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Böhme-Studien 2 Beiträge zu Philosophie und Philologie Philosophien des Willens Böhme, Schelling, Schopenhauer Herausgegeben im Auftrag des Internationalen Jacob-Böhme-Instituts und der Schopenhauer-Gesellschaft e.V. von Günther Bonheim und Thomas Regehly

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Böhme- Studien 2 Beiträge zu Philosophie und Philologie

Philosophien des Willens Böhme, Schelling, Schopenhauer

Herausgegeben im Auftrag des Internationalen Jacob-Böhme-Instituts und der

Schopenhauer-Gesellschaft e.V. von Günther Bonheim und Thomas Regehly

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Bibliografische Information Der Deutschen BibliothekDie Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: //dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 978-3-89998-140-7

Gedruckt auf holz- und säurefreiem Papier, 100 % chlorfrei gebleicht.

© Weißensee Verlag, Berlin 2008 Kreuzbergstraße 30, 10965 Berlin Tel. 0 30 / 91 20 71 00 www.weissensee-verlag.de mail @ weissensee-verlag.de

Satz : Sascha Krenzin, Weißensee Verlag Berlin

Umschlagbilder: Ausschnitt aus Schopenhauers Exemplar von Schellings Philosophischen Schriften, 1. Band, Landshut 1809, S. 499; Schopenhauer-Cartoon Nr. 6 (Olaf Rademacher, Frankfurt a. M., Privatbesitz)

Der Abdruck der Seiten aus Schellings Philosophischen Schriften und dem Oupnek’hat aus Schopenhauers Bibliothek erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Archiv-Zentrums der Frankfurter Universitätsbibliothek (Schopenhauer-Archiv).

Alle Rechte vorbehalten

Printed in Germany

Herausgeber : Günther Bonheim und Thomas Regehly, im Auftrag des Internationalen Jacob-Böhme-Instituts (IJBI)

Der Druck wurde gefördert aus Mitteln des Sächsischen Staatsministeriums des Innern, des Kulturamtes der Stadt Görlitz und der .

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Inhaltsübersicht

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Zur Einführung: Plädoyer für eine Aufnahme Jacob Böhmes in die Gemeinschaft der Philosophen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Tagungsbeiträge

Andrew WeeksBöhme, Paracelsus und die Quellen der Metaphysik des Willens . . . . . . . 19

Donata SchoellerTat versus Sucht. Spielraum der Freiheit bei Schelling und Böhme . . . . . . 31

Günther Bonheim„Denn das ist aller Verdammten Qual: Daß sie wollen.“ Böhmes Willens philosophie in der Tradition der Bibelauslegung . . . . . . . 45

Matthias Koßler‚Nichts‘ zwischen Mystik und Philosophie bei Schopenhauer . . . . . . . . . . 65

Thomas RegehlyFabula docet. Vom Oupnek’hat über Irenäus zu Böhme, Schelling und Schopenhauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

Michael GerhardIm Spiegelkabinett des Nichts. Wille, Ungrund, fanā’, brahman und nirvān. a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

Marta KopijBöhme, Novalis und Schelling in der polnischen Romantik . . . . . . . . . . . 141

Wojciech KunickiAuf dem Kreuzweg kultureller Einflüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

Karol SauerlandWillensproblematik um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert . . . . . . 161

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Anhang

Zum Tod von Ernst-Heinz Lemper (inkl. Bibliographie seiner Publikationen zu Jacob Böhme) . . . . . . . . . . . . 177

Nachweise und Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

Die Autoren des Bandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

Zum IJBI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

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Am 14. November 2006 verstarb Dr.-Ing. Dietmar Reichel, Professor für Informatik an der Fachhochschule Zittau /Gör-litz, Mit begründer des dortigen Instituts für Ökologie und Umweltschutz, Rektor der Fachhochschule Zittau /Gör litz in den Jahren 2000 bis 2003. Seiner Initiative und seinem Einsatz ist es zu verdanken, daß sich im Jahr 2000 das Inter-nationale Jacob-Böhme-Institut als ein Zentrum für alle am Werk Jacob Böhmes Interessierten in Görlitz konstituierte. Bis zum Jahr 2004, in einer an Schwierigkeiten nicht armen Zeit des Beginns und der ersten Schritte, war er dem Institut ein engagierter Vorsitzender. Als Ehrenvorsitzender blieb er ihm bis zuletzt eng verbunden.

