlicher als zudetaillistischer Auffassung neigend - mehr zu Ganz- als zu Detailantwor-ten tendieren und daß sie, durch erhöhte Sicherheit und Identität mit sich

selbst gekennzeichnet, mehr Beschirmungsinhalte deuten.Unsere Hypothesen prüften wir in der Weise, wie sie auch zur Unter-

suchung der Handschrift herangezogen worden war. Wir teilten also, nach-dem wir für die einzelnen Probanden die Werte für Integration und Dis-soziation zusammengefaßt hatten, die 54 Personen umfassende Erkun-dungsgruppe in zwei gleich große Teilgruppen auf, von der die eine die -nach dem Urteil der Mitschülerinnen - integrierten, die andere die nicht-integrierten Mädchen umfaßte.

Hinsichtlich der Testmerkmale, von denen wir vermutet hatten, daß

sie geeignet seien, zwischen Integrierten und Nichtintegrierten zu differen-zieren

, bildeten wir je drei gleich große Teilgruppen, in denen die genann-ten Merkmale in starker, mittlerer bzw. geringer Ausprägung vertretenwaren. Wir zogen - wie bei der Untersuchung der Handschrift - jeneMerkmale für die weitere Erkundung heran, die bei den Integrierten bzw.den Nichtintegrierten im Sinne unserer Vermutung mindestens in doppel-ter Häufigkeit vertreten waren.

Es zeigte sich nun, daß Zwischenfigurantworten und Angstantwortensich im geforderten Maße zur Differenzierung eigneten, während dieübrigen Merkmale, obwohl die Ergebnisse in die erwartete Richtung

28 A. Elizur, Content Analysis of the Rorschach with Regard to Anxiety and Hostility,

Rorschach Research Exchange 13 (1949) s- 247-284.29 W

. H. Holtzman u. a., Inkblot Perception and Personality, Austin 1961. Femer:E

.L. Moseley u. a., An Extension of the Construct Validity of the Holtzman Inkblot

Tedmique, Journal of clinical Psydiology 19 (1963) S. 186-192.

35 Wirklichkeit der Mitte 545

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wiesen, die von uns geforderte Deutlichkeit in der Differenzierung nichtzeigten und daher aus den weiteren Erkundungsvorgehen ausgeschlossenwurden.

Das Ergebnis, wie es hier dargelegt wird, zeigt nun, daß sich in derErkundungsgruppe unsere Vermutungen insoweit durchaus bestätigten,

als eine geringe Anzahl von Zwischenfigurantworten bzw. Angstantwortenfür

, eine erhöhte Anzahl gegen Integration spricht. Unseren Erwartungengemäß sind also bei integrierten Persönlichkeiten Aggressionsdruck undAngstvorstellungen nur in geringem Maße anzutreffen, während dieseAnzeichen einer Störung der Persönlichkeitsstruktur bei den Nichtinte-grierten gehäuft aufzufinden sind.

Dennoch sehen wir diese Ergebnisse nur als Zwischenschritt auf demWege unserer Untersuchung an. Unser Ziel war es, im Zusammenspielvon Zwischenfigur- und Angstantworten eine Merkmalskonfiguration auf-zufinden

,die für alle Probanden ein Urteil darüber zuläßt, ob sie der

Gruppe der Integrierten oder Nichtintegrierten zuzurechnen sind.Gehen wir davon aus, daß der Integrierte, in sich ruhend, durch Harmo-

nie in seinem Verhältnis zu sich selbst und zu seiner Umwelt gekenn-zeichnet ist, dann läßt sich vermuten, daß wir in seinen Deutungen wederAnzeichen für stark ausgeprägten Aggressionsdruck noch für übermächtigeAngstvorstellungen treffen. Von einem Integrationssyndrom im Deutetestwollen wir daher dann sprechen, wenn sowohl die Zwischenfigur- wiedie Angstantworten in geringer Ausprägung, höchstens aber eine dieserbeiden Antwortkategorien in mittlerer Ausprägung vorzufinden ist.

Nicht integrierte Personen erscheinen uns dadurch gekennzeichnet, daßsie nicht in ihrer Gefühlsmitte ruhen, daß ihnen Gefühlssicherheit fehlt,

woraus wir folgern, daß sie zu sich selbst und zu ihrer Umwelt in Span-nung stehen oder aber ihre Verunsicherung als Angst erleben, wobeiwir vermuten, daß der Mangel an Integration bei Vitalstarken schwer-punktmäßig zu Spannung, bei Vitalschwachen zu Angst und Angst-vorstellungen führt.

