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  • 8/16/2019 Dahlhaus Poesie

    1/16

    Musica poetica und musikalische Poesie

    Author(s): Carl DahlhausSource: Archiv für Musikwissenschaft, 23. Jahrg., H. 2. (1966), pp. 110-124Published by: Franz Steiner VerlagStable URL: http://www.jstor.org/stable/929985

    Accessed: 25/06/2009 05:57

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    Musica

    oeticaund

    musikalischeoesie

    von

    CARL

    DAlILlIAUS

    Der Terminus ,musica

    poetica ,der im 16.Jahrhundert

    epragtund bis zur

    Mitte des 18.

    tradiertwurde,bedeutet

    ,,Kompositionslehre''l.

    er protestan-

    tische KantorNicolaus

    Listenius,der 1537als

    erstervon der ,,musicapractica

    eine ,,musica

    poetica

    abspaltete,dachte nuchtern

    aristotelischan das ,,Ma-

    chen und

    ,,Verfertigen

    musikalischerWerke2;nd noch

    Johann Mattheson

    verstand1739

    unter ,,musica

    poetica nichts anderesals die

    ,,Setz-Kunstoder

    Composition

    .

    Um 1800aber

    schlugendie Vorstellungen, ie

    sich mit dem Be-

    griffder

    ,,musikalischen oesie verknupften,

    ns Gegenteilum.In der Kompo-

    sitionslehre IeinrichCllristophKochs bildetdas nach RegelnGemachteden

    1 H.ZENCE,

    Sizt?XeDietrich, Leipzig 1928, S.

    16; ders., G* undformendeutscher

    MuBikanschau?sng,n: N?smerusund AJ0fectus,

    assel 1959, S.23f.

    \AT.M. Lulu, Gal-

    lus Dressler,

    Eassel 1941, S. 95ff.

    ;W. GURLITT, ie

    Kompositionslehre des deutschen

    16. und 17. Jhs.,

    Eongr.-Ber. Bamberg 1953,

    S.103ff. (aueh in

    BzAfMw I,1966); M.

    RUHNKE, oachim Burmeister,

    Eassel 1955, S.

    lOOff.; K.W.NIEMoLLER,Ars musica

    - ars poetica -

    musica poetica,

    Kongr.-Ber. Hamburg 1956, S.

    170ff.; H.H.EGGE-

    BRECHT,Heinrich Schutz-

    Musicus poeticus,

    Gottingen 1959, S. 32ff.; A.SCHMITZ,

    M?ssicus

    poeticus, in: Universitas, Festschrift

    Albert Stohr, Bd. II, Mainz 1960,

    S. 274ff.;

    W.WIORA, Musica

    poetica und musikalisches Kunstwerk, in: iEestschrift

    Rarl Gustav Fellerer,

    Regensburg 1962, S.

    579ff.

    2 Musica Nicolai listenii, im

    Facsimile hg.

    von G. SCHUNEMANN,erlin 1927,

    eap. 1: ,,Poetica... consistit

    enim in faciendo

    sive fabricando, hoc est, in labore

    tali, qui post se etiam artifice

    mortuo opus

    perfectum et absolutum relinquat.

    3

    J.MATTSON,

    Der

    vollkommeneCapellmeister, Hamburg 1739,

    Faksimile-Nach-

    druck hg. von M. REIMANN,

    assel 1954, S. 7:

    ,,Weiter in unsern Eintheilungen fort-

    zufahren, so ist bekannt, und

    eben nicht urlrecht

    gehandelt, daB man die practische

    Music unterscheidet in

    compositoriam vel

    poeticam (in die Setz-Kunst oder Compo-

    sition) 8z;

    secutoriam (in die Ausfuhrung

    selbst) . J.A.ScHEIsE bezeichnet in sei-

    nem

    Compendium Musices die Eomposition als

    ,,Musica

    poetica , die Ausfiihrung

    als ,,Musica modulatoria

    (P.BENARY, Die deutsche

    Kompositionslehre des 18. Jhs.,

    Leipzig 1961, Anhang S. 6). F.X.MuRscHHAusER definiert umstandlich: ,,Musica

    Poetica, oder

    Compositio Musica

    endlichen / welche als vornehmste

    Species die ober-

    zehlte Gattungen [Musica

    Theoretica und Musica Practical

    weit ubertrifft / und

    ihnen nicht

    allein (gleichwie die

    Sonne denen ubrigen Planeten)

    das Liecht / sondern

    auch ihr

    gantzes Esse und Wesenheit mittheilet /

    ist eine Scientia

    Practica, Wissen-

    schaft / oder Eunst / eine

    regulirte lIarmoniam, oder

    Zusammenstimmung per Con-

    sonum, 8z;

    Dissonum, mit einer /

    zwey / oder mehr Stimmen zu

    erfinden / und auf-

    zusetzen

    (Academia Musico-Poetica Bipartita,

    Nurnberg 1721,

    S. lf.).

  • 8/16/2019 Dahlhaus Poesie

    3/16

    Musica

    poetica

    und musikalische

    Poesie

    lll

    ,,mechanischen

    eil der

    Musik m Unterschied

    um

    ,,poetischen 4;

    ,musika-

    lische

    Poesie erscheint

    als Inbegriff

    des nicht Lehrbaren.

    Die schrofFeKontrastierung eruhtjedochauf groberVereinfachung.eide

    Termini,

    owohl

    ,musicapoetica

    als auch

    ,,musikalische oesie ,

    sind mehr-

    deutig.Und um

    die Gedanken u

    verstehen,

    die mit den Begriffen

    verburlden

    waren,muB

    man die Probleme

    u rekonstrviieren

    ersuchen,

    ur die eine

    Losung

    gesucht

    wurde.

    1.

    Die Musiktheorie

    es Ettelalters

    stutzte sich,

    wennvom

    ,,poeta die Rede

    war,auf Boethius,

    der das ,,genus

    Poetarum

    ,quod fingit

    carmina ,

    mit Ge-

    ringschatzungehandelthatte

    5.

    WerGesange erfertige, altesich zwar m Um-

    kreis

    der Musik6, ei aber

    von der

    eigentlichenMusik,

    der Einsicht

    n die Zah-

    lenordnung,

    etrennt

    . DaBdas

    ,,genusPoetarum

    ,nonpotius

    speculatione

    c

    4 H. CHR. EOCH

    unterscheidet in

    seinem IIandbuch

    bey dem Studium

    der

    IIarmonie

    (Leipzig

    1811) einen ,,mechanischen

    Theil

    der Setzkunst,

    ,,der gelehrt und

    erlernet

    werden

    kann (§ 4) von einem

    ,,poetischen Theil

    des Kunstwerks ,

    dem ,,Ausdrucke

    des

    Tongemaldes .

    ,,Noch mangelt

    es aber der Theorie

    der Setzkunst

    an einer Logik

    und Poetik, und

    die dazu

    nothigen Materialien

    sind

    zum Theil nur noch

    in den

    Schriften

    uber die Eunst

    hin und

    wieder zerstreuet

    (§ 6). Ein Versuch einer

    Logik

    und Rhetorik der musikalischen ,,Empfindungssprache war J.N.FoRKELs Ein-

    leitung

    zum ersten Band

    seiner

    Allyemeinen Geschichte

    der Musik

    (Leipzig 1788).

    Unter musikalischer

    ,,Logik

    verstand Forkel

    die ,,Harmonie ,

    den ,,Probierstein

    eines

    jeden melodischen

    Satzes (§

    41), unter

    ,,musikalischer

    Rhetorik die ,,Ver-

    bindung ganzer

    Gedanken (§ 68).

    1802, in

    der Bach-Biographie,

    sprach

    er nicht

    mehr

    von Rhetorik, sondern

    von

    dem ,,musikalischen

    Dichter Bach ( aber

    Johann

    Sebastian

    Bachs leben,

    Kunst und Kunstwerke,

    Leipzig

    1802, Faksimile-Nachdruck

    hg. von

    J.M.MuLLER-BLATTAu,

    assel

    1950,

    S. 40, 79 und 85).

    DerWechsel der Be-

    zeichnung

    ist im Verfall

    des Ansehens

    der Rhetorik (vgl.

    I. Eant, Krittk der

    TJrteils-

    kraff,

    § 53), vielleicht auch

    in Forkels Unterscheidung

    zwischen ,,bloBem

    Choral-

    gesang als musikalischer

    ,,Prosa

    und ,,figurirtem

    Gesang als

    ,,Poesie

    begrun--

    det (Einleitung zur Allyemeinen Geschichteder Musik, § 43).

    5 BOETHIUS,

    De institutione

    musica, hg.

    von G.FRIEDLEIN,

    Leipzig 1867,

    lib. I,

    cap.

    34. O. PAUL

    ubersetzte, ,poeta

    mit, ,Componist (Des

    Ancius

    Manlius Severinus

    Boetius

    funf Bucher uber

    die Musik, Leipzig

    1872, S.

    37); nachWIoRA ,,war

    wohl

    mehr

    die metrisch-dichterische

    Seite,

    die schriftlich

    fest- und

    niedergelegt wurde.

    gemeint als die

    zugehorige

    Melodie, geschweige

    denn

    instrumentale Begleitung

    (a.a.O.

    S. 581).

    Um im Dichter einen

    Musiker

    zu sehen, genugte

    es, Metrum und

    Rhythmus

    als musikalische

    Momente

    der Dichtung

    aufzufassen. ROGER

    BACON

    teilte die ,,musica

    circa vocem humanam

    in

    ,,melica einerseits,

    ,,prosaica ,

    ,,me-

    trica und ,,rhythmica

    andererseits, zahlte

    also die gesamte

    ars dictaminis

    zur mu-

    SiCA(G.PIETZSCH,

    Die KlassiJ£kation

    der Musik

    von Boetius bis

    TJgolinovon

    Orvieto,

    Halle 1929, S. 89). Nach

    DANTE

    ist Poesie ,,nihil aliud quam fictio rhetorica in mus;-

    caque posita

    (De vulyari

    eloquentia, lib. II,

    cap. 4).

    6

    ,,Tria

    sunt igitur genera,

    quae circa artem

    Musicam

    versantur. Unum

    genus est,

    quod instrumentis

    agitur, aliud fit

    carmina,

    tertium quod instrumentorum

    opus car-

    menque diiudicat.

    7 ,,Secundum

    vero Musicam agentium

    est

    genus Poetarum, quod

    non potius spe-

    culatione

    ac ratione quam

    naturali

    quodam instinctu

    fertur ad

    carmen, atque id-

    circo

    hoc quoque genus a

    Musica

    segregandum est.

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    4/16

    112

    Carl

    ahlhaus

    ratione

    uam

    naturali

    quodam

    nstinctu

    ertur

    ad

    carmen ,

    alt

    als

    Makel;

    die

    operatio

    tand

    im

    Schatten

    der

    contemplatio.

    Regino

    von

    Prum

    ruckte

    um

    900

    den

    ,,naturalis

    nstinctus

    n

    die

    Nahe

    des

    ,,divinus

    nstinctus

    ,

    ubernahm berandererseitson BoethiusdieUnterord-

    nung

    er

    operatio

    unter

    die

    contemplatio9.