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Vorwort

Die Aufsätze dieses Bandes sind aus Vorträgen einer Tagung hervorgegangen, die gemeinsam vom IJBI (Internationalen Jacob-Böhme-Institut) und der Scho penhauer-Gesellschaft e.V. konzipiert und organisiert worden war und unter dem Titel „Philosophien des Willens. Böhme, Schelling, Schopenhauer“ in der Zeit vom 22. bis 24. Juni 2007 in Görlitz auch gemeinschaftlich durchge-führt wurde. Unterstützt wurde diese Tagung durch verschiedene Institutionen. Für ihre großzügige Hilfe bei der Finanzierung danken wir der Stiftung der Sparkasse Oberlausitz-Niederschlesien, der VEOLIA-Stiftung Görlitz, der Stadt Görlitz, dem Sächsischen Staatsministerium des Innern und dem Kul-turraum Oberlausitz-Niederschlesien. Dem Schlesischen Museum zu Görlitz gilt unser herzlicher Dank für die Bereitstellung der erforderlichen Räume und der zugehörigen Präsentationstechnik.

Wir freuen uns sehr darüber, daß ausnahmslos alle Beiträge, die auf der Tagung gehört werden konnten, von ihren Verfassern bereitwillig für diesen Sammelband zur Verfügung gestellt worden sind. Bis auf die Anordnung der Aufsätze, die gegenüber der Reihenfolge der Vorträge leicht verändert wurde, vermittelt er so ein vollständiges Bild der seinerzeit erörterten Themen und Thesen, die die Grundlage bildeten für die sich anschließenden Gespräche im Kreis der Teilnehmer.

Wie in Band 1 der Böhme-Studien wurde den Referenten in bezug auf die Ortho graphie ihrer Texte freie Hand gelassen. Einheitlichkeit wurde auch bei den Quellenangaben nicht angestrebt – nur behutsam wurden sie in ihrer Form aneinander angeglichen. Die einzige Ausnahme bilden wiederum die Nachweise der Böhme-Zitate, die, soweit von den Beiträgern nicht aus editionsphilo lo-gischen oder rezeptionsgeschichtlichen Gründen auf andere Editionen zurück-gegriffen wurde, nach der jeweils zuverlässigsten Ausgabe wiedergegeben sind. Die dabei verwendeten Siglen finden sich im Anhang aufgeschlüsselt.

Maienfels /Offenbach, im Oktober 2008 Günther Bonheim und Thomas Regehly

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Günther Bonheim

Zur Einführung: Plädoyer für eine Aufnahme Jacob Böhmes in die Gemeinschaft der Philosophen

In seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, die Georg Wilhelm Friedrich Hegel zwischen 1805 und 1830 in Jena, Heidelberg und Berlin hielt, beschäftigte er sich ausführlich – das gibt schon ein flüchtiger Blick in einen der posthum veranstalteten Drucke zu erkennen – mit Leben und Werk Jacob Böhmes.1 So scheint, daß Böhme unter Philosophen nicht als ihresgleichen ge-handelt wird, wie es die Überschrift dieses Beitrags unterstellt, zumindest für diesen einen Philosophen schon einmal nicht zu gelten, und das zumal Hegel in seinem Vorlesungstext bisweilen explizit seine Hochachtung vor Böhme be-kundet: „Er ist genannt worden der philosophus teutonicus; und in der Tat ist durch ihn erst in Deutschland Philosophie mit einem eigentümlichen Charak-ter hervorgetreten […] Jakob Böhme ist der erste deutsche Philosoph“;2 nicht zu verkennen sei bei ihm „die größte Tiefe, die sich mit der Vereinigung der ab-solutesten Gegensätze herumgeworfen“3 habe. Nur, etwas anderes ist für Hegel ebensowenig zu verkennen: Böhme komme, „bei allem Bedürfnis und Ringen nach Bestimmung und Unterscheidung in der Entwicklung seiner göttlichen Anschauungen des Universums, nicht zur Klarheit und Ordnung.“4 „Die Art und Weise seiner Darstellung“ müsse „barbarisch“ genannt werden, denn: er gebrauche

die Wirklichkeit als Begriff, – statt Begriffsbestimmungen gewaltsam na-türliche Dinge und sinnliche Eigenschaften, um seine Ideen darzustellen […] Die spekulative Wahrheit, die er vortragen will, bedarf, um sich selbst zu fassen, wesentlich des Gedankens und der Form des Gedankens. Nur

1 Vgl. z. B. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke, Bd. 20. Vorlesungen über die Ge-schichte der Philosophie III. Frankfurt / M.: Suhrkamp, 1971, S. 91–119.2 Ebd., S. 94.3 Ebd., S. 118.4 Ebd., S. 94.

