Böll THEMA, 1-2007: Grüne Marktwirtschaft · 2019. 9. 13. · VON ERIC HEYMANN...

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DAS MAGAZIN DER HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG THEMA AUSGABE 1, 2007 4 EURO böll GRÜNE MARKTWIRTSCHAFT Die große Transformation

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DAS MAGAZIN DERHEINRICH-BÖLL-STIFTUNG THEMAAUSGABE 1, 20074 EURO böll

GRÜNE MARKTWIRTSCHAFTDie große Transformation

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WELCHEN PREIS HAT EIN STABILES KLIMA? ZUR ZUKUNFT DES EMISSIONSHANDELS, 11.–12. Mai, KonfBerlin. Mit R. Harms (MdEP), Prof. C. Jaeger (PIK), J. Göppel (CSU), M. Kauch (FDP), E. Heymann (DeutscheResearch), R. Loske (MdB), Dr. N. Walter (Deutsche Bank) u.a. Kooperation: Förderverein Ökologische SteuerreforINFO: www.boell.de/emissionshandel

mit dem Aufbau „grüner“ ProduktliniGrünen selbst entdeckten, dass geradnötig ist, um die Wachstumschancen aAnbieter ins Spiel zu bringen. In den sich grüne Umweltpolitik neben dem

nen Perspektiven. Wir stellen Akteure, Strategien und Instrumente elen Revolution vor, die das Zeug zu einem grünen Wirtschaftswunder

2Editorial

Ökologische Ordnungspolitik

Als die amerikanischen Öko-Pioniere Amory und Hunter Lovins gemeinsam mit demUnternehmensberater Paul Hawken vor einigen Jahren ihr Werk „Natural Capitalism“veröffentlichten, nahm es in Europa kaum jemand zur Kenntnis. Die Vision eines „Öko-Kapitalismus“ schien bei uns nicht anschlussfähig. Dass „wirtschaftlicher Fortschritt ambesten in am Markt orientierten Produktions- und Vertriebssystemen“ stattfindet, „in denen alle Formen des Kapitals berücksichtigt werden, d. h. menschliches, produziertes,finanzielles und natürliches Kapital“, war für große Teile der grünen Bewegung ein frem-der Gedanke. Ihre Erwartungen richteten sich in erster Linie auf den Staat. Wenn der Kapitalismus, der sich gerade bis nach Russland und China ausbreitete, schon auf abseh-bare Zeit nicht abzuschaffen war, galt es zumindest, ihn einzudämmen und den Bereichstaatlicher Regulierung immer weiter auszudehnen. Dass offene Märkte ein hoch effi-zientes Innovationssystem sind und Unternehmen zu Vorreitern der ökologischen Wen-de werden könnten, galt vielen als neoliberale Verirrung.In den letzten Jahren hat ein Wandel im Verhältnis zur Marktwirtschaft eingesetzt. Einebeträchtliche Anzahl von Umweltaktivisten wurde selbst zu erfolgreichen Unternehmern,gründete Wind- und Solarfirmen, Investmentfonds und Beratungsfirmen. Die alternativeEnergiebranche wuchs zu einem Wirtschaftszweig, der allein in der Bundesrepublik überdreißig Milliarden Euro im Jahr umsetzt. Und immer mehr Großunternehmen beginnen

iner neuen industriel- hat. Dabei geht es uns

ess zu befördern.

BESONDERER TIPP | NEWS

ENERGIE FÜR STÄDTE, BERICHT ZUR LAGE DER WELT 2007, 3. Mai, 20.00 Uhr, Buchvorstellung, Auf der Galerie. MitCh. Flavin, (Vorstand Worldwatch Institute, angefr.), U. Nitschke (Germanwatch), R. Fücks (Vorstand Heinrich-Böll-Stif-tung) u.a. Kooperation: Germanwatch, Worldwatch Institute, Verlag Westfälisches Dampfboot INFO: [email protected]

nicht darum, Gewissheiten zu verkünden, sondern einen offenen SuchprozRALF FÜCKS, VORSTAND DER HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG

en und eines effizienten Umweltmanagements. Diee im hoch zentralisierten Energiesektor mehr Marktlternativer Energien zu verbessern und dezentrale

sieben Jahren rot-grüner Regierung konzentrierteAtomausstieg vor allem auf marktorientierte Instru-mente: Öko-Steuern und CO2-Abgaben, die Liberalisierung des Energiesektors sowie dieFörderung erneuerbarer Energien. Auch die Verbraucherpolitik war auf mehr Markttrans-parenz und Wahlfreiheit gerichtet, um die Rechte der Kundinnen und Kunden zu stärken. Der gemeinsame Nenner für diese Maßnahmen heißt „ökologische Ordnungspolitik“: Poli-tik soll die Eigeninitiative von Unternehmen und Konsumenten nicht ersetzen, sondern inumweltfreundliche Bahnen lenken. Der Staat ist in diesem Konzept ein wichtiger, aber nichtder einzige Akteur. Die ökologische Wende entsteht aus der Interaktion von Politik, Unter-nehmen, Wissenschaft, Verbrauchern und Öffentlichkeit. Das ist kein konfliktfreier Prozess,weil dem Kurswechsel sowohl die Macht der Gewohnheit wie mächtige Geschäftsinteressenim Weg stehen. Ohne bindende Zielvorgaben geht die Veränderung in vielen Bereichennicht schnell genug voran – die Autoindustrie ist dafür ein trauriges Beispiel. Aber umge-kehrt gilt auch, dass ohne die Innovations- und Investitionskraft der Unternehmen derQuantensprung aus dem fossilen Zeitalter in die Epoche erneuerbarer Energien und Werk-stoffe nicht gelingen wird. Es stimmt, dass dieser Wandel bisher viel zu langsam vor sichgeht. Aber wir sollten darüber nicht die Ansatzpunkte für eine ökologische Transformationdes Kapitalismus aus den Augen verlieren. Wenn uns der Klimawandel nur noch eine kurzeFrist lässt, um gegenzusteuern, gibt es ohnehin keine ernsthafte Alternative dazu, die Märktefür grüne Ziele einzuspannen. Das vorliegende Heft behandelt das Thema „ökologische Marktwirtschaft“ aus verschiede-

erenz, Bank m.

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Das Heft erscheint dreimal imJahr. Einzelausgabe: 4 Euro (inklusive Versand), zu bestellenbei oben genannter Adresse.

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2 Inhalt

Die Herausforderung4 DIE GROSSE TRANSFORMATION Kann die ökologische Wende des Kapitalismus gelingen?

VON RALF FÜCKS UND KRISTINA STEENBOCK

9 ZEIGEN, WIE’S GEMACHT WIRD Der europäische Weg der Klimapolitik. Ein optimisti-scher Kommentar zum EU-Klimagipfel in Brüssel VON JENNIFER MORGAN

10 ABSCHIED VOM RIGORISMUS Über das Verhältnis von Verboten, Lebensstilen und Einsichten sprachen Fritz Kuhn und Wolf Lotter. MODERATION: DIETER RULFF

14 EIN NEUER NEW DEAL „Ökologische Industriepolitik ist die strategische Antwort auf diezentralen Herausforderungen der Zeit“. VON MATTHIAS MACHNIG

16 POLITISCHE INNOVATIONEN SIND GEFRAGT Internationale Klimapolitik nach Kyotound die Grenzen der grünen Marktwirtschaft. VON GOTELIND ALBER

18 „DERZEIT WERDEN SO VIELE UMWELTMASSNAHMEN DISKUTIERT UND VERAB-SCHIEDET...“ Der Nationale Volkskongress in China hat getagt. VON YU JIE

20 WARUM WIR DIE CO2-REDUKTIONSZIELE WOHL NICHT ERREICHEN WERDENDie Zielkonflikte sind nicht gelöst. VON ACHIM BRUNNENGRÄBER

Die Akteure22 GRÜN IST GRÜN – WIE DER DOLLAR Durch die Vereinigten Staaten rollt eine grüne Welle.

VON MARC BERTHOLD

24 „ICH FÜHLE MICH GUT“ Konsumentenmacht als Lebensstil. VON SVEN SIEDENBERG

25 BELLEN UND BEISSEN Konsumentenmacht durch Verbraucherorganisationen.VON KLAUS MÜLLER

27 BLAUE ENGEL, BIO-SIEGEL, FAIR TRADE – woran erkennt man, was gut ist?VON VOLKMAR LÜBKE

28 „GUTES GEWISSEN RENTIERT SICH“ Gespräch über grüne Geldanlagen mit Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur von Finanztest. VON HANNES KOCH

Wege und Mittel30 PROBLEMLÖSUNGEN DURCH WETTBEWERB „Ein detaillierter Gesamtplan für eine

Energiewendewirtschaft ist nicht realisierbar.“ VON FELIX C. MATTHES

32 MÄRKTE SIND GUTE DIENER, ABER SCHLECHTE HERREN Bausteine ökologischerMarktwirtschaft. VON JÖRG HAAS

34 REVOLUTION DER EFFIZIENZ Über die Potenziale ökologischer Innovationen.VON ORTWIN RENN

35 GRÜN IST DIE DIENSTLEISTUNG VON SILKE KREBS

Mittel und Wege 37 ÖKOSTEUERN Das effizienteste Instrument. VON ANSELM GÖRRES

38 EMISSIONSHANDEL Das vielleicht international wichtigste Instrument der Klimapolitik.VON ERIC HEYMANN

Heinrich-Böll-Stiftung39 HINWEISE Projekte und Publikationen.

IMPRESSUM

HERAUSGEBERHeinrich-Böll-StiftungHackesche HöfeRosenthaler Straße 40/4110178 BerlinFon 030-285 34-0Fax 030-285 34-109E-Mail: [email protected]/thema

REDAKTIONSLEITUNGElisabeth Kiderlen

REDAKTIONSASSISTENZEvelyn Hartig

MITARBEITRalf Fücks, Annette Maennel(V.i.S.d.P.), Jörg Haas, Peter Siller

ARTCONCEPTBüro Hamburg / Jürgen Kaffer, Sandra Klostermeyer

GESTALTUNGKerstin Bigalke

DRUCKDruckerei Conrad,Berlin

PAPIERInhalt: Envirotop, matt hochweiß, Recyclingpapier aus 100% Altpapier Umschlag: Enzocoat

BEZUGSBEDINGUNGEN rbis

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Die Herausforderung4

DIE GROSSE

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TRANSFKann die ökologische Wende des Kapitalismus

OI DIE AUFGABE. Spätestens seit dem Report des britischen Regie-

rungsökonomen Nicolas Stern wissen wir, dass der Klimawan-del nicht nur ein ökologisches Risiko erster Ordnung darstellt:auch die ökonomischen Risiken sind gewaltig. Falls das Rudernicht rasch herumgeworfen wird, werden die hausgemachten „Na-

turkatastrophen“, die mit einem exponentiellen Anstieg der Tem-peraturen einhergehen, zu einer massiven Vernichtung wirtschaft-licher Werte führen. Dagegen schätzt Stern die Kosten für effektivenKlimaschutz auf ca. ein Prozent der globalen Wertschöpfung pro

gelingen?

MAVON RALF FÜCKS UND KRISTINA STEENBOCK

TIONJahr. Ihnen stehen enorme Wachstumspotenziale auf dem Feld der„green economy“ gegenüber. Fazit: Investitionen in Klimaschutzsind volkswirtschaftlich hoch rentabel – und sie können zum Aus-löser eines grünen Wirtschaftswunders werden.

Das klingt fast wie die Quadratur des Kreises: Ökologie als

Jungbrunnen der Ökonomie. Aber dahinter steckt eine gewaltigeHerausforderung. Es geht um die Reduzierung der globalen CO2-Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts um 50 Prozent; das ent-spricht einer Reduktion in den „alten“ Industriemetropolen in
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einer Größenordnung von 80–90 Prozent. Das bedeutet nichts we-niger als eine neue industrielle Revolution. In den letzten 150 Jah-ren hat sich der Kapitalismus die fossilen Energierohstoffe der Er-de einverleibt: Kohle, Öl, Gas. Dieses Entwicklungsmuster ist jetztan seine ökologische Grenze gestoßen – nicht durch die physischeErschöpfung dieser Rohstoffe, sondern durch das Übermaß anKohlendioxid, das durch ihre Verbrennung freigesetzt wird. Jetztmuss innerhalb weniger Jahrzehnte der Übergang zu einer nach-haltigen Wirtschaftsweise vollzogen werden, die auf erneuerbarenEnergien und geschlossenen Stoffkreisläufen basiert.

Politische Zielvorgaben und rechtliche Normen sind unver-zichtbar, um die Dynamik des Marktes in eine ökologische Richtungzu lenken. Aber sie können die Kreativität der Marktwirtschaftnicht ersetzen, in der Millionen und Abermillionen von Produzen-ten und Konsumenten eigenverantwortlich handeln. Unterneh-men und Verbraucher müssen selbst zu Akteuren der ökologi-schen Innovation werden.

IIÖKOKAPITALISMUS – EIN WIDERSPRUCH IN SICH? Von KarlMarx stammt der berühmte Satz „Der Kapitalismus ruiniert

die Springquellen des Reichtums, auf denen er beruht: den Arbei-ter und die Natur“. Das war scharfsinnig beobachtet. Man muss die

Christopher Muller: Musical Chairs, 1995

Aussage allerdings als Analyse einer Tendenz, nicht als unumstöß-liche „Gesetzmäßigkeit“ lesen. Denn der Kapitalismus ist ein lern-fähiges, evolutionäres System, das bisher noch jede Opposition inInnovation verwandelt hat.

Als erste historische Antwort auf die zerstörerischen Tendenzendes Kapitalismus trat im 19. Jahrhundert die Arbeiterbewegung aufden Plan, und mit ihr die Sozialdemokratie als ihr politischer Aus-druck. Ihr Projekt war die soziale Zivilisierung des Kapitalismus. Sieerkämpfte ein weitverzweigtes Netz von Institutionen: Gewerk-schaften, Genossenschaften, Sozialversicherungen, berufliche Bil-dung, Arbeitsgesetzgebung, Tarifverträge, Mitbestimmung etc.

Im Ergebnis stiegen Lebenserwartung und Lebensstandard derarbeitenden Klassen auf breiter Front, der Anstieg der Massen-kaufkraft führte zur modernen Konsumgesellschaft. Zwar ist die so-ziale Einhegung des Kapitalismus ein immer wieder umkämpfter,von Rückschlägen bedrohter Prozess, aber sie ist entgegen aller Unkenrufe auch im Zeitalter der Globalisierung nicht außer Kraftgesetzt. Gerade in den neuen Industrieländern steigen Bildungs-

niveau und Massenkaufkraft, gleichzeitig wächst mit den modernenTechnologien und Dienstleistungen auch die Nachfrage nach qua-lifizierter Arbeit und die Bedeutung des „Humankapitals“ für dieWirtschaft. Ob die Analogie zur sozialen Marktwirtschaft trägt,
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6 Die Herausforderung

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muss sich noch erweisen. Aber wer genau hinsieht, findet viele An-zeichen dafür, dass die ökologische Modernisierung des Kapitalismusbereits begonnen hat. Wenn es stimmt, dass im Wettlauf mit der Klimakatastrophe nur eine kurze historische Frist bleibt, gibt es dazu auch keine ernsthafte Alternative.

IIIDAS NEUE WÄCHST IM SCHOSS DES ALTEN. Es geht uns nichtum Spekulationen, sondern um einen geschärften Blick

für neue Entwicklungen und Akteure, die zur ökologischen Trans-formation der Wirtschaft beitragen:■ Zahl und politische Reichweite zivilgesellschaftlicher Organisa-tionen haben in den letzten zwei Jahrzehnten enorm zugenommen.Während 1992 bei der Weltkonferenz in Rio de Janeiro noch 1400Nichtregierungsorganisationen akkreditiert waren, waren es in Johannesburg 2002 bereits 3000. NGOs sind heute internationalvernetzt und haben Zugang zu Medien und politischen Instanzenin vielen Ländern. Mit ihrer Fähigkeit zur Skandalisierung fungie-ren sie als Wächtersystem gegenüber transnationalen Unternehmen.

■ Das „Reputationsrisiko“ ist vor allem bei Konzernen, die im kon-sumnahen Bereich tätig sind und einen Markennamen zu verlierenhaben, einsenwert re

gien und ökologische Dienstleistungen zu einem Wachstumsmarktwurden, der Kapital anzieht und Arbeitsplätze schafft.

tuelle Diskussion über den Klimawandel signalisiert selbsten Unternehmen, dass sie nicht mehr auf eine fortgesetzte Fo

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harter ökonomischer Faktor. Ihre Umsätze und ihr Bör-agieren empfindlich auf Rufschädigungen. Internationa-

■ Die akhartleibig

VITA | PUBLIKATIONEN

RALF FÜCKS ist seit 1996 im Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. 1980/90war er Bundesvorsitzender der Grünen Partei, 1991 Bremer Umweltsenator.Arbeitsschwerpunkte: Gesellschaftspolitik, Migration, Zukunft Europas.

KRISTINA STEENBOCK ist Beraterin für Non-Profit-Organisationeternehmen in Berlin, ehrenamtliches Vorstandsmitglied von GermanSprecherin des Aufsichtsrats der Heinrich-Böll-Stiftung. Davor hJahre in diversen Funktionen für Greenpeace gearbeitet.

le Kampagnen wie „Nestlé tötet Babies“, die Brent-Spar-Aktion vonGreenpeace oder die Kampagne gegen ausbeuterische Zustände inden Produktionsstätten von Nike haben Unternehmensleitungenzur Veränderung ihrer Geschäftspolitik gezwungen. ■ Umweltrisiken, insbesondere die Abhängigkeit von fossilen Roh-stoffen, werden zunehmend zum ökonomischen Risiko. Gleichzei-tig führen langfristig steigende Preise für Rohstoffe und Energie zueinem effektiveren Ressourcenmanagement. Die Verknappunund Verteuerung von CO2-Emissionsrechten wird diesen Prozessbeschleunigen. Ein energieintensives Unternehmen, das keineStrategie vorweisen kann, seine Emissionen zu reduzieren, gefähr-det seinen Unternehmenswert. ■ Der internationale Aufstieg der grünen Bewegung hat zur In-stitutionalisierung des Umweltschutzes auf breiter Front geführtUmweltministerien, Grenzwerte, Umweltabgaben, Ökosteuern,Förderprogramme (wie das Erneuerbare Energien-Gesetz), Um-weltverträglichkeitsprüfungen und Zertifizierungen haben wieder-um dazu beigetragen, dass Umwelttechnologien, alternative Ener-

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nehmen, sich diesen Fragen zu stellen. Auch die großen Rückver-sicherer sind zu Verbündeten im Kampf gegen die Erderwärmunggeworden, weil die Hurrikan-Schäden astronomische Größenord-nungen angenommen haben.

Christopher Muller: StilllebenSeit mehr als 20 Jahren beschäftigt sich der in England aufgewachsene und jetzt in Deutschland lebende Christopher Muller mit der Welt unserer Alltagsdinge. Ur-sprünglich von der Malerei her kommend hat er sehr bald die Vorteile der Fotogra-fie für sich entdeckt. Sie kann für die Dinge einen neutralen Rahmen bereitstellen undgleichzeitig einen enormen Wirklichkeitseffekt ausüben. Mullers Stilllebenfotogra-fien bilden die Dinge in Realgröße ab. Man glaubt sie förmlich greifen zu können. DieDinge treten aus ihrer Unscheinbarkeit heraus und zeigen ihre zumeist überseheneSchönheit. Muller benutzt für seine Bilder keine neuen Dinge. Er selber muss sie vor-her ausgiebig kennen gelernt haben, um ihre unterschiedlichen Seiten richtig einzu-schätzen. Die Dinge haben Gebrauchsspuren, sie sind aber nicht abgenutzt. Mullerinteressiert nicht ihre äußere Perfektion, auch nicht ihre Langlebigkeit, sondern ihreigenes, stilles Wesen. Perfekt gleichmäßig ausgeleuchtet baut er nach sorgfältigen kompositorischen Vor-studien seine Arrangements auf. Mit ihnen erzählt Muller keine Geschichten und do-kumentiert auch keinen Alltag. Dass sich eine Weinflasche in einem Haushalt in di-rekter Nachbarschaft zu einem Kuschelhasen befindet, ist nicht zu vermuten. SeineStillleben haben sehr viel damit zu tun, wie wir Dinge als Individuen benutzen, grei-fen, streicheln, stellen, einordnen, liegenlassen. Jeder Haushalt hat seine eigenen Ord-nungen, die eher etwas über die emotionale und psychische Situation der Bewohnerals über die Funktionalität der Dinge selber erzählen. Wir lieben bestimmte Farben,Formen, Größen. Dennoch sind Mullers Stillleben keine Psychogramme einzelner Per-sonen. Sie funktionieren stark auf einer visuellen Ebene, auf der die unterschiedli-chen Dominanzen von Farbe, Form und Linie miteinander konkurrieren. Die beson-

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dere Kunst in seinen Arrangements ist allerdings, dass sie völlig selbstverständlichwirken und dass kein Gegenstand ein Übergewicht über den anderen hat. Hier herr-

My Little Rabbit, 1996

Ignoranz gegenüber globalen Umweltproblemen setzen können.Wer die ökologische Trendwende verpasst, wird von den Märktenabgestraft – siehe die Krise der US-Autoindustrie. Das setzteinen Innovationswettlauf für mehr Ressourceneffizienz und um-weltverträgliche Produkte in Gang, der nach und nach alle Branchenerfasst. ■ Eine neue Generation von Managern erlebt in ihrer Ausbildung,dass „Corporate Social Responsibilty“ und Ökomanagement selbst-verständliche Bestandteile ihres Berufsbilds sind. Heutige Ausnah-meerscheinungen wie der neue US-Finanzminister, der als Chair-man von Chase Manhattan zugleich Präsident einer der größtenamerikanischen Naturschutzorganisationen war, müssen keineAusnahmen bleiben.■ Die Finanzmärkte reagieren. Investoren, die auf die mittel- undlangfristige Stabilität ihres Anlagekapitals angewiesen sind, wiezum Beispiel die großen Pensionsfonds in den USA, beziehen zu-nehmend klimarelevante, ökologische und soziale Kriterien in ihre Entscheidungen ein. Sie erhöhen damit den Druck auf Unter-

■ Grünes Wagniskapital: Vor allem in den USA, dem Mutterland pri-vaten Wagniskapitals, ist eine grüne Welle bei Unternehmensbetei-ligungen und Gründungsfinanzierungen zu beobachten. Allein imSektor alternativer Energien wurden dort im letzten Jahr runddreißig Milliarden USD investiert. „Grüne“ Investmentfonds boo-men. Auch das spricht dafür, dass die nächste große Innovations-welle im ökologischen Bereich stattfinden wird.