    Das

    von

    Menschen

    Gemachte,

    das

    artificium,

    rscheint

    nicht

    als

    Zweck

    und

    Ziel,

    sondern

    ls

    bloBes

    Mittel,

    um

    das

    von

    Gott

    und

    der

    Natur

    Gegebene

    oder

    Vorgezeichnete

    aBlich

    darzustellen;

    seine

    rfullung

    indet

    der

    naturalis

    nstinctus

    n

    der

    contemplatiol°.

    Erst

    m

    16.

    Jahrhundert

    eigen

    ich

    n

    der

    Musiktheorie

    nsatze

    zu

    einer

    Um-

    kehrung

    es

    Werturteils.

    ietro

    Aron

    ubertragt

    1545

    den

    Topos

    ,,poeta

    nasci-

    tur

    uf

    den

    Komponisten

    und

    betont,

    offenbar

    n

    Anlehnung

    an

    Marsilio

    Fi-

    cino,daBdie EntstehungeinesmusikalischenKunstwerkswenigerdem

    ,,stu-

    dio

    ls

    einem

    ,celeste

    nflusso

    u

    verdanken

    eill.

    Adrian

    Petit

    Coclico

    uhmb

    1552,

    vermutlich

    n

    bewuBtem

    Gegensatz

    zur

    boethianischen

    Tradition,

    das

    8

    GS

    I,

    233b:

    ,,Naturalis

    itaque

    musica

    est,

    quae

    nullo

    instrllmento

    musico,

    nullo

    tactu

    digitorum,

    nullo

    humano

    inpulsu

    aut

    tactu

    resonat,

    sed

    divinitus

    ad-

    spirata

    sola

    natura

    docente

    dulces

    modulatur

    modos:

    quae

    fit

    aut

    in

    coeli

    motu,

    aut

    in

    humana

    voce.

    Das

    Lob

    der

    Natura

    parens

    erinnert

    an

    MACROBIUS,

    essen

    Com-

    mentarius

    in

    Somnium

    Scipionis

    REGINO

    n

    anderem

    Zusammenhang

    zitiert

    (234b

    und

    235a).

    Bei

    MACROBIUS

    eiBt

    es

    von

    VERGIL:

    ,non

    alium

    secutus

    ducem

    quam

    ipsam rerum omnium matrem naturam hanc praeteswt, velut

    in

    musica

    concor-

    dantiam

    dissonorllm

    (nach

    E.R.CURTIUS,

    Europaische

    lyiteratqzr

    und

    lateinisches

    Mittelalter,

    Bern

    1948,

    S.

    443

    ).

    9

    GS

    I,

    246a-b:

    ,,Multo

    enim

    maius

    est

    scire,

    quod

    quisque

    faciat,

    quam

    facere,

    quod

    ab

    alio

    discit

    (nach

    BOETHIUS,

    ib.

    I,

    cap.

    34).

    10

    GS

    I,

    239b:

    ,,Sciendum

    vero,

    quod

    saepe

    dictae

    consonantiae

    nequaquam

    sunt

    humano

    ingenio

    inventae,

    sed

    divino

    quodam

    nutu

    Pythagorae

    sunt

    ostensae.

    240a:

    ,,Itaque

    quia

    in

    iam

    saepe

    notatis

    consonantiis

    divino

    munere

    cognitis

    totius

    harmonicae

    disciplina

    summa

    consistit,

    oportet,

    ut

    animo

    atque

    auribus

    sint

    notae.

    Frustra

    enim

    haec

    ratione

    Zz;

    cientia

    colliguntur,

    ut

    insignis

    auctor

    Boetius

    testatur,

    nisi

    fuerint

    usu

    atque

    esercitatione

    notissima.

    246a:

    ,,Interea

    sciendum

    est,

    quod

    non ille dicitur musicus, qui eam manibus

    tantummodo

    operatur,

    sed

    ille

    veraciter

    musicus

    est,

    qui

    de

    musica

    naturaliter

    novit

    disputare,

    13z;ertis rationibus eius sen-

    sus

    enodare.

    Omnis

    enim

    ars,

    omnisque

    disciplina

    honorabiliorem

    natura]iter

    habet

    rationem,

    quam

    artificillm,

    quod

    manu

    atque

    opere

    artificis

    esercetur.

    11

    P.ARON,

    lqbeidario

    in

    Mqbsica,

    Venedig

    1545,

    lib.

    II,

    S.

    16:

    ,,...si

    puo

    credere

    che

    i

    buoni

    compositori

    nascono,

    13z;

    on

    si

    fanno

    per

    studio

    ne

    per

    molto

    praticare,

    ma

    si

    bene

    per

    celeste

    influsso,

    Zz;

    nclinatione.

    .

    .

    (nach

    H.

    ZENCR,

    Zarlinos

    ,,Istitqh-

    tioni

    harmoniche

    als

    Quelle

    zqxr

    Mqbsikanschaq4qbng

    er

    italienischen

    Renaissance,

    ZfMw

    XII,

    1929/30,

    S.

    561,

    Anm.

    1).

    MARSILIO

    ICINO

    eschreibt

    in

    Eapitel

    6

    seines

    Platon-Eommentars

    (Sopra

    lo

    amore

    o

    ver

    Convito

    di

    Platone,

    Florenz

    1544)

    die

    Schonheit

    in

    der

    bildenden

    Runst

    und

    in

    der

    Musik;

    er

    schlieBt

    mit

    dem

    Satz:

    ,,Ma

    accioche il nostro sermone

    non

    trapassi

    molto

    il

    proposito

    suo,

    conchiudiamo

    breve-

    mente

    per

    le

    sopradette

    cose

    la

    Bellezza essere una certa grazia vivace e spiritale,

    laquale

    per

    il

    raggio

    divino

    prima

    si

    infonde

    negli

    Angeli,

    poi

    nelle

    anime

    degli

    uo-

    mini,

    dopo

    questi

    nelle

    figure

    e

    voci

    corporali;

    e

    questa

    grazia

    per

    mezo

    della

    ragione

    e

    del

    vedere

    e

    dello

    udire

    muove

    e

    diletta

    lo

    animo

    nostro,

    e

    nel

    dilettare

    rapisce,

    e

    nel

    rapire

    d'ardente

    amore

    infiamma

    (nach

    E.

    PANOFSKY,

    dea,

    Berlin

    21960,

    S.

    126

    ).

    ZU

    FICINO

    gl.

    auch

    P.

    O.

    ERISTELLER,

    Mqbsic

    and

    learning

    in

    the

    Early

    Italian

    Re-

    naissance,

    Journal

    of

    Renaissance

    and

    Baroque

    Music

    I,

    1946/47,

    S.

    269ff.

  • 8/16/2019 Dahlhaus Poesie

    5/16

    113

    usica

    oetica

    und

    musikalische

    Poesie

    ,,genus

    oetarum ,

    as

    den

    ,,theorici

    und

    den

    ,,mathematici

    nter

    den

    Kom-

    ponisten

    eit

    uberlegen

    eil2.

    Den

    ,,naturalis

    nstinctus

    beschreibt

    Coclico

    als

    einen

    ,furor

    poeticus

    3.

    Der

    Kompoxiist

    st

    Poet,

    sofern

    er

    vom

    Enthusiasmus

    getrieben

    ird.

    2.

    Dagegen

    erscheint

    n

    den

    Kompositionslehren

    eutscher

    Kantoren

    des

    16.

    und

    7.Jahrhunderts

    er

    ,,musicus

    poeticus

    als

    fabricator

    und

    aedificatorl4.

    Der

    omponist,

    chreibt

    Listenius,

    hinterlasse

    in

    ,,opus

    perfectum

    t

    absolu-

    tUm

    5.

    Die

    Vorstellung,

    daB

    ein

    Notentext

    ein

    abgeschlossenes

    Werk

    -

    eir

    poema

    ,

    eine

    Kompositionslehre

    lso

    eine

    musica

    poetica

    sei,

    war

    aber

    m

    16.

    Jahrhundert

    iichts

    weniger

    als

    selbstverstandlich.

    Teilte

    man,

    in

    Anlehnung

    an

    Quintilian,

    ie

    Kunste

    in

    ,,poetische ,

    deren

    Ziel

    ein

    opus

    st,

    uncl

    n

    ,,prak-

    tische ,ie ,,in agendo wirkenl6, o lag es nahe,die Musik die ars,

    peritia

    oder

    cientia

    bene

    cantandil7

    primar

    zu

    den

    ,,praktischen

    u

    zahlen.

    Julius

    Caesar

    caliger,

    ine

    der

    poetischen

    Autoritaten

    des

    16.Jahrhunderts,

    rwahnt

    den

    Gesang

    unter

    den

    Kunsten,

    deren

    Daseinsform

    ie

    Vorfuhrung

    st

    18;

    der

    ge-

    12

    A.PETIT

    COCLICO,

    ompendiq>6m

    q>6sices,

    aksimile-Neudruck

    hg.

    von

    M.F.

    BUKOFZER,

    assel

    1954,

    fol.

    B

    4

    V:

    ,,Quartum

    genus

    est

    Poeticorum,

    qui

    es

    tertii

    generis

    Musicorum

    Gymnasio

    profecti

    sunt...

    hi

    dulcedine

    vocis

    alios

    longe

    supe-

    rant,

    13z;

    erum

    huius

    artis

    finem

    consequuti

    sunt,

    13z;

    n

    maiori

    sunt

    admiratione,

    13z;

    gratia

    quam

    caeteri

    omnes.

    Die

    Formel

    vom

    Sanger,

    ,,qui

    naturali

    quodam

    instinc-

    tu aete ac suaviter canit , von BOETHIUSeringschatzig gemeint,

    wird

    von

    COCLICO

    ins

    Positive

    gewendet

    (fol.

    E

    3

    v).

    18

    ,,Secundum,

    ut

    ad

    componendum

    magno

    ducatur

    desiderio,

    ac

    impetu

    quodam

    naturali

    ad

    compositionem

    pellatur,

    adeo

    ut

    nec

    cibus

    nec

    potus

    ei

    sapiat,

    ante

    ab-

    solutam

    cantilenam

    .

    .

    .

    (fol.

    L

    2

    v).

    14

    Ein

    ,,Musicus

    poeticus,

    oder

    aomponist

    ist

    nach

    J.A.EERssT,

    wer

    ,,ein

    neu

    Opus

    oder

    Werok

    an

    ihm

    selbsten

    zu

    verfertigen

    weiB,

    daher

    es

    auch

    von

    etlichen

    Fabricatura

    oder

    Aedificium,

    ein

    Bau

    genennet

    worden

    (vgl.

    A.

    ALLERUP,

    Die

    Mq4-

    sica

    Practica

    des

    Johann

    Andreas

    Herbst,

    Diss.

    Munster

    1931;

    E.

    H.

    EGGEBRECHT,

    Zqxm

    Wort-Ton-Verhaltnis

    in

    der

    ,,Mqheica

    poetica

    von

    J.A.Herbst,

    Kongr.-Ber.

    Eamburg

    1956,

    S.

    77

    ff.

    ).

    5 N.LISTENIUS,

    a.a.O.

