Biografische Daten von / über Walter Timpe

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Walter TIMPE, Hannover/Hemmingen Seite 1 von 14 Seiten 1. Gespräch Beteiligte: 2. Gespräch Beteiligte: 3. Gespräch Beteiligte: Biografische Daten von / über Walter Timpe Gesprächsprotokolle am 25.04.2008 in Hannover Walter Timpe, Gundolf Algermissen. am 25.05.2008 in Hannover-Hemmingen Walter Timpe, Gundolf Algermissen. Das geplante, dritte Gespräch fand leider nicht statt. Walter starb am 04. Juni 2008. Die Fertigstellung der Arbeitsbiografie für Walter Timpe Wurde mithilfe seiner Frau Irmgard möglich. Herzlichen Dank für die Zeit, die helfenden Beratungen und die Auswahl von Texten und Dokumenten für die vorliegende Arbeitsbiografie über Walter.

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1. Gespräch Beteiligte:

2. Gespräch

Beteiligte:

3. Gespräch Beteiligte:

Biografische Daten von / über Walter Timpe Gesprächsprotokolle

am 25.04.2008 in Hannover Walter Timpe, Gundolf Algermissen. am 25.05.2008 in Hannover-Hemmingen Walter Timpe, Gundolf Algermissen. Das geplante, dritte Gespräch fand leider nicht statt. Walter starb am 04. Juni 2008. Die Fertigstellung der Arbeitsbiografie für Walter Timpe Wurde mithilfe seiner Frau Irmgard möglich. Herzlichen Dank für die Zeit, die helfenden Beratungen und die Auswahl von Texten und Dokumenten für die vorliegende Arbeitsbiografie über Walter.

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Lebensdaten

Schulbildung

Ausbildung Erinnerung

Erste Verhaftung

Geboren am 04. März 1931 in Hannover. Vater Fritz Timpe, Arbeiter bei der Hanomag in Hannover, Mutter Paula Timpe war von Beruf Stenotypistin. 1937 bis 1948 Besuch der Volksschule und der Mittelschule in Hannover mit Abschluss. 1948 bis 1951 Lehre, Abschluss als Versicherungskaufmann. April 1949 Eintritt in die Kommunistische Partei Deutschland (KPD) und in die Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ). Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als ich zu Hause nun erzählen musste, dass ich Mitglied in der Freien Deutschen Jugend und in der „Kommunistischen Partei Deutschland“ geworden war, wurde mein Vater fuchsteufelswild – er hat längere Zeit mit mir nur das Nötigste gesprochen. 01./02. Oktober 1950 Verhaftung bei einer Demonstration des „Komitees Junger Friedenskämpfer“ in Hannover. Anschließend Prozess, der Staatsanwalt war der frühere NS-Richter Wilhelm Landwehr.

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Prozess wegen „Adenauerkritischen

Artikeln“ Erinnerung*) *) Auf der Seite sechs hat Walter Timpe im Februar 2008 eine Einschätzung zur Situation 1956 und den folgenden Jahren geschrieben. Kundgebung der KPD in Hannover im Rahmen der Aktion „Deutsche an einen Tisch“ (Walter Timpe ganz links als Fahnenträger)

Als Versicherungskaufmann konnte ich nach der Verhaftung nur durch „viele gute Worte anderer meine Ausbildung beenden“. 1952 Ausbildung als Journalist an der Fachschule in Erfurt. 1953 bis 1956 als Journalist beschäftigt bei der KPD-Tageszeitung „Die Wahrheit“ und der „Niedersächsischen Volksstimme“. 03./04. Mai 1955 Prozess vor der „Vierten Großen Strafkammer“, dem Landgericht Lüneburg wegen Adenauerkritischen Artikeln. Das Urteil, ein Jahr Haft, drei Jahre Berufsverbot und Führerscheinentzug. In der „Niedersächsischen Volksstimme verabschiedete sich Walter Timpe am 24.03.1956 unter der Überschrift: „Abschied von den Lesern Der Abschied ist eine alltägliche Erscheinung. Man nimmt ihn morgens, bevor man zur Arbeitsstätte geht, von den Lieben daheim; vor einer Reise von der trauten Umgebung und bei der Hochzeit vom Junggesellendasein. Ebenso mannigfaltig, wie die Anlässe zum Abschied sind, gibt es auch alle möglichen Formen dafür. Man sagt „Ade“, „Tschüs“, Wiedersehen“, und natürlich auch der Kuss ist dabei sehr beliebt. Ich nehme auch Abschied, wie ja auch schon die Überschrift besagt: für ein Jahr. Während dieser Zeit werde ich nicht in Hannover sein. Meine neue Anschrift lautet: Strafgefängnis Wolfenbüttel. […]“

