Chancen EEurcrr, der Symboldidaktik nicht...

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Die Chancen der Symboldidaktik nicht verspielen Kritische Symbolkunde im Religionsunterricht Peter Biehl Unur Symbolkunde verstehe ich ein eigenstöndiga Aufgabenfeld des Religionsuntenichß, fu dos eine Symbold.idaktik zu entwickeln ist. Diese Symbolkunde ist rnehr als eine kreative Methode zur Auslegms biblischer Texte (wie z. B. das Bibliodranta) , obwohl sie in dicsem Zusammenhang immer genannt wird rnd diae Möglichkeit auch wtfafit. Sie ßt jedoch weniger ab ein Gesamtkonzept für den Religiowunterrtcht, obwohl sich einige religiorupäd- agogische Probleme (2. B. dw Problcm der Vermitthng theologßcher Inhslu mit den Allngserfahrungen lugendlicher), die den Religionsunterricht ircgesamt betreffen, mit dem Syrnbolansatz besser lösen lassen. Es ist daher genatur nach der Aufgabe einer kritischen Symbolkunde zu fragen.') Zum besseren Verständnis beginne ich mit Hinweisen zur Entwicklung und zu den besonderen Möglichkciten der SymboWidaktik. Die Albeit mit Symbolen alr Edordernlr der Praxir I I In ieinem Fachpraktikum im iHerbst 1977 hapen wir beobachtet, daß die Schüler die Syqnbole aus gut gelungenen Kurzfilmen (r.iB. ,,Leben in einer Schachtel") aufnah- mqn und sich mit ihrer Hilfe eine zeitlang in def Klasse über ihre Erfahrungen verstän- digten, und zwar müheloser und überzeu- gender als mit Hilfe von Begriffen. Es bestand offensichtlich ein großes Bedürfnis nach Symbolen. Es kam eine weitere Beob- achtung hinzu: 6. Unterrichtsstunde in einer 9. Realschulklasse. Englisch- und Mathematikunterricht gingen vor- an; eine Arbeit wurde geschrieben. Die Schüler bekamen irn Religionsunterricht eine Gestal- tungsaufgabe: Sie können sich anhand einer Zeichnung - sie nennen sie spontan ,,Labyrinth" - mit dem Problem des Eingesperrtseins und der Zwänge auseinandersetzen, ihre Widerstände, Widersprüche, Wünsche und Träurne durch farbliche, zeichnerische und verbale Ergänzun- ged ausdrücken. Einige Schüler malen Türen in die;,,Schachteln", in den meistön Fällen wird die Wglt dgr,rJcnacntern gfau EEurcrr, uquvvr vrAv bunte Welt mit Szenen aus dem Paradies: Men- schbn in intensiver Kommunikation uRtereinan- der und in Einheit mit der Natur. Auch ein Vogel taucht als Symbol häuliger auf. Die Kommenta- re: ,,Ich möchte hier raus!" ,,Ich möchte über alles einfach hinwegfliegen!" Hier werden Symbole in Anspruch genom- men, um eine Bedrohung des Selbst in Monotoniezustäinden nach Streß abzuweh- ren. Die Symbole steigen in dieser Situa- tion aus vager Erinnerung oder aus dem ,,kollektiven Unbewußten" auf, um in der Abkehr von der Realität das Wohlbefinden wiederherzustellen. Wir haben überlegt, ob den Schülern nicht auch Symbole zur Bearbeinng solcher Konflikte angeboten, also didaktisch vermittelt werden können, und haben erste Versuche in dieser Rich- tung mit Hilfe von Symbolen aus der bibli- schen Überlieferung (2.B. Exodus) unter- nommen. Dabei war die (theoretische) Einsicht leitend, daß das Symbol eine Ver- mittlungsfunktion übernehmen kann zwi- schen Subjekt und Objekt, zwischen inne- rer und äußerer Wirklichkeit einerseits und zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, zwischen den eigenen Erfahrun- gen und denen der Bibel andererseits. Dle Ghancen der Symboldidaktlk Die Symboldidaktik entwickelte sich aus einer inneren, sachlichen Notwendigkeit. Die didaktischen Prinzipien der Bibel-, Problem- und Schülerorientierung, die nacheinander die religionspädagogische Diskussion bestimmt hatten, konnten in ein Gesamtkonzept integriert werden, weil sie sich gemeinsam auf Erfahrungen bezie- hen ließen. Von Erfahrung kann aber nur im Zusammenhang mit Uberlieferung und Sprache geredet werden; denn Wahrneh- mungen, Erlebnisse und Widerfahrnisse werden erst zu Erfahrungen, wenn sie mit Hilfe von Symbolen gedeutet werden. Er- fahrungsbe zug und Symb olv erständnis be- dingen sich daher in der Religionspödago- gik wecluebeitig. Das große Echo, das die Symboldidaktik seit 1980 gefunden hat, Iäßt sich jedoch nicht mit praktischen Be- dürfnissen und Notwendigkeiten der Pro- blemgeschichte allein erklären. Ihre Ent- wicklung entsprach einer breiten Strömung in der Theologie und anderen Wissenschaf- ten, vor allem der Herausforderung durch die ökologische Krise, die zugleich eine fundamentale Wahrnehmungskrise ist. Angesichts der Subjekt-Objekt-Spaltung des neuzeitlichen Denkens wird zuneh- mend - gerade von Naturwissenschaftlern - eine ganzheitliche Wahrnehmung de-r Wirklichkeit durch Teilhabe gefordert.') Eine solche Wahrnehmung ist notwendi- gerweise unschärfer als analysierende Ver- fahren, daftir aber ursprünglicher, an- schaulicher und beziehungsreicher. Syrn- bole verbinden Subjekt und Objekt. Sie ermöglichen eine ganzheitliche Wahrneh- mung der Wirklichkeit, wenn sie ihrerseits ganzheitlich erschlossen werden, z.B. durch Erzählung, Spiel, Meditation oder symbolische Aktion. Symbole lassen sich nicht wie Zeiehen auf einen eindeutigen Begriff festlegenj sie sind aber trotz ihrer li li li li li .''ll lr =z 1-r.:-{- \t-=-r> 168 ß"[*;.^ He^r.tte. t1 I6

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Die Chancender Symboldidaktiknicht verspielenKritische Symbolkundeim Religionsunterricht

