Bertolt Brecht

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Bertolt Brecht (auch Bert Brecht ; gebürtig Eugen Berthold Friedrich Brecht ; * 10. Februar 1898 in Augsburg ; † 14. August 1956 in Berlin ) war ein einflussreicher deutscher Dramatiker und Lyriker des 20. Jahrhunderts. Seine Werke werden weltweit aufgeführt. Brecht hat das epische Theater beziehungsweise „dialektische Theater“ begründet und umgesetzt. Bertolt Brecht (auch: Bert Brecht; eigentlich: Eugen Berthold Friedrich Brecht) wurde am 10. Februar 1898 in Augsburg als ältester von zwei Söhnen des späteren Fabrikdirektors Berthold Brecht (1869 – 1939) und dessen Frau Sophie (1871 – 1920) geboren. Über seine Schulzeit schreibt Bertolt Brecht später: »Die Volksschule langweilte mich 4 Jahre. Während meines 9-jährigen Eingewecktseins an einem Augsburger Realgymnasium gelang es mir nicht, meine Lehrer wesentlich zu fördern. Mein Sinn für Muße und Unabhängigkeit wurde von ihnen unermüdlich hervorgehoben.« Nach dem Notabitur im Ersten Weltkrieg immatrikulierte sich Bertolt Brecht zwar am 2. Oktober 1917 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München für das Studium der Medizin und der Naturwissenschaften – begann jedoch nicht ernsthaft damit, denn das wahre Interesse des jungen Mannes, der schon als sechzehnjähriger Gymnasiast mehrere Texte in den »Augsburger Neuesten Nachrichten« veröffentlicht hatte, galt dem Schreiben. Am 1. Oktober 1918 – wenige Wochen vor dem Ende des Ersten Weltkriegs – musste er noch zum Militär und wurde als Sanitätssoldat in einem Seuchenlazarett in Augsburg eingesetzt. Das Leid, das er dort sah, machte den Zwanzigjährigen zum bewussten Pazifisten. Seine Geliebte Paula Banholzer kam am 30. Juli 1919 mit einem Sohn nieder (Frank). Nach seiner Trennung von ihr heiratete Bertolt Brecht am 3. November 1922 die fünf Jahre ältere österreichische Opernsängerin Marianne Zoff (1893 – 1984), die vier Monate später, am 12. März 1923, von einer Tochter entbunden wurde (Hanne Marianne). Bald nach der Geburt seines zweiten Kindes lernte Bertolt Brecht in Berlin die Schauspielerin Helene Weigel (1900 – 1971) kennen, die am 3. November 1924 ihren gemeinsamen Sohn zur Welt brachte (Stefan). Das Theaterstück »Baal« , das Bertolt Brecht im Alter von zwanzig Jahren geschrieben hatte, wurde am 8. Dezember 1923 in Leipzig uraufgeführt.

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Bertolt Brecht (auch Bert Brecht; gebürtig Eugen Berthold Friedrich Brecht; * 10. Februar 1898 in Augsburg; † 14. August 1956 inBerlin) war ein einflussreicher deutscher Dramatiker und Lyriker des 20. Jahrhunderts. Seine Werke werden weltweit aufgeführt. Brecht hat das epische Theater beziehungsweise „dialektische Theater“ begründet und umgesetzt.

Bertolt Brecht (auch: Bert Brecht; eigentlich: Eugen Berthold Friedrich Brecht) wurde am 10. Februar 1898 in Augsburg als ältester von zwei Söhnen des späteren Fabrikdirektors Berthold Brecht (1869 – 1939) und dessen Frau Sophie (1871 – 1920) geboren.

Über seine Schulzeit schreibt Bertolt Brecht später: »Die Volksschule langweilte mich 4 Jahre. Während meines 9-jährigen Eingewecktseins an einem Augsburger Realgymnasium gelang es mir nicht, meine Lehrer wesentlich zu fördern. Mein Sinn für Muße und Unabhängigkeit wurde von ihnen unermüdlich hervorgehoben.« Nach dem Notabitur im Ersten Weltkrieg immatrikulierte sich Bertolt Brecht zwar am 2. Oktober 1917 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München für das Studium der Medizin und der Naturwissenschaften – begann jedoch nicht ernsthaft damit, denn das wahre Interesse des jungen Mannes, der schon als sechzehnjähriger Gymnasiast mehrere Texte in den »Augsburger Neuesten Nachrichten« veröffentlicht hatte, galt dem Schreiben. Am 1. Oktober 1918 – wenige Wochen vor dem Ende des Ersten Weltkriegs – musste er noch zum Militär und wurde als Sanitätssoldat in einem Seuchenlazarett in Augsburg eingesetzt. Das Leid, das er dort sah, machte den Zwanzigjährigen zum bewussten Pazifisten.

Seine Geliebte Paula Banholzer kam am 30. Juli 1919 mit einem Sohn nieder (Frank). Nach seiner Trennung von ihr heiratete Bertolt Brecht am 3. November 1922 die fünf Jahre ältere österreichische Opernsängerin Marianne Zoff (1893 – 1984), die vier Monate später, am 12. März 1923, von einer Tochter entbunden wurde (Hanne Marianne). Bald nach der Geburt seines zweiten Kindes lernte Bertolt Brecht in Berlin die Schauspielerin Helene Weigel (1900 – 1971) kennen, die am 3. November 1924 ihren gemeinsamen Sohn zur Welt brachte (Stefan).