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Erinnerung

Brief 1

Brief 2

Brief 3

Die Verpflegung war schlecht, oft gab es „dünne Suppe“, das Personal war teilweise aus der Nazizeit und es gab ständig Schikanierungen. Ich bin nur einmal ausgerastet. Ein älterer Wärter drohte mir, dass der nächste Besuchstermin meiner Mutter gestrichen werden könnte. Ich habe diesen bulligen Menschen angeschrien, „wenn sie das machen, dann verfolge ich sie nach meiner Freilassung, wenn es sein muss, bis an das Ende der Welt“. Von diesem Zeitpunkt an wurde ich von diesem Wärter immer bevorzugt behandelt. Walter hat sich Ende Januar 1958 für einen Studienplatz an der PH Lüneburg beworben. Nachstehend, auszugsweise, der Schriftwechsel. Der damalige Direktor, Prof. Dr. Eyferth, schrieb am 15.02.1958 an die „Landesstrafanstalt in Wolfenbüttel“ und bat um Auskunft. „Hier hat sich ein Walter Timpe/Hannover gemeldet, der aus politischen Gründen zwölf Monate eine Strafe abgebüßt hat […] ich wäre dankbar, wenn ich vertraulich eine Beurteilung der Führung des Genannten erhalten könnte; soweit es möglich ist, auch eine Beurteilung, ob Herr Timpe nach seiner Haltung und Intelligenz als guter Lehrer denkbar sein würde. Antwort vom 20.02.1958 von Dr. Hermann, Wolfenbüttel: „… Herr T. hat somit zu den sogenannten politischen Gefangenen gehört, die hier in Bezug auf die Unterbringung und die Arbeit von den übrigen Gefangenen streng getrennt werden. Seine Führung war, wie dies bei den Überzeugungs-tätern im Durchschnitt der Fall ist, in jeder Weise einwandfrei. Seine Arbeitsleistung gut. Herr Timpe hat seine strafrechtlichen Delikte aufgrund seiner extremen links gerichteten Überzeugung begangen. Es liegen keinerlei Anzeichen dafür vor, dass er seine Überzeugung während seiner Inhaftierung geändert hat. … Am 24.02.1958 schrieb Professor Dr. Eyferth einen Brief an Walter Timpe: „Sehr geehrter Herr Timpe! Die Hochschule Lüneburg ist für Ostern mit Aufnahmen über-lastet. Während ich mich sonst auf den Standpunkt gestellt habe, dass das Studium auch möglich sei, wenn keine Sicher-heit besteht, ob später ein Eintritt in den niedersächsischen Schuldienst erfolgt, so muss ich wegen der beschränkten Plätze doch jetzt den Bedarf des Landes Niedersachsen ins Auge fassen. Nach Ihren Unterlagen muss ich damit rechnen, dass eine Beamtenlaufbahn in dem nieder-sächsischen Schuldienst nicht möglich sein wird. Ich sehe mich also zu meinem großen Bedauern nicht in der Lage, Sie aufzunehmen. […]“

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Ein Neuanfang

Gewerkschaftliches Engagement*)