Peter Biehl

Unur Symbolkunde verstehe ich ein eigenstöndiga Aufgabenfeld des Religionsuntenichß,fu dos eine Symbold.idaktik zu entwickeln ist. Diese Symbolkunde ist rnehr als eine kreativeMethode zur Auslegms biblischer Texte (wie z. B. das Bibliodranta) , obwohl sie in dicsemZusammenhang immer genannt wird rnd diae Möglichkeit auch wtfafit. Sie ßt jedochweniger ab ein Gesamtkonzept für den Religiowunterrtcht, obwohl sich einige religiorupäd-agogische Probleme (2. B. dw Problcm der Vermitthng theologßcher Inhslu mit denAllngserfahrungen lugendlicher), die den Religionsunterricht ircgesamt betreffen, mit demSyrnbolansatz besser lösen lassen. Es ist daher genatur nach der Aufgabe einer kritischenSymbolkunde zu fragen.') Zum besseren Verständnis beginne ich mit Hinweisen zurEntwicklung und zu den besonderen Möglichkciten der SymboWidaktik.

Die Albeit mit Symbolenalr Edordernlr der Praxir

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In ieinem Fachpraktikum im iHerbst 1977hapen wir beobachtet, daß die Schüler dieSyqnbole aus gut gelungenen Kurzfilmen(r.iB. ,,Leben in einer Schachtel") aufnah-mqn und sich mit ihrer Hilfe eine zeitlang indef Klasse über ihre Erfahrungen verstän-digten, und zwar müheloser und überzeu-gender als mit Hilfe von Begriffen. Esbestand offensichtlich ein großes Bedürfnisnach Symbolen. Es kam eine weitere Beob-achtung hinzu:

6. Unterrichtsstunde in einer 9. Realschulklasse.Englisch- und Mathematikunterricht gingen vor-an; eine Arbeit wurde geschrieben. Die Schülerbekamen irn Religionsunterricht eine Gestal-tungsaufgabe: Sie können sich anhand einerZeichnung - sie nennen sie spontan ,,Labyrinth"- mit dem Problem des Eingesperrtseins und derZwänge auseinandersetzen, ihre Widerstände,Widersprüche, Wünsche und Träurne durchfarbliche, zeichnerische und verbale Ergänzun-ged ausdrücken. Einige Schüler malen Türen indie;,,Schachteln", in den meistön Fällen wird die

Wglt dgr,rJcnacntern gfau EEurcrr, uquvvr vrAvbunte Welt mit Szenen aus dem Paradies: Men-schbn in intensiver Kommunikation uRtereinan-der und in Einheit mit der Natur. Auch ein Vogeltaucht als Symbol häuliger auf. Die Kommenta-re: ,,Ich möchte hier raus!" ,,Ich möchte überalles einfach hinwegfliegen!"

Hier werden Symbole in Anspruch genom-men, um eine Bedrohung des Selbst inMonotoniezustäinden nach Streß abzuweh-ren. Die Symbole steigen in dieser Situa-tion aus vager Erinnerung oder aus dem,,kollektiven Unbewußten" auf, um in derAbkehr von der Realität das Wohlbefindenwiederherzustellen. Wir haben überlegt,ob den Schülern nicht auch Symbole zurBearbeinng solcher Konflikte angeboten,also didaktisch vermittelt werden können,und haben erste Versuche in dieser Rich-tung mit Hilfe von Symbolen aus der bibli-schen Überlieferung (2.B. Exodus) unter-nommen. Dabei war die (theoretische)Einsicht leitend, daß das Symbol eine Ver-mittlungsfunktion übernehmen kann zwi-schen Subjekt und Objekt, zwischen inne-rer und äußerer Wirklichkeit einerseits undzwischen Vergangenheit, Gegenwart undZukunft, zwischen den eigenen Erfahrun-gen und denen der Bibel andererseits.

Dle Ghancen der Symboldidaktlk

Die Symboldidaktik entwickelte sich auseiner inneren, sachlichen Notwendigkeit.Die didaktischen Prinzipien der Bibel-,Problem- und Schülerorientierung, dienacheinander die religionspädagogischeDiskussion bestimmt hatten, konnten inein Gesamtkonzept integriert werden, weilsie sich gemeinsam auf Erfahrungen bezie-hen ließen. Von Erfahrung kann aber nurim Zusammenhang mit Uberlieferung undSprache geredet werden; denn Wahrneh-mungen, Erlebnisse und Widerfahrnissewerden erst zu Erfahrungen, wenn sie mitHilfe von Symbolen gedeutet werden. Er-fahrungsbe zug und Symb olv erständnis be-dingen sich daher in der Religionspödago-gik wecluebeitig. Das große Echo, das dieSymboldidaktik seit 1980 gefunden hat,Iäßt sich jedoch nicht mit praktischen Be-dürfnissen und Notwendigkeiten der Pro-blemgeschichte allein erklären. Ihre Ent-wicklung entsprach einer breiten Strömungin der Theologie und anderen Wissenschaf-ten, vor allem der Herausforderung durchdie ökologische Krise, die zugleich einefundamentale Wahrnehmungskrise ist.Angesichts der Subjekt-Objekt-Spaltungdes neuzeitlichen Denkens wird zuneh-mend - gerade von Naturwissenschaftlern- eine ganzheitliche Wahrnehmung de-r

Wirklichkeit durch Teilhabe gefordert.')Eine solche Wahrnehmung ist notwendi-gerweise unschärfer als analysierende Ver-fahren, daftir aber ursprünglicher, an-schaulicher und beziehungsreicher. Syrn-bole verbinden Subjekt und Objekt. Sieermöglichen eine ganzheitliche Wahrneh-mung der Wirklichkeit, wenn sie ihrerseitsganzheitlich erschlossen werden, z.B.durch Erzählung, Spiel, Meditation odersymbolische Aktion. Symbole lassen sichnicht wie Zeiehen auf einen eindeutigenBegriff festlegenj sie sind aber trotz ihrer

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William Allen, Travelling in Strange Circles, 1.973

