Betriebsverfassungsrecht - brainGuide · 2013. 6. 5. · Betriebsverfassungsrecht 110. Betriebsrat,...

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Rechtsprechung Betriebsverfassungsrecht 110. Betriebsrat, Kostenerstattung, Erforderlichkeit des Rechtsmittelzuges 1. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts erfordert einen ord- nungsgemäßen Beschluss des Betriebsrats, und zwar für jede Instanz. 2. Der Betriebsrat kann die Frage, ob das Verfahren in der zweiten Instanz fortgesetzt werden 5011, erst dann pflichtge- mäß überprüfen und unter Berücksichtigung aller Umstände verständig abwägen, wenn er die Gründe der Entscheidung der ersten Instanz zur Kenntnis genommen und beraten hat. 3. Liegt eine erstinstanzliche gerichtliche Entscheidung vor, die ein Recht des Betriebsrats verneint, ist es die Pflicht jedes verständigen Betriebsrats, über die Fortführung des Verfah- rens erneut zu beraten und einen Beschluss unter Berücksich- tigung der Entscheidungsgründe zu treffen. Die Entscheidung trifft allein der Betriebsrat, der diese Entscheidung gemessen an dem Grundsatz der Erforderlichkeit durch Beschlussfas- sung auch zu verantworten hat. Landesarbeitsgericht Düsseldorf vom 16.1.2013, 7 TaBV 31/12 (Rechtsbeschwerde eingelegt: 7 ABR 4/13) eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Ulrich Brötzmann Bonifaziusplatz 1b, 55118 Mainz Tel.: 06131/618156, Fax:06131/618157 [email protected]; www.kanzlei-broetzmann.de 111. Betriebsrat, Kostenerstattung, Begünstigungsverbot, pauschale Kostenerstattung und Mehrarbeitsvergütung 1. Die Gewährung von Pauschalen an Betriebsräte durch den Arbeitgeber darf keine versteckte Lohnerhöhung darstellen. Pauschalierungen sind demnach nur als hinreichend realitäts- gerechte Typisierungen zulässig und dies auch nur dann, wenn aufgrund der praktischen Unmöglichkeit von EinzeIab- rechnungen oder ihrer wirtschaftlichen Unzumutbarkeit die Festlegung einer Pauschale erforderlich ist. 2. Wehrt sich ein Betriebsrat gegen die Streichung oder Kür- zung einer lediglich den Betriebsräten qewährten Pauschale, so muss er die Zulässigkeit der Pauschale nach diesen Krite- rien darlegen und beweisen. Dies folgt bereits aus dem Um- stand, dass wegen der überragenden Bedeutung des Ehren- amtsprinzips und der damit korrespondierenden einzig zuläs- sigen realitätsgerechten Typisierung es sich bei einer Pau- schalierung immer um einen Ausnahmefall handeln muss, der gesonderter Begründung im Einzelfall bedarf. 3. Nach § 40 Abs. 1 BetrVG ist nur der Ersatz real entstandener Aufwendungen zulässig. Ein Pauschalaufwendungsersatz muss folglich an die typischen und erwartbaren tatsächlichen Auslagen anknüpfen. 4. Wird eine Pauschale über Jahrzehnte in unveränderter Höhe gewährt, so spricht dies gegen die Orientierung an den tatsächlichen, typisierten Verhältnissen. Dies gilt umso mehr, 62 JE 2/2013 wenn der Umfang der Pauschale gleich bleibt, sich der Zweck ihrer Gewährung jedoch im Laufe der Jahre verändert. 5. Eine Generalpauschale für alle Betriebsratsmitglieder in gleicher Höhe ist in aller Regel unzulässig. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Vergütung von Mehrarbeit als auch hinsicht- lich der Gewährung von Aufwendungsersatz. Denn die An- nahme, jedes Betriebsratsmitglied habe die gleichen Aufwen- dungen oder leiste unabhängig von Funktion und Stellung in- nerhalb des Gremiums in gleichem Umfang Mehrarbeit, wi- derspricht aller Erfahrung. 6. Wegen des Vorrangs des Freizeitausgleichs gegenüber der Vergütung von Mehrarbeit gemäß § 37 Abs. 3 BetrVG ist eine Mehrarbeitspauschale, die gänzlich unabhängig von der be- trieblichen Notwendigkeit der Erbringung von Betriebsratsar- beit außerhalb der Arbeitszeit und zudem unabhängig von betriebsbedingten bzw. betriebsratsbedingten Gründen Ver- gütungs- statt Freizeitausgleichsansprüche festlegt, unzuläs- sig. Arbeitsgericht Stuttgart vom 13.12.2012, 24 Ca 5430/12 112. Betriebsrat, Mitbestimmungsrecht, Arbeitszeit, kein Unterlassungsanspruch gegen vorläufigen Dienstplan Der Aushang des Entwurfs eines Dienstplans unter Hinweis auf die noch erforderliche Zustimmung des Betriebsrats ver- stößt nicht gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg vom 7.12.2012, 5 TaBV 880/12 113. Betriebsrat, Mitbestimmungsrecht, Vergütungssystem 1. Die Einordnung eines konkreten Arbeitsplatzes (hier: Assis- tent der Theaterleitung eines Kinos) in eine betriebliche Ver- gütungsstruktur unterliegt dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Ziff. 10 BetrVG. 2. Da dem Betriebsrat dabei auch ein Initiativrecht zusteht, kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber die entspre- chende Position bisher nur nach individuellen Vereinbarun- gen ohne erkennbares System vergütet. Das Beteiligungs- recht aus § 87 Abs. 1 Ziff. 10 BetrVG umfasst die inhaltliche Ausgestaltung der Entgeltgruppen nach abstrakten Kriterien einschließlich der abstrakten Festsetzung der Wertunter- schiede nach Prozentsätzen oder anderen Bezugsgrößen (vgl. BAG v. 18.10.2011, 1 ABR 25/10). 3. Bei der vergütungstechnischen Einordnung eines nach abs- trakt-generellen Kriterien beschreibbaren Arbeitsplatzes, han- delt es sich um eine Angelegenheit mit kollektivem Bezug, selbst wenn die Position aktuell im Betrieb nur mit einem Ar- beitnehmer besetzt ist. Landesarbeitsgericht Hannover vom 7.12.2012, 12 TaBV67/12