Viele dieser Veränderungen stehen noch am Anfang, und fürsich genommen reichen sie nicht aus, um eine ökologische Wen-de in der nötigen Geschwindigkeit herbeizuführen. Aber sie verwei-sen auf neue Potenziale, Akteure und Allianzen, auf die wir uns beziehen können.

IVNEUE ALLIANZEN: „MULTISTAKEHOLDER“-INITIATIVEN. Als„liberalization’s unexpected consequences“ bezeichnet ein

Artikel in der Harvard Business Review die zunehmende Kooperati-on von internationalen Unternehmen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen. So arbeiten 90 Unternehmen mit einem Gesamt-

scht eine wirkliche Demokratie zwischen den Dingen. VON ROLF HENGESBACH

Die Illustrationen dieser Ausgabe sind von Christopher Muller

jahresumsatz von 400 Mrd. USD zusammen mit Transparency International in der Anti-Korruptions-Initiative PACI. Die Interna-tional Union for the Conservation of Nature schließt Verträge mit Unternehmen über Konsultationen bei Investitionsprojekten und

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8 Die Herausforderung

zur Weiterbildung von Mitarbeitern. ABN Amro, die größte hollän-dische Bank, entwickelt zusammen mit Accion International Mikro-finanzmodelle in Lateinamerika. BP kooperiert mit indischen NGOsbei Entwicklung und Vertrieb eines hocheffizienten Kleinofens fürden privaten Gebrauch in ländlichen Gebieten, der die berüchtig-ten Atemwegserkrankungen beim herkömmlichen Verfeuern vonBiomasse verhindert. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Spannender noch als die Einzelkooperation von Unternehmenund NGOs ist die wachsende Zahl von Initiativen, die auf eine kooperative Regulierung der Märkte zielen. Sie setzen da an, wo staat-liche Regulierung wegen fehlender internationaler Übereinstim-mung nicht greift. Zu den wichtigsten gehören: ■ Extractive Industry Transparency Initiative: Eine Kooperation der

marktführenden Öl- und Gaskonzerne, institutioneller Investo-ren, NGOs, Regierungen und Entwicklungsbanken mit demZiel, Transparenz-Standards für die Geldflüsse aus Öl- und Gas-projekten in ressourcenreichen Ländern festzulegen

■ Ethical Trading Initiative und Fair Labor Association: 111 Unterneh-men (u.a.: Puma, Reebok, Adidas, Nike, H+M, Levi Strauss,Marks and Spencer, BodyShop, Chiquita) die sich auf die Einhal-tung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorgani-sation (ILO) verpflichtet haben

■ Kimberley-Process: Ein Zertifikatssystem für Rohdiamanten, dasalle Marktakteure umfasst, um das Problem der „Blut-Diaman-ten“ in den Griff zu bekommen

■ Forest Stewardship Council: Ein Zertifizierungssystem für Holzund Holzprodukte, das inzwischen fast zehn Prozent der kom-merziellen Waldflächen erfasst. Zu den Abnehmern der FSC-Pro-dukte gehören heute u.a. Random House Group („Harry Potterauf FSC“) und der größte US-Baumarkt Home-Depot.

VDER FINANZMARKT ALS SEISMOGRAPH. Für jeden internationaltätigen Konzern ist die Bewertung durch institutionelle Inves-

toren, also durch die potenziellen Geldgeber, von zentraler Bedeu-tung. Etwa seit dem Jahr 2000 ist eine zunehmende Relevanz vonNachhaltigkeits-Indikatoren für das Rating von Unternehmen zu be-obachten. Pensionsfonds sprechen inzwischen von einer „fiduciaryduty“ (Treuhänderpflicht), Nachhaltigkeitskriterien in ihre Anlage-strategie einzubeziehen, um das Risiko für ihre Anleger zu redu-zieren. Damit ernst gemacht hat im vergangenen Jahr der weltgröß-te Pensionsfonds TIAA-CREF: Er verkaufte seine Coca Cola-Anteile(Marktwert 52,4 Mio. USD), nachdem bekannt wurde, dass der Konzern gegen Kinderschutz, ILO- und Umweltstandards ver-stoßen hatte.

Der bislang erfolgreichste Zusammenschluss institutioneller

Investoren ist das Carbon Disclosure Project (CDP), das sich auf kli-marelevante Risiken und Daten konzentriert. Seit seiner Grün-dung im Jahr 2000 ist das CDP von 25 auf 211 Investoren gewach-sen und hat heute ein Anlagevolumen von sagenhaften 31 Billionen

USD. CDP befragt regelmäßig die 500 weltweit größten börsen-notierten Unternehmen zu Treibhausgasemissionen und Emissi-onsminderungs-Programmen. Die Tätigkeit des CDP hat den Druckauf Börsenaufsicht, Unternehmensleitungen und Wirtschaftsprü-fer verstärkt, transparente Berichtsstandards zu Klimarisiken zu ent-wickeln.

MVIWAS KANN, WAS MUSS POLITIK BEWIRKEN? it den neuenDynamiken in der Unternehmenswelt, dem Auftreten neu-

er Akteure und Allianzen wird staatliche Regulierung nicht über-flüssig. Originäre Aufgabe der Politik bleibt, den Märkten ökologischeZielvorgaben und einen ökologischen Ordnungsrahmen zu geben. ImKern geht es um Erwartungssicherheit hinsichtlich umweltpoliti-scher Ziele, an denen die Unternehmen ihre Investitionen ausrich-ten müssen, sowie um Kostenwahrheit durch die Einbeziehung öko-logischer Folgekosten in die Preise für Energie, Produkte undDienstleistungen. Die Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen, das bleibt das A und O einer ökologischen Marktwirtschaft.Die wichtigsten Hebel staatlicher Politik, um diese Transformationzu beschleunigen, sind deshalb:■ Umstellung des Steuer- und Abgabensystems von der Besteue-

rung der Arbeit auf Ressourcensteuern ■ Einführung eines effektiven Emissionshandelssystems, zunächst

auf europäischer, im nächsten Schritt auf globaler Ebene■ Verbindliche Zielkorridore für Energieeffizienz und erneuerba-

re Energien, flankiert durch Förderprogramme für Forschungund Entwicklung

■ Stärkung von Verbraucherrechten (Informationspflicht hinsicht-lich der Ökobilanz von Produkten und Materialien, erweitertesHaftungsrecht bei Gesundheitsrisiken)

■ Verankerung internationaler Mindeststandards im Hinblick aufsoziale Rechte und Umweltschutz in Freihandelsabkommen

■ Verstärkter Transfer umweltfreundlicher Technologien in dieEntwicklungsländer, um deren wirtschaftliches Wachstum inökologische Bahnen zu lenken.

Machen wir uns keine Illusionen: Allein der absehbare Zuwachs derWeltbevölkerung auf ca. 9,2 Milliarden Menschen wird das globa-le Wirtschaftswachstum weiter ankurbeln. Die entscheidende Her-ausforderung besteht deshalb darin, ein wachsendes Volumen anGütern und Dienstleistungen mit einer drastischen Minderungdes Naturverbrauchs zu kombinieren. Ohne konsequente staatlicheund globale Ordnungspolitik wird das nicht gelingen. Aber die öko-logische Transformation der Marktwirtschaft kann nicht nur „vonoben“ erfolgen. Sie muss durch eine ökologische Dynamik „von

unten“ getragen werden, die Öko-Bauern und High-Tech-Unterneh-men, Erfinder und Investoren, Umweltverbände und aufgeklärteKonsumenten umfasst. Diese Dynamik zu beschleunigen, daraufmuss (grüne) Politik abzielen.
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ZEIGEN, WIE’S

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Beschlüsse zur Energie- und Klimasicher-heit bringen wird, mit denen sichergestelltwerden kann, dass die globale Durchschnitts-

GEMACHTEin optimistischer Kommentar

Am 8. und 9. März haben sich die Regie-rungschefs der Europäischen Union auf

einen in der Geschichte beispiellosen eu-ropäischen Plan zur Energie- und Klimasi-cherheit, eine „Energiepolitik für Europa“,verständigt. Damit hat Europa erstmals ei-nen einheitlichen Klima- und Energieakti-onsplan verabschiedet und in diesem Sinneeine – gemessen an seinem Ambitions-niveau–gewichtige Führungsrolle übernom-men. Europa kann nun „zeigen, wie es ge-macht wird“ – wie man dem Klimawandelbegegnet und zugleich für Wirtschafts-wachstum sorgen und als Innovationsmotorfungieren kann. Nie zuvor ist von irgend-einem anderen Land und einer anderen Län-dergruppe ein vergleichbarer Beschluss ge-fasst worden.

Zu den wichtigsten Zielen und Maßnah-men gehören die folgenden Punkte:

■ Die EU hat sich bereit erklärt, ihre eige-nen Treibhausgasemissionen bis 2020einseitig um mindestens zwanzig Pro-zent unter das Niveau von 1990 zu sen-

ken und diese Emissionen sogar umdreißig Prozent zu reduzieren, sofernsich im Rahmen einer internationalenVe strieländer zu

soll. Dieses Signal der Dringlichkeit von Seiten der Regierungschefs schafft eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass dermultilaterale Prozess vorankommt.

langfristig für kommende Generationen einsetzen können.

Gerne schicken wir Ihnen die Broschüre kostenlos zu und besprechen Ihre FraRegine Walch, Fon 030-285 34-112, [email protected], www.boell.de/spenden

sche Weg der Klimapolitik.VON JENNIFER MORGAN

Nun geht es vor allem darum, die obengenannten Ziele zu Richtlinien für erneuer-bare Energien, Energieeffizienz und dieCO2-Abscheidung und -speicherung fortzu-entwickeln und im Kreis der Mitgliedsstaa-ten weiter über das THG-Ziel zu verhan-deln, damit jedes einzelne Land eine klareVorstellung davon hat, welche Zielvorgabe esbis zum Jahr 2020 erreichen muss.

Außerdem verschafft diese Vereinba-rung Deutschland eine solide Grundlagefür dessen Vorsitz beim G8-Gipfel im Juni,der – so ist zu hoffen – eine Reihe weiterer

temperatur unter der 2°-Marke bleibt.

VITA | PUBLIKATIONEN

JENNIFER MORGAN ist Direkto-rin der Abteilung Klima und En-ergiesicherheit bei der Londoner

Umweltorganisation E3G. Davorwar die Politologin Direktorin desKlimaprogramms bei WWF Inter-national.

reinbarung andere Indu

WIRD Der europäum EU-Klimagipfel in Brüssel

einer vergleichbaren Anstrengung undSchwellenländer zu einem angemesse-nen Beitrag verpflichten.

■ Die EU hat dem verbindlichen Ziel zuge-stimmt, den Anteil erneuerbarer Ener-gien am Gesamtenergieverbrauch inner-halb der EU bis 2020 auf zwanzigProzent zu erhöhen.

■ Die EU hat beschlossen, bis zum Jahr2020 zu einer Einsparung des Energie-verbrauchs in der EU um zwanzig Pro-zent zu kommen.

■ Die EU hat beschlossen, dass bis 2015 ins-gesamt 12 Demonstrationsanlagen zurCO2-Abscheidung und -speicherung fer-tig gestellt werden und dass ab 2020 inneu errichteten Kraftwerken die CCS-Technologie (Carbon Capture and Storage)zum Einsatz kommen soll.

Darüber hinaus haben die Regierungschefsbeschlossen, dass die nächste internatio-nale Verhandlungsrunde, die auf der Archi-tektur des Kyoto-Protokolls aufbauen unddiese ausweiten soll, im Dezember 2007beginnen und bis 2009 abgeschlossen sein

SPUREN HINTERLASSEN

Viele Menschen wünschen sich, auch über den eigenen Tod hinaus, für eine lebenswerte Zukunft zu wirken. Eine Erbschaft ist oftmals der Anlass, sich in aller Ruhe darüber Gedanken zu machen.Was könnte man Gutes tun, welche Ideen und welche Ziele könnte man unterstützen? Vielleicht denken auch Sie daran, Ihre Testaments- und Erbschaftsangelegenheiten zu regeln. Unsere Broschüre „Spuren hinterlassen“ informiert Sie über unsere Arbeit und über die Themen„Erben, Vererben, Stiften“. Sie gibt Ihnen wichtige Hinweise, wie Sie sich mit Ihrem Vermögen

gen mit Ihnen persönlich:

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10 Die Herausforderung

kann der Staat ökolo

»Der Konsgefährdet daFRITZ KUHN

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Dieter Rulff: Herr Kuhn, Ihr Kollege Loske fordert, man dürfe sichangesichts des Klimawandels nicht um die Lebensstilfrage herum-drücken. Ist Konsumverzicht ein probates Mittel gegen den Klima-wandel?

Fritz Kuhn: Grüne Marktwirtschaft heißt für mich, klare ökologischeRahmenbedingungen zu setzen, die einen freien Wettbewerb umdie beste Lösung ermöglichen. Der Staat muss Spielregeln vorge-ben, die umweltgerechten Technologien und Produktionsweisenzum Durchbruch verhelfen und im Gegenzug Verschwendungund Zerstörung der Natur sanktionieren. In einigen Bereichen

gisches Verhalten mit Maßnahmen fördern, et-

--

umstil des Nordenss Klima der ganzen Welt.«

sen von den Menschen kommen, weil mit Vorschriften viel gerin-gere Effekte erzielt werden als mit Einsicht.

Wolf Lotter: Ich höre mit Freude, Herr Kuhn, dass es eine Hinwen-dung zur Eigenverantwortung gibt, was das Umweltbewusstsein an-geht. Wir haben aber eine, auch von den Grünen stark getragene Tra-dition, Verbote als die relevante Größe im Umgang mit der Umweltanzusehen. Der Bürger kommt gar nicht mehr dazu, selbstständigzu agieren, weil er von der Politik gegängelt wird und nach wie vorVorschriften und Verbote das Maß der Dinge in der Umweltpolitiksind. Wir haben einen sehr apokalyptischen Slang in der Debatte,den ich nicht für konstruktiv halte. Man muss umgekehrt fragen:Welche Schritte können wir machen, nicht, um das Schlimmste zuverhindern, sondern um etwas Besseres zu kriegen. Das spielt ausideologischen Gründen nach wie vor keine Rolle.

Dieter Rulff: Positive Schritte hieße, sich der Marktmechanismen zubedienen?

Wolf Lotter: Auch der Marktmechanismen. Der Markt ist in der Tatnicht alles. Wir brauchen einen starken kleinen Staat, der Regelnvorgibt. Keinen der en masse Vorschriften und Gesetze produziert,sondern der sich mit seinen Bürgern auf Ziele einigt, die auch rea-listische Rahmenbedingungen beinhalten. Innerhalb dieser Rah-menbedingungen muss natürlich auch die Kernfrage beantwortetwerden: Was sollen die Energien der Zukunft sein? Wir diskutierenunter dieser Überschrift ständig über eine Energieform, die imIdealfall innerhalb der Europäischen Union zwanzig Prozent des Energiebedarfs abdecken kann. Wir reden aber nicht über Alterna-tiven dazu. Die Atomindustrie profiliert sich jetzt wieder als wich-tigster Kämpfer gegen CO2. Und als einzige Alternative zu präsen-tieren: reduzieren, verzichten, keine neuen Technologien fördern,

das ist den Leuten zu wenig.

Fritz Kuhn: Das ist auch nicht meine Position. Ich will jetzt aber garnicht über die Atomkraft streiten, sondern etwas zum Verhältnis von Fo

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wa beim Wärmeisolieren von Häusern. Darüber hinaus braucht man tatsächlich eine Diskussion über Lebensstil. Wir brauchen Veränderungen des Lebensstils, aber sie müs

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RIGORISMUS

Über das Verhältnis von Verboten, Lebensstilen und Einsichten sprachen der grüneFraktionsvorsitzende Fritz Kuhn und der Wirtschaftsjournalist Wolf Lotter.

Fritz Kuhn: Ich warne davor, die soziale gegen die ökologische Fragezu stellen. Dieses beliebte Spiel kenne ich seit zwanzig Jahren. Immer, wenn jemand eine ökologische Idee hat, heißt es prompt:

MODERATION: DIETER RULFF

Verboten und Lebensstil sagen. Klare Rahmenbedingungen fürden Markt heißt ja nichts anderes, als dass der Staat bestimmt, wasgeht. Zum Beispiel beim Auto Verbrauchsobergrenzen und einvernünftiges Tempolimit. Daneben gibt es Maßnahmen mit posi-tiver Lenkungswirkung wie das Erneuerbare Energiengesetz. Man-ches müssen wir persönlich aus Einsicht machen, z. B. seltenerFleisch essen. In anderen Bereichen brauchen wir den Staat. Sie kön-nen von Berlin für 19 Euro nach Neapel fliegen. Wenn Sie im Nor-den Berlins wohnen, kostet das Taxi nach Schönefeld 50 Euro. Die-ses Verhältnis stimmt nicht und das muss man ändern.

Dieter Rulff: Indem man Flugreisen verteuert?

Fritz Kuhn: Vom Ende her gedacht. Indem man die CO2- und dieSchadstoffbelastungen in einer Weise sinnvoll ökonomisch quan-tifiziert, dass eine Vergleichbarkeit entsteht. In einer Grünen Markt-wirtschaft werden die Preise die ökologische Wahrheit sagen. Werdie Umwelt belastet, der muss mehr zahlen als jemand, der das weniger tut. Die Vergleichbarkeit zwischen den verschiedenen Ver-kehrssystemen ist ja nicht so schwer herzustellen.

Wolf Lotter: Wir müssen anfangen, Dinge zu qualifizieren, die wirals Marktfaktoren bisher nicht gesehen haben. Im Konsum würde das auf die Frage hinauslaufen: Was ist uns was wert? Qua-lität und deren Wert anzuerkennen ist beim Konsum entschei-dend, weil es die Grundlage der wirtschaftlichen Leistungsfähig-keit im globalen Zusammenhang des 21. Jahrhunderts ist. Wirhaben ein großes Problem mit einem Discountkonsum und wirhaben ein Defizit im Qualitätskonsum. Warum? Weil alle poli-tischen Parteien – auch die Grünen – es verabsäumt haben, klarzu machen, dass Qualitätskonsum eine entscheidende Sacheist und dass man sich als Bürger mit grundsätzlichen Fragen derrm

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wirtschaftlichen Produktion auseinander setzen muss. Ein Bür-ger ohne wirtschaftliche Kenntnisse ist jemand, der nur un-zulänglich politisch agieren kann, der auch als Verbraucher relativ hilflos ist. Fo

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»Wir haben ein Problem mit demDiscountkonsum und wir haben einDefizit im Qualitätskonsum « WOLF LOTTER

Fritz Kuhn: Wenn ich von ‚Grüner Marktwirtschaft‘ rede, dann mei-ne ich immer auch eine Stärkung der Verbraucher und zwar auchim Sinne von geschmackskundig werden. Da stimme ich Ihnen zu:Qualität kann in Verbindung mit Transparenz und Erfahrung eineextrem ökologische Dimension bekommen.

Dieter Rulff: Ist es nicht gegen den Wind gesprochen, den Verzehrvon qualitativ guten, ökologischen Produkten zu predigen, wenn fürviele das Portemonnaie das gar nicht hergibt?

Wolf Lotter: Es ist völliger Unsinn, dass arme Leute billig essen. Inden Billigmärkten findet man fast nur industriell gefertigtes Essen,das keineswegs billig ist. Die Kulturfähigkeit des Kochens ist verlo-ren gegangen. Das spielt eine deutlich größere Rolle als die Fragedes beschränkten Budgets.

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12 Die Herausforderung

Welche Schritte können wir machen,

nicht, um das Schlimmste zu»

steller maximal verbrauchen oder eine nationale Volkswirtschaft?

Wolf Lottdeutsche

zu Beginn als starker kleiner Staat bezeichnet wurde. Jede Vor-schrift, jedes Gesetz muss für den Bürger einen unmittelbaren

zwischen Verhalten und Kosten oder Nutzennsten können wir einfach den Markt regeln las-

er: Das sind ja goldene Worte, Herr Kuhn. Fakt ist, dass die Automobilindustrie ökonomisch erfolgreich ist mit den

Zusammenhangherstellen. Anso

VITA | PUBLIKATIONEN

FRITZ KUHN ist Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen. Er ist Gründungs-mitglied der Grünen, seit 2000 Mitglied des Bundestags und Sprecher der Arbeitsgrup-

verhindern, sondern, um etwas Bessereszu kriegen.« WOLF LOTTER

Aber die kleinen Leute können es nicht machen. Wir brauchen mehrsoziale Gerechtigkeit und Beachtung der ökologischen Grundsätze.Es nützt nichts, das gegeneinander zu stellen.

Dieter Rulff: Setzen Sie da politische Prioritäten?

Fritz Kuhn: Wir wissen aus der Nachhaltigkeitsdiskussion weltweit,dass in dem Dreieck zwischen Wirtschaftlichkeit, Gerechtigkeitund Ökologie keine Prioritäten gesetzt werden dürfen. Wir müssengucken, dass wir eine Wirtschaftsordnung so aufbauen – nicht nurnational, sondern auch international –, dass alle drei Bereiche funk-tionieren.

Dieter Rulff: Sie vertrauen dabei beide primär auf die Mechanismendes Markts.

Wolf Lotter: Natürlich in einem ordoliberalen Handlungsrahmen. Dasist nicht dasselbe, was Herr Kuhn darunter versteht: Sie wollen jaden starken großen Staat.

Fritz Kuhn: Ordoliberal heißt aber nicht lediglich freiwillige Verab-redung. Den Ordnungsrahmen muss der Staat setzen. Als ökolo-gisch ausgerichteter Staat wird er andere Elemente haben als heu-te. Deswegen reden wir auch von einer Transformation. Ohne diegeht die Ökologisierung der Wirtschaft gar nicht. Aber innerhalb die-ses Rahmens brauchen wir ein richtiges Innovationssystem, bei demdie Leute freiheitlich die beste Lösung suchen und nicht bei jederFragestellung staatlich kontrolliert werden.

Dieter Rulff: In der Autoindustrie liegen jahrelange Erfahrungen mitSelbstverpflichtungen vor. Ist der Zeitpunkt gekommen, in IhremSinn ordnungspolitisch einzugreifen?