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im Gedanken kann diese Einheit, in deren Mittelpunkt sein Geist steht, gefaßt werden; und gerade die Form des Gedankens ist es, die ihm fehlt.5

Im selben Zeitraum, in dem sich Hegel in seinen philosophiegeschichtlichen Vorlesungen mit Böhme befaßte, tat dies auf andere Weise auch Friedrich Wil-helm Joseph Schelling. Seine 1809 erschienenen Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Ge-genstände zeugen in mehrerer Hinsicht von einer ebenso gründlichen wie um-fangreichen Böhme-Lektüre. Dafür spricht zum einen der extensive Gebrauch von Begriffen, wie sie von Böhmes Schriften her vertraut sind, für die philo-sophische Literatur um 1800 aber, und das vor allem eben in der Häufung, in der sie in Schellings Schrift begegnen, als sehr ungewöhnlich erscheinen. Von

„Turba“6 und „Temperatur“7 ist da etwa die Rede, von „falscher Imagination“8 und „göttlicher Magie“9, von „ewiger Freude der Überwindung“10 und Gott

5 Ebd., S. 95.6 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände. Frank­furt / M.: Suhrkamp, 1975, S. 73. Vgl. bei Böhme etwa Viertzig Fragen Von der Seelen (P III), S. 53 (Fr. 1, Abs. 227). In derselben Schrift bestimmt er den Begriff an späterer Stelle so: „GOttes Wille ist nur Liebe, aber die Turba ist sein Zorn­Wille“ (S. 57 (Fr. 1, Abs. 252).7 Schelling, Philosophische Untersuchungen, S. 64. Bei Böhme begegnet der Begriff häu­fig bei der Beschreibung von Adams Fall. Ihm entspricht dann der Begriff des Paradie­ses, ein Gegenbegriff ist der der Schiedlichkeit. Vgl. etwa Von der Gnaden wahl (B II), S. 136 oder Mysterium Magnum (P VIII), S. 608 (Cap. 58, Abs. 20).8 Schelling, Philosophische Untersuchungen, S. 82. Sowohl das Nomen Imagination als auch das Verb imaginieren findet sich in Böhmes Schriften allenthalben, und so übri­gens auch im Zusammenhang seiner Willensphilosophie. Vgl. dazu die Kurtze Erklä-rung Sechs Mystischer Puncte S. 89 (P. 3, Abs. 14) oder S. 94 (P. 5, Abs. 10). Speziell die Rede von falscher Imagination ist etwa in Von Christi Testamenten (B II), S. 182: „Also ist die arme Seel durch falsche Imagination ver gifftet worden“.9 Schelling, Philosophische Untersuchungen, S. 84. Bei Böhme vgl. etwa Viertzig Fragen Von der Seelen, S. 40 (Fr. 1, Abs. 154). Im Rahmen einer Beschreibung der Philosophi-schen Kugel, einer schematischen Darstellung wesentlicher Elemente seiner Lehre, er­läutert er dort zur Plazierung des Worts Himmel: „Zum andern bedeuts, dass der rechte Göttliche Himmel eine Wohnung der Göttlichen Begierde sey, als der Göttli­chen Magiae“.10 Schelling, Philosophische Untersuchungen, S. 91. „[I]n der Überwindung ist Freude“ schreibt Böhme im Mysterium Magnum (P VII, S. 391 (Cap. 40, Abs. 8). Es „ist eine ewige Überwindung des Drachens in GOttes Zorne“ heißt es in der Betrachtung göttli-cher Offenbarung (P IX, S. 35 (Fr. 12, Abs. 4)).