Offenheit nicht beliebig, sondern habeneine Verbindlichkeit, die zu denken gibt.Insofern sind auch ganzheitliche Wahrneh-mung durch Teilhabe mit Hilfe von Symbo-len und analysierendes, begriffliches Den-ken nicht gegeneinander auszuspielen, son-dern weeluelseitig aufeinander zu beziehen.Die Symboldidaktik stieß darüber hinaus inder evangelischen Religionspädagogik aufspezifische Probleffie, die seit langem einerLösung bedürfen.Die evangelische Kirche ist eine Kirche desWortes - erkennbar an der Bibel, die alsgroßes Buch auf dem Altar liegt, und an derKanzel, die den Kirchenraum beherrscht.Daneben gehört die Orgel zu den Symbo-len, die evangelische Frömmigkeit kenn-zeichnen.3) DEmentsprechend-ist die Ge-meinde im Gottesdienst vor allem hörendeGemeinde. Die anderen Sinne werdenkaum in Anspruch genommen. Daher hatF. Steffensky den ,,gestischen Analphabe-tismus" des deutschen Protestantismus be-klagt, der ein Grund daftir sei, daß es in ihmkaum Volksfrömmigkeit gebe.a) Wird nundas ,,Wort" nicht mehr wie bei Luther alswirksames, Heil oder Gericht schaffendesWort verstandeno bei dem Heil und Hei-lung, Wort und Leiblichkeit eng verbundensind, dann kann es zu theologisch richtigenBegriffen verkümmern. Dieser Verlust anLeiblichkeit und Sinnlichkeit muß sich imBereich der Religionspädagogik besonders

Aus: Udo Kultermann, Neue Formen des Bildes; Ernst Wasmuth, Tübingen 1969, S. 88

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gravierend auswirken. Werden Lernpro-zesse erst einmal von theologischen Begrif-fen her konzipiert, ist Distanz hergestellt,dann ist nachträglich Anschauung undKonkretion auch durch ein Höchstaufge-bot an audiovisuellen Medien nicht mehrzu erreichen. Das Problem der Anschau-ung und Vergegenwärtigung bei der Ver-mittlung theologischer Inhalte stellt sichbei dem Symbolansatz nicht in dieserSchärfe; denn dem Symbol ist Anschauungursprünglich mitgegeben. Es hat ein sinn-lich-anschauliches Element (den o,symboli-schen Stoff') und die Fähigkeit, über sichhinaus auf das eigentlich Gemeinte hinzu-weisen, nicht Anwesendes zv v er gegenwär-tigen. Das Symbol ist also in sich selbst eineanschauliche Vermittlungskategorie. Dar-über hinaus sind Symbolsprache und Kör-persprache (Spiel, Gestik) eng verwandt.Durch diese Verbindung aWischen Symbol-und KörperSprache kann wieder bewußtwerden, daß religiöse Erfahrung ganzheit-liche Erfahrung ist. Die Symboldidaktikkann nicht nur helfen, den Erfahrungsan-satz zu realisieren; vielleicht gelingt es ihr,daß religiöse Vorstellungen wieder dieSchicht der unmittelbar sinnlichen Bedürf-nisse erreicht; denn in den Symbolen ver-binden sich Sinnlichkeit und Sinn. Beson-ders die elementaren Symbole sprechenalle Sinne an; sie haben eine Nähe zumLeiblichen, Kosmischen und Visuellen be-

wahrt. Durch das Symbol bleibt derMensch mit seiner Geburt, seiner Naturund seinem Wunsch (Riceur), also mitbestimmten, ihm vorgegebenen Verhält-nissen verbunden. Gerade durch Symbolewie Wasser, Haus (Wohnen), Baum kannein neues Gemeinschaftsverhältnis von Na-tur und Mensch zum Ausdruck gebrachtwerden, wobei ,,Natur" die natürliche Mit-welt wie unsere Leiblichkeit umfaßt.Den besonderen Möglichkeiten der Sym-bole entsprechen bestimmte Geföhrdun-gen.So können gerade die Fülle an Mög-lichkeit und Bedeututrg, die das Symbolrepräsentiert und präsentiert sowie die da-mit verbundene Unbestimmtheit zum Pro-blem werden . Einerseits liegt gerade in derdynamischen Kraft der Symbole, aus derFülle der Möglichkeiten immer Neues her-vorgehen zu lassen, auch ihre didaktischePotenz; andererseiß wird da, wo nicht spar-sam mit Symbolen umgegangen wird, nichtErfahrung strukturiert, sondern es zerfließtalles in einer unendlichen Bedeutungsfül-lr.t) Der Symbolansatz ist für lrratioialis-mus und Idolisierung besonders anfällig.Wenn daher die Chancen der Symboldi-daktik nicht verspielt werden sollen, ist inder Tat eine kritkche Symbolkunde zuent-wickeln, in der die vorgegebenen Möglich-keiten der Symbole mit einer theologischenund ideologiekritischen Urteilsbildungkomplementär verbunden sind. Ricaurs

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gionsunterrichts genau .

Umrisse der Symbolkunde

Die didaktische und theologische Notwen'digkeit der Symbolkunde

Sie ergibt sich aus dern Sachverhalt, daß

Kindei und Jugendliche bereits Symboleausgebildet haben, bevor sie in Lernpro-zessen alternative Symbole kennenlernen.Diese in der Sozialisation ausgebildetenSymbole enthalten Material aus dem Re-servoir des Unbewußten sowie aus der ge-

genwärtigen Kultur und Gesellschaft. ImRahmen der Wirkungsgeschichte des Chri-stentums sind diese Symbole zumindestindirekt durch das christliche Symbolsy-stem mit beeinflußt. Diese in der Sozialisa-tion ausgebildeten Symbole haben in derLebensgeschichte der Schüler eine höchstambivalente Wirkung; Sie können lebendigmachen oder die Lebensdynamik blockie-ren, sie können trösten und schützen oderängstigen, integrieren oder zur Rollenkon-tuJion (Erikson) führen, orientieren oderzur Idolisierung beitragen, eine Hilfe zurKommunikation sein oder isolieren. Ange-sichts dieser Wirkungetr, die auch Aus-druck religiös er Erziehung sein können, istder Religionsunterricht zur,,sozialisations-begleitung" (Stoodt) herausgefordert. Daskanrt bedeuten, daß der Religionslehrer instellvertretender Reflexion oder später dieSchüler in Gruppenprozessen fragen, (1)wie die Symbole jeweils wirken - etwa als