Fritz Kuhn: Die Politik der Selbstverpflichtung hat in wesentlichenBereichen nicht funktioniert. Deswegen ist es an der Zeit, dass derStaat, am besten die gesamte Europäische Union, Regeln setzt:Wie viel darf ein Auto maximal verbrauchen? Wie viel darf ein Her-

pe Wirtschaft und Arbeit. WOLF LOTTER ist seit zwanzig Jjournalist und widmet sich vor allem der Transformation von deWissensgesellschaft. Er ist Mitbegründer und leitender Redakteumagazins Brand eins. Jüngste Veröffentlichung: „Verschwendung – Überfluss“. Hanser Verlag 2006.

dicken Brummern. Das dürfen wir nicht übersehen. Man verkauft diegroßen Wagen ausgezeichnet. Andere Hersteller haben für den Mas-senmarkt fortschrittlichere Technologien angeboten. Das wird die Unternehmen bei uns im Kern treffen, wenn sie nicht nachziehen,denn die Ressource Öl wird teurer. Da müsste der Gesetzgeber kei-nen Riegel vorschieben, denn das erledigt sich von selbst.

Fritz Kuhn: Wir diskutieren seit zwanzig Jahren über den Klimawan-del und die deutsche Automobilindustrie hat sich trotzdem weiter-hin im Segment der Großen angesiedelt. Augenscheinlich hat es,weil man es bei freiwilligen Vereinbarungen belassen hat, an Druckgefehlt. Das regelt sich auch nicht ausreichend über den Benzin-preis. Angesichts der Klimakatastrophe muss der Staat sagen, wieviel CO2-Emission eigentlich noch möglich ist pro gefahrenem Kilometer. In Zukunft wird nur der Geld verdienen, der kapiert, dassman eine Ökologisierung der Technologie braucht. Wer das nichtversteht, wird auf dem Markt keine Chance mehr haben. Das hießefür uns in Deutschland eine Strukturkrise, gegen die die Stahl- undKohlekrise eine harmlose Veranstaltung waren.

Dieter Rulff: Was durch die diversen Innovationen an Ökoeffizienzerreicht worden ist, ist regelmäßig durch den erhöhten Verbrauchwieder verzehrt worden. Muss man wieder anders über die Gren-zen des Wachstums nachdenken?

Fritz Kuhn: Wir sind extrem abhängig vom quantitativen Wachs-tum, das müssen wir ändern. Solange der Staat verschuldet ist, gibtes gar keine Alternative zum quantitativen Wachstum. Das folgt ausder Zins- und Zinseszinsformel. Das Ideal wäre eine qualitativeWachstumsstrategie, die die ökologische Belastung Jahr für Jahr minimiert und die Abhängigkeit vom quantitativen Wachstum re-duziert. Das geht nur über ausgeglichene Haushalte, weil dann derStaat nicht mehr wie heute ein Wachstumsmotor sui generis ist. DerAbbau der Staatsverschuldung ist darum eine der dringlichstenpolitischen Aufgaben.

Wolf Lotter: Ich glaube, dass auch ein Schlüssel in dem steckt, was

ahren Wirtschafts-r Industrie- in dier des Wirtschafts-Wirtschaft braucht

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Wirtschaftlichkeit, Gerechtigkeit undÖkologie darf es keine Prioritäten

das Leben verhageln. Das bewusst zu machen, ein ernsthaftes globales Bewusstsein aufzubauen, ist eine Mammutaufgabe und wesentlich schwieriger als das Festnageln einiger Grenzwerte beiTreibhausFo

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gasen.

VITA

DIETER RULFF ist freier Journalist in Berlin und verantwort-licher Redakteur der gesellschaftspolitischen Zeitschrift

Im Dreieck zwischen»

geben.« FRITZ KUHN

sen. Energie ist mittlerweile so teuer, dass jeder ziemlich verrücktist, wenn er nichts tut. Der Technologiedruck auf die Automobil-erzeuger, auf die Energieerzeuger, auf die vorhandene Mobilitätwird stärker. Und es wird Lösungen geben, über die wir staunenwerden. Man kann sie allerdings nicht staatlich verordnen, dasfunktioniert nicht.

Dieter Rulff: In etwa 15 Jahren ist der Zeitpunkt erreicht, ab dem derKlimawandel unumkehrbar wird. Die Erfahrung lehrt, dass kapita-listische Wirtschaftsprozesse, der Wettbewerb nationaler Stand-orte, die Innovationswillig und -fähigkeit der Unternehmen ihrereigenen Dynamik folgen. Reicht die Zeit, um umzusteuern?

Fritz Kuhn: Ich bin der Überzeugung, dass man das schaffen kann,indem man klare Leitplanken setzt für die Märkte, und wenn manandererseits den Eifer der Leute in einer richtigen Weise mobilisiert,mehr zu tun. Allerdings gibt es, wenn wir von den fünfzehn Jahrenausgehen, eine gefährliche Versuchung der Politik, alles auf das Ende zu schieben, weil sie in Vierjahreszyklen denkt. Diese Verschie-bung bedeutet aber: Es wird schwieriger und teurer. Das heißt fürmich: Jetzt machen.

Wolf Lotter: Selbst in den schlimmsten Klimaszenarien kriegen wirunser Fett gar nicht recht ab. Die, die es abkriegen, sind die, die amÄquator leben. Dorthin müssen wir Demokratie exportieren, unsum Bildung und Chancen kümmern, um nicht am Ende für Eva-kuierung sorgen zu müssen. Das ist die eigentliche Aufgabe, die sichüber die nächsten Jahrzehnte stellt. Das ist eine wesentlich komple-xere Aufgabe, als sich ständig mit dem Popanz CO2 zu beschäftigen,der unbewusst nur mehr um die Frage geht: CO2-Handel, CO2-Re-duktion. Wir haben in einer sehr komplexen Welt viele Hausaufga-ben nicht gemacht, gerade in den bevölkerungsreichen Zonen desäquatorialen Bereichs. Dort droht nun die wirkliche Klimakatastro-phe. Wir im Norden, wo Angst die Debatte dominiert, haben eigent-lich kein großes Problem. Wir kriegen nur eins, wenn wir uns wei-ter der Globalisierung verschließen. Wir sind die, die heute denMenschen im Indien von Morgen, im Lateinamerika von Morgen,

vorgänge. Bevor er Redakteur bei der TAZ und anschließendRessortleiter Innenpolitik bei der Hamburger Woche wurde,hatte der Politikwissenschaftler eine Radiostation gegründetund die Sendung für die DDR-Bürgerrechtsbewegung „RadioGlasnost“ geleitet.

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EIN NEUER

14 Die Herausforderung

„Ökologische Industriepolitik ist die strategische Antwort auf die zentralenNEW DEAL

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DIE ZEIT DRÄNGT. Die Wissenschaft gibt uns noch rund 15 Jah-

Herausforderungen der Zeit.“ VON MATTHIAS MA

I n seiner legendären Studie zeichnet der ungarische Wirtschafts-historiker Karl Polanyi die allmähliche Verselbständigung der

Ökonomie gegenüber der Gesellschaft im 17., 18. und 19. Jahrhun-dert nach. Unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise und zwei-er Weltkriege analysiert er den Prozess einer sich durchsetzendenfreien Markwirtschaft: Im Zuge der „Großen Transformation“, soder Titel des Buchs, drohen die Industriegesellschaften ihre eige-nen sozialen Voraussetzungen, ja ihre physische Substanz zu zer-stören.

Inzwischen wissen wir, dass die Weltwirtschaftskrise zwar eineepochale Zäsur aber nicht das Ende der „großen Transformation“bedeutete. Der Prozess einer sich verselbständigenden Ökonomieging und geht weiter und hat durch die Globalisierung eine neueQualität bekommen. Im Angesicht von Klimawandel und einesRaubbaus an natürlichen Ressourcen ist die Gefährdung der „phy-sischen Substanz“ allgegenwärtig.

UNSERE WESTLICHEN GESELLSCHAFTEN sind Industriegesell-schaften, trotz der Ausweitung des tertiären Sektors. Die großenHoffnungen, die sich mit der Herausbildung einer postindustriel-len Gesellschaft verbanden, haben sich nicht erfüllt. Angesichts ei-ner wachsenden Weltbevölkerung mit steigenden Bedürfnissenund vor dem Hintergrund eines globalen Industrialisierungs- undWachstumsschubes wird die „Industriegesellschaft“ weltweit sogaran Bedeutung gewinnen. Nicht Verzicht oder Flucht ins Postmate-rielle kann unsere Welt vor dem ökologischen Kollaps und dem Verlust der „physischen Substanz“ retten, sondern das beherzte Ein-greifen durch innovative Umwelttechniken. Dafür bedarf es der Wie-derentdeckung der Idee des technischen Fortschritts anstelle eines

Technikskeptizismus, der über die Risikoanalyse nicht hinauskommt. Umweltpolitik muss heute im Kern Innovationspolitiksein. Und als übergreifende Modernisierungsstrategie brauchen wir

HNIG

eine Ökologische Industriepolitik, bei der Staat, Wirtschaft undGesellschaft eng zusammenarbeiten!

ÖKOLOGISCHE INDUSTRIEPOLITIK, das ist eine ökonomischeAntwort auf die ökologische Herausforderung. Sie ist die strategi-sche Ausrichtung des industriepolitischen Instrumentenkastensauf die zentralen Herausforderungen unserer Zeit: Klimaschutz,Umweltzerstörung, Ressourcenknappheit. Gemeinsam ist diesendrei Herausforderungen, dass sich in ihnen ökonomische und öko-logische Aspekte in einer qualitativ neuen Art verbinden. Vergegen-wärtigen wir uns: Der „Stern-Report“ des ehemaligen Weltbank-Chefökonoms Sir Nicolas Stern hat die ökonomischen Kosten desklimapolitischen Nichthandelns gerade erst einer breiten Öffentlich-keit ins Bewusstsein gerufen; die chinesische Umweltbehörde SEPA schätzt die Sanierungskosten für die Umwelt als Folgen desungebremsten Wachstumsprozesses im Reich der Mitte bereits aufzehn Prozent des Bruttosozialproduktes; steigende Stahl- und Öl-preise zeugen bei uns und weltweit von der Verknappung der Roh-stoffe und fossiler Energieträger.

Gerade weil sich ökonomische und ökologische Notwendigkei-ten überlagern, verbinden sich mit dem Umweltschutz auch enor-me Chancen, ökonomische wie technologische. Energieerzeugung,Energieeffizienz, Materialeffizienz, Recycling, nachhaltige Mobilitätund nachhaltige Wasserwirtschaft – die Märkte der Zukunft sindgrün. Hier setzt eine Ökologische Industriepolitik an, sie will Rah-menbedingungen entwickeln, die Wachstum und Nachhaltigkeitmiteinander verbinden.

re, um die Folgen des Klimawandels zu begrenzen. Wer zur Lösungder Probleme allein auf den Markt und den „Wettbewerb als Ent-deckungsverfahren“ (Hayek) setzt, erobert die Herzen der ord-

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nungspolitischen Gralshüter, die Zukunft erobert er nicht. Denn sorichtig es ist, die ordnungsrechtlichen Rahmenbedingungen so zugestalten, dass die unsichtbare Hand des Marktes grün wird, sofalsch wäre es, allein darauf zu vertrauen. Ein zeitintensives Verfah-ren und einen marktgesteuerten try & error-Prozess können wir unskaum leisten. Also müssen wir ergänzend tätig werden. Wir brau-chen keinen Leviathan, aber einen Staat, der sich auch als Pionierversteht, der gestaltet, Wege weist, aktiv mithilft und den Markt mitzusätzlichen Anreizen versorgt.

ES GEHT UM NICHTS WENIGER als darum, jetzt eine dritte indu-strielle Revolution einzuleiten, das heißt Effizienz- und Technolo-giesprünge zu fördern und Ökoinnovationen sehr schnell in denMarkt und die umfassende Anwendung zu bringen. ■ Dazu müssen wir die Forschungsförderung konzentrieren auf

Ressourceneffizienz und Energieintelligenz und die „grünenQuerschnittstechnologien“ systematisch fördern. Nicht nur Nano-technologie und weiße Biotechnik, auch Green Chemistry, Ober-flächentechnik und Bionik bieten enorme Chancen für vielfälti-ge Umwelttechnikanwendungen und damit für Nachhaltigkeit

From Head to Toe, 1991

und Umweltschutz.■ Mit Markteinführungsprogrammen schaffen wir die Vorausset-

zung für eine Massenproduktion von dringend benötigten tech-nologischen Lösungen und Öko-Hightech. Das Energieeinspei-Fo

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sungsgesetz (EEG) hat dazu beigetragen, dass UnternehmenLerneffekte realisieren, ihre Produktion optimieren und die Pro-dukte kostengünstiger anbieten konnten. Das waren wichtige Vor-aussetzungen dafür, dass viele deutsche Unternehmen im BereichErneuerbare Energien heute globale Akteure sind.

■ Im Bereich der Umwelt- und Energietechnik müssen wir sog.„Vorreiter-Märkte“ aufbauen. Denn wenn wir die heimischenMärkte so gestalten, dass über eine innovative Angebots- undNachfragestruktur die künftigen globalen Standards faktisch beiuns entwickelt werden, sind das die besten Voraussetzungen fürinnovative Unternehmen und eine internationale Marktführer-schaft.

■ Damit sich die dringend benötigten Technologiecluster ausbilden,bedarf es einer besseren Zusammenarbeit und gegenseitigenVernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft.

■ Exportförderinitiativen müssen sich nicht nur um die bessere Ver-marktung der Umwelttechnik „made in Germany“ kümmern,sondern auch für den Export erfolgreicher Politikinstrumente wer-ben.

■ Einen wichtigen Beitrag zu unserem Innovationssystem liefert dasumweltpolitische Ordnungsrecht. Schärfere Grenzwerte üben,wenn sie rechtzeitig und planungssicher angekündigt werden, ei-nen heilsamen Innovationsdruck auf die Industrie aus. Wann im-mer möglich, sollten dieser die Mittel und Wege zur Erreichungdes Ziels überlassen bleiben.

■ Und natürlich braucht dieser Ansatz eine europäische Abstützung– im europäischen Umweltrecht genauso wie in der Wettbe-werbs-, Außenhandels- und Forschungspolitik.

EINE INNOVATIONSORIENTIERTE UMWELTPOLITIK ist ein zentra-ler Kern. Aber die Ökologische Industriepolitik, die wir brauchen,ist nur als gesellschaftliche Anstrengung machbar. Dies verlangt ei-ne intelligente Verknüpfung von Wirtschafts-, Forschungs-, Infra-struktur-, Außen-, Entwicklungs-, Energie- und Umweltpolitik. An-dererseits braucht es den Brückenschlag in Wirtschaft, Wissenschaftund Gesellschaft hinein: So wie die Wiederentdeckung der Idee destechnischen Fortschritts einen zivilgesellschaftlichen Rückhaltbraucht und Innovationen gesellschaftliche Akzeptanz fordern,muss die Gesellschaft von neuer Beschäftigung und neuer Wert-schöpfung eines öko-effizienten Produktivismus profitieren.

Franklin D. Roosevelt reagierte mit seinem „New Deal“ auf dieWeltwirtschaftskrise, die für Polanyi eng mit der „Großen Transfor-mation“ verbunden war. Mit der Verknüpfung von staatlichen In-vestitionen, sozialpolitischer Regulierung und wirtschaftlichen Re-formen leitete Roosevelt eine neue Phase kapitalistischer Prosperität

ein. Heute brauchen wir einen „New Deal“ für Umwelt, Wirtschaft und Beschäftigung als Voraussetzung einer großen Transformati-on hin zu einer zukunftsfähigen, energie- und ressourceneffizien-ten Marktwirtschaft.

VITA | PUBLIKATIONEN

MATTHIAS MACHNIG ist seit November 2005 Staatsse-kretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheit. 1999 bis 2002 war er Bundesgeschäfts-

führer der SPD. JÜNGSTE BUCHVERÖFFENTLICHUNGZus. mit Frank-Walther Steinmeyer (Hrsg): „Made in Ger-many 21. Innovationen für eine gerechte Zukunft“. VerlagHoffmann und Campe 2004.
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POLITISCHE INNOVATIONEN

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SIND GEFRAGTdie Grenzen der grünen Marktwirtschaft. VON

I n der Debatte um die künftigen Klimaschutzverpflichtungennach der Kyoto-Periode wird der Ruf nach Einbezug der Entwick-

lungsländer, insbesondere der Schwellenländer, immer lauter. Dashat gute Gründe: China ist mittlerweile der zweitgrößte Emittentnach den USA, Indien liegt vor Deutschland auf Platz sechs. Sor-tieren wir allerdings nach den Pro-Kopf-Emissionen, liegen Chinaund Indien relativ weit hinten, Länder wie Korea und Südafrika be-wegen sich da längst in der Liga der Industrieländer mit Kyoto-Zie-len.

Im internationalen Prozess werden die zukünftigen Verpflich-tungen auf zwei Schienen diskutiert, die auf der Klimakonferenzin Montreal vor anderthalb Jahren gelegt wurden. Ein unverbind-licher, breit angelegter Dialogprozess unter dem Dach der Klima-rahmenkonvention befasst sich mit Ideen und Optionen für einzukünftiges Klimaregime. Schon eher ins Eingemachte geht es inder Arbeitsgruppe für die Weiterentwicklung der Kyoto-Verpflich-tungen. Die Entwicklungs- und Schwellenländer wollen hier aller-dings keine Verpflichtungen für sich diskutiert sehen, die Arbeits-gruppe konzentriert sich auf die Staaten, die bereits Verpflichtungeneingegangen sind.

WOLLEN DIE SCHWELLENLÄNDER ALSO AUSSEN VOR BLEIBEN?Schauen wir uns die Entwicklung in China genauer an, so zeigt sich,dass dort in gewisser Weise eine klimafreundlichere Entwicklung

und die Teilnahme der relevanten Länder gefragt sein. Eine bloßeErweiterung des Kyoto-Schemas wäre unzureichend. Statt dessenmüssen zukünftige Verpflichtungen drei wesentlichen Kriteriengenügen: Das Gesamtziel muss problemadäquat sein, d.h. das Re- Fo

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Der Emissionshandel stimuliert die

»technologische Innovation, aber nicht dieinstitutionelle und strukturelle.«

Internationale Klimapolitik nach Kyoto undOTELIND ALBER

erreicht wurde als in vergleichbaren Staaten. China hat sich im REN-21-Prozess1 ein Ausbauziel für die erneuerbaren Energien gesetztund seine Umsetzung gesetzlich geregelt, inklusive Einspeisever-gütung, Entwicklungs- und Finanzierungshilfen sowie Vorgaben fürden regionalen und lokalen Ausbau der erneuerbaren Energien. Dasenorme Wirtschaftswachstum treibt die chinesischen Emissionenin die Höhe, doch nicht in dem Maß, wie zu befürchten wäre. Inden letzten zwei Jahrzehnten ist die CO -Intensität der W t22 irtschafhalbiert worden. Bis zu einem gewissen Grad konnte also eine Ent-kopplung der Emissions- von der Wirtschaftsentwicklung erreichtwerden. Ein Selbstläufer war diese Entwicklung nicht. Andere Staa-ten haben Vergleichbares nicht geschafft, etwa Brasilien, dessenCO2-Emissionen in den letzten zwanzig Jahren stärker wuchsen alsdie Wirtschaft. Erst seit wenigen Jahren nimmt die CO2-Intensitätdort wieder ab. Oder schauen wir nach Spanien, dessen Wirtschaftseit etwa zehn Jahren boomt. Eine Entkopplung ist hier nicht er-reicht worden, die CO2-Intensität hat sogar leicht zugenommen.

Man kann also nicht behaupten, dass die Schwellenländer oh-ne Klimaverpflichtungen völlig untätig wären, eine differenzierteBetrachtung ist angesagt. Dennoch wird in Zukunft Verbindlichkeit

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gime muss klimapolitisch wirksam sein. Es muss international ge-recht sein, und es muss bei einer überwiegenden Mehrheit von Regierungen Akzeptanz finden. Eine Aufgabenstellung, die die Research Community zu immer neuen Vorschlägen für ein Post-Kyoto-Regime beflügelt.

Klar ist, dass den ärmsten Ländern auf lange Sicht keine Ver-pflichtungen auferlegt werden, statt dessen Unterstützung für An-passungsmaßnahmen und den Aufbau einer klimafreundlichenund schadstoffarmen Energieversorgung gewährt wird. Immermehr Länder werden sich jedoch bei steigender Wirtschaftskraft undwachsendem Energieverbrauch auf Klimaschutz verpflichten müs-sen, eine leidlich akzeptable Begrenzung des Klimawandels istsonst nicht möglich.

Erfolgversprechend klingt deshalb ein gewisser Automatismus,der gewährleistet, dass ein Land bei Überschreiten einer bestimm-ten Schwelle der Wirtschaftsentwicklung und/oder Emissionenpro Kopf in eine Verpflichtung „hineinwächst“. Wenn diese Schwel-le von den Klimaschutzerfolgen der Industrieländer abhängig ge-macht wird, lässt sich eine größere Akzeptanz bei den Entwicklungs-ländern erreichen. Glaubwürdigkeit ist ohnehin ein nicht zuunterschätzendes Argument in der Klimadiplomatie, Brüche zwi-schen Absichtserklärungen und Umsetzung werden genau wahr-genommen. Gerade bei den Entwicklungsländern sitzt der Verdachttief, dass die reichen Länder Klimaschutz nur so weit treiben, dassdie eigene Autoindustrie daran nicht Schaden leidet.

STELLT SICH ALS NÄCHSTE FRAGE, wie die Verpflichtungen for-muliert werden sollen. In der Regel geht man davon aus, dass diesfrüher oder später quantifizierte Begrenzungen der Emissionen seinmüssen. Nach Zufallsprinzip oder durch Verhandlungsgeschick wiebeim Kyoto-Protokoll wird das nicht mehr funktionieren, ein syste-matischerer Weg ist gefragt, der auf objektiven Kriterien basiert. Neben schlichten, einleuchtenden, aber schwer durchzusetzendenVorschlägen wie dem Pro-Kopf-Ansatz liegen dafür eine Reihe mo-difizierter Vorschläge auf dem Tisch, welche nationale Besonder-heiten wie die Wirtschaftsentwicklung und -struktur berücksichti-gen.

Immer wieder wird vorgeschlagen, sobald solche Ziele festge-legt sind, entsprechende Emissionsrechte zu vergeben – im weitest-gehenden Fall sogar individualisierte Emissionskontingente – undden Rest dem Emissionshandel zu überlassen. Auf jeden Fall wür-de das zu erheblichen Mittelflüssen von Reich nach Arm führen.Aber könnte der weltweite Handel mit Emissionsrechten tatsäch-lich das Klima retten und uns zugleich eine weltweit gerechte Ent-wicklung bescheren?

