Chinesische Pharmakologie I – 523 Arzneimonographien

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Buchbesprechungen | Book and Media Reviews Dt Ztschr f Akup. 56, 4/2013  53 DZA Therapieverfahren und haben Einzug in den Alltag von ÄrztIn- nen, TherapeutInnen und PatientInnen gefunden. Es ist längst klar geworden, dass für eine sichere und praktisch gut anwend- bare Kräutermedizin die traditionellen Systeme UND die wissenschaftlichen Erkenntnisse über Heilpflanzen wichtig sind. Die „Phytos boomen“ – leider oft mit unsachgemäßem Gebrauch. Die Herausforderungen für die Praxis sind nicht mangelnde Informationen, sondern im Gegenteil die Flut von Informatio- nen und deren Organisation im Sinne eines modernen Wissens- managements. Ich freue mich über dieses Buch. Es ist den AutorInnen gelun- gen, die Fülle an Informationen aus den zwei großen Wissens- gebieten der TCM und der westlichen Kräutermedizin so zu integrieren und zu verarbeiten, dass es in der täglichen Praxis leichter wird, eine individuelle, nachvollziehbare, sichere und effektive Kräuterrezeptur zu erstellen. Inhalt **** Hier handelt es sich um eine Neuauflage des 2001 erschienenen Buches „Chinese Medical Herbology and Pharmacology“. Es hat mehr als 1.300 Seiten, der Hauptteil enthält 523 Monographien chinesischer Arzneimittel. Das Buch bietet in Teil 1 einen guten Überblick über Geschichte, Klassifikation, Anbau, Verarbeitung und Zubereitung der chinesischen Arzneimittel bis hin zu ihrer zeitgenössischen Ver- wendung – inklusive pharmakodynamischer Wechselwirkungen. In Teil 2 sind die Arzneimonographien sehr übersichtlich dargestellt, beginnend mit farbigen und beeindruckenden Bildern der Schnittdrogen. Danach folgt die ausführliche Beschreibung nach folgenden Kri- terien: Pin-Yin-Name, wörtliche Übersetzung, Originalquelle, deutscher Name, botanischer Name, pharmazeutischer Name, Eigenschaften und Leitbahn-Zugehörigkeit. Die Funktionen sind ebenfalls gut beschrieben. Zu jeder Funk- tion gibt es für die Praxis wichtige Kommentare, Kräuterkom- binationen und Beispielrezepturen. Es folgt eine Auflistung bekannter Inhaltsstoffe, die zum Teil mit den wichtigsten chemischen Formeln ergänzt sind. Weitere Erklärungen zur Rolle und Funktion der Inhaltsstoffe gibt es aber nur selten. Die wissenschaftlich erforschten pharmakologischen Wirkungen werden anhand zahlreicher Zitationen von Studien und häufig auch durch Tierversuche beschrieben. Die Quellen dieser Daten sind sehr genau bis hin zu den Seitenzahlen – praktischerweise gleich am Ende jeder Monographie – zitiert. Was den „Chen“ besonders macht, sind die persönlichen Kom- mentare aus der Erfahrung der AutorIn am Ende jeder Mono- graphie. Ebenso hilfreich für das Lernen und die Praxis sind die John K. Chen, Tina Chen Chinesische Pharmakologie I 523 Arzneimonographien Verlag Systemische Medizin: Bad Kötzting, 1.355 S., Hardcover, vierfarbig, ISBN: 978-3-86401-002-6, 149 € Dr. Verena Baustädter Wiener Schule für Traditionelle Chinesische Medizin [email protected] www.wstcm.at Zusammenfassungen und Differenzierungen der einzelnen Arzneien am Ende jeder Arzneimittelgruppe, deren Beschreibung in Tabellenform sowie als kurze einprägsame Texte. Die Anhänge und Indices in Teil 3 sind praktisch und übersicht- lich. Das Literaturverzeichnis ist sehr ausführlich und enthält eine Fülle an zeitgenössischen und klassischen Quellen. Lesbarkeit ***** Der „Chen“ ist mit mehr als 1.300 Seiten ein sehr umfangreiches Buch, das nicht leicht zu tragen ist und daher eher seinen fixen Platz in der Praxis oder Studierstube haben wird. Die einzelnen Abschnitte lesen sich unterschiedlich flüssig. In der Übersicht am Beginn sind viele Informationen auf engem Raum gepackt, aber ein übersichtliches Layout erleichtert das Verständnis. Die Monographien sind gut durchstrukturiert und leicht zu lesen. Innovation ** Dies ist eine Neuauflage eines 2001 erschienenen Buches. Die Innovation findet sich im Layout und in der Übersichtlichkeit. Umsetzbarkeit *** Die Umsetzbarkeit für die Praxis ist gut, die Monographien sind klar und praxisnah beschrieben und die Kommentare der AutorIn sehr hilfreich. Die Fülle an Daten pharmakologische Wirkungen und Wechselwirkungen mit Medikamenten betreffend, lässt sich nicht so leicht umsetzen, da die tatsächliche Bedeutung für die Praxis der Behandlung oft nicht klar ist. Hilfreich wäre auch hier ein Kommentar, wie die AutorIn persönlich damit umgehen. Meine Meinung Dieses Buch ist informativ, gut gegliedert, sehr übersichtlich gestaltet und enthält schöne Bilder. Um mit manchen der zahlreichen Informationen wirklich etwas anfangen zu können, braucht man aber zusätzliche Quellen. Die praktische Umsetzung der Aufzählung der Inhaltsstoffe braucht großes Vorwissen. Es gibt kaum Beschreibungen, was diese tatsächlich bewirken und worauf man als VerschreiberIn achten muss. Den Begriff „Phytoöstrogen“ beispielsweise habe ich vergeblich gesucht. Eine Vielzahl von Tierversuchen wird beschrieben, die absolut entbehrlich und an Grausamkeit kaum zu überbieten sind. Warum bei jedem Arzneimittel die LD 50 bei Tieren bestimmt werden muss, übersteigt mein Vorstellungsvermögen. Gerade wir ganzheitlich denkenden MedizinerInnen müssen eine sinnvollere Vorstellung von „Wissenschaftlichkeit“ etablieren. Vermehrtes Anführen historischer Aussagen und Fachdis- kussionen erfahrener ÄrztInnen wären meines Erachtens ein zielführenderer Weg. Die zahlreichen, häufig sehr knapp zitierten klinischen Studien an Menschen sind interessant, man müsste jedoch, um wirklich Zahlen und „harte Informationen“ zu bekommen, viele dieser Studien ausheben und lesen. Eine etwas umfangreichere Zitation wäre eine Erleichterung. Fazit Dieses Buch ist ein gutes Nachschlagewerk für Praxis und Studium, das in übersichtlicher Weise sehr viel Information bietet.