Ehrenämter

Weitere Mitgliedschaften

Auszeichnungen

*) Auf den Seiten sieben und acht wurde Walters gewerkschaftliche Biografie als Reproduktion wiedergegeben Walter am Info-Stand während einer Aktion des Einzelhandels im Frühjahr 2008

August 1957 bis Oktober 1958 Arbeiter in der Offset-Abteilung der Druckerei Scherrer Hannover. Kollege Hans Blume, damals Gewerkschaftssekretär bei der Industriegewerkschaft Druck und Papier in Hannover hatte mich nach einem sehr intensiven Gespräch in die Druckerei vermittelt. November 1958 bis Mai 1960 Arbeit als Journalist. Für die Redaktionen „Das Andere Deutschland“ (Hannover), „Deutsche Woche“ (München), „Deutsche Volkszeitung“ (Düsseldorf), „Die Andere Zeitung“ (München). Juni 1960 bis März 1996 Versicherungsangestellter, ab 1980 Handlungsbevollmächtigter und Leiter eines Schadenszentrums. 1948 Mitglied in der neugegründeten Gewerkschaft Handel-Banken-Versicherungen (HBV).

Viele Jahre Bezirksvorsitzender der Gewerkschaft HBV im Bezirk Hannover; viele Jahre Mitglied in der Tarifkommis-sionen und des Gewerkschaftsausschusses der HBV; viele Jahre ehrenamtliches Mitglied im HBV-Hauptvorstand 1972 bis 1984 ehrenamtlicher Richter beim Landesarbeits-gericht Niedersachsen, Sitz Hannover.

1984 bis 1996 ehrenamtlicher Richter am Bundesarbeits-gericht, Sitz in Kassel. Mitglied in der „Initiative zur Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges“, Niedersachsen. Im Juni 2001 wurde mir das Bundesverdienstkreuz verliehen.

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Walter Timpe hat im Februar 2008 die nebenstehende Einschätzung zu seiner Situation 1956 und den folgenden Jahren geschrieben – bei der Vorlage handelt es sich um ein unkorrigiertes Manuskript. *) Die DGB-Arbeits-rechtsakten und eine „Leitakte“ des DGB-Kreis Hannover sind bekannt.

Kalter Krieg am 17.8.1956: Verbot der KPD und der KPD-Zeitungen In Hannover: „Neue Niedersächsische Volksstimme“ (Tageszeitung der KPD für Niedersachsen), Beschlagnahme aller Maschinen für die Zeitungsherstellung, die Rotation war die modernste in Hannover, sofortiges Beschäftigungsverbot aller Beschäftigten, keine Gehaltszahlungen rückwirkend ab 1.8.1956. Am 17.8.1956 besetzten Polizeieinheiten die Redaktion und die Druckerei (Volksdruck GmbH) in der Hohestr. 7 in Hannover-Linden. Der Sekretär der IG Druck und Papier in Hannover, Heinrich Steinwedel erschien während der Polizeiaktion, erklärte den Polizisten, dass ausnahmslos alle beschäftigten Mitglieder der Gewerkschaft wären und er alle in das DGB-Haus einladen würde, um arbeitsrechtliche Maßnahmen für die Arbeitssituation und die Gehaltszahlung zu diskutieren. Die IG Druck und Papier und die Gewerkschaft HBV gewährten über den DGB allen Rechtsschutz und eröffneten Klagen beim Arbeitsgericht Hannover. Aus dem Schreiben des Kollegen Kraft vom Rechtsschutz-sekretariats des DGB Hannover vom 26.3.1957 an den Kollegen Stanislaus Krajewski, der bei dem Verlag Niedersächsische Volksstimme als Angestellter beschäftigt wer, geht hervor, dass 80 Kolleginnen und Kollegen betroffen waren. Aus den beiden beim DGB Hannover aufgefundenen Ordnern mit Restakten der Prozesse*) sind 63 Personen ersichtlich. Vermutlich sind nicht alle Vorgänge aufgehoben worden. Alle Prozesse waren trotz eindeutiger Rechtslage erfolglos. In die Verfahren beim Arbeitsgericht griff der Beauftragte des Bundes-ministers des Innern für die Einziehung des KPD-Vermögens ein mit unglaublichen Interventionen: “Die BRD sieht sich außer-stande auf Klagen einzulassen, die bei einem örtlich unzustän-digen Gericht erhoben sind, zuständig für die BRD bei arbeits-rechtlichen Streitigkeiten ist das Arbeitsgericht Bonn. Im Übrigen ist auch die sachliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts nicht gegeben. Der Kläger steht in keinem Arbeitsverhältnis zu Beklagten. Die Beklagte ist nicht Rechtsnachfolgerin der KPD.“ Auch eine Art Musterprozess vor dem III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs am 18.9.1959 blieb erfolglos. Die BRD wurde auch hier vertreten durch den Beauftragten für die Einziehung des KPD-Vermögens, in Person durch Frhr. von Stackelberg. Senatspräsident war Prof. Dr. Geiger (geb. 22.5.1909), ein Blutrichter, der als Landgerichtsrat am berüchtigten Sondergericht Bamberg Unrecht gesprochen hatte. Das ist milde Rechtsbeugung und mit neueren Maßstäben Regierungskriminalität, marxistisch Klassenjustiz.

