Dahlhaus Aesthetik Und Wiener Klassik

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  • 8/16/2019 Dahlhaus Aesthetik Und Wiener Klassik

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    Romantische Musikästhetik und Wiener Klassik

    Author(s): Carl DahlhausSource: Archiv für Musikwissenschaft, 29. Jahrg., H. 3. (1972), pp. 167-181Published by: Franz Steiner VerlagStable URL: http://www.jstor.org/stable/930417

    Accessed: 25/06/2009 05:56

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    Romantische usikasthetikndWienerKlassik

    von

    CARL DAl:TT.l:T;AUS

    Die Vorstellung ines ,,Gansemarsches er Epochen ,wie Ernst Bloch das

    Schemader Geistesgeschichteohnischnannte, st langstpreisgegeben orden:

    Niemand eugnet mehr das Nebeneinander ivergierender endenzen n Zei-

    ten, deren ruhergeruhmte ,Stileinheit bloBerSchein st, entstandenaus der

    Sehnsucht patererGenerationen, ie das, was ihnendie Gegenwart erweigert,

    in der Vergangenheituchen.Abersogardie unmittelbar inleuchtende ormel

    von der ,,Ungleichzeitigkeit es Gleichzeitigen st dem Verdachtausgesetzt,

    fragwurdigeMetaphysik u sein: Es ist schwierig,die These, daB die Simul-

    taneitat des geistig AuseinanderstrebendenloBe ,,AuBenseite ines ,,inne-

    ren Nacheinander ei, vor dem Vorwurfzu schutzen,eine spekulativeAus-

    flucht zu sein, um die geschichtsphilosophischedee, daB der Geist der einen

    Epoche aus dem der anderen ,hervorgehe , iner Widerlegung urch die ge-

    schichtlicheWirklichkeit,n der das Entgegengesetzte ebeneinander esteht,

    zu entziehen.

    Das ,,romantischeBeethovenbild ,die Beethoven-DeutungE. T. A. Hoff-

    manns, nach Arnold Schmitzl ein enthusiastischesMiSverstandnis, tammt

    von einem Zeitgenossen, icht einem Nachgeborenen.Und BeethovensBrief

    an HofEmannom 23. Marz1820 zeigt, daBer die Rezensionen, ie eine Meta-

    physik der Instrumentalmusik ntwarfen,keineswegsals befremdend mp-

    fundenhabenkann; nichts berechtigtdazu, den Brief als ein Stuck Taktikab-

    zutun). Die romantischeMusikasthetik,reprasentiertdurch Wackenroder,

    Tieck und E. T. A. :EIoffmannwenn nicht bereitsdurchdieBltoke esnes Ton-

    kunstlerssn dse Muszk der Gesster1787)des Reichsfreiherrnon Dalberg , und

    die Wiener Klassik, als deren UrsprungsurkundeEIaydns,RussischeQuar-

    tette (1781)gelten, gehorenderselbenZeit an und konnenals derenGeist, n

    Worteoder n Tone gefaBt,begriffenwerden.

    1 A. SCH1WITZ,as romant*scheBeethovenb*ld.Darstellung und Kr*t*k,Berlin und

    BOnn 1927.

    Archiv fur Musikwissenschaft ggIX/3, 1972

    12

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    Carl Dahlhaus

    Verwirrenderber als die Gleichzeitigkeit eterogenerTendenzenund Tra

    ditionen st das Paradox, daB um 1800 weder der klassischenMusikHaydns

    und Mozarts ine klassischeMusikasthetik och der romantischenMusikasthe-

    tik Wackenrodersnd Tieckseine romantischeMusik ntsprach.Reflexionund

    kompositorische raxisklaStenauseinander. u einerasthetischenTheoiieder

    Klassik,die derenGeist und Bedeutungdem allgemeinen primardurchPhi-

    losophieund Literatur epragten BewuBtsein ermittelthatte, gab es in Wien

    nicht einmalAnsatze.(Wasder Mangelbesagt,zeigt sich sinnfallig,wenn man

    die Wirkungder OpernGlucksund Mozartsvergleicht).Und umgekehrtblieb

    die romantischeMusikasthetikMJackenrodersnd Tiecks insofern abstrakt,

    als sie auf Musik chlechthin und nicht auf eine bestimmteArt von Musik

    bezogenwerdenmuBte;erst im Ruckblickerschien ie als literarischeAntiziZ

    pation der musikalischenRomantik eit 1814.

    Gustav Becking versuchte den geschichtsphilosophischerstorendenAb-

    stand zwischen omantischerMusikasthetik nd Musikdadurch u verringern,

    daBer E. T. A. Hoffmann nd den PrinzenLouisFerdinand u Reprasentanten

    einerersten Generation omantischerRomponisten rklarte.Er vermiedaller-

    dings die Behauptung,daB die im erstenJahrzehntdes 19. Jahrhunderts nt-

    standenenKammermusik- nd Klavierwerke on Hoffmannund Louis Fer-

    dinand romantischgepragt und geformt seien; das Romantischebleibe viel-

    mehrbloBe ntentionund gehoredennoch,ohne eigentlichkomponiert u sein,

    zum Werk als asthetischemGegenstand. ,Es wird immer nur gemeint; Ver-

    wirklichung ann es nicht geben 2.Das ,,Geisterreich ,HofEmanns,Dschin-

    nistan , werde durch die Musik der ersten Romantiker-Generationwar be-

    schworen,aber nicht in Tone gefaBt. Erst Weberund Schubertunterwarfen

    sich der ,,Forderung, aBdas Gemeintedurchdie Tonenicht nur wie durchein

    Wunderausgelost,sonderndaB es vor allem anschaulichdargestelltwerden

    musse

    .

    Die AuslosungromantischerAssoziationengenugt jedoch nicht, um die

    Charakteristik ines Stucks Musik als romantischzu rechtfertigen.,,Geister-

    stimmen horte HofEmann us aller Musik,die ihm bedeutenderschien,her-

    aus: aus Motettenvon Palestrina bensowie aus Symphonien on Mozart.Der

    Eklektizismus einereigenen ruhenWerke Undineentstanderst 181.'3/14),ie

    Stilmischung us Bach und Mozart,brauchte hn also nicht zu hindern,sie als

    romantisch als Anlassezu romantischen hantasien zu empfinden.

    Warumeine romantische ntention, die nicht ins Pllanomengelangt, son-

    derndie Werkegleichsamvon auBenergreift,dennochasthetischernstgenom-

    men werden soll, ist von Becking nicht explizit begrundetworden. Und es

    scheint, als sei er einein TrugschluX rlegen.Die Beobachtung,daB in Hoff-

    2 G. BECKING, I)er muszZcaltsche hythmus als ErZcenntntsquelle,Augsburg 1928,

    S. 181.

    3 G. BECKING, Zur muszZcaltsc7tenomant/c, DltjfLuG II, 1924,S. 393.

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    RoInantische

    Musikasthetik

    und

    Wiener

    :Elassik

    manns

    dichterischen

    Werken

    niemals

    das

    ,,Geisterreich

    elbst,

    das

    sich

    uber-

    raschend

    nmitten

    des

    Alltags

    auftut,

    sondern

    stets

    nur

    der

    tbergang,

    die

    Schwelle

    zum

    Geheimnisvoll-Jenseitigen

    eschrieben

    wird,

    verleitete

    Becking

    oSenbar

    zu

    derMeinung,daBin HoffmannsmusikalischenWerkendie bloBe

    Auslosung

    romantischer

    Assoziationen,

    als

    Analogon

    zum

    Phanomen

    der

    Schwelle

    n

    den

    Dichtungen,

    beteits

    genuge,

    um

    die

    Musik

    als

    romantisch

    u

    charakterisieren.

    n

    den

    Dichtungen

    st

    jedoch

    der

    tbergang

    -

    wenn

    auch

    nicht

    das

    ,,Dschinnistan ,

    uf

    das

    er

    zielt

    -

    poetisch

    Gestalt

    geworden,

    und

    als

    dar-

    gestellter,

    Sprache

    gewordener

    bergang

    ist

    er

    mit

    der

    bloBen

    Intention,

    bei

    der

    HofEmanns

    Musik

    verharrt,

    unvergleichbar.

