„China-Waffen“ – Eine Klarstellung - Traditionsverband

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„China-Waffen“ – Eine Klarstellung Arne Schöfert Warum einen Artikel über ein Thema schreiben, das seit Jahren von den Experten weitestgehend bearbeitet und geklärt ist? Die Herkunft und Zuordnung von Ausrüstungs- gegenständen und Waffen deutscher Produktion aus der Jahrhundertwende, die aber statt einem Adler den Drachen zeigen, ist eigentlich lange geklärt. In der Fachliteratur finden sich eindeutige Hinweise. Trotzdem tauchen bei grauen Versteigerungen und im Privathandel immer wieder falsche Beschreibungen von Blankwaffen auf. Nicht selten liegt die Vermutung nahe, dass Verkäufer mit absichtlich falschen Beschreibungen den Erlös hochtreiben wollen. Eine Waffe, die einer deutschen Einheit zugerechnet wird, verkauft sich in Deutschland halt besser, als eine Chinesische – und die Käufer fallen darauf herein. Aber sogar in großen Museen werden Objekte falsch beschriftet, weil sich zähe Gerüchte jahrzehntelang halten und zur scheinbaren Wahrheit geworden sind. Ist es vielleicht ein Problem, dass der unerfahrene Sammler keinen Zugang zur Fachliteratur findet und im Internet keine (oder nur wenige) Erklärungen findet? Ich will versuchen, in diesem kurzen Aufsatz die Zusammenhänge kurz und knapp zu erläutern und Hinweise auf weiterführende Literatur zu geben. Dazu erfolgt eine Klärung der Begriffe, eine Vorstellung der Objekte und eine Information über die Zuordnung. Den Abschluss bildet eine ausführliche Literaturliste. Diese kurze Zusammenfassung erhebt also keinesfalls den Anspruch einer ausführlichen Bearbeitung, sondern soll nur die Fakten kurz skizzieren und dem Interessierten den Weg zu vertiefenderen Quellen weisen. 1) Die militärischen Einheiten mit deutschen Waffen vom „Boxerkrieg“ bis 1914 Das Ostasiatische Expeditionskorps Als Antwort auf die Ermordung des Freiherrn von Ketteler zu Beginn des Boxeraufstandes wurde ein aus allen Waffengattungen bestehendes Detachement in Stärke und Zusammen- setzung einer Division unter dem Namen "Ostasiatisches Expeditionskorps" aus Freiwilligen der gesamten Armee gebildet. Die Gesamtstärke der Truppe belief sich auf etwa 15000 Mann. Die Ostasiatische Besatzungsbrigade Nach dem Rückzug des Expeditionskorps 1901 verblieb eine kleinere Truppe im Land, deren Hauptaufgaben die Verstärkung der Gesandtschaftsschutzwache und die Sicherung der Verbindungen zur See waren. Diese Truppe wurde stetig reduziert, bis sie 1909 gänzlich aufgelöst wurde. Das 3.Seebattaillon und die „Chinesenkompagnie“ Marine-Infanterieeinheit, die von 1898 bis 1914 in Tsingtau stationiert war. Versuchsweise wurde 1900 eine Kompanie aus ca. 120 Chinesen aufgestellt, die „Chinesenkompagnie“. Sie bestand als militärische Einheit nur bis 1901 und wurde dann zur Polizei umgegliedert. Ihre Uniformierung wurde übrigens fast komplett übernommen und aufgetragen.

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„China-Waffen“ – Eine Klarstellung Arne Schöfert