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Rechtsprechung

Betriebsverfassungsrecht

110. Betriebsrat, Kostenerstattung, Erforderlichkeit desRechtsmittelzuges

1. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts erfordert einen ord-nungsgemäßen Beschluss des Betriebsrats, und zwar für jedeInstanz.2. Der Betriebsrat kann die Frage, ob das Verfahren in derzweiten Instanz fortgesetzt werden 5011, erst dann pflichtge-mäß überprüfen und unter Berücksichtigung aller Umständeverständig abwägen, wenn er die Gründe der Entscheidungder ersten Instanz zur Kenntnis genommen und beraten hat.3. Liegt eine erstinstanzliche gerichtliche Entscheidung vor,die ein Recht des Betriebsrats verneint, ist es die Pflicht jedesverständigen Betriebsrats, über die Fortführung des Verfah-rens erneut zu beraten und einen Beschluss unter Berücksich-tigung der Entscheidungsgründe zu treffen. Die Entscheidungtrifft allein der Betriebsrat, der diese Entscheidung gemessenan dem Grundsatz der Erforderlichkeit durch Beschlussfas-sung auch zu verantworten hat.• Landesarbeitsgericht Düsseldorfvom 16.1.2013, 7 TaBV 31/12 (Rechtsbeschwerde eingelegt:7 ABR4/13)eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Ulrich BrötzmannBonifaziusplatz 1b, 55118 MainzTel.: 06131/618156, Fax:06131/[email protected]; www.kanzlei-broetzmann.de

