Bertolt Brecht (1898-1956). 1 1 Als er siebzig war und war gebrechlich 2 Drängte es den Lehrer doch...

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Bertolt Brecht (1898-1956)

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Bertolt Brecht (1898-1956)

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11 Als er siebzig war und war gebrechlich2 Drängte es den Lehrer doch nach Ruh3 Denn die Güte war im Lande wieder einmal schwächlich4 Und die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu.5 Und er gürtete den Schuh. 26 Und er packte ein, was er so brauchte:7 Wenig. Doch es wurde dies und das.8 So die Pfeife, die er immer abends rauchte9 Und das Büchlein, das er immer las.10 Weißbrot nach dem Augenmaß. 311 Freute sich des Tals noch einmal und vergaß es12 Als er ins Gebirg den Weg einschlug.13 Und sein Ochse freute sich des frischen Grases14 Kauend, während er den Alten trug.15 Denn dem ging es schnell genug.

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416 Doch am vierten Tag im Felsgesteine17 Hat ein Zöllner ihm den Weg verwehrt:18 „Kostbarkeiten zu verzollen?“ – „Keine.“19 Und der Knabe, der den Ochsen führte, sprach: „Er hat gelehrt.“20 Und so war auch das erklärt. 521 Doch der Mann in einer heitren Regung22 Fragte noch: „Hat er was rausgekriegt?“23 Sprach der Knabe: „Daß das weiche Wasser in Bewegung24 Mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt.25 Du verstehst, das Harte unterliegt.“ 626 Daß er nicht das letzte Tageslicht verlöre27 Trieb der Knabe nun den Ochsen an 28 Und die drei verschwanden schon um eine schwarze Föhre29 Da kam plötzlich Fahrt in unsern Mann30 Und er schrie: „He, du! Halt an!

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731 Was ist das mit diesem Wasser, Alter?“32 Hielt der Alte: „Intressiert es dich?“33 Sprach der Mann: „Ich bin nur Zollverwalter34 Doch wer wen besiegt, das intressiert auch mich.35 Wenn du’s weißt, dann sprich! 836 Schreib mir’s auf! Diktier es diesem Kinde!37 So was nimmt man doch nicht mit sich fort.38 Da gibt’s doch Papier bei uns und Tinte39 Und ein Nachtmahl gibt es auch: ich wohne dort.40 Nun, ist das ein Wort?“ 941 Über seine Schulter sah der Alte42 Auf den Mann: Flickjoppe. Keine Schuh.43 Und die Stirne eine einzige Falte.44 Ach, kein Sieger trat da auf ihn zu.45 Und er murmelte: „Auch du?“ 1046 Eine höfliche Bitte abzuschlagen47 War der Alte, wie es schien, zu alt.48 Denn er sagte laut: „Die etwas fragen49 Die verdienen Antwort.“ Sprach der Knabe: „Es wird auch schon kalt.“50 „Gut, ein kleiner Aufenthalt.“

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1151 Und von seinem Ochsen stieg der Weise52 Sieben Tage schrieben sie zu zweit.53 Und der Zöllner brachte Essen (und er fluchte nur noch leise54 Mit den Schmugglern in der ganzen Zeit).55 Und dann war’s soweit. 1256 Und dem Zöllner händigte der Knabe57 Eines Morgens einundachtzig Sprüche ein.58 Und mit Dank für eine kleine Reisegabe59 Bogen sie um jene Föhre ins Gestein.60 Sagt jetzt: kann man höflicher sein? 1361 Aber rühmen wir nicht nur den Weisen62 Dessen Name auf dem Buche prangt! – 63 Denn man muß dem Weisen seine Weisheit erst entreißen.64 Darum sei der Zöllner auch bedankt:65 Er hat sie ihm abverlangt.

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Brechts Haus in Svendborg/Dänemark (1933-1939)

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Brechts Rollbild des „Zweiflers“, das ihn auf allen Exilstationen begleitete

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Laotse

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Tao Te King (6. Jh. v. Chr.):

78: Vom Wasser

Nichts in der Weltist nachgiebiger und weicher als Wasserdoch nichts ist besserum Hartes und Starkes zu überwindendank dem was es nicht istgelingt es ihm leichtDas Weiche überwindet das Hartedas Schwache überwindet das Starke