Warum einen Artikel über ein Thema schreiben, das seit Jahren von den Experten weitestgehend bearbeitet und geklärt ist? Die Herkunft und Zuordnung von Ausrüstungs-gegenständen und Waffen deutscher Produktion aus der Jahrhundertwende, die aber statt einem Adler den Drachen zeigen, ist eigentlich lange geklärt. In der Fachliteratur finden sich eindeutige Hinweise. Trotzdem tauchen bei grauen Versteigerungen und im Privathandel immer wieder falsche Beschreibungen von Blankwaffen auf. Nicht selten liegt die Vermutung nahe, dass Verkäufer mit absichtlich falschen Beschreibungen den Erlös hochtreiben wollen. Eine Waffe, die einer deutschen Einheit zugerechnet wird, verkauft sich in Deutschland halt besser, als eine Chinesische – und die Käufer fallen darauf herein. Aber sogar in großen Museen werden Objekte falsch beschriftet, weil sich zähe Gerüchte jahrzehntelang halten und zur scheinbaren Wahrheit geworden sind. Ist es vielleicht ein Problem, dass der unerfahrene Sammler keinen Zugang zur Fachliteratur findet und im Internet keine (oder nur wenige) Erklärungen findet? Ich will versuchen, in diesem kurzen Aufsatz die Zusammenhänge kurz und knapp zu erläutern und Hinweise auf weiterführende Literatur zu geben. Dazu erfolgt eine Klärung der Begriffe, eine Vorstellung der Objekte und eine Information über die Zuordnung. Den Abschluss bildet eine ausführliche Literaturliste. Diese kurze Zusammenfassung erhebt also keinesfalls den Anspruch einer ausführlichen Bearbeitung, sondern soll nur die Fakten kurz skizzieren und dem Interessierten den Weg zu vertiefenderen Quellen weisen. 1) Die militärischen Einheiten mit deutschen Waffen vom „Boxerkrieg“ bis 1914

• Das Ostasiatische Expeditionskorps Als Antwort auf die Ermordung des Freiherrn von Ketteler zu Beginn des Boxeraufstandes wurde ein aus allen Waffengattungen bestehendes Detachement in Stärke und Zusammen-setzung einer Division unter dem Namen "Ostasiatisches Expeditionskorps" aus Freiwilligen der gesamten Armee gebildet. Die Gesamtstärke der Truppe belief sich auf etwa 15000 Mann.

• Die Ostasiatische Besatzungsbrigade Nach dem Rückzug des Expeditionskorps 1901 verblieb eine kleinere Truppe im Land, deren Hauptaufgaben die Verstärkung der Gesandtschaftsschutzwache und die Sicherung der Verbindungen zur See waren. Diese Truppe wurde stetig reduziert, bis sie 1909 gänzlich aufgelöst wurde.

• Das 3.Seebattaillon und die „Chinesenkompagnie“ Marine-Infanterieeinheit, die von 1898 bis 1914 in Tsingtau stationiert war. Versuchsweise wurde 1900 eine Kompanie aus ca. 120 Chinesen aufgestellt, die „Chinesenkompagnie“. Sie bestand als militärische Einheit nur bis 1901 und wurde dann zur Polizei umgegliedert. Ihre Uniformierung wurde übrigens fast komplett übernommen und aufgetragen.

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• Reguläre Chinesische (Hilfs-)Truppen Das chinesische Heer war zu der Zeit stark zersplittert. Regionale Gouverneure, Herrscher und das kaiserliche Heer bestanden nebeneinander und boten eine unübersichtliche Struktur. Belegt sind Einsätze von deutschen Militärausbildern und der Ankauf von Waffen und Ausrüstung in Deutschland. In der Literatur finden sich allerlei Bezeichnungen, wobei es auch öfter zu Verwechslungen mit der (deutschen) Chinesenkompagnie gibt. Tatsache ist, dass das internationale Expeditions-Korps auch von regulären chinesischen (Hilfs-)Truppen unterstützt wurde. Der spätere preußische Kriegsminister Erich von Falkenhayn betonte in einer Eingabe 1904 die guten Erfahrungen, die er während des Boxeraufstandes mit einer 1200 Mann starken chinesischen Hilfstruppe gemacht habe. Die Chinesen erfüllten treu ihre Pflichten im Dienst des internationalen Expeditionskorps. 2) Die Objekte

• Der Kavalleriedegen KD/89 Bild 1

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Bild 2

• Der Infanterie-Offizier-Degen M/89

Bild 3a

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Bild 3b

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• Das Mannschaftskoppelschloß M95 Bild 5a Bild 5b (Rückseite)