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Walter wurde 2004 von seiner Gewerkschaft Ver.di gebeten einen „Fragebogen über persönliche Erinnerungen zur Gewerkschaftsarbeit“ auszufüllen bzw. zu ergänzen: Seite 1 von 2 Seiten

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Walter wurde 2004 von seiner Gewerkschaft Ver.di gebeten einen „Fragebogen über persönliche Erinnerungen zur Gewerkschaftsarbeit“ auszufüllen bzw. zu ergänzen: Seite 2 von 2 Seiten

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Beileidsrede*) anlässlich des Todes Walter Timpes am 12. Juni 2008 *) Die Trauerrede hat Hartmut Tölle auch für Irmgard Timpe gehalten. In Absprache mit Irmgard Timpe wurde die Rede hier aufgenommen.

Liebe Irmgard, sehr geehrte Familie Timpe, liebe Freunde und Weggefährten von Walter Timpe. Heute müssen wir Abschied nehmen, Abschied nehmen von einem Menschen, der uns sehr vertraut ist. Eine Persönlichkeit mit Schwächen und Widersprüchen, aber auch Abschied nehmen von einer Persönlichkeit mit herausragenden Begabungen und Stärken. Im Mittelpunkt deines gesellschaftlichen Handelns stand der Mensch, das war die große Triebfeder deines unermüdlichen Engagements, diese Haltung hat dich dein Leben lang geprägt. Aufgewachsen bist du in der Zeit des Nationalsozialismus, am Ende des Krieges warst du 14. Jahre alt. Die Erlebnisse im Jungvolk und in der HJ, das zerbombte Hannover, die Märsche der Zwangsarbeiter, der Einsatz im Harz für den Endsieg eines verbrecherischen Systems, all dies ist in deinen Geschichten präsent geblieben, genau so wie die Briefe deines Vaters, der als Soldat im 1. Weltkrieg an der Palästinafront gekämpft hat. Diese Erlebnisse haben dich geprägt, zu einem unbeugsamen Demokraten und einem streitbaren Verfechter für Frieden, Menschenwürde und Gerechtigkeit heranwachsen lassen. In jungen Jahren hast du dich politisch interessiert und organisiert, deinen Idealen bist du bis zu deinem Tod treu geblieben, konsequent und aufrichtig. Es ist heute nicht möglich, das umfangreiche und außergewöhnliche Lebenswerk von Walter Timpe zu würdigen. Walter war ein begnadeter Geschichtenerzähler, der über ein ausgezeichnetes Gedächtnis verfügte. Hinzu kam, dass Walter tagespolitische Ereignisse auswertete und sich ein mehrere Jahrzehnte umfassendes Archiv anlegte. Nicht immer zur Freude von Irmgard, die ihn später der „Haus-ordnung“ wegen in einen Kellerraum verbannen musste. Diese zeitgeschichtlichen Dokumente, ergänzt durch die Erlebnisse von Walter als Zeitzeuge, wollten wir gemeinsam aufarbeiten. Besonders wichtig war uns die Zeit der Restauration in der Adenauer Ära. Der Tod hat seine eigenen Regeln, er hat deinem Schaffen ein endgültiges Ziel gesetzt, überraschend für uns und zum falschen Zeitpunkt für dich.

