Chamberlain, Houston - Briefe 1882-1924 Und Briefwechsel Mit Kaiser Wilhelm II. - Band 2 (1928, 160...

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    I

    Houston Stewart Chamberlain

    Briefe

    1882-1924

    und

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    Briefwechsel mit Kaiser Wilhelm II.

    Zweiter Band

    F. Bruckmann A.-G. / Mnchen

    II

    Houston Stewart Chamberlain

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    Copyright 1928 by F. Bruckmann A.-G., Munich

    Gedruckt im Mai 1928 bei F. Bruckmann A.-G., MnchenPrinted in Germany

    III

    Die Briefe II. 1916-1924

    IV

    (Leere Seite)

    1 An Raman Pillai, Indischer Gelehrter

    Bayreuth 14. 1. 16.

    Hochgeehrter Herr

    Ihren Aufsatz ber das Christentum in Indien habe ich mit lebhaftestem Interessegelesen, und htte frher gedankt, wenn ich nicht mit Influenza zu Bette gelegen htte. Ichwerde zu seiner Verbreitung beitragen.

    Als Kind habe ich mit christlichen Indern sehr schlechte und mit hinduistischen sehrgute Erfahrungen gemacht und von meinen Onkeln, die obgenannte Inder nach Europamitbrachten, gehrt, dies sei die Regel.

    Die heilige Person Christi wird gewi bei allen Indern Bewunderung erregen, beimanchen vielleicht Nacheiferung, und wer wei? bei etlichen vielleicht zu kosmisch-

    metaphysischen Ahnungen fhren, denjenigen vergleichbar, die Khrischna weckt abereine Christianisierung Indiens halte ich: erstens fr unmglich und zweitens, wennmglich, fr keinesfalls wnschenswert.

    Verzeihen Sie die lakonische Ausdrucksweise und glauben Sie an meinehochachtungsvolle herzliche Gesinnung.

    Houston Stewart Chamberlain.

    1-2 An General Matthias Hoch

    23. Januar 1916 Bayreuth.

    Hochverehrter Herr General

    Ein Influenzaanfall mit Fieber und Bettarrest hat alles bei mir drber und druntergebracht, und ich wei gar nicht, hab ich Ihnen vielleicht vom Bett aus oder meine Fraufr mich auf Ihre sehr lieben, willkommenen Zeilen vom 9. Januar geschrieben und denschuldigen Dank ausgesprochen? Jedenfalls geschieht es jetzt von Herzen. Ich habe vieleFreunde verloren durch mein Verhalten, enge Banden zerrissen; und doch, ich konnte

    nicht anders, ich mute fr die Wahrheit Zeugnis ablegen, zwischen Gott und Mammonwhlen; aber dankbar ergriffen schlage ich in die vielen neuen Freundeshnde, die sich mir namentlich aus der Front entgegenstrecken. Geistige Granaten nannte der Kaiserin einemTelegramm an mich meine Kriegsaufstze; mitgefochten zu haben, ist mir Trotz

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    und Glck und Stolz.Sehr gern habe ich die Gedichte meiner Sammlung eingereiht. Es ist herrlich zu sehen,

    wie viel Talent der Krieg in Deutschland geweckt hat. Fast gefllt mir An Sir E. G. ambesten; es tut so wohl, einmal die Dinge beim Namen zu nennen!

    In grter Verehrung und Dankbarkeit

    Houston Stewart Chamberlain.

    2-4 An den Forschungsreisenden R. Rickmers

    23. Januar 1916 Bayreuth

    Lieber Herr Rickmers Besten Dank fr Ihren Brief vom 22/1. Sind an meinem Aufsatznur kleine Zensurnderungen vorgenommen worden Krzungen, Wortnderungen sobrauchen Sie nicht ihn mir vorzulegen. Nur wenn der Sinn irgendwo gelitten hat oder eine

    Lcke entstanden ist, die ich ausfllen mte. In der Broschre spter stelle ich denUrtext doch wieder her. Aber es wundert mich, da das berhaupt vorgekommen ist:wohl nur auf die neuliche Hetze gegen mich im Reichstag hin? In Des Weltkriegs letztePhase ist nicht ein Wort beanstandet worden und da htte ichs fast erwartet; wogegenin diesem Aufsatz, soweit ich mich erinnere, gar keine Veranlassung zu Bedenklichkeitenvorlag.

    Nein, ich habe mich stets von Freimaurerei u. dgl. ferngehalten, auch bei gelegentlicherflchtiger Beschftigung mit Bchern darber keine Geduld noch Interesse dafraufbringen knnen. Als kleines Bbchen in Versailles kletterte ich ber unsereGartenmauer in den Nachbarhof, wo die F. M. ihre Versammlungen hielten, und konntedurch den Ritz eines schlecht verschlossenen Vorhangs in einen Erd- oder

    Kellergeschoraum hineinlugen, wo der Anblick eines Schdels und einiger Knochen,aufgestellt auf einem schwarzsamtnen Tuch, meine kindliche Phantasie recht gruseligbeeindruckte. Es hat mich in spteren Jahren innerlich ergtzt, als ich in Gesellschafteinen F. M. beteuern hrte, solche Dinge kmen bei ihnen gar nicht vor, es seien alberneMrchen... Auch folgende Lebenserfahrung mag interessieren. Ein Bruder von mir, einguter, nicht sehr begabter, aber tchtiger Mensch, war fromm und mig konservativ, wiees sich fr einen kgl. Marineoffizier schickt ein zufriedenes, kindliches Gemt. Er wirdFreimaurer. Nach zwei Jahren begegne ich ihm wieder und finde einen vollkommenumgewandelten Mann: betritt nie mehr eine Kirche, glaubt weder an Gott noch Teufel, istzur radikalen Partei bergetreten usw. Und diesen gutmtigen Kerl finde ich nun im Jahre1900 als rasenden Deutschhasser wieder, der immer von Krieg, auf Leben und Tod gegen

    Deutschland redet und jeden Menschen zu einem Naval Defence Leagueanzuwerbentrachtet. An einen Zusammenhang dachte ich freilich damals nicht. Es fiel mir nur auf,weil ich diesem aggressiven Ton trotz der damals schon eingesetzten Pressehetze beikeinem anderen Mitglied meiner Familie begegnete.

    Da Herr Roselius gut gereift ist und Ersprieliches gewirkt hat, freut mich sehr. Wiemute ich an ihn denken, als jetzt die Nachricht von dem groen englischenGetreideankauf in Rumnien durch die Bltter ging!

    Was meinen Freund anbetrifft, so mssen Sie mich nicht fr einen Geheimniskrmerhalten; ich erachte es aber fr korrekter und auch ersprielicher, es ihm selber zuberlassen, ob er sich nennen will oder nicht. (Diese Bemerkung ist, nicht durch Sieveranlat; ich will nur etwaigen verschwiegenen Gedanken zuvorkommen.) Augenblicklich

    befinde ich mich, wie schon oft, seit Wochen ohne jede Spur einer Nachricht; er reist viel,und ich wei nicht, wo ich ihn mir zu denken habe. Dagegen ist begrndete Hoffnung, daich ihm in der zweiten Hlfte Februar persnlich begegne und das ist immer dasGescheiteste, denn jetzt im Kriege stehts milich um die Korrespondenz.

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    Wann ich nach Berlin kommen kann, wei ich nicht. Die Sache liegt ziemlichkompliziert.

    Mit herzlichsten Gren

    Ihr sehr ergebener

    Houston S. Chamberlain.

    4-5 An Frl. Sidonie Peter

    28/1 16 Bayreuth,

    Hochverehrte gndige Freundin,

    Da mein Kant jetzt neu gesetzt wird, ist fr mich nicht sehr gnstig; ich habe ja keine

    Zeit; ein gewissenhafter gebter Freund, Prof. Gianicelli hierselbst, besorgt die Durchsichtund referiert ber zweifelhafte Flle und ber gelegentliche Bemerkungen in meinemHandexemplar aber er ist Kontrabassist, nicht Philosoph! und ich kann an eineordentliche Revision gar nicht denken denn ich komme tglich tiefer in stilleKriegsarbeit hinein, abgesehen von literarischen Kriegsverpflichtungen.

    Es fllt mir ein, Sie zu fragen: ob Ihnen bei wiederholter Lektre D r u c k f e h l e roder mgliche D e n k f e h l e r oder U n k l a r h e i t e n oder stilistische Versteoder stille W n s c h e vorgekommen sind? Wenn ja, wrde ich bitten, mir solche invlliger Unbefangenheit mitzuteilen. Am besten auf besonderem Bogen, den ich bei denGianicelli-Konferenzen vorlegen und durchsprechen kann.

    Es kme darauf an, solche etwaige Mitteilungen bald zu bekommen, und zwar, da der

    Druck von vorn anfngt, zunchst fr die ersten Vortrge; dann eventuell spter fr diespteren.

    Vielleicht verleide ich Ihnen das Buch mit dieser Bitte? Dann lassen Sie die Sache nurliegen. Vielleicht aber freut es Sie bei Ihrer tatkrftigen Art, dem etwas sehr bedrngtenFreunde auf diese Weise ein wenig helfen zu knnen.

    Wir bekommen Schilderungen von unaussprechlich schnem Wetter im Sden; auch inden Bayerischen Alpen strahlende Sonne; hier ist Tag fr Tag Nebelregen und Regennebel an einem Abend erwischte ich schnell Venus, Jupiter und Saturn, Venus als , Jupitermit merkwrdiger Mondstellung und Saturn geheimnisvoll wie immer, mit schnoffenem Ring, und warf noch einen sehnsuchstvollen Blick zu meinen geliebten Hyadenhinauf, von denen ich immer das Gefhl habe entweder komme ich daher oder ich gehedahin.

    Verehrungsvoll und treu ergeben

    H. St. Chamberlain.

    5-7 An Verleger J. F. Lehmann

    7. Februar 1916 Bayreuth.

    Sehr geehrter Herr Lehmann

    Ihr Brief vom 5/2 hat mich innig erfreut; ich danke Ihnen bestens dafr. Wir verstehen

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    uns vollkommen. Natrlich bin ich nicht so reich und genau unterrichtet wie Sie; und allenKlatsch der Menschen, die mit einer magebenden Persnlichkeit oder mit einemhervorragenden General befreundet sein wollen, lasse ich an mir wie an einemGummimantel herabflieen...; im Laufe des Krieges haben sich aber verschiedene guteBeziehungen angeknpft in verschiedenen Lebenskreisen die mich von derZeitungsabhngigkeit erlst und in einigermaen nahe Berhrung mit den wirklichenVorgngen gebracht haben.

    Die Geschichte meines letzten Aufsatzes ist mir selber noch ganz schleierhaft. Ich warwtend auf die Tgl. Rdsch., die wieder meinen Aufsatz Des Weltkriegs letzte Phase mitdem Vermerk Nachdruck verboten versehen hatte, wo ich doch grundstzlich keinenPfennig Honorar annehme, und dafr die Bedingung mir ausmache Nachdruck gestattet;einige Zeitungen haben sich ja wieder an mich gewandt und nachgedruckt, die meistensind aber abgeschreckt. So schickte ich diesen neuen Aufsatz (ein Monat ists her) anrhrige Freunde in Berlin, die genau in Ihrem Sinne ttig sind, und diese setzten sich mitder Korrespondenz Lammert in Verbindung, die 800 Zeitungen versieht: die Zensur und dieVerhandlungen dauerten Ewigkeiten, schlielich erfuhr ich aber, mein Zweck sei erreicht,der Aufsatz werde in ganz Deutschland am gleichen Tage in ich wei nicht wie vielenZeitungen und 1 Million Exemplaren erscheinen. Dieser Tag sollte Donnerstag 3/2 sein.

    Als ich das erfuhr, schickte ich eine Abschrift an Hugo Bruckmann, damit er am 4/2 einenNachdruck bringen knne. Die Mnchner Zensur arbeitete viel schneller, strich auchnicht die Wendung, die in Berlin beanstandet worden war, hoffhig, aber nichtdeutschfhig, die M. A. brachte pnktlich den Aufsatz... Was aber nicht erschienen war,das war die versprochene Million am 3/2! Ich wenigstens habe nichts davon gehrt, undvon verschiedenen Seiten schreibt man mir: bei uns ist nichts erschienen... Berlin schweigtsich aus... Da mu wohl im letzten Augenblick etwas geschehen sein, denke ich. Hchstwahrscheinlich ist von der bekannten Stelle abgewunken worden. Und nun bin ichdankbar, da wenigstens die M. A. vor vlligem Schiffbruch gerettet hat auch vor eineretwaigen verwsserten Fassung.