111. Betriebsrat, Kostenerstattung,Begünstigungsverbot, pauschale Kostenerstattung undMehrarbeitsvergütung

1. Die Gewährung von Pauschalen an Betriebsräte durch denArbeitgeber darf keine versteckte Lohnerhöhung darstellen.Pauschalierungen sind demnach nur als hinreichend realitäts-gerechte Typisierungen zulässig und dies auch nur dann,wenn aufgrund der praktischen Unmöglichkeit von EinzeIab-rechnungen oder ihrer wirtschaftlichen Unzumutbarkeit dieFestlegung einer Pauschale erforderlich ist.2. Wehrt sich ein Betriebsrat gegen die Streichung oder Kür-zung einer lediglich den Betriebsräten qewährten Pauschale,so muss er die Zulässigkeit der Pauschale nach diesen Krite-rien darlegen und beweisen. Dies folgt bereits aus dem Um-stand, dass wegen der überragenden Bedeutung des Ehren-amtsprinzips und der damit korrespondierenden einzig zuläs-sigen realitätsgerechten Typisierung es sich bei einer Pau-schalierung immer um einen Ausnahmefall handeln muss, dergesonderter Begründung im Einzelfall bedarf.3. Nach § 40 Abs. 1 BetrVG ist nur der Ersatz real entstandenerAufwendungen zulässig. Ein Pauschalaufwendungsersatzmuss folglich an die typischen und erwartbaren tatsächlichenAuslagen anknüpfen.4. Wird eine Pauschale über Jahrzehnte in unveränderterHöhe gewährt, so spricht dies gegen die Orientierung an dentatsächlichen, typisierten Verhältnissen. Dies gilt umso mehr,

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wenn der Umfang der Pauschale gleich bleibt, sich der Zweckihrer Gewährung jedoch im Laufe der Jahre verändert.5. Eine Generalpauschale für alle Betriebsratsmitglieder ingleicher Höhe ist in aller Regel unzulässig. Dies gilt sowohlhinsichtlich der Vergütung von Mehrarbeit als auch hinsicht-lich der Gewährung von Aufwendungsersatz. Denn die An-nahme, jedes Betriebsratsmitglied habe die gleichen Aufwen-dungen oder leiste unabhängig von Funktion und Stellung in-nerhalb des Gremiums in gleichem Umfang Mehrarbeit, wi-derspricht aller Erfahrung.6. Wegen des Vorrangs des Freizeitausgleichs gegenüber derVergütung von Mehrarbeit gemäß § 37 Abs. 3 BetrVG ist eineMehrarbeitspauschale, die gänzlich unabhängig von der be-trieblichen Notwendigkeit der Erbringung von Betriebsratsar-beit außerhalb der Arbeitszeit und zudem unabhängig vonbetriebsbedingten bzw. betriebsratsbedingten Gründen Ver-gütungs- statt Freizeitausgleichsansprüche festlegt, unzuläs-sig.• Arbeitsgericht Stuttgartvom 13.12.2012, 24 Ca 5430/12

112. Betriebsrat, Mitbestimmungsrecht, Arbeitszeit, keinUnterlassungsanspruch gegen vorläufigen Dienstplan

Der Aushang des Entwurfs eines Dienstplans unter Hinweisauf die noch erforderliche Zustimmung des Betriebsrats ver-stößt nicht gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsratsaus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG.• Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburgvom 7.12.2012, 5 TaBV880/12

113. Betriebsrat, Mitbestimmungsrecht,Vergütungssystem

1. Die Einordnung eines konkreten Arbeitsplatzes (hier: Assis-tent der Theaterleitung eines Kinos) in eine betriebliche Ver-gütungsstruktur unterliegt dem Mitbestimmungsrecht desBetriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Ziff. 10 BetrVG.2. Da dem Betriebsrat dabei auch ein Initiativrecht zusteht,kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber die entspre-chende Position bisher nur nach individuellen Vereinbarun-gen ohne erkennbares System vergütet. Das Beteiligungs-recht aus § 87 Abs. 1 Ziff. 10 BetrVG umfasst die inhaltlicheAusgestaltung der Entgeltgruppen nach abstrakten Kriterieneinschließlich der abstrakten Festsetzung der Wertunter-schiede nach Prozentsätzen oder anderen Bezugsgrößen (vgl.BAGv. 18.10.2011, 1 ABR25/10).3. Bei der vergütungstechnischen Einordnung eines nach abs-trakt-generellen Kriterien beschreibbaren Arbeitsplatzes, han-delt es sich um eine Angelegenheit mit kollektivem Bezug,selbst wenn die Position aktuell im Betrieb nur mit einem Ar-beitnehmer besetzt ist.• Landesarbeitsgericht Hannovervom 7.12.2012, 12 TaBV67/12