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Dennoch: Zwei Gespräche haben wir dokumentiert – lassen wir Walter zu Wort kommen: 1948 bis 1951 Lehre als Versicherungskaufmann mit Abschluss. April 1949 Eintritt in die Kommunistische Partei Deutschland (KPD) und in die Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ). Ich kann mich noch sehr daran erinnern, als ich zu Hause nun erzählen musste, dass ich Mitglied in der Freien Deutschen Jugend und in der kommunistischen Partei geworden war, mein Vater wurde fuchsteufelswild – er hat längere Zeit mit mir nur das Nötigste gesprochen. 01./02. Oktober 1950 Verhaftung bei der Demonstration des „Komitees Junger Friedenskämpfer“ in Hannover. Anschließend Prozess, der Staatsanwalt war der frühere NS-Richter Wilhelm Landwehr. Als Versicherungskaufmann konnte ich nach der Verhaftung nur durch „viele gute Worte anderer meine Ausbildung beenden. 1952 Ausbildung als Journalist an der Fachschule in Erfurt und beschäftigt bei der KPD-Tageszeitung „Die Wahrheit“ und der „Niedersächsischen Volksstimme“. 03./04. Mai 1955 Prozess vor der „Vierten Großen Straf-kammer“, dem Landesgericht Lüneburg wegen adenauer-kritischen Artikeln. Das Urteil, ein Jahr Haft, drei Jahre Berufsverbot und Führerscheinentzug. Die Verpflegung war schlecht, oft gab es „dünne Suppe“, das Personal war aus der Nazizeit und es gab ständig Schika- nierungen. Ich bin nur einmal ausgerastet. Ein älterer Wärter drohte mir, dass der nächste Besuchstermin meiner Mutter gestrichen werden könnte. Ich habe diesen bulligen Menschen angeschrien, wenn sie das machen, dann verfolge ich sie nach meiner Freilassung, wenn es sein muss, bis an das Ende der Welt“. Von diesem Zeitpunkt an wurde ich von diesem Wärter bevorzugt behandelt. In der niedersächsischen Volksstimme verabschiedet sich Walter Timpe am 24.03.1956 unter der Überschrift „Abschied von den Lesern: „Der Abschied ist eine alltägliche Erscheinung. Man nimmt ihn morgens, bevor man zur Arbeitsstätte geht, von den Lieben daheim; vor einer Reise von der trauten Umgebung und bei der Hochzeit vom Junggesellendasein.