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Dt Ztschr f Akup. 56, 4 / 20 13    53    DZA

Therapieverfahren und haben Einzug in den Alltag von ÄrztIn-nen, TherapeutInnen und PatientInnen gefunden. Es ist längst klar geworden, dass für eine sichere und praktisch gut anwend-bare Kräutermedizin die traditionellen Systeme UND die wissenschaftlichen Erkenntnisse über Heilpfl anzen wichtig sind. Die „Phytos boomen“ – leider oft mit unsachgemäßem Gebrauch.Die Herausforderungen für die Praxis sind nicht mangelnde Informationen, sondern im Gegenteil die Flut von Informatio-nen und deren Organisation im Sinne eines modernen Wissens-managements. Ich freue mich über dieses Buch. Es ist den AutorInnen gelun-gen, die Fülle an Informationen aus den zwei großen Wissens-gebieten der TCM und der westlichen Kräutermedizin so zu integrieren und zu verarbeiten, dass es in der täglichen Praxis leichter wird, eine individuelle, nachvollziehbare, sichere und eff ektive Kräuterrezeptur zu erstellen.

Inhalt ****Hier handelt es sich um eine Neuaufl age des 2001 erschienenen Buches „Chinese Medical Herbology and Pharmacology“. Es hat mehr als 1.300 Seiten, der Hauptteil enthält 523 Monographien chinesischer Arzneimittel.Das Buch bietet in Teil 1 einen guten Überblick über Geschichte, Klassifi kation, Anbau, Verarbeitung und Zubereitung der chinesischen Arzneimittel bis hin zu ihrer zeitgenössischen Ver-wendung – inklusive pharmakodynamischer Wechselwirkungen. In Teil 2 sind die Arzneimonographien sehr übersichtlich dargestellt, beginnend mit farbigen und beeindruckenden Bildern der Schnittdrogen. Danach folgt die ausführliche Beschreibung nach folgenden Kri-terien: Pin-Yin-Name, wörtliche Übersetzung, Originalquelle, deutscher Name, botanischer Name, pharmazeutischer Name, Eigenschaften und Leitbahn-Zugehörigkeit.Die Funktionen sind ebenfalls gut beschrieben. Zu jeder Funk-tion gibt es für die Praxis wichtige Kommentare, Kräuterkom-binationen und Beispielrezepturen.Es folgt eine Aufl istung bekannter Inhaltsstoff e, die zum Teil mit den wichtigsten chemischen Formeln ergänzt sind. Weitere Erklärungen zur Rolle und Funktion der Inhaltsstoff e gibt es aber nur selten.Die wissenschaftlich erforschten pharmakologischen Wirkungen werden anhand zahlreicher Zitationen von Studien und häufi g auch durch Tierversuche beschrieben. Die Quellen dieser Daten sind sehr genau bis hin zu den Seitenzahlen – praktischerweise gleich am Ende jeder Monographie – zitiert.Was den „Chen“ besonders macht, sind die persönlichen Kom-mentare aus der Erfahrung der AutorIn am Ende jeder Mono-graphie. Ebenso hilfreich für das Lernen und die Praxis sind die