DIE BISHERIGEN ERFAHRUNGEN zeigen: Die billigsten Redukti-onspotenziale weltweit werden abgefuttert, weitergehende Optio-nen bleiben links liegen. Aus der Sanierung veralteter Industriepro-

1 Der mit der Internationalen Konferenz für erneuerbare Energien 2004 in Bonngestartete Prozess, der auf freiwillige Selbstverpflichtungen einzelner Länder sowie aufPartnerschaften setzt, siehe www.ren21.net

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zesse werden Zertifikate zum Spottpreis generiert, anstatt die 2 die Emissionen, die für eine Einheit an Wer

VITA | PUBLIKATIONEN

GOTELIND ALBER ist Diplomphysikerin und als Politikberaterin im Bereich Energie und Klimaschutz tätig.Davor hat sie für das Öko-Institut Freiburg und das Klima-Bündnis gearbeitet, seit 1997 als Geschäfts-

führerin des internationalen Sekretariats des Klima-Bündnis in FraLICHUNGEN: „Klimaneutral? – Freiwillige Kompensation von Treib2006, und „Gute Argumente gegen die Atomenergie“, in: 20 Jahre Tenergie – wenn aus Wut Visionen werden, hrg. von genanet/U.Röhr

Emissionen durch Auflagen zu verhindern. Kleinräumige Effizienz-maßnahmen unterbleiben, weil die Transaktionskosten zu hochsind. Der Carbon Market stimuliert zwar die technologische Inno-vation, aber nicht die institutionelle und strukturelle. Für Hand-lungsoptionen wie etwa klimaschonende Siedlungsplanungen gibtder Zertifikatehandel keine Impulse. Gerade mittel- und langfristigbesonders wichtige Maßnahmen, die zu verändertem Mobilitäts-und Konsumverhalten führen – seien es bewusstseinsbildende,planerische oder Infrastrukturmaßnahmen – garantieren in der Regel keine kurzfristig und eindeutig zuordbare Emissionsminde-rung. Der Zertifikatehandel ist deshalb für sie blind.

Hier brauchen wir zusätzlich Politiken und Maßnahmen. Schau-en wir noch einmal nach China: Nach Schätzungen chinesischer Experten trägt dort der Verkehr bis zu fünfzig Prozent zur Um-weltbelastung der Städte bei – eine Situation wie in den Städten derUSA, die für Zersiedelung und mangelnden öffentlichen Nahver-kehr berüchtigt sind. Auch chinesische Autoren betonen, dassStadtplanung und Infrastrukturmaßnahmen der Schlüssel zur Ent-lastung der Städte sind, während rein technische Maßnahmenhöchstens den Zuwachs an Fahrzeugen und Kilometerleistungkompensieren.

IN STÄDTEN UND REGIONEN werden entscheidende Weichen füreine kohlenstoffeffiziente Gesellschaft (low-carbon society) gestellt.Doch für die nachhaltige und klimaschonende Siedlungsentwick-lung in Nord und Süd sehen die internationalen Vereinbarungenkeinerlei Anreize vor. Die in einigen Post-Kyoto-Vorschlägen enthal-tenen Ansätze, in die zukünftigen Verpflichtungen nicht nur quan-tifizierte Ziele sondern auch konkrete Maßnahmen einzubezie-hen, sollten deshalb dringend weiterentwickelt und präzisiertwerden. Denkbar wäre ein „Menü“ vorgegebener Maßnahmen inden relevanten Handlungsfeldern, z.B. Abbau von schädlichenSubventionen, schrittweise erhöhte Besteuerung fossiler Energie-träger, Motivation, Training und Beratung für regionale und loka-le Regierungen (Vereinbarungen mit Kommunen und Regionen zurUmsetzung umfassender lokaler und regionaler Klimaschutzpro-gramme; schrittweise verbesserte Effizienzstandards für Geräteund Fahrzeuge usw.) – die erforderlichen Maßnahmen sind im Prin-zip längst bekannt. Wieso sollten sie nicht Teil eines neuen Klima-regimes werden? Jede Regierung kann und muss sich dann aus demMaßnahmen-Menü ihr Programm zusammenstellen und umset-zen. Zumindest für die „Einsteiger“ in die Post-Kyoto-Verpflichtun-gen wäre dies ein Schritt, der vielleicht nicht eine bestimmte Emis-sionsminderungsmenge bis um Zeitpunkt x garantiert, dafür aberdie nachhaltigere Entwicklung.

17

nkfurt. JÜNGSTE VERÖFFENT-hausgasemissionen“, Klima-Bündnisschernobyl. Frauen aktiv gegen Atom- 2006.

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18 Die Herausforderung

„DERZEIT WERDEN SO VIELEUMWELTMASSNAHMEN DISKUTIERT

UND VERABSCHIEDET...“ Der Nationale Volkskongresshat getagt. Yu Jie, Programmberaterin des Böll-Stiftungs-Büros in Peking, beantwortet die Fragen der Böll.Thema-Redaktion nach den jün

Was hat Ihrer Einschätzung nach die jüngste Sitzung des Na-tionalen Volkskongresses Chinas für den Ausgleich zwischenWirtschaftswachstum und Umweltinteressen gebracht?

Es wurden zwei wichtige Themen diskutiert: zunächst einmal die Ziel-vorgaben für Energieeffizienz und Luftverschmutzung. Auf demNationalen Volkskongress (NVK) im vergangenen Jahr hat die Regie-rung den elften Fünfjahresplan verkündet. Dabei hat sie zum erstenMal ein Energieeffizienzziel genannt: Innerhalb von fünf Jahren sollder Energieverbrauch um zwanzig Prozent pro BIP-Einheit reduziertwerden. Im ersten Jahr des Fünfjahresplanes wurde statt der geplan-ten vier Prozent allerdings nur eine Reduzierung von 1,2 erreicht. Unddann ging es auch um die Zielsetzung für Energiesicherheit.

Und das zweite Thema? Das Abkühlen der überhitzten Wirtschaft. Die Regierung will dasWachstum verlangsamen, um die Wirtschaftsstruktur umwelt-freundlicher zu gestalten. Die Überhitzung der Wirtschaft macht esschwer, deren ökologische und soziale Folgen in den Griff zu bekom-men. Auf dem diesjährigen NVK hat Ministerpräsident Wen Jiabaodas Ziel verkündigt, das Wachstum, das im Vorjahr zehn Prozentbetrug, auf dem Niveau von acht Prozent zu halten. Doch obwohldie Umwelt und insbesondere die Energieversorgung zu den wich-tigsten Themen gehören, hatten sie dieses Jahr nicht allerhöchstePriorität. Oben auf der Tagesordnung standen die Situation der Bau-ern, die Bildung, die Industriemonopole und das Wohnungswesen.

China hat die geplante Reduzierung des Energieverbrauchsum vier Prozent nicht erreicht? Warum?

Viele Projekte, die schon vor Jahren geplant worden und mittlerwei-le im Bau sind, ließen sich nicht mehr stoppen. Es gibt einen star-

ken Druck, immer neue Vorhaben zu realisieren; immer neue Investoren treten mit Ideen für den Wohnungsmarkt, für die bio-chemische Industrie usw. auf den Plan. Mittlerweile wächst auchdie Inflationsangst.

gsten ökologischen Prozessen in China.

Auf welche Weise will die Regierung das wirtschaftlicheWachstum regulieren?

Der Zinssatz wurde gerade auf 0,27 Prozent erhöht. Man verteuertdie Kredite, um die Wirtschaft abzukühlen.

Gibt es seriöse Schätzungen, welche Kosten und Verlustedie ungebremste wirtschaftliche Expansion in China mitsich bringt? Führt schnelles Wirtschaftswachstum zu ir-gendeinem Netto-Wohlfahrtsgewinn, wenn man die enor-men Umweltschäden in Rechnung stellt?

Nach neuen Daten, die die Weltbank, die chinesische Akademie derWissenschaften und die staatliche Umweltschutzbehörde veröffent-licht haben, beläuft sich in China der Verlust durch Umweltschädenauf zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Durch eine Ver-langsamung der Wirtschaft wird die Regierung bei neuen Vorhabenökologische und soziale Regulierungen besser umsetzen können.Dann könnten sich Verlust und Gewinn die Waage halten.

Äußert sich Chinas Führung öffentlich über den Ausgleichvon Wirtschaft und Umwelt, wird im Westen ausführlichdarüber berichtet. Über konkrete Ziele, Instrumente, Pro-gramme hingegen wissen wir wenig.

Derzeit werden so viele Umweltmaßnahmen diskutiert und verab-schiedet, dass ich sie hier nicht alle nennen kann. Nur einige Bei-spiele: Die Senkung des Energieverbrauchs um zwanzig Prozent proBIP-Einheit in den nächsten fünf Jahren habe ich schon erwähnt.In diesem Zeitraum sollen sowohl die Luftverschmutzung als auchdie Wasserverschmutzung um zehn Prozent zurückgehen. Die Luftist so giftig und in ländlichen Gebieten das Wasser auch so dreckig,dass Menschen erkranken. Von 1988 bis 2000 ist die Krebsrate um

zwanzig Prozent gestiegen.

Zu den Instrumenten: Gegenwärtig wird auf der Ebene der Zen-tralregierung ein ökologisches Berechnungssystem entwickelt, dasso genannte Grüne BIP. Dieses Berechnungssystem macht die öko- ot

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logische Rechnung auf – verschmutzungsbedingte Schäden werdenalso in das BIP mit eingerechnet. Mehrere Städte haben sich demPilotprogramm angeschlossen, andere wiederum sind ausgestiegen.

Wie sieht das Pilotprogramm aus und warum haben sich einige Städte ihm angeschlossen und andere sich darauszurückgezogen?

Beim Pilotprogramm geht es darum, Informationen für das Grü-ne BIP zusammenzutragen. Einige Städte kooperieren mit der Re-gierung und liefern die zur Bewertung der Umweltverluste erfor-derlichen Informationen. Andere Städte sind ausgestiegen, weil sienicht wollten, dass ihre Ökobilanz der Regierung bekannt wird. Fäl-le allzu erheblicher Umweltschäden würden unter Umständen vordem lokalen Volkskongress verhandelt. Das Programm ist abernoch ziemlich unausgereift und unvollständig, Gesundheitsschä-den werden zum Beispiel nicht berücksichtigt.

Gibt es weitere Programme oder Pläne?Es gibt im ganzen Land zur Zeit hundert große Industrieprojekte,die energieeffizient umgestaltet werden. Die Regierung leistet da-bei Unterstützung. Außerdem werden die Kohlekraftwerke mit ei-ner Produktionskapazität unter 100 MW nach und nach stillgelegt,was insgesamt 500 GW in den nächsten paar Jahren entspricht. Dasneue Energiespargesetz wird dieses Jahr dem Nationalen Volkskon-gress vorgelegt. Darüber hinaus wird es im Gesetz eine Bürgerbe-teiligungsrichtlinie zur Umweltverträglichkeitsprüfung geben.

Wie ist die Einbindung der Bürger zu verstehen?Durch die Maßnahmen zur Bürgerbeteiligung werden die Verant-wortlichen animiert, den Menschen vor Ort zuzuhören und so zuerfahren, ob sie die neuen Vorhaben wie Industrieansiedlungen,Krankenhäuser, Straßenbau begrüßen. NGOs versuchen, diesenProzess in Gang zu bringen, damit die Menschen die neuen Geset-ze auch verstehen. Die wichtigste Maßnahme ist, dass die Umwelt-verträglichkeitsprüfung als Richtlinie bei allen Neuvorhaben ange-wandt wird. Verabschiedet wurde das Gesetz vor drei Jahren, bislangwurde es kaum umgesetzt. Um das zu verbessern, hat die Staatli-che Umweltschutzbehörde SEPA eine Reihe von Kampagnen gestar-tet. Dank der Bürgerbeteiligungsrichtlinie dürfen die Anwohner vorOrt bei Genehmigungsverfahren mitreden. Dieses Gesetz schafft fürInteressengruppen die Möglichkeit, sich zu engagieren. Die SEPAversucht, dieses Gesetz von der Projektplanung auf die Sektor-planung in bestimmten Gebieten auszuweiten. So sollen Wirt-schaftswachstum und Umweltschutz sichtbar miteinander ver-knüpft werden.

Welche Durchschlagkraft hat die SEPA? Einige Städte sind den Umweltauflagen der SEPA nicht gefolgt undhaben etwa weiterhin neue chemische Firmen angesiedelt. Die

staltung der öffentlichen Finanzen die beste Methode für eine nach-haltige Entwicklung. Aber davon sind wir noch weit entfernt.

ÜBERSET

ZUNG: ANDREAS BREDENFELD

VITA

YU JIE ist zurzeit Programmberaterin des Pekinger Büros der

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SEPA verbietet ihnen daraufhin die Ansiedlung weiterer Firmenoder die Realisierung weiterer Projekte. Sie dürfen erst dann wie-der etwas Neues machen, wenn sie sich die Erlaubnis von der SEPA zurückgeholt haben. Die SEPA wird immer stärker. DieBehörde macht auch große Medienkampagnen, um ihre Botschaftan die Leute zu bringen.

In welchem Umfang werden marktorientierte Instrumenteeingesetzt, um die Umweltziele zu etablieren? Zum BeispielÖkosteuern, Emissionsgebühren usw.?

Planwirtschaftlich betrachtet arbeitet die Politik im Wesentlichenmit zahnlosen Instrumenten. Die Regierung erkennt das aber zu-nehmend. Gegenwärtig erwägt sie, mehr marktorientierte Instru-mente zu nutzen. Dazu gehört etwa eine höhere Besteuerung vonJeeps und anderen Fahrzeugen mit hohem Kraftstoffverbrauch.Manche Banken haben auch eine Zinspolitik entwickelt, die ener-giesparende Vorhaben fördert. Einerseits lernt die Regierung gera-de, wie man diese Instrumente nutzt, andererseits nehmen einigegroße Industriekonzerne – zumal solche in Staatsbesitz – mit ih-rer Lobbyarbeit massiv Einfluss auf politische Entscheidungs-prozesse.

Wie sehen die Umweltstandards für Autos aus? Einige Städte beschränken den Autoverkehr im Stadtgebiet. InShanghai muss man sich zum Beispiel um einen Führerschein be-werben. Das kann Tausende von Euros kosten. Aber in einer Stadtwie Peking wird, obwohl der Verkehr ein gravierendes Problem ist,mit den Steuern auf jeden Autokauf nach wie vor der Ausbau derstädtischen Infrastruktur finanziert. Deswegen gibt es keine Restrik-tionen für den Autokauf. Die Nationale Entwicklungs- und Reform-kommission ermuntert die Menschen zum Kauf energiesparenderund umweltfreundlicher Autos. Unterdessen müsste der U-Bahn-und Busverkehr ausgebaut werden, damit die Menschen im Alltageine kostengünstige und bequeme Transportmöglichkeit zur Ver-fügung haben.

Ist so etwas wie eine Ökosteuer auf Benzin geplant?Höhere Besteuerung von Benzin ist in der Diskussion, aber die Lob-by der Autobauer ist dagegen. Und die Jeeps sind sehr populär.

Sind Sie optimistisch, wenn Sie die chinesische Entwick-lung und die globale CO2-Kurve betrachten?

Immerhin passiert endlich etwas! Die Regierung bemüht sich,wenn auch nicht genug, zu verhindern, dass die Menschen vor lau-ter Umweltzerstörung erkranken. Letztlich ist eine transparente Ge-

Böll-Stiftung. Zuvor arbeitete sie drei Jahre bei Greenpeace In-ternational als Beraterin für Klima- und Energiekampagnen.Die Journalistin engagiert sich insbesondere für die Einführungerneuerbarer Energien in China und gehört zu den Autoren desallerersten Reports eines Windenergieszenarios für China.

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20 Die Herausforderung

WARUM WIR DIE CO2-REDUKTIONSZIELE WOHL NICHTERREICHEN WERDEN

Die Zielkonflikte, die sich aus Marktlogik, individuellem Verhalten und Klimaschutz ergeben, sind nicht gelöst. VON ACHIM BRU

Schon immer haben sich aus der Gemen-gelage von internationaler Klimadiplo-

matie, neuesten wissenschaftlichen Er-kenntnissen und Katastrophen, die mit demKlimawandel in Verbindung stehen könn-ten, Themenkonjunkturen ergeben: 1992etwa, als bei der Konferenz für Umwelt-und Entwicklung in Rio die Klimarahmen-konvention unterzeichnet wurde. 1995, alsdas zwischenstaatliche BeratungsgremiumIPCC in seinem zweiten Klimasachstands-bericht verkündete, dass es unwahrschein-lich sei, dass die Erderwärmung ausschließ-lich natürliche Ursachen habe. Oder 1997,als in Kyoto festgelegt wurde, dass die Emis-sionen der Industrieländer bis 2012 um 5,2Prozent gegenüber 1990 gesenkt werdenmüssten. Und nun erreicht uns ein neuerBoom, ausgelöst durch den Bericht von SirNicholas Stern, der vorrechnet, wie teuer derWeltwirtschaft der Klimawandel zu stehenkommen könnte, und durch den gerade ver-öffentlichten vierten Bericht des IPCC, derauf die extremen Folgen des Klimawandelshinweist. Auffällig ist allerdings, dass diefrüheren Konjunkturen allesamt ein schnel-les Ende fanden.

Stellt sich die Frage, ob diesmal allesanders ist. Endlich scheint das Thema in die

Mitte der Gesellschaft gewandert zu sein.Der Klimawandel wird von der Gruppe deracht mächtigsten Industrieländer und von

nomie sollen durch den ökologischen Um-bau der Industriegesellschaft versöhntwerden. Eine neue Umweltpolitik richtet

den Markt, sondern nutzt

che Transformation? Sie muss von dem aus-gehen, was in der Klimapolitik bisher schonumgesetzt wurde. Das Kernstück des Kyoto-Protokolls ist der Emissionshandel, mit dem

der Europäischen Union als Herausforde- sich nicht gegen

alten K»Zumindest der Diskurs um den

onflikt zwischen Ökologie und

Ökonomie scheint ein andernoch vor einigen Jahren zu s

NNENGRÄBER

rung für die Zukunft angesehen: Auf derG8-Agenda für Heiligendamm sind dernachhaltige Umgang mit Ressourcen, dasThema Energieeffizienz, Klimaschutz undder Kyoto-Prozess ganz oben platziert. Flan-kiert wird die klimapolitische Willensbe-kundung durch den Energiebericht der EU.Demnach will diese „eine nachhaltige, siche-re und wettbewerbsfähige Energie bereitstel-len“. Eine „neue industrielle Revolution“soll in Gang gesetzt werden, um kohlen-stoffarmes Wachstum voranzutreiben unddie autarke Energieproduktion drastisch zu erhöhen. Schließlich hat sich die EU in ihrer Lissabon-Strategie zum Ziel gesetzt,bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten Wirt-schaftsraum der Welt zu werden.

Die Lösungsansätze, die allseits verkün-det werden, sind sattsam bekannt. Um

die Widersprüche zwischen Wachstum,Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz auf-zubrechen, wird nach einer Effizienzrevolu-tion gerufen. Neue Technologien sollen hel-fen, die CO2-Emissionen zu reduzieren. Mit erneuerbaren Energien, die zugleich tau-sende von neuen Arbeitsplätzen schaffensollen, soll die fossile in die grüne Marktwirt-schaft überführt werden. Ökologie und Öko-

er alsein.«

ihn, um ressourcenschonenden Innovatio-nen zum Durchbruch zu verhelfen. Dafürhat der Staat die Rahmenbedingungen zusetzen und Impulse zu geben. Zumindestder Diskurs um den alten Konflikt zwischenÖkologie und Ökonomie scheint in den öf-fentlichen Debatten um den Klimawandelein anderer als noch vor einigen Jahren zusein. Doch sollte nicht bereits mit dem Kon-zept der nachhaltigen Entwicklung die welt-weite Versöhnung zwischen Ökologie, Öko-nomie und Sozialem gelingen?

Sowohl in der G8-Agenda für Heiligen-damm als auch in den EU-Strategiepapierenstehen nur abstrakte Ziele. Es fehlen dieProgramme und sektorspezifischen Maß-nahmen, mit denen die Ziele einer zwanzig-prozentigen Reduktion der CO2-Emissio-nen oder der Ausbau der erneuerbarenEnergien um zwanzig Prozent bis 2020 er-reicht werden sollen. Nur an einem kon-kreten Maßnahmenkatalog könnte sichmessen lassen, ob jenseits des medienwirk-samen Wettrennens um die besten klimapo-litischen Absichtserklärungen tatsächlichvon einer ernstzunehmenden sozial-ökolo-gischen Transformation der Energiesystemedie Rede sein kann.

Was aber ist die Grundlage für eine sol-

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schwindigkeitsbegrenzung, Obergrenzen

in der EU und in Deutschland seit 2005keine guten Erfahrungen gemacht wurden:Obwohl die Verschmutzungsrechte in derersten Handelsperiode kostenlos ausgege-ben wurden, schlugen die Stromkonzernedie theoretisch dafür anfallenden Kostenauf den Strompreis auf. Nach Angaben des Bundesumweltministeriums haben dieStromkonzerne dadurch 2005 in Deutsch-land Gewinne zwischen sechs und acht Milliarden Euro zu Lasten der Stromver-braucher erzielt. Auch der Preisverfall derZertifikate auf unter einen Euro ist kaum einAnreiz zum Klimaschutz. Das Argument,Effizienz, Investitionen und Technologienzu verbinden, wenn CO2 einen Preis erhält,läuft bislang ins Leere.

Zugleich sind in Deutschland 27 Kohle-kraftwerke geplant bzw. bereits im Bau.

Die Braunkohle gehört zu denjenigen Ener-gieträgern, durch deren Verbrennung diemeisten Treibhausgase ausgestoßen wer-den. Aber sowohl das Bundesumweltminis-terium als auch die großen Energiekonzer-ne bemühen sich darum, deren Einsatz inder Energiegewinnung mit den Klima-schutzzielen zu versöhnen. Dazu dient dieCCS-Technologie (Carbon Capture and Sto-

rage), die CO2-Abscheidung und Speiche-

oto:

pri

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rung der Treibhausgase. Nicht nur, dass die-se Technologie erst in zehn bis 15 Jahren

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im durchschnittlichen Verbrauch von Neu-wagen oder gar ein umfassendes Konzeptzum Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs

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die Mechanismen des Kyoto-Protokolls wer-den es zulassen, dass die Emissionen stär-ker gesenkt werden, als es der Rhythmus desWirtschaftswachstums erlaubt.

nwendungs- und marktreif sein wird und scheitern jedoch nicht nur an der Autolob

VITA | PUBLIKATIONEN

ACHIM BRUNNENGRÄBER ist Politikwissenschaftler und lehrt an der Freien Univer-sität Berlin. Er leitet das Forschungsprojekt „Global Governance und Klimawandel. Eine Mehrebenenanalyse der Bedingungen. Risiken und Chancen sozial-ökologischer

Transformationen“. Das Projekt wird geForschung (BMBF). VERÖFFENTLICMulti-Level-Governance. Umwelt-, KlimWelt, Nomos, Baden-Baden 2007 (i.E.

sich die damit verbundenen Risiken auchJahrzehnte später noch zeigen können, mitder massiven privaten wie staatlichen För-derung der CCS-Technologie wird zugleichder weitere Einsatz der fossilen Energiensubventioniert und die gesellschaftliche Akzeptanz für deren Einsatz erhöht.