    Auf Des Weltkriegs letzte Phase, der eigentlich noch khner war, hat S. M. mir extra

    telegraphieren lassen, er habe den Aufsatz mit dem grten Interesse gelesen und lassemir wrmstens danken. In welchem Zusammenhang dieser Aufsatz entstanden war, undwer mir dafr wie fr eine rettende Tat dankte, erzhle ich Ihnen spter.

    Selber meine Aufstze an Personen, die ich nicht kenne, einzuschicken, geht mir sehrgegen den Strich. Doch besitze ich gute Verbindungen, und diese tun dann viel. So war z.B. dieser letzte Aufsatz in die Hnde des Generaladjutanten des Kaisers gelangt, ehe ichihn selber zu sehen bekam.

    Aufstze verspreche ich nie gern, weil es mir die Flgel bindet. Dagegen bin ich immerdankbar fr Anregungen. Leider ist mir Osteuropa terra incognita bis auf Bosnien-Herzegowina.

    An meinem guten Willen zweifeln Sie nicht; ich lebe ja nur, um der guten Sache zu

    dienen; wre ich dazu unfhig, ich wre vor Gram schon tot.Herzlich und verehrungsvoll

    Houston S. Chamberlain.

    Deutschlands Kriegsziel.

    7-8 An H. Meixner

    9. Februar 1916 abendsBayreuth

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    Sehr verehrter Herr

    Es drngt mich, auf Ihr soeben erhaltenes Schreiben vom 7/2 sofort einige Worte zuerwidern.

    Freilich, ja, ich erhalte so viele Briefe, da ich auerstande bin, sie alle selbst zubeantworten, manche gar zu alberne lasse ich von freundlichen Helfern lesen underledigen. Aber Briefe wie der Ihrige gehren doch zu den seltenen; und wenn auch der

    groe Krieg mir gar manchen prchtigen, auch rhrenden Gru eingebracht hat sehrvieles z. B. aus dem Felde, aber auch aus allen Kreisen, Gegenden... so bleibt doch IhrBrief in seiner Bercksichtigung des persnlichen Moments sehr einzig. Ihre Worte habenmich ergriffen, und ich danke Ihnen dafr wenn das Wort Dank hier einen Sinn hat.

    Lob und Tadel vertrage ich beides gleich schlecht, und lese fast nie ein Wort, was bermich gedruckt wird, und wenn auf Zureden ausnahmsweise doch, dann auf Kostennachfolgender Reue und Entmutigung. Bei Ihnen habe ich das Gefhl seltener Objektivitt;selbst das, was vielleicht berschwenglich sein mag, verletzt mich nicht; Sie haben auchetwas von dem, was ich die Sternenperspektive zu nennen pflege, an sich.

    Im brigen: das Recht, die Dinge so zu Sehen, wie Sie sie sehen, kann Ihnen niemandbestreiten. Solche Dinge liegen auerhalb des Rechthabens. Ich pflege sehr wenig ber

    mich selbst nachzudenken; in einem gewissen Sinne interessiert mich das ich wenig; esist auch nicht frderlich, sich die allseitigen Beschrnkungen, welche Anlagen undSchicksal so grausam unerbittlich bedingen, gar zu deutlich zu vergegenwrtigen; einwenig Unbewutsein mu der Mensch als ein Heiliges sich hten ein ganz klein wenigvon jener Existenz, die Einem vollendet vor den Sinn tritt, wenn man eine Meduse imMeere schwimmen sieht. Mehr als alles andere hat bei mir stets ein Gefhl der P f l i ch t bestimmend mitgewirkt; ich entstamme einer Soldatenfamilie und gehorche instinktiv,ohne zu fragen. Diese Pflicht ist eine Pflicht gegen Gott ich meine, so fhle ich sie;losgelst aus jenen allen Menschen sonst natrlichen Banden, die auch ich gern und treugetragen htte Vaterland, Muttersprache, angestammtes Heim usw. fhle ich michgottunmittelbar (wie gewisse Adelsgeschlechter frher reichsunmittelbar waren). Es ist

    dies manchmal kein leichtes Los; August 1914 htte es mir leicht das Leben gekostet, undich trage noch an der Nervenberspannung, welche aus der Not entstand, die Pflicht klarzu erkennen und ihren Geboten zu folgen. Ich bin Ihnen namentlich dafr dankbar, daSie diesen Punkt so feinsinnig und genau richtig erfat haben. Htte ich anders gehandelt,als ich es tat, mein ganzes Lebenswerk wre von innen aus vernichtet gewesen... und dasbesagt einfach: ich konnte nicht anders.

    Fr heute nur noch einen Hndedruck und die Hoffnung, Sie einmal persnlich kennenzu lernen.

    In dankbarer Hochachtung

    Houston S. Chamberlain.

    9-10 An Frl. Sidonie Peter

    24/2 1916 Bayreuth.

    Nur ein Wort des Dankes, hochverehrte Freundin! Aus etwas niedergeschlageneruerer Verfassung. Da meine gute Frau seit bald zehn Tagen an einer hartnckigenAngina mit Fieber liegt oder sich herumwankend schleppt was einem nicht gerade

    Sorge macht und doch lastet, denn sie ist doch Achse und auch Sonne unseres ganzenkleinen Wahnkosmos. Ich selber leide an allen Schmerzen, die nur ein geistigerSchtzengraben erzeugen kann, und ersticke unter Besuchen, Briefen, Anfragen,Druckschriften usw. usw. Bisweilen lasse ich alles liegen, verriegle die Tre und lege mich

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    hin mit Pascals Penses oder sonst mit einem vernnftigen unpolitischen Buche underhole die Seele.

    Die Verbreitung von Deutschlands Kriegsziel wchst tglich. Die Tgliche Rundschaubrachte den Aufsatz, jetzt Tag fr Tag andere Bltter, bis nach Hermannstadt hinunter.Freilich streichen manche den Schlu oder er wird dann gestrichen. Professor Schfermacht eine Ausgabe fr alle Mitglieder seiner nach Tausenden zhlenden vaterlndischenVereinigung. Stalling der Militrverleger, macht eine Schtzengrabenausgabe fr wenige

    Pfennige. Und ich habe gestern meine Einleitung Hammer oder Ambo nach Mnchenabgeschickt zu der neuen Flugschrift. So ganz ist es also den Berlinern doch nichtgeglckt, meine Stimme zu unterdrcken.

    Fr die Fremdwortjagd bin ich Ihnen a u e r o r d e n t l i c h dankbar, wenngleichdie Sache manchmal sehr schwer ist, ja s e h r; oft auch will ich nicht eine feineSchattierung opfern, und glaube mich da auf Goethe und Jakob Grimm berufen zu drfen.

    Ein Beispiel: K o n t r r e r G e g e n s a t z ist ein d e u t s c h e r technischerAusdruck aller Schullogik; man unterscheidet kontrren Gegensatz undkontradiktorischen Gegensatz, das sind zwei verschiedene Begriffe. Einen technischenAusdruck kann eigentlich nur ein Techniker ndern; ich bin dazu nicht befugt. Gebrauche

    ich aber den technischen Ausdruck nicht, so mu ich einen langen Sums machen; weileben ein solches Wort kontrrer Gegensatz fr jeden Wissenden vieles sagt und vielesausschliet. Erkhnen ohne reflex. sich kommt in lteren Sprachen fters vor, Sieknnen sich in Grimm berzeugen; freilich jetzt kaum mehr was aber schade ist, eineVerarmung. Ich meine, wenn mans nicht bertreibt und nicht absichtlich solche Dingeknstelt, vielmehr nur dort verwendet, wo sie von selbst sich einstellen, kann man sienicht verurteilen. Nicht wahr?

    Stupid ist fr mich etwas anderes als dumm, und stupid auf deutsch ganz und garanders als das englische stupid, nher dem franzsischen stupide, und ganz etwasanderes ist das lateinische stupidus, was eigentlich erschrocken, verdutzt bedeutet. Aberfreilich, ein guter Schriftsteller soll nur diejenige Ausdrucksschattierung gebrauchen, die

    seine Leser mitfhlen.Herzlich dankbar und ergeben

    Houston Stewart Chamberlain.

    10-11 An Frau Grfin Sponeck geb. von Oettingen

    10 Mrz 1916. Frankfurt a/M.

    Gndigste Frau Grfin,

    Fr Ihre so lebendigen warmen Worte spreche ich Ihnen den herzlichsten ergebenstenDank aus. Meine Schriften haben mir Freunde und auch ein vielfaches Heer von Feindengeschaffen, und da letztere nicht schweigen, ist es dankenswert, wenn erstere nicht austaktvoller Schchternheit schweigen; ich empfinde es immer als Wohltat. Nur eilig kannich leider Fragen beantworten, zu deren Errterung Jahre kaum hinreichen wrden, daWorte hier nicht hinlangen.

    Das Dasein des Menschen als moralisches Wesen ist ein Geheimnis; es ergrnden zuwollen, halte ich fr widersinnig. Von Kindheit an habe ich das Gefhl gehabt, ich stnde

    gleichsam auf Gottes Handteller und brauchte mich darum nicht zu frchten, auchnicht vor mir selber, denn wo und wie und wann ich auch strauchle und falle, Gottes Handhlt mich. Fragen Sie mich aber, was Gott ist so kann ich Ihnen nur mit dem indischenWeisen antworten: Neti neti, er ist nicht so und er ist nicht so, oder mit Wagners

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    Gurnemanz Das sagt sich nicht! Doch bist du selbst zu ihm erkoren, bleibt dir die Kundeunverloren.

    Darum sagt es mir nicht sehr viel, wenn behauptet wird: Christus ist Gott; ich halte dieAussage fr richtig, aber nicht fruchtbar; wohingegen die Einsicht: Gott ist Christus einenStrom von Licht ausgiet denn nun wird auf einmal Gott, dieser unfabare Begriff, mirnahegerckt.

    An einen Fort s c h r i t t der Menschheit glaube ich nicht, d. h. nicht, sobald ich

    versuche, mich dem Standpunkt einer absoluten Betrachtung (also etwa Gottes) zunhern; was sollte z. B. Fortschritt fr Jesus Christus bedeuten? Wohl aber glaube ich anein Fort s c h r e i t e n und an ein Rck s c h r e i t e n.

    Niemals habe ich etwas Ertrgliches ber Schiller gelesen.In dankbarer Verehrung

    ganz ergebenst

    Houston S. Chamberlain.

    11-12 An Karl Langeheine

    Bayreuth, 12/4/1916.

    Sehr verehrter Herr

    Fr Ihren freundlichen Brief vom 9/4 mit sehr interessanten Beilagen danke ich Ihnenverbindlichst. Mein Bchlein Politische Ideale hat sich erstaunlich viele Freundegewonnen, trotzdem kaum irgendeine grere Zeitung es berhaupt erwhnt hat. Da Sie

    vermitteln, finde ich richtig und notwendig; ich tte es in der Praxis auch; es istmerkwrdig, wieviel durch Verschiebungen ohne Verfassungsnderungen erreicht werdenkann; zu der neuen Gewohnheit tritt dann die neue Einsicht und das Unzulngliche istabgetan. Natrlich kann das nicht in einem Tage geschehen. Ich rechne aber darauf, dadie Notwendigkeit um nicht zu sagen die Not Deutschland recht bald dazu zwingenwird, sich praktischer zu regieren. Geht die Absurditt ans Leben (und fr die demonstratiosorgen die Herren Liebknecht und Genossen in dankenswerter Weise), so ist es inmittender Todesgefahren nicht anders mglich, als da nderungen, die sonst vielleicht einJahrhundert erfordern wrden, aus dem Stegreif durchgefhrt werden... Es bleibt dabeinur zu hoffen, da wir nicht dann aus dem Regen in die Traufe kommen und dieMillionre das Heft ergreifen. Dem mu eben beizeiten vorgebeugt werden.

    Houston S. Chamberlain.

    12-14 An J. F. Lehmann

    22. April 1916 Bayreuth.

    Sehr geehrter und werter Herr Lehmann

    Dringende, unaufschiebbare Arbeiten verhinderten eine frhere Beantwortung Ihresguten Briefes vom 14/4; auch heute wo sich viel angehuft hat kann ich nur kurzerwidern.

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    Die von Herrn Syndikus Khn angeregte Zeitschrift scheint in der Luft zu liegen, dennmir ist hnliches im Laufe der letzten Monate von verschiedenen Seiten zu Gehrgekommen. Auch die Umwandlung des Kunstwart z. B. deutet in dieselbe Richtung. Undist nicht Erdmanns Der allgemeine Beobachter (Hamburg) der Tendenz nach sehrverwandt? Da da etwas zu tun ist und da etwas geschehen wird, scheint mir darumsicher. Es kommt alles auf das Wie an und auf das Wer.

