Beobachtungen auf dem Gebiete der Milchwirthschaft

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Miillor : Milchwirthschaft. ' 351 Die Pseudoharnsiiure interpretirt der Verf. so, dass sich an das Amid des Uramils die Cyansiiure lagert und da- durch eine Harnstoff-Barbitursaure = Pseudoharnsiiure ent- stehe : C806N2H3(NH2, C,NHO,). Dngegen sei die Harn- saure als eine Cyanamid-Barbitursaure, C,06N2H3(NC,NH), anzusehen, worms erklarlich, dass die Versuche inittelst Cyansaure kunstliche Harnsaure dnrzustellen , zu dem ge- wiinschten Resultat nicht fuhrten. LIII. Beobachtungen auf dem Gebiete der Milchwirt h s ellaft. Von Alexander Miiller. 1) Scaldcd milk und Milchdialyse. In der englischen Grafschaft Devonshire aird die Butter auf eine hirchst eigenthiinliche Weise bereitet. Man seiht die frisch gemolliene Milch in eine Art Puddingnapf yon 80-100 Nm. Hohe und 200-300 Mm. Weite und stellt sie in einen lriihlen Raum, meist in die allgemeine Vor- rathslrammer. Nach 12 Stundcii wird der Napf yorsichtig auf ein Wasserbad, wozu ein weiter eiserner Kochtopf dient, gebracht und so weit erhitzt (scdd~rl), dass die Kahmdecke von kleinen Luftblaschen hier nnd da gehoben zu werden anfangt (the milk blisters); dann tragt man den Napf mit gleicher Vorsicht zuruck an seinen friiheren Platx und lasst ihn abermals 12 Stunden ruhig stehen, woranf die ziihe Rahmhaut (clotled cream) mit einem Loffcl abgenommen und durch Kncten in Butter vern-andelt wird Die geringe Menge Rahm, deren Fettgehalt bei dieser Behandleng nicht als Butter abgeschieden wird, gelangt zu wiedei-holter ScaZ- d&g d. h. Abbrubung. Die Devonshirebutter ist in London

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Miillor : Milchwirthschaft. ' 351

Die Pseudoharnsiiure interpretirt der Verf. so, dass sich an das Amid des Uramils die Cyansiiure lagert und da- durch eine Harnstoff-Barbitursaure = Pseudoharnsiiure ent- stehe : C806N2H3(NH2, C,NHO,). Dngegen sei die Harn- saure als eine Cyanamid-Barbitursaure, C,06N2H3(NC,NH), anzusehen, worms erklarlich, dass die Versuche inittelst Cyansaure kunstliche Harnsaure dnrzustellen , zu dem ge- wiinschten Resultat nicht fuhrten.

LIII. Beobachtungen auf dem Gebiete der

Milchw irt h s ellaft. Von

Alexander Miiller.

1) Scaldcd milk und Milchdialyse.

In der englischen Grafschaft Devonshire a i rd die Butter auf eine hirchst eigenthiinliche Weise bereitet. Man seiht die frisch gemolliene Milch in eine Art Puddingnapf yon 80-100 N m . Hohe und 200-300 Mm. Weite und stellt sie in einen lriihlen Raum, meist in die allgemeine Vor- rathslrammer. Nach 12 Stundcii wird der Napf yorsichtig auf ein Wasserbad, wozu ein weiter eiserner Kochtopf dient, gebracht und so weit erhitzt ( s c d d ~ r l ) , dass die Kahmdecke von kleinen Luftblaschen hier nnd da gehoben zu werden anfangt (the milk blisters); dann tragt man den Napf mit gleicher Vorsicht zuruck an seinen friiheren Platx und lasst ihn abermals 12 Stunden ruhig stehen, woranf die ziihe Rahmhaut (clotled cream) mit einem Loffcl abgenommen und durch Kncten in Butter vern-andelt wird Die geringe Menge Rahm, deren Fettgehalt bei dieser Behandleng nicht als Butter abgeschieden wird, gelangt zu wiedei-holter ScaZ- d&g d. h. Abbrubung. Die Devonshirebutter ist in London

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sehr geschiitzt mie auch der nnverarbeitete clotted cream d. h. verdickte Rahm; die abgerahmte Milch zeichnet sich durch geringen Fettgehalt ails ; ihr Geschrnack ist voll- kommen suss, ahnlich dem der abgekochten sussen Milch.

Es war vorauszusehen, dass bei dieser Art der Auf- rahmung die friiher in diesem Journal besprochene Milch- dialyse besonders deutlich wahrgenommen werden musste, und das Experiment bestatigt die Vermuthung.