    Auch

    m

    Einzelnen

    ind

    die

    Analysen,

    auf

    die

    Becking

    einen

    Versuch

    tutzt,

    die

    Musik

    HoWmanns

    nd

    Louis

    Ferdinands

    als

    romantisch

    u

    deuten,

    nicht

    selten ragwurdig.Beckingzitiertals Paradigma

    den

    Anfang

    des

    Adagio

    ento

    e

    amoroso

    aus

    Louis

    Ferdinands

    Klavierquartett

    pus

    6

    und

    sieht

    in

    der

    Iffar-

    morlik

    nd

    Melodik

    ,ein

    Bild

    extremer

    Haltlosigkeit 4.

    Er

    verkennt

    jedoch,

    daB

    en

    Takten

    5-10,

    die

    er

    offenbar

    meint

    (denn

    14

    sind

    einfach

    genug),

    ein

    Dezimengerust(b'

    as'

    ges'

    f'

    )

    und

    eine

    konventionelle

    Kadenz

    zugrunde-

    ges

    f

    es

    des

    liegen,

    ie

    der

    Chromatik

    inen

    festen

    Ruckhalt

    geben.

    (Auf

    einem

    ahnlichen

    Gerust

    eruht

    das

    Adagio-Thema

    us

    opus

    5,

    das

    fur

    Beckings

    Vergleich

    mit

    Beethovens

    pus

    13 geeignetergewesenwareals opus 6). Von romantischer

    ,,Verwirrung

    ann

    nicht

    die

    Rede

    sein.

    Ist

    demnach

    die

    These,

    daB

    die

    romantische

    Musikasthetik

    in

    Analogon

    u

    musikalischen

    erken

    iner

    ersten

    wie

    Wackenroder

    nd

    Tieck

    n

    den

    1770er

    Jahren

    eborenen

    Generation

    omantischer

    Komponisten

    bilde,

    bruchig

    oder

    fragwurdig,

    o

    wird

    andererseits

    die

    unwillkurliche

    Erwartung,

    der

    Wiener

    Klassik

    usse

    in

    einem

    Zeitalter

    unersattlichen

    Raisonnements

    eine

    Asthe-

    tik

    ntsprechen,

    ie

    in

    RegriSe

    aBt,

    was

    sich

    musikalisch

    n

    den

    1780er

    Jahren

    ereignete,

    n

    gleichem

    MaSe

    enttauscht.

    Zweifellos annman,mrieHelmutKuhn5,die

    Entwicklung

    der

    Asthetik,

    die

    von

    Winckelmann

    bis

    zu

    Hegel

    reicht,

    als

    ,,klassisch

    bezeichnen.

    Die

    Sy-

    steme,

    ie

    zwischen

    1750

    und

    1830

    entworfen

    wurden,

    ind

    jedoch

    auBer

    Scho-

    penhauers

    unstphilosophie,

    ie

    aus

    der

    Tradition

    der

    ,,klassischen

    Asthetik

    herausfallt

    primar

    Theorien

    der

    Dichtung

    und

    der

    bildenden

    Kunst,

    nicht

    der

    Musik.

    ie

    Musikasthetik

    lieb

    am

    Rande

    oder

    bedeutete

    sogar

    eine

    Verlegen-

    heit

    ur

    Philosophen.

    Und

    sie

    prasentiert

    ich

    in

    zu

    unentwickelter

    Gestalt,

    als

    aX

    sie,

    trotz

    des

    insgesamt

    ,klassischen

    Charakters

    er

    asthetischen

    Sy-

    steme,

    elbst

    das

    Epitheton

    ,,klassisch

    verdiente.Die Kritikder Urteitskraftistwarein

    klassisches,

    aradigmatisches

    Werk

    und

    kann

    sogar,

    mindestens

    n

    4

    G.

    BECKING,

    Klassik

    und

    Romantik,

    Kgr.-Ber.

    Leipzig

    1925,

    S.

    295.

    5

    H.

    KUHN,

    Die

    Vollendung

    der

    klasstschen

    deutschen

    Asthetik

    durch

    HYegel,

    n:

    chrtften

    ur

    Asthetzk,

    Munchen

    1966,

    S.

    15ff.

    12*

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    5/16

    170

    Carl

    Dahlhaus

    der

    Rezeption

    durch

    Schiller,

    u

    den

    Dokumenten

    er

    Klassik

    als

    Epoche

    oder

    herrschende

    Tendenz

    der

    Epoche)

    gezahlt

    werden;

    die

    musikphilosophischen

    Fragmente,

    die

    sie

    einschlieBt,

    ind

    jedoch,

    als

    Zusammensetzung

    eterogener

    und konventionellerStucke, wedereine klassischeAsthetikder Musik(der

    Kant

    argwohnisch

    egenuberstand)

    och

    eine

    Asthetik

    der

    klassischen

    Musik.

    Einen

    Ansatz

    zu

    einer

    klassischen

    Musikasthetik

    ildet

    Christian

    Gottfried

    Korners

    Aufsatz

    7Vber

    harakterdarstellung

    n

    der

    Musik,

    der

    1795

    n

    Schillers

    Horen

    erschien6.

    Korner

    unterscheidet,

    ach

    antiker

    Tradition,

    den

    Charakter,

    das

    Ethos,

    von

    der

    Leidenschaft,

    dem

    Pathos.

    Und

    man

    kann

    die

    Entgegen-

    setzung

    der

    Kategorien

    und

    das

    Postulat

    musikalischer

    Charakterschilderung

    als

    theoretischen

    Refles

    einer

    musikgeschichtlichen

    asur,

    des

    Ubergangs

    von

    barocker

    Affekt-

    zu

    klassischer

    Charakterdarstellung,

    egreifen:

    eines tber-gangsnicht nur in der Oper,sondernauch

    in

    der

    Instrumentalmusik.

    Nach

    Griesingers

    ericht

    erzahlte

    Haydn,

    ,,daB

    er

    in

    seinen

    Sinfonien

    ofters

    mora-

    lische

    Charaktere

    eschildert

    habe7.

    Und

    an

    die

    Bedeutung,

    die

    der

    BegriS

    des

    Charakters,

    es

    Ethos

    fur

    Beethoven

    hatte,

    braucht

    kaum

    erinnert

    u

    wer-

    den.

    Andererseits

    erwlrrt

    s

    das

    Kategorienschema,

    aB

    das

    Ethos

    als

    bestan-

    dig,

    von

    innen

    heraus

    wirkend,

    das

    Pathos

    dagegen

    als

    jah

    wechselnd,

    gleich-

    sam

    von

    auBen

    wie

    der

    von

    Gottern

    verhangte

    Wahnsinn

    des

    Ajax)

    uber

    die

    Seele

    hereinbrechend

    ufgefaBt

    wurde,

    wahrend

    n

    der

    Musik

    des

    18.

    Jahr-

    hunderts

    ie

    Affektdarstellung iteinemStildesGleichmaBes,,d'une eneur ,

    und

    die

    Charakterschilderung

    it

    der

    Herrschaft

    des

    Kontrastpnnzips

    er-

    bunden

    ar.

    Umrisse

    einer

    Musikasthetik,

    die

    klassisch

    genannt

    werden

    darf,

    zeichnen

    sich

    ndererseits

    n

    Schillers

    Kunsttheorie

    b,

    die

    den

    Formbegriff

    ns

    Zentrum

    ruckt.

    n

    der

    Musikasthetik

    es

    spaten

    18.

    Jahrhunderts

    st

    der

    Formbegriff

    allerdings

    erwirrend

    quivok.

    Kant

    dachte,

    wenn

    er

    von

    Form

    in

    der

    Musik

    sprach,

    n

    die

    ,,mathematische

    Form

    der

    Tonbeziehungen

    an

    die

    ProI3or-

    tionen,

    ie

    hinter

    den

    musikalischen

    ntervallen

    stehen),

    und

    in

    der

    ,,mathe-

    matischenorm sahernichtsalseinverschwindendes,n der

    Gefuhlskung

    der

    Iusik

    untergehendes

    Moment

    .

    Musik

    galt

    primar

    als

    Affektausdruck.

    nd

    aus

    er

    einseitigen

    Akzentuierung

    des

    Expressiven

    resultierte

    die

    Neigung,

    auBer

    er

    ,,mathematischen

    orm

    auch

    die

    Form

    m

    Sinne

    der

    Formenlehre,

    also

    lie

    Beziehungen

    der

    Teile

    zueinander

    nd

    zum

    Ganzen,

    mit

    Geringschat-

    zung

    u

    behandeln;

    ie

    wurde

    sogar

    von

    Theolctlkern,

    deren

    Untersuchungs-

    gegenstand

    ie

    bildete,

    als

    ,,auBere

    Form

    und

    bloBe

    ,Einkleidung

    bgetan,

    6

    W.

