Biodiversität in der Siedlung und am Siedlungsrand

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1 Landschaftsentwicklungskonzept LEK Rheintal Biodiversität in der Siedlung und am Siedlungsrand Vernehmlassung

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Landschaftsentwicklungskonzept LEK Rheintal

Biodiversität in der Siedlung und am Siedlungsrand

Vernehmlassung

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Impressum Landschaftsentwicklungskonzept LEK Rheintal ‚Biodiversität in der Siedlung und am Siedlungsrand‘ HSR Hochschule für Technik Rapperswil Auftraggeber Verein St. Galler Rheintal Auftragnehmer Institut für Landschaft und Freiraum ILF, Hochschule für Technik Rapperswil Prof. Thomas Oesch, Dipl. Kulturingenieur ETH, Professur für Landschaftsgestaltung Stefan Böhi, Landschaftsarchitekt FH, Projektmitarbeit Bearbeitung und Layout Thomas Oesch, Stefan Böhi, Michael Fuchs Titelbild Ruderalfläche vor der Firma Microsynth, Balgach Bezugsquelle ILF – Institut für Landschaft und Freiraum Oberseestrasse 10 CH-8640 Rapperswil www.ilf.hsr.ch, [email protected] Tel. +41 (0)55 222 45 54 Rapperswil, 2015 © ILF Institut für Landschaft und Freiraum Ein Institut der Hochschule für Technik Rapperswil

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Einleitende Bemerkungen:

An wen richtet sich dieser Bericht?

Der vorliegende Bericht richtet sich an die Entscheidungsträger der Gemeinden im St.Galler Rheintal. Er richtet sich auch an die zuständigen Personen für die Pflege der öffentlichen Grünflächen, an inte-ressierte Grundeigentümer und Vereinigungen, an die ‚Kümmerer‘ für mehr Biodiversität in den Ge-meinden.

Wieso wurde der Bericht erstellt?

Im Rahmen der Erarbeitung des Agglomerationsprogramms Rheintal wurden 2011 diverse Themen aus dem Bereich Verkehr, Siedlung und Landschaft vertieft untersucht. Im Bereich Siedlung und Landschaft hat die entsprechende regionale Fachgruppe entschieden, einen Fokus auf die Siedlungs-randgestaltung und die Biodiversität in der Siedlung zu setzen. Begründet wurde dies mit dem erhöh-ten Druck auf den Siedlungsrand und Freiräume innerhalb der Siedlungsgrenzen, welcher durch Ef-fekte der gewünschten inneren Verdichtung entstehen. Zudem ist das Thema „Natur in der Siedlung“ ein Entwicklungsbaustein des 2003 von der Region erarbeiteten Landschaftsentwicklungskonzepts. Entwicklungsbausteine sind Projektvorschläge, welche eine Umsetzung des Konzepts einleiten soll-ten, bisher aber noch nicht angegangen wurden.

Wie wurde der Bericht erstellt?

Der Bericht wurde in mehreren Etappen vom Institut für Landschaft und Freiraum erstellt. In einem ersten Schritt wurde das generelle Potenzial für Handlungsoptionen im Siedlungsrandbereich inner-halb und ausserhalb der Bauzonen untersucht und auf einem Plan dargestellt. Im Verlaufe der nach-folgenden drei Jahre wurden schrittweise mehrere Fokusbereiche untersucht. Die Untersuchung be-inhaltete ein Analyse des jetzigen Zustandes, sowie Konzeptideen und Hinweise zur Umsetzung einer Siedlungsrandgestaltung und Ansätze für mehr Biodiversität in der Siedlung. Dabei lag der Schwer-punkt innerhalb der Siedlung auf den öffentlichen Freiflächen und dem Umschwung der Grundstücke der Gemeinde, der Schule, des Kantons etc.

Weil die Erlebbarkeit der Biodiversität direkt mit einem attraktiven Wegnetz gekoppelt ist, ist das re-gional bedeutsame Fusswegnetz in die Konzepte integriert worden. Als verbindender Regionalweg hat sich dabei der Rheintaler Höhenweg aufgedrängt. Die Fokusgebiete erscheinen dann wie Perlen an diesen Faden angereiht.

Die Berichte und Planskizzen der total sechs Fokusgebiete wurden nicht in einem umfassenden parti-zipativen Prozess erarbeitet, sondern mit einem kleinen Kreis (Behördenmitglieder, Ortsplaner, Mit-glieder der regionalen Fachgruppe Siedlung und Landschaft) ausgetauscht und schrittweise bereinigt.

Der begleitender Bericht enthält einen kurzen, theoretischer Überblick zum Thema Biodiversität und greift die Ziele des LEK auf.

Was soll der Bericht bewirken?

Mit der Darstellung konkreter Konzeptideen, stellt die Region den Gemeinden eine Plattform für zu-künftige Aktionen und Aufwertungsprojekte zur Verfügung.

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Das Aufzeigen der Hintergründe und der laufenden Prozesse in der Natur soll die Region aufmuntern, aktiver zu werden, mehr zu tun für mehr Vielfalt.

Insgesamt soll der Anteil der naturnahen Flächen im Siedlungsgebiet erhöht werden und ein aktiver Beitrag zur besseren Gestaltung der Siedlung (öffentliche Plätze, Strassengestaltung, Gestaltung in der Umgebung von Gewerbe- und Industriebetriebe) und der Siedlungsränder geleistet werden.

Die Freude an gemeinsamen Aktionen und Massnahmen soll gefördert werden.

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Zusammenfassung: • Biodiversität in der Siedlung hat im Rheintal einen schweren Stand: Die meisten wohnen zwar

noch in Einfamilienhäusern mit recht viel Umschwung, viel haben aber weder Zeit noch Lust, die Grünflächen zu pflegen. Der Trend zu Steingarten und zu fremdländischem Immergrün ist unge-brochen. Der Rollrasen, die Thujahecke und der Rasenroboter sind ungebremst im Vormarsch. Die Natur vor der Haustür droht vielerorts zu verarmen.

• Die neue Dichte, die Forderung der Raumplanung nach innerer Verdichtung, führt zwangsläufig zu einer Ausräumung der bestehenden Grünstrukturen. Ein Teil davon kann und soll am Sied-lungsrand ersetzt und neu gestaltet werden. Nicht minder wichtig ist die Aufwertung des verblei-benden, öffentlichen Grüns im verdichteten Baugebiet. Die Gemeinden können und sollen eine Vorbildfunktion übernehmen. Der Ruf nach hochwertigen Freiräumen in den Städten wird immer lauter, er kommt nun auch in der Agglomeration und in den rasch wachsenden Gemeinden an.