Wahrend die frische Milch enthielt auf 1 The3 Protei'n : 1,53 Th. Milchzuclrer und 0,22 Th. Asche, fand sich im Rahni auf 1 Th. Protei'n: 0,56 Th. Zucker und 0,14 Th. Asche. Der Gehalt an Milchzuckcr war durch Diffusion in die abgerahmte Milch auf fast 3 , derjenige der unver- brennlichen Bestandtheile (Asche) anf -: des urspriinglichen gesunlten, wahrend die Verdunstung von 3; Liter bei 440 Quadr.-Centim. vor der Erwarmung 1,5 p.C. und nach- her 2,2 p.C., also in Summa 3,7 p.C. betrug.

Das Blasenwerfen crfolgt bei uiigefiihr 90° C. (in Eng- land benutzt man fur die Zwcclre der Milchwirthschaft nir- gends, wenigstens mit kauni nennenswerthen Ausnahmcn ein Thermometer, und kann daher den Temperaturgrad, wo die Milch ,,blisters", nicht angeben). Die abgerahmte Milch enthielt im Durchschnitt 1 p.C. Fett , also bedeutend weni- ger als Milch nach holsteinischer Methode bei 24 stundiger Aufrahmung zuruckhalt. Nebenbei beansprucht die De- vonshire-Metliode keinen besonderen Milclilreller und schliesst vorzeitige Saurung so ziemlich ans.

2) Siisse Milchgahrung - Aufrahmung - Butterungs- reife.

Unter ,,susser Milchgahrung" verstehe ich bis auf Wei- teres die unter gewijhnlichen Vmstiinden allmiihlich und scheinbar freiwillig erfolgende Anfliisung der Haute, welche die Fettkugelchen des Milchsccretes anfiinglich umliiillen. Meine dlcrdings noch nicht abgeschlossenen Untcrsuchun- gen hieruber ergeben Folgcndes.

Die susse DiZilchgahrung wird gehemmt durch niedrige Temperatur und Luftabschluss. Bei mittlerer (Zimmer-)

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Temperatur und Luftzutritt (in kleinen offenen Flaschen) zeigt sie den schnellsten Vcrlanf ungefar 24 Stunden nach dein Melken Lind wird fast nnwirksam nach 37 Stunden. Nach der Aetherprobe (1 Volum Milch wird 100 Ma1 mit 5 Vol. wassergesattigtem Aether geschiittelt, nach Klarung ein aliquoter Theil abgehoben und dessen Fettgehalt , mit Correction fur die Lijslichkcit des Aethers in Wasser , auf die Gesammtliisnng berechnet) erscheinen gewiihnlich nach 24 Stunden 50 p.C., nach 36 Stunden etwas iiber 90 p.C. des Gesammtfettes lijslich, doch andert sich das nach Fiit- terung und Individualitat.

Die siisse Milchgahrung scheint von der Milchsauerung ziemlich unabhangig zu sein.

Sie beschleunigt in Etwas die Aufrahinung , indem sie das specifische Gewicht der Fettkugelchen vennindert, doch wird die Schnelligkeit der Aufrahruung m&r und haupt- sachlich durch die Grosse der Fettkiigelchen und der eu- riickzulegenden Weglange bedingt.

In der Beschaffenheit des Rahms aussert die siisse Milchgahrung insof'ern einen wesentlichen Einfluss , als die Fettkiigelchen sich nach Aufliisung der Hiillcn dichter an einander legen konnen und einen concentrirteren Ilahm bilden, dcr sich von der abgerahintcn Milch leicht und ohne Gefahr der Wiederveriniscbuag trennen lasst , sei es durch Abrahnien des erstercn mittelst Loffel oder durch Abzapfen der letzteren. In gleicher Richtung wirkcn die niit hoherer Teinperatur verknupfte Erveichung des Cutterfettes und die niit freier Abdunstung von der Rahmschicht verbundene Concentration des Milchserum.

Ealt gewonnener Rahm ist diinnflussig; unter den fur die siisse Milehgahrung giinstigen Umstanden setet er sich dichter zusammen und verliert an Volumen.

Die Lijslichkeit der Fettkiigelchen in Aether nach oben erwahnter Methode ist ein Maasstab fur die Butterungs- fahigkeit der Milch oder des Rahms ; der Fettgehalt der nach Holsteiner Methode bereiteten Butter entsprach in hieriiber angestellten Versuchen nahezu dem G ehalt des angewen- deten Rahms an liislichem Fett.