    Wie ich Herrn Dr. Khn schon sagte: auf der ganzen Welt lebt wohl kein Mensch, der

    sich weniger auf Zeitungen, Zeitschriften berhaupt periodische Publikationen verstehtals ich. Es liegt gnzlich auerhalb meiner Fhigkeiten. Nicht da ich den ungeheurenEinflu gerade dieses Zweiges der Literatur in unserer Zeit verkenne; ich selber stehe aberin dieser Beziehung auerhalb der Zeit und habe es noch nie fertig gebracht, mich frirgendeine Zeitschrift wirklich zu interessieren. Ich halte manche aus Gesinnungsgrnden,lese sie aber fast nie, und wenn einmal, dann tut mirs leid um die Zeit. Meine ganze Art,zu arbeiten und zu denken, weist mich andere Wege. Darum wrde ich auch niemals eineVerpflichtung eingehen, die mir unabweisbare Erledigungen dieser Art auflegte niemals.Ich bin auch zu alt und zu wenig leistungsfhig dazu. Hiermit soll aber nicht gesagt sein,da ich nicht tatkrftiges Interesse, Rat, Frderung usw. einem derartigen Unternehmenzu widmen bereit wre. Allerdings unter der Bedingung, da es praktisch gut fundiert

    wre.Kiesers Bhne und Welt scheint sehr hnliche Ziele zu verfolgen ist mir aber zusthetisch gerichtet. Gewi gehrt dies auch dazu, doch was wir brauchen, ist ein Fhrerauf vlkischem, praktischem, staatswissenschaftlichem Gebiet wobei dann die deutscheKunst natrlich gebhrende Beachtung erfhrt. Doch, da es gelingen sollte, von derBhne aus das ffentliche Leben umzugestalten das glaube ich nimmermehr. Wo einFeuergeist wie Richard Wagner nichts vermocht hat, da bemhen sich kleinere Geisterganz umsonst. Politisch, wirtschaftlich und wissenschaftlich (namentlich medizinisch)mte die Sache in Angriff genommen werden; nur tatkrftige Menschen drfen das Wortergreifen, keine Schwrmer. Nicht vulgrer Antisemitismus, dafr aber um so strengerer A-semitismus, der den Materialismus und den Geldsackismus unter jeder Maske und jeder

    Konfession schonungslos angreift... Ich gestehe, ich habe mit Teilnahme den Bericht des1. Kongresses fr Biologische Hygiene in Hamburg 1912 (Erdmann 1913) gelesen, mitdem Vorschlag des Deutschen Volksrates usw.; es waren da einige ganz tchtige Mnnerversammelt. Und dennoch beobachte ich was sie selber, soweit ich sehe, gar nichtbeobachtet haben da zwei ganz verschiedene, notwendig auseinanderstrebendeTendenzen sich selbst in jenem engeren Kreise zeigten: indem die um Driesmans eigentlichnur die Aufbesserung der Rasse durch sogenannte Eugenik im Sinne hatten (wasedenfalls zu wenig), whrend andere alles nur von innen heraus angefat wissen wolltenund von dem Volksrat hauptschlich platonische Urteile ber alle mglichen Fragenerwarteten. Da trete ich lieber dem ersten besten Reederverein bei, der etwas Positives zuschaffen im Sinne hat.

    Mir scheint die Persnlichkeit des Herausgebers einer solchen Zeitschrift vonallentscheidender Wichtigkeit. Wrde sich nicht Franz Khler dazu eignen?

    Ich behalte mir vor, Ihnen wieder zu schreiben, wenn mein Tisch von der harrendenBrieflast ein wenig gesubert sein wird. Ob ich fhig bin, das Programm zu einem solchenUnternehmen zu entwerfen, wei ich nicht; ich bezweifle es; aber es interessiert mich sehr,sobald ich glauben darf, da es deutsch-praktisch-ideal-rcksichtslos zugeben soll. Ichhabe im Laufe des Krieges wundervolle Erfahrungen mit echt deutschen Grokaufleutengemacht; ich meine, fr dieses Blatt mte man solche Kreise gewinnen. Nichts wreschrecklicher, als wieder bloe Professorenweisheit wenngleich ich diese und ihre Trger(sobald es echte Deutsche sind) hochzuschtzen und zu verehren wei.

    Fr heute nur noch Gru und Handschlag

    Ihres ergebensten

    Houston S. Chamberlain.

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    14-15 An Vizefeldwebel Brachmann

    Bayreuth, 26/4/1916

    Sehr geehrter Herr Brachmann

    Mit groer Teilnahme haben ich und andere Ihren Brief vom 20/4 gelesen. Solche Worte,eine solche Auffassung tun wohl; man hrt sie nicht immer namentlich nicht von denen,die zu weit von der Front sind, und darum weder die Unmittelbarkeit des Opfers, nochseine heiligende Wirkung verspren... Lassen Sie uns wieder ber Ihre ueren undinneren Erlebnisse ein Wort zukommen.

    Ihre Frage ist schwer zu beantworten: es mischt sich soviel Subjektives hinein.Mir persnlich entsprche es, bei Plato: 1. das Gastmahl mehrmals bis zur

    Durchdringung des Gedankenstils zu studieren, 2. dann vielleicht Phaidros, Philebos,Sophist, Theaitetos, Kratylos in dieser Reihenfolge zweimal durchzulesen, 3. schlielich diephilosophisch wichtigen Stellen aus dem Staat auszusuchen. Was dann bleibt, nachBelieben oder gar nicht.

    Kant: auf alle Flle mit den Prolegomena beginnen und gengend dabei verharren dies gestattet, die schwere reine Vernunft bis auf spter zu verschieben. Dann: De mundisensibilis etc. (Dissertation), Trume eines Geistersehers. ber Philosophie berhaupt,ber den Gebrauch teleologischer Prinzipien, Kritik der Urteilskraft, Kritik der praktischenVernunft, Metaphysik der Sitten (letztere vielleicht besser in umgekehrter Ordnung),Religion innerhalb der Grenzen, Kritik der reinen Vernunft... Aber ich mte Sie kennen,um zu beurteilen, ob diese Folge fr Ihren Geist pat.

    Houston S. Chamberlain.

    15-18 An Prinz Max von Baden

    Bayreuth, 16. Mai, 1916

    Eure Hoheit

    werden schon lngst beobachtet haben, da eine echte Korrespondenz in sich das Prinzipihrer Unerschpflichkeit trgt. Ich kann unmglich das jetzt frh empfangene Schreibenvon vorgestern unbeantwortet lassen. Bitte nehmen Sie meinen Herzensdank und lassenSie mich Ihnen stumm und ehrerbietig die gereichte Hand drcken.

    Ich hatte im Leben sehr wenige wahre Freunde, und diese muten alle mit mirGeduld haben wegen meiner groen Leidenschaftlichkeit, Geduld und Nachsicht.Menschliche Fehler pflegen aber wenn sie echte Naturfehler sind unter der Oberflcheentschdigende Eigenschaften zu bergen. Wenns bei mir vorbei ist, ists radikal vorbei; ichbin nicht launenhaft. Und so soll von mir aus hinfrder Herr von B. H. ruhig leben undwalten ich, will nicht noch mehr Lebensmark hingeben fr eine Sache, an der ich dochunfhig bin etwas zu ndern. Wie eine Zauberwolke soll mich mohammedanischerFatalismus umgeben. Da Gott Deutschland in dieser Krisis ganz verlt, das kann ichnicht glauben. Vielleicht aber gehen wir groen Prfungen entgegen, vielleicht einerErneuerung des 30jhrigen Krieges auf erweiterter Grundlage... und vielleicht wird langesElend, langer Vernichtungskampf das viele Bse und Verachtungswrdige in uns ausrottenund ein Geschlecht starker Mnner laHindenburg zchten das wre ja eine

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    unaussprechliche Wonne, wert, teuer erkauft zu werden. Und so wollen wir uns strkenund fassen und die Augen nach oben richten und unser Bestes tun, um innerlich allenAnsprchen gewachsen zu sein.

    Da die Gesellschaft zur Frderung des Instituts fr Seeverkehr und Weltwirtschaft am10. Mai ihr tausendstes Mitglied einschreiben konnte, hat mich mehr erfreut, als ich sagenkann; es handelt sich um eine so wichtige Sache. Jetzt heit es, bis zum Herbst das zweiteTausend vollkriegen. Und inzwischen ist an der Universitt Knigsberg ein hnlich

    konzipiertes Institut fr ostdeutsche Wirtschaft entstanden. Das sind die Dinge, wo dieDeutschen Meister sind nur kme es darauf an, das Interesse immer weiterer Kreise aufsie zu lenken, damit diese Institute die zwar staatlich sind, aber vom Staate nichtentfernt gengend dotiert werden knnen ber die groen Mittel verfgen, die siebentigen, wenn sie einem Aufblhen deutscher Wirtschaft im vollen Mae sollen dienenknnen. Professor A. Hesse der Direktor des neuen Instituts hat mir einen sehrsympathischen Brief geschrieben, in welchem er mich um meine publizistischeUntersttzung bittet wozu es aber vorderhand schwerlich kommen wird, da ich nichtvorhabe, Aufstze zu schreiben.

    Ich bin fleiig am Monde ttig und wenns auch nur am Schreibtisch sein kann; ichdenke daran, Bruckmann zu einer neuen, fr uns Laien brauchbareren Karte nach meinen

    Angaben anzuregen! Nun, mein frstlicher Freund, was meinen Sie dazu? Bin ich nichtber Nacht ein sehr vernnftiger Mensch geworden?

    brigens hatte ich vorgestern einen interessanten Besuch direkt aus Hodiaumont vorVerdun. Mein armer Freund, Hauptmann und hiesiger Bankdirektor, [...] sagte, sie alle, dieununterbrochen seit Wochen im franzsischen Feuer liegen, werden kriegsblde, knnenberhaupt nicht mehr denken... Trotzdem war er guter Dinge und glaubt an den Fall vonVerdun gegen Ende Juli. Hiermit wrde die eigentliche Stokraft der franzsischen Armee,meint er, vernichtet sein. Dann schnell Riga einnehmen und der Friede!

    Ich gebe Ihnen diese Stimme aus der Front wieder: sie wird Sie auf alle Flleinteressieren.[...]

    Ein recht interessantes Blatt lege ich fr den Papierkorb bei. Wenn Grey schon vonFrieden spricht wo Curzon neulich sagte, das Wort sei aus dem englischen Lexikonausgelscht so knnte man schon daran glauben. Gott, wird das ein Aufatmen geben wenngleich man wohl auf Jahre hinaus den hominibus bonae voluntatiskaum begegnenwird.

    In Ehrerbietung treu ergeben

    Houston S. Chamberlain.

    Reichskanzler Bethmann-Hollweg.

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    Die Handschrift Houston Stewart Chamberlains

    ...der Mensch, der durch die

    verwickeltsten Verhltnisse mit

    khner Einfalt und ruhiger

    Unschuld geht und weder nthig

    hat, fremde Freiheit zu krnken,

    um die seinige zu behaupten,

    noch seine Wrde wegzuwerfen,

    um Anmuth zu zeigen.

    (Schiller)

    18-20 An J. F. Lehmann

    Bayreuth, 23. Juni 1916

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    Fr Ihren lieben Brief sage ich Ihnen Dank; alles, was von Ihnen kommt, berhrt michimmer sympathisch; es ist aufrecht und echt und verehrungswrdig. Lassen Sie mich aberauch meinerseits ebenso aufrichtig sein. Ihre Worte an sich so harmlos und vernnftig,auch nichts Unerschwingliches von mir fordernd wirkten dennoch auf mich wie daspltzliche Gewahrwerden einer Gefahr, die mir bekannt war, die ich aber versucht hatte,mir auszureden. Ich war im Begriff gewesen, einen Schritt zu tun, der fr meine so zartempfindliche Schaffensfreude tdlich htte wirken knnen; ich ziehe den Fu rechtzeitig

    zurck.Glauben Sie nicht, da ich fr den Wert gemeinsamer Arbeit blind bin, und da ichnicht verstehe, in welchem Mae bei jeder solchen Solidaritt ein gegenseitiges Fgen, einGeben und Nehmen namentlich ein Nachgeben erforderlich ist; lunion fait la force;aber lunionsetzt Disziplin voraus. Das beginnt in der Familie, zwischen Mann und Frau,die gegenseitig nicht blo Nachsicht, sondern auch Aufopferung ben mssen, und setztsich im Leben fort, bei jedem Geschftsunternehmen, bei aller Politik, bei Religions- undKirchengrndungen, allberall. Auch ich bins im Leben gewohnt und bilde mir ein, zu dennachgiebigsten Menschen zu gehren. Dies hrt aber bei mir pltzlich und gnzlich aufdort, wo mein schriftstellerisches Schaffen beginnt. Ich will Sie nicht mit umstndlichenBekenntnissen belstigen; nur soviel will ich sagen: mein Schreiben ist ein uerst zarter

    Vorgang, aus dunklen Seelentiefen geboren, und nur unter groen Schwierigkeiten bis ansLicht gehoben. Es ist fr mich zugleich Wonne und Qual. Und das Geringste ein Nichts gengt, um es vllig brach zu legen. Ich habe hiervon dutzendmal die Erfahrunggemacht. Dann bin ich stumm wie ein Stein; jede Schaffenslust erstirbt; kein Willensgebotvermag es, einen Gedanken mehr in mein Hirn, ein Wort in meine Feder zu zwingen. Ichexistiere einfach nicht mehr oder wenigstens nicht mehr als Gestalter von Gedankenund Erwecker von Gefhlen.

