Binnenwanderungen zwischen Ost- und Westdeutschland seit 1990 · Dieser „Aufschwung Ost“...

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Universität Trier Fachbereich IV - Volkswirtschaftslehre - Stadt- und Regionalökonomie - Sommersemester 2004 Seminar „Räumliche Wirkung des demografischen Wandels“ Prof. Dr. H. Spehl und Dipl.-Geogr. M. Gensheimer Binnenwanderungen zwischen Ost- und Westdeutschland seit 1990 - Darstellung der Zahl und Struktur, von Determinanten und zukünftiger Entwicklung Christopher Stange 6.Semester Angewandte Geografie/ Fremdenverkehrsgeografie Weidengasse 7 54292 Trier [email protected] Matr.Nr.:686864

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Universität Trier

Fachbereich IV - Volkswirtschaftslehre - Stadt- und Regionalökonomie -

Sommersemester 2004

Seminar „Räumliche Wirkung des demografischen Wandels“

Prof. Dr. H. Spehl und Dipl.-Geogr. M. Gensheimer

Binnenwanderungen zwischen Ost- und Westdeutschland seit 1990

-

Darstellung der Zahl und Struktur, von Determinanten

und zukünftiger Entwicklung

Christopher Stange

6.Semester Angewandte Geografie/ Fremdenverkehrsgeografie

Weidengasse 7 54292 Trier

[email protected] Matr.Nr.:686864

Inhaltsverzeichnis Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 3

1. Einleitung 4

2. Der Verlauf der Binnenwanderung – Umfang und Determinanten der Migration 5

2.1. 1989/90: Die Wiedervereinigung und die Zeit danach 5

2.2. „Aufschwung Ost“ 6

2.3. „Annäherung – aber keine Angleichung“ 6

2.4. Stagnation der weiteren Annäherung 7

2.5. Fazit 8

3. Alters- und geschlechtsspezifische Merkmale der Binnenwanderung 8

4. Wanderungsmuster – der räumliche Ablauf der Binnenwanderung 12

4.1. Gewinner und Verlierer der Binnenwanderung im wiedervereinigten Deutschland 13

4.2. Wanderungsmuster - der räumliche Ablauf der Binnenwanderung 15

4.2.1. Wanderungsmuster im geteilten Deutschland 15

4.2.2. Die räumlichen Muster der Binnenmigration nach der Wiedervereinigung 15

4.2.3. Der Wandel der Wanderungsmuster und die räumlichen Auswirkungen 16

5. Fazit 18

Literatur 19

2

Abbildungsverzeichnis

Abb.1: Zu- und Abwanderung von Menschen in den neuen Bundesländern sowie 5

Binnenwanderungssalden mit dem alten Bundesgebiet seit 1989

Abb.2: Geschlechtsspezifische Abwanderung aus den neuen Ländern 8

Abb.3: Arbeitslosenquote in Ost- und Westdeutschland 10

Abb.4: Arbeitslosenquote in Ost- und Westdeutschland nach Geschlecht 11

Abb.5: Durchschnittliche jährliche Wanderungssaldorate 1997 bis 2001 je 1.000 Einwohner 17

Tabellenverzeichnis

Tab.1: Altersselektivität der Binnenmigration: Wanderungen zwischen Ost- und 9

Westdeutschland nach Altersgruppen (in 1000)

Tab.2: Binnenwanderungssalden der Bundesländer mit Ost- und Westdeutschland zwischen 13

1991 und 1998

3

1. Einleitung Erst mit der Wiedervereinigung kann seit 1990 wieder von Binnenwanderungen zwischen

Ost- und Westdeutschland gesprochen werden. Zuvor war die Migration zwischen den

beiden deutschen Staaten – der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen

Demokratischen Republik – durch die 1961 errichtete Berliner Mauer und das politische

System des sozialistischen Staates stark eingeschränkt. Für Bürger der DDR war die

Möglichkeit zur Ausreise von der Willkür der Staatsobrigkeit abhängig und, im Falle das

keine Bewilligung des Ausreiseantrags erfolgte, nur als lebensbedrohliche Flucht zu

realisieren (vgl. WENDT, S.533). Beides - sowohl die staatliche Beschränkung als auch

die Notwendigkeit einer Flucht - gehört seit dem Fall der innerdeutschen Grenze der

Vergangenheit an: „Mit der Bildung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion am

1.Juli 1990 wurden die deutsch-deutschen Wanderungen zu Binnenwanderungen“

(WERZ, S.24).

Binnenmigrationen bilden zusammen mit der Außenwanderung die sogenannte

räumliche Bevölkerungsbewegung. Daneben bestimmen Fertilitätsniveau und

Mortalitätsrate die natürlichen Bevölkerungsbewegungen – und damit über das Wachsen

oder Schrumpfen einer Gesellschaft.

In Deutschland ist der Binnenwanderung ein beträchtlicher Anteil am demografischen

Wandel beizumessen. Besonders deshalb, da die, nach der Wiedervereinigung

offensichtlich werdenden Disparitäten zwischen Ost und West, enorme Migrationsströme

zur Folge hatten, die durch ihren selektiven Verlauf, den demografischen Wandel in

Teilen Deutschlands stark beschleunigt haben.

In dieser Arbeit wird dargelegt, in welchem Ausmaß die Binnenwanderung zwischen Ost-

und Westdeutschland bisher vonstatten gegangen ist, welche Determinanten Einfluss

darauf hatten und wie sich die Zahl der Wanderer im zeitlichen Verlauf seit der

Wiedervereinigung entwickelt hat. Dabei wird auch das Jahr 1989 betrachtet und zum

Zeitraum der Wiedervereinigung gezählt, da schon zu diesem Zeitpunkt viele „Bürger die

immer mehr in Auflösung begriffene DDR“ (WENDT, S.533) verließen. Außerdem sollen

die Besonderheiten der Wanderungen im Hinblick auf alters- und geschlechtsselektive

Tendenzen herausgearbeitet werden. Des Weiteren werden Quell- und Zielgebiete der

Migranten aufgezeigt und die räumlichen Muster, die sich daraus ergeben haben,

beleuchtet. Außerdem werden die Auswirkungen der jeweiligen Wanderungssalden auf

die - in erster Linie neuen - Bundesländer diskutiert. Abschließend wird ein Ausblick auf

mögliche zukünftige Entwicklungen der Binnenwanderung in Abhängigkeit von den

genannten Determinanten gegeben.