Abkehr von der Realität wie in unseremtringangsbeispiel und wie eine positiveWirkung verstärkt werden kann und (2) obdie Symbole noch tragfähig sind, die le-bensgeschichtlichen Erfahrungen ange-messen zum Ausdruck zu bringen, oder obsie schon abgestorben sind.Wir stoßen auf vorgegebene Symbole nichtnur in der Lebensgeschichte der Schüler,sondern diese begegnen Symbolen undganzen Symbolsystemen in der Gesell-schaft, in der Kircheo in der jugendlichenSubkultur, in der Werbung, in den Massen-medien (Comic- und Fernsehserien), in derFreizeit- und Wohnkultur, in der urbanenStadtkultur und in der Arbeitswelt. Auchvon diesen Symbolen aus der Lebensweltder Schüler gehen zwiespöltige Wirkungenaus: Teils faszinieren sie uns, wir räumenihnen Macht ein und verehren sie, weil sie

unser Lebensgeftihl zum Ausdruck brin-gen; teils integrieren sie den einzelnen inGruppen; teils spielen sie nur noch ausGewohnheit eine Rolle in unverstandenenRitualen und sind zu Klischees erstarrt.Diese meist unbewußten, zuweilen religiö-sen Wirkungsweisen müssen im Sinne einerinduktiven Didaktik, die bei den Lebenser-fahrungen der Schüler ansetzt, aufgedecktund diskutiert werden, weil sie eine ideolo-gisierende Ten denzhaben und zur Manipu-lation ausgenutzt werden können.Es ist jeweils sehr sorgfältig ztL prüfen,welche Phänomene ftir Jugendliche die Be-deutung von Symbolen haben. Ein Beurtei-lungskriterium ist, ob ein Ding, eine Person

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ihnen haben oder ob die innere Lebendig-keit gerade blockiert wird. Im Religionsun-teniaht wird man nicht allen Erscheinun-gen nachgehen können oder wollen. Vonbesonderer Bedeutung sind die Symbole'in denen sich heute grundlegende Erfah-nrngen verdichten. So können wir mit Lu-ther fragen, worauf Jugendliche ihr Herzhängen und sich verlassen. Mit der Fragenach dem rechten Vertrauen ist die Fragenach dei Wahrheit religiöser Symbole undzugleich die Frage nach dem Ziel desUm-gangs mit ihnen gestellt.W. Klafki unterscheidet im Blick auf dieI*hrplanebene drei Slrukturierungs'formen.(1) diskontinuierliche, auf situative Verwirkli'chung angelegte Strukturierung(2) thematisch-konzentrische, projglta-rtiggStiukturierung (Projekt = thematische Einhcit)(3) lineare, lehrgangsartige Strukturierung.")

pie Symbolkunde läßt sich in thematischenEinhiiten (2. B. zum Symbol ,,Baum") undin fachspezifischen khrgängen (z' B. bibli-sche,,iVeggeschichten") realisieren. Siehat auch i[iem Charakter nach eineZwi-schenstellung zurischen fachspezifischenKursen und tllemenorientierten Einheiten.Es sind Vorformen des Projektunterrichtsdenkbar, die fachübergreifend gestaltetwerden und haudlungsorientiert sind. Es

sind aber auch anhand der Symbole Längs-schnitte durch die Bibel möglich.

Thematisch und methodisch i.st eine großeVielfelt ftir die Symbolkunde tharakteri-stisch.

Aß Thetna können wir z. B. eines der gro'ßen christlichen Feste wählen. Die Fest-symbole zeigen eine Doppelung von bibli-schen und außerchristlichen Traditionen:Christkind und Weihnachtsmann, Sternund Tanne, leeres Grab und Osterei, derauferstandene Christus und der Osterhase.Schon diese Aufzählung ist anstößig, aber'diese Symbolmischungen bestimmten- das,was Mönschen-an Fes-ttagen erleben.T)Ostern werden z.B. durch die biblischenTexte, die kirchlichen Lieder sowie durchdie politischen Reden (etwa bei Ostermär-schen) Assoziationen geweckt, die um dieStichworte Aufbruch, Neubeginn und Be-freiung kreisen. Mit der religiösen Dimen-sion des Osterfestes verbinden sich politi-sche Aspekte und ein biologischer Aspekt(2. B. in Gestalt der Fruchtbarkeitssymbolevon Ei und Hasen).8) Die nedeutung dieserunterschiedlichen Symbolkomplexe ist inder Symbolkunde zu erschließen. Je nachAltersstufe können \ymbole der jugendli-chen Subkultur, der Werbung (Werbepla-kate), der Comic- und Fernsehserien oderder Basisbewegungen thematisiert werden.Auf jeden Fall sollte deutlich werden, daßheute vor allem das Kaufen und Verbrau-chen mit quasireligiösen Symbolen besetztsind (shopping-Gehen^wird wie ein religiö-ses Ritual begangen!).v) Den Erfahrungen,die diese Symbolkomplexe repräsentieren,können direkt die in biblischen Symbolenverdichteten Erfahrungen gegenüberge-stelltwerden. So repräsentiert eine Comic-

Tarzan, Supermann und der Messias

Umschlagillustration des gleichnamigen Büchleins von Demost-

henes Savramis; ersch. im Karin Kramer Verlag, Berlin 1985.

Die Comic-Indwtrie hat Probleme mit ihren Su'perhelden.Persönlichkei*wandel h,eitJt die Devße- DieÜbermeruchen sollen menschlicher und ver-wundbarer werden.Dffirenziertheit anstelle von Bizeps und Erfolgslmoinotonie ma.n sollte es nicht für möglichhalten.