Das Theaterstück »Baal«, das Bertolt Brecht im Alter von zwanzig Jahren geschrieben hatte, wurde am 8. Dezember 1923 in Leipzig uraufgeführt. Gleich darauf verbot der Oberbürgermeister das anarchische, expressionistische Stück, das von einem vermeintlichen Dichter- und Musikergenie handelt, einem jungen Mann, der sich und seine engsten Freunde zerstört, weil er sich in seinem egomanisch-narzisstischen Wahn gegen jede Vereinnahmung wehrt, nach einem schrankenlosen Leben giert und glaubt, keinerlei Rücksichten nehmen zu müssen.

Im Oktober 1924 zog Bertolt Brecht von München nach Berlin, wo Max Reinhardt (1873 – 1943) ihn und seinen zwei Jahre älteren Kollegen Carl Zuckmayer als Dramaturgen für das Deutsche Theater unter Vertrag nahm.

In Berlin schuf Bertolt Brecht zusammen mit dem Komponisten Kurt Weill (1900 - 1950) eine neue Form des Musiktheaters: »Die Dreigroschenoper«. Der Plot geht auf die 1728 in London uraufgeführte »The Beggar's Opera« zurück (Text: John Gay, Musik: Christopher Pepush), deren Libretto die

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Deutschamerikanerin Elisabeth Hauptmann für Bertolt Brecht übersetzte. Kurt Weill komponierte die Musik und verschmolz in den sparsam instrumentierten Songs wirkungsvoll Elemente des Jazz und der traditionellen Musik mit Foxtrott-, Shimmy- und

Tangorhythmen. Die Uraufführung fand am 31. August 1928 im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin statt. Unter der Regie von Erich Engel spielten Erich Ponto, Harald Paulsen, Roma Bahn, und Kurt Weills Ehefrau Lotte Lenya debütierte als Jenny. »Die Dreigroschenoper« wurde zu einem der größten Theatererfolge der Zwanzigerjahre. Darüber war Bertolt Brecht nicht etwa glücklich, sondern entsetzt, denn der Erfolg offenbarte, dass ihn das Publikum nicht verstand. Obwohl »Die Dreigroschenoper« im viktorianischen London spielt, richtete sich Bertolt Brechts beißende Satire auf die privilegierten Vertreter der von ihm für unmenschlich gehaltenen bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft der Weimarer Republik, die auch im Zuschauerraum saßen. »Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral«, behauptet Mackie Messer im 2. Akt der »Dreigroschenoper«. »Denn wovon lebt der Mensch? Indem er stündlich / Den Menschen peinigt, auszieht, anfällt, abwürgt und frisst. / Nur dadurch lebt der Mensch, dass er so gründlich / Vergessen kann, dass er ein Mensch doch ist.« Der Erfolg der »Dreigroschenoper« bewies außerdem, dass Bertolt Brecht bei diesem Stück – nicht zuletzt wegen der mitreißenden Songs – mit seiner Absicht gescheitert war, die Zuschauer durch illusionszerstörende Effekte (Verfremdungseffekte) zur aktiven Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Bühnengeschehens und zum Nachdenken über die Missstände in der Gesellschaft zu bringen.

»Kaum jemand hat härter als Brecht die zerrütteten menschlichen Verhältnisse in einer zerrütteten Welt gezeichnet.« (Marianne Kesting) Obwohl Bertolt Brecht die kapitalistische Gesellschaft in seinen Stücken anprangerte und sich zum Marxismus bekannte, den er ernsthaft studiert hatte (»als ich Das Kapital von Marx las, verstand ich meine Stücke«), wurde er nie Mitglied der KPD.

Während bei der aristotelischen Tragödie eine durchlaufende Handlung auf einer Guckkastenbühne möglichst störungsfrei ablaufen soll, damit sich das Publikum in die Illusion des Bühnengeschehens versetzen kann, führte Bertolt Brecht das »epische Theater« ein, mit dem er genau das Gegenteil erreichen wollte: Argumentation statt Suggestion. Statt unkritische Emotionen hervorzurufen, konfrontiert er die Zuschauer mit gesellschaftlichen Problemen und regt sie zu eigenständigem Denken an, indem er Kulissen und Requisiten zwar sorgfältig auswählt und platziert, aber auf ein Minimum beschränkt. Darsteller, die das Spiel unterbrechen und sich mit Kommentaren direkt an das Publikum wenden, betonen auf diese Weise ihre Funktion als Schau-Spieler und steigern den erwünschten Verfremdungseffekt.

Brecht war eine Marke, wenn auch noch ohne Logo. Seine Produktionsweise war industriell, wie eine Fabrik, vergleichbar später mit der Warhols oder Vasarelys. Brecht war der Fabrikbesitzer, der Kreativdirektor und der Marketingmanager in einer Person. (Carl-Ludwig Reichert: Marieluise Fleißer, Seite 75)

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Am 10. April 1929 heiratete der seit 22. November 1927 von Marianne Zoff geschiedene Einunddreißigjährige Helene Weigel, und im Oktober des folgenden Jahres bekam ihr knapp sechs Jahre alter Sohn eine Schwester (Maria Barbara).

Einen Tag nach dem Reichstagsbrand, am 28. Februar 1933, emigrierten Bertolt Brecht und Helene Weigel mit ihren beiden Kindern über Prag und Wien in die Schweiz, im Herbst dann nach Paris und schließlich über Kopenhagen nach Svendborg in Dänemark.

