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Bilingualismus Universität Leipzig Institut für Linguistik HS Sprachkontakt Dr. J. Wohlgemuth Referenten: Mireille Hassemer & Anke Radke 11.11.2008

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Bilingualismus

Universität Leipzig

Institut für Linguistik

HS Sprachkontakt

Dr. J. Wohlgemuth

Referenten: Mireille Hassemer & Anke Radke11.11.2008

Bilingualismus und Sprachkontakt

Entstehung von Bilingualität Definition(en) und Formen von Bilingualismus

Gesellschaftlicher und individueller Bilingualismus

− Monolinguale Staaten− Bi- oder Multilinguale Staaten

Andere Formen Das bilinguale Individuum Soziale Auswirkungen Diskussion Literatur

Entstehung von Bilingualität

politische Faktoren Bsp. Nationalismus

durch Kultur oder Bildung bedingtA Farsi- English bilingual: I did not know how to speak English until I was ten years

old, when >I went to an English- speaking school in Teheran.

An Arabic- French- English- trilingual : I learned English and Arabic at home but French at school, starting in the earliest grades. It took several years before I felt confortable speaking French.

GROSJEAN (1982)

Entstehung von Bilingualität

Migration (politisch, religiös, ökonomisch bedingt) Bsp.: Misch-Ehen, GastarbeiterA Chinese- Thai- English trilingual: The origin of my family is Chinese. My parents

move down from the South of China to Bangkok about thirty years ago. My father is businessman and I grew up in a large chinese community. Our house is located in the large business section of Bangkok. Most of the business firms in Thailand are owned by Chinese, and both Chinese and Thai are spoken in the business community.

An English- Spanish bilingual: I was born and grew up in Columbia, South America. In the typ of family environment I was brought up in, hearing and speaking two languages [Spanish and English] was a normal thing. My mother is Canadian and my father Columbian, and each would speak to us in their respective native language. GROSJEAN (1982)

Entstehung von Bilingualität

Militärische Invasion (als Folge Kolonisation)

Beispiele aus der Geschichte:

− spanische Invasion in der sog. 'Neuen Welt' verbreiteten Spanisch in nahezu alle Länder Zentral- und Südamerikas

− Alexander der Große und seine Armeen sorgten für die Verbreitung von Griechisch im Mittleren Osten und entlang des Indus

Entstehung von Bilingualität

Bedingungen für Bilingualismus nach militärischen Invasionen und Kolonisation (Brosnahan (1963) / Cooper (1978):

der Eroberungsphase muss lange Phase der Stabilität folgen, damit sich die Sprache ausbreiten kann

erobertes Gebiet sollte multilingual sein, damit die Sprache der Eroberer als lingua franca genutzt werden kann

Nutzung der Sprache der Eroberer sollte die sozialen, politischen, kommerziellen und die Bildungsmöglichkeiten der Einwohner steigern

Definition(en)

Bis heute gibt es keine allgemeine und mehrheitlich akzeptierte Form des Begriffs Bilingualismus.

Definition(en)

→ die Linguistik hat sich lange gesträubt, sich näher mit Bi- oder Multilingualismus zu beschäftigen

Gründe:− Tradition der Disziplin: eine Sprache bzw. Varietät möglichst

genau zu betrachten− Verkomplizierung der Untersuchung bei gleichzeitigem

Betrachten von zwei oder mehr Sprachen an einem Individuum oder in einer Gesellschaft

− Abneigung, da der theoretische Anspruch der Einheitlichkeit (Reinheit) des Beobachtungsobjekts nicht gegeben ist

Definition(en)

„Unter Mehrsprachigkeit ist aktive vollendete Gleichbeherrschung zweier oder mehrerer Sprachen zu verstehen, ohne Rücksicht darauf, wie sie erworben ist.“

BRAUN (1937)

Im Verlauf seiner Überlegungen gab er zu, dass diese Form des Bilingualismus extrem selten vorkommt und dass sie darüber hinaus zu ihrer Selbstaufhebung tendiert

Definition(en)

„native- like control of two languages“

BLOOMFIELD (1935)

Heute wird in der Regel von Bilingualismus ohne Rücksicht auf den Grad Sprachkompetenz geredet.