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Ebenso mannigfaltig, wie die Anlässe zum Abschied sind, gibt es auch alle möglichen Formen dafür. Man sagt „Ade“ „Tschüss“, Wiedersehen“, und natürlich auch der Kuss ist dabei sehr beliebt. Ich nehme auch Abschied, wie ja auch schon die Überschrift besagt: für ein Jahr. Während dieser Zeit werde ich nicht in Hannover sein. Meine neue Anschrift lautet: Strafgefängnis Wolfenbüttel … Diese Unterkunft, die für 365 Tage und Nächte mich beherbergen wird, ist nicht von mir gewählt worden. Ich erhielt sie am 3. und 4. Mai 1955 von der 4. Strafkammer des Landgerichts Lüneburg wegen einiger während meiner Tätigkeit als verantwortlicher Redakteur der WAHRHEIT veröffentlichter Artikel zudiktiert. Das ist bei mir kein Sonderfall, vor mir wurden bereits sechs andere Redakteure wegen ähnlicher Gründe zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Ohne Zweifel bedeutet das für mich einen starken persönlichen Verlust, ein Jahr meiner Jugend trostlosen Gefängniszellen zu widmen. Noch schwerer wird meine nun 60jährige Mutter, die Witwe ist und deren „Einziger“ ich bin, davon getroffen. Aber noch weitaus schwerwiegender und geradezu alarmierend ist doch, dass bereits schon wieder kommunistische Redakteure aufgrund einiger in Lüneburg nicht genehmer Artikel „festgenagelt“ und auf lange Zeit hinter Gitter verbannt werden. Das sollte nicht nur Kommunisten auf den Plan rufen! Jeder ist dadurch betroffen. Ich habe stets in meinen Artikeln eine scharfe Klinge geführt. Die Berichte über die hannoverschen Skandalprozesse „D2“ (1954), „Polizei-Skandal-Prozess Nr. 1 (1955) und Polizei-Skandal-Prozess 2 (1956) sind zu einem Begriff geworden. Ich habe mich dabei nicht versteckt, sondern mit „wati“ gezeichnet. Das hat mir natürlich nicht gerade das Wohlwollen der „erlauchten“ Kreise eingebracht. In der „Ladung zum Strafantritt“, die mir vom Landgericht Lüneburg zur Fahrt gen Wolfenbüttel übermittelt wurde, heißt es u.a.: „Nicht mitgebracht werden dürfen ... Waffen …“. Als Waffe diente mir bisher nur meine Feder. Sie wird also zwangsweise ruhen müssen. Aber dieses Schweigen wird nicht weniger reden! Während meiner Haftzeit in Wolfenbüttel ist es mir nicht einmal erlaubt, die „Neue Niedersächsische Volksstimme“ zu beziehen. Obwohl ich doch einer ihrer Redakteure war und wieder sein werde.

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Nur aus der Ferne kann ich so am Leben unserer Zeitung teilnehmen. Das trifft hart, aber wie bezeichnend ist dies für die bundesrepublikanische Pressefreiheit! Ich grüße alle Leser in dem festen Gefühl unverbrüchlicher aufrichtiger Freundschaft und der Zuversicht, dass die Menschen guten Willens immer mehr sich finden werden. Bis dann. Walter hat sich Ende Januar 1958 für einen Studienplatz an der PH Lüneburg beworben. Der damalige Direktor, Prof. Dr. Eyferth schrieb am 15.02.1958 an die „Landesstrafanstalt in Wolfenbüttel und bat um Auskunft: „Hier hat sich ein Walter Timpe/Hannover gemeldet, der aus politischen Gründen zwölf Monate eine Strafe abgebüßt hat. […] Ich wäre dankbar, wenn ich vertraulich eine Beurteilung der Führung des Genannten erhalten könnte; soweit es möglich ist, auch eine Beurteilung, ob Herr Timpe nach seiner Haltung und Intelligenz als guter Lehrer denkbar sein würde.“ Antwort vom 20.02.1958 von Dr. Hermann, Wolfenbüttel: „… Herr T. hat somit zu den sogenannten politischen Gefangenen gehört, die hier in Bezug auf die Unterbringung und die Arbeit von den übrigen Gefangenen streng getrennt werden. Seine Führung war, wie dies bei den Überzeugungs-tätern im Durchschnitt der Fall ist, in jeder Weise einwandfrei. Seine Arbeitsleistung gut. Herr Timpe hat seine strafrechtlichen Delikte aufgrund seiner extremen links gerichteten Überzeugung begangen. Es liegen keinerlei Anzeichen dafür vor, dass er seine Überzeugung während seiner Inhaftierung geändert hat. […] Am 24.02.1958 schrieb Prof. Dr. Eyferth einen Brief an Walter Timpe: „Sehr geehrter Herr Timpe! Die Hochschule Lüneburg ist für Ostern mit Aufnahmen überlastet. Während ich mich sonst auf den Standpunkt gestellt habe, dass das Studium auch möglich sei, wenn keine Sicherheit besteht, ob später ein Eintritt in den niedersäch-sischen Schuldienst erfolgt, so muss ich wegen der beschränkten Plätze doch jetzt den Bedarf des Landes Niedersachsen ins Auge fassen. Nach Ihren Unterlagen muss ich damit rechnen, dass eine Beamtenlaufbahn in dem niedersächsischen Schuldienst nicht möglich sein wird. Ich sehe mich also zu meinem großen Bedauern nicht in der Lage, Sie aufzunehmen [….] November 1958 bis Mai 1960 Arbeit als Journalist. Für die Redaktionen „Das Andere Deutschland“ (Hannover), „Deutsche Woche“ (München), „Deutsche Volkszeitung“ (Düsseldorf), „ Die Andere Zeitung“ (München). Die Aufarbeitung dieses Abschnitts seines Lebens war Walter sehr wichtig. Er hegte keine Rachegefühle, aber er wollte Gerechtigkeit, auch für sich.