Obwohl es Helene Weigel aus Eifersucht und Sorge um die Gesundheit der Kinder missbilligte, nahm ihr Ehemann die an Tuberkulose erkrankte Margarete Steffin, die 1932 als Assistentin zu ihm gekommen und eine seiner Geliebten geworden war, mit ins Exil. Seine langjährige Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann kam ebenfalls mit, doch als Bertolt Brecht in Dänemark mit Ruth Berlau ein weiteres Liebesverhältnis begann, setzte sie sich in die USA ab. Die Dänin Ruth Berlau war 1930 im Alter von 24 Jahren mit dem Fahrrad von Kopenhagen nach Paris gefahren und hatte sich danach während einer mehrmonatigen Fahrradtour durch die Sowjetunion vom Kommunismus überzeugen lassen. Sie lernte Bertolt Brecht 1933 in Kopenhagen kennen, wurde zwei Jahre später seine Geliebte und ließ sich 1936 von ihrem Ehemann Robert Lund scheiden.

Im April 1939 fühlte Bertolt Brecht sich wegen des drohenden Krieges in Dänemark nicht mehr sicher und reiste mit Helene Weigel, den Kindern Stefan und Barbara, Margarete Steffin und Ruth Berlau nach Schweden, wo sie knapp ein Jahr lang bei der Bildhauerin Ninan Santesso auf der Insel Lidingö in der Nähe von Stockholm lebten. Nach einem längeren Aufenthalt bei der Schriftstellerin Hella Wuolijoki auf ihrem Gut Marlebäk in Kausala zwischen den finnischen Städten Lathi und Kouvola brach der "Frauen-Dompteur" (Carl-Ludwig Reichert, a. a. O., Seite 65) mit seinem Clan erneut auf. Margarete Steffin ließ er sterbend in Leningrad zurück, als er mit den Kindern und den anderen Frauen 1941 nach Moskau fuhr und von dort mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Wladiwostok, wo sie sich nach Kalifornien einschifften.

Bertolt Brecht ließ sich in Santa Monica nieder und versuchte, Aufträge für Hollywood-Plots zu bekommen, aber das gelang ihm nur ein einziges Mal

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(Fritz Lang: Hangmen Also Die, 1943). Er traf sich regelmäßig mit anderen deutschen Emigranten wie zum Beispiel Thomas und Heinrich Mann, befreundete sich mitCharlie Chaplin und schrieb mit Lion Feuchtwanger 1942 das Drama »Die Gesichte der Simone Machard«. Während er mit dem englischen Schauspieler Charles Laughton an einer zweiten Fassung seines Theaterstücks »Leben des Galilei«arbeitete, zerstörten die Amerikaner am 6. bzw. 9. August 1945 die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki mit Atombomben [mehr dazu], wodurch die von dem Schauspiel aufgeworfene Frage nach der Verantwortung von Wissenschaftlern eine neue Dimension erhielt.

Wegen seiner gesellschaftskritischen Ansichten musste sich Bertolt Brecht am 30. Oktober 1947 vor dem Senatsausschuss zur Untersuchung »unamerikanischer Umtriebe« in Washington, D. C., einem peinlichen Verhör unterziehen. Am nächsten Tag verließ er mit Frau und Tochter frustriert Amerika, statt der Uraufführung der amerikanischen Version seines Stücks »Leben des Galilei« in Beverly Hills mit Charles Laughton in der Titelrolle beizuwohnen. Der Sohn Stefan, der drei Tage später seinen 23. Geburtstag feierte, blieb allerdings in den USA.

Eigentlich wollte Bertolt Brecht in die Bundesrepublik Deutschland. Weil jedoch die westlichen Alliierten dem am 8. Juni 1935 von den Nationalsozialistenausgebürgerten Staatenlosen die Einreise verweigerten, ließen Bertolt Brecht und Helene Weigel sich nach einem längeren Aufenthalt in der Schweiz am 22. Oktober 1948 in Ostberlin nieder. (1950 erhielten sie österreichische Pässe.)

Im folgenden Herbst gründeten Bertolt Brecht und Helene Weigel das »Berliner Ensemble«, das zuerst im Deutschen Theater gastierte, im März 1954 ein eigenes Haus am Schiffbauerdamm bezog und sich zu einer der bedeutendsten Experimentierbühnen Europas entwickelte.

Ruth Berlau, die nach wie vor zu Bertolt Brechts Entourage gehörte und seine Arbeit als Fotografin dokumentierte, litt zunehmend darunter, dass sie im Leben ihres Idols nur eine Nebenrolle spielte. Auch Elisabeth Hauptmann arbeitete wieder für den Dramatiker; ihre Affäre blieb jedoch Vergangenheit. Dafür begann Bertolt Brecht eine Beziehung mit der achtundzwanzig Jahre

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jüngeren Schauspielerin Käthe Reichel, die 1950 zum Berliner Ensemble stieß und auch in der Bundesrepublik bedeutende Rollen übernahm.

Bertolt Brecht ließ sich zwar am 7. Oktober 1951 mit dem Nationalpreis der DDR auszeichnen, beanspruchte aber weiterhin zumindest für sich die Freiheit des Denkens und geriet dadurch in eine zwiespältige Lage, als sich die Hoffnung vieler DDR-Bürger auf eine Liberalisierung nach dem Tod des sowjetischen Staats- und Parteichefs Stalin am 5. März 1953 nicht erfüllte, sondern stattdessen die Arbeitsnormen für Industriebetriebe in der DDR um 10 Prozent angehoben wurden. Der Unmut der betroffenen Arbeiter entlud sich am 17. Juni in einem Aufstand, der von Ostberlin auf andere Städte übergriff, jedoch mit sowjetischen Panzern rasch niedergeschlagen wurde. Bertolt Brecht nahm dazu in zwei Schreiben an Walter Ulbricht ausführlich Stellung. Er hielt die Forderungen der Arbeiter für berechtigt, glaubte jedoch die offizielle Darstellung, dass deren Unzufriedenheit von Regimegegnern instrumentalisiert worden sei und bejahte das harte Durchgreifen des Staates gegen »Provokateure«.

