Biotechnologische Leckerbissen || Stumpfe Wunderwaffe(1)

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Am 11. Dezember 1945 geschah etwas Unge- wöhnliches: Der frisch- gebackene Nobelpreis- träger Sir Alexander Fleming (1881-1955) warnte am Ende seiner Dankesrede deut- lich vor den Risiken seiner eigenen Entdeckung. Den Nobelpreis erhielt Fleming gemeinsam mit Howard Florey aus Australien und Ernst Boris Chain. Chain arbeitete in Berlin an der Universität und der Charité, floh als Jude aber 1933 nach Großbritannien. Dort in Oxford kultivierten die beiden den Schimmelpilz Penicillium notatum, der das nach ihm benannte Penicillin produziert. Der Wunderpilz bildet in Bakterienkulturen im Labor bekanntlich um sich herum eine tote Zone. Er tut das aus blan- kem Futterneid: So werden elegant die bakteriellen Nah- rungskonkurrenten ausgeschaltet. Das Medikament stand gerade noch rechtzeitig zur Verfü- gung, um im Zweiten Weltkrieg vermutlich Zehntausenden von verwundeten Soldaten der Alliierten das Leben zu retten. Die Warnung Flemings: »Es besteht die Gefahr, dass der Ig- norant Mensch einfach Penicillin unterdosiert, die Mikroben damit nicht tödlichen Dosen aussetzt, und die Überlebenden somit resistent gegen Penicillin sind.« Und so kam es. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt heute, 66 Jahre später, vor resistenten Bakterien. Die multiresistenten Keime verursachen allein in Europa jährlich schätzungsweise 25 000 Tote und 1,5 Milliarden Euro Kosten. Tatort Hongkong: Ich gehe mit einer leichten Erkältung zum Doktor. Mein chinesischer Arzt verschreibt mir sofort starke Antibiotika. Ich sage ihm, dass meine Viren damit gar- antiert nicht bekämpft werden. Doch das weiß er schon. Warum sind Viren geschützt? Bakterien sind Einzeller, die Stumpfe Wunderwaffe(1) 16.04.11 82 R. Renneberg, V. Berkling, Biotechnologische Leckerbissen, DOI 10.1007/978-3-642-37111-0_25, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

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Am 11. Dezember 1945geschah etwas Unge-wöhnliches: Der frisch-gebackene Nobelpreis-träger Sir Alexander

Fleming (1881-1955) warnte am Ende seiner Dankesrede deut-lich vor den Risiken seiner eigenen Entdeckung.

Den Nobelpreis erhielt Fleming gemeinsam mit HowardFlorey aus Australien und Ernst Boris Chain. Chain arbeitetein Berlin an der Universität und der Charité, floh als Jude aber1933 nach Großbritannien. Dort in Oxford kultivierten diebeiden den Schimmelpilz Penicillium notatum, der das nachihm benannte Penicillin produziert.

Der Wunderpilz bildet in Bakterienkulturen im Labor bekanntlich um sich herum eine tote Zone. Er tut das aus blan-kem Futterneid: So werden elegant die bakteriellen Nah-rungskonkurrenten ausgeschaltet.

Das Medikament stand gerade noch rechtzeitig zur Verfü-gung, um im Zweiten Weltkrieg vermutlich Zehntausendenvon verwundeten Soldaten der Alliierten das Leben zu retten.

Die Warnung Flemings: »Es besteht die Gefahr, dass der Ig-norant Mensch einfach Penicillin unterdosiert, die Mikrobendamit nicht tödlichen Dosen aussetzt, und die Überlebendensomit resistent gegen Penicillin sind.«

Und so kam es. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO)warnt heute, 66 Jahre später, vor resistenten Bakterien. Diemultiresistenten Keime verursachen allein in Europa jährlichschätzungsweise 25 000 Tote und 1,5 Milliarden Euro Kosten.

Tatort Hongkong: Ich gehe mit einer leichten Erkältungzum Doktor. Mein chinesischer Arzt verschreibt mir sofortstarke Antibiotika. Ich sage ihm, dass meine Viren damit gar-antiert nicht bekämpft werden. Doch das weiß er schon.

Warum sind Viren geschützt? Bakterien sind Einzeller, die

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82R. Renneberg, V. Berkling, Biotechnologische Leckerbissen,DOI 10.1007/978-3-642-37111-0_25, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

sich durch Zellteilung vermehren. Penicillin hemmt die Bil-dung der Zellwände nach einer Teilung.

Es wird mit seinem Lactam-Ring von den Bakterien-Töch-tern irrtümlich in die neue Wand eingebaut, die dann nichthält und aufgrund des osmotischen Drucks platzt.

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Viren aber haben keine Zellwände und auch keinen derar-tigen Stoffwechsel. Sie schalten sich gezielt in den Stoffwech-sel der Zellen ein, »kapern« das DNA-Kommando zurEiweißproduktion und erzeugen Hunderte ihrer Kopien.

Sie sind sozusagen blanke DNA-Information; Penicillinkann ihnen nichts anhaben.

Mein Arzt meint aber: »Sicher ist sicher!« und verschreibtes trotzdem. Sicher? Haha! In China enthält bereits normalerHustensaft Antibiotika.

Ich frage in der Vorlesung meine Studenten, wie lange sienormalerweise Antibiotika nehmen. »Na, bis es uns bessergeht...« Das ist hier die übliche Antwort. Sie führen die Anti-biotikabehandlung nie zu Ende, wie kurzsichtig!

Warum werden also Bakterien zu antibiotikaresistenten»Superbazillen«, gegen die kein Kraut gewachsen ist?

Wegen unserer Mikroben-Angst, unserer Faulheit und derProfitgier von Big Pharma!

Rund die Hälfte der gesamten Antibiotika-Produktion gehtnach Angaben der WHO heute in die Agrarwirtschaft, wo siedie Tiere schneller wachsen lassen sollen.

So kann man anhand der resistenten Bakterien moderneDarwinsche Evolution direkt mitverfolgen. Die Anpassung anharsche Umweltbedingungen, das Überleben der jeweiligenSieger.

Zweifellos erstaunlich ist dennoch, dass trotz 65 Jahren derAntibiotika-Routine bisher keine globale Epidemie Antibiotika-resistenter Bakterien auftrat. Aber vor Fukushima habe nichtnur ich gedacht, dass japanische Kernkraftwerke supersicherwären...

Doch wie sagte Meister Bert Brecht in einem Gedicht?

»Gelobt sei der Zweifel!«