Die Klimapolitik sorgt also weit über ihreigentliches Regelwerk hinaus für

marktbelebende Impulse. Auch in der Automobilbranche wird ein ökologischesImage zu einem immer wichtigeren Wett-bewerbsfaktor. Doch zeigen sich hier be-sonders die Widersprüche, mit denen sichdie Klimapolitik konfrontiert sieht. Die EUwollte den CO2-Ausstoß der Neuwagenflot-te bis 2012 auf 120 Gramm je Kilometer beschränken. Die mächtige Lobby der Auto-industrie, unterstützt von Teilen der Regie-rung, sorgte dafür, dass die Begrenzung auf130 Gramm angehoben wurde. Zugleichwerden die modellspezifischen Einsparun-gen mengenmäßig überkompensiert. Derweltweit steigende Absatz von Autos wirddas Klima noch viel stärker belasten als diesheute der Fall ist. Eine europaweite Aus-weitung von Tempo-30-Zonen, eine Ge-

fördert vom Bundesministerium für Bildung undHUNG zum Thema (zus. mit Heike Walk, Hrsg.):a- und Sozialpolitik in einer interdependenten

)

Along the Bottom, 1995

by oder der Politik der Industrieländer, son-dern auch am individuellen Mobilitäts- undKonsumverhalten. Das Bewusstsein in derBevölkerung darüber, dass der Klimawandelbedrohliche Ausmaße annimmt, war schonvor dem Stern- und IPCC-Report groß. Biszum Handeln und zur Prävention ist esaber auch heute noch ein weiter Schritt.

Somit stellt sich der Klimawandel als einumfassendes und tiefgehendes gesell-

schaftliches Problem dar. Dessen ungeach-tet wurde schon in der Klimakonventionund dem Kyoto-Protokoll vereinbart, dasssich die Vertragsparteien für die Förderungvon mehr Wachstum und mehr Wettbewerbmit dem Ziel der Reduktion der CO2-Emis-sionen einsetzen sollen. Die vielen Zielkon-flikte aber, die sich aus der Marktlogik, aus Globalisierung, Deregulierung und Privati-sierung ebenso ergeben wie aus dem indi-viduellen Verhalten sind damit noch nichtgelöst. Die Festlegung von allgemeinen Reduktions- oder Ausbauzielen – wenigerEmissionen und mehr erneuerbare Ener-gien – ohne konkreten Maßnahmenkatalogtäuscht über die Widersprüchlichkeiten, mitdenen sich die Klimapolitik beschäftigenmuss, hinweg. Weder die Zielvorgaben noch

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22 Die Akteure

GRÜN IST GRÜN –

WIE DER DOLLAR

h die Vereinigten Staaten rollt eine grüne Welle. VON MARC BERTHOLD

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A ls Al Gore seinen Oscar für die Kli-madokumentation „An Inconvenient

Truth“ einsteckte, schwappte die neue grüneWelle zumindest über die Bildschirmedurchs Land. Seit Monaten sprechen Spiegel,Economist und Newsweek davon, dass die Ver-einigten Staaten derzeit ihre grüne Revolu-tion erleben. Sie fragen sich, ob es eine vorü-bergehende Mode wie Aerobic oder die SouthBeach Diet ist oder ob jenseits des großenTeichs wirklich ein neues Zeitalter beginnt?

Wie immer in Amerika, und wohl über-all sonst auch, gibt es darauf keine einfacheAntwort. Wahr ist: Die Leute kaufen mehrbiologisch angebaute Lebensmittel, füllenihren Toyota Prius mit Ethanol und instal-lieren Solarzellen auf ihren Dächern. InZeitungen und Magazinen präsentieren Un-ternehmen wie BP, Chrysler oder DuPontihre grünen Seiten und im Fernsehen lau-fen selbst auf den UnterhaltungskanälenSpezialsendungen zum Klimawandel undEnergiesparen.

Der Trend ging, wie üblich, an den Küs-ten los. Die Städte sind die Inseln der Grün-seligkeit. Whole Foods, die größte Öko-Su-permarktkette, hat am New Yorker CentralPark eröffnet. Und in San Francisco quälen

ie Hybridautos über die sieben Bergeadt – zum Fahrrad greifen die Compu-

tenorten und im Hinterland waren so groß,dass sich die Rückversicherungen fragten, ob

in zweites Mal leistentel wurde Klimawandel

zu den Zielen des Kyoto-Protokolls und for-derten eine nationale Klimapolitik, schönmarktorientiert mit einem Emissionshan-delssystem. Fo

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erexperten aus Silicon Valley dann dochicht. Allen voran begeistern sich Al Gore,

sie sich dies noch ekönnten. Im Geldbeu

VITA

MARC BERTHOLD ist Referent für Umwelt, Klima und Energie-politik im Büro der Bundestagsfraktionsvorsitzenden von Bünd-

nis 90/Die Grünen Renate Künast. 200Programmleiter des Umwelt- und Globder Heinrich-Böll-Stiftung Washington ner Arbeit ist die transatlantische Klim

Leonardo DiCaprio und Julia Roberts fürden neuen Lebensstil.

Vieles setzt sich in der Tat erst mithilfesolcher Trendsetter durch. Und die sitzen inder Regel weder im Weißen Haus noch imKongress. Vielmehr orientieren sich dieMenschen an dem, was Amerikas beliebte-ste Talkshowmoderatorin Oprah Winfreypräsentiert, oder wovon der Schauspieler George Clooney im Frühstücksfernsehenschwärmt. Aber schwappt die grüne Welle,die den Bio-Produkten in den vergangenenbeiden Jahren ein Plus von 38 Prozent be-scherte, wirklich von den Küsten durchsganze Land? Oder bleibt sie im Westen inden Rocky Mountains und im Osten in denAppalachen stecken?

Es ist mittlerweile ein Allgemeinplatz,dass alles mit „Katrina“ und dem Untergangvon New Orleans begann. In der Tat ist Ame-rika am Tag danach zumindest in Sachen Kli-mawandel aufgewacht. Plötzlich wurden dieharten Fragen gestellt und die Klimaskepti-ker hatten ausgedient. Es war jedoch keineLäuterung biblischer Art. Vielmehr warendie Öl- und Kraftstoffpreise explodiert, vieleAmerikaner konnten das Autofahren nichtmehr bezahlen. Und die Schäden in den Küs-

1 – April 2007 war eralen DialogprogrammsDC. Schwerpunkte sei-a- und Energiepolitik.

zur Realität. Das schlug durch bis nach Washington. Sechs Monate nach „Katrina“sprach Präsident Bush in seiner State of theUnion-Rede von Amerikas Sucht nach Ölund ein Jahr später, im vergangenen Januar,erhielt auch der Klimawandel Einzug in sei-ne Rede zur Lage der Nation. Während dieVerbraucher ihre Hummer und andere dickeVehikel links liegen ließen und auf sparsa-mere Autos umstiegen, begannen Bundes-staaten und Städte die Lücke zu schließen,die die fehlende Klimapolitik Washingtonsaufgerissen hatte. Die Förderung von er-neuerbaren Energien wurde intensiviert, dienordöstlichen Bundesstaaten entwickelten,angeführt vom New Yorker Gouverneur George Pataki, ein regionales Emissions-handelssystem, und Arnold Schwarzeneggersetzte seinem Bundesstaat Kalifornien einKlimaziel, welches sich auch in Europa se-hen lassen kann: die Verringerung der Treib-hausgasemissionen um 80 Prozent bis 2050.

Im Januar schlossen sich Unternehmenwie der Chemiekonzern DuPont, der Alu-

tung

miniumhersteller Alcoa und eine Reihe vonStromproduzenten mit führenden Umwelt-organisationen zum „U.S. Climate ActionPartnership“ zusammen, bekannten sich nr

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Die Verfechter des Öko-Landbaus sind „grünen Kapitalismus“ in die Geschichte

Die Wirtschaft und Finanzwelt meinen esernst und machen Gewinn. Was Amory Lovins, Gründer des Rocky Mountains Insti-tute und renommierter Visionär des „grünenKapitalismus“, seit Jahrzehnten predigt, istin den Chefetagen der Unternehmen ange-kommen: Grün ist grün – wie der Dollar.Der Energiekonzern General Electric willmit viel „Ecoimagination“ sowie Energieef-fizienz Geld sparen und sein Wachstum sichern. Wall Street Investoren haben kürz-lich den texanischen Stromkonzern TXUfür 45 Milliarden Dollar aufgekauft, um mit-telfristig dessen Kohlekraftwerke durchWindturbinen zu ersetzen.

Selbst böse Buben wie Exxon Mobil undWal-Mart haben den Trend erkannt. Wäh-rend Exxon weiterhin zweigleisig fährt undneben ein paar erneuerbaren Energien auchdie Klimaskeptiker des American Enterpri-se Institute fördert, will Wal-Mart ganz vornauf der grünen Welle mitschwimmen. Inden nächsten drei Jahren will der Konzern

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500 Milliarden Dollar in Klimaschutz inve-stieren. Seine Supermärkte sollen dreißig

F Prozent Energie einsparen, die Liefer-

sich nicht einig, ob diebruch oder der Anfangmindest mit dem modis

Wird Manhatten zum Biotop?

Lifestyles könnte es vorbei sein, wenn selbstdie amerikanische Erika Mustermann zumÖko-Brot greift. Natürlich sollen möglichstviele Amerikaner Bio-Produkte kaufen. Dashilft gegen Übergewicht und schützt dieUmwelt. Doch es stellt sich die Frage, inwie-fern eine auf Masse ausgerichtete industria-lisierte Bio-Landwirtschaft die Standardsund Ideale der Biolandbewegung untermi-niert und damit letztlich noch grün ist.

Die Öko-Verbände befürchten, dass derBedarfsanstieg und der Preisdruck kleinereFamilienunternehmen und Kooperativenvom Markt drängen werden. Regionalitätund Nachhaltigkeit würden infrage gestellt,wenn Öko-Tomaten aus China und Öko-Bananen aus Afrika eingeflogen würden.Die Befürworter entgegnen, dass es der Um-welt nutze, wenn auch in China und Afrikaweniger synthetische Düngemittel und Pes-tizide verwendet würden.

Ob die grüne Welle wieder verebbt, wirddavon abhängen, aus welcher Richtung derWind weht. Als die Kraftstoffpreise einigeMonate nach „Katrina“ wieder sanken, gingauch der Verkauf der „Hummer“ erneut indie Höhe. Auch Präsident Bushs Klimaplanist nicht notwendigerweise grün. Er orien-tiert sich vorwiegend an der Deckung dessteigenden Energiebedarfs und weniger andessen Senkung. In den kommenden zehnJahren soll sich vor allem die Produktion von Ethanol aus Mais vervielfachen. Von Um-weltorganisationen zwar lange gefordert,droht der Boom von Biokraftstoffen ein öko-logisches und soziales Problem zu werden.Eine Intensivierung des industriellen An-baus zehrt die Böden aus und gefährdet diebiologische Vielfalt. Die wachsende Nachfra-ge hat zudem die Weltmarktpreise für Maisderart in die Höhe getrieben, dass Tortillasin Mexiko zum Luxusartikel geworden sind.

Seinen Oscar hat sich Al Gore mühsamverdient. Nun könnte er als Gründer des

23

wagenflotte soll 25 Prozent effizienter undder Müll um 25 Prozent verringert werden.

Um sein Image aufzupolieren, hat auchWal-Mart die Bio-Welle für sich entdeckt.Die Amerikaner wollen nicht nur im Priusmit gutem Gewissen im Stau stehen, son-dern eben auch gesünder essen und leben.Und diesen Bereich will Wal-Mart nichtWhole Foods überlassen. Obgleich Öko-Produkte bislang nur 2,5 Prozent des U.S.-Lebensmittelmarkts ausmachen, sind dieWachstumsraten vielversprechend – bis zu44 Prozent in den kommenden vier Jahren.Im letzten Herbst hat Wal-Mart daher be-gonnen, eine komplette Bio-Palette in sei-nen 4000 Supermärkten einzuführen, dieProdukte sollen lediglich mit einem zehn-prozentigen Aufschlag vertrieben werden.Auch Lebensmittelriesen wie Unilever undDanone haben Bio entdeckt und die führen-den U.S.-Marken „Ben & Jerry’s Organic“und „Stonyfield Farm“ aufgekauft.

meri-ss sie

s der große Durch- vom Ende ist. Zu-chen Trend des Bio-

eingehen. Damit die grüne Welle Akas allerdings ein Erfolg wird, munachhaltig sein.

Dies ist einHummer.

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24 Die Akteure

„ICH FÜHLE MICH GUT“

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Kir

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Konsumentenmacht als Le

A ber klar doch, liebe Weltverbesserer, aber klar stammt dasHemd, das ich morgens aus dem Schrank hervorwühle und

über meinen Oberkörper streife, von „American Apparel“, jenersmarten T-Shirt-Kette, die mit modischen Öko-Textilien aus ethischkorrekter Fertigung nun auch den deutschen Markt erobert. Unddie Hose, in die ich meinen Unterkörper kleide, wurde weder mitPestiziden noch mit Kunstdünger oder Entlaubungsmitteln ver-seucht und auch nicht von Kinderarbeiterhänden zusammen-genäht. Es ist eine giftfreie Jeans aus Bio-Baumwolle mit Kokosscha-lenknöpfen, entworfen von Stylisten aus dem Hause Levi’s. Jetztnoch schnell die coolen Naturkautschuksneaker von Veja angezo-gen und die fesche Trainingsjacke von Misericordia übergeworfen– auf dass der Weltverbesserer-Geist, der all diesen Designerklamot-ten innewohnt, sogleich in meinen Ober- und Unterkörper und auchin meine Zehenspitzen fahre. Und siehe da: Schon nach wenigenSchritten merke ich, wie die schönen neuen Öko-Marken ihr Ver-sprechen einlösen und die Oberfläche mit dem Innenleben versöh-nen: Ich fühle mich gut! Mit einem guten Erste-Welt-Gewissen nip-pe ich dann an meinem fair gehandelten Kaffee und zünde mir eineebenfalls fair gehandelte Zigarre an, woraufhin sich die schlechtenNachrichten aus dem Morgentelegramm quasi in Luft auflösen.

ICH BIN EIN „LOHAS“. Ein konsumfreudiger Genussmensch, der– im Gegensatz zu den karrierebewussten Yuppies und profitorien-tierten Dinkies – die Umwelt schont. Erfunden haben mich dieMarktforscher, die mir das Etikett „Lifestyle of Health and Sustain-ability“ verpasst haben und dafür sorgen, dass die bunten Zeitgeist-magazine regelmäßig über mich berichten. Weil ich kaufkräftig binund gerne shoppe, mal direkt beim Erzeuger, dann wieder in Kon-sumtempeln mit Wohlfühlatmosphäre, behaupten böse Zungenzwar, ich würde nur mein Ego pflegen. Aber das stimmt nicht. Ichglaube nur fest an die Macht des Einkaufswagens. Durch richtigesEinkaufen kann man nämlich den Raubtierkapitalismus zähmen,nicht durch hektischen Aktivismus oder lustfeindliche Askese. Jemehr ich davon höre, wie Futtermittel hergestellt und Kakao ge-pflückt, Fische gefangen, Handtaschen genäht oder Energieres-

sourcen ausgebeutet werden, desto kritischer prüfe ich Siegel undZ en und ökologischenF Verquickungen vonW h und Klimawandel,

Nach den „Lohas“, so wispern die Zukunftsforscher, sollen übri-gens die „Lovos“ kommen. Die pflegen einen Lifestyle of voluntarySimplicity, das freiwillig einfache Leben. Also Verzicht statt Nachhal-tigkeit? Da hätte ich dann aber ein richtig schlechtes Gewissen. ot

os: p

riva

t,

F

ertifikate, desto mehr achte ich auf die sozialolgen meiner Kaufentscheidung. Über dieelthandel und Billiglöhnen, Energieverbrauc

VITA | PUBLIKATIONEN

SVEN SIEDENBERG ist Redakteur

im Wochenendfeuilleton der Süd-deutschen Zeitung. JÜNGSTEBUCHVERÖFFENTLICHUNG: „Doyou remember? Kleines Album ver-gessener Helden“ (dtv).

bensstil. VON SVEN SIEDENBERG

Chemie und Allergien bin ich bestensinformiert, schließlich kann ich nichtden ganzen Tag energiesparende Halo-genlampen gegen Glühbirnen austau-schen oder tropfende Wasserhähne zu-drehen, und immer nur im Manufaktum-Katalogherumblättern, wird irgendwann auch ziemlich öde.

DASS MAN MICH „ÖKOBOHEME“ NENNT und ichzum Trendsetter aufsteigen konnte, liegt auch ander Strahlkraft meiner Vorbilder. Neinnein, nichtan den Großeltern, die einst in Gesundheits-latschen gegen Atom-Kraftwerke demonstrier-ten, das Korn mit der Schrotmühle zerrieben,die selbstgesponnene Wolle mit Pflanzen-farben färbten, Brennesseltee tranken und einspaßfreies, möglichst naturidentisches Leben führ-ten. Meine Vorbilder heißen Cameron Diaz, die ein sparsames Hybrid-Auto fährt. Brad Pitt, der seine Häuser auf Solarenergie um-gerüstet hat. Leonardo DiCaprio, der für den Regenwald kämpft.Oder Madonna, die sich Rosencreme von Dr. Hauschka ins Gesichtschmiert. Das tue ich auch, wegen der gesunden Inhaltsstoffe unddamit ein bisschen Glamour auf mich abstrahlt. Und viele anderetun das ebenfalls, weshalb die Avantgarde nun Mainstream wird.

JA, MAN KANN SICH GLÜCKLICH SHOPPEN mit Ikea-Möbeln oh-ne Tropenholz, mit hormonfreiem Knochenschinken von Herr-mannsdorfer, mit der roten Kreditkarte von American Express, beider ein Prozent des Umsatzes an die Aidshilfe in Afrika geht. An-dererseits spaltet sich meine Konsumentenseele beim Shoppenimmer wieder in Supermarkt-Es, Supermarkt-Ich und Supermarkt-Überich. Das Es will sich vollstopfen, egal womit. Das Überichmöchte nach hohen moralischen Standards leben. Das Ich wieder-um möchte es allen recht machen, auch dem Geldbeutel. Spätestens,wenn der Zahlbetrag im Kassendisplay leuchtet, ist klar: Ein gutesGewissen gibt es nicht gratis. Und das ist gut so. Finde ich.

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25

metrische Informnachgewiesen, datendenziell Güter rer Qualität durchs

BELLEN UND BEISSEN

Konsumentenmacht durch Verbrau

I n der Theorie ist es bestechend einfach und fürdie meisten Politiker steht es außer Frage:

Marktwirtschaft funktioniert. Wenn auf freienMärkten Angebot und Nachfrage aufeinandertreffen, ein paar wenige Spielregeln eingehaltenwerden („Klauen ist verboten“), sind alle Seitenzufrieden. Die Verbraucher lenken durch ihr

Kaufverhalten das Angebot. Sie bescheren erfolgreichenAnbietern vertrauenswürdiger Waren Gewinne und ruinie-

ren die Anbieter schlechter Waren ganz im Sinn der „schöp-ferischen Zerstörung“ des 1950 gestorbenen Nationalökono-

men Joseph Schumpeter. Der Ökonom und MoralphilosophAdam Smith wusste dies bereits 1776.

Soweit die Theorie, nur sie deckt sich nicht mit unserer Alltags-erfahrung. Einige Beispiele:■ Fehlernährung droht insbesondere bei Kindern zur Belastung

unseres Gesundheitssystems zu werden. Allem Anschein nachbeeinflusst die Bewerbung von Süßigkeiten als „fettfrei“, „mitdem Besten aus entrahmter Milch“ oder „viel Calcium“ unser Urteilsvermögen.

■ Obwohl seit 1994 für viele Haushaltsgeräte wie Kühlschränkeoder Waschmaschinen eine Energieverbrauchskennzeichnungvorgeschrieben ist, wurde diese seitdem nicht mehr aktualisiert.Eine vermeintlich „gute“ Auszeichnung (Klasse B) kann energe-tisch heute auf dem Stand von vorgestern sein.

■ Bereits 1983 urteilte der Bundesgerichtshof, dass viele Raten-kreditverträge aufgrund überhöhter Zinsen sittenwidrig seien.Heute lassen sich Tausende von Kreditnehmern teure Versiche-rungen unterjubeln, die nur die Risiken der Banken absichernsollen und somit zu einem höchst lukrativen Nebengeschäft ge-worden sind. Die Zahl von Privatinsolvenzen hingegen steigt vonJahr zu Jahr.

Die Unwissenheit des Konsumenten haben auch die Wirtschafts-wissenschaftler inzwischen als schwarzen Flecken auf der weißenWeste der Marktwirtschaft entdeckt und bezeichnen ihn als „asym-

ation“. Der Nobelpreisträger George Akerlof hatss sich auf Märkten mit ungleicher Informationund Dienstleistungen mit schlechter bis mittle-etzen. Marktpartner mit geringem Informations-

cherorganisationen. VON KLAUS MÜLLER

stand – in der Regel die Verbraucher – können die Qualität der be-sten Güter aufgrund fehlender Informationen oder zu geringer Be-reitschaft, sich diese zu besorgen, nicht zutreffend beurteilen. Siesind deshalb nur bereit einen mittleren Marktpreis für die unter-stellte mittlere Qualität zu bezahlen. Somit müssten die Anhängerder freien Marktwirtschaft eigentlich die größten Freunde des Ver-braucherschutzes und der Verbraucherorganisationen sein, da sieals Lieferanten anbieterneutralen Wissens zur Informationssymme-trie und somit zu einer höheren Angebotsqualität beitragen. Eineeffektive, aktuelle, dynamische Verbraucherberatung kann die„strukturbedingte Schwäche der Verbraucherseite bei Informations-beschaffung, Organisationsgrad und Interessensvertretung aus-gleichen und die Marktbalance zwischen den Marktteilnehmern her-stellen beziehungsweise wahren“, so der Wissenschaftliche Beiratder Bundesregierung 2003.