Figur wie superman eine grundsätzlicheUnzerstörbarkeit und Unverletzbarkeitdes menschlichen Lebens und gerade nichtdie Erfahrung von Kraft in der Schwach-heit. So schlägt H.-G. Heimbrock vor, dieComic-Figur mit der Erfahrung von All-macht und Ohnmacht in biblischen Symbo-len zu konfrontiereno wie sie etwa in derVersuchungsgeschichte oder in der Getse-maneszene zü finden sind.to) Aus'der Ge-samtaufgabe der Symbolkunde, die Symbo-le der Sub- und Massenkultur so mit den

biblßch-chrßtlichen Symbolen zu konfron'tieren, daß jeweils ein bestimmtes Erfah-rungsrnu,ster erkennbar wird, folgt jedoch

nicht, daß in jeder Unterrichtsphase bibli-sche Texte heranzuziehen sind. Anderer-seits können biblische Alternativ- undKontrastsymbole als solche nur wahrge-nommen und vor kurzschlüssigem Ver-ständnis bewahrt werden, wenn sie immerwieder in ihren eigenen Kontexten im Zu-s ammenhang v on G es chichten interpretiertworden sind. Von besonderer Bedeutung

- und daher in fachspezifischen Kursen in

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Symbol ,,Reich Gottes" in exemplarischerWeise durch die Gleichniserzählung auf diealltägliche Welt bezogen, und zwar so, daßdie Alltagserfahrungen überboten, aber alsVers!ändnisbedingung ftir das Reich Got-tes in Anspruch genommen werden. [n derSekundarstufe II kann anhand der zentra-len christlichen Symbole (Schöptung, Sün-de/Entfremdung, Rechtfertigung undHoffnung) eine elementare Einführung indie Glaubenslehre gegeben werden. Hierist über den Symbolvergleich auch ein Zu'gang zu anderen Religionen möglich. ImZ.entrum der Symbolkunde werden dieSymbole Kreuz und Auferstehung undExodus stehen, weil in ihnen die geschicht-liche Verankerung des christlichen Sym-bolgefüges besonders deutlich wird'

Intentionen, die sich in einer Symbolkundeverfolgen lassen

(1) Angesichts der Erfahrungsarmut und

,,Sprachnot" kann den Jugendlichen Sprachegeliehen und ihre Ausdrucksfähigkeit gesteigertwerden, so daß sie ihre ,,enteigneten" Angste,Wünsche und Hoffnungen wieder aneigenen undmitteilbar machen können.(2) In einem Projekt zum Alltagshande! kaqnurirtersucht werden, welche Rolle dabei Ritualeund Symbole spielen.(3) Die lebensgeschichtlich und gesellschaftlichbedeutsamen Symbole können bewußt gemachtund auf ihre Wirkungen hin befragt werden; diegesellschaftlich vermittelten Symbole fordem zueiner ideologiekritischen Arbeit heraus.(4) Durch Formen symbolischer Kommunika-tion kann die Symbolisierungsfähigkeit als eineArt religiöser Gruudqualifikation gefördertwerden.(5) An ausgewählten Beispielen kann (erfahrbarund) erkennbar werden, daß religiöse Symboleinnere oder soziale Konflikte zum Ausdruckbringen und eine bestimmte Iösung zu ihrerBewältigung anbieten.(6) Anhand von ausgewählten Märchen,Mythen, biblischen und dichterischen Textenkönnen religiöse Symbole in einem interkultu-rellen Vergleich erschlossen und anthropolo-giscb interpretiert werden. Durch eine anthropo-logische und theologische Deutung werden diese

Symbole,,doppeldeutlich" (Spiegel).(7) Anhand von Symbolgeschichten kann jun-gen Menschen die Möglichkeit gegeben werden,sich mit dem Symbolangebot des christlichenGlaubens probeweise zu identifizieren, umselbst zu entdecken, ob sie auf ihre Frage nachIdentität und Engagement eine Antwort findern(8) Durch eine erfahrungsnahe Erschließungvon Symbolen können Zngän;ge zum Verständ-nis christlicher Feste, der Sakramente und fun-damentaler christlicher Erfahrungen gewonnenwerden,(9) Durch eine systematische Verknüpfung derEinsichten werden Grundlinien der christlichenGlaubenslehre erkennbar und eine theologischeUrteilsbildung gefördert.(10) Ein kreativer leibhafter Umgang mit reli-giösen Symbolen aus Bibel, Literatur, Kunst undMusik ermöglicht die schrittweise Entwicklungeiner Ausdrucksfähigkeit für religiöse Erfah-rungen.

Überschreitet diese Intention schon dieMöglichkeiten der Symbolkunde im enge-ren Sinne, so ist darüber hinaus im Blickauf das Gesamtcurriculum religiösen Irr-nens hervorzuheben, daß ohne eine ele-mentare Reflexion auf das Verhältnis von

phern in unserer Situatton rehgrose 'l extenicht sachgemäß interpretiert und religiöseErfahrungen nicht angemessen gedeutetwerden können. Eine solche Elementar'kunde in religiöser Sprache ist von derGrundschule an im Sinne eines Spiralcurri-culums aufzubauen. Bei H. Halbfas findensich in den Lehrerhandbüchern ftir dieGrundschule Anregungen für eine solcheElementarkunde, die für spätere Schulstu-fen oft noch geeigneter sind.

Dle Wlrkungsweisen der SYmbole

Das Profil einer 'symbolkunde wird durch

die spezifische Akzentuierung der Wir-kungsweisen der Symbole bestimmt. So

betolnt Halbfasll) äit orientierende undintegrierende Funktion der Symbole, wäh-rend Y. Spiegeltt) und J. ScharfenberglH.Kämpferl3)

- diö konfliktbearbeitendeFunlition hervorheben. Aus didaktischenund theologischen Gründen möchte ich dieausdrucksf-ördernde und vermittelndeFunktion herausstellen und anhand vonmeiBeispielen die Aufgaben der Symbol-kunde konkretisieren.