• Die Anforderung an die Qualität und Vielfalt der Umgebungsgestaltung bei Neuüberbauungen muss erhöht werden. ‚Wenn die Planung der Grünräume erst beginnt, wenn die Gebäude schon stehen, dann ist es häufig nur eine ‚Restflächenplanung‘ mit dem ‚Restbudget‘. Vielleicht braucht es mittelfristig doch eine generelle Anpassungen der Bauvorschriften und erhöhte Anforderung an Gestaltungs- und Überbauungspläne im Umgebungsbereich.

• Die zuständigen Personen für die Pflege der öffentlichen Grünflächen, auch der Schulanlagen, sollen über spezifisches Fachwissen verfügen. Freude und Engagement kommen aber erst, wenn die Arbeit von der Bevölkerung geschätzt wird. Auch die politischen Vorgesetzten, die zuständi-gen Gemeinde- und Schulräte, müssen die Zusammenhänge kennen und ihre Werkdienste aktiv fördern, fordern und unterstützen.

• Die ökologischen Vorteile alleine reichen nicht aus für eine verstärkte Förderung der Qualität. Es müssen auch die ökonomischen Fakten vorgelegt werden. Viele Gemeinden in andern Regionen machen positive Erfahrungen: vielfältiger kann durchaus auch günstiger sein. Dazu werden kon-krete Beispiele zitiert.

• Und nicht zuletzt: Eine vielfältige Umgebung, farbige Freiräume wird zum Standortvorteil, gehört

zum Standortmarketing: die grossen Städte machen es vor, die Gemeinden sind angehalten, nachzuziehen und für mehr ‚urbane‘ Qualität zu sorgen.

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Inhalt Zusammenfassung: .................................................................................................................................. 5

1. Anlass und Herausforderung ........................................................................................................... 8

2. Was ist Biodiversität? .................................................................................................................... 10

3. Das Biodiversitätsprogramm des Bundes ...................................................................................... 12

4. Die Biodiversitätsziele für das Rheintal ......................................................................................... 12

Ziel A – Vielfältige Lebensräume erhalten, schaffen und vernetzen ............................................. 12

Ziel B - invasive Arten eindämmen ................................................................................................ 13

Ziel C – Fördern und erhalten der genetischen Vielfalt................................................................. 13

Ziel D – Öffentlichkeitsarbeit und Sensibilisierung........................................................................ 14

5. Grundsätze der Pflege im öffentlichen Raum ............................................................................... 15

6. Siedlungsrand und Naherholung ................................................................................................... 17

7. Synergien mit der Landwirtschaft ................................................................................................ 17

8. Fazit ............................................................................................................................................... 19

Anhang 1:............................................................................................................................................... 21

A) Theorie der konkreten Biodiversitätsförderung: .......................................................................... 21

Lebensräume in der Siedlung ........................................................................................................ 21

B) Regionaltypische Kulturpflanzen .................................................................................................. 22

C) Tabelle möglicher Handlungfelder ................................................................................................ 24

D) Planungsinstrumente .................................................................................................................... 25

F) Weniger Kosten – mehr Biodiversität? ......................................................................................... 25

GreenCycle – der grüne Lebenszyklus ........................................................................................... 25

Befragungen von Fachleuten zum Thema Kosten ......................................................................... 26

Anhang 2: Fokusgebiete ........................................................................................................................ 28

Anhang 3: Übersichtsplan ..................................................................................................................... 28

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Alte Trockenmauer als Beispiel für Biodiversität im kleinen: Hirschzunge und Streifenfarn (Foto St. Ineichen)

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1. Anlass und Herausforderung

Nachfolgend zeigen vier exemplarische Bilder, welche Prozesse in den Gemeinden momentan ablau-fen:

Grünflächen in der Siedlung, hier ein Bommet mit alten Obstbäumen, werden überbaut.

Die Vorplätze werden grosszügig asphaltiert, die verblei-benden Rabatten mit Schotter belegt.

Lebhäge müssen neuen Zaunsystemen weichen, als Sicht- und Lärmschutz

Moderne, ‚pflegeleichte‘ Gärten weisen kaum mehr ein-heimische Pflanzen auf.

Solche Bilder sind im Rheintal verbreitet anzutreffen. Die Trends zu öden Anlagen, möglichst immer-grün oder als Steinbeet ausgestaltet, sind nicht zu übersehen. Die Gärten sind nur noch Restflächen, die durch die Abstandsvorschriften und die Ausnützungsziffern bestimmt sind.

Wo bleibt die Vielfalt, wo bleibt die Qualität der Freiräume im Rheintal?Verschwinden Insekten und Kleinsäuger ganz aus unseren Dörfern? Sind farbige Schmetterlinge bald nur noch in den Ferien, in den Alpen oder im Naturpark anzutreffen?

Eine Lehrerin in Berneck hat im Sommer 2014 die Schüler aufgefor-dert, Schmetterlingsraupen ins Schulzimmer zu bringen. Das Resultat war ernüchternd: einzig eine Schülerin brachte eine Raupe, einen Buchsbaumzünsler.

Diese Nachtfalter bedrohen die letzten, einheimischen, immergrünen Heckenpflanzen, welche ehemals die Bauerngärten zierten.

Abb.: Buchsbaumzünsler.

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Knapp drei Viertel der Menschen in der Schweiz leben heute im urbanen Raum. Auch im Rheintal nimmt die Dichte der Siedlungen rasch zu. Die Zuwanderung hält an, die Bautätigkeit ist rege.

Mit dem neuen Raumplanungsgesetz werden die Gemeinden zur inneren Verdichtung verpflichtet, um dem Verlust der Landschaft zu begegnen. Eine grosse Mehrheit der Stimmbürger unterstützt die-sen Strategiewechsel. Neue Ausscheidungen von Bauzonen werden vom Kanton kaum bewilligt, oder dann nur mit einer Kompensation, mit Auszonungen andernorts.

Dank der inneren Dichte kann also die freie Landschaft geschont werden, aber die grünen Freiflächen in der Siedlung gehen radikal verloren. Der quantitative Verlust innerhalb der Siedlung kann nicht er-setzt werden, aber zumindest die ökologische Qualität und Vielfalt der Restfläche ist zu erhöhen.

Um dies zu erreichen, hat die öffentliche Hand auf ihren Freiflächen als Vorbild zu wirken. Eine Trendwende ist nur möglich, wenn die Bevölkerung durch gute Beispiele lernt.

Seit der Markteinführung 1995 steigen die Verkaufszahlen von selbstfahrenden automatischen Ra-senmäher kontinuierlich. 2007 wurden weltweit rund 27.000 Mähroboter verkauft. Fünf Jahre später gingen bereits 105.000 Geräte über den Ladentisch.