    SEIFERT,

    Christian

    Gottfried

    ltorner.

    Ein

    Musikasthetiker

    der

    deutschen

    Rlassik,

    egensburg 1960.

    7

    Nach

    A.

    SCHERING,

    emerkungen

    zu

    Joseph

    Haydes

    Programmsinfonien,

    in:

    om

    usikalischen

    Kunstwerk,

    2.

    Aufl.

    Leipzig

    1951,

    S.

    257.

    8

    I.

    KANT,

    Kritik

    der

    Urteilskraft,

    §

    53:

    ,,Aber

    an

    dem

    Reize

    und

    der

    Gemutsbe-

    egung,

    elche

    die

    Musik

    hervorbringt,

    hat

    die

    Mathematik

    sicherlich

    nicht

    den

    indesten

    nteil,

    sondern

    sie

    ist

    nur

    die

    unumgangliche

    Bedingllng''.

  • 8/16/2019 Dahlhaus Aesthetik Und Wiener Klassik

    6/16

    RomaJntische Musikasthetik und Wiener }ilassik

    171

    auf die es nicht ankomme.Das Wesender Musiksuchte man in den Affekten,

    die sie auspragtund hervorruft9.

    AndersSchiller.Zwar ah auch er in der affizierenden tachtder WIusikeren

    primareEigenschaft. ,Aber weil in dem Reiche der Schonhei.t lle Macht, n-

    sofernsie blind ist, aufgehobenwerdensoll, so wird die Musiknur asthetisch

    durch die Form''l°. DennochmiStrauteSchillerder Musik: ,Auch die geist-

    reichsteMusik ,heiBtes in denBriefen uber die asthetischeErziehuny des Men-

    schen, stehe ,,durch hre Materienoch immer n einergroMern ffinitatzu den

    Sinnen, als die wahre asthetischeFreiheit duldet . Das Formprinzipwurde

    darumvon Schillernur als Postulat formulieIt: ,Die Musik n ihler hochsten

    Veredlung die sie noch nicht erreichthat - ,,muBGestaltwerdenund mit

    der ruhigenMachtder Antike auf uns wirken 1. n der Asthetik, die Schiller

    in fluchtigenZugenentwarf,nimmt demnachdie geschichtlicheWirklichkeit

    der WienerKlassik,die er nicht kannte odernicht begriff,den Charakter iner

    Utopie an. Das Reale verblaBt um Moglichen: ur bloBenForderung derEr-

    wartung.Als nur potentielleAsthetikder klassischenMusikaberblieb Schillers

    Ansatz im Fragmentarischentecken.

    II

    Die romantischeMusikasthetik nd die WienerKlassik reprasentieren er-

    schiedeneTraditionen, ie sich in E. T. A. IIofEmanns eethoven-Kritik war

    verschranken, hne jedoch neinander ufzugehen.Die Erwartung,daB durch

    die Musikasthetik usgesprochen erde,was sich musikgeschichtlichreignet,

    scheint jedenfalls rugerisch u sein. Musikasthetische ystemeoder Entwife

    sind - im Unterschied u den Apologienund Polemiken,die der musikalische

    Parteienstreithervorbringt nur selten in unmittelbaremZugriffals musik-

    geschichtlicheDokumenteentzifferbar.Die Zusammenhangeind fast immer

    verwickeltund gehen rl der einfachenFormel,daBeine Musikasthetik in Re-

    flex der Musik hrerZeit sei, nicht auf.

    Die Tatsache,daB Musikund Musikasthetikum 1800 auseinanderklaffen,

    ver]iertallerdingsden Schein des Paradoxen,wenn man berucksichtigt, aB

    eine 3'[usikasthetikm allgemeinenwenigerdurchdie Entwicklungder Musik,

    die ihren Gegenstandbildet, als vielmehrdurch die philosophische nd lite-

    rarischeTradition,aus der ihre Kategorienstammen,gepragt st. Nicht ab-

    weichende musikalischeErfahrungen, ondern divergierendephilosophische

    Motivebegrundeten en Gegensatz wischenden - gleichzeitig ntstandenen

    9 H. C:HR. IOCH,Versuch einer ilnleitung zur Composition, Band II, Leipzig 1787,

    S. 117.

    10F. SCELT.TZ.R,rief an CHR.G. KORNER om 10. 3. 1795, zit. nach W. SEIFERT,

    a.a.O. S. 94.

    11F. SCHILLER,2. Brief uber die asthetische Erziehung des Menschen.

  • 8/16/2019 Dahlhaus Aesthetik Und Wiener Klassik

    7/16

    172

    Carl

    Dahlhaus

    musikasthetischen

    onzeptionen

    Hegels

    und

    Schopenhauers.

    nd

    Schumanns

    musikasthetisches

    enken

    wurde

    primar

    durch

    Jean

    Paul

    bestimmt,

    dem

    er

    die

    Sprache

    verdankte,

    n

    der

    er

    sich

    uberhaupt

    rst

    bewuBt

    machen

    konnte,

    was

    die

    Musik

    Beethovens,

    SchubertsoderChopinsurihn bedeutete. In die-

    sem

    Sinne

    st

    das

    oft

    zitierte

    Wort

    uber

    den

    Kontrapunkt,

    en

    er

    von

    Jean

    Paul

    gelernt

    abe,

    zu

    verstehen.)

    Einer

    der

    Grunde,

    warum

    n

    der

    Epoche

    der

    Wiener

    Klassik

    eine

    romantische

    Musikasthetik

    ohne

    romantische

    Musik

    entstehen

    konnte,

    st

    also

    der

    Primat

    der

    philosophisch-literarischen

    Xberlieferung

    n

    der

    Entwicklung

    er

    Musikasthetik.

    Wackenroder

    nd

    Tieck

    sind

    vor

    allem

    aus

    der

    Geschichte

    er

    Literatur,

    nicht

    der

    Musik

    zu

    begreifen.

    Nicht

    Haydn,

    sondern

    Klopstock

    bildet

    die

    entscheidende

    Voraussetzung.

    Andererseitswerden jedoch die spezifischmusikalischenEindrucke,

    die

    einer

    Musikasthetik

    als

    partielle

    Motivierung

    neben

    der

    philosophisch-]ite-

    rarischen

    zugrundeliegen,

    icht

    selten

    durch

    den

    tauschend

    universalen

    An-

    spruch

    der

    Systeme

    verdeckt.

    Musikasthetische

    Konzeptionen

    prasentieren

    sich

    fast

    immer

    als

    umfassende

    Theorien,

    als

    Deutungen

    der

    Musik

    schlecht-

    hin.

    Erst

    die

    spatere

    Ktitik

    (die

    allerdings

    den

    eigenen

    Entwurf

    wiederum

    ur

    universal

    halt)

    erkennt

    sie

    als

    Dogmatiken

    von

    Epochenstilen

    der

    geschicht-

    lichen

    Tendenzen.

    Wenn

    Kant

    geringschatzig

    von

    ,,Reiz

    und

    Ruhrung

    sprachl2,

    polemisierte

    r,

    ohne

    es

    zu

    wissen,

    als

    Klassizist

    gegen

    Rokoko

    und

    Empfindsamkeitwas die StringenzseinerArgumentation icht schmalert).

    Und

    die

    Asthetik

    Wackenroders

    nd

    Tiecks,

    die

    Palestrina,

    Pergolesi

    und

    Haydn

    gleichmaBig

    mfassen

    ollte,

    wurzelte,

    wie

    der

    Briefwechsel

    erratl3,

    n

    der

    Erfahrung

    der

    Musik

    Friedrich

    Reichardis.

    Allerdings

    erheben

    sich

    die

    asthetischen

    Konsequenzen,

    u

    denen

    Wackenroder

    elangte,

    weit

    uber

    seine

    musikalischen

    Voraussetzungen,

    n

    denen

    seine

    Asthetik

    nur

    zum

    Teil

    begrun-

    det

    war.

    Die

    Bestimmung

    musikalischer

    edingungen

    arf

    nicht

    als

    Reduktion

    miBverstanden

    erden,

    bei

    Wackenroder

    o

    wenig

    wie

    bei

    Schopenhauer,

    ber

    dessenMetaphysik erMusik s wenigbesagt,

    daB

    er

    Rossini

    ruhmte

    und

    Beet-

    hoven

    nicht

    erwahnte.