Aus diesen Überlegungen folgt nun, daß wir jene Personen als nichtintegriert einstuften, die entweder Zwischenfigur- oder Angstantwortenin hoher Ausprägung aufwiesen oder aber in beiden Kategorien einemittlere Häufigkeit zeigten.

Das formale Vorgehen, das diesen Vermutungen nun gerecht wurde,war einfach zu finden. Für eine schwache Ausprägung in den beidenDeutekategorien gaben wir je einen Punkt, für eine mittlere je zwei undfür eine starke je drei Punkte. Die Werte für jede Versuchsperson sum-mierten wir und erhielten damit Endwerte zwischen zwei und sechs

Punkten. Wir bezeichneten nun jene Personen, die zwei oder drei Punkteaufwiesen-was dem zuvor entwickelten Integrationssyndrom entspricht-,

546

Zur Diagnostik des Gefühls

als integriert, diejenigen, die 4, 5 oder 6 Punkte zeigten - was wieder denfür Nichtintegrierte vermuteten Bedingungen entspricht -,

als nicht inte-

griert. Dadurch, daß wir den Schnitt zwischen die Werte 3 und 4 legten,kamen wir in der Erkundungsgruppe und in der Bestätigungsgruppe zu-gleich der Mitte am nächsten.

Das Endergebnis zeigte nun, daß in der Erkundungsgruppe von23 Mädchen, die in ihrem Test das Syndrom der Integration zeigten,17 nach dem Urteil ihrer Mitschülerinnen als integriert zu gelten haben,während von den 31 Mädchen die im Test als nicht integriert erscheinen,21 auch der Beurteilung nach nicht integriert sind. Es kam also zu 38richtigen gegenüber 16 falschen Einstufungen aufgrund des von uns ent-wickelten Syndroms.

Wir überprüften nun in der 30 Mädchen umfassenden Bestätigungs-gruppe das von uns entwickelte Syndrom in der gleichen Weise. Hierzeigte sich, daß von den 11 Mädchen, die dem Testbefund nach als inte-griert zu gelten haben, 9 auch im Urteil der Mitschülerinnen als integriertersdiienen, während von jenen 19 Mädchen, die dem Testbefund nachnicht integriert sind, 13 ebenso beurteilt wurden. Es stehen also den 22richtigen Einstufungen nur 8 falsche gegenüber.

Für ein zufälliges Zustandekommen dieses Ergebnisses (das in Abb. 2graphisch veranschaulicht ist) spricht eine Wahrscheinlichkeit von wenigerals 1 %. Da der Befund zudem, was uns wesentlich erscheint, mit unseren

theoretischen Überlegungen übereinstimmt, scheint er uns besondersglaubhaft.

Abbildung 2Die Beziehung zwischen der Diagnose der Integration aufgrund eines Symptoms aus Merk-

malen des HoLTZMAN-Tests und der Beurteilung durch Mitschülerinnen.Integration nach dem Merkmalssyndrom des Formdeutverfahrens

Erkundungsgruppe(54 Mädchen)

Bestätigungsgruppe(30 Mädchen)

X,

IiII§1.3 52

§,§

1-«

integriert

nicht

integriert

-Sa 2"60 bo

a Diagnose nach dem Formdeutverfahren und Mitschülerurteil: stimmen überein

] Diagnose nach dem Formdeutverfahren und Mitschülerurteil widersprechen einander

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Das Ergebnis - wie es hier dargestellt wurde - spricht also rechtdeutlich für unsere Vermutungen. Ein Mangel an Integration, der sich

als Störung im Gefühlsbereich zeigen muß, die unserer Auffassung nachzu aggressiver Spannung oder zu Angstvorstellungen führen dürfte,

ließ

sich im Test in jenen Deutungen aufweisen, die - unseren Überlegungennach und in Ubereinstimmung mit der Literatur - für aggressive Spannungbzw. Angstvorstellungen sprechen: Jene Mädchen,

die nach dem Urteil

ihrer Mitschülerinnen als nichtintegriert zu gelten haben, gaben im Testgehäuft Deutungen, die Aggressionsspannung und Angst, zumindest abereine der beiden Störungen nahelegen.