Den Gräsern werden nahezu täglich die Spitzen gekappt. Krautige Blütenpflanzen haben keine Chance…

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2. Was ist Biodiversität?

Abbildung 1: Das Schema der drei Ebenen der Biodiversität ist mit dem Nachhaltigkeitsdreieck verkoppelt

Der Ruf nach mehr Natur in der Siedlung ist nicht neu. Neu ist aber das Tempo der Verluste. Die Schweiz als kleines Land macht zwar vergleichsweise viel für den Natur- und Landschaftsschutz, doch der Rückgang ist auch hier keinesfalls aufgehalten. Ein Drittel aller bekannten Tier- und Pflanzenarten ist auf der Roten Liste, d.h. sie sind gefährdet oder gar vom Aussterben bedroht.

„Die Biodiversität ist eine unerlässliche Grundlage für das Leben auf dieser Erde. Die Vielfalt an Öko-systemen, Arten und Genen sorgt unter anderem für sauberes Wasser und reine Luft. Zudem ver-sorgt uns die Biodiversität mit natürlichen Ressourcen. Eine Verschlechterung des Zustands der Bio-diversität führt zu einer Gefährdung dieser Leistungen. Aktuelle Erkenntnisse zeigen auf, dass die heute vom Menschen verursachte Aussterberate die natürliche Rate um das Hundert- bis Tausendfa-che übertrifft. So ist etwa 75% der genetischen Vielfalt der Kulturpflanzen seit Beginn des 20. Jahr-hunderts verloren gegangen.“ (BAFU, 2012)

Was ist nötig um den Rückgang der Vielfalt zu stoppen? Das ‚nationale Forum Biodiversität‘ hat in ei-ner Studie angegeben, wieviel Fläche theoretisch nötig wäre, um den Verlust aufzuhalten:

„Gefordert ist in der Bauzone ein Anteil von 18 Prozent an Grünflächen. Pro Hektare Bauzone sind etwa 13 Einzelbäume oder andere Gehölzstrukturen, viele kleine Ruderalflächen, unversiegelte Rabat-ten und wenig gepflegte Grünflächen gewünscht.“ (Guntern et al., 2013, gekürzt)

Dabei geht es nicht nur um Vielfalt. Diese Freiflächen tragen auch bei zu einem angenehmen Sied-lungsklima. Die dichte, grüne Vegetation (insbesondere Bäume) dämpft die lokale Erwärmung ent-lang den schwarzen Belagsflächen und Fassaden. Die Verdunstung der Pflanzen wirkt kühlend. Die meisten Erholungsräume sind im Hochsommer nur dank hoher Schattenbäume wertvoll für die Be-völkerung.

In einer Umfrage zur bevorzugten Umgebung haben 60 Prozent einen naturnahe Parklandschaft mit vielen Bäumen und farbigen Wiesen gewählt:

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In einer Umfrage zur Wohnungswahl haben 60 Prozent das obige Zielbild, mit einer naturnahen Umgebungsgestaltung bevorzugt. Es entspricht in hohem Mass den Zielen der Förderung von Biodiversität.

Solche Vielfalt und Farbpracht sollen auch unsere Kinder noch sehen…

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3. Das Biodiversitätsprogramm des Bundes

2012 hat der Bundesrat die Strategie Biodiversität Schweiz (SBS) mit zehn konkreten Zielen verab-schiedet. Eines der zehn Ziele (Ziel 8) ist die Förderung der Biodiversität im Siedlungsraum:

4. Die Biodiversitätsziele für das Rheintal

Auf die regionale und kommunale Stufe heruntergebrochen, können folgende Ziele für das Rheintal gelten. Sie lassen sich auch von den Entwicklungsvorstellungen aus dem LEK und der Teilstrategie Siedlung und Landschaft des Agglomerationsprogramms ableiten.

Ziel A – Vielfältige Lebensräume erhalten, schaffen und vernetzen

Mittels Konzepten und Schulungen auf Gemeindeebene werden gezielt Lebensräume im öffentlichen Raum entwickelt und aufgewertet. Diese werden als Korridore oder Trittsteine untereinander und an die Lebensräume ausserhalb der Siedlung angebunden. Die Lebensräume sind immer unter Berück-sichtigung der Nutzung durch den Menschen zu entwickeln.

Ein wichtiges Mittel zur Steigerung der Wertschätzung durch die Bürger: Erschliessung der Lebens-räume durch Fusswege, Anlage von neuen, farbigen Flächen entlang den bestehenden Langsamver-kehrsrouten > siehe Beispiele dazu in den Fokusgebieten (Anhang 2).

Vorrangig bleibt aber, die vorhandenen, ökologischen Wert wo immer möglich zu erhalten und wei-ter zu entwickeln.

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Am Blosenberg zwischen Marbach und Lüchingen ist noch viel wertvolle Qualität vorhanden, die es zu erhalten und zu fördern gilt (> Fokusgebiet Blosenberg)

Ziel B - invasive Arten eindämmen

Auch im Rheintal verwildern etwa 40 Neophyten – fremdländische, invasive Pflanzen - so stark, dass sie Schäden verursachen und einheimische Arten verdrängen. Drei Viertel dieser Arten wurden ur-sprünglich als Zier- oder Nutzpflanzen eingeführt. Ökologisch verständlich ist, dass es meist rasch wüchsige, relativ anspruchslose und deshalb recht beliebte (und preisgünstige) Arten sind, z.B. Robi-nie, Kirschlorbeer und Sommerflieder. Viele dieser Arten sind auch heute noch im Fachhandel erhält-lich und werden angepflanzt. Die Freisetzungsverordnung des Bundes setzt hier Grenzen, wird aber noch nicht konsequent angewendet.

Der Verein St. Galler Rheintal ist aktiv in der Förderung der Bekämpfung von Neophyten in der Re-gion, hat im Jahr 2011 einen Leitfaden1 herausgegeben. Die Anstrengungen sind fortzuführen, auch allgemein auf ‚Gartenflüchtlinge‘ auszudehnen, welche etwa unsere Waldränder immer mehr prä-gen.

Ziel C – Fördern und erhalten der genetischen Vielfalt

Die genetische Vielfalt an speziellen Rheintaler Kultursorten von Obst-, Gemüsesorten oder Kultur-rassen von Tieren wird gefördert, um diese Werte für spätere Generationen zu erhalten.

Erreichbar ist dieses Ziel, indem das Thema öffentlich aufgegriffen und lokales Wissen gesammelt und weiterverbreitet wird. Neben dem Erhalt des Wissens sollen lokale Sorten und Rassen aktiv ge-pflanzt und gehalten werden.