4

2. Der Verlauf der Binnenwanderung – Umfang und Determinanten der Migration Betrachtet man den zahlenmäßigen Umfang der Binnenwanderung im zeitlichen Verlauf

seit der Wiedervereinigung Deutschlands, so können deutlich vier Phasen unterschieden

werden. Diese Phasen zeichnen sich durch erheblich voneinander abweichende

Wanderungssalden aus, die sich aus den Veränderungen der Zu- und Fortzüge während

der einzelnen Jahre ergeben (vgl. Abb.1).

Abb.1: Zu- und Abwanderung von Menschen in den neuen Bundesländern sowie

Binnenwanderungssalden mit dem alten Bundesgebiet seit 1989

-400.000

-300.000

-200.000

-100.000

0

100.000

200.000

300.000

400.000

1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001

ZuzügeAbwanderungSaldo

Quelle: BÜTTNER; WENDT, S.535; eigene Darstellung

2.1 1989/90: Die Wiedervereinigung und die Zeit danach Die Jahre 1989 und 1990 bilden den ersten prägnanten Abschnitt der Binnenwanderung.

Mit fast 400.000 Menschen, die in diesem Zeitraum das heutige Ostdeutschland jährlich

per Saldo verließen, wird eine regelrechte „Fluchtbewegung mit teilweise panikartigem

Charakter“ (WERZ, S.24) aus den neuen Bundesländern deutlich. Durch den Fall der

Berliner Mauer sowie der innerdeutschen Grenze war es mit einem Mal problemlos

möglich, das Staatsgebiet der ehemaligen DDR zu verlassen, was zur Zeit des geteilten

Deutschlands nur wenigen offiziell erlaubt worden war, und anderen „nur als

lebensgefährliche Flucht“ (WENDT, S.533) glückte. So gehörten zu den ersten, die die

neuen Bundesländer in der Zeit der Wende verließen, wohl viele Bürger, die durch den

sich abzeichnenden Umbruch und ihrer Unzufriedenheit mit der politischen und

wirtschaftlichen Situation, bereits „auf gepackten Koffern saßen“ (ebd.). Als vorwiegende

Beweggründe kann hier also von sowohl politischen, als auch sozioökonomischen

Motiven ausgegangen werden (vgl. WERZ, S.24). Des Weiteren spielte auch die

Unsicherheit, mit der die Zukunft der neuen Länder einzuschätzen war, eine wichtige

Rolle für die enorme Abwanderung von dort. Dieser Umstand spiegelt sich in der, mit

lediglich 5.000 (1989) bzw. etwa 36.000 Menschen (1990) umfassenden, recht geringen

Zuwanderung aus den alten Bundesländern in den Osten wider (vgl. Abb.1). Neben den

5

genannten Gründen sind als weitere wanderungsauslösende Motive noch die damals

bestehenden, eklatanten Disparitäten in den Lebensbedingungen zwischen dem Gebiet

der ehemaligen DDR und der alten BRD anzuführen. Diese werden in Abschnitt 2.3

rückblickend auf diese Zeit der Wende betrachtet, um so durch eine Gegenüberstellung

die Erfolge des im Folgenden behandelten „Aufschwung Ost“ zu verdeutlichen.

2.2 „Aufschwung Ost“

Die Folgejahre zwischen 1991 und 1995, die als zweite Phase im Verlauf der

Binnenwanderung zwischen Ost- und Westdeutschland zusammengefasst werden

können, sind mit dem oftmals gebrauchten Ausdruck „Aufschwung Ost“ zu

überschreiben. Durch enorme Investitionen in die marode Infrastruktur der Länder der

ehemaligen DDR, begannen die, vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl

versprochenen „blühenden Landschaften“ im Osten Deutschlands zu entstehen.

Dieser „Aufschwung Ost“ äußert sich beim, in Abbildung 1 dargestellten

Binnenwanderungssaldo zwischen den alten und neuen Bundesländern, in einem starken

Rückgang der Bevölkerungsverluste des Ostens. Zurückzuführen ist dies zum einen auf

eine gestiegene Ost-Wanderung „westdeutscher Chancensucher“ (GEIßLER, S.448) und

auf Personen, die ihre ostdeutsche Heimat im Zuge der Wende verlassen hatten, nun

aber dorthin zurückkehrten. Zum anderen sank auch die Zahl der Abwanderungen aus

den neuen Bundesländern – ebenfalls ein Indiz für den beginnenden Aufwärtstrend und

die nun besser einschätzbare und einzuschätzende zukünftige Entwicklung im Osten

Deutschlands. Während sich die Abwanderung bereits 1992 gegenüber dem Wert von

1990 halbiert hatte (400.000 vs. 200.000) und 1994 mit 163.034 Personen ihren

Tiefststand erreichte, stieg die Zahl der Zuwanderer aus den alten Ländern von 5.135 im

Jahr 1989 zunächst bis 1991 auf 80.267 und bis 1995 dann kontinuierlich auf 143.063

Menschen (vgl. Abb.1).

2.3 „Annäherung – aber keine Angleichung“

Der höchste Stand der West-Ost-Wanderung wurde mit 157.348 Migranten 1997 erreicht,

was in Verbindung mit dem vergleichsweise geringen Volumen an ostdeutschen

Abwanderern (167.789) auch gleichzeitig den bislang ausgeglichensten Saldo ergab.

Bereits 1996 war es durch die geringe Abwanderung aus Ostdeutschland zu einem

annähernden Ausgleich bei den Wanderungssalden gekommen. So verließen in dieser,

nur zwei Jahre andauernden, dritten Phase im Verlauf der Binnenwanderung nur noch

24.475 Menschen mehr die neuen Bundesländer, als aus Westdeutschland dorthin zogen

(vgl. Abb.1).