    18

    QUINTILIAN

    eilte

    die

    liunste

    in

    theoretische,

    ,,qualis est astrologia , prak-

    tische,

    ,,quarum

    in

    hoc

    finis

    est

    et

    ipso

    actu

    perficitur,

    nihilque

    post

    actum

    operis

    relinquit ,

    ,,qualis

    saltatio

    est

    und

    poetische,

    deren

    Ziel

    einWerk

    ist,

    ,,qualis

    est

    pictura

    (1i.BORINSKIS

    ie

    Antike

    in

    Poetik

    qhnd

    Rqbnsttheorie,

    Bd.

    I,

    Leipzig

    1914,

    $.

    30).

    Die

    Gliederung

    ist

    aristotelisch

    (E.

    ZENCE,

    n:

    Nqxwerqbs

    hnd

    AJ%ectus,

    .

    23,

    Anm.

    4;

    L.

    RICETER,

    q4r

    Wissenschaftelehre

    von

    der

    Mqbsik

    bei

    Platon

    qhnd

    Aristoteles,

    Berlin

    1961,

    (3.

    114ff.

    und

    128ff.),

    wurde

    aber

    vor

    allem

    durch

    QUINTILIANS

    ehr-

    buch

    der

    Rhetorik

    verbreitet.

    17

    Auch

    LISTENIUS

    efiniert

    die

    Musik

    als

    ,,rite

    ac

    bene

    canendi

    scientia

    (a.a.

    O.);

    vgl.

    zu

    der

    Definition

    E.

    EUSCHEN,

    Dte

    Mqheik

    m

    REretse

    er

    artes

    liberales,

    Kongr.-

    Ber. Eamburg

    1956,

    S.

    120f.;

    ders.,

    Fruhere

    qbnd

    heutige

    Begrifye

    von

    Wesen

    qbnd

    GErenzen

    er

    Mqbsik,

    Kongr.-Ber. New York 1961, Bd. I, S. 392.

    18

    Tanz

    und

    Gesang

    wirken

    ,,im

    Machen ,

    nicht

    ,,durch

    das

    Gemachte

    (BORIN-

    SSI,

    a.

    a.

    O.

    S.

    227).

    Noch

    bei

    HERDER

    heiBt

    es:

    ,,Die

    Eunste,

    dieWerke

    liefern,

    wir-

    ken

    im

    Raume;

    die

    Kunste,

    die

    durch

    Energie

    wirken,

    in

    der

    Zeitfolge

    (Eerders

    samtlicheWerke,

    hg.

    von

    B.SUPHAN,

    Berlin

    1877ff.,

    III,

    S.

    137).

    HEGEL

    gesteht

    dem

    musikalischen

    Eunstwerk

    zwar

    ,,den

    Beginn

    einer

    Unterscheidung

    von

    genieBen-

    dem

    Subjekt

    und

    objektivenWerke

    zu;

    doch

    steigere

    sich

    ,,dieser

    Gegensatz

    nicht,

  • 8/16/2019 Dahlhaus Poesie

    6/16

    114

    Carl Dahlhaus

    schnebeneText, den Listeniusals ,,opusperfectutn t absolutum''begriff,galt

    im allgemeinen ls bloBes fittel zum Zweckder Ausfuhrung, er operatio.Wie

    schwachdie Vorstellung, aB er ein abgeschlossenesWerksei, im BewuBtsein

    der Musiktheoretikerusgepragtwar, zeigt sich an der Tatsache,daBIIeinrich

    Faber und GallusDresslerzwar die Termixii,musicapoetica und ,,opus per-

    fectum et absolutum''ubernahmen, eren Bedeutungaber verzerrten, ndem

    sie auBerder ,,compositio uch die ,,sortisatio ,die Improvisation, ur ,,mu-

    sica poetica zahltenl9.

    Auch psychologischwar ,,musicapoetica m Jahrhundert es Humaxiismus

    ein prekarerBegriff.Listenius,der deutscheProtestant ulldWittenbergerMa-

    gister, ruhmtedie Muheund Arbeit,die mit derVerfertigung ines ,,opus per-

    fectum et absolutum verbunden ei20. talienischenHumaxiisten ber lag es

    naher,aus dem Begriffder ars liberalis,der die Wurdeder Musikbezeichnete,

    die antikeVerachtung er Arbeitherauszuhoren; as ,,Machen nd ,,Verferti-

    gen ,das Merkmal er artesmechanicae,warder Banausieverdachtig l. Pietro

    Aron prach om ,,celeste nflusso , m denRuhmderMusik u begrunden.Gio-

    seffo Zarlinobetonte, obwohler Kapuzinerwar, unter den Zweckender Musik

    die vornehmeUnterhaltung22nd erhobdie Musikals ars liberalis iberdie Ar-

    wie in der bildenden Runst, zu einem dauernden auBerlichen Bestehen im Raume

    und zur Anschaubarkeit einer fur sich seyenden Objektivitat , sondern verfluchtige

    ,,umgekehrt seine reale Existenz zu einem unmittelbaren zeitlichen Vergehen der-

    selben (Vorlesungen uber dieAsthetik,Jubilaumsausg. Stuttgart 1954, III, S. 147f.).

    19 ,Musica poetica est ars fingendi musica carmina. Nomen deductum a ZOlE@.

    Consistit enim haec pars in faciendo seu fabricando, hoc est, in labore tali, qui etiam

    artifice mortuo, opus perfectum et absolutum relinquit. Quare a quibusdam et fabri-

    cativa vocatur . . . Dividitur autem Musica poetica in duas partes. Sortisationem et

    COmPOSitiOnemG (H.:FABER,

    Tertia pars mql,sicaede finyendis mql,sicis carminibql,s

    S. 1f.; zur tberlieferung des Traktats vgl. W.

    GURLITT,

    Der Begriff der sortisatio,

    Tijdschrift Vereeniging voor Nederl. Muziekgeschiedenis XVI, 1942 S. 197 ff. ). Die

    Teilung der Musica poetica in Improvisation und Komposition kehrt bei G. DRESS-

    LERwieder (W.M.Lule, a.a.O. S. 98).

    20

    Die positive Akzentuierung von ,,opus und ,,labor verrat bei LISTENIUS ro-

    testantischen Geist. DaB LulEx griechisch seyov, lateinisch ,,opus mit ,,Beruf

    ubersetzte (Jesus Sirach 11, 20), wurde von M.WEBERhervorgehoben (Die prote-

    stantische Ethik qbndder Geist des Kapitalismqbs, in: Gesammelte Aufsatze zur Reli-

    gionssoziologie, I, Tubingen 1920, Anm. 53).

    21

    E. KOLLER,

    Mqb/3e bndmqbsischePaideia, Museum lIelveticum XIII, 1956. In

    der Antike galt sogar die Niederschrift von Musik als banausisch (vgl.

    WIORA,

    a. a. O.

    S. 581).

    22

    G.

    ZARLINO,

    Istitqbtioniharmoniche,Venedig 1558, lib. I, cap. 3: ,,Si debbe adun-

    que imparar la Musica, non come neeessaria: ma come liberale & honesta; accioche

    col suo mezo possiamo pervenire ad un' habito buono & virtuoso, che ne conduea

    nella via de buoni costumi; facendone caminare ad altre scienze piu utile,

    &

    piu ne-

    cessarie; & ne faccia trappassare il tempo virtuosamente: & questo debbe essere 1^

    principale, o ultima intentione, che dire la vogliamo.

    II.ZENCK

    verkennt die so-

    zialen Motive, wenn er meint, daB gegenuber der deutschen Musiklehre, die ,,mit

    dem Begriff der Musica poetica das ,\Verk' entschieden deutlicher fasse, ,,die An-

    schauungen der Istitutioni begrenzt oder einseitig seien (ZfMw XII, S. 564f.). Die

    deutschen Traktate ruhmen den ,,Banausen , die italienischen den ,,Dilettanten .

  • 8/16/2019 Dahlhaus Poesie

    7/16

    115

    usica

    oetica

    und

    musikalische

    Poesie

    chitektur,

    ie

    eine

    bloBe

    ,arte

    fattiva ,

    eine

    ars

    mechanica

    ei23.

    Giulio

    Caccini

    nahm

    ur

    den

    Gesang

    die

    Haltung

    der

    ,,nobile

    sprezzatura ,

    er

    vornehmen

    Leichtigkeit,

    n

    Anspruch24.

    on

    einem

    musicus

    poeticus

    m

    Sinne

    eines

    fabri-

    cator

    nd

    aedificator

    u

    sprechen,

    wareeineEntwurdigung ewesen.

    3.

    Die

    protestantischen

    Musiktheoretiker

    aren

    im

    allgemeinen

    Kantoren,

    also

    irchenmusiker

    nd

    zugleich

    Lehrer

    an

    Lateinschulen.

    Das

    Ideal

    der

    vor-

    nehmen

    uBe

    war

    hnen

    fremd.

    DaB

    die

    Musik

    u

    den

    artes

    iberales

    ahlte,

    be-

    deutete

    m

    Norden

    nichts

    anderes,

    als

    daB

    sie

    tonende

    Mathematik,

    Gegenstand

    von

    Zahlenspekulationen

    ei.

    Sollte

    die

    kompositorische

    raxis

    geruhmt

    wer-

    den,

    o

    drangte

    ich

    den

    Lateinschullehrern

    er

    Vergleich

    mit

    der

    Rhetorik

    und

    Poetik

    auf.

    ,,Ut

    harmoniae

    corpus

    sit

    ad

    animos

    permovendos

    moderatum,

    oportetigurisnon destituatur heiSt es in JoachimBurmeisters

    Musica

    poe-

    tica

    5;

    und

    Christoph

    Bernhard

    chrieb,

    ,die

    Musica

    ei

    ,,so

    hoch

    kommen,

    daB

    wegen

    Menge

    der

    Figuren.

    .

    sie

    wohl

    einer

    Rhetorica

    zu

    vergleichen 26.

    Die

    Auffassung

    des

    Komponisten

    als

    fabricator

    oder

    aedificator

    wurde

    er-

    ganzt

    oder

    auch

    verdrangt

    durch

    das

    Bild

    des

    Redners,

    des

    Poeten

    oder

    Pre-

    digers.

    Dem

    Begriff

    der

    musica

    poetica

    wuchs

    also

    eine

    neue

    Bedeutung

    zu27.

    Das

    Merkmal,

    das

    eine

    poetische

    Rede

    von

    einer

    gewohnlichen

    nterscheidet,

    der

    ornatus,

    wurde

    am

    musikalischen

    oema

    wiedererkannt28

    nd

    zum

    Gegen-

    standdermusicapoetica

    gemacht.

    Rhetorik

    und

    Poetik

    brauchten

    nicht

    getrennt

    zu werden,solangesich der

    Vergleich

    mit

    der

    Musik

    auf

    den

    vermittelnden

    BegrifF

    es

    ornatus

    tutzte.

    Eine

    Differenzierung

    rgab

    sich

    erst,

    wenn

    eine

    der

    beiden

    herrschenden

    Doktrinen

    der

    Musikdeutung,

    ie

    Affektenlehre

    der

    das

    Nachahmungsprinzip,

    inseitig

    betont

    wurde.

