Besonderheiten der Konjunkturzyklen in Schwellenländern · PDF fileAutoren: Julian...
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Hinweis: Dieses Papier gibt die Meinung der Autoren wieder und reprsentiert nicht notwendigerweise die Position der KfW.
KfW Research
Fokus Volkswirtschaft
Grafik 1: Reales Bruttoinlandsprodukt pro Kopf
(Vernderung gg. Vorjahr in Prozent)
Industrielnder: US, UK, Japan, Kanada, Deutschland, Frankreich, Italien. Schwellenlnder: Brasilien, China, Indien, Indonesien, Mexiko, Russland, Trkei,
Sdafrika.
Quelle: Barro and Ursua, Macroeconomic Data, 2010, scholar.harvard.edu/barro/publications/barro-ursua-macroeconomic-data, eigene Berechnungen.
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Schwellenlnder
Besonderheiten der Konjunkturzyklen in Schwellenlndern
Nr. 142, 12. September 2016
Autoren: Julian Wichert,
Dr. Katrin Ullrich, Telefon 069 7431-9791, [email protected]
In Schwellenlndern ist der Konjunkturzyklus ausgeprg-
ter als in Industrielndern. So schwanken das reale Brut-
toinlandsprodukt, der private Konsum und die Investitio-
nen strker als in Industrielndern. Daher entwickelt sich
der Handelsbilanzsaldo entgegengesetzt zur Konjunktur.
Hinzu kommen die prozyklischen Reaktionen der Kapital-
strme. Die groen Schwankungen erfordern vonseiten
der Schwellenlnder robuste Institutionen und eine ad-
quate Wirtschaftspolitik.
Wird die jhrliche Vernderungsrate des realen Bruttoin-
landsprodukts pro Kopf in ausgewhlten Schwellenlndern
mit der wichtiger Industrielnder verglichen, zeigen sich in
beiden Lndergruppen zwischen dem Jahr 1900 und dem
Zweiten Weltkrieg sowohl starke positive als auch negative
Ausschlge. Nach dem Zweiten Weltkrieg fallen die Wachs-
tumsraten der Industrielnder weniger extrem aus, bei den
Schwellenlndern sind sie jedoch immer noch vergleichswei-
se hoch, sowohl im negativen wie im positiven Bereich (Gra-
fik 1).
Dieses Muster bertrgt sich auf den Konjunkturzyklus. Das
reale Bruttoinlandsprodukt von Schwellenlndern schwankt
im Konjunkturverlauf gut doppelt so stark wie das von Indus-
trielndern.1 Auch in Industrielndern waren in der ersten
Hlfte des zwanzigsten Jahrhunderts die Konjunkturschwan-
kungen noch sehr hoch, doch seit dem Zweiten Weltkrieg
haben sie deutlich abgenommen. In Schwellenlndern hin-
gegen ist diese Tendenz zur Stabilisierung weniger erkenn-
bar. Eine gewisse Verbesserung lsst sich allerdings auch
bei den Schwellen- und Entwicklungslndern feststellen. Seit
Beginn der 2000er-Jahre waren ihre Konjunkturabschwnge
weniger stark ausgeprgt und die Expansionsphasen dauer-
ten lnger, auch weil das Bruttoinlandsprodukt weniger volatil
ist.2
Wachstum und Konjunktur
Klassischerweise wird bei der Entwicklung des realen
Bruttoinlandsprodukts ausgehend von Industrielndern
zwischen einem lngerfristigen Trend und den um diesen
Trend verlaufenden Schwankungen unterschieden. Der
Trend bildet vor allem das Produktionspotenzial einer
Volkswirtschaft ab. Es wird durch langfristige Faktoren wie
der Qualifikation der Arbeitskrfte, der Kapitalausstattung,
dem technischen Fortschritt und den wirtschaftspolitischen
Rahmenbedingungen bestimmt. Die Konjunkturzyklen
hingegen sind eher kurzfristiger Natur und knnen durch
variierende Nachfrage und Produktionsauslastung entste-
hen oder durch angebotsseitige Faktoren wie pltzliche
Vernderungen der Produktivitt oder auch der Institutio-
nen einer Volkswirtschaft.3
KfW Research
Seite 2
Grafik 2: Schwankung des privaten Konsums und der Investitionen (1970 bis 2014)
(Variationskoeffizient)
* bis 1992 Sowjetunion, ** bis 1998 Westdeutschland, in US-Dollars zu konstanten Preisen von 2005
Quelle: UNCTAD, eigene Berechnungen.
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realer privater Konsum reale Investitionen
Neben einem volatileren Bruttoinlandsprodukt zeichnet sich
der Konjunkturzyklus in Schwellenlndern dadurch aus, dass
Konsum und Investitionen stark prozyklisch schwanken, sich
die Nettoexporte jedoch stark antizyklisch entwickeln. Hinzu
kommen eine hhere Reallohnvolatilitt und sich antizyklisch
entwickelnde Realzinsen. Diese stilisierten Fakten haben
sich etabliert, wobei die Erfahrung einzelner Lnder und Re-
gionen durchaus abweichen kann.