Der Grund hierfür ist in der fortgeschrittenen Annäherung bei den Lebensbedingungen in

den alten und neuen Bundesländern zu sehen – auch wenn es weder zu diesem

Zeitpunkt noch später zu einem wirklichen Ausgleich gekommen ist (vgl. 2.4). „Dennoch

ist das Ost-West-Wohlstandsgefälle innerhalb weniger Jahre ein erhebliches Stück

verringert worden, wenn auch nicht alle Blütenträume, die in der Anfangseuphorie nach

6

dem Zusammenbruch der DDR reiften, in Erfüllung gingen“ (GEIßLER, S.89). Als Erfolge

des „Aufschwung Ost“ sind hier beispielsweise die Steigerung der Ertragskraft

Ostdeutschlands, die Annäherung hinsichtlich der Einkommen, oder die Verbesserung

der Wohnverhältnisse sowie der Konsumgüterausstattung der Bürger des Ostens zu

nennen. So wurde die Lücke beim verfügbaren Einkommen je Einwohner zwischen West

und Ost, die 1991 noch etwa 43% betragen hatte, im Zuge einer „nachholenden

Einkommensexplosion“ (ebd.) bis 1996 auf 17% verringert (vgl. ebd.). Hier kann also von

einer Annäherung gesprochen werden. Die Lücke völlig zu schließen gelang jedoch nicht.

Ebenfalls ersichtlich wird der Aufholprozess der neuen Länder, wenn man die dortige

Entwicklung der Wohnversorgung zwischen 1989 und 1997 betrachtet. Durch die

Renovierung von etwa zwei Dritteln aller ostdeutscher Wohnungen wurde beispielsweise

der Anteil der Wohnungen ohne Bad von 18% im Jahre 1989 auf nur noch 5% 1997

reduziert. Bei Wohnungen ohne moderne Heizung sank die Zahl im gleichen Zeitraum

von 53 auf 15%. Auch die zur Verfügung stehende Wohnfläche je Einwohner wurde bis

1997 von 28m² (1989) auf 34m² gesteigert. Ebenfalls erhöht werden, und zwar auf 31%

(1997), konnte die Wohneigentumsquote die 1993 noch bei 26% gelegen hatte (vgl. ebd.,

S.86). Da jedoch, wie bei allen nun angeführten Indikatoren, auch hierbei die bestehende

Lücke zum Westniveau lediglich verringert, nicht aber geschlossen werden konnte, lässt

sich diese dritte Phase der Binnenwanderung mit dem Slogan „Annäherung – aber keine

Angleichung“ (ebd., S.89) beschreiben.

2.4 Stagnation bei der weiteren Annäherung

Die ausbleibende Beseitigung der Disparitäten zwischen Ost und West ist maßgeblich

dafür verantwortlich, dass sich der positive Trend, der sich bis zu diesem Zeitpunkt mit

einem Rückgang der Wanderungsverluste Ostdeutschlands abgezeichnet hatte, ab 1998

umkehrte. In dieser vierten Phase im Verlauf der Binnenwanderung seit 1989, verließen

fortan wieder immer mehr Menschen die neuen Bundesländer (vgl. Abb.1). Der

stockende Aufholprozess äußert sich beispielsweise darin, dass die in Abschnitt 2.3

angesprochene Verdienstlücke von 1996 bis heute nahezu unverändert erhalten

geblieben ist. Noch 2001 bekam ein ostdeutscher Arbeitnehmer durchschnittlich nur 83%

des Westverdienstes ausbezahlt (vgl. GEIßLER, S.90). Die Enttäuschung der Bürger

Ostdeutschlands über diese Entwicklung zeichnet sich deutlich im nun wieder steigenden

Negativsaldo zwischen den neuen Ländern und dem alten Bundesgebiet ab. Waren

1997, im Jahr der per Saldo geringsten Abwanderung, lediglich etwa 10.000 Personen

mehr aus den neuen Bundesländern abgewandert, als aus dem Westen zuzogen, so

hatte sich diese Zahl bereits im folgenden Jahr nahezu verdreifacht: Ostdeutschland

verlor 1998 über 30.000 Menschen an die alten Bundesländer. Dass sich dieser

Negativtrend auch während der letzten Jahre bestätigte, zeigt der Wanderungssaldo von

2001: in diesem Jahr belief sich die Zahl der Abwanderer aus Ostdeutschland auf

192.000; mit 94.441 Menschen nahmen weniger als die Hälfte den umgekehrten Weg

(vgl. Abb.1).

7

Aus der dargestellten, seit 1998 wieder negativen Tendenz bei den

Binnenwanderungssalden zwischen Ost- und Westdeutschland geht hervor, dass „die

soziale Einheit, im Sinne der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ein

langwieriger Prozess ist“ (GEIßLER, S.91), bei dem nicht zu erwarten war, dass „die

Folgen von fast einem halben Jahrhundert ungleicher Entwicklungen [...] innerhalb

weniger Jahre zu beseitigen“ sind (ebd.).

2.5 Fazit

Ostdeutschland hat zwischen 1989 und 2001 per Saldo rund 1,36 Millionen Menschen an

den Westen verloren. Dies entspricht über acht Prozent seiner etwa 16,7 Millionen

Einwohner des Jahres 1989. Die Folgen, die sich für die neuen Länder aus dieser

massiven Abwanderung unmittelbar ergeben, sind bekannt: Wohnungsleerstand,

sinkende Steuereinnahmen der Länder und Kommunen, sinkende Kaufkraft oder

Ausdünnung der Infrastruktur, um nur einige zu nennen (vgl. BÜTTNER). Jedoch sind

neben diesen Konsequenzen, die aus einem allgemeinen Bevölkerungsverlust

resultieren, noch weitere anzuführen, welche erst durch die im Folgenden beschriebene

Alters- und Geschlechtsselektivität der Binnenwanderung offensichtlich werden.

3. Alters- und geschlechtsspezifische Merkmale der Binnenwanderung Die Betrachtung des Untersuchungszeitraumes liefert im Hinblick auf die

Binnenwanderung zwischen Ost- und Westdeutschland die Erkenntnis, dass es stets die

neuen Länder waren, die Wanderungsverluste haben hinnehmen müssen. Besonders

drastisch wird diese, ohnehin als äußerst negativ einzuschätzende Entwicklung, sobald

man die Wanderungen nach Alter und Geschlecht der Migranten differenziert analysiert.

Hierbei wird deutlich, dass nicht alle Bevölkerungsteile gleichermaßen an der

Abwanderung aus den neuen Ländern beteiligt sind, sondern dass diese sowohl alters-

als auch geschlechtsspezifische Besonderheiten aufweist (vgl. KEMPER, S.11f).