Nun ruht das Syndrom, das wir hier zur Diagnose der Integrationheranzogen,

nur auf 2 Merkmalen eines Formdeutverfahrens auf. Die

geringe Anzahl der Probanden machte eine komplexere Vorgehensweise,die wir gern angewandt hätten, unmöglich. Wir halten es jedoch fürwahrscheinlich

, daß die Berücksichtigung einer größeren Anzahl vonMerkmalen in ihrer Interaktion zu noch deutlicheren Ergebnissen führenwürde, da es dadurch möglich wäre, Hypothesen zu entwickeln, die demStrukturgedanken in stärkerem Maße gerecht werden,

als es hier der

Fall sein konnte.

Lutz von Rosenstiel

Schlußbemerkungen

Diese vier Untersuchungen haben ergeben, daß sich Integration in allenvon uns ausgewählten Ausdrucksmedien zeigt. Integration ist eine sehrkomplexe strukturelle Eigenschaft; sie kann weder im täglichen Umgang,

aus dem die als Kriterium für Integration verwendeten Mitschülerurteilestammen

, noch in den verschiedenen diagnostischen Methoden vollständigerscheinen. Wie die diagnostischen Zugänge (über den Ausdruck derStimme und der Handschrift und die Einfälle und Gestaltungen des WZTund des Hoi/rzMAN-Tests) auf unterschiedliche Strukturbereiche abzielen,

so zeigt sich auch die Integration jeweils in einer für den betreffendenAusdrucksbereich eigentümlichen Facette.

Der Ausdruck der Sprechstimme ist am wenigsten willkürlich formbar.

Selbst ein Sprecher, der auf die eigene Stimme achtet,nimmt sie auf

andere Weise wahr als seine Zuhörer, und die Worte verklingen,

kaum

daß sie gesprochen wurden. Es ist nicht möglich (von Tonbandaufnahmenabgesehen), die eigene Stimme so distanziert zu beobachten wie die eigeneSchrift oder die Gestaltung eines WZT. Dies erschwert eine Überwachung.

Dazu kommt, daß auch die Gesprächspartner gewöhnlich mehr auf Mimik

548

Zur Diagnostik des Gefühls

und Gebärden sehen und meist sensibler auf sichtbare als auf hörbare

Ausdrucksveränderungen reagieren. So ist auch die soziale Anregung zueiner Kontrolle der Stimme geringer. Schließlich ist die Stimme, ins-besondere das für Integration relevante Merkmal der Resonanz, stärkerals Handschrift und WZT von solchen Bau- und Funktionsmerkmalen

des Körpers abhängig, die kaum willentlich beeinflußbar sind. Sie istbesonders eng dem vitalen Bereich und dem endothymen Grund ver-bunden. In voller Resonanz und lebendigem, ausgeglichenem Melosäußern sich Gelassenheit und Wärme des Gemüts, zwei zentrale Be-

stimmungen der Integration.Die Handschrift zeigt deutlicher jenen Aspekt der Integration, der die

geistige Durchformung und Überwachung eines ungestörten Antriebs, diemühelose Anpassung an die vorgeschriebene Norm bei Entfaltung per-sönlicher Eigenart sowie den sicheren Kontakt mit der Umwelt umfaßt.Eine elastische, zwischen Form und Bewegung gut ausgewogene Schriftvon mittlerer Weite und geringer Längenunterschiedlichkeit mit einembreiten und druckstarken Strich und breiten Buchstaben ist nach den

Ergebnissen unserer Untersuchung ein deutlicher Hinweis auf Integration.Auf der graphischen Ebene des WARTEGG -Zeichen-Tests entspricht dem

komplexen Merkmal der Elastizität in der Handschrift eine Kombinationvon mittlerer Sicherheit und Verbundenheit. Wie bei der Handschrift

sind auch beim WZT extreme Merkmalsausprägungen (so z. B. einseitigformbetont oder bewegungsbetont, sehr eng oder sehr weit bei der Hand-schrift und Mangel an Harmonie infolge übersteigerten Tempos oderStauung der Bewegungsimpulse beim WZT) ein Zeichen gestörter Inte-gration.

Ist der WZT auf der graphischen Ebene mit der Handschrift verwandt,so stehen sich WZT und HoLTZMAN-Test insofern nahe, als in beiden

Verfahren Vorlagen mit Anmutungscharakter differenziert und ange-messen wahrzunehmen und mit Produktionen der Phantasie zu beant-

worten sind. In diesen Einfällen der Phantasie gewinnen Erregungendes Gefühls bildhafte Gestalt. Angst- und Aggressionsphantasien, die sichin den Bildinhalten des WZT und den Deutungen des HoLTZMAN-Testsniederschlagen, zeigen eine Bedrohung im Gefühlsbereich an und sinddamit ebenso ein Hinweis auf eine Störung der Integration wie ein Ver-fehlen der Eigenqualität der Zeichen im WZT und ein Ausweichen inZwischenfigurantworten im HoLTZMAN-Test.