„...We shall therefore consider bilingualism as the alternate use of two or more languages by the same individual.“

MACKEY (1957)

„The practice of alternatively using two languages will be called here bilingualism and the person involved bilingual.“

WEINRICH (1953)

Gesellschaftlicher und individueller Bilingualismus

Individueller Bilingualismus:

→ eine Person spricht zwei oder mehr Sprachen

Gesellschaftlicher Bilingualismus:

→ innerhalb einer Gesellschaft werden zwei oder mehr Sprachen gesprochen

Gesellschaftlicher Bilingualismus

APPLE & MUYSKEN (2005) unterscheiden folgende Formen:

Zwei Sprachen, Zwei Gruppen, Beide Gruppen monolingual, ein kleine Menge Bilingualer hält die Kommunikation zwischen den Gruppen aufrecht

Zwei Sprachen, Zwei Gruppen, Gruppen Bilingual Zwei Sprachen, Zwei Gruppen, eine Gruppe ist monolingual und

die andere bilingual

Gesellschaftlicher Bilingualismus

Monolinguale Staaten

reine monolinguale Staaten, die keine Minderheitensprache aufweisen, sind fast unmöglich ausfindig zumachen

Hauptsächlich monolinguale Staaten:

Staaten, in denen die Sprache der Mehrheit der Bevölkerung ist

Bsp. Deutschland, Japan

Monolinguale Staaten

Hauptsächlich multilinguale Staaten: Staaten, die mehrere Sprachen beherbergen aber nur eine offizielle

Staatssprache ernannt haben

Bsp. einige afrikanische Länder wie Tansania− nach Unabhängigkeit standen viele Staaten die kolonisiert

wurden vor dem Problem eine Sprache als Amtssprache zu wählen:

Monolinguale Staaten

Kriterien: Sprache mit Schriftsystem ausreichend Vokabular Nutzbar für Kommunikation mit Nachbarstaaten Wahl sollte zum Nationalgefühl beitragen Sprache die keine der ethnischen Gruppen übervorteilt oder

benachteiligt

Monolinguale Staaten

zwei wesentliche Lösungen: wählt eine Sprache die von einer Gruppe gesprochen wird

(Tansania: Swahili; Philippinen: Philippinisch (basierend auf dem Tagalog)

wählt eine Sprache die nicht im Land gesprochen wird (Sierra Leone, Sambia, Ghana: Englisch als offizielle Staatssprache; Tschad , Senegal: Französisch)

Monolinguale Staaten

Bsp. Libanon Amtssprache: Arabisch wichtige Sprachen sind: Französisch, Türkisch, Englisch,

Armenisch fast die Hälfte der Bevölkerung ist bilingual in

Arabisch/Französisch oder Arabisch/ Englisch„Bi- or trilingualism is very common in Lebanon. It is widely accepted, even expected of you. There are newspapers and TV programms in all three languages, and many road signs, legal documents, telephone directories, and so on are in Arabic and French.“

(trilingual Lebanese)

Bi- oder Multilinguale Staaten

Staaten, die zwei oder mehr Amtssprachen haben Bsp. Fidji, Südafrika, Kanada

Kanada: Amtssprachen: Französisch und Englisch 60% englische und 23% französische Muttersprachler 67,5% Englisch monolingual, 13,3% Französisch monolingual Nur 17,7% bilingual in Französisch und Englisch Vergleich Tansania: 90% der Bevölkerung sind bilingual

Bi- oder Multilinguale Staaten

→ in offiziell bilingualen Ländern wird der individuelle Bilingualismsus meistens nicht gefördert und der Anteil der Bilingualen ist ziemlich gering

→ Tendenz zu Monolingualismus

Andere Formen

symmetrischer/ ausgewogener Bilingualismus

→ Inidividuen, die in beiden Sprachen einen ungefähr gleichgewichtigen Sprachstand erlangt haben und diesen über einen längeren Zeitraum konstant halten können

asymmetrischer/ dominanter Bilingualismus

→ Individuen, die zwei Sprachen beherrschen, wobei der Dominanzgrad einer Sprache abhängig ist vom Gebrauch im jeweiligen Kontext