Abb.2: Geschlechtsspezifische Abwanderung aus den neuen Ländern

-250.000

-200.000

-150.000

-100.000

-50.000

0

1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999

Männer

Frauen

Quelle: KEMPER, S. 11; eigene Darstellung

8

Wie aus Abbildung 2 hervorgeht, waren zum einen stets mehr Frauen aus

Ostdeutschland ab- als zugewandert und zum anderen überstieg diese Abwanderung

weiblicher Personen ab dem Jahr 1991 auch den Negativsaldo der Männer. Während

1996 und 1997 die Zahl der zugewanderten Männer die der abgewanderten gar übertraf,

blieb der Saldo bei den Frauen aus Sicht der neuen Bundesländer über den gesamten

Betrachtungszeitraum hinweg negativ.

Dieser Wanderungsverlust weiblicher Bürger hat dazu geführt, dass beim

Geschlechterverhältnis mancher ostdeutscher Landkreise mittlerweile weniger als 80

Frauen zwischen 18 und 29 Jahren auf 100 gleichaltrige Männer kommen (vgl. BERLIN

INSTITUT FÜR WELTBEVÖLKERUNG UND ENTWICKLUNG, S.38). Extrembeispiele hierfür sind die

Landkreise Parchim oder Uecker-Randow in Mecklenburg-Vorpommern, wo dieser Wert

79,3/100 bzw. gar 76,1/100 beträgt (vgl. GEO MAGAZIN, S.9). Bedingt wird dies jedoch

nicht nur durch die höhere Abwanderung von Frauen, sondern auch dadurch, dass an

der entgegen gerichteten West-Ost-Wanderung tendenziell mehr Männer als Frauen

beteiligt sind. Dieser „allgemeine“ Frauenmangel ist an sich bereits ein erstes Argument,

um die mit 1,1 Kindern pro Frau (1999) extrem geringe Geburtenrate der neuen Länder

zu erklären (vgl. GEIßLER, S.53).

Ein zweiter Faktor, der für diesen Geburtenmangel verantwortlich ist, ist der

altersselektive Charakter der Abwanderung aus Ostdeutschland (vgl. Tab.1).

Tab.1: Altersselektivität der Binnenmigration: Wanderungen zwischen Ost- und

Westdeutschland nach Altersgruppen (in 1000)

Quelle: WERZ, S.26

„Seit 1997/98 wird der negative Saldo vor allem durch die 18- bis unter 25-Jährigen

verursacht und mit steigender Tendenz auch durch die 25- bis unter 30-Jährigen“ (WERZ,

S.25). 1998 waren von den 30.700 Personen, die in diesem Jahr die neuen

Bundesländer verließen, 68% zwischen 18 und 25 Jahre alt (vgl. Tab.1). Verknüpft man

nun diese erhöhte Abwanderungsbereitschaft der jüngeren Bevölkerungsteile mit der

geschlechtsspezifischen Abwanderung, so zeigt sich, dass gerade Frauen zwischen 18

und 35 Jahren die Hauptgruppe der Abwanderer stellen: der Anteil weiblicher Personen

betrug in dieser Altersgruppe 1998 fast 65%. Beides, sowohl die übermäßige

Abwanderung jüngerer Bevölkerungsteile, als auch die größere Zahl weiblicher

Menschen, hat sich 1999 fortgesetzt. Zwar sank der Anteil der abgewanderten 18- bis

9

unter 25-Jährigen wegen der gestiegenen Beteiligung anderer Altersgruppen etwas; mit

25.600 von 43.600 Personen (59%) stellen sie jedoch nach wie vor die

Hauptabwanderungsgruppe. Der Frauenanteil blieb bei diesen Jahrgängen mit 64,5%

gegenüber 1998 nahezu unverändert (vgl. Tab.1).

In diesem Negativsaldo bei Frauen im gebärfähigem Alter ist die bereits angeführte,

eminent niedrige Geburtenrate in Ostdeutschland begründet. Diese Konstellation würde

an sich bereits zu einer Überalterung und Schrumpfung der ostdeutschen Bevölkerung

führen. Allerdings wird diese, sich bereits abzeichnende demografische Entwicklung noch

dadurch beschleunigt, dass die einzige Altersgruppe, die aus Sicht der neuen Länder seit

1996 über einen positiven Wanderungssaldo verfügt, diejenige der über 50-Jährigen ist.

Zusätzlich liegt hier der Anteil derer, die bereits älter als 65 Jahre sind, noch einmal

höher (vgl. KEMPER, S.12 sowie Tab.1).

Zusammengefasst ergibt sich für die neuen Bundesländer aus der Abwanderung junger

Leute, sowie der Zuwanderung älterer, und somit oftmals nicht mehr berufstätiger

Personen, eine äußerst negative Entwicklung. Durch den einerseits rückläufigen Anteil

kaufkräftiger Menschen und der steigenden Zahl an Rentnern andererseits, wird das

Sozialsystem Ostdeutschlands stark belastet. Hierin und in der Schrumpfung der

ostdeutschen Bevölkerung sind die fehlenden Steuereinnahmen der Länder und

Kommunen mitbegründet, die notwendig wären, diese Negativentwicklung in der

Sozialstruktur der neuen Bundesländer verkraften zu können (vgl. BÜTTNER).

Für beide dargelegten Besonderheiten, also sowohl für die alters- als auch für die

geschlechtsspezifischen Tendenzen bei der Abwanderung aus Ostdeutschland, lässt sich

- neben familiären und anderen persönlichen Gründen, die vor allem die Gruppe der

sogenannten „Familienwanderer“ (30-50-Jährige, sowie unter 18-Jährige) betreffen - als

primärer Push-Faktor die hohe Arbeitslosigkeit anführen (vgl. GANS u. KEMPER, S.17

sowie Abb.3).