Symbole geben dem Leben Ausdruckund Deutung

1. Beßpiel: 4. Schuljahr einer ländlichen Grund-schule. Die Klasse betrachtet ein Poster miteiner tristen Wüstenlandschaft und äußert ihreAssoziationen. Dabei kommen eigene Erfahrun-

Kontrast einen neuen Sprechanlaß. Gemein-schaft, Lebensfreude, Glück werden assoziiert.In Gruppenarbeit ordnen sie sechs unterschiedli-che Fotos, die Menschen in Situationen vonEinsamkeit, Trauer und von Gemeinschaft zei-g€o, den Postern zu. Sie singen gemeinsam das

Lied ,,Wo ein Mensch Vertrauen gibt", in demdie Symbole Wüste und Garten wieder 9yfg9-nommen werden; es sind Haltungen und Hand-lungsweisen beschrieben, die Wüste in Gärtenverwandeln können. Die Schüler überlegen an-

hand des Liedtextes, wie,,Pappwassertropfen"zu beschriften sind (Vertrauen, Zuneigung usf.),die zwischen den Postern befestigt werden sol-len. Sie dichten neue Strophen für das Lied, indenen ihre eigenen Erfahrungen zum Ausdruckkommen.to)

Wir können Schülern Symbole anbieten,die kraft ihrer Bedeutungsftille und offenenStruktur die Möglichkeit haben, Geftihleund Erlebnisse wachzurufen und auf eineindirekte Weise zum Ausdruck zu bringen.Sie werden damit zu strukturierter Erfah-rung. Überwältigende Erlebnisse - sei es

übergroße Freude oder Angst könnenauf diese Weise teilbar und mitteilbar ge-

macht werden. Jugendliche verstehen am

besten in der Situation der Liebe, daß sie

Symbole brauchen, um ihre Gefühle zumAusdruck zu bringen, und daß alles, was sie

in dieser Situation betrifft, in diesen Sym-bolen verdichtet ist. In den Lernfeldern derSekundarstufen ist oft umgekehrt die Er-fahrungsfähigkeit in einer Weise blockiert,daß den Jugendlichen expressive Sprache

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Text: Hans-Jürgen NetzMelodie: Fritz Baltruweit

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Aus ,,52 Lieder der Hoffnung" (av-edition, München)Textrechte : tvd-Verlag, Düsseldorf '

Rechte (Melodie) beim UrheberAus: Umkehr zum Leben, Kirchentagsliederheft 83; Hänssler, Neuhausen - Stuttgart, 1983

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sten nngesichts der Ungerechtigkeiten in derWelt. Gib mir neue Hoffnung, wo die Zukunftaussichtslos erscheint.") Die Schüler interpretie-ren das Kirchentagsplakat von 1975 (zlurÄchstohne Text) auf seine Symbolik hin und sushsaselbst kitworte zum Plakat.ts) Sie erkenneu dieVorlage aus dem Isenheimer Altar wieder undbringen die Dialektik ion Tod und Leben zurSprache.

Einige Schäleraussagen: ,,So sah gestern dieHand auf dem Dia aus. Das könnte die HandJesu sein. Aus der Hand kommt ein TropfenBlut. Die Rose symbolisiert, daß er ftir unsgestorben ist, Die Rose steht daftir, daß neuesLeben entsteht. Die Rose ist ein Symbol derLiebe. Sie symbolisiert, daß er aus Liebe gestor-ben ist, Das hat etwas mit der Auferstehung zutun, denn die Rose bläht aus der Wunde her-aus . . . Es finden sich lauter helle Farben; siesollen ausdrücken, daß die Rose neues Lebenbedeutet. Die Blrrme ist so farbenprächtig, weilaus dem toten Jesus heraus neues kben entste-hen kann. Es ist ein Licht, das auf die Auferste-foirng verweist. Als Jesus gestorben war, gab esneue Lebensmöglichkeiten. Es kommt eine neueHofürung heraus, auch wo die Zukunft aus-sichtslos erscheint. Aus dem Tod wächst neuesIrben."Mit Hilfe eines lateinamerikanischen Katechis-mustextes beziehen die Schtiler die Einsichtenüber die Auferstehung auf die Wirklichkeit derLeidenden, in die sie sich hineinversetzt hatten:,Jede gute Sache im Leben, jeder Sieg der Liebeüber den Haß, der Gerechtigkeit über die Unge-rechtigkeit, der Gleichheit und Brüderlichkeitüber die Ausbeutung, der Einheit über die Zwie-tracht gibt Zeugnis für die Auferstehung Jesu inunserem Leben (Jesus Ftores)."

Wenn die Schäler in einem nächsten Schrittdarüber nachdenken, was menschlicheHlinde bewirken können, Zerstören oderdie Schöpfung bewahren, teilen oder fest-halten, schöpferisch gestalten oder gewalt-sam unterdrücken'o), wird sich herausstel-len, ob sie diese Hoffnungsperspektive un-ter Einschluß negativer Erfahrungen fest-halten und neu artikulieren können. Es gibtviefiäiltige Methoden und Medien für einenkreativen Umgang mit dem Symbol,,Hand": Schtiler können mit Hilfe einerPantomime oder in Übungen mit ihrenHandenlT) für die AusdruckJkraft der Hän-de sensibilisiert werden; sie können Tongestalten oder Ausdrucksformen von Hän-den in Gipsmasken festhalten und auf die-sem Wege zu einer neuen Körper- undSelbstwahrnehmung kommen; sie könnenerkennen, daß uns die Hände mit anderenMenschen verbinden und unsere Händedoch unverwechselbar sind (Identitätspro-blem); sie verstehen, daß die Hand in derchristlichen Kunst die {irksamkeit Gottessymbolisiert und können das Fresko vomTorbogen von St. Clemente de Taull (Got-tes Hand in einer mandalaförmigen Gestal-tung, um 1225) deuten.lE; DerÄmbivalenzder Erfahrung, ,,in die Hände Gottes zufallen", wird anhand von Psalmen (2. B. Ps.139) und Texten aus der ,,Gottesvergif-tung" von T. Moser nachgegangen. Ist dieHand des Gekreuzigten als Symbol derohnmächtigen Ljebe das,,Bild Gottes", andem andere, voreschatologische Gottesbil-der zu ,,messen" sind?