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Bild 6 Privatfoto aus dem Imperial War Museum (London). Die Beschriftung erklärt, dass es sich um ein Koppelschloß handelt, das von der Chinesenkompanie des deutschen Ostasientischen Expeditionskorps 1900 getragen wurde. 1908 soll diese Einheit dann als Polizei in Kiautschou eingesetzt worden sein. Hier werden gleich eine Reihe von falschen Angaben gemacht! 3) Zuordnung Es ist nicht nur unwahrscheinlich, sondern geradezu undenkbar, dass offizielle deutsche Heereseinheiten unter einem fremden Hoheitszeichen auftraten. Genau wie eine Fahne, stellt der Adler auf Waffen und Ausrüstung schließlich ein Hoheitszeichen dar. Warum sollte das ausgerechnet in China 1901 anders gewesen sein? Warum sollte ein deutscher Soldat unter dem Hoheitszeichen des Gegners gekämpft haben? In keiner Vorschrift oder Beschreibung der Uniformen des Expeditionskorps, der Besatzungsbrigade oder der Chinesenkompagnie finden sich Hinweise auf Ausrüstungs-gegenstände mit Drachensymbol. Nein, Fakt ist zu 99,9%, dass all diese Gegenstände zur Ausrüstung chinesischer Truppen gehört haben. Produziert in Deutschland nach preußischem Muster, aber für den Auftraggeber in China mit einem Drachen versehen. Diese Stücke wurden dann im Feindesland gern als Andenken eingesammelt. Es sind also Beutestücke. Die einzige Ausnahme könnten IODs mit Drachen sein, die nach dem Boxerkrieg als Andenken im deutschen Handel gekauft wurden. Hierzu gibt es Mutmaßungen, die sich auf Entwurfszeichnungen in Unterlagen (von nach 1901) deutscher Blankwaffenhersteller gründen. Dies wären somit aber auch keine offiziellen Ausrüstungsgegenstände der deutschen Armee. In der zeitgenössischen Literatur finden sich mehrere Hinweise, die diesen Sachverhalt recht eindeutig belegen: „....und im Südfort von Taku wurde ein Offiziersdegen preußischer Konstruktion gefunden, der im Korb statt des Adlers den Drachen, auf der Klinge aber ein Solinger Fabrikzeichen trägt...“ J. Scheibert „Der Krieg in China“ Berlin 1901

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Die Beschreibung der Räumung eines chinesischen Waffenarsenals im Dezember 1900: „ ...Räumung standen Tausende von Gewehren aller Modelle, dazu die Munition, darunter 50.000 Patronen vom deutschen Gewehr Mauser 88 in Kisten mit Blecheinsatz verpackt, wie sie von der Patronenfabrik in Karlsruhe abgesandt waren...Auch Koppelschlösser, Kavalleriesäbel und Offiziersdegen solcher Modelle, wie sie die deutsche Armee führte, wurden entdeckt. Jedoch prangte an Stelle des stolzen Adlers der chinesische Drachen.“ A. von Müller „Die Wirren in China“ Berlin 1902 Aus dem Bericht des Oberstleutnant von Gündell vom Dezember 1900 über die Einnahme des Dorfes Yang-Kot-Schwang: „Einige erbeutete Degen waren in Solingen gefertigt und trugen im Korb statt des preußischen Adlers den chinesischen Drachen. Einen schenkte ich General von Lessel.“ Egbert Kieser „Als China erwachte“. 1984 Als oft benutzter „Pseudobeweis“ wird auf ein Foto hingewiesen, das Graf Waldersee mit so einem „China-IOD“ in Tokio 1901 zeigt. Frau Hermes hat in Ihrem Artikel für das DWJ aber nachgewiesen, dass der Oberbefehlshaber des Expeditionskorps sich zum Zeitpunkt des Photos nur notgedrungen einer Ersatzwaffe beholfen hatte, weil seine Ausrüstung beim Brand im Winterpalast 1901 vernichtet worden war! So schreibt er in seinen Memoiren : „Mein Anzug war in der ersten Zeit nach dem Brande nicht ganz normal und ist es völlig erst in Cuxhaven geworden. Wäsche hatte ich vom Hauptmann von Blottnitz und mehreren Offizieren meines Stabes, einen Tropenhelm von der Stabswache, Litewka von den Reitern, Stiefel vom Oberkriegsgerichtsrat Gelpcke, Hose von der Kavalleriestabswache, Gamaschen von Herrn von Mumm, Säbel – es war ein in Deutschland hergestellter chinesischer Offiziersäbel – von einem sächsischen Infanterie-Offizier, Säbelkoppel usw. von General Stuart...“ Frau Christiane Teschauer-Selzer hat freundlicherweise Bilder zur Verfügung gestellt, die meines Erachtens den endgültigen Beweis darstellen. Auf dem zeitgenössischen Portraitfoto eines Deutschen in chinesischer Offiziers-Uniform (Bild 7) ist recht deutlich der IOD deutscher Machart zu erkennen. Im zweiten Foto (Bild 8) einer chinesischen Polizeieinheit kann man nicht nur wieder die Form eines preußischen IODs bei dem (Unter-)Offizier erkennen, sondern auch die geprägten Koppelschlösser der Mannschaftsdienstgrade. Das kann einfach nur das mysteriöse Drachen-Koppelschloß sein.