    Sollte

    der

    Zweck

    der

    Musik,

    Affekte

    zu

    erregen,

    hervorgehoben

    werden,

    o

    war

    die

    Nahe

    zur

    Rhetorik

    ntscheidend,

    enn

    die

    ASektenlehre

    war

    ein

    Teil

    der

    aristotelischen

    Rhetorik.

    Galt

    es

    dagegen

    als

    primares

    Ziel

    der

    Mu-

    sik,

    Gegenstande

    der

    Vorgange

    darzustellen,

    o

    drangte

    sich

    die

    Erinnerung

    23

    II.

    ZENCE,

    &.

    a.

    O.

    Zf

    Mw

    XII,

    Anm.

    2;

    vgl.

    dazu

    E. E. EGGEBRECHT,rs mtbsica

    in:

    Die

    Sammlung

    XII,

    1957,

    S.

    315.

    24

    ,,Nobile

    sprezzatura ,

    von

    manchen

    Musikhistorikern

    irrig

    mit

    ,,vornehme

    Veraehtung

    ubersetzt,

    ist

    ein

    Terminus

    aus

    B.

    aASTIGLIONES

    II

    Cortegiano

    (F.

    TOR-

    REFRANCA,

    rigine

    e

    significato

    di

    Repicco,

    Partita,

    Ricercare,

    sprezzatTbrav

    Kongr.-

    Ber.

    Utrecht

    1952,

    S.

    404ff.).

    25

    ;.BUR1>IEISTER,

    M%bSiCa

    poetica,

    Rostock

    1606,

    Faks.-Nachdruck

    hg.

    von

    M.

    RUHNEE,

    Kassel

    1955,

    S.

    1.

    26

    J.M.MULLER-BLATTAU,

    ie

    Kompositionslehre

    Heinrich

    Schutzens

    in

    der

    :Fas-

    stbng

    seines

    Schulers

    Christoph

    Bernhard,

    Leipzig

    1926,

    S.

    147.

    27

    ,,Und bald erhielt

    der

    wiehtige

    neue

    Begriff

    der

    Musiea

    poetiea

    einen

    pragnan-

    ten

    Nebensinn

    und

    eine

    besondere, eeht humanistisehe Zuspitzung: er bedeutete

    tnehr

    und

    mehr

    die

    Lehre

    von

    der

    spraehgereehten,

    wortauslegenden

    und

    affekt-

    ausdruekenden

    Komposition

    und

    ging

    so

    gegen

    Ende

    des

    16.Jahrhunderts

    unmerk-

    lieh

    in

    die

    Figurenlehre

    des

    Baroek

    uber,

    unter

    deren

    Zeiehen

    noeh

    die

    Kunst

    Joh.

    Seb.Baehs

    stand

    (H.ZENCK,

    in:

    N%bRertbS

    tbnd

    A¢eCttbS,

    S.

    24).

    28

    A.

    SCHMITZ,

    ie

    Kadenz

    als

    Ornamentum

    mtbsicae,

    Kongr.-Ber.

    Batnberg

    1953,

    S.

    114ff.

  • 8/16/2019 Dahlhaus Poesie

    8/16

    116

    Carl

    Dahlhaus

    an

    das

    Nachahmungsprinzip

    er

    aristotelischen

    oetik

    auf.

    Seth

    Calvisius

    uber-

    trug

    den

    Topos

    ,,Ut

    pictura

    poesis

    auf

    die

    Musik

    und

    meinte,

    als

    Abbildung

    von

    Gegenstanden

    ei

    die

    musikalische

    Komposition

    her

    mit

    der

    Poesie

    und

    Malereials mit derRhetorikzu vergleichen29.

    Der

    BegriS

    der

    musikalisch-rhetorischen

    der

    musikalisch-poetischen

    igur

    ist

    also

    vieldeutig.

    Neben

    tonenden

    Abbildern

    on

    Gegenstanden

    ndVorgan-

    gen

    umfaBte

    r

    Mittel

    des

    Affektausdrucks

    nd

    sogar

    rein

    musikalische

    Sach-

    verhalte

    wie

    die

    Fuge,

    die

    gegenuber

    em

    einfachen

    Kontrapunkt,

    er

    musikali-

    schen

    oratio

    simplex,

    als

    ornatus

    erschien30.

    uch

    ungewohnliche

    issonanzen,

    VerstoBe

    egen

    die

    Schulregeln,

    wurden

    als

    Figuren

    gerechtfertigt:

    Dem

    Kom-

    ponisten

    ei

    es,

    wie

    dem

    Rhetor

    oder

    Poeten,

    gestattet,

    sich

    uber

    mancheVor-

    schriftenderGrammatikerinwegzusetzen3l.

    Der

    musicus

    poeticus

    des

    17.Jahrhunderts

    war

    Bildner,

    Redner

    und

    Maler.

    II

    1.

    An

    dem

    Topos,

    daB

    es

    das

    Ziel

    der

    Musik

    sei,

    Poesie

    zu

    werden,

    hielt

    die

    Musikasthetik

    uch

    im

    18.Jahrhundert

    est.

    Johann

    Adolf

    Scheibe

    unterschei-

    det

    1745,

    kaum

    anders

    als

    Johann

    Lippius

    ein

    Jahrhundert

    ruher32,

    rei

    Arten

    von

    Musik,

    die

    er

    als

    Stufen

    einer

    Entwicklung

    begreift:

    ine

    ,,magere

    und

    ein-

    29S.CALVISIUS, xercitatio Mql,sica ertia, Leipzig 1611: ,,Unicum tantum mone-

    bo,

    quod

    Musica

    videri

    posset

    magis

    cum

    poesi

    et

    pictura

    conferri

    debuisse,

    quam

    cum

    Oratoria

    facultate...

    Omnes

    eodem

    fere

    modo

    elegantibus

    fictionibus,

    quae

    rem

    menti,

    oculis,

    auribus

    cum

    omnibus

    circumstantiis

    subjiciunt,

    utuntur.

    Et

    poe-

    sis

    quidem

    tropis

    et

    schematibus

    praeter

    alias

    figuras,

    res

    exornat,

    Pictura

    conve-

    nienti

    umbrae

    proiectione

    easdem

    ad

    vivum

    depingit,

    Musica

    varietate

    intervallo-

    rum,

    consonantiarum,

    clausularum

    et

    fugis

    eas

    repraesentare

    conatur,

    quae

    omnia

    faciunt

    ad

    usum

    et

    delectationem

    auditorum

    (nach

    RUHNKE,

    a.a.O.

    S.

    140).

    Den

    Vergleich

    zwischen

    Musik

    und

    Poesie

    scheint

    CALvIsIus

    von

    ZARLINO

    a.

    a.

    O.,

    lib.III

    cap.

    26),

    die

    Entgegensetzung

    des

    Redners

    und

    des

    Poeten

    dagegen

    von

    J.C.ScA-

    LIGER

    bernommen

    zu

    haben,

    der

    ,,in

    dem

    persuadere

    und

    movere

    einerseits,

    dem

    imitando delectare andererseits einen wesentlichen Unterschied der beiden artes

    liberales

    erkannte

    (K.BORINSEI,

    Die

    Poetik

    der

    Renaissance

    qznd

    die

    AnfEnye

    der

    litterarischenKritikinDeutschland,Berlin

    1886,

    S.71).

    30

    ,Insere

    saepe

    fugas

    et

    erit

    subtile

    poema

    heiBt

    ein

    im

    16.

    Jh.

    mehrfach

    zitier-

    ter

    Spruch

    des

    VENZESLAUS

    HILO1TH

    LS

    (W.M.

    LUF1

    LSs

    a.a.

    O.

    S.

    103;

    RUHNKE:,

    a.a.O.

    S.

    135).

    31

    J.NUCIUS,

    Mqhsica

    poetica,

    NeiBe

    1613,

    cap.

    7:

    ,,Ut

    enim

    praestantibus

    et

    e2r-

    cellentibus

    solummodo

    Poetis.

    . .

    quaedam

    vitia

    non

    raro

    donantur ,

    so

    auch

    hervor-

    ragenden

    iliomponisten;

    vgl.

    auch

    C.DAHLHAUS,

    Dte

    :Fig?urae

    uperJEciales

    n

    den

    Traktaten

    Christoph

    Bernhards,

    Kongr.-Ber.

    Bamberg

    1953,

    S.

    135ff.;

    dazu

    H.H.

    EGGEBRECHT,

    ber

    Bachs

    geschichtlichen

    Ort,

    DVjLuG

    NNXT,

    1957,

    S.

    546,

    Anm.

    48.

    32

    J.LIPPIUS,

    DiSplitAtiO

    mtbsica

    secunda,Wittenberg 1609, fol.

    C

    1: ,,Sicut autemOratio primum est simples

    et

    pura,

    sc.

    Grammatica:

    deinde

    ornata

    eaque

    aut

    prosa

    Rhetorica,

    aut

    ligata

    Poetica:

    ita

    Cantio

    etiam

    tanquam

    oratio

    Musica

    primum

    est

    simplicior:

    deinde

    ornatior

    absolutius

    vel

    strictius.

    Noch

    J.N.FoRwEL

    unterschei-

    det

    im

    gleichen

    Sinne

    zwischen

    musikalischer

    ,,Prosa

    und

    ,,Poesie

    (Einleitg

    zur

    Allgemeinen

    Geschichte

    der

    Mqhsik,

    Leipzig

    1788,

    §

    43).

    Im

    19.

    und

    20.Jh.

    erhalt

    der

    Ausdruck

    ,,musikalische

    Prosa

    andere

    Bedeutungen

    (C.DAHT.HAUS,

    Mus*kalische

    Prosa,

    NZfM

    axxv,

    1964,

    S.

    176ff.).

  • 8/16/2019 Dahlhaus Poesie

    9/16

    Musica poetica und

    musikalische Poesie

    117

    faltige Prose , eine

    ,,mittelmaBige,

    doch flieBende und angenehme Rede

    und

    ein ,,geschicktes, und mit allen

    gehorigen Zierrathen

    versehenes, Gedichte 33.

    lfinter der

    tZbereinstimmungder

    Formeln aber verbirgt sich eine

    tiefgreifende

    Differenz der

    Meinungen. Die

    Musikasthetik des 18.Jahrhunderts ist,

    explizit

    oder unausgesprochen, prirnar

    Opernasthetik. DaB sich,

    wie Scheibe es aus-

    druckt, ,,die

    musikalische Schreibart

    einer vernunftigen poetischen

    Schreibart

    zu nahern

    angefangen hat, verdankt

    sie der ,,Aufnahme der Oper 34.

    Auch

    von der

    Instrumentalmusik erwartet

    Scheibe, daB sie kantabel und

    ,,sprechend

    sei; wer einen

    Konzert- oder

    Sonatensatz komponieren wolle, tue ,,wol,

    wenn

    er

    sich allemal den Charakter einer

    Person, oder eine

    Sitllation, eine Leiden-

    schaft bestimmt

    vorstellt, und seine Phantasie so lang

    anspannt, bis er eine

    in

    diesen Umstanden sich befindende Person glaubt reden zu horen

    35.