Im Unterschied zum HoLTZMAN-Test, bei dem die Phantasievorstel-

lungen nur zu benennen sind, ist beim WZT eine meist ungewohntegraphische Gestaltung der Einfälle in ständiger Auseinandersetzung mitdem vorgegebenen Zeichen und den eigenen zeichnerischen Ansätzen ge-fordert. So zeigt sich im WZT deutlicher als im Hoi/rzMAN-Test die

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Brandstätter-Kunkel-von Rosenstiel, Zur Diagnostik des Gefühls

Fähigkeit des Integrierten, seine Eindrücke und Vorstellungen adäquatin Gestaltung und Handlung zu übersetzen.

Es bedarf noch weiterer,

theoretisch und methodisch differenzierter

Versuche und vielfältiger Vergleiche, ehe über die Beziehungen der Aus-drucks- und Projektionsphänomene in den genannten Medien mit dernötigen Sicherheit etwas ausgesagt werden kann. Die in den abschließen-den Überlegungen angedeuteten Gemeinsamkeiten und Unterschiede inden Ausdrucksmerkmalen der Sprechstimme,

der Handschrift, des WZT

und des HoLTZMAN-Tests sollen als vorläufige und vorsichtige Ver-mutungen aufgefaßt werden.

Die hier berichteten Ergebnisse haben immerhin gezeigt,daß es bei

ausreichend differenzierter Vorgehensweise durchaus möglich ist,er-

scheinungswissenschaftlich fundierte Hypothesen in systematisch-empi-rischen Untersuchungen zu bestätigen.

550

RUDOLF POPHAL t

Die senkrechte Haltungsachse der Handschriftunter dem eidetischen Aspekt der Anfangsbetonung

Es ist das viel zu wenig gewürdigte Verdienst August Vetters, eineranthropologischen Betrachtungsweise der Schrift als eines Abbildes dermenschlichen Struktur in der Graphologie zum Durchbruch verhelfen zuhaben.

Die personale Strukturanalyse erfährt nach Vetter ihre raumsymbo-lische Orientierung an der aufgerichteten Leibesgestalt des Menschen. EinHauptmerkmal dieser Anthropognomik"1 ist das qualitative Koordinaten-system von Haltungsachse und Bewegungsebene mit ihrem gemeinsamenSchnittpunkt, das sich graphologisch im Verhältnis von Schriftform undSchreibbewegung wiederfindet.

Hören wir Vetter selbst darüber. Das, was den Menschen grund-legend vom Tier unterscheidet und was zum Ausgangspunkt der Physio-gnomik wird, ist nach ihm die Aufrichtung der menschlichen Leibes-gestalt. Wenn von der Sonderstellung des Menschen im Kosmos ge-sprochen wird, ist etwas wesentlich anderes gemeint als die wechselndeLebenslage, in der wir uns als Erdgeschöpfe befinden. Die Waagerechtesymbolisiert den tragenden Boden, von der sich das Tier kraft seinerEigenbeweglichkeit löst, dem es aber durch die Lage seines Körpers dochzugewandt und verwandt bleibt. Sein aufrechter Stand enthebt den Men-schen der ruhelosen Bewegungsflut, in der das Tier lebt, und läßt ihnerst festen Fuß auf der Erde fassen." - Während das physiognomischeHauptkennzeichen des tierischen Leibes die Ausrichtung von Vorn nachHinten ist

, die seine freibewegliche Gestalt vom haftenden Gebilde derPflanze absetzt, nimmt die in der menschlichen Körperbildung zur Vor-herrschaft gelangende Entgegensetzung von Oben nach Unten gleichsamden pflanzlichen Wuchs als Leitziel wieder in sich herein. In seiner eigen-tümlichen Beweglichkeit, seinem Gang und Vorwärtsdrang bleibt derMensch dem Tier verschwistert. Die Erhebung des Kopfes über denRumpf dagegen, in der sich seine geistige Verfassung bekundet,

verbindet

ihn seltsamerweise mit dem Richtbild des bodenständigen, auf Fort-bewegung verzichtenden Gestaltbereiches der organischen Natur." Alsfeststehende Haltungsdf/m' besitzt die Senkrechte ihr raumsymbolisches

1 A. Vetter, Natur und Person. Umriß einer Anthropognomik, Stuttgart 1949.

551