Journ. f. prakt. Chemis. XC. 6. 23

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3) Saure M3chgahrung.

Bei den Aufrahmungsversuchen, welche in den letzten drei Jahren hier vorgenomnien worden sind, hat es sich herausgestellt, dass die Geneigtheit der Kuhniilch fur Saue- rung wahrend der Aufrahmung unter ubrigens gleichen Verhaltnissen (Znfuhrung von Milchsaureferment *) durch Gefasse und Luft) herabgestimnit wird nicht nnr durch niedere Temperatur, sondern anch durch Gegenwart von Sauerstoff; den giinstigen Einfluss niederer Temperatar haben sich die Holsteiner seit’langem und mit Aufopferiing bedeutender Geldmittel**) zu Niitse zu machen gesncht, aber meist durch Vernachlassigung des eweiten Punktes, Durchdringung der Milch mit Sauerstoff, paralysirt.

Meine Bcobachtungen erstrecken sich auf Folgendes : In verschlossenen Glasflaschen oder bedeckten Gefsssen

sauerte Milch immer schneller als in danebenstehenden offenen flschen Schalen. In hohen Cylindern bcgnnn die Sauerung stets vom Roden und of? fand sich hier die Milch geronnen, wahrend sie an der Oberflache nocli dunnflussig war. Milch, durch welche nach der Melkung atmospharische Luft geblasen worden war, hielt sich langer suss als unge- liiftete. Mein Assistent Dr. E i s e n s t u c k fand sogar (im August 1861). dass in flachen Holztrogen, welche mit sau- rer Milch inficirt und dann in verschiedener Weise nur oberfliichlich gereinigt worden waren, eine Milchschicht von ungefiahr 25 Mm. Hijhe eben so langsam siiuerte als in einer gleich flachen aufs Sorgfaltigste gereinigten Milch- satte aus verzinnteni Blech. Ungeachtet der schwulen Lnft und wahrend der Nacht eingetretenen Gewitters zeigte die Milch erst nach 36 Stunden schwach sauerlichen Geschmack und gerann erst nach 48 Stunden, ohne besonders deutlichen Unterschied der Milchsatten. Der Versuch fand in einem unbewohnten Zimmer des 2. Stockwerks statt.

‘1 Nacb der Devonshire-Mcthode wird das i n der Milch einge- mengte Ferment in der 12. S t u l ~ d e durch Erhitzen getodtet oder d6eb gelhhmt.

**) Bis hber 50000 Thlr. Pr. Crt. fur einen (verfehlten!) Muster- keller.

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Es ist nicht gleichgiiltig, ob die Milch trockener oder feuchter Liift ausgesetzt wird; in ersterer halt sie sich stets besser. Indem die trockene Lnft von der Oberflache der Milch M7asser aufliist , wird sie znfolge der statthabenden Rarmcentziebnng specifisch schwercr ; cs entstelit hierdurch ein Luftziig iiber die bis an den Rand gefiillten flachen Slilchsatten , welcher der Milchoberfliiche schneller neuen Sauerstoff *) zufuhrt, als blosse Diffusion.

Hiernach diirfte zu erklaren sein, warum Sauerung langsamer eintritt in (flachen) Satten geringeren als weite- ren Umfanges, in solchrn, wclche auf Lattentischen frei im Zimnier aufgestellt sind, als in solclien, welclie auf der Diele oder iiber einander pyrarnidalisch anfgestapclt stelien. Vielleicht wird die Haltbai keit der Milch aus gleichem Griinde befijrdert dnrch mehrnialiges Abrahmen (nach hol- landischer Art jecle 12 Stunden), sowie auch dnrch Heizung des Nilchraumes bei feuchter Luft (Gewitterluft).

Trockne Beschaffenheit des Milchraumes hindert ausser- dem die Wucherung der Schimmelyflanzen, wclche in feuch- ten Kellern auszuschliessen kaum moglich ist. Ob die Concentration der in trockner Luft gebildeten Rahmschicht in irgend einer Weise der Milchsauerung entgegenwirbt, wage ich noch nicht zu entscheiclen.

Die hier beziiglich der I~ilchsanregahrung gemachten Beobachtungen stiminen wohl iiberein mit dem, was niir bis jetzt durch kurze Notizen uber P a s t e u r’s Unter- suchungen bekannt geworden ist.

*) Ueher Sauerstoffabsorption durch Nilch siehe H o p p e ’ s Ver- tiuche, Chem. Cciitralbl. 18tiU, p. 65 ff.

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