Privat wirkte Bertolt Brecht bescheiden, zurückhaltend und ein wenig schüchtern, doch wenn es sich um künstlerische Auffassungen handelte, vertrat er eine klare Meinung. »Es ging Brecht immer um die Sache, nie um seine Person.« (Marianne Kesting) Max Frisch kommentierte in seinem Tagebuch: »Die Faszination, die Brecht immer wieder hat, schreibe ich vor allem dem Umstand zu, dass hier ein Leben wirklich vom Denken aus gelebt wird.«

Am 14. August 1956, im Alter von 58 Jahren, erlag Bertolt Brecht in Berlin einem Herzinfarkt.

Das Werk[Bearbeiten]

Stücke[Bearbeiten]

Brecht formte seine Stücke zumeist in direkter Wechselwirkung mit den Aufführungen. So folgten,

zumindest in der Zeit vor seinem Exil, die Druckfassungen oft den Inszenierungen nach.

Erfahrungen, die hier gemacht wurden, konnten dort mit einfließen. Brecht experimentierte in der Zeit

von 1918 bis 1933 intensiv mit den verschiedenen künstlerischen Möglichkeiten, die die

Theaterbühne bot. Das änderte sich, nachdem Brecht Deutschland verlassen musste. Von

Ausnahmen abgesehen, konnte er nun nur noch „auf Halde“ produzieren. In dieser sogenannten

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„zweiten Periode“ prägte sich Brechts Stil, sein episches Theater. Umarbeitungen an den Stücken

waren an der Tagesordnung. Sich ändernde politische Umstände flossen, durch den Autor reflektiert,

in die Stücke ein. Als Beispiel mag hier die amerikanische Fassung desLeben des Galilei gelten, in

der sich sowohl die Sprach- und Bühnenkompetenz des Hauptdarstellers Charles

Laughton wiederfand, als auch Brechts Erschütterung über die amerikanischen Atombombenabwürfe

im Zweiten Weltkrieg, die zu einer Verschiebung des Aussageschwerpunktes hin zur Frage der

persönlichen Verantwortung des Wissenschaftlers vor der Gesellschaft führte. Als Brecht nach dem

Krieg nach Europa zurückgekehrt war, bildete die direkte Theaterarbeit, auch die Bearbeitung von

Stücken anderer Autoren den Schwerpunkt seiner Tätigkeit.

Brecht verfasste 48 Dramen und etwa 50 Dramenfragmente, von den Fragmenten gelten sieben als

spielbar. Abgesehen von kleineren Arbeiten, war Baal Brechts erstes Stück, dem 1919 mit Trommeln

in der Nacht ein deutlich gesellschaftskritischeres Drama folgte. Sein größter Erfolg,

die Dreigroschenoper, fällt in das Jahr 1928, er wäre ohne die Musik Kurt Weills nicht möglich

gewesen. 1930 verursachte das Stück Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny einen der größten

deutschen Theaterskandale, als es in Leipzig zu tumultartigen Szenen, wohl provoziert von

politischen Gegnern unter den Zuschauern kam. Brechts Opern und seine Lehrstücke gelten

als avantgardistisch, während seine Exildramen den klassischen Rahmen des „Theater[s] als

Institution“[65] nicht verlassen.

Brecht brauchte für das Stückeschreiben nach Auskunft von Elisabeth Hauptmann ein „lebendiges

Gegenüber, einen intellektuellen Mitspieler“.[66] Auch Brechts Schüler Manfred Wekwerth wusste,

dass der Dichter dort besonders produktiv war, wo er bereits etwas vorfand, das er ändern,

berichtigen, umgestalten konnte. Nicht allein aufs Machen, aufs Andersmachen kam es ihm an.[67] Kooperative Arbeitsweise und die enge Zusammenarbeit mit Schülern waren bei Brecht üblich,

wobei er die dominierende Person war. Um diesen Arbeitsstil Brechts rankten sich nach seinem Tod

etliche Legenden. Zum anderen bedachte Brecht alle Möglichkeiten, die das moderne Theater bot,

und bezog sie in die Ausgestaltung seiner Stücke ein. Auch hierbei war er auf die Mithilfe der

entsprechenden Spezialisten angewiesen.

Gedichte[Bearbeiten]

In seinem vielzitierten Aufsatz Kurzer Bericht über 400 (vierhundert) junge Lyriker aus dem Jahr

1927 erläuterte Brecht seine Auffassung vom „Gebrauchswert“, den ein Gedicht haben müsse. „[…]

werden solche ‚rein‘ lyrischen Produkte überschätzt. Sie entfernen sich einfach zu weit von der

ursprünglichen Geste der Mitteilung eines Gedankens oder einer auch für Fremde vorteilhaften

Empfindung“.[68] Dies und der dokumentarische Wert, den er einem Gedicht zubilligte, lässt sich

durch sein gesamtes lyrisches Schaffen verfolgen. Dieses war außerordentlich umfangreich, in

der Großen kommentierten Berliner und Frankfurter Ausgabe finden sich etwa 2300 Gedichte, einige

davon in verschiedenen Versionen. Es war für Brecht offenbar tiefes Bedürfnis, jeden Eindruck,

jedes wesentliche Ereignis, ja jeden Gedanken in Gedichtform zu reflektieren. Noch kurz vor seinem

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Tode entstanden etwa zwanzig neue Gedichte.[69] Auch die Form ist außerordentlich vielgestaltig, sie

reicht von ungereimtem Text über Paarreime zu klassischenHexametern.