KLEINE GESCHICHTEDES VERBRAUCHERSCHUTZES

■ Mitte des 19. Jhs. Auflehnung irischer Landleute gegen den englischenGutsverwalter Charles C. Boycott. Sie verweigern sich seinen Befehlen, biser aufgibt. Diese Strategie ist als „Boykott“ in die Geschichte eingegangenund wird seitdem von Verbrauchern genutzt.■ Anfang des 20. Jhs. Protest Chicagoer Bürger gegen die katastrophalenZustände in den Schlachthöfen. Gründung der Food and Drug Administrati-on (FDA), die Qualitätsstandards und Kennzeichnungen der Waren durchsetzt.■ 1953. Gründung der deutschen Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherver-bände.■ 1962. Präsident John F. Kennedy formuliert die vier Grundrechte der Ver-braucher („Das Recht auf Sicherheit“, „Das Recht auf Information“, „DasRecht auf Wahlfreiheit“ und „Das Recht, Gehör zu finden“). ■ 1964. Gründung der deutschen Stiftung Warentest.■ 1971. Die Bundesregierung legt erstmals einen Bericht über Ziele undMaßnahmen ihrer Verbraucherpolitik vor.■ 1983. Weiterentwicklung der von Kennedy formulierten Rechte zur UN-Verbrauchercharta. ■ 1985. Einführung des consumer’s index in den USA, der das Verbrau-chervertrauen misst. Der Index ist ein ebensowichtiger Indikator für die wirt-schaftliche Entwicklung wie Inflationsrate oder Bruttosozialprodukt.

■ Seit der BSE-Krise 2001 führt ein Bundesministerium den Verbraucher-schutz im Namen und ist Verbraucherpolitik eine Querschnittsaufgabe. Siegeht weit über ernährungspolitische Fragen hinaus und mischt sich in dieUmwelt-, Sozial-, Gesundheits-, Wirtschafts- und Bildungspolitik ein.
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26 Die Akteure

„Shopping for a better world“ – mit dieser programmatischen Pa-role hat der Council on Economic Priorities (Rat für die Festlegungökonomischer Prioritäten) seit Anfang der 90er Jahre in den USAbeeindruckende Erfolge erzielt. CEP widmet sich der unpartei-ischen Analyse der sozialen und ökologischen Geschichte von Fir-men, um Investoren und Konsumenten in ihrer Produktwahl zu un-terstützen, denn Firmen werden durch die Entscheidung derKonsumenten in ihrer Strategie beeinflusst. Die internationalenBoykottaktionen gegen den Nestlékonzern (Stichwort Babynah-rung), gegen das Apartheid-Regime in Südafrika oder den Shell Kon-zern („Brent Spar“) gehören zu den bekanntesten Aktionen. Vieleinternationale Konzerne achten inzwischen auf die Arbeitsbedin-gungen in ihren asiatischen Produktionsstätten, weil sie sonst dra-matische Absatzeinbußen befürchten müssen. Die zögerliche Hal-tung des deutschen Bauernverbands und inzwischen auchbeträchtlicher Teile der CSU zur Agrogentechnik hängt mit der deut-lichen Ablehnung der Verbraucher gegenüber gentechnisch verän-derten Nahrungsmitteln zusammen. Und über Bio-Lebensmittelwird zurzeit an der Supermarktkasse abgestimmt.

Spürbar ist ein neues Selbstbewusstsein der Verbraucher. Siewissen, dass es von ihren Kaufentscheidungen abhängt, ob dieGlobalisierung in einen reinen Unterbietungswettbewerb und da-mit in einen race to the bottom zulasten von Ökologie und Sozialstan-dards mündet, oder ob sich ein nachhaltiger Konsum durchsetzt.Es gibt eine Reihe von Kriterien, die das entscheiden: ■ Gibt es genügend einfach zugängliche Informationen, sowohl im

Internet (etwa die Produktempfehlungen des Ökoinstituts unterwww.ecotopten.de) als auch in den Beratungsstellen der Ver-braucherzentralen? Oder zieht sich die Politik immer weiter ausderen Finanzierung zurück? In Mecklenburg-Vorpommern ha-ben die Sparmaßnahmen der SPD-PDS Regierung bereits zur er-sten Insolvenz einer Verbraucherzentrale geführt. Nur wennVerbraucherorganisationen informieren („Bellen“) und Sam-melklagen führen („Beißen“) können, ist es ihnen möglich, diegrauen und schwarzen Schafe einzufangen.

■ Wird sich in Deutschland wie in den angelsächsischen Länderneine Corporate Social Responsibility (CSR) durchsetzen, d.h.werden Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung über-nehmen? Die Stiftung Warentest berücksichtigt CSR-Aktivitäteninzwischen in ihren Tests, und die Verbraucherzentrale in NRWlotet zurzeit aus, ob sie dem folgen will.

■ Werden die Informationsrechte der Verbraucher Behörden undUnternehmen gegenüber gestärkt? Oder verheddert sich dasVerbraucherinformationsgesetz endgültig im föderalen Dickicht?Dabei könnten Unternehmen Wettbewerbsvorteile erzielen,

wenn sie Informationen über die Herstellungswege ihrer Produk-

E schutz auftritt, de-s dicker Bretter.

scher Sprecher von Bündnis 90 /Die Grü-nen. 2000 – 2005 Umwelt- und Landwirt-schaftsminister in Schleswig-Holstein. Seit 2006 Leiter der Verbraucherzentra-le NRW (www.vz-nrw.de).

Umsatzentwicklung Bio-Lebensmittel in Deutschland (in Milliarden Euro)

2,1

2,753,05 3,1

3,5

4,0

4,65

Umsatzentwicklung Fair Trade in Europa(in Millionen Euro)

te veröffentlichen würden.s gilt: Je präventiver und politischer Verbraucherto mehr Durchhaltevermögen hat er beim Bohren

VITA

KLAUS MÜLLER war von 1998 bis 2000Bundestagsabgeordneter und finanzpoliti-

QuellenOekolandbau.de: Bio-Markt Kompakt.Kennzahlen zum Markt für Bio-Lebensmittel.Bonn, 2006 Fair Trade Advocacy Office: Fair Trade inEurope 2005. Brüssel, Dezember 2005

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27

BLBio-Siegel, F

AUE ENGELair Trade – woran erkennt man, was gut ist?

VON VOLKMAR LÜBKE

Kampagnen gegen Missstände können heute schnell Erfolg ha-ben, insbesondere wenn sie sich mit Themen verbinden, die

empörungsträchtig sind. Die Rücknahme des Schokoriegels „But-terfinger“ durch Nestlé, nachdem eine bundesweite Kampagne derGreenpeace-Jugend auf den genmanipulierten US-Mais im Riegelhingewiesen hatte, ist dafür ein Beispiel. Oder die über Jahre geführ-te Kampagne gegen Kinderarbeit in der Teppichindustrie. Sie brach-te deutsche Anbieter dazu, die Initiative „Care & Fair“ zu gründen.

Schwieriger ist es, große Verbrauchergruppen dazu zu bringen,ihr Kaufverhalten dauerhaft an ethischen und ökologischen Krite-rien auszurichten. Dies liegt daran, dass dabei mit Vertrauenseigen-schaften gehandelt wird, die dem Produkt weder direkt angesehennoch aus Erfahrungen abgeleitet werden können. Woher kann manwissen, wie eine Ware hergestellt wurde? Welchen Informationenkann man trauen? Überhaupt, ist das nicht alles viel zu anstrengend?

Immerhin, das Interesse von Verbrauchern und kritischer Öf-fentlichkeit an diesen Informationen wächst und viele Unterneh-men reagieren. Nicht wenige unterwerfen sich Selbstverpflichtun-gen, nutzen Labelling und schreiben Nachhaltigkeitsberichte. Auchder Staat weitet die Kennzeichnungspflichten auf sozial-ökologischeDaten aus.

LABEL SPIELEN DABEI EINE WICHTIGE ROLLE. Produktsiegel sig-nalisieren die besondere Qualität des Angebots auf einen Blickund üben noch im Moment der Kaufentscheidung Einfluss aus. Vor-aussetzung dafür ist, dass sie bekannt sind. Die Anzahl der Siegelwird gegenwärtig auf über tausend geschätzt. Diese Vielfalt bildetdas größte Hindernis für ihre Wirksamkeit. Verbraucherorganisa-tionen bemühen sich deshalb um mehr Transparenz. In der Daten-bank www.label-online.de der Verbraucher-Initiative werden fast 300Siegel erläutert und bewertet, und unter www.label-dschungel.destellen die Verbraucherzentralen rund dreißig besonders wichtige

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Label vor. Einer der wichtigsten im deutschen Markt ist der Blaue Engel.

Das klassische Umweltzeichen wurde 1977 präsentiert und wirdheute für gut 3700 Produkten in achtzig Warengruppen genutzt. Dasot

os: p

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geworden. Die Aufgabe für Verbraucherorganisationen liegt jetztdarin, in der Öff irTrade“ und „Fai ts-unterschieden v

entlichkeitsarbeit die Unterschiede zwischen „Far Light“ deutlich zu machen und zu den Qualitäerschiedener Labels Stellung zu nehmen.

VITA

VOLKMAR LÜBKE arbeitet seit 1980 in,mit und für Verbraucherorganisationen.

Bio-Siegel wurde 2001 eingeführt, um die Zeichen, mit denen bisdahin Lebensmittel aus ökologischem Anbau ausgewiesen wurden,zu vereinheitlichen. Die Grundlage der Siegelvergabe bildeten dieVorgaben der EG-Öko-Verordnung von 1991. Damit reichen die Kri-terien zwar bei weitem nicht an das Niveau heran, das die ökologi-schen Anbauverbände durchsetzen wollten, aber der Markt wurdedadurch für mehr Anbieter geöffnet. Gegenwärtig sind mehr als 34000 Produkte von rund 1800 Unternehmen mit dem Bio-Siegelgekennzeichnet. Das Bio-Siegel hat einen wichtigen Beitrag dazugeleistet, Verbrauchervertrauen in Bio-Produkte herzustellen. 2005erzielte der klassische Lebensmitteleinzelhandel mit über 2 Milli-arden Euro den größten Anteil am Umsatz, gefolgt vom Naturkost-fachhandel mit fast einer Milliarde.

DER UMSATZ VON FAIR-TRADE-PRODUKTEN hat in Deutschlandum 2000 ein Tief durchschritten, gewinnt aber zunehmend An-schluss an das weltweite Wachstum. Dies geht wesentlich auf densteigenden Umsatz in Supermärkten zurück. Eine bemerkenswer-te Leistung der Fair-Trade-Organisationen ist die Einigung auf ein global einheitliches Siegel, womit der Siegelvielfalt entgegenge-wirkt wird.

Die Tatsache, dass der Begriff des Fairen Handels nicht geschütztist, lässt sehr unterschiedliche Anbieter zu. Eine größer werdendeZahl von Unternehmen prüft die Möglichkeit, selbst zum Anbietervon fair gehandelten Produkten zu werden, wobei im Zentrum dieVerwendung des Fair-Trade-Siegels steht. Dabei tauchen neue Akteu-re auf, zum Beispiel Nestlé, ein Konzern, der früher eher zur Gegen-seite gehörte. Zahlreiche Firmen versuchen, auf den Zug aufzu-springen, indem sie eigene Konzepte und Siegel entwickeln. Diesesind allerdings in Hinblick auf die Kriterien schwächer als die Ori-ginalkriterien der fairen Handelsorganisationen.

Die Informationslage für die Verbraucher ist unübersichtlich

Seine thematischen Schwerpunkte sind„verantwortlicher Konsum“ und „Unter-nehmensverantwortung“.

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Die Akteure28

„GUTES GEWISSEN RENTIERT SICH“

Das legt den Schluss nahe, dass es sehr schwer wird, Ökonomie und Ökologie zu versöhnen.

Letztlich wird es gehen müssen, wir haben keine Alternative. An-

Kriterien beherzigen?Wir haben es mit einem Trend zu tun. Eine ganze Branche lebt in-zwischen von ökosozialem Investment. Hunderte Banken, Bera-tungsfirmen und Anlagegesellschaften konstruieren Geschäftsmo- Fo

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fänge sind auch schon gemacht. Hunderttausende Jobs in Deutsch-

»Ökologisch bewusste Anleger können

Der Slogan „Grünes Geld“ nährt die Hoffnung, dass sichder Kapitalismus besänftigen ließe. Können wir die Weltmit Geld tatsächlich besser machen?

Der deutsche Konzern MAN Ferrostahl hat den Sohn des nigeria-nischen Diktators Sani Abacha beschäftigt – wohl in der Hoffnungauf Großaufträge. Daimler-Benz hat sich früh für die Gewerk-schaftsbewegung in Südafrika eingesetzt. Auch dabei ging es um ei-nen Markt der Zukunft. Wenn man mit Geld schlimme Dinge be-wirken kann, ist es auch möglich, damit gute Ziele zu erreichen. DerTrick besteht darin, die ungeheure Anziehungskraft des Geldes ander richtigen Stelle einzusetzen. Denken Sie an die Granmeen-Bankdes Nobelpreisträgers Mohammed Junus, der an Millionen ArmeKleinkredite gibt. Oder an Fabriken, die Solarzellen herstellen.

Muss Grünes Geld dem sozialen Fortschritt verpflichtet sein?Nachhaltigkeit beinhaltet auch soziale Verantwortung jenseits derErwartung von Profit. Weder sollten Unternehmen die Umweltschädigen noch ihren Beschäftigten schlechte Arbeitsbedingun-gen zumuten. Das Recht, Gewerkschaften zu gründen, ein An-spruch auf Urlaub und fairen Lohn gehören international zum Ba-sisstandard. Viele Unternehmen sind inzwischen bereit, mehr zutun als das Minimum. Keiner der großen Konzerne kann es sich lei-sten, die soziale Verantwortung so zu vernachlässigen, wie es in derVergangenheit mitunter geschehen ist.

Gegenwärtig werden weltweit 180 zusätzliche Autofabri-ken geplant oder gebaut, um die Produktionskapazitätenauf 110 Millionen Fahrzeuge pro Jahr zu verdoppeln.

ruhig schlafen. Die grünen Fonds liegenbei der Rendite oft weit vor denkonventionellen Fonds.«

land hängen nicht an der Autoindustrie, sondern an der Produkti-on von Wind- und Solarkraftwerken. So stünde die Maschinenbau-Firma Flender in Bocholt, NRW heute vor dem Aus ohne den deut-schen Windkraftboom.

Täglich werden auf den internationalen Finanzmärktenzwischen 1000 und 2000 Milliarden Dollar investiert. Nur ein Bruchteil davon folgt ökosozialen Kriterien. Haben wir es beim „grünen Geld“ mit einer unbedeuten-den Nische zu tun?

Dieses Segment ist klein, aber es wächst stark. Die Financial Times,eines der Leitmedien des globalen Kapitals, unterhält neben demklassischen britischen Aktienindex einen nachhaltigen AktienindexFTSE4Good. Und im vergangenen Jahr haben die Briten den Hil-ton Hotel Konzern und die New York Times wegen Nichteinhaltungvon Umweltkriterien aus diesem Index verbannt. Jetzt verlangt derIndex von den 250 Firmen, die dort gelistet sind, dass sie künftigihre CO2-Emissionen jährlich um 2,5 Prozent reduzieren. Bislangerfüllen erst fünfzig der 250 Firmen diese Vorgaben. Solche Anfor-derungen finden natürlich ihren Niederschlag in der Politik derAktiengesellschaften selbst. So haben achtzig internationale Kon-zerne unlängst die Regierungen aufgefordert, mehr für den Klima-schutz zu tun. Und Siemens-Chef Klaus Kleinfeld ist nach Davosgereist und hat verkündet, dass der größte Teil seiner Innovations-anstrengungen dem Energiesparen diene.

Immer mehr Investoren richten ihre Anlagepolitik also danach aus, ob Unternehmen ökologische und soziale

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sich mit ihnen tatsächlich Sinnvolles erreichen?

Ein Gespräch mit Hermann-Josef Tenhagen, ChZeitschrift Finanztest der Stiftung Warentest

delle, die auf Grünem Geld basieren. „Ökovision“, der bekanntesteökologische Aktienfonds in Deutschland, verwaltet inzwischen allein 450 Millionen Euro.

Was versprechen sich die Investoren von einer Geld-anlage, die nicht nur dem Profit gehorcht?

Viele Investoren glauben, dass es für Unternehmen gut ist, sichernsthaft mit der Zukunft zu beschäftigen. Wenn nun eine Firmadie sozialen und ökologischen Herausforderungen, die auf uns zu-kommen, in ihrer Geschäftspolitik berücksichtigt, kann dies als Aus-weis solider Zukunftsstrategie gelten. So etwas honorieren Investo-ren. Denn eine plausible Strategie spricht dafür, dass das betreffendeUnternehmen noch lange am Markt ist – anders als möglicherwei-se seine Konkurrenten, die kurzatmiger wirtschaften.

Investoren scheuen das Risiko?Sie wollen keinen Verlust erleiden. Sie hassen nichts mehr, alsSchocks, mit denen sie nicht gerechnet haben. Das ist einer derGründe, warum sich die Versicherungsbranche so massiv für denKlimawandel interessiert.

Gibt es eindeutige Kriterien, denen ich trauen kann, wennich eine ökosoziale Geldanlage suche?

Ja, mittlerweile stehen eine große Anzahl von Fonds und anderer Anlageformen zur Verfügung, die mit Hilfe von nachvollziehbarenKriterien erklären, welche Werte die Anleger in ihr Portfolio aufneh-men. Man kann Anlagen mit oder ohne grüne Gentechnik, Tabakoder Rüstungsindustrie wählen. Und ökologisch bewusste Anleger

Bor

rs

Grüne Fonds haben Zulauf und bieten überdurchschnittlicheRenditen. Aber ist dabei von einem stabilen Trend auszugehen?Wie vertrauenswürdig sind ökosoziale Geldanlagen? Und lässt

können ruhig schlafen. Die grünen Fonds liegen bei der Rendite häu-fnt

andere Branchen vorstellbar. Denken Sie nur an die Wasser- oderAbfallwirtschaft.

INTERVIEW: HANNES KOCHFoto

: Wol

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g

ig weit vor den konventionellen Fonds. Gutes Gewissen müssen Sieicht mehr mit geringerem Profit bezahlen – im Gegenteil. Es ren-

iert sich.

auch an die

VITA | PUBLIKATIONEN

HANNES KOCH ist Parlamentskorrespondent der taz. Er schreibt über Finanz-,Wirtschafts- und Umweltpolitik. 2003 gründete er das European Institute for Glo-

balisation Research, e4globe, das er seitdem leitet. VERÖFFENTEine Auswahl seiner Arbeiten findet sich unter www.hanneskoch.deHINWEIS: Einen Überblick über Grüne Geldanlagen, den Naturaktieund ethisch-ökologische Fonds veröffentlichte Finanztest im Februarmation: Tel. 030-2631-0

efredakteur der

Kann ich daraus schließen, dass ökologisch und sozial arbeitende Firmen profitabler arbeiten als konventionelleUnternehmen?

Bei manchen Firmen und Branchen ist das der Fall. Aus zwei Grün-den ist die Rendite etwa in der Wind- und Solarenergie augenblick-lich beachtlich. Es herrscht eine große Nachfrage aufgrund neuerpolitischer Sensibilität für das Thema. Und viele Regierungen un-terstützen die sauberen Energien. In Deutschland beruht die För-derung auf dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz, das die Kostender Markteinführung von Ökoenergie auf alle Stromverbraucher verteilt.

Dann liegt das Erfolgsgeheimnis der Firmen im guten Zugang zu öffentlichen Geldquellen?

So kann man das nicht sagen. Der japanische Fahrrad-Konzern Shi-mano, der in jedem Öko-Aktien-Index vertreten ist, bedient sichnicht aus den öffentlichen Haushalten. Und die sehr erfolgreicheBio-Lebensmittelkette Whole Foods Market in den USA tut es auchnicht.

Der politische Rahmen ist wichtig für ökonomisches Handeln. Was sollte die Bundesregierung tun, um verantwortungsbewusst handelnden Unternehmen denWeg zu ebnen?

Zum Selbstverständnis von Finanztest gehört es, keine politischenEmpfehlungen zu geben. Deshalb nur so viel: Dass sich Konti-nuität auszahlt, sieht man am Erfolg der langjährigen Förderung fürdie erneuerbaren Energien in Deutschland. So etwas wäre auch für

LICHUNGEN: nindex (NAI,) 2007. Infor-

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„Ein

leistenEin

und Vispielen

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30 Wege und Mittel

PROBLEMLÖSUNGEN DURCH WETTBEWERB

detaillierter Gesamtplan für die technologische Struktur einer Energiewendewirtschaft

ist nicht realisierbar.“ VON FELIX C. MATTHES

DIE ENERGIEWENDE im Zeichen globalen Klimawandels ist ei-ne Herausforderung von völlig neuer Dimension. Sie erfordert

einen Weg weitab des business as usual der letzten Jahrzehnte, einenfundamentalen Wechsel der technologischen Basis unseres Systems:eine massive Erhöhung der Energieeffizienz und einen erheblichenAusbau erneuerbarer Energien. Dabei wird die Nutzung kohlenstof-färmerer fossiler Energieträger wie Erdgas eine wichtige Rolle spie-len. Auch die Technologie der Abtrennung und Ablagerung von CO2

in geologischen Formationen könnte übergangsweise einen Beitrag

. e Analyse der notwendigen Maßnahmen zeigt, dass die Zahlelfalt der Technologien, die für die Energiewende eine Rolle können und müssen, weitaus größer ist als bisher angenom-

snikes and Gumbles IV, 1998

men. An vielen Stellen werden allerdings Innovationen angescho-ben, von denen nicht abzusehen ist, ob sie Erfolg haben. Die An-zahl enttäuschter Hoffnungen (zumindest auf der Zeitschiene) istgroß, man denke an die Brennstoffzellen und Speichertechnologi-en für emissionsarme Elektroautos. Doch es gibt auch eine Reihepositiver Überraschungen.

ANGESICHTS DER VIELFÄLTIGKEIT und der Kombinationsmög-lichkeiten der Lösungsbausteine wird keine Regierung und keine

noch so kluge Forscher-Community einen detaillierten Gesamtplanfür die technologische Struktur einer Energiewendewirtschaft ent-wickeln können. Deshalb ist einleuchtend, dass nur Wettbewerb undein gut ausgebildeter Markt für Problemlösungen den Mechanismus

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für die notwendigen Entdeckungsverfahren und die Verbreitungneuer Technologien bilden können.