    Ein Kom-

    ponist verdient den

    Namen eines

    Poeten, wenn er ,,ruhrend und

    ausdruckend

    setzen kann 36.Der fabricator und

    aedificator, der musicus poeticus der

    Kon-

    trapunktlehre, gerat

    in den Verdacht, ein bloBer

    ,,Mechaniker zu sein;

    und

    ,,Mechanik ist in

    der Sprache des

    18.Jahrhunderts der Gegensatz zu

    ,,Poesie .

    Musiktheoretisch

    ist die Veranderung

    vom Bedeutungswandel des

    Melodie-

    begriffs ablesbar. Im

    17. und noch im

    fruhen 18.Jahrhundert verstand

    man

    unter ,,Melodie einen mehrstimmigen

    Satz und unter einem

    ,,Melopoeten

    einen Kontrapunktiker. Dem verwirrendenWortgebrauch ag eineVerquickung

    des antiken und des

    neuzeitlichen IIarmoniebegriffs

    zugrunde. ,,Elarmonie ,

    der

    Inbegriff geregelter Tonbeziehungen,

    war nach antiker,

    im 16.Jahrhundert er-

    neuerter Terminologie ein

    Teilmoment der Melodie

    (neben Rhythmus und

    Sprache)37.Aber

    auch der

    mehrstimmige Satz wurde seit dem 16.

    Jahrhundert

    als

    IIarmonie

    verstanden und ,,IIarmonie genannt;

    und das Resultat

    einer

    33 J. A. SCIBE, CrttischerMustcus,

    Leipzig 1745, S. 641 :,,Wenn ich unsere

    itzige

    musikalische

    Schreibart gegen die

    Schreibart unserer Vorfahren nur noch vor

    drey-

    Big und vierzig Jahren

    halte: so dunkt

    mich eben den Unterschied anzutreffen,

    der

    insgemein ein geschicktes und mit allen gehorigen Zierrathen versehenes, Gedichte

    von einer mittelmabigen, doch

    flieBenden und angenehmen

    Rede unterscheidet;

    d gehe ich endlich noeh weiter zuruck:

    so wird man kallm die Spuren einer

    ma-

    gern und einfaltigen

    Prose entdeeken.

    34 A.a.O. S. 655.

    35

    A.a.O. S. 560:

    A.SCHERING uhmt den ,,gesunden

    MeDsehenverstand ,

    der

    ,,aus diesen Satzen

    sprieht (CarlPhilipp

    EmanvelBach und das ,,redende

    Prinz*p

    in

    der Muszk, n: Vom musikalisehen

    :Kunstwerk, Leipzig

    21951, S. 240).

    36 Auf den Begriff der ,,wahren,

    natiirliehen Poesie ,

    den Gegensatz zum

    ,,Sehwulst , stutzte

    Seheibe seine Polemik gegen Baeh, den

    musikalisehen

    ,,Herrn

    von Lohenstein .

    ,,\7Viewill derjenige alle Vortheile erreiehen,

    die zur Erlanglmg

    des

    guten Gesehmacks gehoren, welcher sich am wenigsten um critische Anmerkungen,

    Untersuchungen und

    um die Regeln

    bekummert hat, die aus der Redekunst

    und

    Dichtkunst in der

    Musik doch so nothwendig sind, dab man

    auch ohne

    dieselben

    unmoglich ruhrend

    und ausdruckend

    setzen kann (nach PH. SPITTA,

    J.S.Bach,

    Bd. II, Leipzig 1880,

    S. 64). Auch

    J.MATTHEsoN ah im ,,bewegenden und

    ruhren-

    denWesen die ,,wahre melodisehe

    Schonheit (a.a.O. S.

    140).

    37 D.P.WAL1;RSDer mqxsikalische

    lumanismusm 16. und

    r¢hen 1 7.Jh., iKassel

    1949, S. 35ff.

  • 8/16/2019 Dahlhaus Poesie

    10/16

    118

    Carl Dahlhaus

    Verschrankunger Begriffewar dieVorstellung, aBder Kontrapunkt in Teil-

    momentder Melodie ei. Seth Calvisiusnannte seine Lehrevom mehrstimmi-

    gen Satz ,,Melopoiia,ive melodiae ondendae atio, quamvulgo MusicamPoe-

    ticam vocant 38.

    Schon im 17.JahrhundertpolemisierteGiovanniBattista Doni, der seine

    Rechtfertigung er Operdurcheinen Ruckgriff uf die antike Terminologie u

    stutzen suchte, gegen den umfassendenMelodiebegriff, er den Kontrapunkt

    einschloB39. och setzte sich die Einschrankung es MelodiebegriSs uf die

    IIauptstimme rst um 1730 durch40.Bei Johann Matthesonund Rousseau st

    dann ,,Melodie der GegenbegriS u ,,Harmonie und der ,,Melopoet tatt

    eines Kontrapunktikers in Erfinder ,singbarer und ,,ruhrender Iaupt-

    stimmen4l.

    Erfindung, ie ,,Kraftzu dichten

    2,

    abergalt als Sachedes ,,Genies ;poeta

    nascitur. Die musikalischePoetik verwandelte sich aus einer Lehre vom

    mehrstimmigen atz in eine Jisthetikdes Genies.Der ,,reineSatz , das Lehr-

    bare an der Musik, st nach Johann Philipp Kirnberger, er uber die ,,Kunst

    des reinen Satzes in der Musik Hundertevon Seiten schrieb,das ,,geringste

    Verdienst inesTonsetzers. ,Es verhaltsich mit der Musik,wie mit der Bered-

    samkeit; die erste Eigenschaftdes Redners st, daB er die Grammatik einer

    Sprache erstehe,das ist, sich verstandlich nd reinauszudrucken isse.Dieses

    allein aberhilft ihm sehr wenig

    3.

    ,,Die Erfindung ines einzigenmelodischen

    SatzesoderEinschnittes,der ein verstandlicher atz aus der Spracheder Emp-

    38 Erfurt 1592. 39 J.MATTXSON, a.a.O. S. 137.

    40

    J.G.WALTHER efiniert 1732 im Mustcaltschen Lextcon (Faksimile-Naehdruek

    hg. von R.SCHAAL, Kassel 1953) ,,Melodia als ,,Sang-Weise, eontinuata sonorum

    eonnexio (S. 396) und unterseheidet an der ,,Musiea poetiea zwei Momente: ,,die

    :Kunst, Melodien zu erSnden, und die eon- und dissonierende :Klange mit einander

    zu vermisehen (S. 434).

    41 ,,\Vir legen hergegen die Melodie zum Grunde der gantzen Setz-:Kunst, und

    konnen gar nieht begreiffen, warum man den deutliehen Untersehied zwisehen der

    ein- und mehrfaehen lIarmonie... niemahls in gehorige Betraehtung ziehet, wenn

    z.E. wieder alleVernunfft behauptet werden will: dab die Melodie aus der Harmonie

    entspringe, und alle Regeln der ersten von der andern hergenommen werden mus-

    sen (J. MATTH

    i

    soN, a. a. O. S. 133). ,,La Musique doit done neeessairement ehanter,

    pour toueher, pour plaire, pour soutenir l'interet et l'attention... Je eonelus done...

    ehe toute Musique qui ne ehante point est ennuyeuse, quelque harmonie qu'elle

    puisse avoir (J.-J.ROUSSEAU,Dtottonnatre de mustqxbe,Paris 1768).

    42

    aHRISTIANWOLFF (Psychologza

    emptrtca, Frankfurt und Leipzig 1733) unter-

    scheidet an der ,,Kraft zu dichten (facultas fingendi) die ,,Einbildungskraft (ima-

    ginatio, phantasia) vom ,,XVitz (ingenium), der Fahigkeit, Ahnlichkeiten wahrzu-

    nehmen (A.BAUMLER,Kants Krttzk der Urtetlskraft, Halle 1923, S. 141ff.; vgl. auch

    A.SCHERING,Das Symbol tn der Mq4szk,Leipzig 1941, S. 72ff.). Das ingenium wan-

    delt sich TOm ,MTitZ44Um ,Genie , sobald sich der Akzent vom Rombinationsver-

    mogen auf den ,,Einfall verlagert. J.MATTH>soNbetrachtet 1739 das Rolnbina-

    tionsverlnogen als ,,EIulffs-Mittel fur den ,,Nothfall eines Mangels an ,,schonen

    Einfallen (a.a.O. S. 121f., §§ 1, 8, 15 und 16).

    43 J.PH.KIRNBERGER,Dte Kqbestdes reinen Satzes tn der Mq4szk,Bd. II, 1. Abtl.,

    Berlin und Ronigsberg 1776, S. 3.

  • 8/16/2019 Dahlhaus Poesie

    11/16

    Musica poetica und

    musikalische Poesie

    119

    findung ist, und

    einetn einpfindsaxnenZuhorer die

    Geinuthslage, die ihn

    hervor-

    gebracht hat, fuhlen

    laBt, ist

    schlechterdings ein Werok des Genies und

    kann

    nicht durch Regeln gelehrt werden

    44.

    2.

    Instruinentalinusik, die nicht ,,redet und nichts

    ,,vorstellt , sei ein

    ,,blo-

    Bes Gerausch , heiSt

    es bei Scheibe45.

    Und Quantz beinerkt 1752: ,,Eine

    be-

    standige

    Lebhaftigkeit, oder lauter Schwierigkeit, Inachen

    zwarVerwunderung,

    sie

    ruhren aber nicht sonderlich 46. Sie

    sind

    ,,xnechanisch , nicht ,,poetisch .

    Johann Adaxn Hiller spricht zwei Jahre

    spater voin ,,Wunderbaren in der

    In-

    struinentalinusik,

    Ineint aber dasselbe wie Quantz:

    ,,Sprunge, Laufer,

    Brechun-

    gen , die

    Verwunderung erregen, das

    Herz jedoch leer lassen. Das

    ,,Wunder-

    bare ist das

    Gegenteil des ,,Naturlichen , der

    tnusikalischen ,,EInpfindungs-

    SPraChe 47

    Utn 1780 aber

    katn das

    ,,Wunderbare zu tnusikasthetischen Ehren;

    die

    Theorie der Instruinentalinusik

    rezipierte die Poetik

    Bodiners und Klopstocks.

    Sinn fur das

    Erhabene

    undWunderbare, nicht Naturlichkeit und Vernunft

    tna-

    chen den wahren

    Dichter. ,,Die

    Sinfonie , schreibt Johann Abrahaxn

    Peter

    Schulz in Sulzers AllgemeinerTheorie

    der schonenKunste, ,,ist zu dem

    Ausdruck

    des GroSen, des

    E'eierlichenund

    Erhabenen vorzuglich geschickt . Das

    Allegro

    einer Sinfonie sei

    ,,einer pindarischen

    Ode in der Poesie vergleichbar. ,,Es

    er-

    hebt und erschuttert wie diese die Seele des Zuhorers und erfordert denselben

    Geist, dieselbe

    erhabene Einbildungskraft, und dieselbe

    Kunstwissenschaft,

    uin darin glucklich

    zu sein 48.Die

    Verwirrungder Gefuhle, in die eine

    Sinfonie

    den Horer versetzt, erscheint, gleich

    der ,,Unordnung in der Ode 49,als

    Merk-

    44

    A.a.O. S. 152.

