Chemie und Poesie

2
schaften in Stockholm beschlossen, zum ersten Mal einen Chemiker mit dem Nobelpreis für Literatur aus- zuzeichnen.“ Was damals als Faschings- schwank gedacht war, ist mittler- weile in ganz anderem Sinn Wirk- lichkeit geworden. Drei Sonnen sah ich am Himmel Zunächst trat ein Chemieprofes- sor aus Kalifornien mit Wiener Blut in den Adern als charmanter Ro- mancier in Erscheinung. 1) Dann folgte der Chemie-Nobelpreisträger einer Ivy-League-Universität mit sei- nen geistreichen Essays 2) Diesen be- gnadeten Poeten ist es sogar gelun- gen, mit der gemeinsam verfassten Historienkomödie Oxygen den Spielplan eines deutschen Stadtthea- ters zu erobern (Abbildung 1). 3) Der Lang’ ist’s her, da lasen Chemie- studenten in der Velvetica Chimica Acta, einer Veröffentlichung des Or- ganisch-Chomischen Instituts der Universität München zum Fasching 1965, über ihren Lehrer: „Schon seit vielen Jahren zählen seine Arti- kel zu hochgeschätzten Publikatio- nen. Die blumenreiche Sprache, die Verwendung exquisiter Vokabeln, der geschliffene Stil und die brillan- ten Formulierungen erheben seine wissenschaftlichen Abhandlungen zu literarischen Kunstwerken. Da- mit diese Verdienste endlich von höchster Stelle und in gebührender Weise gewürdigt werden, hat die Königliche Akademie der Wissen- Kaspar Bott Mit einer fachübergreifenden Sektion möchte die Gesellschaft Deutscher Chemiker ihren Meistern in Poesie und Prosa den Nährboden für mehr Ruhm und Anerkennung bereiten. Chemie und Poesie dritte im Bunde ist ein erfolgreicher Industriechemiker, der als Postilli- on seiner philosophisch inspirier- ten Aphorismen noch ruhmreicher geworden ist. 4) Ich wollt' mir wüchsen Flügel Von solchen Vorbildern beflü- gelt, möchten immer mehr Che- miker den Sümpfen einer Retorten- landschaft entfliehen und lieber zur Feder als zum Reagenzglas greifen, um mit dem mythischen Dichter- schimmel in ungeahnte Höhen auf- zusteigen. Sie genießen dabei den Vorzug, dass ihnen nicht wie den chinesischen Beamten der kon- fuzianischen Kaiserzeit eine Prü- fung auferlegt wird, sich mit dem Schreiben seriöser Gedichte zu qua- lifizieren. Abb. 1. Signierstun- de zur Oxygen-Pre- miere im Mainfran- kentheater mit Carl Djerassi (links) und Roald Hoffmann. 3) Chronik Chemiekongress, Colombo, Ceylon Christine Cramer – campingzelt- entwachsene coctailschlürfende Chemieprofessorsgattin, collier- geschmückt, chanel-5-duftend, carmesinrotes chinaseidenes Chiffonkleid – creiert cremefar- benes Chinchilla-Cape. Cana- discher Chauffeur chartert cha- monixweißen chromblitzenden Cadillac-Chausseekreuzer. Char- mante Chauffeuse credenzt chi- lenischen Chemiedoktoranden ccm 3 -weise cypriotischen Coin- treau. Friedrich Klages Isonitril abscheulich riecht, Jonone duften aromatisch, Kristalle kommen über Nacht, Die Schafe schwitzen Lanolin, die Inversion geht meistens nicht. Jodometrie ist unsympathisch. Kunstharze werd'n in Graz gemacht. wer Leuchtgas atmet, der wird hin. April, April Magazin429 Nachrichten aus der Chemie | 59 | April 2011 | www.gdch.de/nachrichten

Transcript of Chemie und Poesie

Page 1: Chemie und Poesie

schaften in Stockholm beschlossen, zum ersten Mal einen Chemiker mit dem Nobelpreis für Literatur aus-zuzeichnen.“

Was damals als Faschings-schwank gedacht war, ist mittler-weile in ganz anderem Sinn Wirk-lichkeit geworden.

Drei Sonnen sah ich am Himmel

� Zunächst trat ein Chemieprofes-sor aus Kalifornien mit Wiener Blut in den Adern als charmanter Ro-mancier in Erscheinung.1) Dann folgte der Chemie-Nobelpreisträger einer Ivy-League-Universität mit sei-nen geistreichen Essays2) Diesen be-gnadeten Poeten ist es sogar gelun-gen, mit der gemeinsam verfassten Historienkomödie Oxygen den Spielplan eines deutschen Stadtthea-ters zu erobern (Abbildung 1).3) Der

� Lang’ ist’s her, da lasen Chemie-studenten in der Velvetica Chimica Acta, einer Veröffentlichung des Or-ganisch-Chomischen Instituts der Universität München zum Fasching 1965, über ihren Lehrer: „Schon seit vielen Jahren zählen seine Arti-kel zu hochgeschätzten Publikatio-nen. Die blumenreiche Sprache, die Verwendung exquisiter Vokabeln, der geschliffene Stil und die brillan-ten Formulierungen erheben seine wissenschaftlichen Abhandlungen zu literarischen Kunstwerken. Da-mit diese Verdienste endlich von höchster Stelle und in gebührender Weise gewürdigt werden, hat die Königliche Akademie der Wissen-

Kaspar Bott

Mit einer fachübergreifenden Sektion möchte die Gesellschaft Deutscher Chemiker ihren Meistern in

Poesie und Prosa den Nährboden für mehr Ruhm und Anerkennung bereiten.