Alte Kultursorten und -rassen sind heute zum Teil noch bekannt, zumindest die ältere Generation kennt sie noch. Oft sind damit positive Emotionen und Erinnerungen verbunden. > Siehe entspre-chendes Aktionen im Anhang.

1 Verein St. Galler Rheintal (Hrsg.): Neophytenbekämpfung im St. Galler Rheintal. 2011

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Ziel D – Öffentlichkeitsarbeit und Sensibilisierung

Die Bevölkerung, die zuständigen Behörden und Fachleute werden gezielt informiert und sensibili-siert. Der „Mut zu mehr Vielfalt“ im öffentlichen Raum soll damit gestärkt werden. Die öffentliche Hand übernimmt vermehrt Vorbildfunktion.

Für Abwarte und für das Werkdienstpersonal werden regelmässig Ausbildungstage organisiert, an denen auch der Austausch von Erfahrungen und Meinungen genügend Raum hat.

Fallweise sind auch die Gärtner miteinzubeziehen, und vor allem die Entscheidungsträger, die zustän-digen Gemeinde- und Schulräte.

Mit Unterstützung von Fachleuten, von Umweltorganisationen und Naturschutzvereinen werden re-gelmässig Öffentlichkeitsanlässen für alle Bürger, zusammen mit den Lehrpersonen für Kindern und Jugendlichen gemacht. Dabei geht es vor allem um Aktionen im Freien, um Exkursionen, um das di-rekte Naturerlebnis.

Regionaler Workshop Biodiversität, Herbst 2014

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5. Grundsätze der Pflege im öffentlichen Raum

Die wichtigsten Grundsätze für die Pflege von Grünflächen auf öffentlichen Grundstücken sind:

• Die Pflege so wenig wie möglich, aber so intensiv wie nötig organisieren („weniger ist oft mehr“). • Einheimische Pflanzen und regionales Saatgut verwenden. • Mehr Strukturvielfalt zulassen und aktiv einplanen (Asthaufen, Laubhaufen, Steinhaufen etc.) • Schonende Mähverfahren mit Balkenmäher anwenden (Verzicht auf Trimmer und Mulchgerät) • (Möglichst) kein Dünger und keine Pflanzenschutzmittel verwenden (Ausnahme: Sportrasen).

Je nach Funktion einer Fläche oder aus gestalterischen Gründen kann da und dort eine intensive Pflege absolut angebracht sein, zum Beispiel bei einer Gartenanlage mit kulturhistorischem Wert o-der für eine Liegewiese einer Badi.

Die obenstehende Abbildung zeigt den direkten Zusammenhang der Häufigkeit der Nutzung einer Wiese auf die An-zahl Pflanzenarten pro Are (Hutter et. al, 1993)

Ideale Anzahl Schnitte von Wiesentypen pro Jahr:

• Ried- und Feuchtwiesen : 1x • Krautsäume: 1 bis 2x, allenfalls nur alternierend alle 2 Jahre • Extensive Wiesen (Magerwiesen): 1 bis 2x • Blumenrasen: 3 – 6x (je nach Nutzung)

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Das Unterhaltspersonal muss frühzeitig in die Pflegeplanung einbezogen werden. Es soll mit eigener Initiative, Begeisterung und Motivation mitwirken. Oft müssen nämlich die Unterhaltsdienste die ‚Suppe auslöffeln‘, die ihnen durch eine praxisferne Planung einbrockt wird. Bereits bei der Anlage einer Grünfläche muss man die Konsequenzen für die zukünftige Pflege bedenken.

Voraussetzung für das Gelingen:

• Das Unterhaltspersonal ist fachlich in der Lage, eine differenzierte, naturnahe Pflege anzu-wenden, und es ist gewillt, sich die laufend weiterzubilden und sich die notwendigen Kennt-nisse anzueignen.

In vielen Gemeinden haben sich diesbezügliche Regelungen im Baureglement bewährt, zum Beispiel steht im Bau- und Zonenreglement der Gemeinde Adligenswil LU:

„..Freiflächen (Böschungen, Verkehrsinseln, Strassenränder, Restflächen) im Siedlungsgebiet sind als naturnahe Lebensräume auszugestalten.“„...Bei der Bepflanzung von Anlagen, namentlich von Lager-, Abstell-, Park- und Freiflächen so- wie bei der Begrünung von Bauten, wie Flachdächern, Stützmau-ern und Stützkonstruktionen, sind vorwiegend einheimische Bäume und Sträucher zu verwenden. Der Gemeinderat ist befugt, spezielle Vorschriften zu erlassen.“

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6. Siedlungsrand und Naherholung

Im Projektbeschrieb „Landschaft für eine Stunde“ des Agglomerationsprogrammes St. Gallen/ Arbon-Rorschach ist die Bedeutung der Siedlungsränder treffend umschrieben:

„Bei der Wohnstandortwahl liegen Nähe, Erreichbarkeit und Zugänglichkeit von Grün- und Freiräu-men weit oben auf der Wunschliste. Mit der zunehmenden baulichen Verdichtung und den wachsen-den Freizeitbedürfnissen wird ihre Bedeutung noch steigen. Ein bedeutendes Potenzial für gut erreich-bare und adäquat erschlossene Nah- und Nächsterholungsgebiete stellen die Siedlungsränder bezie-hungsweise die Übergangsräume zwischen Siedlung und offener Landschaft dar.

Oft sind diese Räume das Ergebnis einer zufällig gewachsenen Siedlungsstruktur und parallel verlau-fender Planungen. Sehr viele Akteure beeinflussen diesen Grenzraum: die öffentliche Hand mit den planerischen Festlegungen, Bewirtschafter der landwirtschaftlichen Gebiete, sei als Pächter oder Ei-gentümer, Bauherren und angrenzende Bewohner. Aus diesem Grund gestaltet sich das Einwirken auf die Übergangsräume zwischen Siedlung und offener Landschaft als komplexe Aufgabe, welche nach innovativen Vorgehensweisen verlangt.

Ein bewusster Umgang sowie die Gestaltung dieser Zwischenräume bieten grosse Potentiale für die in der Agglomeration lebende und arbeitende Bevölkerung. Die gezielte Entwicklung von öffentlich nutz-baren, attraktiven Landschafts- und Freiräumen in unmittelbarer Wohnungsnähe kann das Naherho-lungsangebot wesentlich erweitern.“2

Die Ansätze in den Fokusgebieten Kloteren (Au-Heerbrugg-Berneck) und Blosenberg (Marbach-Lü-chingen) sind spezifisch auf die Aufwertung am Siedlungsrand ausgerichtet (siehe Anhang 2).