Da viele Gedichte Brechts als Reaktion auf Ereignisse in der Außenwelt, also im Zusammenhang mit

konkreten Gelegenheiten entstanden, erschließen sie sich dem Leser oft dann, wenn er sie auch so

auffasst, als Gelegenheitsgedichte im Wortsinn.[70] Die „Gelegenheitsbezogenheit“ lässt sich sowohl

in Brechts Liebeslyrik, als auch in seinen politischen Dichtungen nachweisen. Letztere entstanden

häufig aus konkreten Anfragen oder auf Bitte aus antifaschistischen Kreisen (siehe

auch Einheitsfrontlied) hin.

Wenn auch die moderne Forschung davon ausgeht, dass Brecht beim größten Teil seiner Gedichte

die alleinige Autorenschaft zukommt, gab es dennoch Zusammenarbeit mit anderen Künstlern,

insbesondere mit Komponisten, die ihren Niederschlag in den Werken fand. Brecht hat der

Vertonung seiner Gedichte immer einen hohen Stellenwert beigemessen, viele sind direkt als Lieder

entstanden. Man geht davon aus, dass es zu etwa 1000 Texten eine Musik gibt, oder gegeben hat.[71] Brecht arbeitete dabei unter anderen mit Franz S. Bruinier, Hanns Eisler, Günter Kochan, Kurt

Weill und Paul Dessau zusammen.

Seine ersten Gedichte veröffentlichte Brecht 1913 in der Schülerzeitschrift Die Ernte. Als erste

bedeutende Publikationen gelten Bertolt Brechts Hauspostille (1927 beimPropyläen-

Verlag erschienen) und Die Songs der Dreigroschenoper (1928). Im Exil wurden die

Sammlungen Lieder Gedichte Chöre (1934 in Paris mit Notenanhang nach Hans Eisler)

und Svendborger Gedichte (1939 in London als Vorabdruck, Herausgeberin Ruth Berlau) verlegt.

Nach dem Krieg gab es neben anderen 1951 die Anthologie Hundert Gedichte und 1955 wurde

die Kriegsfibel verlegt. Die Buckower Elegien wurden dagegen nur einzeln, z. B. in Versuche 12/54,

veröffentlicht.

Es gilt als wahrscheinlich, dass immer noch unbekannte Gedichte Brechts aufgefunden werden

können, da von einigen lediglich die Titel bekannt sind.[72] 2002 wurde in Berlin auf einer

Internationalen Messe für Autografen, Bücher und Grafik ein bisher unveröffentlichtes

handschriftliches Gedicht mit dem Titel Der Totenpflug zum Kauf angeboten.[73]

Brechts Gedichte wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Bekannte Übersetzer im

englischsprachigen Raum sind beispielsweise Eric Bentley, John Willett und Ralph Manheim. Im

spanischsprachigen Raum ist Miguel Sáenz besonders bedeutsam.

Lehrstücke[Bearbeiten]

Der Begriff Lehrstück wird heute synonym für Lehrbeispiel benutzt, seine Herkunft aus dem Gebiet

der Gebrauchskunst ist weitgehend unbekannt. Er taucht bei Brecht sporadisch und an nicht

exponierten Stellen etwa ab 1926 auf.

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Es wird davon ausgegangen, dass er den Begriff nicht von Anfang an als Klassifikationsbegriff

benutzte. Als Typus entwickelten sich die Lehrstücke etwa ab 1929 im Zusammenhang mit dem

Musikfest in Baden-Baden, Brecht selbst rechnete sechs seiner Werke dazu.[74] Wichtige erste

Beispiele sind die Radiokantate Der Lindberghflug undLehrstück als „Gemeinschaftsmusik“. Bei der

„Gemeinschaftsmusik“ bekam das Publikum die Funktion eines Chores und sollte an bestimmten

Stellen des Stücks mitsingen. Ab 1930 benutzte Brecht dann „Lehrstück“ auch im Sinne einer

Genrebezeichnung. Das neue Genre wurde kontrovers diskutiert, so endete die Uraufführung

von Lehrstück in Baden-Baden mit einem Skandal, allerdings wurde der Ansatz, Kunst in

Gemeinschaft und im Zusammenwirken vieler Menschen aktiv auszuüben,

als avantgardistisch bewertet. Brechts Intentionen gingen weit darüber hinaus. So sollte sich aus

Gemeinschafts- und Gebrauchskunst heraus eine politisch ausgerichtete Kollektivität entwickeln.

Etwa ab 1930 erlebte das Genre einen kurzen Aufschwung, als auch Schulprojekte einbezogen

wurden, wobei immer das kollektive Üben, nicht die eventuelle Aufführung im Mittelpunkt stand. Die

Übergänge zu anderen Genres wie Schuloper waren dabei nicht klar abgegrenzt. 1930 wurde

mit Der Jasager erstmals im 20. Jahrhundert eine Schuloper unter Beteiligung vieler Berliner Schüler

uraufgeführt. Sie war sehr erfolgreich und Brecht griff sofort Hinweise der Schüler auf, um das Werk

zu überarbeiten. Hieraus entstand später Der Neinsager.

Brecht hat sein Interesse an den Lehrstücken weder im Exil noch später in der DDR verloren. Da sie

sich aber weder dazu eigneten, auf Halde produziert zu werden, noch in der Nachkriegs-DDR die

Voraussetzungen gegeben waren, sie wieder zu etablieren, räumte er anderen Aufgaben Priorität

ein. Es gab 1953 noch einen Projektentwurf Die neue Sonne als Lehrstück, das mit den Ereignissen

des 17. Juni im Zusammenhang stand, aber nicht realisiert wurde.[75]

Filme und Drehbücher[Bearbeiten]

In Brechts Nachlass finden sich Ideen, Skizzen, Drehbücher zu Filmen in großer Anzahl, umgesetzt

wurden davon nur sehr wenige.