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als einem „verzehrenden Grimm“11, vom „Zentrum der Natur“12 und letzt-lich, als der wohl bekanntesten dieser Anlehnungen, vom „Ungrund“13. Die-sen Überschneidungen in der Terminologie, das kommt nun aber noch hinzu, entsprechen vielerlei auffällige inhaltliche Übereinstimmungen. So beschreibt Schelling, wenn er erklärt, daß der Ungrund „in zwei gleich ewige Anfänge auseinandergeht“,14 damit einen Vorgang, der nicht anders auch für Böhmes Entwurf konstituierend ist; und wenn er diese zwei Anfänge oder Prinzipien so bestimmt: „Der erste Anfang zur Schöpfung ist die Sehnsucht des Einen, sich selbst zu gebären […] Der zweite ist der Wille der Liebe, wodurch das Wort in die Natur gesprochen wird“,15 dann deckt sich das mit Böhmes Unter-scheidung zwar nicht völlig, doch ist die Ähnlichkeit der Gedanken auch hier nicht zu übersehen.

Schelling indes vermeidet jeden Hinweis auf diese Nähe. In der gesam-ten Freiheitsschrift begegnet der Name Böhmes kein einziges Mal. Bestenfalls kann man ihn sich dort als mitgedacht denken, wo Schelling in recht unspezifi-schem Bezug auf seine philosophischen Vorläufer einräumt, daß seine „aus den Grundsätzen einer wahren Naturphilosophie“ entwickelte Ansicht bereits „in einzelnen Geistern vorhanden gewesen sei“:

11 Schelling, Philosophische Untersuchungen, S. 95. Mit „Grimm“ bezeichnet Böhme für gewöhnlich die dunkle Seite Gottes: „In GOtt ist keine böse Begierde; aber sein Grimm, das ist die finstere Welt, ist eine Begierde des Bösen und Verderbens“ (An Paul Kaym II (P V), S. 437 (Abs. 53). Auch das Attribut „verzehrend“ verwendet Böhme in diesem Bezug, meist allerdings in Kombination mit dem Nomen Feuer: „Darinen spricht Gott / Er sey ein zorniger eifferiger Gott / vnd ein ver zehrent feuer“ (Von der Gnaden wahl, S. 25).12 Schelling, Philosophische Untersuchungen, S. 59. Böhme spricht meist vom Centrum Naturae und nimmt diesen Begriff in seinen Clavis, oder Erklärung der vornehmsten Puncten und Wörter auf: „MIt dem Wort Centrum verstehet man den ersten Anfang zur Natur, als den innersten Grund, das sich der eigene entstandene Wille in eine An­nehmlichkeit zur Ichheit einführet […].“ (P IX, S. 84 (Abs. 24))13 Schelling, Philosophische Untersuchungen, S. 98 f. Wie die Begriffe Imagination und Magia begegnet der des Ungrunds meist zusammen mit demjenigen des Willens; so auch an der wohl prominentesten Stelle – Von dem Irdischen und Himmlischen Myste-rio (P IV), S. 97 (Text 1) –, die noch mehrfach in diesem Sammelband zitiert oder er­wähnt werden wird. 14 Schelling, Philosophische Untersuchungen, S. 99.15 Ebd., S. 87.

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Aber eben diese waren es auch, die ohne Furcht vor den von jeher gegen alle reelle Philosophie gebräuchlichen Schmähwörtern, Materialismus, Pantheismus usw., den lebendigen Grund der Natur aufsuchten und im Gegensatz zu den Dogmatikern und abstrakten Idealisten, welche sie als Mystiker ausstießen, Naturphilosophen (in beiderlei Verstande) waren.16

Nun kann es hier freilich nicht darum gehen, Schelling der intellektuellen Un-redlichkeit überführen zu wollen, und das zumal ja ein solcher Versuch letzt-lich auf denjenigen zurückfallen würde, um dessentwillen er unternommen würde. Denn schließlich verfährt Böhme im Umgang mit seinen eigenen Quel-len nicht anders, als es dann später mit ihm von Seiten Schellings geschehen wird. Auch er hält sich sehr zurück, Licht ins Dunkel der eigenen Herkunft zu bringen; den vielen „hohen Meistern“17, deren Schriften er erklärtermaßen ge-lesen hat, stehen nur äußerst wenige von ihm genannte Namen gegenüber, die sich mit diesem Hinweis in Verbindung bringen lassen.