nen. Bei dieser Arbeit mit Symbolen gehtes keineswegs nur um das Vorfeld einerSymboldidaktik. Wenn Kinder und Ju-gendliche befähigt werden, ihre Wünsche,Angste und Hoffnungen, die im Sozialisa-tionsgeschehen fortlaufend,,enteignet"worden sind, sich sprachlich, bildnerisch,gestisch und musikalisch wieder anzueig-nen und zum Ausdruck zu bringen, dann istdarin schon eine ,,therapeutische" bzw.kompensatorische Wirkung der Symbolegegeben.Durch das Lied in dem 1. Beispiel werdendie Erfahrungen mit ,,Wüste" und ,,Gar-ten" nicht nur aufgenommen und in Bezie-hung gesetzt, sondern in bestimmterWeisegedeutet und Handlungsmöglichkeiten er-schlossen. Symbole wie Wüste, Weg,Baum, Licht können die eigenen Lebenser-fahrungen deuten und sind zugleich offenftir die Symbolwelt der Literatur, Musikund Kunst. Sie ermöglichen daher einenneuen Umgang mit der eigenen Lebensge-schichte, erschließen seine religiöse Di-mension, und verknüpfen diese zugleichmit den Erfahrungen anderer Menschenund Zeiten. Kommunikation mit Hilfe reli-giöser und anderer lebensbedegtsamerSymbole befreit aus der Isolationiverbin-det die eigenen Erfahrungen mit denenanderer und wirkt der Bildung privatisier-ter Symbole entgegen. Durch die elemen-taren Symbole lassen sich zugleich zentraleTexte der Bibel erschließen. Jenes 4. Schul-jahr, welches die Bedeutung des Symbols,,Wüste" wahrgenommen und eigene Er-fahrungen von Alleinsein und Verlorenseinzum Ausdruck gebracht hat, könnte einenneuen Zugang zu,,Wüstengeschichten" desAlten und Neuen Testaments finden (2. B.Exodus und die Versuchung Jesu). MitHilfe der Symbole lassen sich Kontextebilden, in denen eigene und überlieferteErfahrungen anhand verschiedener Ge-schichten und Gestaltungsformen in einenZusammenhang geraten; es entsteht dabeiein Netz von Bedeutungen, dank derer dieeinzelnen Geschichten mehr bedeuten alssie fiir sich bedeuten, ohne beliebig zuwerden.

Synbole heben eine didrktischeBrückenfrrnktion

2. Beispiel: Eine 9. f,salsshnlklsgse beschäftigtsich im Rahmen einer Unterrichtseinheit zumSymbol ,,Hand' mit den Händen Jesu. Sie be-üachtet eine Hand des Gekreuzigten aus demIsenheimer Altar (Ausschnitt), erkennt anhandeiner Gesamtdarstellung der Kreuzigungsszenedie Intention des Ktinstlers und erfährt etwasüber den urspränglichen Ort des Altars. - Ander Tafel sind fänf ausdruclsstarke Fotos (auseiner Fotomappe) angebracht, die Hände vonLeidenden zeigen (eine geballte Faust, die Handeiner schreienden Frau, die erhobenen Händeeines Indianers, der Arm einer Fixerin). JederSchüler sucht sich ein Bild aus, das ihn besondersbetrifft, und schreibt ein Gebet, ein Gedicht,eine Assoziationskette. Bilder und Texte werden

in einer Collage um die Hand des Gekreuzigtenherum angeordnet und kommentiert, Der Ge-kreuzigte wird so als einer verstanden, der fürandere vor Gott klagt. In der nächsten Stundewird das Gebet einer Schülerin auf Leidenssitua-

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In Angsten - und siehe wir lebenDas Poster zum L6. Deutschen Evangelischen Kirchentag,Frankfurt am Main 1975

Das Beispiel zeigt erstens, daß Symbole dieMöglichkeit bieten, zwischen den Lebens-erfahrungen der Zeitgenossen und christli-chen Grunderfahrungen zu vermitteln.Durch das Symbol ,,Hand" gelingt eineKorrelation zwischen den Selbsterfahrun-gen der am Lernprozeß unmittelbar Betei-ligten und zentralen Inhalten der christli-chen Überlieferung. Eine besondere Be-deutung kommt bei dieser Vermittlung denelementaren Symbolen ztr. Sie können näm-lich das Kind wie den Erwachsenen aufseine Erfahrungen hin ansprechen und zu-gleich eine Brücke zv den Erfahrungenschlagen, die biblischen Texten zugrunde-liegen. Zu den elementaren Symbolen ge-hören wichtige menschliche Organe (wieHerz, Auge, Hand), wichtige Bezugs-personen (wie Mutter, Vater, Schwester,Freund) und Grundgegebenheiten des Le-bens (wie Licht und Finsternis, kg,Baum, Wasser, Haus usw.). So spricht dieLichtsymbolik das Bedürfnis nach Orien-tierung und Erhelltsein des Daseins, nachWahrheit an; die Wegsymbolik bringt dieSpannung des Lebens zwischen Heimatund Unterwegssein, zwischen Dauer undWandlung zum Ausdruck. Solche Erfah-rungen verbinden uns trotzdes geschichtli-chen Wandels in je unterschiedlicher kultu-reller und lebensgeschichtlicher Brechungmit den Menschen der Bibel.Es muß aber jeweils geprüft werden, ob dieSymbole (1) noch durch gegenwärtige Le-benserfahrungen gedeckt sind und bb sie(2) noch ftir das eigentlich Gerneinte, trans-parent sind, ob sie also noch die ,,struktur4m Doppelsinns'o (Riceur) haben.le) Istdas der Fall, dann kann der Prozeß derVermittlung durch Symbole ein dynami-

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scher Prozeß sein, durch den für die Betrof-fenen Wirklichkeit neu erschlossen undgestiftet wird.Damit die Symbole ihre Vermittlungsfunk-tion möglichst optimal entfalten können,sollten diese nach folgend en didaktischenKriterien angelegt werden

(1) Die vorgängigen Erfahrungen der Schülersind ausdrücklich zu thematisieren, und auf dieFrage nach dem Ganzen ihres Lebens bzw. deruns angehenden Wirklichkeit zu konzentrieren(focussierende Funktion).(2) Die Lernprozesse sind so anzulegen, daß dieSymbole ihre wirklichkeitserschließende Kraftwahrnehmen können; dazu ist es erforderlich,sie so auf die Situation der Schüler zubenehen,daß eine fruchtbare didaktische Spannung er-zeugt wird.(3) Die den Schülern aus der Lebenswelt be-kannten Symbole sind ausdrücklich zur Geltungzu bringen, damit die provozierende, alternati-ves Denken und Handeln auslösende Kraft derchristlichen Symbole herausgearbeitet werdenkann; dazu ist es erforderlich, die christlichenSymbole möglichst früh in den Lernprozeß ein-zurühren, dämit die thematisierten Lebenszu-sammenhänge überraschend in einem neuenLicht erscheinen können.(a) Ein didaktisch angemessener Umgang mitSymbolen erfordert, daß die Erschließung des

Symbolsinns durch Formen ganzheitlicher Kom-munikation der Symbolinterpretation voraus-geht.