Etwa ab 1920 begann Brecht, sich für Filmprojekte zu interessieren. Es waren dies zunächst

Entwürfe für Werbefilmchen, Drehbücher für Detektivgeschichten, eine Art

verfremdete Robinsonade. 1923 entstand der Kurzfilm (ca. 32 Minuten) Mysterien eines

Frisiersalons, eine Aneinanderreihung skurriler Szenen, zu dem Brecht das Drehbuch geschrieben

haben soll (der Film galt lange als verschollen und wurde erst 1974 wiederaufgefunden und

aufwändig rekonstruiert). Ein Vertrag, den Brecht 1930 mit der Nero-Film AG über die Verfilmung

der Dreigroschenoper geschlossen hatte, wurde durch diese gekündigt und der Film wurde ohne die

Mitarbeit Brechts fertiggestellt. Der erste Film, in dem er weitgehend seine Ideen umsetzen konnte,

war der 1931 entstandene Film Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?. Das Drehbuch hierzu

schrieb er gemeinsam mitSlatan Dudow und Ernst Ottwalt. Um den Film gab es mehrere

Zensurverfahren, ab 1933 durfte er nicht mehr gezeigt werden. Im US-amerikanischen Exil schrieb

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Brecht zunächst erfolglos zahlreiche Filmtexte. In seinem Journal notierte er 1942: „Zum erstenmal

seit zehn Jahren arbeite ich nichts Ordentliches“. Dies änderte sich, als er 1942 gemeinsam mit Fritz

Lang das Konzept zu dem Film, der später unter dem Titel Hangmen Also Die in die Kinos kam,

entwickelte. Der große Anteil Brechts an dem Filmwerk wurde erst nach 1998 richtig bewertet, als

seine Verträge mit Lang aufgefunden wurden. Nach der Rückkehr aus dem Exil konzentrierte sich

Brecht auf die Verfilmung vorhandener Werke. 1955 scheiterte nach vielen Querelen der Plan, das

Stück Mutter Courage bei der DEFA zu verfilmen. Auch weitere Versuche Brechts, seine

Vorstellungen bei der DEFA durchzusetzen, waren nicht erfolgreich. Sein Stück, Herr Puntila und

sein Knecht Matti wurde dann bei der Wien-Film in Österreich gedreht (Herr Puntila und sein Knecht

Matti (1955)), ein in Brechts Augen missratener Film.[76]

Filmisch konnte Brecht an seine Erfolge als Bühnenautor nicht anknüpfen. Als Grund mag gelten,

dass er zu sehr darauf bedacht war, die Akzente nach seinen Vorstellungen zu setzen, die teilweise

auch die Aussagen der zugrundeliegenden Stücke verfremdeten. Daneben dürfte auch ein gewisser

Konservatismus der kommerziellen Filmproduktion eine Rolle gespielt haben, nämlich die Tendenz,

sich experimentellen Ansätzen eher zu verschließen.

Interpretation: Das epische Theater

Bertolt Brecht gilt als Begründer des Epischen Theaters, zu dem ihm zunächst die marxistischen

Gesellschaftstheorie erste Ansätze geliefert hat. Aus diesen Ideen entwickelt sich im Laufe der Zeit das

Konzept des analytischen oder dialektischen Theaters, das den Zuschauer zum Reflektieren und

Analysieren anregen soll, nicht aber zum Mitfühlen. Um dieses Ziel zu erreichen, entwickelt Brecht

Verfremdungs- und Desillusionsstrategien, um die Illusion des Zuschauers aufzubrechen und das Spiel

gerade als ‚Nicht-Realität’ zu kennzeichnen. Entsprechend verlangt Brecht von seinen Schauspielern

auch nicht ein Sich-in-die-Rolle-Hineinversetzen, sondern im Gegenteil, eine analytisch-externe

Herangehensweise.

Einige von Brecht eingesetzte und weiterentwickelte Verfahren entstammen sogar dem russischen

Revolutionstheater, mit dem sich Brecht bereits 1919 beschäftigt hat; dessen Hauptvertreter

Meyerhold wird in den 1930er Jahren zunehmend zu Brechts Antagonisten.

Das Epische Theater grenzt sich deutlich vom klassischen Theater ab durch Ausschaltung der

traditionellen dramatischen Elemente wie Spannungsbogen, fortlaufende Erzählung, Illusionsbühne, ein

eindeutiges Ende oder eindeutige, nach gut und böse unterscheidbare Charaktere. Ein bloße Reihung

von Bildern ersetzt eine konsequenter Handlungsentwicklung, Widersprüche sollen den Zuschauer

wachhalten, die Schauspieler zerstören die Illusionsbühne, indem sie Anreden an das Publikum machen

(Epiloge !) oder das Publikums sogar in die Darstellung einbeziehen, es wird weitgehend auf

illusionsfördernde Requisiten verzichtet, sodass die Bühnentechnik sichtbar wird.

Dies alles impliziert auch eine Abgrenzung vom passiven Zuschauer, der nur so lange passiv sein kann,

wie konventionelle dramatische Elemente die damit verbundene rezeptive Haltung gestatten. Brecht

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fordert dagegen ein aktives und engagiertes Mitdenken des Zuschauers über die dargestellten Figuren

und Verhältnisse. Der Zuschauer soll sich nicht in der Handlung verlieren, sondern die Darbietung als

Problemstellung begreifen, an deren Lösung er selbst mitarbeiten kann und soll.

Im Gegensatz zur klassischen Dramaturgie wird der Zuschauer bei Brecht mit einer veränderlichen

Welt konfrontiert, aus der er Konsequenzen für eigene Entscheidungen ziehen soll.