    Ahnlich urteilt LESSING m 26. Stuck

    der Hambq4rgischen

    Dra-

    maturgie.

    45

    A. a. O. S. 560.

    46

    J. J. QUANTZ,

    Versuch einer Anweisung, die flute

    traversiere zu spielen,

    Berlin

    1552; Faksimile-Nachdruck hg. von

    H.-P.SCHMITZ,Kassel 1953, S. 305; vgl.

    auch

    R.SCHAFEE,Quantz

    als Asthetiker, Af3Iw

    VI, S. 219.

    47 J.A.HILLER, Von der Nachahmung

    der Natur in der

    Musik, in: F.W. MARPURGS

    Historisch-kritische Beytrage zur Augnahme der Mustk, I, 1754/55, S. 542: ,,Den

    Plan der Concerte und Solo entwerfe

    demnach wie zu andern musikalischen

    Stucken,

    allemal die Natur. Er sey allemal ein

    Gesang, der die

    Empfindungen des EIerzens

    kunstlich

    auszudrucken bemuht ist. Man

    schlieBe aber dasWunderbare nicht

    davon

    aus. Man bringe

    wohlgewahlte Sprunge, Laufer,

    Brechungen und dergleichen,

    an

    gehorigen Orten, und

    in gehoriger MaaBe

    an. Der Zusammenhang mit der

    Poetik

    BODMERSst HILLERbewuBt:

    ,,DasWunderbare ist in der Poesie von

    groBerWich-

    tigkeit. Doch scheut

    sich :ESILLER,ie

    ,,vernunftige Nachahmung der Natur

    preis-

    zugeben. ,,Man muB also auch

    dasWunderbare der Musik

    nicht ganz nehmen. Man

    muB nur gehorig zu

    bestimmen und einzuschranken

    suchen.

    48

    R. SONDHEIMER,

    ie Theorie der

    Sinfonie q4nddie Beurteilung einzelner

    Sinfonie-

    kombponisten ei den Musikschriftstellern des 18. Jhs., Leipzig 1925, S. 40. ,,+terwun-

    derung ist das

    Gefuhl, das der Anblick

    des Erhabenen erregt. ,,Und die

    entschei-

    dende Voraussetzung fur dies Pathos des

    Ausdrucks sowohl wie fur die GroBe

    der

    Gestaltung endlich ist, daB der Dichter

    selber empfinden

    muB, was er empfinden

    machen will

    (K.VIETOR,Die Idee des Erhabenen in der

    deutschen literatq4r,

    in:

    Geist und Form, Bern

    1952, S. 247; vgl. auch

    H.H.EGGEBRECHT,Das

    Aq4sdrucks-

    Prinzip im mq4sikalischenSturm und

    Drang, DVfLUG XXTX, 1955, S. 323ff.).

    49 C.F.FLOGEL, Geschichtedes

    menschlichen Verstandes,

    BreS1aU1765, S. 44: ,,Die

  • 8/16/2019 Dahlhaus Poesie

    12/16

    120

    Carl

    Dahlhaus

    mal

    des

    Erhabenen50.

    Philipp

    Etnanuel

    Bach

    wird

    1801

    in

    der

    Allyemeinen

    Mu-

    ikalischen

    eitung

    ls

    ,,ein

    anderer

    Klopstock

    geruhmt,

    der

    ,,Tone

    statt

    Worte

    rauchte .

    ,,Ist

    es

    die

    Schuld

    des

    Odendichters,

    wenn

    seine

    lyrischen

    Schwunge

    etn

    rohen

    Haufen

    Nonsens zu sein scheinen 2 Bach, heiSt es weiter,

    ,,zeigte:

    ie reine

    Musik

    sei

    nicht

    bloB

    Hulle

    fur

    die

    angewandte

    oder

    von

    dieser

    abstra-

    iert,

    sondern...

    vermochte

    sich

    zur

    Poesie

    zu

    erheben,

    die

    uin

    desto

    reiner

    sei,

    e

    weniger

    sie

    durch

    dieWorte

    (die

    itntner

    Nebenbegriffe

    enthalten),

    in

    die

    Re-

    ion

    des

    geineinen

    Sinnes

    hinabgezogen

    wurde

    51.

    Auf

    Klopstocks

    Poetik

    beruht

    auch

    Wackenroders

    ,,Seelenlehre

    der

    heutigen

    nstruinentalinusik .

    ,Keine

    Kunst

    schildert

    die

    EInpfindungen

    auf

    eine

    so

    unstliche,

    kuhne,

    so

    dichterische,

    und

    eben

    darutn

    fur

    kalte

    Geinuter

    so

    er-

    wungeneWeise 52.

    ,,Kunstlich,

    kuhn,

    dichterisch :

    der Anklang an die Theo-ie er Ode ist unuberhorbar.

    Ludwig

    Tieck

    pointierte

    die

    GedankenWackenroders.

    Die

    Instruinentaltnusik

    ede

    ,die

    hochste

    poetische

    Sprache ,

    wenn

    sie

    ,,ihren

    eigenenWeg

    geht

    und

    ich

    m

    keinen

    Text,

    uin

    keine

    untergelegte

    Poesie

    kuininert,

    fur

    sich

    selbst

    ichtet

    nd

    sich

    selber

    poetisch

    koininentiert

    53.

    DieWendung,

    daB

    die

    Instru-

    nentalinusik

    ich

    selber

    poetisch

    koininentiere,

    erinnert

    an

    ein

    Fraginent

    uber

    usik

    nd

    Philosophie

    von

    Friedrich

    Schlegel.

    Schlegel

    verwirft

    den

    ,,platten

    esichtspunkt

    er

    sogenannten

    Naturlichkeit ,

    nach

    welchetn

    ,,die

    Musik

    nur

    ie

    prache

    der

    EInpfindungsein soll , und findet ,,eine

    gewisse

    Tendenz

    aller

    einen

    Instrumentaltnusik

    zur

    Philosophie

    an

    sich

    nicht

    uninoglich .

    ,,MuB

    die

    eine

    Instrutnentalmusik

    sich

    nicht

    selbst

    einen

    Text

    erschaffen

    ?

    Und

    wird

    das

    Empfindllngen

    aben

    wohl

    auch

    ihr

    System

    und

    ihre

    Ordnung;

    und

    wir

    sind

    oft

    zu

    oreilig,

    aB

    wir

    glauben,

    alles

    sei

    unordentlich,

    was

    mit

    derselben

    nicht

    uberein-

    timmt.

    enn

    die

    Unordnung

    in

    der

    Ode

    ist

    ein

    bloBer

    Schein

    der

    Unordnung

    (nach

    A.

    AUMLER,

    .

    a.

    O.

    S.

    164).

    Wie

    I9LOGEL

    erbindet

    CHR.

    I9R.MIcw^wLIs

    en

    Eindruck

    des

    Erhabenen

    Init

    dem

    ,Schein

    der

    Unordnung .

    Werke

    der

    Tonkunst,

    in

    denen

    ,,das

    Mannigfaltige

    sich

    or

    der

    Einheit

    darzubieten und also keine wahre

    Schonheit

    stattzufinden

    cheine ,verdienten

    ,,eigentlich

    mehr

    erhaben

    als

    schon

    genannt

    zu

    werden,

    weil

    die

    Einbildllngskraft

    bei

    ihnen

    sich

    fast

    erschopft,

    das

    Mannigfaltige

    zu

    entwickelu.

    In

    anchen

    erselben

    ist

    die

    Mannigfaltigkeit

    viel

    zu

    groB,

    sie

    gleichen

    den

    goti-

    schen

    :Kunstwerken

    durch

    das

    tberladene,

    durch

    Anhaufung

    der

    Zieraten,

    und

    las-

    sen

    ich

    schwerlich

    in

    kurzer

    Zeit

    als

    ein

    Ganzes

    zusaranwenfassen

    (8ber

    den

    Geist

    der

    onkq4nst,

    eipzig

    1800,

    S.

    87f.).

    51

    RIEST,

    Bemerkq4ngen

    uber

    dte

    Aq4sbildq4ng

    er

    Tonkq4nst

    n

    Deutschland

    tm

    8.Jh.,

    Allgemeine

    Musikalische

    Zeitung,

    Leipzig

    1801

    (nach

    A.SCHERING,

    Beet-

    oven

    4nd

    dte

    Dichtq4ng,

    Berlin

    1936,

    S.

    572).

    Schon

    J.l9.REIczARDT

    verglich

    1774

    a.

    PH.

    .

    BACH

    mit

    ELOPSTOCE

    E.

    :19.

    crTD,

    Cart

    Philipp

    Emanthel

    Bach

    thnd

    seine

    Eammermusik,

    assel

    1931,

    S.

    84).

    52

    iEI.WAcKENRoDER,erke und

    Briefe,

    hg.

    von

    :F.

    VON

    DER

    LEYEN,

    Jena

    1910,

    I,

    S.

    89.

    aB

    die

    ,,Seelenlehre

    der

    heutigen

    Instrumentalmusik

    an

    die

    literarische

    heorie

    es

    Erhabenen

    anknupfte,

    zeigt

    auch

    die

    }iorrespondenz

    von

    TIECE

    ur

    d

    ACKENRODER

    ber

    die

    Moglichkeit,

    der

    Lehre

    des

    PsEI;Do-LoNGIN

    votn

    Erhabe-

    nen

    ine

    moderne

    Wendung

    zu

    geben

    (a.a.O.,

    II,

    S.

    22,

    29

    llnd

    43).

    3A.a.O.,

    ,

    S.303.

  • 8/16/2019 Dahlhaus Poesie

    13/16

    Musica poetica und musikalische Poesie

    121

    Thema in ihr nicht so entwickelt, bestatigt, variiert und kontrastiert, wie der

    Gegenstand der Meditation in einer philosophischen Ideenreihe 2 54 DaB die

    Instrumentalmusik ,,sich selber poetisch kommentiert , bedeutet also, wenn

    man Schlegels Fragment als Erlauterung gelten laBt, daB Musik nicht als ,,Emp-

    findungssprache , sondern gerade als ,,abgesonderte Welt fur sich 55 ,Poesie

    sei. Aus der ,,Verwunderung , die das Herz leer laBt, ist ein metaphysisches

    Staunen geworden.

    3. Dem Begriff der ,,musikalischen Poesie ist im 18. und fruhen 19.Jahr-

    hundert ein kaum entwirrbarer Reichtum an Bedeutungen zugewachsen. Ob

    eine Dichtung fur Musik, ein musikalischesWerkoder eine poetische Paraphrase

    uber Musik gemeint ist, laBt sich im allgemeinexl mit geringer Muhe entschei-

    den56. DaB aber sowohl die tonende ,,Seelensprache 57als auch die ,,reine Mu-

    sik , die ,,abgesonderte Welt fur sich selbst , musikalische Poesie genannt

    wurde, stiftet Unruhe in der asthetischen Terminologie. Der Ausdruck ,,poe-

    tische Idee , den Beethoven nach dem Zeugnis seines Famulus Anton Schindler

    ,,oft gebrauchte 58,scheint verschiedene und sogar entgegengesetzte Deutun-

    gen zuzulassen. Ist eine ,,poetische Idee , wie Arnold Schering meinte, eiIl ,,eso-

    terisches Programm

    9;

    oder ist sie ein musikalischer Gedanke, der einer Kom-

    position, einer musikalischen Poiesis, zugrunde liegt6°

    2

    54

    F. SCHTEGEL,

    Schrtften qhnd ragmente, hg. von E.