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Die höflichen Chinesen

Weniger bekannt in unserer Zeit ist es, wie sehr ein der Allgemeinheit geleisteter Dienst der Entschuldigung bedarf. So ehrten die höflichen Chinesen ihren großen Weisen Laotse, mehr als meines Wissens irgendein anderes Volk seinen Lehrer, durch die Erfindung folgender Geschichte. Laotse hatte von Jugend auf die Chinesen in der Kunst zu leben unterrichtet und verließ als Greis das Land, weil die immer stärker werdende Unvernunft der Leute dem Weisen das Leben erschwerte. Vor die Wahl gestellt, die Unvernunft der Leute zu ertragen oder etwas dagegen zu tun, verließ er das Land. Da trat ihm an der Grenze des Landes ein Zollwächter entgegen und bat ihn, seine Lehren für ihn, den Zollwächter aufzuschreiben, und Laotse, aus Furcht unhöflich zu erscheinen, willfahrte ihm. Er schrieb die Erfahrungen seines Lebens in einem dünnen Buche für den höflichen Zollwächter auf und verließ erst, als es geschrieben war, das Land seiner Geburt. Mit dieser Geschichte entschuldigen die Chinesen das Zustandekommen des Buches Taoteking, nach dessen Lehren sie bis heute leben.

(1923)

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12 Einleitung: Reiseentschluß, Aufbruch, Reise3

4 Zöllnerbegegnung – Rede des Knaben

5 Botschaft des Taoteking6 Scheinaufbruch

7 Zöllnerappell8 Einladung

9 Status des Zöllners

10 Antwort – Rede des Knaben 1112 Schreibaufenthalt, 2. Aufbruch, Moral13

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1Als er siebzig war und war gebrechlich aDrängte es den Lehrer doch nach Ruh bDenn die Güte war im Lande wieder einmal schwächlich aUnd die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu. bUnd er gürtete den Schuh. b

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1Als er siebzig war und war gebrechlich 5 Hebungen Drängte es den Lehrer doch nach Ruh 5Denn die Güte war im Lande wieder einmal schwächlich 7Und die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu. 7Und er gürtete den Schuh. 42Und er packte ein, was er so brauchte: 5Wenig. Doch es wurde dies und das. 5So die Pfeife, die er immer abends rauchte 6Und das Büchlein, das er immer las. 5Weißbrot nach dem Augenmaß. 43Freute sich des Tals noch einmal und vergaß es 6Als er ins Gebirg den Weg einschlug. 5Und sein Ochse freute sich des frischen Grases 6Kauend, während er den Alten trug. 5Denn dem ging es schnell genug. 4

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4Doch am vierten Tag im Felsgesteine 5Hat ein Zöllner ihm den Weg verwehrt: 5„Kostbarkeiten zu verzollen?“ – „Keine.“ 5Und der Knabe, der den Ochsen führte, sprach: „Er hat gelehrt.“ 8Und so war auch das erklärt. 4

10Eine höfliche Bitte abzuschlagen 5War der Alte, wie es schien, zu alt. 5Denn er sagte laut: „Die etwas fragen 5Die verdienen Antwort.“ Sprach der Knabe: „Es wird auch schon kalt.“ 8„Gut, ein kleiner Aufenthalt.“ 4

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7Was ist das mit diesem Wasser, Alter?“ 5Hielt der Alte: „Intressiert es dich?“ 5Sprach der Mann: „Ich bin nur Zollverwalter 5Doch wer wen besiegt, das intressiert auch mich. 6Wenn du’s weißt, dann sprich! 3

8Schreib mir’s auf! Diktier es diesem Kinde! 5So was nimmt man doch nicht mit sich fort. 5Da gibt’s doch Papier bei uns und Tinte 5Und ein Nachtmahl gibt es auch: ich wohne dort. 6Nun, ist das ein Wort?“ 3

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11 Als er siebzig war und war gebrechlich2 Drängte es den Lehrer doch nach Ruh3 Denn die Güte war im Lande wieder einmal schwächlich4 Und die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu.5 Und er gürtete den Schuh. 26 Und er packte ein, was er so brauchte:7 Wenig. Doch es wurde dies und das.8 So die Pfeife, die er immer abends rauchte9 Und das Büchlein, das er immer las.10 Weißbrot nach dem Augenmaß. 311 Freute sich des Tals noch einmal und vergaß es12 Als er ins Gebirg den Weg einschlug.13 Und sein Ochse freute sich des frischen Grases14 Kauend, während er den Alten trug.15 Denn dem ging es schnell genug.

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416 Doch am vierten Tag im Felsgesteine17 Hat ein Zöllner ihm den Weg verwehrt:18 „Kostbarkeiten zu verzollen?“ – „Keine.“19 Und der Knabe, der den Ochsen führte, sprach: „Er hat gelehrt.“20 Und so war auch das erklärt. 521 Doch der Mann in einer heitren Regung22 Fragte noch: „Hat er was rausgekriegt?“23 Sprach der Knabe: „Daß das weiche Wasser in Bewegung24 Mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt.25 Du verstehst, das Harte unterliegt.“ 626 Daß er nicht das letzte Tageslicht verlöre27 Trieb der Knabe nun den Ochsen an 28 Und die drei verschwanden schon um eine schwarze Föhre29 Da kam plötzlich Fahrt in unsern Mann30 Und er schrie: „He, du! Halt an!