Die Verfremdung der dramatischen Handlung will also verhindern, dass der Zuschauer der

Illusionsbühne unterliegt. Gelingt dies, ist dieser Zuschauer auf dem besten Weg zu einem kritischen

und aktiv handelnden Zeitgenossen: Der Zuschauer soll durch den Schock des Nicht-Verstehens des

scheinbar Selbstverständlichen zum „wirklichen Verstehen“ (auch im Sinne der marxistischen

Gesellschaftstheorie) geführt werden.

Interpretation: Lyrik (Einführung)

Brechts Lyrik zeichnet sich a priori durch zwei Eigenschaften aus: Zum einen haben auch seine

Gedichte jenen epischen Charakter, der von den Brechtschen Theaterstücken her mehr als vertraut ist,

und zum anderen verzichten gerade seine Lehrgedichte auf das eigentlich unverzichtbare lyrische Ich.

Diese Lehrgedichte, deren Titel wie Postille, Lesebuch, Exerzitium oder Fibel das pädagogisch-

didaktisch ausgerichtete Lehrkonzept verraten, folgen dennoch keinem statischen Schema, sondern

unterliegen Veränderungen und Wandlungen. Das Wesentliche ist dabei der Gebrauchswert des

Gedichtes, wie Brecht in n seinem berühmten Aufsatz Kurzer Bericht über 400 (vierhundert) junge

Lyriker (1927) beschreibt. Neben dem Gebrauchswert verfügt das Gedicht als skizzierte

Momentaufnahme per se auch über einen dokumentarischen Wert, und so wundert es kaum, dass

Brecht unzählige Momente seines Lebens in dieser Form festgehalten hat; etwa 2.300 Gedichte

enthalten die einschlägigen Berliner und Frankfurter Ausgaben. Ein weiteres Merkmal sind, wie bei

vielen anderen zeitgenössischen Dichtern auch, die vielseitig gestalteten, oft in unregelmäßigen

Rhythmen gehaltenen freien, also reimlosen Verse. Daneben weisen Brechts Gedichte auch eine

sprachliche Besonderheit auf, nämlich die ungewöhnlich häufige Verwendung desparticipium

praesentis (wartend, fragend, lebend), das das so gestaltete Verb in einen Schwebezustand versetzt,

der sich erfolgreich gegen Abgeschlossenheit zur Wehr setzt.

Rund 1000 der Brechtschen Gedichte sind oder waren als Lieder konzipiert, denn für Brecht war die

Vertonung seiner Gedichte immer ein wichtiger, wenn nicht gar wesentlicher Aspekt. Inwieweit bei

diesen Vertonungen auch die Komponisten Einfluss genommen haben auf die Textgestalt, lässt sich

heute natürlich nicht mehr belegen, allerdings geht die Forschung davon aus, dass trotzdem der größte

Teil der Verse aus Brechts Feder stammt.

Die wichtigsten Gedichtsammlungen Brechts sind Die Hauspostille (1927), Die Songs der

Dreigroschenoper (1928), Lieder, Gedichte, Chöre (1934) und Svendborger Gedichte (1939).

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Schlechte Zeit für LyrikIch weiß doch: nur der Glückliche

Ist beliebt. Seine StimmeHört man gern. Sein Gesicht ist schön.

Der verkrüppelte Baum im HofZeigt auf den schlechten Boden, aber

Die Vorübergehenden schimpfen ihn einen KrüppelDoch mit Recht.

Die grünen Boote und die lustigen Segel des SundesSehe ich nicht. Von allem

Sehe ich nur der Fischer rissiges Garnnetz.Warum rede ich nur davon

Daß die vierzigjährige Häuslerin gekrümmt geht?Die Brüste der MädchenSind warm wie ehedem.

In meinem Lied ein ReimKäme mir fast vor wie Übermut.

In mir streiten sichDie Begeisterung über den blühenden Apfelbaum

Und das Entsetzen über die Reden des Anstreichers.Aber nur das zweite

Drängt mich, zum Schreibtisch.  Interpretation des Gedichtes „Schlechte Zeit für Lyrik“ von Bertholt Brecht Bertholt Brecht (1898- 1956) schrieb das Gedicht „Schlechte Zeit für Lyrik“ 1939 im Exil während des Nationalsozialismus in Deutschland. Er drückt in ihm seinen inneren Konflikt zwischen der Begeisterung über die Schönheit und Idylle der Natur und dem Entsetzen über die politische Situation aus, und wie sich dieser auf sein Schreiben auswirkt. Das Gedicht besteht aus sechs Strophen mit unterschiedlich vielen und unregelmäßig langen Zeilen. Es gibt kein festes Versmaß, keine Reimform und viele Zeilensprünge. Die Sprache istnüchtern.Durch das Fehlen eines festen Musters und besonderer Ausschmückungen entfernt sich Brecht von der bisherigen Lyrik, in der Klang, feste Formen und Rhythmen wichtig gewesen waren. Der unregelmäßige, einfache Aufbau passt zu dem Gehalt des Gedichtes und hebt ihn stärker hervor. Der Leser soll sich nur auf den Inhalt konzentrieren.In der fünften Strophe bezeichnet Brecht das Gedicht als ein Lied, ich würde es jedoch eher ein politisch- kritisches persönliches Auseinandersetzungsgedicht nennen, da es nicht die Harmonie eines Liedes hat.Bei dem lyrischen Ich dieses Gedichtes handelt es sich höchstwahrscheinlich um den Verfasser selbst, also Bertholt Brecht, was zum Einen nahe liegt, da Brecht die selben Ansichten hatte wie das lyrische Ich sie in dem Gedicht sie hat, und zum Anderen an einigen Stellen im Gedicht deutlich wird (nähere Ausführungen folgen).Das lyrische Ich spielt eine wichtige Rolle. Das wird deutlich daran, dass das Gedicht mit dem Personalpronomen „Ich“ beginnt und auch viele weitere Pronomen der ersten Person wie „meinem“, „mir“, „mich“ und „ich“ enthält. In der ersten, aus drei Zeilen bestehenden Strophe wird der Leser ohne Einleitung in den Gedankenstrom Brechts hinein geworfen.