Das Beispiel zeigt aber zweitens, daß es indem Prozeß der Vermittlung nicht einfach

darum gehen kann, mit Hilfe von SYmbo-len biblische und gegenwärtige Erfahrun-gen einander anzugleichen. Das Symbol,oHände des Gekreuzigten" läßt sich nichtbruchlos in unsere Alltagserfahrungen in-tegrieren. Lebendige christliche Symboleunterbrechen den gewohnten Lebenszu-sammenhang und überbieten die Lebenser-fahrungen. In den meisten Fällen werdenchristliche Symbole im gegenwärtigen Le-ben als Kontrastsymbole wirken, die zu-gleich die legitimen Bedürfnisse und ihreentfremdete Gestalt aufdecken und mögli-chenveise auf Alternativerfahrungen ver-weisen. So bedeutet Vermittlung hier gera-de Verfremdung der entfremdeten Alltags-erfahrunggn. Die Symbole helfen, dieSpannung zum Ausdruck zu bringen, diezwischen den legitimen Bedürfnissen derSchüler und dem, was ihnen vorenthaltenwird und was noch aussteht, besteht; viel-leicht gewinnen sie dadurch den Wahrneh-mungshorizont flür das ,,Mehr noch" derbibliichen Verheißung. Mit Hilfe der Sym-bole soll im Unterricht ein Streit um dieAuslegung der Wirklichkeit ausgelöst wer-den. Welchen Symbolen können wir wirk-lich vertrauen? Welche Symbole behaltenam Ende Recht: die Symbole des ,,H8-bensoo, der Macht und Herrschaft des Kon-sumismus oder die Symbole des ,,Seinso',der Liebe?

Hand Gottes,Fresko,Torbogen vonSt. Clemente $e Taull(um 1225)

Anmerkungen

1) lch muß mlch auf didaktische Fragestellungenbeschränken und verueise lüt das Synbolver'ständnis, die Theologie der Symbole und bnt'wicHungspsychologische Probleme aul folgen-de Arbeiten: P. BiehUG. Baudler: Erfahrung -Symbol - Glaube (Rph 2), 1980, 2. Aufl. Aa'ctren 1987; P. Biehl: Symbol und Metapher, in:JRP'1, Neuklrchen 1985, S. 29-64; ders. Art.Symbole, ln: W. Böcker u. a. (H9.): Handbuch' religlöser Ezlehung, Dtisseldorf 1986. Den Ar'bellen llegt das Symbolverständnis von Riceurzugrunde (vgl. bes. Dle lntorpretation, stw 76,FranklurUM. 1974)

2) Vgl. A. M. K. Mliller: Wsnde dorWahmehmung,München 1 978; J. Moltmann: Gott ln der Schöptung, München'1985, S. 17fi.

3) Vgl. Y. Splegel: Glaube wle er lelbt und lebt 1'Münchon'1984. S. 52

4) F. Steflensky: Feler des Lebens, Stuttgart19&4, S. 81; vgl. D. Rißchl: Zur Loglk derTheologle, München 1984, S.40fi.

SlZur ünstologlsdren Begrenzung der Bedeu'tungsftille r€ligöser Symbole, vgl. P. Biehl:Zugänge zu christlldren Grunderfahrungen mltHilfe elementüer Symbole. Zum Beispiel: DasSymbol des Baumes, ln: EvErz 35 (1983), S.

255-272, hler:272

6) W. Klafki: Formen dor Strukturlerung von Lehr'' plänen,ln: Ders. u. a. (Hg.), ProblemederCunl'öulumenlwlcklung, Frankfurl/M. 1972, S.75-81

7) M. Josuttis: Der Pfarrer lst anders, Milnchen'21989, s. 62

8) Vgl. A. StocUM. Wichelhaus: Ostern in Blldern,Reden, Rlten, Geschlchten und Gesängen, Zü'rich u.a. 1979

9) Vgl. D. Sölle: "Du

sollst kelne anderen Jeanshaben neben mlf , in: J. Habermas (Hg'), Stlch'worte zur ,,Gelstlgen Situatinn der Zeit" 2 (es1000), FrankfuruM. 21979, S. 541-553. H.FrlE: Das Evangelium der Erfrlschung. Coca-Colas Weltmisslon (rororo 7884), Reinbek 1985

10) Vgl. H.-G. Heimbrock: Rellgiöse Erlahrungen inComics?, in: Ders. (Hg.), Erlahrungen in religiö-sen Lernprozossen, Göttingen 1983, S'141 -155

ll)Vgl. H. Halblas: Das drltte Auge, Dllsseldorl1982; ders., Religionsunterrichl in der Grund-schule. Lehrerhandbuch 1-4, Zärich/Düssel'dorf 1983tf.

12)Y. Spiegel: Glaube wle et leibt und lebt,3 Bde., München 1984

13) J. 9charfenberg/H. Kämpfer: Mll Symbolen l*ben, Olten 1980. Elne GharaRerisierung dieserdrelAnsätre findst slch ln meinem Arl. Symbo-le, a. a. O.

14) Die Unterichtsstunde wurde von lngrid Wie-denroth, Braunschwelg, gehalten

15) Das Plakat lst zu erhalten beim Deutschen Ev.l(rchentag, PF .180, 6rt00 Fulda. Das Fach-praktikum wurde gemelnsam mlt Ute Hlnze,Göttlngen, durctgefährl; entsprectende Ver-euche in einer 8. und elner 12. Klasse dgsGymnasiums hat Rudoll Tammeus, Göttingen,durchgef{lhrt

'16) Vgl. Mlsereor'85, We*mappe 3, Aachen 1984:Das Mlsereor-Hungertuch aus lndien im Rell-gionsuntenlcht, S. 34

17) VgL l. Rledel: Formen, Stuttgarl 1985, Tafel lVund S. 103. Die Abblldung ist auch als Postkartobeim Deutschen Ev. Klrchentag zu €fialt€n

18) So hat der Hide lrilher zu den elementarenSymbolen gehöil; heute vermag das Symbol\rom gulen Hlflen (vgl. Joh. 10,11.14) nichlmehr unmittelbar Tiefenschiciten der innerenund äußeren Wrkllchkelt zu erschließen; esmuß erst. durch Ezählung wieder eingetühttwerden

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