Auch in den weiteren Fokusgebieten wird das Thema Naherholung mit dem Thema Biodiversität ge-koppelt. Die Vielfalt in den Freiräumen in der Siedlung und am Siedlungsrand kann nur auf attrakti-ven Wegen durch die Bevölkerung wahrgenommen werden.

Besonders wird dabei die Anbindung der Frei- und Grünflächen an den regional bedeutsamen Rhein-taler Höhenweg betrachtet (> siehe Übersichtsplan im Anhang 3).

7. Synergien mit der Landwirtschaft

Jeder Landwirtschaftsbetrieb hat 7 Prozent der Nutzfläche als ökologischen Ausgleich auszuweisen. Als Ersatz für die gestrichenen Tierhalterbeiträge kann er neu auch Beiträge zur Vernetzung, Biodiver-sität und Landschaftsqualität (LQB) beziehen.

Dabei geht es um: Mosaik, Struktur, Farbakzente, um die Gliederung der Landschaft durch Struktur- und Einzelelemente wie Geländeformen, Gewässernetz, Hecken, Zäune etc. Auch Massnahmen am Siedlungsrand werden unterstützt, so wie etwa Pflanzung und Pflege von Bäumen und Hecken, Blüh-streifen entlang von Fussgängerwegen, Erhaltung und Pflege von Obstgärten.

2 Region Appenzell AR - St. Gallen – Bodensee (Hrsg.): Landschaft für eine Stunde. 2014

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Landwirte, welche definierte Einstiegskriterien erfüllen, können nun beim Kanton konkrete Massnah-men anmelden und entsprechende Beiträge beziehen.

Die Ziele und Massnahmen des Landschaftsqualitätskonzeptes Rheintal werden idealerweise abge-stimmt auf die Massnahmen in der Siedlung und am Siedlungsrand. Die Schnittstelle liegt wie gesagt beim Siedlungsrand. Es ist zu erwarten, dass etliche hier vorgeschlagene Massnahmen in den Fokus-gebieten im Landschaftsqualitätskonzept als fördergeldberechtig anerkannt werden. Damit ergibt sich die Möglichkeit, die Erstellungs- und Unterhaltskosten teilweise mit den Fördergeldern zu finan-zieren, wenn die Bauern als alleinige Subventionsempfänger mitmachen.

Die neue Landwirtschaft basiert auf vielen Säulen: neu ist in der Mitte auch die Biodiversität prominent vertreten.

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8. Fazit

Die Biodiversität ist in der Schweiz akut gefährdet. Durch die verstärkte Landnutzung und zuneh-mende Zerschneidung von Flächen für Siedlungen und Strassen gehen wertvolle Lebensräume für Pflanzen und Tiere verloren. Der Verlust an Biodiversität schreitet schleichend aber kontinuierlich vo-ran. Von den 46‘000 einheimischen Tier-, Pflanzen- und Pilzarten in der Schweiz sind rund ein Drittel bedroht. Jeden Tag wird in der Schweiz eine Fläche von 10 Fussballfeldern für den Bau von Häusern und Strassen zusätzlich versiegelt.

Fast drei Viertel der Schweizer Bevölkerung lebt in Städten und Agglomerationen. Auch das Rheintal entwickelt sich immer mehr zu einer urbanen Bandsiedlung. Deren Lebensqualität und Attraktivität ist unter anderem durch hochwertige Grün- und Freiflächen bestimmt. Der Nutzen einer hohen öko-logischer Qualität ist vielfältig: Naturerfahrung und Erholung wird im direkten Wohnumfeld ermög-licht, das Mikroklima verbessert sich, Lärm wird gedämpft, Niederschläge versickern und Abflussspit-zen werden gebrochen. Insgesamt steigt die Standortattraktivität generell.

Gemäss angekündigtem Bundesprogramm, das demnächst lanciert werden soll (?), wird die Biodiver-sität im Siedlungsraum bis 2020 mit Beiträgen aktiv gefördert.

Vom Aktionsplan ‚Biodiversität Schweiz‘ werden für das Rheintal folgende Ziele übernommen und spezifisch angepasst:

Ziel A – Vielfältige Lebensräume auf öffentlichem Grund erhalten, schaffen und vernetzen

Ziel B - invasive Arten eindämmen, auch durch konsequente Umsetzung der Freisetzungsverordnung

Ziel C – Fördern und erhalten der genetischen Vielfalt, von alten Rheintaler Kultursorten

Ziel D – regelmässige Öffentlichkeitsarbeit und Sensibilisierung: das Konzept ‚grünes Band‘ zeigt da-bei die Richtung auf.

Das grüne Band: Biodiversität in der Siedlung und am Siedlungsrand, ein Pro-jekt der Region St. Galler Rheintal

Zusammengefasst heisst Biodiversität fördern:

• Mehr Verbindlichkeit und Qualität in der Planung einfordern und ausgewiesene Spezialisten bei-ziehen

• Mehr Qualität in der Ausführung: nur Unternehmer (Gärtner) mit entsprechendem Knowhow und Referenzen beauftragen

• Generell extensivere Pflege (weniger Düngung), generell weniger Perfektionismus (weniger Auf-räumen, mehr Nischen zulassen).

• Geringerer Einsatz von Energie, von Maschinen mit geringerem CO2-Ausstoss: Das Rheintal als Energiestadtregion mindert den Verbrauch an ‚grauer Energie‘ , in dem vermehrt Materialien wie Holz und Stein statt Beton und Glas eingesetzt werden. Die Förderung der Biodiversität leistet so auch einen Beitrag zum Klimaschutz.

Rapperswil, August 2015, TO

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Rabatte beim Bahnhof St.Margrethen als positives Beispiel für Biodiversität mit einheimischen Pflanzen im kleinen.

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Anhang 1:

A) Theorie der konkreten Biodiversitätsförderung:

Die häufigste Methode, die Biodiversität zu fördern, ist die gezielte Förderung eines Lebensraumes ohne den Bezug zu einer spezifischen Art. Der zu fördernde Lebensraum sollte in der Region bereits vorhanden, standorttypisch und innert nützlicher Frist nach einem Zielbild entwickelbar sein.

Lebensräume in der Siedlung

Die entsprechend vorkommenden Lebensräume können wissenschaftlich in 9 Kategorien eingeteilt werden, davon sind zwei Drittel als Lebensräume im Siedlungsraum möglich.

Nachfolgend wird die genaue Bezeichnung und Bedeutung der einzelnen Lebensräume aufgezeigt.