Abb.3: Arbeitslosenquote in Ost- und Westdeutschland

0

2

4

6

8

10

12

14

16

18

20

in %

1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003

West

Ost

Quelle: SOZIALPOLITIK IN DEUTSCHLAND; eigene Darstellung

10

Hier erschließt sich zunächst der unmittelbare Zusammenhang zwischen der

Wanderungsrichtung jüngerer Bevölkerungsgruppen und dem Umstand, dass die

Arbeitslosenquoten des Ostens während des Betrachtungszeitraumes durchschnittlich

um das 1,9fache höher lagen, als die des Westens. Da bei den 18- bis unter 30-Jährigen

die Suche nach einer Ausbildungs- bzw. Arbeitsstelle als maßgebliches

Wanderungsmotiv gilt, wird diese Altersgruppe auch als „Arbeitsplatzwanderer“ (KEMPER,

S. 12) bezeichnet, womit ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Lage des

Arbeitsmarktes und der Abwanderung zum Ausdruck gebracht wird. Gleichzeitig ist hierin

eine mögliche Erklärung für die Wanderungsgewinne des Ostens bei den über 50-

Jährigen zu sehen: Bei diesen sogenannten „Altenwanderer(n)“ (ebd.) hat die

Beschäftigungslage keinen – oder nur sehr untergeordneten - Einfluss auf deren

Wanderungsentscheidung (vgl. ebd.).

Unterscheidet man bei der Arbeitslosenquote in Ost- und Westdeutschland nun

zusätzlich nach dem Geschlecht der Erwerbslosen, so wird ebenfalls ersichtlich, weshalb

so viele junge Frauen die neuen Bundesländer verlassen (vgl. Abb.4).

Abb.4: Arbeitslosenquote in Ost- und Westdeutschland nach Geschlecht

0

2

4

6

8

10

12

14

16

18

20

22

24

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000

in %

Männer OstFrauen OstMänner West Frauen West

Quelle: STATISTISCHES BUNDESAMT (2002), S.99; eigene Darstellung

Während im alten Bundesgebiet nur geringfügige Abweichungen zwischen der

Arbeitslosenquote von Männern und Frauen auftreten, ist dieser Unterschied im Osten

wesentlich ausgeprägter. Zwar hat sich diese Differenz seit 1995 erheblich verringert,

allerdings ist dies vorwiegend auf eine stark angestiegene Arbeitslosigkeit unter den

Männern in Ostdeutschland zurückzuführen. Diese stieg bis 2001 von 10,7% (1995) um

7% auf ihren bisherigen Höchststand, während das Maximum der Frauenarbeitslosigkeit

mit 22,5% bereits 1997 erreicht wurde und seitdem leicht rückläufig ist. Frauen sind also

auf dem, im Vergleich zu Westdeutschland ohnehin sehr viel problematischeren

ostdeutschen Arbeitsmarkt, noch einmal schlechter gestellt als Männer, was die

11

überdurchschnittlichen Abwanderungssalden der weiblichen Bevölkerung aus den neuen

Ländern begründet.

Neben der, durch den alters- und geschlechtsselektiven Charakter der Binnenwanderung

zu erklärenden Überalterung und Schrumpfung der ostdeutschen Bevölkerung, kommt

noch ein dritter Faktor hinzu, der die Lage der neuen Länder zusätzlich verschärft: die

bestehende Abwanderungsbereitschaft höher qualifizierter Menschen. Der Grund hierfür

ist in der stark abweichenden Qualifikationsstruktur der Arbeitslosen in Ost- und

Westdeutschland zu sehen. Während im Jahr 2000 auf dem westdeutschen Arbeitsmarkt

46,3% der als arbeitslos gemeldeten Personen über keine abgeschlossene

Beraufausbildung verfügten, konnten im Osten Deutschlands mehr als drei Viertel der

Arbeitslosen trotz eines erlernten Berufes keinen Arbeitsplatz finden (vgl. STATISTISCHES

BUNDESAMT (2002), S.107). Aus diesem Umstand ergibt sich die erhöhte Abwanderung

qualifizierter Menschen aus den neuen Ländern. Nimmt man nun noch die Disparitäten in

den Verdienstmöglichkeiten zwischen Ost und West hinzu, wird ersichtlich, weshalb die

Bundesländer Ostdeutschlands zunehmend einen Fachkräftemangel zu beklagen haben

(vgl. BÜTTNER).

In diesem Abschnitt wurde dargestellt, welch hoher Stellenwert der Arbeitslosigkeit als

wanderungsauslösendes Motiv beizumessen ist. Es bleibt abzuwarten, wie sich die

kürzlich beschlossene Reform des Arbeitsmarktes im Zuge des sogenannten Hartz IV –

Konzeptes entwickeln wird. Abzusehen ist jedoch, dass die neuen Länder an der

Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe schwerer zu tragen haben

werden, als der Westen. Aufgrund der hohen Arbeitslosenquote im Osten Deutschlands

werden dort anteilsmäßig wesentlich mehr Menschen von den zukünftig geringeren

Unterstützungszahlungen betroffen sein. Für besonders strukturschwache Räume wurde

eine Zusatzförderung in Form von Lohnkostenzuschüssen beschlossen. Ob dies

ausreicht, den absehbaren Kaufkraftverlust auszugleichen, wird sich zeigen müssen.

Diese förderungsberechtigten Regionen definieren sich anhand einer Arbeitslosenquote

von über 15%, was auf die große Mehrheit der ostdeutschen Kreise und kreisfreien

Städte zutrifft. Die weitere Entwicklung dieser strukturschwachen Räume wird ein

Erfolgsmesser für den künftigen Verlauf der Beseitigung bestehender Ost-West-

Disparitäten sein.

4. Wanderungsmuster – der räumliche Ablauf der Binnenwanderung In den vorangegangenen Abschnitten wurde dargelegt, welchen Verlauf die

Binnenwanderung zwischen Ost- und Westdeutschland bisher genommen hat, und

welche Determinanten deren Entwicklung beeinflusst haben. Dabei wurde bisher außer

Acht gelassen, dass sowohl im Westen als auch im Osten, nicht alle Bundesländer in

gleichem Maße von Zu- bzw. Abwanderung betroffen waren und sind. Im Folgenden

sollen daher nun die Quell- und Zielgebiete der Migranten aufgezeigt werden, um somit

zu verdeutlichen, welche Räume von Zuwanderung profitieren konnten, und welche

12

Regionen Bevölkerungsverluste haben hinnehmen müssen. Des Weiteren wird

beleuchtet, wie sich die Siedlungsstruktur innerhalb der neuen und alten Länder durch

sich verändernde Wanderungsmuster entwickelt hat.