John K. Chen, Tina Chen

Chinesische Pharmakologie I523 Arzneimonographien

Verlag Systemische Medizin: Bad Kötzting, 1.355 S., Hardcover, vierfarbig, ISBN: 978-3-86401-002-6, 149 €

Dr. Verena Baustädter Wiener Schule für Traditionelle Chinesische [email protected]

Zusammenfassungen und Diff erenzierungen der einzelnen Arzneien am Ende jeder Arzneimittelgruppe, deren Beschreibung in Tabellenform sowie als kurze einprägsame Texte.Die Anhänge und Indices in Teil 3 sind praktisch und übersicht-lich. Das Literaturverzeichnis ist sehr ausführlich und enthält eine Fülle an zeitgenössischen und klassischen Quellen.

Lesbarkeit ***** Der „Chen“ ist mit mehr als 1.300 Seiten ein sehr umfangreiches Buch, das nicht leicht zu tragen ist und daher eher seinen fi xen Platz in der Praxis oder Studierstube haben wird. Die einzelnen Abschnitte lesen sich unterschiedlich fl üssig. In der Übersicht am Beginn sind viele Informationen auf engem Raum gepackt, aber ein übersichtliches Layout erleichtert das Verständnis. Die Monographien sind gut durchstrukturiert und leicht zu lesen.

Innovation **Dies ist eine Neuaufl age eines 2001 erschienenen Buches.Die Innovation fi ndet sich im Layout und in der Übersichtlichkeit.

Umsetzbarkeit ***Die Umsetzbarkeit für die Praxis ist gut, die Monographien sind klar und praxisnah beschrieben und die Kommentare der AutorIn sehr hilfreich. Die Fülle an Daten pharmakologische Wirkungen und Wechselwirkungen mit Medikamenten betreff end, lässt sich nicht so leicht umsetzen, da die tatsächliche Bedeutung für die Praxis der Behandlung oft nicht klar ist. Hilfreich wäre auch hier ein Kommentar, wie die AutorIn persönlich damit umgehen.

Meine MeinungDieses Buch ist informativ, gut gegliedert, sehr übersichtlich gestaltet und enthält schöne Bilder. Um mit manchen der zahlreichen Informationen wirklich etwas anfangen zu können, braucht man aber zusätzliche Quellen.Die praktische Umsetzung der Aufzählung der Inhaltsstoff e braucht großes Vorwissen. Es gibt kaum Beschreibungen, was diese tatsächlich bewirken und worauf man als VerschreiberIn achten muss. Den Begriff „Phytoöstrogen“ beispielsweise habe ich vergeblich gesucht.Eine Vielzahl von Tierversuchen wird beschrieben, die absolut entbehrlich und an Grausamkeit kaum zu überbieten sind. Warum bei jedem Arzneimittel die LD 50 bei Tieren bestimmt werden muss, übersteigt mein Vorstellungsvermögen. Gerade wir ganzheitlich denkenden MedizinerInnen müssen eine sinnvollere Vorstellung von „Wissenschaftlichkeit“ etablieren. Vermehrtes Anführen historischer Aussagen und Fach dis-kussionen erfahrener ÄrztInnen wären meines Erachtens ein zielführenderer Weg.Die zahlreichen, häufi g sehr knapp zitierten klinischen Studien an Menschen sind interessant, man müsste jedoch, um wirklich Zahlen und „harte Informationen“ zu bekommen, viele dieser Studien ausheben und lesen. Eine etwas umfangreichere Zitation wäre eine Erleichterung.

FazitDieses Buch ist ein gutes Nachschlagewerk für Praxis und Studium, das in übersichtlicher Weise sehr viel Information bietet.

++DZA_04_2013.indb 53 25.11.2013 11:12:12