    Sie finden vielleicht, da ich mich wichtig mache? Ich meine es aber schlicht und nichtunbescheiden. Ich bin frei aufgewachsen, und mein Geist ist so unbndig frei, da diegeringste Fessel ihn vllig lahm legt. Wohl bin ich bereit, der ueren Disziplin mich zubeugen; doch die innere Disziplin bedeutet fr mich ganz und gar Schweigen. Und ich bin

    viel zu alt und versteift, um hier umzulernen. Es kommt ja dazu mein besonderesSchicksal, das mich von jung auf aus allen natrlichen Banden losgelst hat. Hierauserwchst meine Kraft und auch meine Schwche, kurz meine Besonderheit mit ihrenGrenzen. Ich kann auch die Fehler, die ich deutlich erkenne, nicht vermeiden, kann mirselber keine Gesetze geben, sondern mu mich der hheren zwingenden Logik meinerPersnlichkeit fgen.

    Darum fasse ich es als eine gttliche Fgung auf, da ich, als ich zu schreiben begann,in tchtige, redliche Hnde geriet, die rein geschftlichen Interessen nachgingen und michsomit v o l l k o m m e n frei und ungebunden lassen konnten, um so mehr, alsirgendeine Richtung des Verlags nicht vorlag. Ich bin da Herr Herr, meine ich, bermeine Sachen; niemand hat mir je hineingeredet; niemand sich je vor irgend etwas

    gescheut. Das ist das einzige Element fr das Unbndige, was sich bei mir hinter derfriedlichen Oberflche birgt, das einige, in welchem ich gedeihen kann. So bescheiden meinWirken auch sein mag, es ist doch ein Wirken. Es wre das meinen gewi auch Sie schade, es zu zerstren; lassen wir es weiter den eigenen Weg gehen. Noch nie, glaube ich,hat mich in entscheidenden Fragen der Instinkt getuscht; und mein Instinkt sagt mir: ichwerde mit anderen, am selben Strange eingespannt, nicht ziehen knnen.

    Dazu kommt der Gesundheitszustand. Seit ich zuletzt schrieb, hat sich zu dem brigenein Herzzustand entwickelt, der vielleicht auf ein Umsichgreifen der nervsen Strungenzurckgeht und vielleicht wie frhere nervse Leiden zu heben sein wird. Vorlufigbin ich aber in allem behindert und bezweifle sehr, ob ich imstande sein wrde, an einerKonferenz teilzunehmen denn eine sehr geringe Ermdung und namentlich die geringste

    Erregung werfen mich ganz nieder. Die rzte ermahnen zu vlliger Ruhe.Zu allen Zeiten hat es Apostel gegeben, die einsam auf einem Patmos ihr Bestes

    leisteten.In aufrichtiger Hochschtzun

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    treu ergeben

    H. S. Chamberlain.

    21 An Vize-Admiral von Seckendorff

    Bayreuth, 19. Juli 1916

    Euere Exzellenz

    haben mir mit den so warmen und gtigen Zeilen vom 16. d. M. die allergrte Freudegemacht, ja, mehr als Freude: solche Worte aus solchem Munde sind beglckender Lohn.Zugleich erhalte ich von vielen Seiten zwar weniger gewichtige, aber kaum wenigerherzliche und begeisterte Zustimmungskundgebungen. Und so kann man denn dochhoffen wenn auch nicht in dem Sinne zu nutzen, in dem man so gerne es tun wrde,

    doch wenigstens manchen besorgten Herzen ein wenig Trost und Kraft zu spenden.

    Fr mich wird dieser Aufsatz wohl unter meinen Kriegsaufstzen der Schwanengesangsein. Der angegriffene Zustand, in dem Sie mich schon im Frhjahr antrafen, hat sichnicht unbedeutend verschlimmert, und Schweninger der groe Lebensspender derMann, der sonst nur ermutigt und antreibt, hat mir die vllige Enthaltung von aller Arbeitauf wenigstens drei Monate streng zur Pflicht gemacht. Es ist hart in einem Augenblick, woman so gerne dienen wrde. So bereitete ich z. B. ein Buch Der deutsche Staat vor, dasmu nun alles liegen bleiben. Auch diese Zeilen mute ich diktieren.

    Darf ich bitten, Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin verehrungsvoll empfohlen zuwerden. Und bitte, empfangen Sie selber die Versicherung meiner treuesten undehrerbietigsten Ergebenheit.

    Houston S. Chamberlain.

    Ideal und Macht.

    22-23 An Chr. Eidam

    Bayreuth, 20. Juli 1916.

    Hochgeehrter Herr Konrektor!

    Da Sie meiner freundlichst gedachten, hat mich aufrichtig gefreut. Die Erinnerung anunsere kurze Begegnung vor einigen Monaten steht mir lebhaft vor dem Sinn.

    Mit wahrem Interesse habe ich Ihre Schrift gelesen, da natrlich die Frage der modernenSprachen gerade mir eine sehr wichtige erscheint. Zwar habe ich weniger Schulerfahrungals ein anderer, doch besitze ich die nicht sehr hufige Erfahrung der leidenschaftlichenAneignung einer fremden Sprache und insoferne kann ich auch mitreden.

    Die Redensart von der Beherrschung fremder Sprachen und gar erst durch Schleremprt mich und macht mich zugleich lachen. Wie viele Menschen gibt es berhaupt, die

    eine zweite Sprache wirklich beherrschen? Es heit doch der Schule ein unmgliches Zielsetzen. Aus vollster berzeugung stimme ich Ihnen hier bei: man soll den Knaben nur janicht einbilden, da sie eine Sprache beherrschen ganz im Gegenteil, sie empfindenlassen, welcher weite Weg bis dahin noch zurckzulegen wre. Auch in der

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    bersetzungsfrage denke ich genau wie Sie. Es kme darauf an, die fremde Sprachewirklich in ihren Feinheiten nachzuempfinden, so da der Geist das Originelle des anderenGeistes mit einiger Genauigkeit zu schtzen und sich daran zu bereichern wte; wogegenes vllig unntz ist, sich selber in einer fremden Sprache ausdrcken zu wollen, was nurden Wenigsten, und zwar auf Grund ganz anderer Studien gelingen kann. So bescheidender Deutsche auch zu sein pflegt, ich habe mich doch manchmal sehr gewundert ber dieIllusionen, die er sich machte im Bezug auf seine Kenntnis fremder Sprachen. Ein

    Franzsisch kann absolut korrekt sein und dabei gnzlich unfranzsich, weil jeder einzelneFall von Gewohnheiten und Schicklichkeitsregeln abhngt, die eigentlich gar nichtauszulernen sind.

    Ihre Erwhnung auf Seite 12 betr. die Leitartikel der Times, die ein Obersekundanerverstehen soll, hat mich daran erinnert, da mein Freund Professor Otto Kuntze, derEnglisch in Prima lehrte, mir einmal sagte, er lese fast nie einen Leitartikel der Times,ohne Prpositionalwendungen anzutreffen, die ihm noch unbekannt seien!

    Mit recht herzlicher Begrung verbleibe ich in aller Hochachtung Ihr

    sehr ergebener

    Houston S. Chamberlain.

    23 An Dr. Georg Gau

    Bayreuth, 22. Juli 1916.

    Sehr geehrter Herr!

    Haben Sie Dank fr Ihre freundlichen Zeilen. Von verschiedenen Seiten werde ich aufden betreffenden Aufsatz (in der Frankfurter Zeitung) aufmerksam gemacht, ich kenneihn aber nicht und brauche ihn auch nicht zu kennen. Die Feindschaft zwischen uns isteine alte, jedes meiner Bcher haben sie verrissen. Krzlich kam noch dazu, da sie einengegen Nachdruck geschtzten Aufsatz von mir stahlen, was meinen Rechtsfreundveranlate, ihnen 500 Mark zugunsten des Roten Kreuzes abzuzapfen.

    Mit nochmaligem Dank und Gru

    Ihr sehr ergebener

    H. S. Chamberlain.

    23-24 An Pfarrer Karl Schneider

    Bayreuth, 23. Juli 1916.

    Sehr verehrter Herr Pfarrer!

    Fr Ihre lieben temperamentvollen Zeilen danke ich Ihnen herzlichst. Den von Ihnen

    bezeichneten Schimpfaufsatz kenne ich nicht, wenn ich auch von verschiedenen Seitendarauf aufmerksam gemacht worden bin. So etwas macht mir nicht den geringstenEindruck. Um weh zu tun, mu ein Schuh drcken, was hier nicht der Fall ist. Htte ich,nachdem ich alle Krfte meines Lebens dem Deutschtum gewidmet hatte, ich will nicht

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    sagen gegen Deutschland Partei ergriffen, sondern auch nur geschwiegen und michhbsch vorsichtig beiseite gehalten, ja, dann wre ich ein Renegat gewesen und einVerrter an der eigenen Seele. Wenn ich nun aber wirklich einige Zeit lang wohl werdeschweigen mssen, so geschieht das nicht der Frankfurter Zeitung zuliebe, sondernlediglich, weil ein durch die Vorgnge der letzten Jahre herbeigefhrtes nervses Leidenetzt auch das Herz befallen hat, weswegen selbst der ewig aufmunternde LebensgeistSchweninger mir eine dreimonatige absolute Pause zur Pflicht gemacht hat.

    Von dem Nationalausschu glaube ich, da es ein totgeborenes Kind ist.Mit nochmaligem Danke und verehrungsvollem Hndedruck

    Ihr ergebenster

    Houston S. Chamberlain.

    24-25 An Prediger Veroloet

    Bayreuth, 25. Juli 1916.

    Hochverehrter Herr!

    Zeilen wie die Ihrigen vom 22. d. M. sind zugleich Freude, Lohn und Ermutigung. Vorallem hat es mich gefreut, da Sie es sich nicht verdrieen lassen, die genannten Bchermehrmals durchzustudieren. Oftmals, whrend ich den Kant schrieb, berkam mich dasniederdrckende Gefhl, da kein Mensch die Bedeutung dieser Ausfhrungen wahrhaftschtzen knne bei einem ersten Lesen; und wie sollte ich erwarten, da man ein soumfangreiches Werk mehr als hchstens einmal lese? Dieser Umstand hat auch

    tatschlich in den ersten Jahren schwer auf dem Werke gelastet; es wurde ffentlich vonMenschen beurteilt und verurteilt, die kaum hineingeguckt hatten. Nach und nach hatsich aber eine ganze Gemeinde von freundlich nachsichtigen, auf meine Absichteneingehenden Lesern gebildet, und ich kenne heute die Namen von Dutzenden vonMenschen, die das Buch mindestens dreimal gelesen haben. Namentlich das 4. KapitelBruno pflegt dann in eine ganz andere Perspektive zu rcken: ich htte gerne erfahren,ob das auch bei Ihnen der Fall war. Ein geistreicher Freund nannte diesen Vortrag denVersuch einer Biologie der Philosophie.

    Ja, ich glaube schon, da die Kenntnis meines Goethebuches Ihnen fr Kant ntzlichsein wird. Freilich ist gerade mein Goethe das esoterischste aller meiner Bcher, dochwird Ihnen der Gegenstand so vertraut sein, da Sie auf keine wesentlichen

    Schwierigkeiten stoen werden.Eine Erkrankung zwingt mich, zum Diktat zu greifen, und vielleicht habe ich mich nichtso deutlich und zusammenhngend ausgedrckt, als ich es auf Ihren Brief gerne getanhtte. Dies wollen Sie entschuldigen.

    Ich verbleibe mit bestem Grue

    Ihr sehr ergebener

    Houston S. Chamberlain.

    25-27 An Generalmajor Pfeil

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    Bayreuth, 26. Juli 1916.

    Hochverehrter Herr General!

    Es war mir eine groe Freude, Ihren Namen auf einem Kuvert zu erblicken, und einewahre Genugtuung, aus dem Inhalt Ihres Briefes zu entnehmen, da Sie meinen letztenAufsatz gut und zweckmig finden.