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Die Verurteilung in diesem politischen Prozess ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht haltbar. Eine Rehabilitierung hat bis heute nicht stattgefunden. Im Jahr 2001 erhielt Walter das Bundesverdienstkreuz. Die Verleihungsformel lautet – „Walter Timpe hat sich um die Bundesrepublik Deutschland verdient gemacht.“ Diese Aussage ist nur zu unterstreichen. Trotz dieser Erfahrungen war Walter ein Mensch von ansteckender Lebensfreude; z. B. der „Kölner Karneval“ war ihm wichtig, andere Formen des Narrentums auch die in Hannover, nahm er schlichtweg nicht zur Kenntnis. Trübsal blasen und Nörgeleien waren ihm fremd. Jeder von uns hat Gelegenheiten erlebt, in denen Walter uns zum Lachen und zum Lächeln brachte. Davon gab es wirklich viele. Die gemeinsamen Wanderungen in Saalbach bleiben unvergessen, wie Walter mit pädagogisch zweifelhaften Geschichten die Kinder zur Tisch-Disziplin erzog, und diese es ihm mit großen, strahlenden Augen dankten. Ausgestattet mit einem feinsinnigen Witz, und raumgreifender Gestik bleibt er uns im Gedächtnis. Walter war oft der Mittelpunkt, ohne sich selbst in den Vordergrund zu stellen. Wer von uns vergisst den Moment, als wir nach anstrengender Wanderung die Bergspitze erreichten und Walter ins Gipfelbuch schrieb, „Liebe Irmgard, nächstes Jahr bist du wieder dabei, dann machen wir die Tour gemeinsam“. Walter war ein Meister der Worte, der tiefgründige Ironie und auch derben Zynismus beherrschte, ohne je den Punkt der Peinlichkeit zu überschreiten. Walters Absicht war es nie, den politisch Andersdenkenden menschlich zu verletzten, aber er wollte die Dinge auf den Punkt bringen. Ausflüchte und Schwafeleien waren ihm verhasst. Freundschaft hat Walter viel bedeutet. Walter benutzte das Wort Freund allerdings selten, er wollte Freundschaft, der er vertrauen konnte. Walters Freundschaft war ein Geschenk, eine Bereicherung für jeden von uns. Zum Abschied lieber Walter, ein persönlicher Gruß von einem Deiner Freunde in unser aller Namen. Schade Walter, ich hätte gern noch einmal genossen mit dir und den Freunden über den Wolken zu wandern. Jeden Stein hättest du im Zweifel mit deinem Witz aus dem Weg gerollt, jeden Widerstand auch noch mit deinem charmanten Lächeln überlisten wollen, jetzt müssen wir alleine gehen, aber in unserem Herzen und Gedanken bist Du stets dabei.

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Protokollführung: Gundolf Algermissen, Abteilungsleiter im DGB-Bezirk NBS Technische Umsetzung und Bildbearbeitung: Gunda Jortzig, PCA beim DGB-Bezirk