    Wackenroders

    sthetik

    ware

    nicht

    ,,romantisch ,

    wenn

    sie

    sich

    darin

    erschopfte,

    in

    literarischer

    Reflex

    der

    Musik

    Reichardts

    u

    sein.

    Hermann

    Kretzschmars

    olemisch

    pointierte

    Unterscheidung

    wischen

    pe-

    kulativer

    ,Musikasthetik

    oder

    ,Philosophenasthetik )

    inerseits

    und

    einer

    n

    Erfahrung

    egrundeten

    ,Musikerasthetik

    ndererseitsl4

    st

    insofern

    untriftig,

    als

    ein

    Komponist,

    der

    sich

    asthetischen

    Reflexionen

    uberlaBt,

    den

    Ruckgriff

    auf

    philosophische

    Kategorien

    nicht

    vermeiden

    kann

    (auch

    eine

    naive

    Philo-

    sophie

    st

    eine

    Philosophie,

    llerdings

    ine

    fragwiirdige).

    Das

    Gefuhl

    aber,

    daB

    12

    KANT,

    a.

    a.

    O

    § 13@

    13

    W.

    H.

    WAC:NRODER,

    Werke

    und

    Briefe,

    Heidelberg

    1967,

    S.

    292.

    14

    H.

    ERETZSCHMAR,

    esammelte

    Glufeatze

    uber

    Mus?>k,

    Band

    II,

    Leipzig

    1911,

    S.

    242ff.;

    vgl.

    dazu

    W.

    HILBERT,

    Dte

    Muszkasthetzk

    der

    Fruhromantzk,

    Remscheid

    1911,

    S.

    82f.

  • 8/16/2019 Dahlhaus Aesthetik Und Wiener Klassik

    8/16

    173

    omantischeMusikasthetikund Wiener Elassik

    die ,,Musikasthetik , er er miStraute,als ware sie nichts als ein anmaBendes

    Gerede,wenigeraus der ,,Anschauung ls aus dem ,,Begriff hervorgegangen

    ist, trog Kretzschmar icht.

    III

    Nichts zeigt deutlicherdie innere Abhangigkeitder Musikasthetik on der

    Philosophieund der Literatur,als daB sie - auch in der Form der ,,Musiker-

    asthetik im 18. und fruhen19. Jahrhundert uf das protestantischeDeutsch-

    land, das zugleichein philosophierendes ar, beschranktblieb. (Die Behaup-

    tung bedeutetjedochkein Zugestandeisan den Regionalismus osef Nadlers,

    der die Romantik-Forschungerwirrthat: OstpreuBen, us dem Reichardt,

    und Schwaben, us dem Schubart tammte,hattenauBerdem Protestantismus,

    der eine reicheEntwicklung on Philosophieund Literatur ulieB,wenig oder

    nichts gemeinsam.) n Osterreich nd im katholischenSuden konnte - trotz

    der Mannheimer chuleund der WienerKlassik,derenmusikalischeHegemo-

    nie (nach anfanglichemWiderstrebennorddeutscherAsthetiker gegen die

    ,,Stillosigkeit Iaydns) niemand eugnete - eine musikasthetischeReflexion,

    die uber karge Ansatzehinausging,nicht entstehen,da die philosophisch-lite-

    rarischenAloraussetzungenehlten. (Man braucht die TheologieJohann Mi-

    chael Sailers, deren Bedeutung fur Beethoven von Arnold Schmitz betont

    wurdel5,keineswegs eringzuschatzen, m dennochbehaupten u durfen,daB

    sie als Fundamenteiner Musikasthetikmit der PhilosophieKants, Schellings

    oder Hegels tLicht ergleichbarst.)

    Die osterreichischeMusikprasentiert ich, von Haydn bis zu Bruckner,als

    Musikohneexplizite, n Wortenausgesprochene sthetik. Undder erste oster-

    reichischeAsthetiker,EduardHanslick,ergriffdie Partei von Brahms,nicht

    von Bruckner,dessen ,,Unbildung hm suspekt war.) DaB aber im 19. Jahr-

    hundertdas WerkIIaydns,Mozartsund Beethovenszur ,,Klassik , um para-

    digmatischen til, erhobenwurde,hatte zur Folge, daB man in der Musik an-

    ders als in der Dichtungund der bildendenKunst) den Mangel n Reflexionals

    Normstatt als Ausnahme mpfand.Das BewuBtsein, aBLiteraturuberMusik

    zur ,,Sache selbst , zur Musik als gesellschaftlichem hanomen,gehort und

    nicht als bloBerAppendixabgetanwerdendarf,blieb trotz Weber,Schumann,

    Liszt und Wagner in Deutschland andersals in Frankreich) nentwickelt.

    Fast schamtesich die Reflexion hrerselbst.

    So offenkundig emnachdie Grunde ind, die eine Entwicklungder Musik-

    asthetik m katholischenSudenverhinderten Grillparzers eflexionenblieben

    im Fragmentarischentecken),so schwierig st es verstandlich u machen,da

    im protestantischenDeutschland keine musikalischeKlassik- a,nalogzur

    15 SCHMITZ,

  • 8/16/2019 Dahlhaus Aesthetik Und Wiener Klassik

    9/16

    174

    Carl Dahlhaus

    dichterischen entstandenen st. (Die These Ernst Buckensvom ,,Klassiker

    PhilippEmanuelBachl6 st bruchig:DaBsich Haydn und Mozart uf Bach be-

    riefenund daB n der norddeutschenMusikasthetikporadisch on ,,edlerEin-

    falt die Rede ist, reicht zur Begrundung icht aus.) WederPhilipp Emanuel

    Bach oder Reichardtnoch Zelter oder Johann AbrahamPeter Schulz repra-

    sentieren inenStil, der ein Analogon ur WienerKlassikware.

    Eine der Ursachen st allerdingsunverkennbar: ie auBereund innereFerne

    des protestantischenDeutschland u Italien. Die musikalischeKlassik ist als

    osterreichisch-italienischeroder als osterreichtsch-italienisch-franzosischer)

    Stil zu verstehen so wenig Philipp EmanuelBach ein Klassikerwar, so un-

    zweideutigwar es Cherubini).Nicht die sprachlicheGrenze wischenDeutsch-

    land und Italien, sondern die konfessionelle wischen dem protestantischen

    Deutschlandund dem katholischenSuden war musikgeschichtlich ntschei-

    dend.

    Die paradoxe, das geistesgeschichtliche chema verwirrendeGleichzeitig-

    keit einer klassischenMusikohne klassischeMusikasthetik nd einer roman-

    tischen Musikasthetik hne romantischeMusikerscheintdesnnach ls Konse-

    quenz der kulturgeschichtlichenKluft zwischen dem protestantischen

    Deutschland,das zu Rasonnementund Spekulationneigte, und dem katholi-

    schen Suden, in dem stilistische Voraussetzungen u einer musikalischen

    Klassik gegebenwaren,die im Norden ehlten. Die WienerKlassikwar abge-

    schnittenvon der asthetischenReflexion,die sich in Konigsberg,Berlin,Jena

    und Tubingenmit einerIIeftigkeitentzundete,als ware sie die Revolution m

    Geistel7. Und umgekehrtkonnte sich die Musikasthetik,da sie primarvon

    philosophisch-literarischennd erst sekundarvon musikalischen edingungen

    abhangigwar, getrennt vom herrschendenmusikalischenStil der Zeit, dem

    klassischen, ntwickeln, hne n Gefahr u geraten,provinziell u werden.

    Das besagt jedoch nicht, daB die spezifischmusikalischenErfahrungen,

    durchdie eine Musikasthetik artiellmotiviert st, vernachlassigtwerdendurf-

    ten. Der Mangelan unmittelbarerVerbindungmit der musikalischenKlassik,

    an sozusagen reifbarerNahe zu den WerkenHaydnsund Mozarts,warzweifel-

    los - nebendemgeringen nteressean Musik einerder Grunde,warumdie An-

    satze zu einer klassischenWIusikasthetikei Schillerund Korner Fragment

    blieben.Und andererseitsst es keineswegs leichgultig,daBdie musikalischen

    Werke, an denen sich die romantischePhantasie Wackenroders nd Tiecks

    entzundete,einer nicht-klassischen der empfindsam-expressivenTradition

    angehorten.Die Vermutung, s seien Symphonien on Haydn und Mozartge-

    wesen, durch die Wackenroder nd Tieck zum Entwurf einer Seetenlehre er

    16 E. BUCKEN,Dte Musik des Rokoko und der Xlasstk, Wildpark-Potsdam 1927,

    S.161undl72.