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Höchste Güte ist wie das Wasser. Des Wassers Güte ist es, allen Wesen zu nützen ohne Streit. Es weilt an Orten, die alle Menschen verachten. Drum steht es nahe dem Sinn. (8)

Das Weiche siegt über das Harte. Das Schwache siegt über das Starke (36)

Der Mensch, wenn er ins Leben tritt, ist weich und schwach, und wenn er stirbt, so ist er hart und stark. Die Pflanzen, wenn sie ins Leben treten, sind weich und zart, und wenn sie sterben, sind sie dürr und starr.

Darum sind die Harten und Starken Gesellen des Todes, die Weichen und Schwachen Gesellen des Lebens.

Darum: Sind die Waffen stark, so siegen sie nicht. Sind die Bäume stark, so werden sie gefällt. Das Starke und Große ist unten. Das Weiche und Schwache ist oben. (78)

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416 Doch am vierten Tag im Felsgesteine17 Hat ein Zöllner ihm den Weg verwehrt:18 „Kostbarkeiten zu verzollen?“ – „Keine.“19 Und der Knabe, der den Ochsen führte, sprach: „Er hat gelehrt.“20 Und so war auch das erklärt. 521 Doch der Mann in einer heitren Regung22 Fragte noch: „Hat er was rausgekriegt?“23 Sprach der Knabe: „Daß das weiche Wasser in Bewegung24 Mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt.25 Du verstehst, das Harte unterliegt.“ 626 Daß er nicht das letzte Tageslicht verlöre27 Trieb der Knabe nun den Ochsen an 28 Und die drei verschwanden schon um eine schwarze Föhre29 Da kam plötzlich Fahrt in unsern Mann30 Und er schrie: „He, du! Halt an!

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731 Was ist das mit diesem Wasser, Alter?“32 Hielt der Alte: „Intressiert es dich?“33 Sprach der Mann: „Ich bin nur Zollverwalter34 Doch wer wen besiegt, das intressiert auch mich.35 Wenn du’s weißt, dann sprich! 836 Schreib mir’s auf! Diktier es diesem Kinde!37 So was nimmt man doch nicht mit sich fort.38 Da gibt’s doch Papier bei uns und Tinte39 Und ein Nachtmahl gibt es auch: ich wohne dort.40 Nun, ist das ein Wort?“ 941 Über seine Schulter sah der Alte42 Auf den Mann: Flickjoppe. Keine Schuh.43 Und die Stirne eine einzige Falte.44 Ach, kein Sieger trat da auf ihn zu.45 Und er murmelte: „Auch du?“ 1046 Eine höfliche Bitte abzuschlagen47 War der Alte, wie es schien, zu alt.48 Denn er sagte laut: „Die etwas fragen49 Die verdienen Antwort.“ Sprach der Knabe: „Es wird auch schon kalt.“50 „Gut, ein kleiner Aufenthalt.“

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1151 Und von seinem Ochsen stieg der Weise52 Sieben Tage schrieben sie zu zweit.53 Und der Zöllner brachte Essen (und er fluchte nur noch leise54 Mit den Schmugglern in der ganzen Zeit).55 Und dann war’s soweit. 1256 Und dem Zöllner händigte der Knabe57 Eines Morgens einundachtzig Sprüche ein.58 Und mit Dank für eine kleine Reisegabe59 Bogen sie um jene Föhre ins Gestein.60 Sagt jetzt: kann man höflicher sein? 1361 Aber rühmen wir nicht nur den Weisen62 Dessen Name auf dem Buche prangt! – 63 Denn man muß dem Weisen seine Weisheit erst entreißen.64 Darum sei der Zöllner auch bedankt:65 Er hat sie ihm abverlangt.

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Chinesischer Glücksgott(Opernplan: „Die Reisen des Glücksgotts“)

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26 Und er packte ein, was er so brauchte:7 Wenig. Doch es wurde dies und das.8 So die Pfeife, die er immer abends rauchte9 Und das Büchlein, das er immer las.10 Weißbrot nach dem Augenmaß.

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Nachträglich eingefügte Strophe 9

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1151 Und von seinem Ochsen stieg der Weise52 Sieben Tage schrieben sie zu zweit.53 Und der Zöllner brachte Essen (und er fluchte nur noch leise54 Mit den Schmugglern in der ganzen Zeit).55 Und dann war’s soweit.