Nummer Wissenschaftliche Bezeichnung

Umgangssprachliche Beschreibung Bedeutung als Lebensraum

2 Ufer- und Feuchtgebiete

2.1.2.1 Stillwasser-Röhricht Schilfgürtel an Stillge-wässern

Wertvoller Lebensraum für Vögel und Insekten und Fische als Deckungs- und Laichplatz in Stillgewässern.

2.1.2.2 Flussufer- und Landröhricht

Schilfgürtel an Fluss und Land

Wertvoller Lebensraum für Vögel und Insekten (und Fische) als Deckungs- und Laichplatz in Fliessgewäs-sern und an Land.

2.1.4 Bachröhricht Schilfgürtel am Bach Wertvoller Lebensraum für Vögel und Insekten und Fische als Deckungs- und Laichplatz an Bachläufen.

2.3.2 Nährstoffreiche Feuchtwiese

Sumpfdotterblumen-wiese

Lebensraum für feuchteliebende Pflanzen und Insek-ten, wie z.B. Libellen, Schmetterlinge, häufig entlang von Gräben oder Bachböschungen.

2.3.3 Feuchte Hochstaudenflur Spierstaudenflur

Lebensraum für die Spierstaude und den Violetten Silberfalter. Ist an ähnlichen Orten wie die Sumpfdot-terblumenwiese zu finden, wird aber nur 1x/ Jahr ab-schnittsweise alternierend gemäht.

4 Grünland (Rasen, Wiesen, Weiden)

4.2.4 Mitteleuropäischer Halbtrockenrasen

Trockene Magerwiese mit vielen Blumen

Extensiv genutzte Wiesen und Weiden, die nicht ge-düngt 1 bis 2 x spät geschnitten werden (ab 15. Juni). Bemerkenswertes Vorkommen von Pflanzen- und Tierarten, v.a. Schmetterlinge und Heuschrecken.

4.5.1 Typische Fromentalwiese

Blumenreiche Heuwiese

Einiges nährstoffreicher und weniger trocken als oben. Wenn sie wenig gedüngt und extensiv genutzt wird, dann ist sie relativ arten- und blumenreich (wird ab Juni geschnitten).

5 Krautsäume, Hochstaudenflure und Gebüsche

5.1.1 Trockenwarmer Krautsaum

Krautsäume sind Über-gänge von der Wiese zur Hecke

Krautsäume sind vielfältig und sind für Gebüsche und Hecken wichtige Ergänzungsbiotope. Sie können bei extensiver Pflege sehr artenreich sein.

5.1.2 Krautsaum Krautsäume sind Über-gänge von der Wiese zur Hecke

Wie 5.1.1, jedoch feuchter/ausgeglichener und etwas artenärmer als 5.1.1.

5.1.5 Nährstoffreicher Krautsaum

Krautsäume sind Über-gänge von der Wiese zur Hecke

Wie 5.1.1, jedoch ausgeglichener bezüglich Feuchtig-keit, nährstoffreicher und schattiger.

5.3.3 Gebüsch Hecke Hecken sind wertvolle Lebensräume, Rück-zugs- und Deckungsort für Tiere und Brutplatz für Vogelarten. Sie dienen auch der Vernetzung von Lebensräumen.

5.3.4 Brombeergestrüpp Gestrüpp

Was auch schnell abwertend als Gestrüpp bezeichnet und als unordentlich empfunden werden kann, sind abwechslungsreiche Lebensräume und Rückzugsort für viele Tiere, wie Igel, Vögel oder Reptilien und Am-phibien, die dort ungünstige Zeiten über-dauern.

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7 Pioniervegetation

7.1.1 Feuchte Trittflur Feuchte Wege, über-weidete, trittbelastete Wege

Dieser Lebensraum umfasst pionierhafte Vegetation von unterschiedlichem Aussehen. Er kann artenreich sein. Gelegentlich können sich auch Neophyten an-siedeln. Herbizid Einsatz schadet diesem Lebens-raum.

7.1.2 Trockene Trittflur Weg auf Naturbelägen

Dieser Lebensraum ist an Trittbelastung gut ange-passt. Er bildet einen grünen Teppich aus Kriech- und Rosettenpflanzen. Lokal können seltene und speziali-sierte Pflanzenarten vorkommen

7.1.4 Einjährige Ruderal-flur

Kurzfristige Brachflä-chen

Nährstoffzeigende, einjährige Pflanzen sind typisch. Die Artenvielfalt kann sehr hoch sein. Der Lebens-raum entsteht dort, wo Brachflächen (dh. offener Bo-den) vorhanden sind, welche vorübergehend nicht weiter umgegraben werden.

7.1.6 Ruderalflur (Steinkleeflur)

Magerstandort Industriebrachen Kiesgruben

Wenn ein Lebensraum gestört und der Bo-den offen zurück belassen wird, entstehen Ruderalfluren. Auf trockenem und magerem Standort siedelt sich eine artenreiche, farbige und blumenreiche Vegetation an, die sich allerdings ohne erneute Störung zu Ge-büsch und Wald weiterentwickelt. Häufige Probleme mit Neophyten.

7.2.1 Trockenwarme Mauerflur Trockenmauer

Trockenmauern sind Kulturlandschaftselemente, die z.B. für Reptilien wichtige Vernetzungsstrukturen sind.

7.2.2 Steinpflaster Tritt-flur

Ritzen und Fugen im Pflastersteinweg

Ein unscheinbarer Lebensraum. Eher arten-arm kann er aber seltene Arten beherbergen. Ein Verzicht auf Herbizide und Versiegelung ist angezeigt.

8 Pflanzungen, Äcker, Kulturen

8.1.4 Hochstammobst-garten Streuobstwiese

Hochstammobstgärten sind wertvolle Lebensräume der Kulturlandschaft und können auch Freiräume im Siedlungsgebiet bereichern. Ein etappenweise ge-mähter Wiesen-untergrund führt zu einem reichen Angebot an Insekten. Diese bieten wiederum ideale Bedingungen für Vögel, wie z.B. Grünspecht und Gar-tenrotschwanz.

8.1.6 Rebberg Reb- oder Weinberg

Rebberge sind durch ihre Südexposition sonnig und wärmeverwöhnt. Ergänzt mit extensiven Strukturen und Trockenmauern sind Rebberge Lebensraum von Tagfaltern, Reptilien und Vögel.

- Ergänzt durch ilf Einzelgehölz, Gehölz-gruppe …

- Ergänzt durch ilf Staudenpflanzung …

Auflistung der Lebensräume nach Delarze

B) Regionaltypische Kulturpflanzen

Zur Biodiversität zählen auch unsere Kulturpflanzen und -tiere. Organisationen wie Pro Specie rara, Fructus und weitere haben es sich zur Aufgabe gemacht, diese Kulturgüter zu sichern und zu vermeh-ren, indem sie inventarisiert und aktiv kultiviert werden.