    17

    Im Briefwechsel WACKENRODERSnd TIECKwird die lfranzosische Revolu-

    tion enthusiastisch gefeiert (W. H. WAC >NRODER, . a. O. S. 405 und 411 f. ).

  • 8/16/2019 Dahlhaus Aesthetik Und Wiener Klassik

    10/16

    Romantische

    Musikasthetik und

    Wiener Klassik

    175

    heutigen

    nstr?bmentalm?bsiknd zu der Rhapsodie

    Symphonien ngeregt

    wur-

    den, ist

    unbegrundet: m Text der Aufsatze und

    im Briefwechsel st

    immer

    wiedervon Reichardtl8, ber

    nirgendsvon Haydn

    oderMozartdie Rede.Und

    zur

    italienischenOperhielt

    Wackenroderuhlbare nnereDistanz19.

    IAl

    Die

    pointierteThese, dieMusikasthetik

    Wackenroders, iecksund E. T. A.

    iEloffmannsei eine romantischeMusikasthetik

    hne romantischeMusik ge-

    wesen,

    setzt sich dem Einwandaus, es sei nichts als

    ein Wortstreitohne

    Sach-

    gehalt,ob man der MusikReichardts,auf die sichWackenroder nd Tieckbe-

    riefen,

    das Epitheton ,romantisch ugesteheoder

    wie ClemensBrentano

    0_

    verweigere.DaB man

    Reichardtoder Zumsteeg

    entwederals ,,Epigonendes

    Sturm

    und Drang 1oder

    aber als ,,Alorromantiker lassifizieren onne,

    an-

    dere

    nichts an der

    stilistischenObereinstimmungder Affinitatzwischen

    der

    empfindsam-expressiven

    usik der 1790erJahre und der Musikasthetik,

    ie

    nach

    der Konventionder Historiker ,romantisch

    enanntwerde.

    Der

    Einwand etzt sich jedochdaruberhinweg,

    daBRomantik, n kaum

    ge-

    ringeremMaBeals Klassik,auBereinem Stil-

    zugleichein Rangbegriffst. (Die

    Neutralisierung urBezeichnung ines Epochenstilsst eine der ,,Prazisierun-

    gen ,

    deren Preis die

    Aushohlungdes ,,geklarten Begriffs st.) Ein

    ,,Alorro-

    mantiker st so wenig en

    Romant;ker,wie ein

    ,,Vorklassiker , erstilistisch

    ein

    Stuck Klassik antizipiert,

    ein Klassiker ein paradigmatischer,us

    seiner

    Epoche

    herausragender

    omponist ist.

    E. T.

    A. IIofEmannestimmte n seinerRezension

    von BeethovensV. Sym-

    phonieden ,,romantischen

    Geist ,den er in lIaydns, Mozartsund

    Beethovens

    Symphonien ,atmen uhlte,

    als ,,xnnigesErgreifendes eigentumlichsten

    WVe-

    sens derKunst

    2.

    Die ,,Romantik , Eoffmannsie versteht, st also inso-

    fern,

    als in ihr die MusiX u

    sich selbst kommt, geschichtsphilosophisch

    ine

    ,,Klassik :eine Epoche der

    Vollendung.Und die Rangvorstellungst

    spater,

    bei der

    Bestimmungder

    Romantikals Epochenstil,nicht ganz

    preisgegeben

    worden:Man scheut sich

    unwillkurlich,Zumsteeg

    zu den ,,Romantikern

    oder Pleyel zu den

    ,,Klassikern zu zahlen;und

    Schubert,nicht Tomaschek,

    18 W.

    H. WACKENRODER,.a.

    O. S. 255, 292 und 430.

    l9A.a.O. S. 415-

    20

    ,tberhaupt fuhle ich , schrieb CLEMENS

    RENTANOm Marz 1808 an ACHIM

    VONARNIMuber REICHARDT,,daB schon aus seiner Ansicht der Poesie hervorgeht,

    daB

    seine Musik den neuen romantischen Schritt der

    Kunst nicht snacht noch

    ma-

    chen wird (nach W. SALMEN,

    ohann Frtedrtch

    Retchardt, Freiburg i.Br. und Zu-

    rich 1963, S. 103).

    21

    BECKING, ur mustkaltschen Romanttk, a. a. O. S.

    587.

    22 E.

    T. A. HOFFMANN,chriften zur Musik. Nachlese,

    hg. von F. SCHNAPP,

    Mun-

    chen

    1963, S. 35.

  • 8/16/2019 Dahlhaus Aesthetik Und Wiener Klassik

    11/16

    176

    Carl

    Dahlhaus

    gilt

    als

    Begrunder

    des

    romantischen

    Klavierstucks.

    Der

    Terminus

    ,Nebenro-

    mantiker ,

    den

    Walter

    Niemann

    fur

    geringere

    Komponisten

    der

    Romantik

    pragte

    3,

    ist

    also

    nicht

    so

    verfehlt,

    wie

    er

    den

    Verachtern

    es

    Werturteils

    n

    der

    Geschichtsschreibungrscheint.)

    Der

    Zwiespalt

    wischen

    der

    ,,Vorromantik ,

    n

    die

    Wackenroder

    nd

    Tieck

    anknupften,

    nd

    der

    romantischen

    Asthetik,

    auf

    die

    sie

    zielten,

    reicht

    bis

    in

    die

    Texte

    selbst

    hinesn.

    Tieck

    schildert

    n

    dem

    Aufsatz

    Symphonten

    ohne

    den

    Komponisten

    u

    nennen-

    Reichardts

    Macbeth-Ouverture

    oder

    ,Symphonie ),

    nach

    Becking

    ,,ein

    echtes

    Erzeugnis

    des

    Sturmes

    und

    Dranges,

    ungebardig,

    effekttoll,

    nur

    von

    der

    einen

    Tendenz

    besessen,

    unmittelbar

    und

    ohne

    Zwi-

    schenschaltung

    eredelnder

    Momente

    auf

    Gefuhl

    und

    Sinne

    zu

    wirken

    4.

    Und

    unleugbar tammtTieckspoetischeParaphrase us dem gleichenGeistewie

    das

    ,,allegorische

    Tonstuck

    elbst.

    Tieck

    ,,feiert ,

    wie

    Becking

    es

    ausdruckt,

    ,,den

    musikalischen

    turm

    und

    Drang

    und

    beneidet

    hn

    um

    die

    direkte,

    un-

    mittelbare

    Wirkungsmoglichkeis

    5.

    Man

    uhlt

    sich

    bei

    der

    poetischen

    Haufung

    von

    GraBlichkeiten,

    ie

    er

    aus

    der

    Musik

    heraushort26,

    eradezu

    n

    Tiecks

    fruhe

    Literatenzeit,

    twa

    in

    den

    Roman

    WzZtam

    ovett,

    uruckversetzt.

    Tieck

    war,

    bevor

    er

    Romantiker

    wurde,

    ,Trivialromantiker .

    Dagegen

    st

    in

    der

    Asthetik

    der

    Symphonie,

    die

    der

    Schilderung

    der

    Mac-

    beth-Ouverture

    orausgeht,

    on

    ,,effekttollem

    Gebaren

    ichts

    mehr

    zu

    spuren.

    Die Theoriest vielmehrungetrubt omantischn demSinne,daBTieck

    gerade

    nicht

    die

    unmittelbare

    heftige

    oder

    sanft

    ruhrende

    Wirkung

    der

    Musik

    her-

    vorkehrt,

    ondern

    die

    Entruckung

    n

    ein

    paradis

    artificiel

    uhmt:

    Die

    Tone,

    die

    ,,die

    Kunst

    auf

    wunderbare

    Weise

    entdeckt

    hat ,

    bilden

    ,,eine

    abgesonderte

    Welt

    fiir

    sich

    selbst

    7.

    Die

    Vokalmusik,

    ie

    ,,vielleicht

    ganz

    auf

    den

    Analogien

    23

    W.

    NIEMANN,

    Dte

    Mustk

    sett

    Rtchard

    Wayner,

    Berlin

    und

    Leipzig

    1913,

    S.