4.1 Gewinner und Verlierer der Binnenwanderung im wiedervereinigten Deutschland

Um die Auswirkungen der Binnenwanderung auf die Bevölkerungsentwicklung der

einzelnen Bundesländer analysieren, und damit auch Aussagen über entstandene

Wanderungsmuster treffen zu können, erscheint es sinnvoll, die jeweiligen

Wanderungssalden differenziert nach der Wanderungsrichtung zu betrachten. Hierzu

wurden die von ROLOFF veröffentlichten Daten (vgl. ebd. S.27-183) verwendet und zu der

in Tabelle 2 zu sehenden Übersicht zusammengefasst. Der an die Tabelle anschließende

Text bezieht sich daher vollständig auf diese Datengrundlage.

Tab.2: Binnenwanderungssalden der Bundesländer mit Ost- und Westdeutschland

zwischen 1991 und 1998

mit den alten

Bundesländern*

mit den neuen

Bundesländern* Gesamtsaldo* je 1000 Einwohner

Baden-Württemberg -57.579 +77.066 +19.487 +1,9

Bayern +144.545 +123.060 +267.605 +22,1

Berlin – Ost +14.243 -38.328 -24.085 -18,9

Berlin – West -6.007 -64.344 -70.351 -33,1

Brandenburg -47.616 +36.987 -10.627 -1,5

Bremen -27.234 +7.181 -20.053 -29,8

Hamburg -16.661 +20.027 +3.366 +1,9

Hessen +31.271 +53.172 +84.443 +14,0

Mecklenburg-

Vorpommern -69.245 -1,764 -70.991 -39,5

Niedersachsen -147.055 +58.289 -88.766 -11,3

Nordrhein-Westfahlen +15.726 +84.780 +100.506 +5,6

Rheinland-Pfalz +121.188 +29.583 +150.771 +37,4

Saarland -9.500 +610 -8.890 -8,4

Sachsen -128.483 -2.938 -131.421 -29,3

Sachsen-Anhalt -105.255 -4.296 -109.551 -41,0

Schleswig-Holstein -48.769 +28.901 -19.868 -7,2

Thüringen -81.828 +3.639 -78.189 -31,7

Quelle: ROLOFF, S.27-183; *eigene Berechnungen; eigene Darstellung

Aus den in Tabelle 2 dargestellten Zahlen geht hervor, dass die Bundesländer zwischen

1991 und 1998 in sehr verschiedenem Maße von der Binnenwanderung betroffen waren.

Man kann hierbei vier Arten unterscheiden, wie sich der letztlich ausschlaggebende

Gesamtsaldo zusammensetzt, und die Länder so in vier Gruppen einteilen.

Zur ersten Gruppe zählen diejenigen Länder, die per Saldo sowohl gegenüber den alten,

als auch den neuen Bundesländern Zuwächse zu verzeichnen hatten. Dies waren im

besagten Zeitraum ausschließlich Länder des ehemaligen Bundesgebiets, nämlich

Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfahlen und Rheinland-Pfalz, die somit als die größten

13

Gewinner der Binnenwanderung anzusehen sind. Insbesondere gilt dies für Rheinland-

Pfalz, wie aus der auf je 1000 Einwohner bezogenen, sehr hohen Zuwanderung von 37,4

Bürgern hervorgeht.

Ebenfalls über einen Bevölkerungszuwachs durch innerdeutsche Wanderungen

verfügten Baden-Württemberg und Hamburg. Diese Steigerung kam hier jedoch dadurch

zustande, dass die Zuzüge aus den neuen Bundesländern den Saldo der in andere

westdeutsche Länder Abgewanderten übertraf, und somit den Ländern dieser zweiten

Gruppe einen positiven Gesamtsaldo verschaffte.

Dies gelang den Bundesländern der dritten Gruppe nicht: in Bremen, Niedersachsen,

dem Saarland und Schleswig-Holstein konnten die Verluste an die übrigen

westdeutschen Bundesländer nicht durch die erfolgte Zuwanderung aus Ostdeutschland

ausgeglichen werden. Für Bremen bedeutete dies einen Verlust von 29,8 Bürgern je

1000 Einwohner – hinter West-Berlin der höchste Wert unter den alten Bundesländern.

Ebenfalls einen negativen Gesamtsaldo hatten Brandenburg und Thüringen zu

verzeichnen. Hier überstieg die Zahl der in den Westen Abgewanderten, die der aus den

neuen Ländern zugezogenen Personen. Während Brandenburg jedoch als

Hauptzielgebiet für rein ostdeutsche Wanderungen anzusehen ist – worauf im Weiteren

noch näher eingegangen wird - und daher seine Bevölkerungsverluste an den Westen

etwas kompensieren konnte (-10.627), war die Zahl der nach Thüringen erfolgten Zuzüge

hierfür zu gering: mit 78.189 per Saldo Abgewanderten verlor dieses Bundesland

zwischen 1991 und 1998 statistisch gesehen 31,7 Bürger je 1000 Einwohner.

Auch Ost-Berlin unterlag in diesem Zeitraum räumlichen Bevölkerungsverlusten, was hier

jedoch auf die höhere Abwanderung in andere neue Bundesländer zurückzuführen ist.

Diese übertraf die vorhandene Zuwanderung aus Teilen Westdeutschlands deutlich, so

dass ein Negativsaldo von 24.085 Personen entstand, was einem Minus von 18,9

Bürgern je 1000 Einwohnern entspricht.

Die vierte Gruppe setzt sich letztendlich aus jenen Bundesländern zusammen, die sowohl

mit den ost-, als auch den westdeutschen Ländern Negativsalden aufwiesen. Mit

Ausnahme von West-Berlin waren dies nur neue Bundesländer, nämlich Mecklenburg-

Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt, die so zusammen mit den Ländern der

dritten Gruppe zu den Verlierern der Binnenwanderung zwischen 1991 und 1998 gezählt

werden müssen. Mecklenburg-Vorpommern verlor in diesem Zeitraum 39,5, Sachsen-

Anhalt gar 41 von 1000 Bürgern an ein anderes Bundesland (vgl. Tab.2).

Aus den nun dargelegten Zahlen und Entwicklungen geht hervor, welche Bundesländer

die Quellgebiete der Binnenwanderung zwischen 1991 und 1998 darstellten und welche

zu den Wanderungszielen gehörten. Jedoch verlief die Abwanderung aus einem, bzw.

die Zuwanderung in ein Bundesland natürlich nicht gleichmäßig auf dessen Fläche

verteilt, wie im folgenden Abschnitt näher erläutert wird.