Bild 7b (Beschriftung auf der Rückseite)

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Bild 7

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Bild 8

Vergrößerungen aus Bild 8. Die Übereinstimmungen mit den Bildern 3,4 und 5 wird klar deutlich.

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Abkürzungen: IOD = Infanterie Offizierdegen KD = Kavalleriedegen DWJ = Deutsches Waffen Journal ZfH = Zeitschrift für Heereskunde Literatur „Eine rätselhafte Waffe: Der „China“-Infanterieoffizierdegen M89“ Sabina Hermes DWJ 1/1987 und ergänzender Leserbrief in DWJ 6/1987 „Fernöstlich. Der Infanterie-Offizier-Degen N/M der Ostasiatischen Besatzungsbrigade und seine Sonderformen“ Rolf Selzer DWJ 2/1989 Uniformtafel „Deutsches Ostasiatisches Expeditionskorps 1900-1901“ Hauptmann Hettler Uniformtafel „Uniformbogen Nr.27 Ostasiatische Truppen und Marine-Infanterie“ H.Knötel & H.M.Brauer „Der China IOD M/89“ “ Sabina Hermes & Rolf Hofmann in „Der Bote aus dem Wehrgeschichtlichen Museum“, Heft 17, Rastatt. Siehe auch erweiterte Version im Internet-Magazin dieser Seite, Stand 2006 „Chinesen in deutscher Uniform: Der Alltag der chinesischen Soldaten in der deutschen Interessenzone“ Bernd Leupold in „Deutsche und Chinesen in Tsingtau 1897-1914“ Wolfratshausen, 1999 „Die deutsche Chinesenkompagnie in Litzun“ O. Dannhauer in Zeitschrift „Die Woche“ Nr.4/1900 „Das Ostasiatische Expeditionskorps“ in „Das kleine Buch vom Deutschen Heere“ Hein, Kiel 1901 „Unsere Truppen in Ostasien“ Moritz Ruhl, Leipzig ca.1901 Bildquellen 1 – Verkaufskatalog Heich-Blankwaffen (www.blankheich.de) . Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Dieter Heich 2 – Auktionskatalog Firma Zeige (www.zeige.com). Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Carsten Zeige 3 – Verkaufskatalog Firma „Arsenal“ (www.arsenal.de). Mit freundlicher Genehmigung von Frau Anja Bauer. 4 – Deutsches Waffen Journal Heft 1/1987 Artikel von Frau Hermes 5 – „Port Arthur Collection“. Mit freundlicher Genehmigung des Inhabers und Chris Dale (http://www.germancolonialuniforms.co.uk/) 6 – Privatphoto älteren Datums 7, 8 Privatarchiv Frau Christiane Teschauer-Selzer (www.portepee.de) Mit freundlicher Genehmigung.