    In Beantwortung Ihrer Frage und Anregung teile ich folgendes vertraulich mit. VonAnfang des Krieges an habe ich mich geweigert, fr diese Aufstze irgendein Honoraranzunehmen, und mir dafr das Recht ausgemacht, sie in allen Zeitungen nach Beliebennachdrucken zu lassen. Wiederholt habe ich gebeten, das dumme Nachdruck verbotenfortzulassen und dafr zu setzen Nachdruck erwnscht: es war nicht zu erreichen. JederZeitung, die mich darum bat, habe ich sofort telegraphisch die Nachdruckserlaubnis erteilt und es haben auch eine ganze Anzahl bei frheren Aufstzen davon Gebrauch gemacht.

    Um nun eine bedeutend grere Verbreitung zu erzielen, hatte ich meinen AufsatzDeutschlands Kriegsziel vaterlndisch gesinnten Freunden in Berlin geschickt mit derBitte, sich mit einer Agentur in Verbindung zu setzen. Dies geschah; und da ich keinHonorar verlangte, konnte die betreffende Agentur ein sehr groes Geschft machen. In der

    Tat, sie richtete alles ein, und an einem bestimmten Tage sollte in mehr als 200 Zeitungender Aufsatz gleichzeitig erscheinen, bei einer Gesamtauflage von mehr als einer MillionExemplaren. Im allerletzten Augenblick trat etwas dazwischen, und die Agentur zog denAufsatz zurck. Von welcher Stelle aus die Agentur so stark beeinflut wurde, da sie aufeinen bedeutenden Gewinn verzichtete, habe ich nie genau erfahren knnen.

    So viel wei ich nur, da sie der Regierung nahe stand.Sie begreifen, da ich diese Bemhungen aufgab, denn gegen derartige Einflsse kann

    ich Privatmann nicht aufkommen.Wie die frheren, so wird auch der jetzige Aufsatz in den nchsten Tagen als Flugschrift

    erscheinen zu einem billigen Preise; und nach wie vor drfen Zeitungen, die es wnschen,

    ihn nachdrucken, kostenlos.

    Was Sie mir ber die Politischen Ideale erzhlen und ber die antiparlamentarischeuerung der sozialistischen Wochenschrift hat mich wie Sie voraussetzen ungemeininteressiert, und ich habe mir davon Notiz genommen. Leider bin ich von einemNervenleiden befallen, welches es mir unmglich macht, in diesem Herbste ein kleinesBuch herauszugeben Der deutsche Staat, wie ich es beabsichtigt hatte. Vielmehr mu ichpausieren und Brunnen trinken und, wenn mglich, Gastein besuchen.

    Wie Sie, in unerschtterlicher Zuversicht und unverminderter Kampfeslust verbleibeich, hochverehrter Herr Generalmajor, Ihr aufrichtig dankbarer und verehrungsvollergebener

    Houston S. Chamberlain. Ideal und Macht.

    27 An Professor Stahlberg

    Bayreuth, 29. Juli 1916.

    Hochgeehrter Herr Professor!

    Haben Sie den allerwrmsten Dank fr Ihre freundlichen Worte, die mir im innerstenHerzen wohl taten. Auch Ihr Gedicht hat mich wahrhaft ergriffen. Seien Sie berzeugt, daich Ihre Gefhle nicht nur verstehe, sondern auch teile. Teils aber liegt es in meinem

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    Charakter, teils aber in dem Empfinden der Pflicht, welche diese Stunde uns aufzwingt,da ich der Niedergeschlagenheit keinen Zoll breit Raum gewhren w i l l. Auerdem binich nicht unbedenklich erkrankt, und Hoffnung und Glaube sind Elemente, die mich berWasser halten, und ohne die ich endgltig versinken mte.

    Mit Geheimrat Schfer und auch mit meinem Verleger Bruckmann stehe ich inBriefwechsel weil nmlich besagter Verleger den Aufsatz Ideal und Macht alsFlugschrift bereits gedruckt hat und ich nicht wei, ob es ihm recht ist, da ein

    gesondertes Flugblatt in so groer Auflage auerdem hergestellt wird. Ich habe ihngebeten, es zu gestatten, habe aber noch keine Antwort.Mit der Versicherung meiner besonderen Verehrung und mit der Bitte, die gewonnene

    Fhlung aufrecht zu erhalten, zugleich mit verbindlichem Dank fr die seinerzeit richtigeingetroffene Sendung verbleibe ich

    Houston S. Chamberlain.

    28 An Rittmeister Glahn

    Bayreuth, 1. August 1916.

    Hochverehrter Herr Rittmeister!

    Haben Sie, bitte, wrmsten Dank fr Ihre so freundlichen, mich beglckenden Zeilen.Heute konnte ich schon ein frhestes Exemplar der Flugschrift Ideal und Macht an S. M.den Kaiser schicken; bald bin ich so frei, auch Ihnen eins zugehen zu lassen. Der Verlegerschreibt mir, da gegen 20 000 Stck schon vorausbestellt sind; ich hoffe also auf einigeVerbreitung.

    Auf eine besondere W i r k u n g in dem von Ihnen gemeinten Sinne zu hoffen, habeich verlernt und mu mich damit bescheiden, wenn es mir gelingt, vaterlndisch gesinntenMnnern einigen Trost und einige Hoffnung zu schenken.

    Leider ich erwhne die Tatsache nur als Erwiderung auf Ihre Anregung leider binich nicht unbedenklich erkrankt, und mein Arzt, der Bismarck-Schweninger, ein Mann,der, wie Sie wissen, immer nur zu Leben und Bettigung zuredet, macht es mir geradezuzur Pflicht, einige Monate lang gar nicht zu arbeiten und namentlich jede Erregung zuvermeiden. Ich gerate dadurch in eine sehr schwierige Lage. Denn warum soll man nichtebensogut in der Heimat wie im Vordertreffen fallen? Dagegen erheben sich die Bedenken,die nicht nur angefangene und lange vorbereitete Werke einflen, sondern auch die Sorge die groe Sorge um die allernchste Zukunft, wenn der Frieden einbricht. Vielleicht

    ist unsereiner doch mehr befhigt dann als jetzt, wirklich etwas zu wirken. Und soschwanke ich zwischen zwei Strmungen, die mich eigentlich gleichstark anziehen. Ichhoffe, Ihres geneigten Wohlwollens auf alle Flle wrdig zu bleiben, und bin mit derfreundlichsten Begrung

    Ihr in aller Hochachtung ergebener

    Houston S. Chamberlain.

    29-30

    An Edmund Steppes

    Bayreuth, 5. August 1916.

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    Hochverehrter Herr Steppes!

    Ganz besondere Freude hat mir Ihr gestern empfangener Brief gemacht. Schon seitJahren verehre und liebe ich Ihre Kunst, und es war nun eine ganz eigentmlicheErfahrung, al Sie selber als Mensch persnlich aus dem Schatten zu mir herantratenund so freundliche Worte fr das fanden, was ich im Laufe des Krieges aus tiefsterSeelennot heraus zu sprechen mich gentigt fand. Ich begreife ganz gut Ihr anfngliches

    Zgern; nicht ein wenig nehme ich es Ihnen bel; von keinem Zeitgenossen kann man dieLebensgeschichte kennen; mein Lebensgang war ein sehr eigenartiger, seltsamer; das aberder Welt zu erzhlen, wre aufdringlich; das Miverstandenwerden ist ein Bestandteil desSchicksals, den wohl ein jeder zu tragen hat und ber den man mglichst frh sichberuhigen sollte. Ich habe immer gefunden, da das Nichtaufklren letzten Endes mehrund besser aufklrt als Explikationen, aus denen immer neue Miverstndnissehervorgehen. Ihrer Achtung kann ich mich nunmehr ohne Rckhalt erfreuen.

    Gewi werde ich das Buch, das Sie mir nennen und das ich nicht kenne, sehr gernelesen.

    Eine Kleinigkeit mu Ich Ihnen erzhlen. Ein Bild von Ihnen besitze ich seit Jahren undwar immer unglcklich, da es nicht zur Geltung kommen wollte in dem einzigen Raum,

    der mir zum Aufhngen zur Verfgung stand. Nun sind meine Frau und ich am 1. Mai inunser eigenes Haus (dicht bei Wahnfried eingezogen und das betreffende Bild ist auf eineStaffelei in einer Art Gartenzimmer gekommen, wo es zwar nie von einem Sonnenstrahlselbst getroffen wird, den ganzen Tag ber aber in einer Lichtflut steht, die durchRiesenfenster einstrmt, die alle Sonne durchlassen und nun strahlt auch das liebe Bildin seiner vollen Schnheit und erzhlt uns tagtglich von den Licht- und Farbenwonnendes Sdens!

    Meine Frau trgt mir viele herzliche Gre auf, und ich schliee mich ihnen an in derfesten und frohen Hoffnung, Ihnen in nicht zu ferner Zeit sei es in Mnchen, sei es hier persnlich zu begegnen.

    Houston S. Chamberlain.

    30 An J. F. Lehmann

    Bayreuth, 9. August 1916.

    Sehr geehrter und lieber Herr Lehmann!

    Heute frh schickte ich Ihnen einiges Geschftliche. Nachmittags ist nun endlich meineEinbrgerung vollzogen worden, und ich erflle meine schon lange feststehende Absicht,indem ich als allererste Handlung meinen Wunsch, dem A l l d e u t s c h e n V e r b a nd anzugehren, ausspreche. Zwar bin ich schon seit einiger Zeit mit Herrn Cla inbrieflicher Verbindung; doch es ist mein besonderer Wunsch, da Sie hier meinePatenschaft bernehmen und die Sache in die Wege leiten mchten. Darum bitte ich Siemit diesen Zeilen.

    Sie werden wohl heute den Besuch der Herren K. und K. empfangen haben? Sie warengestern bei mir. Ich war ber die Jugend des einen erschrocken und fand den anderenmehr eingenommen von sich selber und seinem Schicksal, als ich es in einem Augenblick,wie dem jetzigen, gewnscht htte. Dazu war ich gerade gestern frh am Herzen so

    gepeinigt, da ich kaum sprechen konnte. Ich glaube immer, die Leute befinden sich ineiner groen Illusion, welche vermeinen, die Welt vom Theater aus reformieren zu knnen;doch an und fr sich hat gerade diese Zeitschrift manches Gute gebracht wenn auchnicht alle Mitarbeiter ganz rein zu uns gehren.

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    Mit den herzlichsten Gren verbleibe ich Ihr

    ergebener

    Houston S. Chamberlain.

    Bhne und Welt.

    31 An Professor B. Harms

    Bayreuth, 9. August 1916.

    Hochgeehrter Herr Professor!

    Da Sie die Zeit gefunden haben, mir so freundlich zu schreiben, hat mich wirklich

    gerhrt, und ich danke Ihnen verbindlichst dafr. Ganz besonders gefreut hat es mich,da die Erwhnung in Hammer oder Ambo einigen Nutzen gestiftet hat. Da niemalsunmittelbar viel aus so etwas erfolgt, wei ich und habe es nicht anders erwartet, doch eskommt halt eins zum anderen, und ich bin froh und stolz, wenn ich Ihrem groenUnternehmen , fr das ich geradezu leidenschaftliche Bewunderung empfinde, auch nurim geringsten habe dienen knnen. Ich wnsche, ich knnte es in einem ausgiebigerenMae. Fr die angezeigte, noch nicht eingetroffene Gabe danke ich im voraus sehr; Sieknnen sicher sein, da, was aus Ihrer Feder kommt soweit ich es zu verstehen vermag stets bei mir lebhafte Beachtung findet. So war das neulich wieder der Fall bei IhrerEinfhrung zu jenem groen Aufsatz ber die englische Handelsbilanz. Sie erschien mirebenso wichtig wie belehrend, und ich habe mehrere politische Mnner darauf aufmerksam

    gemacht, die wie es so geht von diesen Zusammenhngen keine Ahnung hatten. Da Sie nicht berall mit mir bereinstimmen das kann wohl nicht anders sein; dochdie Aufrichtigkeit, mit welcher Sie mir das sagen, gefllt mir ganz besonders, und ich wagezu hoffen, da auch meine Aufrichtigkeit Ihnen nicht mifllt.

    Mit den besten Gren verbleibe ich

    Ihr in Verehrung ergebener

    Houston S. Chamberlain.

    Das Institut fr Seeverkehr und Weltwirtschaft an der Universitt Kiel, Kaiser-Wilhelm-Stiftung.

    32-33 An General von Gerok

    Bayreuth, 12. August 1916.

    Hochverehrte Exzellenz!

    Mir, sowie dem Familienkreis in Wahnfried haben Sie eine groe, dankbarlichst

    empfundene Freude gemacht mit Ihren lieben Zeilen vom 6. 8. Wir hatten so lange nichtsgehrt und wuten gar nicht, wo wir Sie uns vorstellen sollten.