Zwei Beispiele aus dem Kanton St. Gallen sind die Wohnsiedlung Bommert in Widnau und das Gym-nasium Wil SG. In der Siedlung Bommert sind im Aussenraum alte Obstbaumsorten gepflanzt wor-den. In der Mittelschule in Wil stehen Obstbäume im Innenhof des Schulhausgebäudes. Etliche ähnli-che Pflanzungen sind im Rheintal auch erfolgt, etwa bei der Kantonschule Heerbrugg, durch die Mos-terei Kobelt, die Rheintaler Ortsgemeinden, die Kirchenverwaltungen, durch private Vereinigungen…

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Visualisierung der Wohnumgebung des Quartiers Bommert. Die einheimischen Obstbäume sind ein wichtiges Gestal-tungselement im Aussenraum, die als Nebenprodukt auch Obst für die Anwohner produzieren.

In der Literatur sind noch viele Listen typischer Obstbäume aus dem St. Galler Rheintal auffindbar. Viele ältere Rheintaler kennen noch diese und jene Ursorten. Damit dieses Stück Rheintaler Kulturge-schichte erhalten bleibt, müssen diese Bäume nicht nur gepflanzt sondern auch gepflegt werden. Und: das Produkt Obst verdient noch mehr Wertschätzung.

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C) Tabelle möglicher Handlungfelder der Zielgruppen

Zielgruppe Zu aktivierende Potentiale Aktivieren durch Nutzen/ Benefit

Verwaltung & Politik

Vorbildrolle in der Gemeinde

Mobilisierung der Bevölkerung für die Förderung der Biodiversität in der Siedlung Biodiversität im Planungsprozess von Bauvorhaben

Standortvorteil der Gemeinde durch eine höhere Lebensqualität

Tendenziell weniger Unterhaltskos-ten für naturnah gepflegte Flächen

Team des Werk-hofes

Biodiversitätsförderung bei der An-lage und Unterhalt von öffentli-chen Freiräumen

Vorbildfunktion von naturnahen öffentlichen Freiräume für die Ein-wohner

Biodiversität in der Siedlung in die Ausbildung miteinbeziehen

Biodiversität als lohnwirksame Q-Massnahme

Abwechslungsreicher Arbeitsalltag durch differenzierte Pflegeeingriffe

Gärtner und Hausabwarte

Biodiversitätsförderung bei der An-lage und Unterhalt von privaten Freiräumen

Ausbildung und Sensibilisierung durch Weiterbildung

Öffentliches Ansehen durch Zertifi-zierung der Umgebung

„Tu Gutes und sprich davon“

Einwohner Biodiversitätsförderung in der eige-nen Wohnumgebung

Vorbildfunktion von naturnahen privaten Freiräume für andere Ein-wohner

Workshops zur Biodiversitätsförde-rung im eigenen Wohnumfeld

Kostenlose Abgabe von einheimi-schen Pflanzen durch die Ge-meinde als einmalige oder sich wie-derholende Aktion

Unterlagen z.B. zur Anlage einer naturnahen Wiese auf der Ge-meinde-homepage

Mehr Lebensqualität im eignen Wohnumfeld, Freude an der Viel-falt im Garten

Tendenziell weniger Unterhaltskos-ten/-aufwand für die Umgebungs-pflege

Firmen Biodiversitätsförderung in der Fir-menumgebung

Vorbildfunktion von naturnahen privaten Freiräume für andere Fir-men

Zertifizierung der Firmenumgebung z. B. durch die Stiftung Natur & Wirtschaft

Öffentliches Ansehen durch Zertifi-zierung der Umgebung

Höhere Zufriedenheit der Mitarbei-tenden durch qualitativ hochwer-tige Arbeitsumgebung und natur-nahen Aufenthaltsräumen im Freien > aktive Entspannung

Schulen Wert der intakten Biodiversität be-reits im Kindesalter vermitteln

Kinder tragen ihr Wissen in ihr pri-vates Umfeld weiter, zu den Eltern, den Nachbarn.

Biodiversität in der Siedlung in den Unterricht einbeziehen, z.B. im durch konkrete Aktionen

- Pflanzaktionen mit dem Werk-hof/Gärtner

- Umgestaltung des Schulhofes - Vielfältiger Schulgarten

Die Schüler bekommen den Wert und die Ausgleichsfunktion der Na-tur mit. Schätzen nicht nur die vir-tuelle Welt.

Massnahmen und Handlungsfelder in der Gesellschaft

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D) Planungsinstrumente

Als Beispiel für die direkte Einflussnahme seitens der Gemeinden ist hier Münsingen im Kanton Bern genannt, die in ihrem Baureglement behörden- und grundeigentümerverbindliche Anforderungen formuliert:

zB. sind Böschungen mit einheimischen, standortgerechten Pflanzen zu begrünen, zB. Dächer sind un-ter bestimmten Voraussetzungen zu begrünen.

Im Bau- und Zonenreglement der Gemeinde Adligenswil steht: „..Freiflächen (Böschungen, Verkehrs-inseln,Strassenränder, Restflächen) im Siedlungsgebiet sind als naturnahe Lebensräume auszugestal-ten.“„...Bei der Bepflanzung von Anlagen, namentlich von Lager-, Abstell-, Park- und Freiflächen sowie bei der Begrünung von Bauten, wie Flachdächern, Stützmauern und Stützkonstruktionen sind vorwie-gend einheimische Bäume und Sträucher zu verwenden. Der Gemeinderat ist befugt, spezielle Vor-schriften zu erlassen.“

Eine weitere Möglichkeit die Anforderungen bezüglich Grüngestaltung im Siedlungsbereich zu ver-schärfen haben Gemeinden in der Verpflichtung zum Gestaltungsplan, mit entsprechenden Angaben zur Umgebungsgestaltung. Dies kann bei der Überarbeitung der Zonenpläne eingefügt werden.

E) Weniger Kosten – mehr Biodiversität?

GreenCycle – der grüne Lebenszyklus

Lebenszykluskosten umfassen die Kosten der Herstellung, der Nutzung und der Entsorgung eines Pro-duktes. Übertragen auf Freiräume sind dies die Kosten für die Erstellung, den maschinellen Unterhalt, die laufende Pflege der Vegetation und die Kosten für Rückbau und Entsorgung der Grünanlage.