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Brecht beginnt mit der Feststellung, dass nur der Glückliche beliebt, gern gehört und schön sei. Dies zeigt, dass er sich bewusst ist, welche Folgen sein kritisches Schreiben haben wird.Er weiß, dass er sich dadurch bei vielen Leuten unbeliebt macht.Durch die einfachen, kurzen Sätze dieser ersten Strophe wird außerdem deutlich, wie einfach und oberflächlich es von den Menschen ist, sich nur dem Glücklichen zuzuwenden. Die zweite Strophe, die aus vier Zeilen besteht, beginnt mit dem im Gegensatz zu den Schlüsselwörtern der ersten Strophe („der Glückliche“, „gern“, „schön“) stehenden „verkrüppelten Baum“. Es wirkt, als schaue Brecht in diesem Moment aus dem Fenster und sehe die Realität, den verkrüppelten Baum. Er hebt jedoch hervor, dass allein der schlechte Boden Grund für das verkrüppelte Wachstum des Baumes sei. Die Menschen jedoch beschimpfen den Baum, nicht den Boden.Dieses Bild stellt Brechts Situation dar und bestätigt die Feststellung in der ersten Strophe. Die Gründe dafür, dass Brecht nicht zu den glücklichen, beliebten und gern gehörten Menschen gehören kann, sind die äußeren Umstände, also die politische Situation. Sie lässt nicht zu, dass er klangvolle und harmonische Gedichte über die Schönheit der Natur schreibt, sondern zwingt ihn dazu, über weniger schöne weniger klangvolle Dinge zu schreiben.Die Menschen allerdings schimpfen Brecht statt die Gründe für sein kritisches Schreiben, genauso wie sie den Baum statt den schlechten Boden schimpfen.In der vierten Zeile der zweiten Strophe stimmt Brecht den Leuten, die den Baum und ebenso ihn schimpfen, zu. Der Baum ist ein Krüppel, genauso wie er ein Unglücklicher ist, auch wenn beide nur durch die äußeren Umstände dazu gemacht wurden. Die dritte Strophe, die nur zwei Zeilen lang ist, beginnt plötzlich wieder mit einem idyllischen Bild: „grünen Boote“ und „lustigen Segel“. Jedoch wird dieses Bild in der zweiten Zeile durch die Worte „Sehe ich nicht“ wieder zerstört. In der vierten Strophe wird deutlich, dass Brecht selbst in dem idyllischen Bild nur die harte Realität sieht: „Der Fischer rissiges Garnnetz“.Das rissige Garnnetz, ein Zeichen für harte Arbeit und schlechte Bedingungen, spielt eine ähnliche Rolle für die Fischer wie der schlechte Boden für den Baum und die schlechte politische Situation für Brecht. Erneut wird verdeutlicht, dass es unter schlechten Bedingungen nicht möglich ist, glücklich, schön und beliebt zu sein.Brecht ist bewusst, dass er nur den schlechten Dingen Beachtung schenkt und die schönen Dinge übersieht, und er fragt sich selbst nach dem Grund. Er stellt sich die Frage, warum er nur davon rede, dass die Häuslerin gekrümmt gehe, obwohl die Brüste der Mädchen so warm wie ehedem seien. In der fünften zweizeiligen Strophe begründet Brecht den formlosen Aufbau des Gedichtes. Durch eine Invasion ist diese Strophe genauso aufgebaut wie die dritte: Die erste Zeile wirkt durch die langen Vokale und das mehrfache Wiederholen des Konsonanten „m“  (Klangmalerei) klangvoll und harmonisch. In der zweiten Zeile wird diese Harmonie wieder vernichtet. Brecht macht deutlich, dass eine klangvolle Form in Zeiten wie diesen nicht angemessen sei. Erst in der sechsten Strophe spricht Brecht seinen inneren Konflikt an und der Sinn des Gedichtes wird dem Leser deutlich. Es handelt sich also um einen tektonischen Aufbau. Brecht beschreibt, dass sich in ihm die Begeisterung über den blühenden Apfelbaum und das Entsetzen über die Reden des Anstreichers, womit Hitler gemeint ist, streiten. Durch das Verb „streiten“ und durch die starke Gegenüberstellung von der „Begeisterung“ und dem „Entsetzen“ wird klar, dass es sich um einen inneren Konflikt handelt. Doch auch, wenn er die Schönheit der Natur, wie den blühenden Apfelbaum, immer noch sieht, erscheint es ihm wichtiger in seinem Entsetzen über Hitler zu schreiben, welches ihn „zum Schreibtisch drängt“. 

In dem Gedicht „Schlechte Zeit für Lyrik“ wird meiner Meinung nach sehr gut deutlich, warum Brecht nicht mehr über die Schönheit der Natur schreiben kann. Es erklärt seinen Beweggrund zum Schreiben und seine Einstellung zur politischen Situation. Der Leser erfährt, dass es für Brecht unmöglich ist, die Augen

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vor der Realität zu schließen, und dass die Zeit dadurch einen Einfluss auf die Lyrik bekommt. Die schlechten Bedingungen zu dieser Zeit machen sie zu einer „schlechten Zeit für Lyrik“.