    Bei meinen kleinen Arbeiten gibt es fr mich keine grere Freude, als wenn ich aus dervordersten Front solche Worte vernehme, wie Sie sie an mich zu richten die Gte haben.

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    Da hat man doch wenigstens etwas getan wenn man denen, die die ganze Last tragen,einen Augenblick Freude gemacht hat. Im brigen lassen Sie mich Ihrem Beispiel folgenund schweigen ber das viele, was wir ganz gewi beide in ganz gleicher Weise empfindenund was besser nicht ausgesprochen wird. Im Laufe des Krieges bin ich nach und nach mitmanchen Mnnern in Berhrung gekommen teils der Armee und Marine angehrig, teilsPolitiker oder sonst in der deutschen Sache bettigten Mnnern: dadurch bin ich in vielengere Berhrung mit den Vorgngen dieser Zeit gekommen als ein bloer Zeitungsleser

    und auf Erzhlungen Angewiesener; zwar gibt mir diese Tatsache Veranlassung, Gott zudanken, da ich an diesen groen Ereignissen, wenn auch nicht mittragen, so dochmiterleben darf. Ihnen aber, hochverehrter, lieber Herr Gesinnungsgenosse, brauche ichnicht zu sagen, da ein solches Wissen zugleich eine groe Last ist. Unter ihr zugleichunter den schweren Kmpfen, die meine Seele durchmachen mute bin ich jetzt auchphysisch zusammengebrochen und mu leider meine geringe Ttigkeit vor der Handaufgeben. Mit meiner Frau hoffe ich nchsten Mittwoch nach Bad-Gastein auf einen Monatzu reisen; die rzte erhoffen von dieser Kur viel. Ich glaube hauptschlich an die siegendeKraft der Geduld.

    Ein Wort in Ihrem lieben Schreiben veranlat mich, Ihnen mitzuteilen, da ich nunmehrauch uerlich Deutscher geworden bin und die Einbrgerung endgltig erlangt habe.

    Wie Sie, bete auch ich zu Gott um ein Wiedersehen Auge in Auge auf dem uns heiligenFestspielhgel!

    Verehrungsvoll und aufrichtig ergeben

    Houston S. Chamberlain.

    33-34 An Josef Pembaur

    Bayreuth, 15. August 1916.

    Sehr geehrter und Lieber Herr Professor!

    Das mir entschlpfte lieber mssen Sie sich schon gefallen lassen, denn ich habe Sieso in mein Herz geschlossen wie seit Jahren keinen Menschen. Seit dem Heimgange A.Rubinsteins glaubte ich in Beziehung auf gewisse Kunsterlebnisse fr ewig verwaist zusein: ihm war ich in frher Jugend nachgereist, soweit die knappen Mittel und diedrngenden Arbeiten es irgend erlaubten, um unterzutauchen in die Wonne reinstenGenusses. Kein anderer hat mir das je wieder geschenkt bis zu jenem Abend und zuenem Morgen, wo Ihr Stern mir aufging! Zwar habe ich einmal am selben Klavier, wo Sie in

    Wahnfried spielten, und auf demselben Stuhle sitzend, wie Sie, Franz Liszt spielen g e s eh e n leider kann ich aber nicht sagen gehrt, denn er spielte vierhndig mitReisenauer. Zwar ein unvergngliches einziges Schauspiel, zugleich aber ein Schmerz; eswar ganz kurz vor seinem Tode. Glauben Sie nicht, da ich hiermit sagen will, Sieerinnerten mich an Rubinstein: Sie sind von ihm ganz verschieden, und ich habe denEindruck, da ich bei nherer Bekanntschaft sie noch hher werde schtzen denn es lagin ihm etwas durchaus Exotisches, zwar nicht, nein gar nicht Jdisches, wie mancheUnwissende behaupten, aber Tatarisches oder sonst irgend etwas Unheimliches ausZentralasien. Steht dieselbe Meisterschaft der Ausfhrung, die hohe Glut des Empfindenseiner d e u t s ch e n Musikerseele zur Verfgung, so mu sie natrlich noch Greresbewirken.

    Leider bin ich krank und stehe auerdem im Vorabend der Abreise nach Bad Gastein,wo ich Erquickung suchen will sonst wrde ich Ihnen einen sehr langen Brief schreiben,denn Ihre Sendung hat fr mich gerade das Richtige getroffen. Durch Beethoven bin ichseiner Zeit Mensch geworden oder sagen wir zum Menschtum pltzlich wie aus einem

  • 7/31/2019 Chamberlain, Houston - Briefe 1882-1924 Und Briefwechsel Mit Kaiser Wilhelm II. - Band 2 (1928, 160 S., Text)

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    bsen Traum erwacht. Einmal mu ich Ihnen erzhlen, wie das zuging. Genug, ich lebeseit etwa 40 Jahren in den Sonaten kann sie zwar nicht spielen, da ich in einerUmgebung aufwuchs, wo der Begriff Kunst berhaupt nicht bekannt war, und dann war eszu spt. Aber Sie selber knnen sie nicht mehr lieben, als ich sie liebe, und ich habe IhreAusfhrungen zur D-Moll und F-Moll wiederholt verschlungen als ob sie nur fr michgeschrieben wren... Ich werde weggerufen; lassen Sie mich nur das Eine sagen: Sie habenin allem recht; ich nehme es mit jedem auf, der das Gegenteil behauptet! Mehr ein anderes

    Mal. Heute nur der Hndedruck des innigsten Verstndnisses und der sehnsuchtsvollenHoffnung auf Wiedersehen und Wiederhren.

    Houston S. Chamberlain.

    34-36 An J. F. Lehmann

    Bad Gastein, Kaiserhof26. 8. 1916.

    Sehr verehrter, lieber Herr Lehmann!

    Mit Ihren Zeilen vom 22. d. M. (soeben eingetroffen) haben Sie mir eine sehr, s e h rgroe Freude gemacht. Viel und instndig habe ich Ihrer dieser tage gedacht und wollte esIhnen sagen doch stehe ich unter strengster Kur-Klausur, da mein Herz- undNervenzustand dies erfordert; dies ist meine erste Snde.

    Ich k a n n es einfach nicht unterlassen, Ihnen kurz meine Auffassung mitzuteilen.Ich wrde es fr sehr unweise halten, sich den deutschen Arbeiterstand bei solch einemUnternehmen zum Feind zu machen. Es hiee gegen den Rat des Klugseins verstoen,

    den der Heiligste uns so eindringlich empfahl. (Es gibt verrckte, es gibt auch bse,verbrecherische Menschen unter den Soz.-Fhrern, namentlich geschworene Feinde desDeutschtums. Doch herrscht hier, wie berhaupt in der deutschen Politik, dasMiverstndnis und d i e s e s aufzuhellen ist die vorliegende Aufgabe, aus der allesbrige sich von selbst ergeben wird.

    In Wirklichkeit ist das politische Parteiwesen berhaupt gnzlich undeutsch; esentspricht keiner Wirklichkeit, sondern entspriet aus Wahngedanken. Selbst England bedenken Sie das hat bis vor ganz kurzem das politische Parteileben im heutigen Sinnen i c h t gekannt sondern lediglich ein Hin und Her zweier Interessengruppen, die imGrunde dasselbe wollten. Sobald das Parteiwesen auch dort aufkam, war es mit demParlament zu Ende. Ein vernnftiges Staatsgebilde vertrgt nur S t n d e v e r t r e t

    u n g e n, und dahin steuert offenbar Deutschland unbewut hin. Die Kraft desSozialismus liegt gerade darin begrndet, da er einen Stand vertritt also wirklicheLebensinteressen, nicht politische Lehren. Der Wahn, da er die anderen Stnde verzehrenknne und werde, wird in dem Augenblick schwinden, wo diese ebenfalls organisiertauftreten. Man sieht dies schon innerhalb der Industrie und Landwirtschaft beginnen. I nt e r e s s e n g r u p p e n werden sich verstndigen, (wie sie schon jetzt innerhalbGemeindeverwaltungen tun), denn die Vertretung von Interessen macht klug, ffnet dieAugen fr andere Interessen, wogegen die P a r t e i eine Lehre, ein Dogma begrndethat und darum nie nachgeben kann, ohne sich selber untreu zu werden. Im einen Fallehaben wir ewigen, nie beizulegenden Kampf und Ha, im anderen ein Nachgeben undgegenseitiges Frdern auf allen Seiten, weil fnf Interessengruppen zwar nicht alle auf dem

    eigenen Kopf bestehen knnen, wohl aber sich alle fnf durch Ineinanderfgen gegenseitigbegnstigen, was bei Parteien nie der Fall, weil jede alles will und alles wollen mu. Vonmeinen Interessen etwas zu opfern, ehrt mich, von meiner berzeugung etwas zu opfern,entehrt mich. So ist jedes politische Kompromi eine Unredlichkeit, jedes

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    Interessenkompromi eine weise und edle Tat.Ich meine, unser Ziel mu sein: Hinaus mit der undeutschen Politik. Nicht aber drfen

    wir uns einer oder der anderen Partei verpflichten, sei es zu Liebe, sei es zu Ha. Ich wei wohl, es ist schwer durchzufhren, denn wir befinden uns im bergangschaos,

    und zunchst wird jeder Schritt parteipolitisch beurteilt: gerade diese Schwierigkeit gilt eszu berwinden. Die Zukunft zu gestalten, erfordert besondere Mnner, die zwar in derGegenwart stehen, aber doch nicht in ihr befangen bleiben. Die Frage Sozialismus und

    Antisozialismus wre fr mein Gefhl viel zu eng.[...]

    Verzeihen Sie: ich habe mit Mhe den Stift gefhrt und nur andeuten knnen. Es liemir keine Ruhe.

    Herzlichst grt Ihr sehr ergebener

    Houston Stewart Chamberlain.

    36-38 An J. F. Lehmann

    Bad Gastein, Kaiserhof.7. Sept. 1916.

    Hochgeehrter Herr Lehmann!

    Haben Sie besten Dank fr Ihren inhaltreichen Brief vom 2. d. M. Leider ist es mir nochimmer nicht mglich, Ihnen so zu schreiben wie ich mchte. Die Kur und was dazu gehrt,nimmt alle Zeit in Anspruch, und der leidige Herzzustand, obwohl soweit gebessert, daich gut schlafe, verbietet noch immer jede die Leidenschaft erregende eingehende

    Beschftigung.Lassen Sie mich also nur kurz sagen, da Ihre orientierenden Ausfhrungen ber die

    Ansichten der beiden Herren mir sehr wertvoll waren. Ich selber hatte Ihnen nur einkleines Bruchstck von dem gesagt, was ich auf dem Herzen hatte. So z. B. denke ich mirdie erwhnte Stndegliederung durchaus nicht als eine gesetzlich einzufhrendeNeuerung, sondern als eine aus der Initiative energischer Mnner hervorgehende T a t s ac h e. Vor kurzem schrieb mir ein bedeutender Mann den ich heute nicht nennen will das Einzige, was er an meinen Arbeiten nicht leiden knne, sei die Polemik gegen dieParlamente, es ginge doch nicht an, die Welt zurckschrauben zu wollen. Wollte ich das,so wre ich ein Schwrmer was ich nicht bin; vielmehr mchte ich nur dazu beitragen,die Weltuhr vorzurcken etwa wie es mit der neuen Sommerzeit so segensreich gelungen

    ist. Erkennt man, da der Reichstag in seiner jetzigen Verfassung ein geradezufurchtbares, rettungsloses bel ist ein Zeit- und Krfteverlust ohnegleichen, einVernichter jedes organischen Aufbauens so folgt daraus mit Notwendigkeit, da hieranetwas gendert werden mu, und da es eine bloe Redensart ist, wenn man vonZurckschrauben redet und die Sache dadurch so hinstellt, als wren die gegenwrtigenVerhltnisse Felsen, an denen weder gerttelt werden kann noch darf. MenschlicheInstitutionen sind menschliche Werke. Der Wille, sie zweckmig zu gestalten, ist dieGrundbedingung aller praktischen Ttigkeit. Nun wre es gewi naiv, wenn man erwartenwollte, der heutige Reichstag wrde sich jemals aus eigener Einsicht umgestalten. Folglichbleibt nur der eine Weg, da er nmlich von auen aus umgestaltet wird: KeinStaatsstreich, keine Verfassungsnderung, die nur auf dem Wege unheilvoller

    Kompromisse zu erreichen sein wrde, sondern einfach eine Umwandlung durch neueRichtung des Willens in immer weiter werdenden Kreisen der Bevlkerung.