Semilingualismus

→ Individuen, die Defizite in beiden Sprachen aufweisen

Das bilinguale Individuum

Einstellungen und Gefühle über Bilingualismus 52% aller Bilingualen sehen keine Unannehmlichkeit bzgl. ihres

Bilingualismus „Unbequemlichkeiten“: als Übersetzer agieren müssen leichte Tendenz, Sprachen innerhalb eines Satzes zu mixen Anpassung im Kindesalter manchmal ist es schwierig sich in beiden Sprachen bzgl. einer

bestimmten Sache zu äußern

Das bilinguale Individuum

Bikulturalismus kann manchmal ein Problem sein manchmal denke ich, dass ich keine beider Sprachen kann mögliche Quelle des Konflikts nicht zu einer bestimmten kulturellen Gruppe zu gehören

Das bilinguale Individuum

A French- Alsatian bilingual: „Since the age of thirty, I have had the feeling that being bilingual is having a negative effect on my French. My vocabulary is more limited, I keep away from technical terms, new words are assimilated more slowly, and I use French dictionary more often to check on French words. The older I get the more this impression is strengthened, so that I am now starting to have complexes. I find consolation in reasoning that knowing and using two languages quite well is as useful as knowing and using only one language.“

GROSJEAN (1982)→ allerdings sind Bilinguale sehr positiv gegenüber ihrer Fähigkeit eingestellt

Das bilinguale Individuum

Vorteile: zu bestimmter Sprechergemeinschaft eine Sprache sprechen, wobei

einen die anderen nicht verstehen, was sie in dem Fall auch nicht sollen

man fühlt sich überall zu Hause es erweitert den Horizont: man lebt in zwei Welten anstatt in einer

(Freunde, kulturelle Aspekte, Berufsmöglichkeiten)

Möglichkeit mit verschiedenen Typen von Menschen zu kommunizieren

fähig sein, die Schönheit einer anderen Sprache zu entdecken

Das bilinguale Individuum

Literatur in der Originalsprache lesen Verstehen, wie jede Sprache ihre eigene Logik hat, eine völlig

andere Art und Weise und Ausdrucksweisen mit Menschen einer anderen Kultur zu sprechen führt zu offenerem

Weltbild doppelte Perspektive auf die Welt die Möglichkeit anderen zu helfen, die allein eine Sprache sprechen

können (wichtig in Ländern, in denen die Amtssprache nicht so häufig gebraucht wird)

soziale Beweglichkeit, größere Aufnahme sozialer Interaktion

Das bilinguale Individuum

Geistige Aktivitäten, Emotion und Stress befragte Bilinguale tendierten dazu Mathe in der Sprache zu

machen, in der sie es lernten (wenn sie Arithmetik in einer Sprache gelernt haben, machen sie dies weiterhin in dieser Sprache und wenn sie Stochastik in einer anderen Sprache gelernt haben, nutzen sie diese dafür und switchen immer in diese)

diese Sprachspezifik ist auch in anderen ‚überlernten’ Prozessen, wie bspw. dem Beten vorhanden (Bsp.: viele Bilinguale können Sätze aus dem Koran rezitieren, müssten sie das in ihrer zweiten Sprache tun, führte dies zu einer langsamen und mühsamen Übersetzung)

Das bilinguale Individuum

die Sprache, die genutzt wird, wenn jemand zu sich selbst spricht, ist meistens abhängig von der Situation oder dem Hintergrund (manche gebrauchen selbst hier beide Sprachen mit code switching)

Träumen ist auch abhängig von beiden Sprachen bzw. von den geträumten Situationen und anwesenden Personen

Stress = Verursacher von mehr Interferenz, Probleme die angemessenen Worte zu finden und ungewolltes Wechseln

Das bilinguale Individuum

Zwei Persönlichkeiten? einige Bilinguale berichten, dass wenn sie die Sprache wechseln,

sie damit auch ihre Einstellungen und Glauben wechseln besser: eine Persönlichkeit in verschiedenen Situationen Bilinguale wählen eine Sprache abhängig von der Situation, der

Gesprächspartner, des Themas und der Gesprächsabsicht

→diese Faktoren rufen verschiedene Einstellungen, Impressionen und Glaubenseinstellungen hervor, was als Personenveränderung gesehen wird, wobei es ein Situations- und Gesprächspartnerwechsel ist

Das bilinguale Individuum

When my wishes conflict with my family…

Japanese: it is a time of great unhappiness.