Wenn aber Märkte zur Problemlösung beitragen sollen, brauchtes Voraussetzungen. Marktprozesse bekommen nur dann eine„richtige“ Richtung, wenn Preise als zentrale Informationsträger dieKnappheit des Gutes Umwelt spiegeln. Die Internalisierung exter-ner Kosten für die Marktprozesse bleibt damit – bei allen Umset-zungsproblemen von Emissionshandel, Steuern, Subventionen,Garantiepreisen im Detail – eine zentrale und alternativlose Aufga-be des Staates. Praktisch ist die Internalisierung externer Kosten je-doch nur möglich, wenn Gesellschaften und Staaten sich Ziele set-zen, die den Maßstab für die notwendige, jedoch keineswegshinreichende Basiskomponente des zukünftigen policy mix bilden.Auch vor diesem Hintergrund muss davor gewarnt werden, Verbrau-chermacht als entscheidenden Treiber der Transformation zu ide-alisieren. Letztlich werden nur veränderte Preisstrukturen den ent-scheidenden Antrieb für veränderte Nachfragestrukturen bilden.

Gerade wenn Preissignale und Innovationen eine so heraus-ragende Rolle spielen, sind funktionierende Märkte und vor allemeine ausreichende Akteursvielfalt die zentralen Voraussetzungen derEnergiewende. In der durch oligopolistische Strukturen gekenn-zeichneten Energiewirtschaft hat die Einführung von Wettbewerbbesondere Bedeutung.

Die überwiegend kurzfristig optimierenden Marktstrukturenbrauchen neben den wettbewerblichen Rahmensetzungen auchkomplementäre politische Interventionen. Gezielt angestoßene In-novationen vor allem im Bereich der Basistechnologien des Effizi-

Basisinnovationen, dem Auf- und Umbau notwendiger Infrastruk-turen sowie dem gezielten Abbau technologie- und akteursspezifi-scher Hemmnisse für den Einsatz emissionsarmer und energiespa-render Technologien, Strukturen, Geschäfts- und Lebensmodelle.ot

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VITA | PUBLIKATIONEN

FELIX CHRISTIAN MATTHES ist Koordinator des Bereichs Energie und Kli-maschutz im Öko-Institut. 2000–2002 war er sachverständiges Mitglied der

EgJaE

enz-, Solar- und Niedrigemissionszeitalters bleiben eine Aufgabe desStaates. Auch der Aus- und Umbau der Infrastruktur für ein neu-es, auf die Integration von dezentralen und zentralen Strukturengleichzeitig ausgerichtetes Energiesystem, bedarf staatlicher Initi-alzündungen, Rahmensetzungen und Regulierung, insbesondereda es sich bei den Netzen großteils um natürliche Monopole han-delt. Auch sollte nicht unterschätzt werden, dass es für eine ganzeReihe von Technologien erhebliche Marktbarrieren gibt (z.B. hoheTransaktions- und Informationskosten für viele Effizienztechnolo-gien), die problem-, technologie- und akteursspezifische Interven-tionen erforderlich machen. Staatliche Interventionen dieser Art soll-ten aber für die strategische Entwicklung und Evaluierung stets alssecond best-Lösungen gesehen werden, die der spezifischen Recht-fertigung bedürfen.

DIE FRAGE VON STAAT ODER MARKT im Kontext der Energiewen-de lässt sich vielleicht auf folgende Formel bringen: Die Entwicklungvon Marktstrukturen mit hoher Wettbewerbsintensität und großer Akteursvielfalt bildet einen notwendigen Kern jeder Energiewende-politik, wobei klare Ziele und Rahmenbedingungen und vor allemumfassende Bemühungen zur Internalisierung externer Kosten eine originär staatliche Aufgabe sind. Darüber hinaus bestehen un-verzichtbare staatliche Aufgaben im Bereich gezielter Förderung von

nquetekommission Nachhaltige Energieversorgung unter den Bedingun-en der Globalisierung und der Liberalisierung des Deutschen Bundestags.ÜNGSTE VERÖFFENTLICHUNGEN: „The Vision Scenario for the Europe-n Union“, November 2006. „Power Generation Market Concentration inurope 1996–2005. Án Empirical Analysis“, Februar 2007.

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32 Wege und Mittel

MÄRKTE SIND GUTE DIENER,

ABER SCHLECHTE HERREN Bausteine ökologischer Marktwirtschaft. VON JÖRG HAAS

Unsere so erfolgreiche marktwirtschaftliche Ordnung schaffteinen ungeheuren Güterfluss, den sie sehr ungleich verteilt.

Und sie produziert Schäden, die ganze Landstriche zerstören. Grü-ne Politik ist auch wirtschaftspolitisch gefordert. Gebraucht wird einnüchterner Blick: Was können Märkte leisten, was sind ihre Gren-zen, was ihre Voraussetzungen?

DAS JANUSGESICHT DES WETTBEWERBS. Wettbewerb fördertProduktivität und stimuliert Innovation. Er kann Effizienzreservenauch für ökologische Fortschritte und Öko-Innovationen mobilisie-ren. Er bringt ständig neue, bessere Produkte und Dienstleistungenhervor, bietet die Befriedigung von Bedürfnissen, von denen wirnoch gar nicht wussten, dass wir sie hatten. Doch der Wettbewerbhat auch ein zweites Gesicht.

Das klassische Problem freier Märkte ist die Externalisierung derKosten. Der einzelne Marktteilnehmer hat Vorteile, wenn er sozia-le und ökologische Kosten auf die Um- und Nachwelt abwälzt, derWettbewerb zwingt ihn dazu. Die unsichtbare Hand des Marktessteuert fehl und produziert sozial unerwünschte Ergebnisse. Dasist keine Ausnahme, sondern die Regel: „The Stern Review on theEconomics of Climate Change“ spricht über den Klimawandel alsgrößtes und weittragendstes Versagen des Marktes.

VON DER VERANTWORTUNG DER UNTERNEHMER UND IHRE GRENZEN

Marktversagen ist nicht mit Strategien freiwilliger Corporate SocialResponsibility beizukommen. Denn allenfalls Eigentümergesell-

schaften können es sich zuweilen leisten, um sozialer und ökolo-gischer Verantwortung willen auf die Externalisierung relevanter so-zialer und ökologischer Kosten zu verzichten. Das Management vonKapitalgesellschaften muss aus Verpflichtung ihren Kapitaleigen-

tümern gegenüber jede legale Möglichkeit zur Maximierung derRendite nutzen. Wenn Kapitalgesellschaften sich sozial und öko-logisch verantwortlich verhalten, ist das letztlich auch wieder öko-nomischem Kalkül geschuldet. Die Reputationsrisiken für denMarkenwert sind dann größer als die Gewinne, die durch Externa-lisierung von Kosten zu realisieren sind. Das ist wichtig, doch greiftnur bei dem Teil der Unternehmen, die am Endkundenmarkt ope-rieren.

MÄRKTE BRAUCHEN ÖKOLOGISCHE RAHMENBEDINGUNGENEine Antwort auf das Problem der Externalisierung von Kosten istder ökologische Ordnungsrahmen. Ob Ökosteuer oder Emissions-handel: Die Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen. Dochnicht immer greifen marktliche Mechanismen.

Verbindliche Effizienzstandards wie bei Fahrzeugen, finanziel-le Anreize wie bei erneuerbaren Energien, oder schlichte Verbotewie im Falle von Glühbirnen – angesichts weitverbreiteten Markt-versagens gehört auch dieses Instrumentarium zum ökologischenOrdnungsrahmen.

DER WETTBEWERBSSTAAT UND OFFENE MÄRKTEUnter den Bedingungen offener Märkte ist eine anspruchsvolle Rah-mensetzung schwer durchzusetzen. Ob zu unrecht oder zu recht,von sozial-ökologischer Regulierung betroffene Interessenverbän-de verweisen darauf, dass ihre Wettbewerbsfähigkeit leiden würde.Die Maßnahmen würden die Produktion ins Ausland vertreiben.

Die mit dem Stichwort „Globalisierung“ verbundene Politik

weltweiter Marktöffnung hat unsere Staaten in Wirtschaftsstandor-te verwandelt, die um Arbeitsplätze konkurrieren. Doch nur wenndie Reichweite demokratischer Rahmensetzung sich mit der Reich-weite der Märkte deckt, können Märkte ihre gewünschte Wirkung
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gesichts der Klimakrise erkennen wichtige Teile der Wirtschaft, dassa ystemsk ianzen.S .

Bruttosozialprodukt aller

entfalten. Eine Antwort darauf ist Global Governance, die globale Aus-dehnung sozialer und ökologischer Rahmenbedingungen. Doch sieist ein Projekt für die nächsten Jahrzehnte. Auch stellen sich großeFragen nach den Funktionsbedingungen transnationaler Demokra-tien. Angesichts der ökologischen Krise muss die Öffnung vonMärkten im Konfliktfall zurückstehen hinter der Notwendigkeit derInternalisierung von Kosten. Ausgleichszölle (border tax adjust-ments) sind dafür ein notwendiges Instrument.

DEMOKRATIE ALS VORAUSSETZUNGMarktwirtschaft braucht ökologische Rahmenbedingungen, umihr wohlfahrtsstiftendes Potenzial zu entfalten. Doch übersetzt sichauch in Demokratien die wirtschaftliche Macht nur zu oft in poli-tische Macht. Unter den zehn größten Konzernen der Welt findensich fünf Ölkonzerne und vier Autokonzerne, die alle durch mas-sive Externalisierung von CO2-Kosten gewachsen sind. So kann einTeufelskreis entstehen. Die Externalisierung von Kosten schafftExtra-Gewinne, die wiederum politische Macht verleihen, welche dieInternalisierung von Kosten verhindert.

Ökologische Marktwirtschaft braucht daher die Begrenzungder Einflussnahme wirtschaftlicher Akteure auf die Politik. Dies im-pliziert nicht nur mehr Transparenz hinsichtlich des Lobbyismus,sondern auch die Bekämpfung wirtschaftlicher Machtkonzentrati-on in viel schärferer Weise, als sie zur reinen Sicherung des Wett-bewerbs notwendig wäre.

GEMEINSCHAFTSGÜTER ALS PRODUKTIVKRAFTIn jüngerer Zeit wächst das Bewusstsein für die Commons, die Ge-meinschaftsgüter, die bisher als „schwarze Materie“ unseres Wirt-schaftssystems (Peter Barnes) meist unsichtbar blieben. Ob saube-res Wasser oder stabiles Klima, gesunde Meere oder biologischeVielfalt: Die natürlichen Gemeinschaftsgüter bilden die Basis fürunser aller Wirtschaften, sind unersetzliches „Naturkapital“. DasMillenium Ecosystem Assessment der UN hat den Blick auf die„Dienstleistungen“ der Natur gelenkt.

Commons erleiden oft ein zweifaches Schicksal. Sie werdenübernutzt und damit als Ressource zerstört. Sie werden privat an-geeignet und damit ihres Charakters als Gemeinschaftsgut be-raubt. Schutz vor Zerstörung, Zugang für alle Bürger, Teilhabe anihrem ökonomischen Nutzen und demokratische Entscheidungs-findung über die Commons sind ein zentrales Element einer ökolo-gischen Marktwirtschaft.

Das ökonomisch bedeutsamste Gemeinschaftsgut ist unsere At-mosphäre und ihre begrenzte Aufnahmefähigkeit für CO2. Gemäßdes o.g. Prinzips müssen die Knappheitsrenten dieses Guts allen

Bürgern zugute kommen. Die Emissionsrechte des europäischen

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ÖFFENTLICHUNG: „Verschenken? Verkaufen? Versteigern?Warum der Handel mit Emissionszertifikaten die Erwartun-gen der Klimapolitiker nicht erfüllt.“ In: Böll.Thema 3,2006.

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WACHSTUM INNERHALB VON GRENZENDie Debatte über die Grenzen des Wachstums hat eine lange Ge-schichte. Was ist davon geblieben? Bis heute ist es nicht gelungen,die Abhängigkeit des Arbeitsmarkts, der Staatsfinanzen und sozia-len Sicherungssysteme vom Wachstum des Bruttosozialprodukts zulockern. Zweifellos ist Wirtschaftswachstum unverzichtbar für denraschen Strukturwandel, der für eine sozial verträgliche Bewältigungder ökologischen Krise notwendig ist. Doch Wirtschaftswachstumist heute nur noch innerhalb von ökologischen Grenzen gerechtfer-tigt, und das in dem Maße, wie es die fossile Wirtschaft umbaut undmit Schrumpfung der Umweltbelastung einhergeht.

FÜR EINE NEUE NÜCHTERNHEITAll das macht deutlich: Nach linker Marktfeindschaft und neolibe-raler Markttrunkenheit ist es nun Zeit für einen neuen Realismusin der Wirtschaftspolitik, der die Chancen marktförmiger Prozes-se nutzt und ihre Voraussetzungen und Grenzen kennt. Die Durch-setzung der ökologischen Marktwirtschaft wird keine Konsensver-anstaltung werden. Mächtige Interessensgruppen werden sich ihrauch weiter entgegenstellen. Doch besteht Hoffnung. Gerade an-

n der ökologischen Transformation unseres Wirtschaftssein Weg vorbeiführt. Dies eröffnet Chancen für neue Allie müssen illusionslos und entschlossen ergriffen werden

Das Millenium EcosystemAssessment, ein fünfjährigesForschungsvorhaben unterBeteiligung von 1360Wissenschaftlern aus aller Welt, beziffert den Wert derDienstleistungen unseresÖkosystems auf jährlich 30 Billionen Dollar – mehr als das kombinierte

Länder. www.natur.org/pressroom/press/press1933.html

Emissionshandels müssen daher versteigert und die erzielten Eikünfte entweder an die Bürger ausgeschüttet oder gemeinwohlorentiert verwendet werden.

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JÖRG HAAS ist Referent für Ökologie und Nachhaltige Ent-wicklung in der Heinrich-Böll-Stiftung. JÜNGSTE VER-

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34 Wege und Mittel

REVOLUTION

DER EFFIZIENZ Über die Potenziale ökologischer Innovationen.

Eine gesellschaftliche Entwicklung hin zur ökologischen Ver-träglichkeit muss an vier Enden ansetzen: an der Erhöhung

der Umwelteffizienz, der Schließung von Stoffkreisläufen und derFörderung von ressourcen- und umweltschonenden Innovationen.Aber die rein technischen Lösungen werden nicht ausreichen, esmuss eine Anpassung der Lebensstile an die Ideale von Gerech-tigkeit und an eine nachhaltige Wirtschaftsweise hinzukommen.Auf diese vier wichtigen Strategien soll im Folgenden kurz einge-gangen werden.

Erhöhung der UmwelteffizienzEffizienz bedeutet, mit einem gegebenen Mitteleinsatz möglichstviel an Dienstleistung zu erzeugen oder aber eine gewünschteDienstleistung mit dem geringsten Mitteleinsatz zu befriedigen.Diesen Grundgedanken aus der Ökonomie kann man auch auf dieNutzung von Naturgütern übertragen. Eine gewünschte Dienstleis-tung soll mit dem geringst möglichen Verbrauch an natürlichenRohstoffen und der Nutzung der Natur als Senke für Abfälle undEmissionen erstellt werden. Wissenschaftler wie Ernst-Ulrich vonWeizsäcker und die Experten vom BUND sind davon überzeugt,dass wir die heutigen Produkte und Dienstleistungen mit 25 Pro-zent oder sogar nur mit zehn Prozent des heutigen Natur„ver-brauchs” erwirtschaften könnten. Eine solche Reduktion um denFaktor 4–10 würde in der Tat die Biosphäre wesentlich entlasten.

Die Erhöhung der Umwelteffizienz ist eng mit neuen techni-schen Entwicklungen verbunden. Intelligente Steuerungssystemekönnen den Energieverbrauch in Haushalt und Betrieben deutlich

vermindern, ohne den Komfort zu schmälern. Bei umweltschonen-

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vationen Grundlage für den weiteren Erfolg. Integrierte Produktionsketten verlangen vor allem Neuerungen

im Prozessablauf. Dabei kommt der Nanotechnologie und den in- Foto

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den Technologien kann man zwischen nachgeschalteten (addund vorsorgenden (integrierten) Techniken unterscheiden.

Bei der nachgeschalteten Technik handelt es sich um

VITA | PUBLIKATIONEN

ORTWIN RENN ist Professor am Institut für Sozialwis-senschaften an der Universität Stuttgart, AbteilungTechnik und Umweltsoziologie. Er ist Mitglied des

Nachhaltigkeitsbeirats von Baden-Württemberg.JÜNGSTE VERÖFFENTLICHUNG zus. mit Anja Knaus:„Den Gipfel vor Augen. Unterwegs in eine nachhaltigeZukunft.“ Metropolis, Marburg 1998.

VON ORTWIN RENN

Schutz der Umwelt, der durch Reparatur und Korrektur der nega-tiven Auswirkungen entsteht. Diese sogenannten End-of-pipe-Tech-nologien verändern den Produktionsprozess nicht wesentlich, auf-tretende Emissionen werden durch nachgeschaltete Anlagenausgefiltert oder zurückgehalten. Die bekannte Katalysatortechnikzur Filterung der Auspuffgase kann hier als Beispiel dienen.

Vorsorgende Technologien hingegen gehen über die Ent- undNachsorgung hinaus. Auch hier ein Beispiel aus der Welt derAutomobile. Effizienzverbesserungen sind vor allem durch die Er-höhung der Ressourcenproduktivität pro Wegstrecke (etwa 3-Liter-Auto) möglich. Angesichts des rasanten Klimawandels ist diese Ver-brauchssenkung unbedingt erforderlich. In der Regel ist dieVerbesserung der Öko-Effizienz mit Kosteneinsparungen verbun-den. Aus diesem Grund ist auch nicht mit einer Verschlechterungder globalen Wettbewerbssituation zu rechnen.

Schließung von Stoffkreisläufen Hinter der Kreislaufidee steckt der Gedanke, die durch Umwand-lungen und Produktionsverfahren entstandenen Stoffe in mög-lichst naturnahe Stoffe zurückzuführen bzw. den Anfall schädlicherStoffe zu minimieren, etwa durch das Recycling von Materialien.In den Wiederverwertungsprozess können bestimmte Produktenach dem Endverbrauch einbezogen werden, es finden aber auchWiederverwendung und wiederholter Einsatz innerhalb geschlos-sener Produktionsprozesse statt. Ein Beispiel für eine praktikableund erfolgreiche Schließung von Kreisläufen sind Einsparungenbeim industriellen Wasserverbrauch durch den Mehrfacheinsatz vonKühl- oder Abwässern. Auch in diesem Falle sind technische Inno- tt

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telligenten Prozesssteuerungsanlagen eine wichtige Funktion zu.Die Schließung von Kreisläufen ist häufig mit Kosten verbunden,die die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen beeinträchtigenkönnen. Um dies zu verhindern, ist es Aufgabe der Politik, inter-national bindende Minimalstandards zu vereinbaren.

Ressourcen- und umweltschonende Innovationen

Weit über die unternehmerische Verantwortung für die Produktions-prozesse zielt das Konzept nachhaltiger Innovationsförderung.Neue Technologien sind gefragt, die von vornherein produktions-und anwendungsbedingte Nebenwirkungen für Umwelt und Naturauf ein Minimum beschränken. Die Schonung von Ressourcen undUmwelt lässt sich vor allem durch die Wahl der Materialien, Produk-tionsverfahren und durch Abfallvermeidung erreichen. Beispieledafür sind neue regenerative Energieträger für Haushalt und Indu-strie oder Antriebsstoffe wie Wasserstoff oder Biodiesel. Darüber hin-aus werden Langlebigkeit, lange Nutzungsdauer und der vielseiti-ge Einsatz von Produkten und Produktkomponenten angestrebt.Haltbarkeit, Reparaturfreudigkeit und Nachrüstbarkeit sind wich-tige Kriterien einer umweltbezogenen Produktpalette. Die Erfahrunglehrt, dass mit einer aktiven Innovationspolitik die internationaleWettbewerbsfähigkeit in der Regel gestärkt wird. Neue umweltan-gepasste Verfahren sind meist insgesamt effizienter und vermeidenKosten für Abfallentsorgung und Ressourcennutzung.

Umweltbewusster Lebensstil

Unter dem Stichwort „Suffizienzstrategie“ wird heute ein Ansatz dis-kutiert, der auf die Verringerung des materiellen Konsums abzielt.Viele Forderungen, die mit dem Übergang zu einem nachhaltigenLebensstil verbunden sind, lassen sich letztlich nur über die Sub-Fo

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GRÜN IST DIE DIENSTLEISTUNG VON SILKE KREBS

Im Dienstleistungsbereich liegt in Deutschland ein großes uner-schlossenes Potenzial an Wertschöpfung und Arbeitsplätzen. DieNotwendigkeit eines Strukturwandels hin zur Dienstleistungs-gesellschaft wird zwar generell bejaht, jedoch fehlt es an der prak-tischen Umsetzung. Wir verharren in alten Strukturen, setzenfalsche Prioritäten in der Wirtschaftspolitik und bei Investitio-nen. Die Parallelen zur zaudernden Ökologisierung unserer Wirt-schaft liegen auf der Hand.

Zwischen ökologischem Wirtschaften und Dienstleistungsori-entierung besteht eine enge Verknüpfung: Dienstleistungen schaf-fen Arbeitsplätze und verbrauchen weniger Ressourcen als die Pro-duktion von Waren. Und die ökologische Modernisierung schafftden Bedarf für die spezifisch grünen Dienstleistungen. Ein Beispieldafür wäre die Förderung von ressourcensparendem Produzierendurch Serviceangebote ähnlich denen der Energieagenturen: Einklug kombiniertes Paket aus Erstberatung und Bedarfsanalyse, Ein-führungsbegleitung und Finanzierungsberatung könnte geradekleinen und mittleren Unternehmern helfen, ökologisches Neu-land und Kostenersparnisse zu erschließen.

Von Energie-Contracting könnten auch die Konsumenten profitieren. Eine Beraterfirma ermittelt etwa das Energieeinspar-potenzial beim Haushaltsequipment, stellt die sparsamsten undsinnvollsten Neuanschaffungen zusammen und bietet Finanzie-rungspakete, die zukünftige Verbrauchskostenersparnisse in Hilfe bei den nötigen Anfangsinvestitionen umwandeln. Förder-programme hierfür sind sinnvoller als Glühlampenverbote à la Australien!