Whrend diese empirischen Fakten gut dokumentiert sind,
steht ein Konsens bei der Erklrung der starken Volatilitt
makrokonomischer Variablen in Schwellenlndern noch
aus. In der Theorie erfahren beispielsweise Produktivitts-
schocks, Eigenschaften des Arbeitsmarktes wie der Beschf-
tigungsschutz und finanzielle Friktionen einschlielich eines
begrenzten Zugangs zum internationalen Kapitalmarkt Auf-
merksamkeit. Gleichzeitig senkt zwar eine strkere Finanz-
sektorentwicklung zunchst die Volatilitt des Wachstums.
Wenn jedoch die Verschuldung von Unternehmen, Haushal-
ten und Staat zu schnell zu stark steigt, erhht dies die Kri-
senanflligkeit. Weitere Kandidaten, um die Fluktuationen in
Entwicklungslndern zu erklren, sind die Qualitt von Insti-
tutionen oder die Offenheit der Wirtschaft und damit die An-
flligkeit fr Schocks von auen. Auch die Wirtschaftsstruktur
spielt eine Rolle, denn ein groer Dienstleistungssektor re-
duziert die makrokonomische Volatilitt, whrend ein star-
ker Landwirtschaftssektor dieselbe erhht.
Starke Konsum- und Investitionsschwankungen
Als erstes Indiz zeigen die Variation des privaten Konsums
und der Investitionen ausgewhlter Schwellen- und Industrie-
lnder die erwartete Tendenz strkerer Schwankungen in
den Schwellenlndern (Grafik 2). Die relativ geringen
Schwankungen des russischen Konsums und Investitionen
sind durch ihre geringe Schwankung in der Zeit der Sowjet-
union bedingt, ab 1992 ergeben sich hhere Werte. Tiefer
gehende Analysen zum Konjunkturzyklus in Schwellenln-
dern zeigen Folgendes:
Der reale Konsum der privaten Haushalte schwankt im
Konjunkturverlauf in Schwellenlndern strker als in Indus-
trielndern, sogar strker als das reale Bruttoinlandsprodukt.4
Zwar reagiert auch in Industrielndern der Konsum auf vor-
bergehende Einkommensnderungen. Die Kurzsichtigkeit
der Haushalte und begrenzte Informationen ber die Dauer-
haftigkeit von Einkommensnderungen spielen dabei ebenso
eine Rolle wie Finanzierungsbeschrnkungen. Aber auch ein
groer informeller Sektor kann eine hohe Konsumvolatilitt
des formellen und daher gemessenen Teil der Wirtschaft
suggerieren.5
Bei den Investitionen sind die Unterschiede zwischen In-
dustrielndern und Schwellenlndern geringer als beim Kon-
sum. Die Investitionen sind in beiden Lndergruppen ver-
gleichsweise volatil und schwanken im Konjunkturverlauf
strker als das reale Bruttoinlandsprodukt.6
Entsprechend
lassen sich die Erklrungsanstze fr das Verhalten der In-
vestitionen im Konjunkturverlauf fr Industrielnder einfacher
auf Schwellenlnder bertragen.
Nettoexporte entwickeln sich entgegengesetzt zum Kon-
junkturzyklus
Sowohl fr die meisten Industrie- als auch fr Schwellenln-
der gilt, dass die Nettoexporte im Konjunkturaufschwung zu-
rckgehen, whrend sie im Abschwung zunehmen. Fr
Schwellenlnder ist dieser Zusammenhang oft strker aus-
geprgt als fr Industrielnder.7 Dies spiegelt sich auch in
der strkeren jhrlichen Vernderung des Handelsbilanzsal-
dos im Verhltnis zum BIP wider (Grafik 3).
Die antizyklische Vernderung der Nettoexporte im Konjunk-
turverlauf ist das Ergebnis der mit dem Konjunkturverlauf
schwankenden Gren Konsum und Investitionen. Denn Im-
porte werden i. d. R. unmittelbar durch die inlndische Nach-
Fokus Volkswirtschaft
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Grafik 3: Vernderungen des Handelsbilanzsaldos
(Vernderung des Handelsbilanzsaldos im Verhltnis zum BIP im Vergleich zum Vorjahr in Prozentpunkten)
Abgrenzung der Lndergruppen lt. Weltbank.
Quelle: WDI.
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Lnder im gehobenen mittleren Einkommensbereich Hocheinkommenslnder
frage beeinflusst. Die verstrkte Einfuhr von z. B. Ge-
brauchsgtern im Konjunkturaufschwung aus dem Ausland
wirkt sich negativ auf den Handelsbilanzsaldo aus. Im Kon-
junkturabschwung hingegen geht die Nachfrage nach impor-
tierten Gtern zurck, was einen positiven Effekt auf den
Handelsbilanzsaldo hat. Ein Teil der Konsumausweitung wird
somit durch auslndisches Kapital finanziert, welches im
Konjunkturaufschwung wegen sinkender Risikoaufschlge
besser verfgbar ist.
Auch die Kapitalflsse schwanken mit der Konjunktur
Ein sich im Konjunkturabschwung verbessernder Hande