English: I do what I want.

I will probably become…

Japanese: a housewife.

English: a teacher.

Real friends should…

Japanese: help each other.

English: be very frank.

Das bilinguale Individuum

Zusammengefasstes einige lernen zwei Sprachen zu Hause → Fähigkeiten

unterschiedlich ausgeprägt immigrierte Arbeiter schnappen zweite Sprache auf Arbeit auf,

lernen schreiben oder lesen nicht → nicht die Fähigkeiten eines Diplomats oder internationalem Geschäftsmannes, der auch diese beherrschen muss, erreichen werden

jeweilige Fähigkeit eines Bilingualen in Bereichen lesen, schreiben, sprechen, hören → weist Notwendigkeit der Fachkenntnis in der Sprache auf

Soziale Auswirkungen

Situationen von Sprachkontakt

1) linguistische Inselgruppe

Bsp.: Aboriginals in Stammes ähnlichen Gruppen, soziolinguistisch werden diese Gebiete mit ausgebreitetem Bilingualismus bezeichnet

2) mehr oder weniger stabile Grenzen zwischen Sprachfamilien

Bsp.: Belgien-Flämisch und Deutsch im Norden, Französisch im Süden

Soziale Auswirkungen

3) Europäische Kolonialerweiterung

Bsp.: europäische Sprachen koexistieren neben ursprünglichen Sprachen oder es werden neue Varietäten gebildet, bspw. Afrikaans

4) Isolierte Minderheitssprachen

Bsp.: Walisisch und Gälisch in Groß-Britannien, Friesisch in den Niederlanden

5) Entgegengesetzte Migrationsbewegung

Bsp.: Indonesier in die Niederlande

Soziale Auswirkungen

Soziale Aspekte Sprachen sind soziale Phänomene mit Sprache differenziert sich Gruppe, bspw. kulturelle Normen

und Werte einer Gruppe setzen sich durch ihre Sprache ab Mercer et al. (1979) untersuchte Gruppe Gujerati und Englisch

sprechender Studenten drei Gruppen unterschieden: als Inder identifizierte, als Britisch

identifizierte und eine gemischte Gruppe

Soziale Auswirkungen

indische Gruppe: positiv motiviert Gujerati zu gebrauchen, betonten Gebrauch als Funktion von Verbindungen zur Heimat und kulturellem Erbe

britische Gruppe: kaum motiviert, hatte negative Einstellung über Gebrauch von Gujerati

wiederum notierte Ross (1979), z.B. bei amerikanischen Indianern, dass Gruppengefühl aufkam, wenn Individuen oder Gruppen ihre Sprache aufgaben und eine gleiche lingua franca bevorzugten

→identitätsspezifische Merkmale einer Gruppe/ Sprachgemeinschaft erkennbar

Diskussion

Mythen über Bilingualismus:

"Bilinguals have split personalities."

"Bilingualism is a charming exception, but monolingualism is of course the rule."

"A child who learns two languages won't feel at home in either of them. She'll always feel caught between two cultures."

Literatur

Grosjean, François (1982): Life with two Languages. An Introduction to Bilingualism. Cambridge : Harvard University Press.

Bausch, Karl-Richard; Christ, Herbert und Krumm, Hans-Jürgen (2003): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4. Auflage. Tübingen: A. Francke Verlag Tübingen und Basel.

Apple, René and Muysken, Pieter (2005): Language Contact and Bilingualism. Amsterdam : Amsterdam University Press. [Language Contact and Bilingualism was originally published in 1987 at Edward Arnold, London ]

Thomason, Sarah G. (2005): Language Contact. An Introduction. 3. Auflage. Edinburgh : University Press Edinburgh .

Hoffmann, Charlotte (1994): An Introduction to Bilingualism. 1.publ. 3. impr., Harlow : Longman

http://www.nethelp.no/cindy/myth.html