Etwas anderes ist es dann allerdings, wenn in diesem Punkt die Forschungs-literatur in die Fußstapfen ihres Schützlings tritt, wenn sie umstandslos bereit ist, diese wie auch immer motivierte Zurückhaltung zu reproduzieren, wenn sie das Schweigen über die inspirierende Lektüre als ein Verschweigen gar nicht wahrzunehmen scheint. Dann kann man ihr den Vorwurf zwar nicht der Un-redlichkeit, wohl aber der mangelnden wissenschaftlichen Sorgfalt nicht erspa-ren. Für Schelling bedeutet das hier, daß die Genese seiner Philosophie in ei-nem wesentlichen Punkt unerschlossen bleiben muß. In Hinblick auf Böhme sind die Folgen um einiges noch schwerwiegender: Dort, wo seine philosophi-sche Leistung in ihrer philosophiegeschichtlichen Wirkung fraglos am deut-lichsten hervortritt, in der Schellingschen Freiheitsschrift eben, wird sie ent-weder gar nicht oder nur sehr beiläufig zur Kenntnis genommen. Von den bei-den alternativen Möglichkeiten, die Hegel zur Beurteilung Böhmes der Nach-welt offeriert, einerseits Philosoph, andererseits, bei Anlegung eines strengeren Maßstabs, philosophischer Barbar, wird unausgesprochen die zweite gewählt. Daß sie die allgemeine Wertschätzung Böhmes bis heute vielleicht am exakte-sten wiedergibt, dafür spricht mancherlei im aktuellen philosophischen Dis-kurs.

16 Ebd., S. 52.17 Morgen Röte im auffgang (B I), S. 95.

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So gilt für den universitären Bereich, daß Böhmes Lehre oder einzelne ihrer Aspekte oder seiner Schriften als zentraler Gegenstand philosophischer Lehr-veranstaltungen als offenbar wenig geeignet erscheinen. Dem entsprechen die oftmals eher dürftigen Darstellungen in Philosophiegeschichten und philoso-phischen Lexika (im Extremfall können sie dort auch ganz fehlen),18 wobei zuweilen die Frage, ob Böhme ein Platz in ihnen zukomme, nach Hegelschem Vorbild immer noch eigens erörtert wird:

Vergegenwärtigt man sich den allgemeinen Charakter von Böhmes Den-ken, das auf weite Strecken mystische Theologie ist, und berücksichtigt man den prophetischen Ton seiner Schriften, dann ist verständlich, daß gefragt wurde, ob Böhme überhaupt als Philosoph gelten könne. Die Ant-wort hängt davon ab, welche Auffassung von Philosophie zugrunde gelegt wird. Im engeren Wortsinn war Böhme sicherlich kein Philosoph; dazu fehlte ihm die Vertrautheit mit Logik, Erkenntnistheorie, Ontologie usw. Aber wenn man unter Philosophie eine allgemeine und umfassende Welt-sicht verstehen möchte […], dann könnte man Böhme auch unabhängig von seinem Einfluß auf spätere Philosophen wohl einen Platz in der Ge-schichte der Philosophie einräumen.19

Problematisch wird eine solche hervorgekehrte Zweifelhaftigkeit dann, wenn sie zur Verhinderung weiterer wissenschaftlicher Beschäftigung dient, und sei es auch nur, daß sie es leichter macht, Argumente vorzuschieben. So ist ange-sichts des Umstands, daß die für viele Schriften Böhmes immer noch maß-gebliche Edition aus dem Jahr 1730 stammt, eine kritische Neu-Edition sei-ner Werke längst überfällig. Ein bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Jahr 2005 eingereichter Antrag auf Förderung einer kritischen Auswahlaus-gabe wurde jedoch mit folgender Begründung abgelehnt:

Wie im Antrag zu Recht unterstrichen wird, übte Böhme in Deutschland ‚insbesondere auf die Philosophie um 1800 einen nachhaltigen Einfluss aus‘

18 So ist etwa im Brockhaus Philosophie. Ideen, Denker und Begriffe (Mannheim / Leip­zig: F. A. Brockhaus, 2004) unter den „mehr als 1300 Stichwörtern zu Personen und Begriffen“ ein Stichwort Böhme nicht enthalten. 19 Wolfgang Röd: Der Weg der Philosophie Von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert. Erster Band. Altertum, Mittelalter, Renaissance. München: C. H. Beck, 2000 (überarb. Ausgabe), S. 436.