    27.

    24

    BECKING,

    .a.O.,

    S.

    585.

    25

    A. a.

    O.

    S.

    586.

    26

    ,,Nun sieht das Auge einen entsetzlichen Unhold, der in seiner schwarzen

    Hohle

    liegt,

    mit

    starken

    Ketten

    festgebunden;

    er

    strebt

    mit

    aller

    Gewalt,

    mit

    der

    Anstrengung

    aller

    Krafte

    sich

    loszureiBen,

    aber

    immer

    wird

    er

    noch

    zuruckgehalten:

    um

    ihn

    her

    beginnt

    der

    magische

    Tanz

    aller

    Gespenster,

    aller

    Larven.

    Wie

    eine

    wei-

    nende

    Wehmut

    steht

    es

    zitternd

    in

    der

    Ferne,

    und

    wunscht,

    daB

    die

    Ketten

    den

    GraBlichen

    zuruckhielten,

    daB

    sie

    nicht

    brechen

    mochten.

    Aber

    lauter

    und

    furcht-

    bar

    lauter

    wird

    das

    Getummel,

    und

    mit

    einem

    erschreckenden

    Aufschrei,

    mit

    der

    innersten

    Wut

    bricht

    das

    Ungeheuer

    los,

    und

    sturzt

    mit

    wildem

    Sprunge

    in

    die

    Lar-

    ven

    hinein,

    Jammergeschrei

    und

    Frohlocken

    durcheinander

    (WACEENRODER,

    a.a.O.

    S.

    256).

    27

    A.a.O.

    S.

    245.

    Es

    scheint

    zunachst,

    als

    sei

    die

    Metaphysik

    der

    Instrumental-

    musik,

    durch

    die

    sich

    die

    romantische

    Musikasthetik von der des Sturm und Drang

    unterscheidet,

    bei

    WACRENRODER

    och

    unentwickelt.

    H.

    GoLDscrIDT

    sprach

    ge-

    radezu

    von

    einer

    ,,tbereinstimmung

    der

    romantischen

    Grundanschauung

    mit

    dem

    Sturm

    und

    Drang

    (Dte

    Mustkasthettk

    des

    18.

    Jhs.

    und

    thre

    Beztehunyen

    zu

    setnem

    Kunstschaffen,

    Zurich

    und

    Leipzig

    1915,

    S.

    208).

    E.

    HERTRICH,

    oseph

    Bergltnger.

    Etne

    Studte

    zu

    Wackenroders

    Mustker-Dtchtung,

    Berlin

    1969,

    S.

    123)

    schrankte

    GOLDSCHMIDTS

    ehauptung

    durch

    den

    Hinweis

    ein,

    daB

    WACRENRODER

    ie

    Ge-

  • 8/16/2019 Dahlhaus Aesthetik Und Wiener Klassik

    12/16

    Romantische

    Musikasthetik

    und

    WienerElassik

    177

    des menschlichen

    Ausdrucks

    beruhen

    muB,

    erscheint

    in schroffem

    Gegen-

    satz zur

    Musikasthetik

    es 18.

    Jahrhunderts,

    ie primar

    oder fast ausschlieB-

    lich

    Opernasthetik

    ar-

    als sekundare,

    ,bedingte

    Kunst ;

    erst in der

    Instru-

    mentalmusik

    ,ist

    die Kunst

    unabhangig

    und

    frei, sie schreibt

    sich nur selbst

    ihre

    Gesetze

    vor,

    sie phantasiert

    spielend

    und

    ohneZweck,

    und

    doch erfullt

    underreicht

    ie den hochsten,

    ie folgt

    ganz

    ihrendunklen

    Trieben,und

    druckt

    das Tiefste,

    das

    Wunderbarste

    mit

    ihren

    Tandeleien

    aus 28. Die

    romantische

    Musikasthetik

    Wackenroders,

    iecksund

    E.

    T. A. Hoffmanns

    st eine Meta-

    physik

    der Instrumentalmusik.

    Das besagt

    keineswegs,

    aB

    der ,qualitative

    Sprung ,

    er

    die ,,Vorromantik

    - die

    musikalische

    er

    Reichardtschen

    Macbeth-Ouverture

    bensowie

    die lite-

    rarischeder FruhwerkeTiecks- von dereigeiltlichenRomantik rennt,um-

    standslos

    und

    naiv

    mit der

    Wendung u

    einer

    Metaphysik

    der

    Kunst gleichge-

    setzt

    werdendurfte,

    als ware

    Metaphysik

    priori

    das Hohere,

    Sublimere

    und

    bloBer

    Gefuhlsausdruck,

    ie er fur

    die Empfindsamkeit

    nd

    den Sturm

    und

    Drangcharakteristisch

    ar,

    das Geringere

    nd

    Niedere.

    Gerade

    der romanti-

    schen

    Musikphilosophie

    st es

    widerfahren,

    m

    19. Jahrhundert

    aschzu

    einer

    Popularasthetik

    erschlissen

    u werden,

    die es verdiente,

    von ihren

    positivi-

    stischen

    Verachtern

    ls

    schlechte

    Metaphysik

    abgetan

    zu werden,

    und es be-

    darf

    im Ruckblick

    einer nicht

    geringen

    Anstrengung

    des

    geschichtlichen

    Be-

    wuBtseins,

    m dieursprunglicheWirkung u rekonstruierenwiesie etwaScho-

    penhauer,

    dessen

    Abhangigkeit

    on

    Wackenroder

    nd

    Tieckunverkennbar

    st,

    erfahren

    habenmuB).

    Um 1800 aber

    wardie

    romantische

    Musikasthetik

    eu,

    wahrend

    das

    ,,Ausdrucksprinzip

    es

    musikalischen

    turm

    und Drang29

    ns

    fuhle,

    deren

    Sprache

    die Musik

    ist, als

    ,,von dem

    verwirrten

    Wust

    und Geflecht

    des

    irdischen

    Wesens

    abgelost empfand.

    ,,Die Tone

    sind ihm

    (WACKENRODER)

    iel-

    nehr nur Mittel,

    das

    absolute,

    d. h.

    vom Leben

    geloste Gefuhl

    vor

    der kontaminie-

    renden

    Beruhrung

    mit der

    Welt zu bewahren .

    HERTRICH

    ogerte jedoch,

    WACKEN_

    RODERSbergang zu einer Mystik der Instrumentalmusik nachzuvollziehen. Der

    Gefuhlsgehalt

    der Musik

    ist nach

    WACKENRODER

    n den

    Tonen

    an sich,

    im mathe-

    natisch fundierten

    Tonsystem

    eingeschlossen,

    und zwar

    - das

    unterscheidet

    die

    ro-

    mantische Asthetik

    schrofEvom

    Ausdrucksprinzip

    des Sturm

    und

    Drang - unab-

    hangig

    von

    expressiven

    Intentionen

    des

    Komponisten.

    ,,Daher

    kommt es,

    daB

    manche

    Tonstucke,

    deren

    Tone von

    ihren

    Meistern wie

    Zahlen zu

    einer

    Rechnung,

    oder

    wie

    die Stifte

    zu einem musivischen

    Gemalde,

    bloB

    regelrecht,

    aber sinnreich

    und in

    glucklicher

    Stunde,

    zusammengesetzt

    wurden,

    - wenn

    sie auf Instrumenten

    ausgeubt

    werden,

    eine herrliche,

    empfindungsvolle

    Poesie reden,

    obwohl

    der Meister

    wenig

    daran gedacht

    haben mag,

    daB

    in seiner gelehrten

    Arbeit,

    der

    in deln Reiche

    der

    Tone verzauberte

    Genius,

    fur eingeweihte

    Sinne,

    so herrlich

    seine

    lRlugelschla-

    gen wurde (WACKENRODER,. a. O S . 2 2 0) WACKENRODERS,Seelenlehre der heu-

    tigen

    Instrumentalmusik

    ist keine

    Anweisung,

    ,,seine

    Ichheit auch

    in der

    Musik

    herauszutreiben

    (a. F. D. SCHUBART),

    ondern

    eine

    aus dein

    Ausdrucksprinzip

    herauswachsende

    Metaphysik.

    28

    A.

    a. O.

    S. 254.

    29

    H.

    H. EGGEBRECHr,

    Das Ausdrucks-Prinzip

    m

    musikalischen

    Sturm und

    Drang,DVjfLuG

    XXTX,

    1955, S. 323fE.