14

4.2 Wanderungsmuster - der räumliche Ablauf der Binnenwanderung

Durch strukturell unterschiedlich verlaufende Bevölkerungsbewegungen haben sich

deutliche Wanderungsmuster herausgebildet. Für den eigentlichen Betrachtungszeitraum

dieser Arbeit, der sich auf die Zeit nach der Wiedervereinigung erstreckt, werden diese in

den Punkten 4.2.2 sowie 4.2.3 genauer beleuchtet.

Jedoch hatte auch der Verlauf der Binnenwanderung in den beiden Staaten des noch

geteilten Deutschlands Einfluss auf diese Entwicklung, weshalb an dieser Stelle auch

darauf kurz eingegangen wird.

4.2.1 Wanderungsmuster im geteilten Deutschland

Vor der Wende bestanden hinsichtlich der Binnenwanderung erhebliche Unterschiede

zwischen dem Gebiet der DDR und dem der ehemaligen Bundesrepublik. Dies bezieht

sich sowohl auf das Volumen der Migration, deren Umfang im sozialistischen Osten

aufgrund staatlicher Einflussnahme auf das Wanderungsgeschehen, nicht das

Westniveau erreichte, als auch auf deren räumliche Struktur (vgl. WENDT, S.529).

Während in den Ländern des alten Bundesgebiets deutliche Suburbanisierungsprozesse

und „phasenweise eine interregionale Deurbanisierung (...) mit Wanderungsgewinnen

von ländlichen Räumen“ (KEMPER, S.10) abliefen, traf auf das Gebiet der ehemaligen

DDR eher das Gegenteil dessen zu: Hier waren es Urbanisierungsprozesse, die

„zunehmend vom Wohnungsneubau, der sich auf die Bezirksstädte, vor allem aber Berlin

mit ihrer Hauptstadtfunktion, konzentrierte“ (WENDT., S.529), ausgelöst worden waren. In

der DDR erfuhren die Kernstädte also, im Gegensatz zu Westdeutschland, erhebliche

Zuwachsraten, während ländliche, peripher gelegene Regionen die höchsten Verluste zu

verzeichnen hatten (vgl. KEMPER, S.10).

4.2.2 Die räumlichen Muster der Binnenmigration nach der Wiedervereinigung

Das im vorangestellten Abschnitt erläuterte, durch Konzentration charakterisierte

Wanderungsmuster der DDR, änderte sich nach der Wiedervereinigung grundlegend.

Zunächst war, wie in dieser Arbeit dargelegt, eine enorme West-Wanderung ostdeutscher

Bürger festzustellen, die alle regional verlaufenden Migrationen überdeckte (vgl. ebd.,

S.13). Nach dieser, bis 1993 andauernden Phase trat ab 1994/95 ein erneuter Wandel

der Wanderungsmuster ein: „Ostdeutschland ist in den 90er Jahren durch eine Welle der

Wohn-Suburbanisierung gekennzeichnet“ (ebd., S.10), die auf einen „Nachholbedarf an

Stadt-Umland-Wanderung“ (BUCHER et al., S.118) zurückzuführen ist. Deutlichstes

Beispiel dieser nachholenden Suburbanisierung ist die Region Berlin-Brandenburg. Der

aus Tabelle 2 zu entnehmende, für ein neues Bundesland mit 10.627 Personen zwischen

1991 und 1998 sehr niedrige Bevölkerungsverlust Brandenburgs, resultiert zu einem

beträchtlichen Teil aus solchen Suburbanisierungsprozessen des Berliner Stadtgebiets.

Aus „Gesamtberlin“ zogen zwischen 1991 und 1998 mehr als 100.000 Bürger in das

brandenburgische Umland, und reduzierten so die ansonsten erheblich höheren Verluste

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dieses Bundeslandes (vgl. ROLOFF, S.139). Während die Umlandregionen also von

solchen Suburbanisierungsprozessen profitieren, ergeben sich daraus gleichzeitig

vielschichtige Probleme für die Quellgebiete der Randwanderung – den Kernstädten: „So

erhält diese Tendenz (...) eine bisher nicht da gewesene Brisanz, die zu Störungen des

traditionellen „Gleichgewichtes“ zwischen Bestand und Nachfrage auf dem

Wohnungsmarkt, Nutzung und Leerstand sowie Funktion, Struktur und Gestalt der Städte

führen muss“ (KEIM, S.15f.). Neben den Kernstädten müssen auch die peripher

gelegenen Regionen Ostdeutschlands zu den Quellgebieten der Binnenwanderer gezählt

werden, da von dort ebenfalls Migrationsströme ausgehen.

4.2.3 Der Wandel der Wanderungsmuster und die räumlichen Auswirkungen

Der beschriebene Wandel im Migrationsgeschehen hatte und hat erhebliche

Auswirkungen auf die Raum- und Siedlungsstruktur der Bundesländer. Da sich jedoch

aus den bisher dargestellten Wanderungssalden der einzelnen Länder keine

Rückschlüsse auf die „interne Struktur“ der Zu- oder Abwanderung ziehen lassen, soll

hier nun stärker räumlich differenziert auf die Auswirkungen der Binnenwanderung

eingegangen werden.

Um die entstandenen Wanderungsmuster darzustellen, hat das BERLIN INSTITUT FÜR

WELTBEVÖLKERUNG UND ENTWICKLUNG die dargelegten Tendenzen für das gesamte

Bundesgebiet ermittelt und, wie in Abbildung 5 zu sehen, veranschaulicht. Hierzu wurden

die einzelnen Landkreise der Bundesländer für den Zeitraum 1997 bis 2001 hinsichtlich

ihrer Binnenwanderungssalden untersucht (vgl. BERLIN INSTITUT FÜR WELTBEVÖLKERUNG

UND ENTWICKLUNG, S.13).

Aus Abbildung 5 wird ersichtlich, dass das zu Beginn der 90er Jahre bestehende

Wanderungsmuster von durchgängigen Verlusten des Ostens, und ebensolchen

Gewinnen des Westens, keine Gültigkeit mehr besitzt. Vielmehr scheint es nun, als seien

es „große regionale Differenzierungen vor allem in den neuen Bundesländern“ (KEMPER,

S.13), die vorherrschend an der Entstehung von Wanderungsmustern beteiligt waren und

sind. Zu diesen regional unterschiedlich verlaufenden Prozessen zählen in erster Linie

die bereits erwähnten Suburbanisierungsprozesse, die Bevölkerungsgewinne für das

Umland zu Lasten der Kernstädte mit sich bringen. Hinzu kommt die voranschreitende

Entleerung peripher gelegener, ländlicher Regionen, deren abwandernde Bevölkerung

ebenfalls hauptsächlich die Umgebung von Agglomerationsräumen zum Ziel hat. So

liegen „die Kreise mit den höchsten Zuwanderungsgewinnen (...) ausnahmslos in den

Speckgürteln der Städte“ (BERLIN INSTITUT FÜR WELTBEVÖLKERUNG UND ENTWICKLUNG,

S.13).