Chemie und Poesie

dritte im Bunde ist ein erfolgreicher Industriechemiker, der als Postilli-on seiner philosophisch inspirier-ten Aphorismen noch ruhmreicher geworden ist.4)

Ich wollt' mir wüchsen Flügel

� Von solchen Vorbildern beflü-gelt, möchten immer mehr Che-miker den Sümpfen einer Retorten-landschaft entfliehen und lieber zur Feder als zum Reagenzglas greifen, um mit dem mythischen Dichter-schimmel in ungeahnte Höhen auf-zusteigen. Sie genießen dabei den Vorzug, dass ihnen nicht wie den chinesischen Beamten der kon-fuzianischen Kaiserzeit eine Prü-fung auferlegt wird, sich mit dem Schreiben seriöser Gedichte zu qua-lifizieren.

Abb. 1. Signierstun-

de zur Oxygen-Pre-

miere im Mainfran-

kentheater mit Carl

Djerassi (links) und

Roald Hoffmann.3)

� Chronik Chemiekongress, Colombo, Ceylon

Christine Cramer – campingzelt -

entwachsene coctailschlürfende

Chemieprofessorsgattin, collier-

geschmückt, chanel-5-duftend,

carmesinrotes chinaseidenes

Chiffonkleid – creiert cremefar-

benes Chinchilla-Cape. Cana-

discher Chauffeur chartert cha-

monixweißen chromblitzenden

Cadillac-Chausseekreuzer. Char-

mante Chauffeuse credenzt chi-

lenischen Chemiedoktoranden

ccm3-weise cypriotischen Coin-

treau. Friedrich Klages

Isonitril abscheulich riecht, Jonone duften aromatisch, Kristalle kommen über Nacht, Die Schafe schwitzen Lanolin, die Inversion geht meistens nicht. Jodometrie ist unsympathisch. Kunstharze werd'n in Graz gemacht. wer Leuchtgas atmet, der wird hin.

April, April �Magazin� 429

Nachrichten aus der Chemie | 59 | April 2011 | www.gdch.de/nachrichten

Page 2: Chemie und Poesie

Verachtet mir die Meister nicht

� Um der Gefahr zu begegnen, dass sich die neue GDCh-Sektion zu ei-nem Wellnesscenter für frustrierte Be-rufskollegen entwickelt, und eine wissenschaftliche Gesellschaft gar zu einem Heer der Dichtenden entartet,5) muss ein Exzellenzcluster der Dicht-kunst her. In einer solchen Meister-klasse werden sich die Sitze in Anleh-nung an die Académie Française nach der Buchstabenzahl des Alphabets be-messen. Wer in dieser Ruhmeshalle der Unsterblichen einen Platz finden

Wartburg wird die Gesellschaft Deutscher Chemiker am 1. April ei-nen triumphalen Sieg des bürgerli-chen Meisterlieds über den höfi-schen Minnesang feiern. In einem für dieses Dichterfest komponier-ten Schlusschor heißt es (Abbil-dung 2):

„Verging in Rauch und Dunst der hoch gelobten Orden Glanz in der Chemie, so blieb uns auch die holde Kunst der immer grünen Poesie.“

In memoriam Friedrich Klages.

Kaspar Bott ist Chemiker, Autor und Beirat

im Vorstand des Richard-Wagner-Verbands

Mannheim-Kurpfalz.

Literatur und Hinweise

1) Nachr. Chem. 2009, 57, 32 (Carl Djerassi).

2) Nachr. Chem. 1999, 47, 928 (Roald Hoff-

mann).

3) Nachr. Chem. 2001, 49, 1296.

4) Nachr. Chem. 2007, 55, 94 (Hans-Jürgen

Quadbeck-Seeger).

5) In England gab es unter Oliver Cromwell

ein Heer der Betenden und ein Parlament

der Heiligen, beides mit katastrophalen

Folgen.

6) Meistersinger und Schreiber in Richard

Wagners Oper „Die Meistersinger von

Nürnberg“.

7) www.bott-online.net unter „Obituary,

Stabreimeleien“.

Abb. 2. Noten aus Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“.

möchte, soll auf Geheiß des Literatur-kritikers Sixtus Beckmesser6) mit ei-ner im Regime der Stabreimtotale ge-dichteten Kurzgeschichte seine Sprachakrobatik unter Beweis stellen. Ein besonders aussichtsreiches Be-werbungsbeispiel mit dem Buchsta-ben C präsentiert der Kasten auf Seite 429. Für andere Buchstaben liegen ähnliche Geschichten mit erotischem Hintergrund vor.7)

So bannt Ihr gute Geister

� Mit der Inauguration der Sekti-on Chemie und Poesie im Palas der

� Rheine Schwefelsäure

Es steht die Loreley

schwarz und ungeheure,

und ein Kahn voll Säure

wollte rasch vorbei.

Doch der Kapitän

setzte seinen Tanker

auf die Felsenbank, er

wollt' die Schöne sehn.

Gleichsam wie ein Harnisch

schützt das Eisenschiff

Säure, Rhein und Riff,

völlig anorgarnisch.

Lösung droht inzwischen:

Beim Versuch zu retten

könnten Seil und Ketten

Rhein und Säure mischen.

Hei, das gäb' ein Zischen!

Nachrichten aus der Chemie | 59 | April 2011 | www.gdch.de/nachrichten

�Magazin� April, April 430

Mikrochemie ist aktuell, Nitrobenzol nach Mandeln riecht, Ozon die Bronchien beglückt, Phenol erzeugt manchmal ein Harz, der Marmor braust mit HCl. doch rötlich brennt das Neonlicht. Osmose ist, wenn wo was drückt. Platinmohr ist fast immer schwarz.

Heindirk tom Dieck schraipt und strichelt im Januar.