  • 8/16/2019 Dahlhaus Aesthetik Und Wiener Klassik

    13/16

    178

    Carl

    Dahlhaus

    Epigonale

    bzusinken

    begann.

    Und

    qualitative

    Neuheit

    begrundet

    einen

    gei-

    stigen

    Rang,

    den

    das

    Altern

    des

    Neuen

    zu

    verdecken,

    aber

    Iticht

    aufzuheben

    vermag:

    DaB

    Wackenroders

    Texte

    durch

    die

    asthetische

    ,,Trivialromantik

    des19.Jahrhundertsleichsambeschadigtworden ind,darfdenBlickaufihre

    ursprungliche

    edeutung

    nicht

    verstellen

    oder

    truben.

    Die

    Zasur,

    die

    durch

    die

    Metaphysik

    der

    Instrumentalrnusik

    eine

    Meta-

    physik,

    wie

    sie

    lIerder,

    Ieinse

    und

    Schubart

    noch

    durchaus

    remd

    war

    -

    in

    der

    Geschichte

    er

    Bedeutung

    von

    Musik

    gesetzt

    wurde,

    st

    jedenfalls

    ief

    genug,

    um

    es

    zu

    rechtfertigen,

    aB

    der

    Terminus

    ,Romantik

    als

    Zeichen

    ur

    einen

    geschichtlichen

    Anfang

    mit

    weitreichenden

    Konsequenzen

    mit

    der

    Musik-

    asthetik

    Wackenroders,

    iecks

    und

    E.

    T.

    A.

    Hoffmanns

    erknupft

    bleibt.

    V

    Die

    Gleichzeitigkeit

    on

    romantischer

    Mllsikasthetik

    nd

    Wiener

    Klassili

    er-

    scheint

    als

    chronologische

    AuBenseite

    iner

    inneren

    Fremdheit,

    die

    zwar

    ge-

    leugnet

    worden

    st,

    aber

    offenbar

    her,

    weil

    man

    das

    geschichtsphilosophische

    Paradox

    als

    schwer

    ertraglich

    empfand,

    als

    aus

    historischer

    Einsicht.

    Jeden-

    falls

    ist

    die

    These

    Leo

    Schrades,

    daB

    Wackenroders

    ,Seelenlellre

    er

    heutigen

    Instrumentalmusik ie Kenntttisvon SymphottienH[aydns

    nd

    Mozarts

    vor-

    aussetze,

    empirisch

    benso

    unbegrundet

    wie

    die

    erganzende

    Behauptung,

    ,der

    Erfolg

    der

    Zauberflote

    ei

    ,,nur

    durch

    die

    Ausbreitung

    omantischer

    deen

    zu

    begreifen

    D

    die

    erst

    Jahrzehnte

    pater

    nach

    Wien

    drangen).

    Andererseits

    ware

    es,

    wie

    Eans

    Heinrich

    Efflgebrecht

    ezeigt

    hat,

    verfehlt,

    die

    Beethoven-Deutung

    E.

    T.

    A.

    lIoffmanns

    umstandslos

    als

    ,,romantisches

    MiSverstandnis''abzutun3l.

    aB

    die

    ,,Romantik ,

    ie

    HoSmann

    n

    Beethovens

    Symphonien

    entdeckte,

    und

    die

    ,,Klassik ,

    dsie

    die

    Werke

    nach

    dem

    Urteil

    spaterer

    Historiker

    eprasentieren,

    ich

    ausschlieBen,

    teht

    nicht

    so

    fest,

    wie

    die

    Alerachteres ,,romantischen eethovenbildes lauben.

    Die

    Beziehung

    zwischen

    den

    Begriffen

    ,klassisch

    und

    ,,romantisch

    n

    Hoffmanns

    Sprache

    st

    zwiespaltig

    und

    verwickelt.

    Die

    Termini

    tehen

    einer-

    seits

    zusammenhanglos

    ebeneinander

    nd

    bilden

    andererseits

    ine

    Antithese.

    1.

    ,,Klassisch

    nennt

    lIofEmann

    as

    Vollendete,

    Paradigmatische,

    nd

    zwar

    unabhangig

    on

    der

    Epoche,

    aus

    der

    es

    stammt,

    und

    dem

    Stil,

    den

    es

    reprasen-

    tiert.

    Messen

    von

    Palestrina

    oder

    Bach

    werden

    ebenso

    als

    ,,klassisch

    eruhmt

    wie

    Opern

    on

    Gluck,

    Mozart

    oder

    sogar

    Spontini32.

    eethovens

    Egmont-Ouver-

    tureist

    nach

    Hoffmann

    m

    Ausdruckscharakter

    ,romantisch

    nd

    in

    der

    ,,Ma-

    30

    L.

    SCHSADE,

    W.

    A.

    Mozart,

    Bern

    und

    Munchen

    1964,

    S.

    13.

    31

    H.

    H.

    EGGEBRECHT,

    eethoven

    und

    der

    Begrtff

    der

    Klasszk,

    Sitzungsberichte

    der

    Osterreichischen

    Akademie

    der

    Wissenschaften,

    Philosophisch-historische

    Klasse,

    271.

    Band,

    Wien

    1971,

    S.

    55.

    32

    E.

    T.

    A.

    HOFFMANN,

    .a.

    O.

    S.

    66,

    75,

    218,

    234

    und

    370.

  • 8/16/2019 Dahlhaus Aesthetik Und Wiener Klassik

    14/16

    Romantische

    Musikasthetik und

    Wiener Elassik

    179

    nier ,

    der

    Kompositionstechnik,,klassisch 3;undAnalogesgilt von

    Mozarts

    Opern34. as ,,romantische

    WeseneinesWerkesund dessen ,klassische

    Gel-

    tung

    sind miteinander ertraglich,weil sie Ivicht

    ufeinander ezogen ind.

    2. Die

    geschichtsphilosophisch-asthetische

    ntgegensetzungdes Klassisch-

    Antiken

    und des Romantisch-Modernen,urch

    AugustWilhelmSchlegel

    und

    Jean Paul zum Topos

    geworden,wurdevon

    Hoffmannaufgegriffen.,Die bei-

    den

    einander

    ntgegengesetzten ole des Antiken und des Modernen der

    des

    lIeidentumsund des Christentums,ind in der

    Kunst die Plastik und die

    Mu-

    sik 35.

    ,UnsereMusik,dasErzeugeisder

    romantischenZeit, die das Christen-

    tum gebar,schwimmt m

    reinengeistigenAther,

    statt daBjenes antikeWesen

    leiblich,

    plastisch ins Leben eintritt 36.

    Programmusik nd Tonmalerei

    er-

    wirft lIofEmann ls einen der MusikunangemessenenenJbergriff ns ,,Pla-

    stische ,Darstellende37.

    Die

    geschichtsphilosophisch-asthetische

    ntithese, die er von AugustM7il-

    helmSchlegelundJean Paul

    ubernahm, erkniipfteHoffmannmit der

    Wacken-

    roderschenEinsicht in die

    tiefgreifendeBedeutung

    des musikgeschicht]ichen

    Vorgangs,den man als

    ,,Emanzipationder

    Instrumentalmusik ezeichnen

    kann.

    ,,Rein musikalisch,dem

    Plastisch-Darstellendenerngeruckt,st nach

    lIofEmann icht die Vokal-,

    sondernerst die

    Instrumentalmusik.,Wennvon

    der

    Musikals einer

    selbstandigenKunst die Rede ist, sollte immernur die

    In-

    strumentalmusik emeintsein, welche, ede Hulfe, jede Beimischung ineran-

    dern Kunst verschmahend,

    as eigentumliche, ur in

    ihr zu erkennendeWesen

    der Kunst rein ausspricht

    8.DaB sich HoSmanns

    These n anderthalb ahr-

    hunderten zu einer scheinbaren

    Selbstverstandlichkeit erfestigt hat,

    darf

    nicht

    daruberhinwegtauschell,wie befrerndendie,

    als Bruch mit der

    antiken

    Traditiondes Musikbegrds,

    um 1800wirkenmuBte.