Dass sowohl die Verluste der Kernstädte, als auch die Stadt-Umland-Wanderung im

gesamten Bundesgebiet voranschreiten, belegen die, in Abbildung 5 grün respektive rot

dargestellten - und damit Ab- bzw. Zuwanderung signalisierenden - Stadt- und

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Umlandkreise. Dies trifft sowohl auf den Westen, als auch auf den Osten zu, was an der

vergleichbaren Illustration der Städte Berlin, München, Hamburg und Bremen, sowie

Rostock, Leipzig, Halle und Magdeburg deutlich wird (vgl. Abb.5). In den Großräumen um

diese Städte waren, mit per Saldo zwischen 10 und über 15 Zugewanderten je 1000

Einwohner, die höchsten Zuwachsraten durch Binnenwanderungen zu verzeichnen.

Dem hingegen scheint die erwähnte Entleerung ländlicher Räume ein Problem zu sein,

das wesentlich stärker den Osten Deutschlands betrifft. Während „für die alten Länder

flächenweite Gewinne für Bayern, Baden-Württemberg, und Rheinland-Pfalz, aber auch

für Schleswig-Holstein und Niedersachsen“ (KEMPER, S.13) zu verzeichnen waren, wird in

vielen peripher gelegenen Regionen der neuen Bundesländer ein starker

Bevölkerungsverlust ersichtlich (vgl. Abb.5).

Vergleichbare Negativsalden hatten - neben den Kernstädten - auch diejenigen

westdeutschen Regionen zu verkraften, in denen es durch den Strukturwandel der

Wirtschaft zu enormen Problemen auf dem Arbeitsmarkt gekommen war. Hierzu sind in

erster Linie altindustriell strukturierte Räume wie das Ruhrgebiet, das Saarland oder

Bremerhaven zu zählen (vgl. Abb.5).

Abb.5 Durchschnittliche jährliche Wanderungssaldorate 1997 bis 2001

je 1.000 Einwohner

Quelle: BERLIN INSTITUT FÜR WELTBEVÖLKERUNG UND ENTWICKLUNG, S.13

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Mittlerweile hat sich der Trend der Suburbanisierung wieder abgeschwächt. Der

diesbezügliche Nachholbedarf scheint nunmehr weitgehend gedeckt zu sein, nachdem

die Stadt-Umland-Wanderung und damit der Landschaftsverbrauch, vor allem zur Mitte

und gegen Ende der 1990er Jahre in Ostdeutschland ein enormes Ausmaß erreicht

hatte. So wird für die Kernstädte erwartet, dass sie nicht mehr in solch hohem Maße von

der Abwanderung betroffen sein werden, und so ihre Verluste - im Gegensatz zu den

ländlichen Regionen der neuen Länder – werden verringern können (vgl. KEMPER, S.14).

Somit ist zu erwarten, dass es, bei einem Fortbestehen der momentanen Entwicklung,

durch die Entleerung peripherer Gebiete zu Konzentrationen auf bestehende

Agglomerationsräume kommen wird.

5. Fazit In dieser Arbeit wurde dargelegt, dass durch die Wiedervereinigung von 1990, die beiden

ehemals geteilten Staaten - die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche

Demokratische Republik – zwar formal wieder als Einheit anzusehen sind, es jedoch

noch viele Disparitäten zwischen Ost- und Westdeutschland zu beseitigen gilt.

Es wurde zum einen gezeigt, welches die Faktoren waren und sind, die die zeitweise

enorme, und mittlerweile - nach einer Phase der Annäherung - auch wieder zunehmende

Abwanderung aus den neuen Bundesländern, ausgelöst haben. Zum anderen wurde

verdeutlicht, inwieweit der alters-, geschlechts- und qualifikationsselektive Charakter

dieser Abwanderung, die sich daraus ergebenden Probleme noch weiter verstärkt.

Abschließend wurde auf die räumlichen Auswirkungen der Binnenwanderung zwischen

Ost- und Westdeutschland seit der Wiedervereinigung eingegangen. Hiermit wurde

gezeigt, dass die Binnenmigration unterschiedliche Intensitäten aufwies, und damit auch

ungleiche Auswirkungen auf die Bundesländer, Landkreise und Städte der

Bundesrepublik hatte und weiterhin haben wird. Dies betrifft vor allem den

demografischen Wandel und dessen zukünftige Entwicklung. Um hierfür einen

Zukunftsausblick geben zu können, bedarf es jedoch der Betrachtung und Analyse

weiterer demografischer Faktoren. Dies wären das Fertilitätsniveau und die Sterblichkeit,

sowie die Außenwanderung als zweite Komponente der räumlichen

Bevölkerungsbewegung, was jedoch nicht Thema dieser Ausführungen sein soll.

Dessen ungeachtet ist der, in dieser Arbeit behandelten Binnenwanderung „eine

determinierende Bedeutung“ (ROLOFF, S.185) in Bezug auf den demografischen Wandel

beizumessen. Um also die beschriebenen Negativfolgen der selektiven Abwanderung

aus Ostdeutschland – die beschleunigte Schrumpfung und Überalterung der Bevölkerung

der neuen Länder - mindern zu können, bedarf es letztendlich einer wirklichen

Angleichung der Lebensbedingungen in Ost und West. Nur so kann ein weiteres

„ausbluten“ der betroffenen Regionen vermieden werden. Dabei muss es künftig darauf

ankommen, ein - wie GEIßLER (S.92) es formuliert hat - „goldenes Tempo zu finden, das

weder die Geduld der Ostdeutschen noch die Solidaritätsbereitschaft der Westdeutschen

überfordert.“

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der ostdeutschen Städte. In: Regenerierung schrumpfender Städte – zur Umbaudebatte in Ostdeutschland. S.9-41.

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