    BEHT R.R,

    Stuttgart 1956, S. 11.

    55 L.TIECE (E1:.WACEENRODER),

    .a.O. S. 294. R.

    SCHAFEE

    meinte,

    WACKE.N-

    RODER

    und

    TIECK

    gebrauchten ,,die Brorte Dichtung und Poesie im weitesten, grie-

    chischen, platonischen Sinne des Schopferischen

    (GCOldl;)

    uberhaupt (Geschichte

    der Musikasthetik in Umrissen, Tutzing 21964, S. 338). Doch wird erstens die theo-

    logische Metapher ,,Schopfer dem griechischenWortsinn nicht gerecht; und zwei-

    tens war fur

    WACKENRODER

    und

    TIECE

    nicht das Hervorbringen von Werken - sei

    es ein ,,Schaffen oder ein ,,Verfertigen -, sondern der Gegensatz zur ,,Prosa des

    Alltags das entscheidende Merkmal der ,,Poesie .

    56 J.MATTHESON

    verwendet in der Critica mustca II, Hamburg 1725) den Aus-

    druck ,,musikalischer Poet sowohl fur den Eomponisten als auch fur den Verfasser

    von Testen fur Musik. ,,Strophen schicken sich gar nicht zur Figural-Music. Sie

    sind eine Maladie der Melodie, eine rechte Pest der Compositionskunst, und ein har-

    tes Hals-Eisen musicalischer Poeten. Einem Marok-Schreyer und Liedermann stehen

    sie besser an (S. 311). ,,Eingegen muBen wir auch eines rechtschaffenen musicali-

    schen Poetens Worte nicht so grausam martern, als durch ZerreiBung des Testes,

    mehr denn zu viel, geschieht (S. 314). CHR.G. ERAIJSE Von der musikaltschen Poe-

    sie, Berlin 1753) und HERDER a.a.O., IV, S. 120) verstehen unter ,,musikalischer

    Poesie die Dichtung fur Musik.

    57

    ,,Das Poetische der Musik, die Seelensprache, welche die innere Lust und den

    Schmerz des Gemuths in Tone ergieBt, und in diesem ErguB sich uber die Natur-

    gewalt der Empfindung mildernd erhebt, indem sie das prasente Ergriffenseyn des

    Innern zu einem Vernehmen seiner, zu einem freien Verweilen bei sich selbst macht,

    und dem Herzen eben dadurch die Befreiung von dem Druck der Freuden und Lei-

    den giebt, - das freie Tonen der Seele im Felde der Musik ist erst die Melodie (HE-

    GEL,a.a.O., III, S. 180f.).

    58

    A.SCHINDLER,

    Biographie von Ludwig van Beethoven, Munster 31860, Bd. II,

    S. 212, Anin. 1.

    59

    A.

    SCWhRING,

    a. a. O.; dazu N.-E.

    RINGBO1E,

    Mberdie Deutbarkeit der Tonkunst,

    Helsirkki 1955. A.EEI;ss unterscheidet die ,,dichterische Idee von den ,,musikali-

    Archiv ftir Musikwissenschaft 1966 2

  • 8/16/2019 Dahlhaus Poesie

    14/16

    122

    Carl

    Dahlhaus

    Die

    geschichtlichen

    Zeugnisse,

    die

    Berichte

    von

    Schindler,

    Ries,

    Czerny

    und

    anderen,

    ind

    widerspruchsvoll,

    solange

    man

    in

    der

    Entgegensetzung

    von

    Form-

    und

    Inhalts-

    oder

    Autonomie-

    und

    Heteronomieasthetik

    befangen

    ist,

    einer

    un-

    glucklichen

    Alternative,

    die

    aus

    derzweiten Halfte des 19.Jahrhundertsstammt.

    Auf

    falsche

    Fragen

    antworten

    die

    Texte

    verworren.

    Nicht

    der

    Streit

    um

    abso-

    lute

    und

    Programmusik,

    sondern

    der

    Versuch,

    ,,Poetisches

    von

    ,,Mechani-

    schem ,

    ,,Prosaischem

    und

    ,,Historischem

    zu

    unterscheiden,

    bestimmte

    oder

    farbte

    die

    musikasthetische

    Terminologie

    der

    Zeit

    um

    1800.

    Utlter

    den

    Verdacht,

    bloBe

    Mechanik

    zu

    sein,

    fiel

    auBer

    leerer

    Virtuositat

    auch

    die

    Fuge

    in

    der

    Gestalt

    der

    Schulfuge.

    Auf

    der

    Kontrastierung

    von

    ,,Poe-

    sie

    und

    ,,Mechanik

    beruht

    BeethovensWort

    uber

    die

    Fuge:

    ,,Heut

    zu

    Tage

    muBin die althergebrachte Form ein anderes, ein wirklich poetisches Element

    kommen

    62.

    Der

    Gegensatz

    zwischen

    ,,Poesie

    und

    ,,Prosa

    begrundete

    bei

    Tieck

    die

    These,

    Musik

    sei

    um

    so

    ,,poetischer ,

    je

    weiter

    sie

    der

    ,,prosaischen

    Wirklich-

    keit

    entruckt

    ist.

    Beethoven

    dachte

    nuchterner.

    Zwischen

    Skizzen

    zur

    Pastorale

    steht

    die

    Notiz:

    ,,Jede

    Mahlerei,

    nachdem

    sie

    in

    der

    Instrumentalmusik

    zu

    weit

    getrieben,

    verliehrt

    63.

    Nicht

    die

    Tonmalerei

    als

    solche

    erschien

    ihm

    bedenk-

    lich,

    sondern

    die

    tbertreibung

    ins

    Kleinliche,

    der

    ,,poetische

    Materialismus ,

    schen Einfallen , die Beethoven in den Skizzenbuchern notierte. Die Einfalle seien

    erst

    dureh

    ,,einen

    geistigen

    Vorwurf,

    heiBe

    er

    Bonaparte,

    Leonore,

    Coriolan

    oder

    sonstwie ,

    aus

    ,,ihrem

    Dornroschenschlaf

    erweckt

    worden

    (Beethoven

    in

    der

    jung-

    sten

    Gegenwart,

    ZfMw

    III

    1920/21,

    S.

    242).

    Ist

    Napoleon,

    sei

    er

    auch

    ,,derWeltgeist

    zu

    Pferde ,

    eine

    ,,poetische

    Idee

    ?

    60

    J.BAHLE,

    Eingebung

    und

    Tat

    ien

    musikalischen

    SchaJ%en,

    eipzig

    1939,

    S.

    179ff.

    BAHLE

    stutzt

    sich

    auf

    eine

    AuBerung

    BEETHOVENS

    ber

    , ,die

    zugrundeliegende

    Idee

    die

    LOUIS

    SCHLOSSER

    berlieferte

    (Beethoven,

    Briefe

    und

    Gesprache,

    hg.

    von

    M.Ei,;RLIMANN,

    urich

    21946,

    S.

    200).

    ,,Zugrundeliegende

    Idee

    bedeutet

    vermut-

    lich

    nicht

    ,,Hauptgedanke ,

    sondern

    ,,Anlage

    im

    Sinne

    von

    H.CHR.KOCH:

    ,die

    schon

    mit

    einander

    in

    Verbindung

    gebrachten

    Hauptgedanken

    des

    Satzes,

    die

    sich

    zusammen dem Tonsetzer als ein vollkommenes Ganzes darstellen

    (Versu.ch

    einer

    Anleitung

    zur

    Composition,

    II,

    Leipzig

    1787,

    S.

    53).

    KOCH

    unterscheidet

    die

    ,,An-

    lage

    von

    der

    ,,Ausfuhrung

    und

    der

    ,,Ausarbeitung

    (S.

    52),

    BEETHOVEN

    ie

    ,,Ideen

    von

    der

    ,,Ausarbeitung

    (Eonversationsheft

    55

    der

    Berliner

    Staatsbiblio-

    thek;

    naeh

    A.

    SCHMITZ,

    ur

    Frage

    nach

    Beethovens

    Weltanschavung

    und

    ihrem

    mus?>-

    kalischen

    Auedruck,

    in:

    Beethoven

    und

    die

    Gegenwart,

    Berlin

    und

    Bonn

    1937,

    S.

    179,

    Anm.

    35).

    61

    A.SCHINDLER

    ontrastiert

    BEETHOVENS

    ,musikalische

    Poesie

    den

    ,,von

    den

    modernen

    Klavier-Mechanikern

    ausgegangenen

    Irrlehren

    in

    Beethovens

    Musik

    (a.

    a . o

    .,

    2

    1845;

    nach

    SCHERING,

    .

    a.

    O

    S

    .

    57

    6 )

    H

    . CHR.

    EOCH

    unterscheidet

    das

    Er-

    wecken

    ,,schoner

    Empfindungen

    vom

    ,,Mechanischen

    der

    Kunst

    (a.a.O.

    S.

    37).

    62tberliefert von K. HOLZ;

    vgl.

    SCHERING,

    . a.

    O.

    S.

    26.

    63

    P.MIES,

    I)ie

    Bedeutung

    der

    Skizzen

    Beethovens

    zur Erkenntnis seines Stiles,

    Leipzig

    1925,

    S.

    137.

    ,,Beethoven

    dachte

    sich

    bei

    Compositionen

    oft

    einen

    bestimrn-

    ten

    Gegenstand,

    obschon

    er

    uber

    musikalische

    Malereien

    haufig

    lachte

    und

    schalt,

    besonders

    uber

    kleinliche

    derArt

    (Biographische

    Notizen

    uber

    ludwtg

    van

    Beethoven

    von

    Wegeler

    und

    Ries,

    Neudruck

    von

    A.

    CHR.

    KALISCHER,

    erlin

    und

    Leipzig

    21906,

    S.

    92

    f.).

    H.CHR.EOCH

    sieht

    in

    kleinlicher

    Tonmalerei

    und

    Charakteristik

    die

    Zei-

    chen

    eines

    ,,der

    Absicht

    der

    Tonkunst

    schadlichenWitzes

    (a.a.O.

    S.

    40).

  • 8/16/2019 Dahlhaus Poesie

    15/16

    Musica poetica

    und rnusikalische Poesie

    123

    um mitJean Paul

    zu sprechen

    4.

    Entscheidenedst die

    Differenz wischen ,poe-

    tischer und ,,prosaischer

    achahmung,

    nicht der Gegensatz wischen

    abso-

    luter und Programmusik.

    ,Poetische

    Nachahmung ,heiSt es bei Jean

    Paul,

    entsteht, wenn ,einedoppelteNaturzugleichnachgeahmtwird,die innereund

    die auSere,beide

    hreWechselspiegel

    5.