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[…]. Dieser Einfluss, wie auch die Auseinandersetzung Blochs und Ben-jamins oder auch Koyres mit Böhme, ist indes wohl ausschließlich auf die Druckausgaben der Werke Böhmes, allen voran der [!] Ausgabe von 1730, zurückzuführen. Vor diesem Hintergrund erscheint mir der Gewinn ei-ner Neuausgabe, die die typographische Gestalt der Werke Böhmes nicht berücksichtigt, also genau jenen Text, durch den Böhme gewirkt hat, au-ßer Acht läßt, sowohl aus Sicht der Philosophie als auch der Philosophie-geschichte eher gering zu veranschlagen zu sein. Indem die Herausgeber sich ausschließlich auf die frühe handschriftliche Überlieferung von Wer-ken stützen, deren Autographen verloren gegangen sind, mögen sie zwar ‚eine größere Annäherung an die ursprüngliche Textgestalt‘ (Antrag S. 12) erreichen und auch die ‚Transparenz der Entscheidungen, die zur Text-konstitution‘ (ibid.) führten, dürfte tatsächlich größer sein, nur werden sie dann einen Text konstituiert haben, der nur unter Böhmes engsten An-hängern Leser und Leserinnen gefunden haben kann. So interessant die-ser Text philologisch und sozialgeschichtlich auch sein mag, wird er die von verschiedenen Philosophen entworfene philosophische Gestalt Böh-mes kaum berühren, denn außerhalb von Böhmes engstem Adeptenkreis war (und wird es wohl auch noch für eine Weile sein) stets der Text der Ausgabe von 1730 maßgebend.20

Mit dieser Argumentation könnte man nun freilich jede kritische Neuedition, von welchem Philosophen auch immer, für unnötig erklären, denn nur in den seltensten Fällen haben sich die Nachfolgenden nicht auf nach heutigen Maß-stäben unbefriedigende frühe Drucke gestützt. So bleibt das eigentliche, das entscheidende Argument – soweit man davon ausgehen will, daß ein inhalt-liches Argument hier überhaupt entscheidend war – dahinter verborgen und unausgesprochen. Es lautet: Die Schriften Böhmes sind, wenn man von ihrer Nachwirkung einmal absieht, philosophisch unergiebig. Interessant mögen sie vielleicht noch „philologisch und sozialgeschichtlich“ sein, für die Philosophie sind sie es jedenfalls nicht.

Das Thema der von Böhme-Institut und Schopenhauer-Gesellschaft ge-meinsam vorbereiteten und veranstalteten Tagung, „Philosophien des Willens.

20 Aus einem Brief vom 30. 08. 2005. Dr. Thomas Wiemer, Programmdirektor bei der DFG, zitiert hier einen ungenannt bleibenden Gutachter.

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Günther Bonheim: Zur Einführung 15

Böhme, Schelling, Schopenhauer“, darf in Anbetracht dieser im Namen einer großen wissenschaftlichen Fördereinrichtung ausgesprochenen Wertung durch-aus auch im Sinne eines Zeichens verstanden werden, das solcherlei Kenner-tum entgegengesetzt wird. Daß Böhme nicht nur unter bestimmten Vorausset-zungen ein Platz in der Riege der Philosophen gebührt, läßt sich gewiß nicht besser als durch die Praxis des philosophischen Gesprächs erweisen. In diesem Sinne ging es in den im vorliegenden Band vereinigten Tagungsbeiträgen in er-ster Linie darum, den Verbindungen zwischen drei philosophischen Entwür-fen über die Verwendung eines Begriffs nachzuspüren, der in allen dreien von herausragender Bedeutung ist. In einem Maß wie zuvor vielleicht noch nie in der europäischen Geistesgeschichte rückte zu Beginn der Neuzeit Böhme den Begriff des Willens in das Zentrum seiner Lehre. Damit wurde er zum Be-gründer einer Tradition, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Schellings Frei-heitsschrift und Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung erneut gipfeln sollte und über Nietzsches Wille zur Macht schließlich bis hin zu aktuellen Re-flexionen, vor allem aber auch zu ideologischen Vereinnahmungen des Begriffs im 20. Jahrhundert führte. Auf einen Einbezug dieses neueren Kapitels aus der Begriffsgeschichte wurde im Rahmen des Tagungsprogramms verzichtet. Die Tatsache aber, daß auch von diesen Ideologien aus Rückbezüge auf Vorstellun-gen der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Mystik evident sind und zum Teil sogar explizit als solche herausgestellt wurden, läßt es als lohnenswert er-scheinen, hierauf eigens einmal, im Rahmen einer ergänzenden Veranstaltung, zurückzukommen.