    Sie verstehen jetzt vielleicht besser weil ich mich deutlicher ausgedrckt habe, wasich unter der neuen Stndegliederung mir denke: eine Vernichtung der heutigen P a r t e i

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    e n, ein grndliches Hinauswerfen aller berufsmigen Parlamentarier und Nurpolitiker,eine Erlsung aus hohlen Doktrinen, eine Vertretung durch Mnner, die wirklicheInteressen also Wahrheiten verkrpern, kennen und zum berechtigten Ausdruckbringen. Das wre immerhin ein Schritt auf dem Wege zu einem weniger absurden Zustandals der heutige es ist, und ich bin berzeugt, da nur der erste Schritt schwer zu tun seinwird, die folgenden aber dann sehr schnell eine Umwandlung bewirken, von der wir unsheute kaum eine Vorstellung machen knnen.

    Wenn Sie meinen frheren Brief durchschlagen lassen, werde auch ich um eineAbschrift bitten, da ich keine besitze. Auf unserem Rckwege halten wir uns kurz unds t r e n g i n k o g n i t o in Mnchen auf und werden Sie bitten, uns in aller Stille dieFreude Ihres Besuches zu gnnen. Ich bedarf leider noch groer Schonung.

    Treu und herzlich

    Ihr

    Houston S. Chamberlain.

    38-39 An Dr. Hartmeyer

    Bayreuth, 26. September 1916.

    Sehr verehrter Herr Hartmeyer!

    Ihre lieben Zeilen vom 23. 8. gelangten sehr spt in meine Hnde, weil ich, um nicht garzu viele Briefe zu verlieren, nichts nach sterreich nachschicken lie, wo ich jetzt eineeinmonatige Kur in Bad Gastein geno, und von wo ich jetzt gestrkt, wenn auch nicht

    geheilt, zurckgekehrt bin. Haben Sie nachtrglich tausend Dank, ganz besonders auchfr den entzckenden kleinen Aufsatz. Ich will Ihnen offen gestehen, da sich stets etwaswie eine Trauerwolke auf mein Gemt niedersenkt, wenn ich mich zu hoch eingeschtztsehe; es ist, als wrde von einem so viel mehr gefordert, als man jemals zu leisten hoffenkann; doch solche Empfindungen schttle ich schnell ab schlielich tut jeder, was erkann, und Gott fgt es zu einem Ganzen; und da bleibt dann nur die Dankbarkeit fr soviel Gte und Wrme, wozu in Ihrem Falle die sehr dankbare Anerkennung einer soselten zarten Diskretion kommt.

    In Gastein sah ich unseren gemeinsamen Freund Leopold von Schrder ziemlich viel, daer hauptschlich unseretwegen zehn Tage dort verbrachte. Sein prchtigesgesinnungstchtiges Wesen hat mir wieder besondere Verehrung eingeflt. Auch haben

    wir sehr viel Interessantes durch ihn erfahren. Ein anderer interessanter Besuch war derdes Kammerherrn von Riepenhausen Ihnen gewi als frheres langjhrigesReichstagsmitglied, Gutsnachbar Bismarcks in Varzin usw. bekannt. Er bewegt sich inKreisen, die ihm vieles zu wissen erlauben, und sein Herz war sehr vollbepackt; nur um esin das meinige auszuschtten, war er nach Gastein auf einen Tag heraufgefahren freilich fr mich ein sehr kurwidriges Beginnen. Auf dem Rckweg hatte ich auch inMnchen interessante Begegnungen mit wohlinformierten Mnnern. Ich denke mir, Ihnenmu das alles sehr schmerzlich fehlen da drauen. Ich hoffe, Ihre Herzbeschwerden habenwieder nachgelassen?

    In der Hoffnung, Ihnen bald und mit mehr Mue wieder zu begegnen, verbleibe ich, sehrverehrter Herr Doktor,

    Ihr sehr ergebener

    Houston S. Chamberlain.

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    39-44 An Frl. Sidonie Peter

    Bayreuth, 10.12. Oktober 1916.

    Hochverehrte Freundin!

    Ihr Brief vom 18. 8. ist spt in meine Hnde gelangt, und die Flle des zu Erledigendenwar so gro, da wir zu dritt die Sache in die Hand nehmen muten.

    Lassen Sie mich zunchst Ihnen von Herzen danken und wiederholt versichern, dagerade Ihre Briefe mir stets eine Quelle der angenehmsten Unterhaltung sind und da ichstets Zeit habe, sie zu lesen und wieder zu lesen denn die nehme ich mir ganz einfach.Dazu kommt, da ich jetzt unter einem sehr strengen Verbot lebe und keine eigentlicheArbeit unternehmen darf, ja, aufrichtig gesagt auch einsehen mu, da ich dazu unfhigbin. Einen kleinen Aufsatz hatte ich noch zu Papier bringen wollen Der Wille zum Sieg,mute es aber unterlassen, da die Nchte vollkommen schlaflos wurden.

    Ihre erste gtige Frage kann ich dahin beantworten, da Gastein mir wirklich groeDienste schon geleistet hat, mehr wird als spter eintreffend prophezeit und noch mehrsollen knftige dortige Kuren leisten. Die Luft war unbeschreiblich herrlich, und die Bder,die ich bis zu 20 Minuten ausdehnen durfte, bekamen mir vortrefflich. Dort erlangte ichsofort wieder die verlorene Nachtruhe, und es entwichen fast ebenso pltzlich diequlenden Rckenschmerzen die einem wirklich das Leben fast unertrglich machen.Dagegen wird der Arm immer schlimmer, und es hat sich ein Fu dazugesellt, der aucheine Schmerzensschule bedeutet, dazu der nicht weichende Herzdruck. Kurz ich bin, wasdie Physis anbelangt, ein ganz gehriger Kriegskrppel, und ich mu mich wohl oder beldareinfinden, den Aufregungen so viel diese Zeiten es nur erlauben aus dem Wege zugehen. Doch wie Sie wissen, ist Pessimismus nicht meine Sache, und als Ergebnis einerlangen Konferenz mit meinem Verleger in Mnchen hat dieser mir einen Parlographgeschenkt, der mich der Mhe des Schreibens vllig enthebt, und mit dessen Hilfe ichschon darangegangen bin, weitere Lebenserinnerungen zu gestalten. Wir sindbereingekommen, dies nicht in der Form einer lckenlos zusammenhngenden Erzhlungzu tun, dagegen spricht nicht nur meine Abneigung gegen eine solche ermdende Aufgabe,sondern auch die Tatsache, da ich vieles Beste gar nicht erzhlen knnte sondern wirdenken an einzelne Bilder, die fr eine ganze Zeit oder eine ganze Geistesrichtungcharakteristisch und symbolisch gelten knnen etwa nach Art des im Brief an Kuntze schon andeutungsweise Geleisteten. Und zwar denke ich daran, das Ganze aus einer Reihevon Briefen bestehen zu lassen, da hieraus einerseits fr mich groe Freiheit in derAuswahl entsteht und anderseits eine gewisse Vielseitigkeit der Behandlung, die aus derVorstellung verschiedener Individualitten, an welche die Briefe gerichtet sind, sich ergibt.Ich wei nicht, ob nicht der eine Brief vielleicht die berschrift tragen wird: An FruleinSidonie Peter! Auerdem begegnete ich nun in Gastein meinem alten Freunde Leopold vonSchrder, dem Wiener Indologen, und fand ihn voll des Wunsches, eine Art kleineschematische Lebensbersicht zu entwerfen; zwar konnte ich ihm oder vielmehr durfteich ihm die Stunde zu seinen vielen Fragen nicht gewhren, und jetzt, wo er von demanderen Vorhaben gehrt hat, will er seine Absicht auf spter vertagen doch ist es mirimmerhin eine Beruhigung, da sich einer dazu bereitfindet und ich es also nicht zu tunbrauche.

    Was Sie ber Alexander Herzens Lebenserinnerungen sagen, stimmt ganz genau mit

    meinen Eindrcken berein. Denken Sie nur, wir haben meine Frau und ich gerade die Confessionsvon J. J. Rousseau gelesen, die sie nicht kannte; bei mir warenJahre seit der letzten Lektre verstrichen; und ich mu sagen, mein frherer Eindruckkehrte verstrkt wieder, da dieser Mann rein als Beherrscher des Sprachausdruckesund seiner Verwendung betrachtet vielleicht der grte Schriftgewaltige aller Zeiten ist

  • 7/31/2019 Chamberlain, Houston - Briefe 1882-1924 Und Briefwechsel Mit Kaiser Wilhelm II. - Band 2 (1928, 160 S., Text)

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    bei welchem Urteil ich natrlich von einer Erscheinung wie Goethes insofern absehe, alsder mit der Sprache ber die Sprache hinauslangt. Ich gebe freilich zu, da das mitUnterbrechungen geschriebene Werk groe Ungleichheiten aufweist, und da namentlichderjenige Fehler, gegen den Sterne fahndet, nicht selten begegnen wird: da nmlichgewisse Episoden dermaen hinreiend sind, da die folgenden auf alle Flle matt undbla erscheinen mssen. Immerhin aber ist und bleibt dieses Buch ein Meisterwerk unterMeisterwerken.

    Auf Ihre Frage nach meinem Jugendaufsatz erwidere ich Ihnen, da ich ihn sicherirgendwo unter meinen Papieren besitze, doch frage ich mich jetzt, ob er nicht vielleichtden Contrat Socialbetraf; denn ich habe unter noch lteren Papieren von mir ausfhrlicheAuszge und Notizen ber die Ingalitgefunden (franzsisch), und ich glaube kaum, daich diese Schrift zweimal behandelt haben werde.

    Denken Sie mal, was meine Frau und ich jetzt abends zusammen lesen: die NouvelleHelose!Ich habe in frheren Jahren nie die Geduld und vielleicht auch nicht die Muebesessen, dieses Buch zu lesen; jetzt aber tue ich es mit staunender Bewunderung. Heutefrh las ich meiner Schwiegermutter den 23. Brief des 1. Teiles vor, die Schilderungen derReise in den Walliser Alpen und immer wieder unterbrach sie mich, hingerissen von derSchnheit der Sprache und der Kraft der Eindrcke. So unbedingt einfach und so vollendet

    angemessen hat wohl noch nie ein Mensch geschrieben, und es fllt nur darum denmeisten nicht auf, weil eben die Vollendung erreicht ist.

    Die Memoiren der Contesse de Boigne kenne ich nicht. Glauben Sie, da es was frmich ist?

    Ihr Urteil ber Treitschke hat mich ein klein wenig aber nicht gar zu sehr erstaunt;die Aufstze, auf die Sie anzuspielen scheinen, sind mir augenblicklich nicht gegenwrtig.Mir ists aber mit ihm in letzter Zeit umgekehrt gegangen: ich habe nmlich sein Werk DiePolitik zum erstenmal nicht blo durchgerast und ausgebeutet, sondern wirklich gelesen;wie Sie wissen, ist es kein von ihm verfates Werk, sondern ein sehr gut redigierter Berichtnach stenographischen Aufnahmen von Vorlesungen, und da hat man den ganzenlebendigen, prachtvollen Menschen mit seiner Leidenschaft, mit seinen bertreibungen,

    mit seiner Liebe und seinem Ha, wie er lebte und webte, vor sich und dieses Buchgefllt mir eigentlich besser als alle anderen aus seiner Feder. An seinen Aufstzen hatteich auch damals, wie Sie jetzt, eine dschungelhafte Unbersichtlichkeit zu beklagen, aucheine professorale Umstndlichkeit... Das alles ist in dem Werke ber Politik wiefortgezaubert.