Das Ziel ist, den Konsum so weit es geht, vom Rohstoffver-brauch zu entkoppeln. Nicht das jeweils neueste Modell garantiertBedienungskomfort und Zeitersparnis im häuslichen Maschinen-park. In der Regel sind wir schon froh, wenn es uns gelingt, die bewährten und bekannten Funktionen einer Waschmaschine ab-zurufen. Viele Zusatzfunktionen bleiben ein Buch mit sieben Siegeln. Wirklichen Komfort verspricht da ein Rundum-sorglos-Paket auskombinierbaren, umbau- und reparaturfähigen Geräten, Bedie-nungsservice und Vor-Ort-Wartung. So können wir den Ausstiegaus unserer rohstoffverschleißenden Konsumwelt ohne Verzichtauf Lebensqualität schaffen.

Die Koppelung von technischen Innovationen mit intelligen-

ten Dienstleistungen ermöglicht neue nachhaltige und umwelt-

weltfreundli- zur StärkungChancen!

schonende Produktsysteme. Was gut ist für den umchen Umbau der Industriegesellschaften kann auchdes Wirtschaftsstandorts beitragen. Nutzen wir die

VITA

SILKE KREBS ist Mitglied im Landesvorstandder Grünen Baden-Württemberg und im Kreis-

vorstand der Grünen in Freiburg. Ihren mo-mentanen Arbeitsschwerpunkt Grüne Dienst-leistungsorientierung vertritt sie auch in dergrünen Landesarbeitsgemeinschaft Wirtschaftund Soziales.
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stitution von Material und Energie durch Information verwirklichen,sofern es nicht zu reinen Verzichtslösungen kommen soll. Dabei istauch die Suffizienz an technische Entwicklungen gekoppelt. Der imSinn der Suffizienz „neue“ Konsument erwartet zum Beispiel vonder Wirtschaft technische Geräte, die nicht nur langlebig, reparier-bar und wiederverwendbar sind. Gefragt sind darüber hinaus tech-nikbegleitende Dienstleistungen, die den Verbraucher befähigen,ohne großen Materialaufwand seine Bedürfnisse zu befriedigen. DieIndustrie ist gut beraten, auf Veränderungen von Lebensstilen miteinem neuen erweiterten Dienstleistungsangebot zu reagieren und,um nur ein Beispiel zu nennen, den zur Zeit noch eher kleinenMarkt der umweltbewussten aber mobilitätsfreudigen Kunden ge-zielt zu bedienen. Dafür bieten sich im Bereich der Mobilität neue

36 Wege und Mittel

Formen an wie etwa Fahrgemeinschaften, Car-Sharing, Mobilitäts- te Innovationen und „entmaterialisierten“ Konsum in weitausgutscheine, Verbindungen von privaten und öffentlichen Mobi- größerem Maße als bisher in den Wirtschafts- und Innovationspro-litätsangeboten oder die Eröffnung von virtuellen Räumen. Darü- zess einbauen. Die bisherigen Anreize aus Politik und Zivilgesell-ber hinaus wird aber kein Weg daran vorbeiführen, den eigenen schaft reichen dafür noch nicht aus.

ÜBERFLUTUNGENZahl der Ereignisse pro Dekade

„Die Anzahl und Intensität von extremen Klimaereignissen wird auder Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt im Deutschen Institut für W1950 fortschreibt, wie die Grafik zeigt.

Lebensstil auf den Prüfstand zu stellen. Die Statistik lehrt uns näm-lich, dass bis heute alle Effizienzgewinne, die zum Teil schon jetzterheblich sind, durch unseren zunehmenden Konsumhunger mehrals wettgemacht worden sind. Der Verbrauch an Naturgütern proKopf der Bevölkerung steigt, obwohl jedes einzelne Produkt umwelt-freundlicher geworden ist.

Die Postulate einer ökologisch ausgerichteten Innovationskul-tur geben also eine Entwicklung der Technik vor, die auf der einenSeite den Trend der erweiterten Transformation von Natur- in pro-duktive Kulturlandschaft fortsetzen wird, um für eine Menschheitvon über 6,5 Milliarden humane Lebensverhältnisse zu sichern.Zum anderen muss sie aber die Knappheit der Naturgüter durch ver-besserte Effizienz, Schließung von Stoffkreisläufen, umweltgerech-

ch in Deutschland zunehmen“, so Claudia Kemfert, Leiterinirtschaftsforschung. Das liegt im Trend, der sich schon seit

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37nd Wege

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ÖKOSTEUDAS EFFIZIENTESTE INSTRUMENT. VON ANSE

AX BADS, NOT GOODS. Kürzer und einleuchtender kann man guteIdeen nicht formulieren. Doch trotz großer Erfolge in Deutsch-

land wie Europa scheint der Vormarsch der Ökosteuer derzeitblockiert. Was hindert uns daran, diesen Erfolgsweg fortzusetzen?

Zunächst zu den viel zu wenig anerkannten Erfolgen. Eine EU-weite Übersicht unterschiedlicher Ökosteuern nach Ländern1 zeigtdie Vielzahl der Modelle und Kombinationen. Die Tabelle beweist:

Die Europäer sind kreativ, es führen mehrere Straßen nach Rom undkein Land muss sklavisch die Nachbarn kopieren. Heute machenUmweltsteuern europaweit schon drei Prozent vom BIP aus. In Ka-nada sind es 1,4 Prozent, in den USA 0,9 Prozent. Und eine brand-neue Analyse zeigt, dass die Einführung der Ökosteuer Europa kei-ne Wachstumsprozente kostete – man rechnet sogar mit etwa einProzent höherem BIP dank Ökosteuer.2 Zugleich zeigen alle empi-rischen Auswertungen, dass Länder, die höhere Ökosteuern verlan-gen, erfolgreicher beim Energiesparen sind. Ökosteuern habenUmweltverbesserungen gebracht – ohne Wohlstandseinbußen!

Wenn Ökosteuern schlechte Steuern ersetzen, etwa überhöhte

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Belastungen des Faktors Arbeit, dann können sie gleichzeitig denArbeitsmarkt entlasten, das Wachstum fördern und der Umwelt hel-fen. Warum aber ist dieses insgesamt so erfolgreiche Programm invielen Ländern ins Stocken geraten, insbesondere in Deutschland?

Hinweise 1. www.foes.de/de/downloads/Memorandum/GermanGreenBudgetReform.2. Siehe zu den Auswirkungen in Deutschland auch die DIW-Studie:

www.umweltbundesamt.de/uba-info-presse/2005/pd05-059.htm3. Unsere aktuellsten Analysen unter

www.foes.de/de/downloads/Memorandum/GermanGreenBudgetReform

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LM GÖRRES

ANTWORT EINS: die Preisexplosion der fossilen Energien an denWeltmärkten, insbesondere von 2004–2006. Die deutsche Wirt-schaft wurde mit insgesamt 40–50 Milliarden Euro belastet. Um et-wa den gleichen Betrag hat die rot-grüne Umweltpolitik in derKombination aller Maßnahmen erneuerbare Energien entlastetund „alte“ Energien höher belastet. Aus der Gesamtsignalwirkungvon 80–100 Milliarden resultieren zwar eindrucksvolle Umwelt-erfolge, aber auch wachsende Aversionen der Bürger gegenüber hohen Energiepreisen.3

DIE ZWEITE ANTWORT ist eher polit-psychologisch als ökono-misch. Schon der „Schock von Madgeburg“ – also die Abstrafung derGrünen durch die Wähler nach dem berühmten Beschluss, den Ben-zinpreis auf fünf DM zu erhöhen – hat vielen Ökosteuerprotagoni-sten den Schneid abgekauft. Nach dem Wahlsieg von Schwarz-Rot,so knapp er war, scheint ein lähmendes Pari erreicht: Die Ökosteuerwird weder ab- noch ausgebaut. Grüne wie rote Umweltpolitiker be-fallen beim Wort Steuer Sprachhemmungen. Leider nehmen sie sichdabei selbst die Chance, mit den gemeinsamen Erfolgen zu werben.

DIE DRITTE ANTWORT liegt in dem Ausbau des Emissionshandels.Begeistert von Eleganz und Effizienz marktwirtschaftlicher Instru-mente haben viele Ökosteuerbefürworter den Charme „altmodi-scher“ Regulierungsinstrumente vergessen. Beispiele für derenschrittweise Wiederentdeckung sind die von Schwarz-Rot durchge-setzte Beimischungspflicht beim Benzin oder die EU-weite Vorga-be von Emissionsobergrenzen für Fahrzeugflotten. Ein Tempolimitwäre ein weiteres Beispiel für intelligente Ordnungspolitik. AuchAnhänger marktwirtschaftlicher Instrumente sollten anderen In-strumenten gegenüber die Scheuklappen ablegen.

Für den Ausbau des im Vergleich zur Ökosteuer jüngeren Instru-ments Emissionshandel sprechen gute Gründe. Etwa der, dass die-ses Instrument anders als die Ökosteuer durch keine EU-Einstimmig-keitsklausel blockiert wird. Auch seine internationale Dimensionbegünstigen den Emissionshandel. Wenn die Emissionsrechte dannnoch schrittweise versteigert statt verschenkt werden, können auchÖkosteuerfreunde mit diesem Instrument bestens leben.

FAZIT: Auch die Ökosteuer kann mit einer Renaissance rechnen,

doch nicht sofort. Spätestens aber dann, wenn andere Instrumen-

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te an ihre Grenzen stoßen und die Kyoto-Ziele weiter verfehlt werden. Auf Dauer wird keine Gesellschaft auf das effizienteste alleUmweltinstrumente verzichten können.

VITA | PUBLIKATIONEN

ANSELM GÖRRES ist Vorsitzender des Fördervereins Ökolo-gische Steuerreform e.V. und Geschäftsführender Gesell-schafter der ZMM Zeitmanager München GmbH, die mittel-

ständische Firmen berät und durch Management auf Zeitunterstützt. 1984 –91 war er Unternehmensberater beiMcKinsey. VERÖFFENTLICHUNG: „Der Weg zur Ökolo-gischen Steuerreform“, FÖS-Memorandum 1994.
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38 Mittel und Wege

Regrets, 1994

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EMISSIONSHANwichtigste Instrument der Klimapolitik. VON ERI

Der europäische Emissionshandel hat das Potenzial, zum inter-national wichtigsten Instrument bei der Bekämpfung des Kli-

mawandels zu reifen. Einige Anpassungen könnten die Attraktivitätund Funktionsfähigkeit des Systems noch verbessern. Dazu zähltvor allem eine Versteigerung der Zertifikate.

Eine Versteigerung der Zertifikate – anstelle einer kostenlosenZuteilung – hätte erhebliche Vorteile. Der Marktmechanismus wür-de schon im Vergabeprozess seine positive Wirkung entfalten. Wei-tere Vorteile lägen in der Vereinfachung des Systems. Die anlagen-bezogenen Mengenpläne und deren Koordination entfielen. Esmüsste lediglich auf nationaler Ebene die Emissionsobergrenze fürTreibhausgase festgelegt werden.

Durch den Verzicht auf eine kostenlose Zuteilung würde zudemder Einfluss von Lobbygruppen reduziert. Ferner wäre ein schnel-lerer Umstieg auf kohlenstoffärmere Energieträger zu erwarten, daKohlendioxid (CO2) bei einer Versteigerung der notwendigen Emis-sionszertifikate ein echter Kostenfaktor für die Unternehmen ist.Aufgrund der langen Laufzeit von Kraftwerken sollten die Verstei-gerungsanteile allerdings nur schrittweise erhöht werden, damit dieKraftwerksbetreiber auch die Möglichkeit hätten, ihren Energiemixumzustellen.

Die EU könnte die Planungssicherheit erhöhen, wenn sie früh-zeitig für die dritte Handelsperiode nach 2012 einen Pflichtverstei-

gerungsanteil ankündigt. Da Gas bei einer Versteigerung gegenü- gie existierte.

Förderung von Infrastrukturmaßnahmen, die den (grenzüber-schreitenden) Wettbewerb im Strom- und Gasmarkt stärken(z.B. Investitionen in Grenzkuppelstellen). Fo

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ber Kohle aufgrund des geringeren Bedarfs an Zertifikaten besserabschneidet, könnte sich die Energiewirtschaft bei ihren Planungenzum Kraftwerksbau an diesen Ankündigungen orientieren.

VITA | PUBLIKATIONEN

ERIC HEYMANN ist seit 1998 als Senior Economist bei DeutscheBank Research im Bereich Branchenanalyse tätig. Der Diplom-Öko-

nomom ist zuständig für die Bereiche Umweltwirtschaft und -politikVerkehrswirtschaft und -politik, Automobilindustrie und Konsumgüter. JÜNGSTE PUBLIKATION: „EU-Emissionshandel: Verteilungskämpfe werden härter“. Deutsche Bank Research, AktuelleThema Nr. 377. Frankfurt am Main 2007.

DEL Das vielleicht internationalC HEYMANN

VIELFÄLTIGE VERWENDUNGSMÖGLICHKEITEN FÜR VERSTEIGE-RUNGSERLÖSE

Ein ganz entscheidender Vorteil der Versteigerung wäre die Einnah-menerzielung. Damit stellt sich sofort die Frage nach potenziellenMittelverwendungen. Aus ökologischer Sicht ist es natürlich nichtzweckmäßig, die Einnahmen aus der Versteigerung den Konsumen-ten in Form subventionierter Energiepreise zurückzugeben. Dage-gen bietet sich eine Reihe von sinnvollen Verwendungszwecken an:

■ Förderung konkreter Umweltprojekte oder die Forschung undEntwicklung im Bereich Umwelttechnologie. Denkbar wäre et-wa die Mittelverwendung für die Forschung zur Abscheidungvon CO2 bei Kohlekraftwerken oder zur Unterstützung von En-ergiesparmaßnahmen bei den privaten Haushalten (z.B. Wärme-dämmung).

■ Förderung von Maßnahmen, die der Verringerung der negati-ven Folgen des Klimawandels dienen, etwa Deichbaumaßnah-men oder die Verbesserung der Bewässerungslandwirtschaftin bestimmten Ländern.

■ Schuldentilgung der öffentlichen Haushalte. Dies käme denVerbrauchern aufgrund künftig niedrigerer Steuerbelastungenzugute, gleichzeitig würden die Energiepreise hoch bleiben, so-dass kein Anreiz zum verschwenderischen Umgang mit Ener-

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Heinrich

HERAUSFORDERUNGEN FÜR DEN SOZIALSTAAT DER ZUKUNFTDas bundesdeutsche Sozialmodell steht auf dem Prüfstand. Wie können soziale Ausgrenzung verhindert undgesellschaftliche Teilhabe und Chancengleichheit gesichert werden? Welche Strategien führen zu mehr Be-

schäftigung? Und wie lässt sich der Umbau des Sozialstaats finanzieren? In der Bildungs-, Familien-, Sozial-

gau

und Beschäftigungspolitik sind in VerbindunMit diesen zentralen Herausforderungen befBöll-Stiftung und organisiert Kongresse, Tag

Beschäftigungspolitische Fachgespräche

Makroökonomie und Beschäftigungspoli-tik, Senkung der Sozialabgaben für Niedrigeinkommensbezieher, Export, Globalisierung und Beschäftigung sind einige Themen der 2006 gestarteten Reihe „Beschäftigungspolitische Fach-gespräche“. ExpertInnen der Arbeits-markt- und Beschäftigungspolitik aus dergrünen Partei, den Fraktionen, aus Ver-bänden und Institutionen setzen sich dort

mit grundlegenden und spezifischen Fra- Position zur „Neuen Klassengesellschaft?“ vorstellen. Zur Frage

In Kooperation mit der

gestellungen auseinander. Beraten werden sie von WissenschaftlerInnen aus Univer-sitäten und Forschungsinstituten.

„The Moral Consequences of Economic Growth“ (10. Juli, in Kooperation mit der Anglo German Foundation) ist BenjaminFriedman von der Harvard University eingeladen.

Internetdossier Grundeinkommen

Die kontrovers geführte Debatte zum bedingungslosen Grundeinkommen versus einer bedarfsorientiertenGrundsicherung begleitet ein Internet-Dossier. Das Dossier enthält neben Texten zu Wirkungsweise und Grenzen verschiedener Modelle eine umfassende Materialsammlung mit Studien, Literaturhinweisen und Links.(www.boell.de/grundeinkommen)

Grüne Marktwirtschaft

Im zweiten Halbjahr 2007 sind unter der Überschrift „Grüne Marktwirtschaft“ verschiedene Aktivitäten geplant: So findet am 27.– 29. September in Freiburg und Bleibach eine Tagung zum Thema „Grüne Ordnungs-politik in Europa“ statt. Zu der von der Heinrich-Böll-Stiftung, der Landesstiftung Baden-Württemberg undder Stiftung für Ordnungspolitik organisierten Veranstaltung treffen sich wirtschafts-, ökologie- und europa-politisch interessierte Akteure und WissenschaftlerInnen. Eine weitere Tagung wird sich mit den ökonomischenAntriebskräften zur Lösung ökologischer Probleme befassen. Dort sollen die politischen Rahmenbedingungeneiner grünen Marktwirtschaft ausgelotet werden, die eine größtmögliche Ökoeffizienz, biologische Produkt-kreisläufe, grüne Aktienfonds und umweltfreundliche Produktion und Technologien befördern.

Weitere Infos: www.boell.de/arbeit

BISHER SIND ERSCHIENEN:

ALLES EINS?Globale Zukunft für Kultur und Demokratie

GEZEITENWECHSEL?Was war, was bleibt, was wird

mit wirtschaftspolitischen Strategien neue Konzepte gefragt.sst sich das Referat Wirtschaft, Arbeit und Soziales der Heinrich-ngen und Abendveranstaltungen.

Reihe: Zukunft des Sozialen

Bei der Veranstaltungsreihe „Zukunft des Sozialen“ stellenFachleute aus Theorie und Praxis Reformansätze und alternativeEntwürfe zum sozialen Zusammenleben vor. Bisherige Themenwaren: „Gerechte Ungleichheit? Gleichheitsdebatte und Neue Armut“, „Gesundheitsgesellschaft“ und „Teilhabegesellschaft“.So diskutierten am 14. Februar, passend zur aktuellen familien-politischen Debatte, die Familien- und Bildungsökonomin Prof. C. Katharina Spieß und die Familienforscherin und Unternehme-rin Gisela Erler über „Beziehungen im Sozialstaat“. Am 20. Juniwird Prof. Robert Castel, ehemaliger Forschungsdirektor an derPariser Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales, seine

IN GOTTES NAMEN?Frauen und Fundamentalismus

NEUER REPUBLIKANISMUS?Die Zukunft der sozialen Demokratie

KLIMAWANDELNeue Ziele. Neue Allianzen. Neue Politik

Weitere Infos und zu bestellen unter: www.boell.de/thema

39Böll-Stiftung

VERANSTALTUNGEN

24. April, Konferenz, BerlinEcofair Trade DialogueSlow Trade – Sound Farming?Agrarhandelsregeln für eine global zukunftsfähigeLandwirtschaftwww.ecofair-trade.org

4.–6. Mai, Kongress, TU BerlinMcPlanet.com 2007: Klima der Gerechtigkeit Mit Stefan Rahmstorf (PIK),Klaus Töpfer, Meena Raman(Friends of the Earth Internatio-nal), Fritz Kuhn (MdB), SvenGiegold (attac), Arne Mogren(Vattenfall) u.a.www.mcplanet.com

11.–12. Mai, Konferenz, BerlinWelchen Preis hat ein stabiles Klima? Zur Zukunftdes EmissionshandelsMit Rebecca Harms (MdEP),Prof. Carlo Jaeger (PIK), JosefGöppel (CSU), Michael Kauch(FDP), Eric Heymann (DeutscheBank Research), Reinhard Loske (MdB), Norbert Walter(Deutsche Bank) u.a.www.boell.de/emissionshandel

20. Juni, 19 Uhr, Galerie derHeinrich-Böll-StiftungDie Zukunft des Sozialen # 5Neue Klassengesellschaft?Mit Prof. Robert Castel, ehem.Forschungsdirektor an der Pariser Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales

10. Juli, BerlinDie Zukunft des Sozialen # 6The Moral Consequences of Economic GrowthMit Benjamin Friedman, Harvard UniversityIn Kooperation mit der AngloGerman Foundation

27.–29. September, Tagung,Freiburg und Bleibach Grüne Ordnungspolitik in Europa

Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg und der Stiftung für Ordnungspolitik

Page 40: Böll THEMA, 1-2007: Grüne Marktwirtschaft · 2019. 9. 13. · VON ERIC HEYMANN Heinrich-Böll-Stiftung 39. HINWEISE Projekte und Publikationen. IMPRESSUM HERAUSGEBER Heinrich-Böll-Stiftung

Rücktitel

» Es wird aber kein Weg daran vorbeiführen, den eigenen Lebensstil auf den Prüfstand zu stellen. Die Statistik lehrt uns nämlich, dass bis heute alle Effizienz-gewinne, die zum Teil schon jetzt erheblich sind, durch unseren zunehmendenKonsumhunger mehr als wettgemacht worden sind. Der Verbrauch an Naturgütern

pro Kopf der Bevölkerung steigt, obwohl jedes einzelne Produkt umweltfreundlicher geworden ist. «

ORTW

DIE HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG ist eine Agentur für grüne Ideen

und Projekte, eine reformpolitische Zukunftswerkstatt und ein

internationales Netzwerk mit weit über hundert Partnerprojek-

ten in rund sechzig Ländern. Demokratie und Menschenrechte

durchsetzen, gegen die Zerstörung unseres globalen Ökosystems

angehen, patriarchale Herrschaftsstrukturen überwinden, in

Krisenzonen präventiv den Frieden sichern, die Freiheit des

Individuums gegen staatliche und wirtschaftliche Übermacht

verteidigen – das sind die Ziele, die Denken und Handeln der

Heinrich-Böll-Stiftung bestimmen. Sie ist damit Teil der „grünen“

politischen Grundströmung, die sich weit über die Bundesre-

IN RENN, MITGLIED DES NACHHALTIGKEITSBEIRATS VON BADEN-WÜRTTEMBERG

publik hinaus in Auseinandersetzung mit den traditionellen

politischen Richtungen des Sozialismus, des Liberalismus und

des Konservatismus herausgebildet hat.

Organisatorisch ist die Heinrich-Böll-Stiftung unabhängig und

steht für geistige Offenheit. Mit 26 Auslandsbüros verfügt sie

über eine weltweit vernetzte Struktur. Sie kooperiert mit 16 Landes-

stiftungen in allen Bundesländern und fördert begabte, gesell-

schaftspolitisch engagierte Studierende und Graduierte im

In- und Ausland. Heinrich Bölls Ermunterung zur zivilgesell-

schaftlichen Einmischung in die Politik folgt sie gern und möchte

andere anstiften mitzutun. www.boell.de