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416 Doch am vierten Tag im Felsgesteine17 Hat ein Zöllner ihm den Weg verwehrt:18 „Kostbarkeiten zu verzollen?“ – „Keine.“19 Und der Knabe, der den Ochsen führte, sprach: „Er hat gelehrt.“20 Und so war auch das erklärt.

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1046 Eine höfliche Bitte abzuschlagen47 War der Alte, wie es schien, zu alt.48 Denn er sagte laut: „Die etwas fragen49 Die verdienen Antwort.“ Sprach der Knabe: „Es wird auch schon kalt.“50 „Gut, ein kleiner Aufenthalt.“

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731 Was ist das mit diesem Wasser, Alter?“32 Hielt der Alte: „Intressiert es dich?“33 Sprach der Mann: „Ich bin nur Zollverwalter34 Doch wer wen besiegt, das intressiert auch mich.35 Wenn du’s weißt, dann sprich!

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521 Doch der Mann in einer heitren Regung22 Fragte noch: „Hat er was rausgekriegt?“23 Sprach der Knabe: „Daß das weiche Wasser in Bewegung24 Mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt.25 Du verstehst, das Harte unterliegt.“

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941 Über seine Schulter sah der Alte42 Auf den Mann: Flickjoppe. Keine Schuh.43 Und die Stirne eine einzige Falte.44 Ach, kein Sieger trat da auf ihn zu.45 Und er murmelte: „Auch du?“

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1046 Eine höfliche Bitte abzuschlagen47 War der Alte, wie es schien, zu alt.48 Denn er sagte laut: „Die etwas fragen49 Die verdienen Antwort.“ Sprach der Knabe: „Es wird auch schon kalt.“50 „Gut, ein kleiner Aufenthalt.“

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1256 Und dem Zöllner händigte der Knabe57 Eines Morgens einundachtzig Sprüche ein.58 Und mit Dank für eine kleine Reisegabe59 Bogen sie um jene Föhre ins Gestein.60 Sagt jetzt: kann man höflicher sein?

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denn die <bosheit> güte wurde wieder schwächlichund die bosheit nahm an kräften zu

3 Denn die Güte war im Lande wieder einmal schwächlich4 Und die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu.

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521 Doch der Mann in einer heitren Regung 522 Fragte noch: „Hat er was rausgekriegt?“ 523 Sprach der Knabe: „Daß das weiche Wasser in Bewegung 724 Mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt. 525 Du verstehst, das Harte unterliegt.“ 5

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  An die Nachgeborenen

Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten! […]  Was sind das für Zeiten, wo   Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist   Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!   […] Ich wäre gerne auch weise.   In den alten Büchern steht, was weise ist:   Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit   Ohne Furcht verbringen   Auch ohne Gewalt auskommen   Böses mit Gutem vergelten   Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen   Gilt für weise.   Alles das kann ich nicht:   Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!  […]

  Dabei wissen wir doch:   Auch der Hass gegen die Niedrigkeit   Verzerrt die Züge.   Auch der Zorn über das Unrecht   Macht die Stimme heiser. Ach, wir   Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit   Konnten selber nicht freundlich sein.

(1939)

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Vergnügungen

Der erste Blick aus dem Fenster am MorgenDas wiedergefundene alte BuchBegeisterte GesichterSchnee, der Wechsel der JahreszeitenDie ZeitungDer HundDie DialektikDuschen, SchwimmenAlte MusikBequeme SchuheBegreifenNeue MusikSchreiben, PflanzenReisenSingenFreundlich sein

(1954)

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Das Gedicht ist zu einer Zeit geschrieben, wo dieser Satz den Menschen als eine Verheißung ans Ohr schlägt, die keiner messianischen etwas nachgibt. Es enthält aber für den heutigen Leser nicht nur eine Verheißung sondern auch eine Belehrung.

Daß das weiche Wasser in Bewegung Mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt

belehrt darüber, daß es geraten ist, das Unstete und Wandelbare der Dinge nicht aus dem Auge zu verlieren und es mit dem zu halten, was unscheinbar und nüchtern, auch unversieglich ist wie das Wasser. Der materialistische Dialektiker wird dabei an die Sache der Unterdrückten denken. (Sie ist eine unscheinbare Sache für die Herrschenden, eine nüchterne für die Unterdrückten und, was ihre Folgen angeht, die unversieglichste.) An dritter Stelle endlich steht neben der Verheißung und neben der Theorie die Moral, die aus dem Gedicht hervorgeht. Wer das Harte zum Unterliegen bringen will, der soll keine Gelegenheit zum Freundlichsein vorbei gehen lassen.

Walter Benjamin (1939)