    Als

    Gegenstandder

    Instrumentalmusik, er ,,eigentlichen Musikdes

    ,,ro-

    mantischen Zeitalters,bestimmteHoffmann im

    Gegensatz ur

    uberlieferten

    Asthetik der Vokalmusik,deren zentraleKategoriedie imitatio naturae, die

    Nachahmungder

    (menschlichen)Natur war - das ,,tZbermenschliche

    nd

    ,,Wunderbare9 statt des

    Naturlichenund Irdisch-Nahen.Der Satz

    ,,IIaydn

    faBt dasMenschlichem

    menschlichen eben

    romantisch uf 0 besagt,daBdie

    33

    A.a.O. S. 171f.

    34 A.a.O. S. 66 und

    75.

    35

    A.a.O. S. 212. 36

    A.aO S. 294

    37

    A.a.O. S. 34: ,,Wie wenig

    erkannten die Instrumentalkomponisten dies

    eigen-

    tumliche Wesen der Musik,

    welche versuchten, jene bestimmbaren

    Empfindungen,

    oder gar Begebenheiten

    darzustellen, und so die der

    Plastik geradezu entgegenge-

    setzte Kunst plastisch zu behandeln . Ein Paradigma ,,bestimmbarer Empfindun-

    gen

    aber sind ,,die moralischen

    Charaktere , die HAYDN n seinen

    Symphonien zu

    schildern versuchte.

    38A.a.O S. 34

    39

    A.a.O. S. 36: ,,Mozart

    nimmt das tbermenschliche, das Wunderbare,

    welches

    im innern Geiste wohnt, in

    Anspruch .

    40 A.

    a. O. S. 36.

  • 8/16/2019 Dahlhaus Aesthetik Und Wiener Klassik

    15/16

    180

    Carl Dahlhaus

    Darstellungdes Menschlichen urchHaydn eine romantischeFarbung rhalte,

    die ihr sonstfehle,nicht etwa, daS ,ill der zeitgenossischen omantischenKon-

    zeption der klassischenMusik als deren Gehalt ,,das konkret Menschliche

    hervorgehobenwordensei4l.) Die Affektenlehre ildet den Widerpart ur ro-

    mantischenMetaphysikder Instrumentalmusik.,Beethoven st ein rein ro-

    mantischer eben deshalbein wahrhaftmusikalischer)Komponist,und daher

    mag es kommen,daB hm Vokalmusik, ie unbestimmtes ehnennicht zulaBt,

    sondernnur die durchWorte bezeichnetenASekte, als in dem Reich des Un-

    endlichenempfunden,darstellt, wenigergelingt 42. ,,In dem Reich des Un-

    endlichen empfunden st die Affektdarstellungnsofern, als sie uberhaupt

    Musikund nicht ,,einfacheNachahmung er Natur st.)

    Das ,,Romantische st andererseits as Unnachahmliche, nwiederholbare

    und gerat dadurch n einen - allerdings atenten- Gegensatz um paradigma-

    tischen Charakter es ,,Klassischen m Sinne des Musterhaften.Wenn HoS-

    mannGlucksOpern ls ,,klassischeMeisterwerke on Mozarts ,hoherRoman-

    tik unterscheidet,meint er oSenbarwenigerdie DiSerenzenzwischenden-

    bei Gluckantiken,bei Mozartmodernen Sujetsals vielmehrden Unterschied

    zwischender 57orbildlichkeit lucks(an den eine authentischeGluck-Schule

    anknupfte)und der UnnachahmlichkeitMozarts dessenNachfolger um Epi-

    gonentumverurteiltwaren). ,Eben deshalbhalt es Rez. fur geratener, ltere,

    energischeWerke die ,,klassischenMeisterwerke lucks,von denen zuvor

    die Rede war- ,,zu studieren,als ohne diesesStudiumder hohenRomantikMo-

    zarts nachzujagen 3. MozartsWerkesind zwar, als vollendeteKunst, ,,klas-

    sisch 44, ber nicht im Sinne des Musterhaften,mitierbaren:Der Klassik-Be-

    griS des 19. Jahrhunderts,n dem- unterderHerrschaft er Originalitatsidee

    weniger die Vorbildlichkeit ls die Zeitenthobenheitbetont wurde, zeichnet

    sich ab.)

    Das Romantische,wie Hoffmannes versteht, ist demnachdas Christlich-

    Moderne egenuberdem Heidnisch-Antiken, as Musikalische egenuberdem

    Plastisch-Darstellenden, as Unnachahmliche egenuberdem Vorbildlichen,

    die Instrumentalmusik ls ,,reine Musikgegenuberder Vokalmusik ls ,,be-

    dingter Kunst , das ,,tXbermenschliche nd ,nWunderbare egenuberdem

    Naturlichenund Irdisch-Gleifbaren, ie Metaphysik deren extreme Konse-

    41 EGGEBRECHT,. a. O. S. 52. DaZ die romantische Musikasthetik auf der Suche

    nach dem ,,Obermenschlichen , dem ,,Geisterreich , das ,,konkret Menschliche

    hinter sich zurucklieZ, bezeichnet ihre entscheidende Differenz vom G-eist der Wie-

    ner Elassik. F. SCHLEGELerwarf die populare tberzeugung, ,,nach welcher die

    Musik nur die Sprache der Empfindung sein soll , als ,,platten Gesichtspunkt der

    sogenannten Naturlichkeit und postulierte ,,eine gewisse Tendenz aller reinen In-

    strumentalmusik zur Philosophie (nach HILBERT, . a. O. S. 120).

    42 E. T. A. HOFFMANN,.a. O. S. 36.

    43A. a. O. S. 66

    44A.a.O S. 75.

  • 8/16/2019 Dahlhaus Aesthetik Und Wiener Klassik

    16/16

    Romantische Musikasthetik und Wiener Klassik

    181

    quenzen dann Schopenhauer og) gegenuberdem Realismusder Affektdar-

    stellung.

    Durch die schwarmerischeAkzentuierungdes ,,tbermenschlichen und

    ,,MTunderbaren ,as in der autonomenInstrumentalmusik ine Stimme zu

    erhaltenschien, entferntesich die romantischeMusikasthetik om Geist der

    Wiener Klassik, der durch nichts wenigerals durch spekulativeMetaphysik

    gepragt war. Die Symphoniehatte fur Haydn, der nach GriesingersZeugnis

    ,,moralischeCharaktere nstrumental u schildernversuchte,und ebensofur

    Mozartund Beethovendurchausmenschliches der ,,heroisches MaB.Ande-

    rerseitsmuf3 edoch das Urteil der Zeitgenossen,die in Haydns, Mozartsund

    BeethovensSymphoniendie Zeicheneines Bruchs mit dem gewohnten,durch

    die italienischeOper bestimmtenMusikbegrifFrkannten, ernst genommen

    werden.Und zwarwarendie norddeutschen sthetikerkeineswegs ie einzigen,

    die das bedrangendNeue der Instrumentalmusikuhltenund zu der Modevo-

    kabel ,,romantisch riffen,um es zu bezeichnen.Auch Stendhal, durchaus

    kein Romantiker,sondern ,,en musique... un homme d'un autre siecle 45,

    dessen Geschmack ich an Cimarosaund Paisiello gebildet hatte, empfand

    Haydns Instrumentalmusikls Ausdruck iner ,,romantischen hantasie,die

    an Ariost oder Shakespeare rinnerte: ,...pleine d'une imagination omanti-

    que. C'est en vain qu'on y chercherait1a mesure racinienne,c'est plutot

    l'Arioste ou Shakespeare 46.

    Die romantischeDeutung der klassischenInstrumentalmusik nicht der

    Klassik nsgesamt) st demnachAusdruck inerErkenntnis,wenn auch in ver-

    zerrter Gestalt. Die metaphysischenFormeln, die Wackenroder,Tieck und

    E. T. A. Hoffmann us der philosophisch-literarischenradition ufgriffen, m

    auszudrucken,was sie als fundamentalenWandel des Musikbegriffsmpfan-

    den, verfehltenden Geist der WienerKlassik.Die Distanz, die aus der kultur-

    geschichtlichenKluft zwischen dem protestantischenDeutschlandund dem

    katholischen udenresultierte,st jedochsekundar egenuber erTatsache,daB

    eine tiefgreifendegeschichtlicheVeranderung urch die romantischeMusik-

    asthetik in Worte gefaBtwurde, deren Emphaseund weitreichendeWirkung

    der Bedeutungdes Vorgangs ntsprachen.

    45 Nach E. ECKARDT, ie Musikanschauung der franzostschen Romanttk, S:assel

    1935, S. 50.

    46

    A. a. O. S. 52