    Die Worte professoral und Politik rufen mir Ihren Freund Richard Schmidt insGedchtnis, ber dessen Allgemeine Staatslehre wir hier sprachen, und von der ich Ihnensagte, wie sehr ich den ersten Band schtzte. Sobald er dann das Geschichtliche in Angriffnimmt, sinkt er fr mein Gefhl nicht unmerklich herab. Es ist ja auch viel verlangt, daein Mann alles beherrschen soll. Und in der Tat, wer einige Kenntnisse besitzt, merkt bald,da der Gelehrte da er jetzt sich auf einem Zwischengebiet bewegt sich in Wirklichkeit

    auf ganz wenige Fhrer verlt, denen er blind folgt; ich war bisweilen erstaunt, was alleser nicht wei und nicht beachtet. Es kommen da ganz merkwrdige Schnitzer vor. Nichtetwa, da ich ihm sein wegwerfendes Urteil ber die Grundlagen im geringsten belnehme; ich htte es auch sehr gut verstanden, wenn er mich ebenso ignoriert htte, wie erhundert verdiente Fachhistoriker mit Stillschweigen bergeht. Was aber immer wiedermich bei diesem Gelehrten stutzig macht, ist die leichtsinnige Ungenauigkeit, aus derhervorgeht, da sie die Dinge, von denen sie sprechen und die sie aburteilen, gar nichtkennen, so da ich mich auch hier fragen mu: Wie ist es eigentlich zugegangen? Hat derMann wirklich einmal die Grundlagen in der Hand gehabt? Und auf wie viele Minuten?Oder hat er nur einen Bericht darber gelesen oder gehrt und das Weitere durch seinePhantasie ergnzt? Hren Sie nur das eine: er behauptet, mein Buch strotze von

    Fanfarensten fr Richard Wagner!!! Die Grundlagen und Richard Wagner! Eineinziger Blick auf das Register berzeugt, da der Name nicht einmal zehnmal im ganzenber 1000 Seiten zhlenden Werk genannt wird; ja nicht einmal so viel, denn im Registerist auf Stellen auch hingewiesen, wo der Name gar nicht vorkommt, sondern in

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    irgendeinem weiteren Sinne Wagner auch mit inbegriffen sein knnte; und auch wo derName wirklich vorkommt, geschieht das zum Teil blo in Anmerkungen, wo auf irgendeinpolitisches oder historisches Wort des Bayreuther Meisters verwiesen wird. Ich wre Ihnenwirklich sehr dankbar, wenn Sie mir eine einzige Stelle nachweisen knnten, die selbst beieinem voreingenommenen Menschen diesen Eindruck zu erwecken geeignet wre; mir istkeine erinnerlich. Und noch ein Beispiel von dem unglaublichen Leichtsinn solcher vonihrer Gotthnlichkeit trunkenen Fachgelehrten: auf Seite 87 des 2. Bandes kommt er

    wieder auf mich zurck, um zu behaupten, ich klammere mich an an BurckhardtsGriechische Kulturgeschichte, welche gar nicht existierte, ich meine, nicht verffentlichtwar zur Zeit, da ich die Grundlagen schrieb. Solche Dinge sind mir schon oftvorgekommen: es ist aber ein krasser Fall, wenn nicht ein bloer Zeitungsschreiber,sondern ein angesehener Fachmann sich so benimmt. Fr die Grundlagen selbst kannes ja gleichgltig sein: mit ihren Eigenschaften und mit ihren Fehlern werden sie bleiben,was sie sind, und sie sind etwas mehr halte auch ich nicht davon.

    Auf Krieg und Politik gehe ich grundstzlich nicht ein, sondern beuge mich demrztlichen Gebot. Nur so viel will ich sagen, da ich wieder hervorragenden Mnnern undeingeweihten Persnlichkeiten begegnet bin, die alle sehr gtig gegen mich waren und mirvieles Interessantes erzhlten. Neulich war ein Freund hier, von dem ich Ihnen, glaube ich,

    erzhlte, und der seit Jahr und Tag bei Hindenburg war und tglich zweimal mit ihmspeiste bis zu dessen Ernennung zum Generalstabschef, und er brachte herrlicheAnekdoten, zugleich sehr traurige, ber die ich aber nicht schriftlich berichten kann,leider.

    In Ideal und Macht hat nachtrglich das Berliner Auswrtige Amt von der MnchnerZensur Striche verlangt! Zum Glck ist man in Mnchen viel freier als in Berlin, und sodarf unsere zweite Auflage noch ohne Krzungen weiter verkauft werden.

    Wie Sie sehen, ich habe in der Lnge mit Ihnen gewetteifert. Nehmen Sie dies als einenBeweis fr die groe Freude, die mir Ihre Briefe machen.

    Houston S. Chamberlain.

    Chamberlain und sein deutscher Lehrer. Brief an Prof. Dr. Otto Kuntze. Deutsche Bcher, 1916,

    Mnchen.

    Der 1918 erschienene Lebensabri H. S. C.s von L. v. Schroeder (J. F. Lehmanns Verlag, Mnchen).

    44-46 An von Tippelskirch

    Bayreuth, 31. Oktober 1916.

    Euer Exzellenz

    ergreifenden Brief vom 25. d. M. mit Worten zu beantworten und entsprechend dafr zudanken, fllt mir sehr schwer; ein Blick und ein Hndedruck wren angemessen. Steht mirnicht einmal die Feder zur Verfgung, denn ich bin krank und kann sie nicht fhren; dieseWorte mu ich in einen Parlographen hineinsprechen ein Instrument, das mir zwar imAugenblick sehr zu statten kommt, das aber eine Geistesgegenwart erfordert, die nicht soschnell zu erringen ist. Ihre Worte haben mich ergriffen und erhoben. Da die Wehmut desherben Verlustes Ihnen die Zunge gelst hat, um mir die groe Freude zu machen, da ichvon der dauernden Wirkung meiner Werke in Ihrem edlen Familienkreise erfahre: das

    empfinde ich zugleich als eine merkwrdige, schne und wehmtige Fgung. Man fhltsich ber die Zeitlichkeit und ber die ach! so schmerzlich engen Schranken des armen Ichhinausgehoben. Von Herzen danke ich Ihnen.

    Die Karte Ihres verewigten Heldensohnes an mich hat meine Frau nun herausgesucht;

  • 7/31/2019 Chamberlain, Houston - Briefe 1882-1924 Und Briefwechsel Mit Kaiser Wilhelm II. - Band 2 (1928, 160 S., Text)

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    ich lege sie hier bei als den beredtesten Dankesausdruck, der in meiner Macht steht.Aus Ihren Bemerkungen ber Luther glaube ich zu entnehmen, da Sie mein kleines

    Sammelbuch Deutsches Wesen kennen, in welchem der einzige ausfhrliche Aufsatzenthalten ist, den ich je ber den groen Reformator geschrieben habe. Wenn nicht, wrdeich um die Erlaubnis bitten, Ihnen ein Exemplar dedizieren zu drfen.

    Die Angriffe auf mich, die Sie erwhnen, habe ich zum grten Teil berhaupt gar nichtkennengelernt und pflege diesen Erscheinungen keine besondere Beachtung zu schenken.

    Ich meine, Liebe und Ha verhalten sich etwa wie Tag und Nacht; wer das eine zuverdienen hofft, mu das andere mit in Kauf nehmen. Seit mehr als zwanzig Jahren schaffeich in weltabgeschiedener Stille; dieses Schaffen ist mein Glck; was es fr andere wertsein mag, vermag ich gar nicht zu beurteilen und bin dann sehr glcklich, wenn ich solcheDinge erfahre, wie Ihr lieber Brief mir berichtet. Ich selbst lese in meinen Bchern wie einFremder; denn der Alltagsmensch und der Mensch, der in glcklicher Stunde schreibt,sind zwei sehr verschiedene Wesen.

    Noch einmal, hochverehrter Herr, nehmen Sie meinen warmen Dank; gren Sie, bitte,Ihre verehrten Familienmitglieder; bewahren Sie mir Ihr ferneres Interesse und lassen Siemich hoffen, da mir eines Tages das Glck wird, Ihnen die Hand zu drcken und in dieAugen zu blicken.

    In grter Verehrung

    treu ergeben

    Houston S. Chamberlain.

    46-48 An Fr. von Wiesner

    Bayreuth, 3. November 1916.

    Hochverehrter Herr Sektionsrat!

    Mit dem lieben Brief vom 28. Oktober, den Sie Ihren gewi amtlich berfllten Stundenabgerungen haben, haben Sie einem Kranken eine wahre Wohltat erwiesen. Der HeimgangIhres hochverehrten, von mir aufrichtig geliebten und leidenschaftlich bewunderten Vaters kam mir in diesem Augenblick doch unerwartet und hat mich tief erschttert. Diebergroe Empfindlichkeit der Seele bildet einen Teil meines augenblicklichen Leidens;und so habe ich denn den geradezu unersetzlichen Verlust im Herzen noch ergreifendergefhlt, als es ohnehin der Fall gewesen wre dazu die unfreiwillige Mue gehabt, viel

    darber nachzudenken. Unendlich leid tat es mir auch, der telegraphischen Bitte dersterreichischen Rundschau, eine eingehendere Wrdigung des Verewigten jetzt sofort zuverfassen, nicht entsprechen zu knnen. Es hat mir aber Schweninger jede derartige Arbeitauf das strengste verboten. Ich hoffe aber eine knftige Gelegenheit ergreifen zu knnen,um wenigstens einiges auf meine Weise zu sagen. Nicht minder ergriff mich dann dasEintreffen des Buches Erschaffung, Entstehung, Entwicklung mit der eigenhndigenWidmung des Verfassers. Ich habe darber Trnen geweint, teils der Freude ber dieVollendung dieses Werkes, teils der Rhrung darber, da es nicht mehr mglich sein soll,mit dem Autor darber Gedanken auszutauschen. Ihr Brief, der mir gleichsam dieunmittelbare Berhrung mit den Ereignissen der letzten Monate verschaffte, hatberuhigend gewirkt: das Bild der standhaft ertragenen Schmerzen, der treuesten

    Pflichterfllung bis zur letzten Stunde bietet die edle Vollendung des Bildes, das ich imHerzen schon trug.

    Welch merkwrdige Fgung, da jene Erinnerungen an mich zu den letzten Arbeitengehrten. Ich frchte, da ich damals, an jeder uerung physisch sehr verhindert, dem

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    edlen Freunde nur sehr ungengend hierfr gedankt haben mag. Inzwischen hat mir jaGastein eine wesentliche Erleichterung gebracht, namentlich indem es mir den Schlafwiedergab. Aber ich bin noch ein rechter Patient, an mehreren Gliedern halb gelhmt undzu jeder anhaltenden Arbeit vollkommen unfhig. Zwar werden mir Nachwirkungen derGasteiner Kur versprochen und namentlich Wirkungen von wiederholtem Kurgebrauch;und ich selber bin nicht ohne Hoffnung, da es zutrifft, da ich in meinem Leben alle 15Jahre eine nervse Affektion hatte, wie z. B. vor 30 Jahren eine mehrjhrig anhaltende,

    sehr starke; wenn also die Lebenskrfte bei meinem hohen Alter noch ausreichen, so darfich vielleicht hoffen, auch diesmal das durch den Krieg und die groenSeelenerschtterungen gesteigerte Leiden doch noch zu berwinden. Vorderhand, und umnicht ganz zu verkmmern, bin ich beschftigt, einige Erinnerungen in freier Briefformaufzusetzen, und der eine Brief soll heien: Julius Wiesner und die Naturwissenschaft.

    An Ihre hochverehrte Frau Mutter habe ich keinen Brief gerichtet ich hatte den Mutnicht dazu und frchtete auch die eigene Ergriffenheit. Ich darf Sie aber bitten, ihr denAusdruck meiner Ehrerbietung und meines treuen, innigen Mitgefhls zu bermitteln.

    Von dem neuen und letzten Buche erwarte ich nach den mir bekannten Einzelheiten sehr vieles; es mte eigentlich epochemachend wirken. Ich selber werde leider wohlnicht so bald an das wirklich grndliche Studium des Buches gehen knnen, das ich jetzt

    durchblttere voll Sehnsucht, mir den ganzen Gedankengang anzueignen.Mit nochmaligem Herzensdank, mit den besten Empfehlungen von meiner Frau, und mitwrmsten Gren an Sie und an Ihren Herrn Bruder verbleibe ich mit der aufrichtigenBitte, mir einen Teil der Freundschaft Ihres Vaters zu widmen,

    Ihr in Verehrung ergebener

    Houston S. Chamberlain.

    Des groen Pflanzenphysiologen Julius Wiesner, dem die Grundlagen des 19. Jahrhunderts gewidmet

    sind.

    48-50 An Frulein Sidonie Peter

    Bayreuth, 18. Februar 1918.

    Hochverehrte Freundin,

    Ihren Brief vom 16. erhalte ich soeben und danke Ihnen noch einmal aus ganzem

    Herzen, nicht allein dafr, da Sie sich dieser wichtigen Arbeit unterziehen, sondernnamentlich auch dafr, da ich mich in Ihren Hnden so zuverlssig s i c h e r wissenDarf. Da Sie die Aufgabe vollkommen lsen werden, wei ich im voraus, und ich bitte Sie,aus dem Bewutsein dieses meines unbedingten Vertrauens den Mut dazu zu Schpfen.

    Auf Ihre Frage antworte ich mit der von Ihnen gewnschten und mir gebotenen Krze: Ich will nicht, da in dem ganzen Buche ein einziges Wort ohne mein Wissen und

    Zustimmen gendert wird.Die Frage nach entbehrlichen Fremdwrtern ist eine sehr verwickelte und knnte

    zwischen uns nur mndlich verhandelt werden. Teilweise wie Sie wissen gehe ichganz und gar mit Ihnen und bin schon lange eifriges Mitglied des DeutschenSprachvereins; dennoch herrscht zwischen uns keine volle bereinstimmung, und zwar

    weder in bezug auf den Grundsatz noch in bezug auf die Ausfhrung. Gar vieleFremdwrter halte ich fr durchaus unentbehrlich, soll die Sprache nicht anAusdrucksfhigkeit und an Genauigkeit betrchtliche Ein