    Nichts anderes

    besagtBeethovens

    For-

    mel ,,MehrAusdruck

    der Empfindung ls Mahlerey .

    So unleugbar

    s ist, daS ein groSerTeil von Beethovens

    Werkendurch

    Vor-

    stellungen von

    Charakteren,Temperamenten

    nd Situationen mitbestimmt

    ist66,so bedenklich

    rscheintdie

    Gleichsetzung on ,,poetischer dee

    und lite-

    rarischemProgramm. n der Musikasthetik

    wurde

    wie in der Dichtungstheorie

    das ,,Poetische

    vom ,,Historischen nterschieden;

    nd als ,,historisch

    be-

    zeichneteFriedrichRochlitz67 undspaterRobertSchumann68die Programm-

    musik, die musikalischeErzahlung

    iner Geschichte.

    Auch Schindler etzt die

    DiSerenz zwischen,,Poesie und

    ,,Historie voraus, wenn er die

    Methode,

    ,,BeethovensWerkeinzelnenDichtungen

    nzupassen, erwirft,weil

    sie ,,viel

    zu sehr in den

    SchrankenbestimmterWirklichkeit

    befangen ei69.Als Pro-

    grammmusikalischerWerke

    st epischeoder dramatische

    Poesie ,,historisch ,

    nicht ,,poetisch .

    4. Die musikalischenRomantiker

    waren ,,Beethovener ;und ,,Poesie

    ist

    derzentraleBegriff

    n den Kritiken

    RobertSchumanns, ie aus der Poetik

    Jean

    Pauls eine Musikasthetik ntwickeln70. oiesis erscheinterstens als Gegenbe-

    griff zu Mimesis,

    ur Kopie von

    Vorbildern7l nd zur Nachahmung

    derWirk-

    lichkeit72. weitensbetont Schumann

    en Kontrast

    zur ,,Prosa ,z-um,Trivia-

    len , ,,Flachen und ,,Gemeinen

    3. Gegenuber rosaischer

    Empirieerscheint

    64

    J.PAUL, Vorschule der Asthetik,

    hg. von N.MILLER,

    Munchen 1964, S. 34ff.

    65

    A.aO S. 43

    66 A.SCHMITZ,

    Das romantische

    Beethovenbild, Berlin und Bonn 1927,

    S. 78.

    67 Rezension

    der Didone-Sonate von MUZIO LEMENTI;

    bgedruckt bei SCH

    RING,

    a.a.O. S.573.

    68

    R.SCHUMANN,GesamenelteSchrtften uber Mustk und Musiker, hg. von H. SI

    MON,Leipzig o.J.,

    3 Bande, ,,Doch darfman ebensowenig,

    wie bei der Ouverture

    zu

    Shakespeares

    Sommernachtstraum, in dieser [Mendelssohns

    Melusine-Ouverture]

    einen so groben

    historischen Faden fortleiten wollen.

    So dichterisch Mendelssohn

    immer auffaBt,

    so zeichnet er auch

    hier nur die Charaktere desWeibes und

    des Man-

    nes... (I, S. 157f.).

    69 SCHERING,

    . a. O. S. 563. Dagegen

    rneinte E. CZERNY, s bedeute eine

    Steige-

    rung zur ,,Poesie , wenn man in

    der Instrumentalmusik

    ,,die Erzahlung von Be-

    gebenheiten hore

    (a.a.O. S. 569).

    70 A. SCHMITZ,

    ie asthetischen

    Anschavungen R. Schumanns tn thren Beziehungen

    zur ronzantischen

    Ltteratur, ZfMw

    III, 1920/21, S. lllff.

    71

    ,,...verlang' ich mit einemWorte poetische Tiefe und Neuheit uberall, im Ein-

    zelnen wie im

    Ganzen... (II, S. 136).

    ,,Irgend einen poetischen Zug, etwas

    Neues

    in der Form oder

    im Ausdruck hat fast jede (II, S.

    162).

    72

    ,,Der Kornponist schlieBt mit

    einem Traum, dern

    poetischsten Stuck der Samm-

    lung (I,S.218).

    73

    MOSCHELES,stellt sich in die

    jungern Reihen, mit ihnen gegen Formwesen,

    Modeherrschaft

    und Philisterei zu

    ziehen. So finden wir denn auch

    im

    Trio

    die Idee

    9e

  • 8/16/2019 Dahlhaus Poesie

    16/16

    124

    Carl

    ahlhaus,

    usica

    poetica

    und

    rousikalische

    Poesie

    ,,Poesie

    ls

    das

    ,,tybersinnliche

    74,

    gegenuber

    den

    Einschrankungen

    des

    pro-

    saischen

    lltags

    als

    Reich

    der

    ,,Freiheit 75.

    Drittens

    ist

    das

    ,,Poetische

    der

    Widerpart

    um

    ,,Mechanischen

    und

    ,,Gemachten

    78,

    sowohl

    zu

    bloSer

    Virtuo-

    sitat

    7

    ls

    auch

    zur Borniertheit eines musikalischenHaIldwerks,

    das

    sich

    selbst

    genuGt

    8

    ,,Poetisierung

    er

    Musik79

    bedeutet

    aber

    nicht

    ,,Literarisierung .

    Die

    litera-

    rischen

    araphrasen

    uber

    Musik

    sind

    vom

    Begriff

    der

    ,,musikalischetl

    Poesie

    her

    u

    verstehen,

    nicht

    umgekehrt.

    Die

    ,,musikalisch-poetischen

    Phantasien

    80

    E.T.

    .

    HoSmanns

    und

    Schumanns

    waren

    nicht

    als

    Reduktionen

    eines

    musika-

    lischen

    bbildes

    auf

    ein

    poetisches

    Urbild

    gemeint,

    sondern

    als

    Versuche,

    das

    Reich

    u

    entdecken,

    in

    dem

    die

    ,,Poesie

    der

    Musik

    und

    die

    ,,Poesie

    der

    Poesie

    sichegegnen. ,,Die Asthetik der einen

    Kunst ,

    schrieb

    Schumann,

    ,,ist

    die

    der

    andern

    1.

    vorherrschend,

    oetischen

    Grundstoff,

    edlere

    Seelenzustande

    (I,

    S.

    201).

    ,,Das

    all-

    gemeine

    rosaische

    Mantellied

    kann

    aber

    schwerlich

    zu

    AuBerordentlichem

    begei-

    stern,

    nd

    durfte

    es

    nicht

    einmal,

    da

    eben

    auch

    Variationen

    ein

    Ganzes

    bilden

    sollen,

    das

    einen

    Mittelpunkt

    im

    Thema

    hat

    (II,

    S.

    18

    ).,

    ,Ein

    deutlicheres

    Beispiel

    des

    be-

    stenWillens

    ach

    hoherem

    Aufflug,

    bei

    grundlichstem

    Festsitzen

    auf

    prosaischem

    Boden...

    iebt

    es

    schwerlich

    auf

    der

    Welt

    noch

    einmal

    (II,

    S.

    71).

    ,,...Adel

    der

    Dichtung...

    III,

    S.

    64).

    ,,...Mendelssohn,

    dessen

    aristokratisch-poetischem

    Cha-

    rakteriese Gattung [das Streichquartett]

    auch

    besonders

    zusagen

    muB

    (III,

    S.

    00).

    74

    ,,Es

    bleiben

    noch

    das

    ,Kindermarchen'

    und

    der

    ,Traum'

    ubrig,

    die

    mir

    als

    die

    zartesten

    nd

    poetischsten

    der

    Sammlung

    gelten.

    Hier,

    wo

    sie

    ins

    tbersinnliche,

    in

    das

    eisterreich

    hinuberspielt,

    ubt

    die

    Musik

    ihre

    volle

    Gewalt

    (II,

    S.

    154).

    75

    ,,Dieses

    Nichtbestimmtsein

    eines

    eigentlichen

    Konzertabends

    giebt

    aber

    dem

    Institut

    ogar

    einen

    leichten

    Anstrich

    von

    poetischer

    Freiheit...

    (II,

    S.

    106).

    76

    Der

    Unterschied

    ist

    manchmal

    als

    erganzender,

    manchmal

    als

    ausschlieBender

    Gegensatz

    emeint.

    77

    ,,Dene

    nach

    drei

    Dingen

    sehe

    ich

    als

    Padagog

    besonders,

    gleichsam

    nach

    Blute,

    Wurzel

    und

    Frucht,

    oder

    nach

    dem

    poetischen,

    dem

    harmonisch-melodischen

    und

    demmechanischen Gehalt,

    oder

    auch

    nach

    dem

    Gewinn

    fur

    das

    Herz,

    fur

    das

    Ohr

    und

    ur

    die

    Hand

    (I,

    S.

    59). ,,Wenn die Schumannsche Bearbeitung

    mehr

    die

    poe-

    tische

    Seite

    der

    Komposition

    zur

    Anschauung

    bringen

    wollte,

    so

    hebt

    Liszt, aber

    ohne

    jene

    verkannt

    zu

    haben,

    mehr

    die

    virtuosische

    hervor

    (III,

    S.

    98).

    78

    ,,Alles

    zusammengenommen,

    Czernys

    Fugenwerk

    bleibt

    als

    Beitrag

    zur

    Ge-

    schichte

    des

    Verfassers

    immerhin

    bemerkenswert;

    im

    ganzen

    Kreis

    der

    Erschein

    gen

    ist

    es

    als

    eine

    unechte,

    halbwahre

    und

    gemachte

    Musik

    nicht

    anzuschlagen

    .

    .

    .

    Die

    meisten

    der

    Bachschen

    Fugen

    sind

    aber

    Charakterstucke

    hochster

    Art,

    zllm

    Teil

    wahrhaft

    poetische

    Gebilde

    (II,

    S.

    144f.).

    79

    Vg].W.WIORA,

    Die

    Musik

    im

    Weltbild

    der

    deutschen

    Romantik,

    in:

    Beitrage

    zur

    Geschichte

    der

    Musikanschauung

    itn

    19.Jh.,

    hg.

    vonW.SALMEN,

    Regensburg

    1965,

    S. llff.

    80

    ,,Musikalisch-poetisch

    nenet HOFFmANNohannes

    Ereislers

    Kommentare

    zu

    einer

    Akkordprogression.

    81

    A.a.O.,

    I,

    S.

    40.

    Poesie

    sei

    die

    gemeinsameWurzel

    von

    Dichtung

    und

    Musik,

    schrieb

    ACHIM

    VON

    ARNIM

    m

    9.

    Juli

    1802

    an

    BRENTANO

    R.

    STEIG,

    Achim

    von

    Arnim

    und

    Clemens

    Brentano,

    Leipzig

    1894,

    S.

    38);

    Und

    bei

    SOLGER

    eiBt

    es:

    ,,Ist

    demnach

    die

    Poesie

    eine

    besondere

    Kunst,

    so

    ist

    es

    doch

    nur

    eine,

    die

    zugleich

    die

    ganze

    Kunst

    selber

    ist

    (Erwin,

    Berlin,

    1815,

    II,

    S.

    77).