Lebenszykluskosten einer Grünanlage (BMVBS, 2011)

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Die obige Darstellung zeigt, dass die Kosten in der Planungs- und Erstellungsphase am meisten beein-flussbar sind. Mit einer lebenszyklus-optimierten Planung können die Mehrkosten in der Planungs- und Erstellungsphase durch geringere Unterhaltskosten meist rasch kompensiert werden.

Befragungen von Fachleuten zum Thema Kosten

anonym Gartenbauamt Stadt St. Gallen

Das Gartenbauamt der Stadt St. Gallen pflegt und entwickelt seine Grünanlagen nach den Ge-sichtspunkten der differenzierten Freiraumpflege. Als Grundlage für den Unterhalt dient ein Grünflächen-Management–System, das im GIS bearbeitet wird und die Freiraumtypen mit den jeweiligen Elementen definiert. Viele Flächen werden, je nach Nutzung auch extensiv gepflegt. Eine grosse Artenvielfalt wird gefördert, indem Ruderalflächen angelegt, Niederhecken gepflanzt und an geeigneten Standor-ten artenreiche Blumenwiesen oder Staudenbeete mit Wildstauden angelegt werden. Solche Erneuerungen werden in der Regel im Zusammenhang mit fälligen baulichen Erneuerungen vorgenommen. Genaue Angaben zum Kostenvergleich intensiv – extensiv können nicht gemacht werden. Er-fahrungsgemäss kann davon ausgegangen werden, dass sich durch eine zunehmende Extensi-vierung kaum eine Kostenersparnis ergibt, weil doch mehr Handarbeit anfällt. Florian Brack und Céline Baumgartner ZHAW Zürcher Fachhochschule Wädenswil Die ZHAW kann die These nach weniger Unterhaltskosten für extensiv gepflegte Freiräume nicht in jedem Falle stützen. Es muss differenziert werden. Man wehrt sich auch dagegen, das Kostenargument allzu sehr zu gewichten. Es gehe vielmehr darum Mehrwert zu schaffen für die Bevölkerung, ein Wert, der nicht monetär gemessen werden kann, der aber beispielsweise po-sitive Auswirkung haben kann auf die Gesundheit und die Lebensqualität. Absolute Zahlen kön-nen nicht genannt werden. Sie verweisen auf Ihre Studie „Green Cycle“, welche die Lebenszyk-luskosten von Freiräumen untersuchte, und welche in einem Berechnungstool aufgearbeitet wurden. Das Tool steht als Dienstleistung zur Verfügung und kann käuflich erworben werden. (Brack, 2012) Die ZHAW Wädenswil betont auf Anfrage, dass punktuell Versuche mit einheimischen Stauden vorgenommen wurden, die Erfahrung hat aber gezeigt, dass gerade im öffentlichen Bereich die verlangte Ästhetik nicht vernachlässigt werden darf. Sie plädieren aus diesem Grund für eine extensive Staudenbepflanzungen mit einem Anteil von 80% an einheimischen Arten und 20% Zierpflanzen damit auch im Spätsommer und Herbst, wenn der Hauptteil der einheimischen Ar-ten bereits verblüht ist, ein ästhetisches Bild erhalten bleibt. (Baumgartner, 2012)

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Felix Meier Geschäftsführer Biorana GmbH

Bei Initialbepflanzungen hat man die bessere Kontrolle über den Erfolg der Begrünung, theore-tisch sind aber auch Einsaaten mit Saatgut oder Direktsaaten möglich. Vor der Bepflanzung muss das Substrat ausgetauscht werden. Je nach Standort sind nährstoffarme Substrate die ge-eignetste Form. Dazu eignen sich Wandkies oder sandige Substrate mit einer vertikalen Aus-dehnung von 40 bis 50cm. Danach kann frei oder nach angedachter Konzeption bepflanzt wer-den, dazu wird je nach gewünschter Dichte und Entwicklungstempo 1 bis 5 Pflanzen/ m2 einge-pflanzt. Der Pflegeunterhalt reduziert sich zu konventionellen Wechselflorrabatten erheblich und um-fasst nebst 4 Pflegedurchgängen pro Jahr auch eine Störung der Vegetationsgesellschaft alle paar Jahre, da sich diese sonst unter natürlichen Bedingungen zu einer geschlossenen Vegetati-onsdecke zusammenwachsen und die Artenvielfalt, mangels Licht zurückgehen würde. Um den ruderalen Charakter zu erhalten sind Pflegeeingriffe, wie z.B. eine Bodenstörung alle paar Jahre nötig. Die vierteljährlichen Pflegedurchgänge umfassen nebst Beseitigen von Unrat, auch das Jäten und Rückschneiden von abgestorbenen und verblühten Pflanzenteilen. Es emp-fiehlt sich jedoch über den Winter, an Standorten, wo keine Beeinträchtigung des Strassenrau-mes auftritt, auch abgestorbene Pflanzenteile und Stängel (ca. 10%) stehen zu lassen, da diese als Überwinterungsort von Insektenlarven und –eiern dienen. Zu den Pflegekosten (ohne Erstellungskosten) kann gesagt werden, dass diese um einen Faktor 10 - 20 günstiger sind, als bei konventionellen Rabatten. Solche extensiv gestalteten Verkehrs-begleitflächen kosten im Pflegeunterhalt ca. Faktor 17 weniger pro Jahr als bei konventionellen Wechselflorrabatten. (Anm.: Biorana unterhält naturnahe Verkehrsrandflächen in Stäfa/ZH)

Ralf Gees Leiter Strassenunterhalt Gemeinde Stäfa/ZH

Die Idee für naturnahe Grünflächengestaltungen kam bereits vor mehr als 10 Jahren auf, unter anderem auf Empfehlung der Natur- und Heimatschutzkommission der Gemeinde Stäfa. Da-mals wurde entschieden einen Teil der ursprünglichen Humusrabatten (Wechselflor) in Kiesflä-chen mit naturnaher Ruderalbepflanzung umzuwandeln. Seither werden Neubepflanzungen nur noch mit Kies gemacht. Die Reaktionen waren sehr positiv. Es gab einzelne negative Äusse-rungen, weil die Ästhetik im Herbst/Winter etwas herabgesetzt ist. Im Sommer ist es aber sehr schön anzuschauen. Mit den Pflegekosten haben sie sehr gute Erfahrungen gemacht, die Kosten sind erheblich ge-ringer. Es wurde kein vermehrtes Neophyten-Aufkommen beobachtet, da jährlich mind. 4 Kon-trollgänge gemacht werden. Neu angestelltes Personal wird in der Thematik geschult.

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Anhang 2: Fokusgebiete 1 - 6

Anhang 3: Übersichtsplan mit dem Rheintaler Höhenweg

Quellenverzeichnis:

Hinweise und nützliche Adressen: