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Wasseraufbereitung · Bädertechnik | AB Archiv des Badewesens 03/2012 166 Chlorit und Chlorat Ein neuer Summenparameter der DIN 19 643 zur Überwachung von Schwimmbeckenwasser Dr. Dirk P. Dygutsch, Dr. Nüsken Chemie GmbH, Kamen, und Dr. Meike Kramer, RheinEnergie AG, Köln, Mitglieder des Technischen Ausschusses bzw. des Arbeitskreises Wasseraufbereitung der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen e.V., Essen, und Mitglieder des DIN-Ausschusses 19 643 Schon lange ist bekannt, dass Chlora- te entstehen, wenn die zur Wasserdes- infektion verwendeten Hypochlorite zerfallen. Das geschieht besonders dann, wenn Natriumhypochlorit-Lö- sung („Chlorbleichlauge“) unter un- günstigen Bedingungen gelagert wird. Weil Chlorat bei der Kreislaufaufbe- reitung nicht entfernt, sondern nur durch Frischwasserzugabe verdünnt werden kann, kommt es zudem mit der Zeit zu einer Anreicherung im Be- ckenwasser. Seit in ersten stichprobenartigen Mes- sungen beim Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg Ende der 1990er Jahre bis zu 140 mg/l Chlorat im Be- ckenwasser nachgewiesen wurde, 1) 2) steht die Frage im Raum, ab welchen Konzentrationen des auch als Herbizid eingesetzten Salzes nun eigentlich ei- ne Gesundheitsgefährdung für den Ba- degast besteht. Dieser Fragestellung hat sich das Fachgremium zur Über- arbeitung der DIN 19 643 gemeinsam mit Experten des Umweltbundesam- tes (UBA) und der Schwimm- und Ba- debeckenwasserkommission gewidmet. In diesem Zusammenhang wurde auch eine Begrenzung für das toxische Des- infektionsnebenprodukt Chlorit ange- strebt, das prinzipiell über mit Chlor- dioxid desinfiziertes Füllwasser ein- getragen werden kann. Da sich Chlo- rit im Beckenwasser schnell zu Chlo- rat abbaut und einen toxikologisch ver- gleichbaren Wirkmechanismus auf- weist, war es aus regulatorischer Sicht angestrebt, die Summe beider Verbin- dungen gemeinsam zu bewerten. Der folgende Artikel zeigt, nach wel- chen Vorgaben ein toxikologisch be- gründeter Höchstwert ermittelt wird, und welche Variablen bei entsprechen- der Begründung zu einer wissenschaft- lich abgesicherten Verschiebung eines solchen Wertes führen können. Auf diese Weise war es möglich, den zu- nächst vom UBA vorgeschlagenen Wert von 10 mg/l für die Summe an Chlorit und Chlorat im Beckenwasser im Rah- men eines Einspruchs der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen e. V. (DGfdB), Essen, nachträglich auf 30 mg/l heraufzusetzen. Mit der Aufnahme eines oberen Wer- tes für Chlorit und Chlorat in die Neu- fassung der DIN 19 643 stehen die Be- treiber von Schwimmbädern vor neu- en Herausforderungen. Etablierte und bewährte Desinfektionsverfahren müs- sen unter Umständen angepasst, An- sätze zur Füllwassereinsparung müs- sen ggf. neu überdacht werden. Chlorat: ein bisher wenig beachtetes Desinfektionsnebenprodukt Als Chlorite werden die Salze der Chlo- rigen Säuren HClO 2 , als Chlorate die Salze der Chlorsäure HClO 3 bezeichnet. Beide Verbindungen sind starke und spontan reagierende Oxidationsmittel. Im Wasser dissoziieren sie leicht und vollständig als starke Säure unter Bil- dung ihrer Anionen. HClO 2 H + + ClO 2 - (1) HClO 3 H + + ClO 3 - (2) Die Desinfektion mit Chlor beruht auf der Bildung von desinfizierend wirken- den Hypochloriten bzw. unterchloriger Säure, unabhängig davon, ob Chlorgas oder Natrium- bzw. Calciumhypochlo- rit zugegeben wurde. In wässriger Lö- sung zerfallen Hypochlorite in Abhän- gigkeit von den Reaktionsbedingungen in einer zweistufigen Reaktionsfolge ge- mäß Gleichung (1) und (2) zu Chloraten. Dieser Reaktionstyp wird als Dispropor- tionierung bezeichnet, da das Chloratom nach der Reaktion formal zwei unter- schiedliche Oxidationszahlen aufweist. In der ersten Stufe (3) wird zunächst Chlorit gebildet, das in Gegenwart von weiterem Hypochlorit spontan zu Chlo- rat weiterreagiert (4). Da der zweite Re- aktionsschritt schneller abläuft als der

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Wasseraufbereitung · Bädertechnik | AB Archiv des Badewesens 03/2012 166

Chlorit und Chlorat

E i n n e u e r S u m m e n p a r a m e t e r d e r D I N 19 6 4 3 z u r Ü b e r w a c h u n g v o n S c h w i m m b e c k e n w a s s e r

Dr. Dirk P. Dygutsch, Dr. Nüsken Chemie GmbH, Kamen, und Dr. Meike Kramer, RheinEnergie AG, Köln, Mitglieder des Technischen Ausschusses

bzw. des Arbeitskreises Wasseraufbereitung der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen e. V., Essen, und Mitglieder des DIN-Ausschusses 19 643

Schon lange ist bekannt, dass Chlora-te entstehen, wenn die zur Wasserdes -infektion verwendeten Hypochloritezerfallen. Das geschieht besondersdann, wenn Natriumhypochlorit-Lö -sung („Chlor bleichlauge“) unter un -günstigen Bedingungen gelagert wird.Weil Chlorat bei der Kreislaufaufbe-reitung nicht entfernt, sondern nurdurch Frischwasserzugabe verdünntwerden kann, kommt es zudem mitder Zeit zu einer Anreicherung im Be -ckenwasser.

Seit in ersten stichprobenartigen Mes -sungen beim LandesgesundheitsamtBa den-Württemberg Ende der 1990erJahre bis zu 140 mg/l Chlorat im Be -ckenwasser nachgewiesen wurde,1) 2)

steht die Frage im Raum, ab welchenKonzentrationen des auch als Herbizideingesetzten Salzes nun eigentlich ei -ne Gesundheitsgefährdung für den Ba -degast besteht. Dieser Fragestellunghat sich das Fachgremium zur Über-arbeitung der DIN 19 643 gemeinsammit Experten des Umweltbundesam-tes (UBA) und der Schwimm- und Ba -debeckenwasserkommission gewidmet.In diesem Zusammenhang wurde aucheine Begrenzung für das toxische Des -infektionsnebenprodukt Chlorit an ge -strebt, das prinzipiell über mit Chlor-dioxid desinfiziertes Füllwasser ein-

getragen werden kann. Da sich Chlo-rit im Beckenwasser schnell zu Chlo-rat abbaut und einen toxikologisch ver -gleichbaren Wirkmechanismus auf-weist, war es aus regulatorischer Sichtangestrebt, die Summe beider Verbin-dungen gemeinsam zu bewerten.

Der folgende Artikel zeigt, nach wel-chen Vorgaben ein toxikologisch be -gründeter Höchstwert ermittelt wird,und welche Variablen bei entsprechen-der Begründung zu einer wissenschaft-lich abgesicherten Verschiebung einessolchen Wertes führen können. Aufdiese Weise war es möglich, den zu -nächst vom UBA vorgeschlagenen Wertvon 10 mg/l für die Summe an Chloritund Chlorat im Beckenwasser im Rah-men eines Einspruchs der DeutschenGesellschaft für das Badewesen e. V.(DGfdB), Essen, nachträglich auf 30 mg/lheraufzusetzen.

Mit der Aufnahme eines oberen Wer-tes für Chlorit und Chlorat in die Neu-fassung der DIN 19 643 stehen die Be -treiber von Schwimmbädern vor neu -en Herausforderungen. Etablierte undbewährte Desinfektionsverfahren müs -sen unter Umständen angepasst, An -sätze zur Füllwassereinsparung müs-sen ggf. neu überdacht werden.

Chlorat: ein bisher wenig beachtetesDesinfektionsnebenproduktAls Chlorite werden die Salze der Chlo-rigen Säuren HClO2, als Chlorate dieSalze der Chlorsäure HClO3 bezeichnet.Beide Verbindungen sind starke undspontan reagierende Oxidationsmittel.Im Wasser dissoziieren sie leicht undvollständig als starke Säure unter Bil-dung ihrer Anionen.

HClO2 → H+ + ClO2- (1)

HClO3 → H+ + ClO3- (2)

Die Desinfektion mit Chlor beruht aufder Bildung von desinfizierend wirken-den Hypochloriten bzw. unterchlorigerSäure, unabhängig davon, ob Chlorgasoder Natrium- bzw. Calciumhypochlo-rit zugegeben wurde. In wässriger Lö -sung zerfallen Hypochlorite in Abhän-gigkeit von den Reaktionsbedingungenin einer zweistufigen Reaktionsfolge ge -mäß Gleichung (1) und (2) zu Chloraten.Dieser Reaktionstyp wird als Dis pro por -tionierung bezeichnet, da das Chlo ra tomnach der Reaktion formal zwei unter-schiedliche Oxidationszahlen aufweist.

In der ersten Stufe (3) wird zunächstChlorit gebildet, das in Gegenwart vonweiterem Hypochlorit spontan zu Chlo-rat weiterreagiert (4). Da der zweite Re -aktionsschritt schneller abläuft als der

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erste, kann bei sachgerechter Aufberei-tung von Schwimm- und Badebecken-wasser üblicherweise kein Chlorit nach-gewiesen werden. Die Gesamtreaktionkann gemäß Gleichung (5) beschriebenwerden.

ClO- + ClO- → Cl- + ClO2- (3)

ClO- + ClO2- → Cl- + ClO3

- (4)

3 ClO- → 2 Cl- + ClO3- (5)

Die Disproportionierung von Hypo-chloriten zu Chlorit und Chlorat wirdbegünstigt durch■ hohe Hypochlorit-Konzentra-

tionen3),■ Wärme2) 4),■ UV-Strahlung (Sonnenlicht)2) 4),■ pH-Werte <10,55),■ Katalysatoren wie z. B. Schwer -

metallionen6).

Eine Ursache für den Anstieg der Chlo-rat-Konzentration im Beckenwasser istdie Bildung und Anreicherung von Chlo-raten durch den Zerfall von unterchlo-riger Säure und Hypochlorit im Beckenselbst. Dieses gilt insbesondere, wennstarke UV-Strahlung und ggf. hohe Tem-peraturen vorherrschen, wie z. B. anhei ßen Sonnentagen in Freibecken. Einwe sentlich größerer Eintrag ist jedochüber die Dosierung von Chlordesinfek-tions-Lösungen möglich, in denen sichbereits während der Lagerung Chloratgebildet hat.

Chlorat ildung während der Lagerungchlorhaltiger DesinfektionsmittelNatriumhypochlorit-Lösung (Gebinde)In Abbildung 1 wird der Zerfall einerhandelsüblichen Natriumhypochlorit-

Lösung („Chlorbleichlauge“) bei unter-schiedlichen Lager- und Aufbewahrungs -bedingungen gezeigt.4) Höhere Tempe-raturen, Lichteinstrahlung und langeLagerzeiten beschleunigen den Abbaudes Aktivchlors und die Bildung vonChlorat. Für den Schwimmbadbetreiberbedeutet diese Erkenntnis, dass die Be -schaffung von Natriumhypochlorit-Lö -sung sich an einem Bedarf von maxi-mal zwei Monaten orientieren sollte.Dabei sollte die beschaffte Ware überden gesamten Zeitraum möglichst kühlund dunkel aufbewahrt werden.

Natriumhypochlorit-Lösung aus derSalzelektrolyseObwohl die durch Kochsalz-Elektroly-se vor Ort hergestellte Natriumhypo-

chlorit-Lösung bereits vergleichsweisegeringe Chlorat-Konzentrationen auf-weist (z. B. 0,5 - 2 g/l bei 25 g/l Aktiv -chlor), ist sie nicht frei von Chlorat.U. a. entsteht beim Herstellungs prozessWärme in der Elektrolysezelle, welchedie Chlorat-Bildung begünstigt (dieserEffekt wird beispielsweise großtechnischgenutzt, um bei höheren Tem peraturengezielt Chlorate herzustellen). Darüberhinaus ist eine Zunahme der Chlorat-Konzentration auch möglich, wenn dienicht vollständig verbrauchte, mit Chlo -rat angereichte „Magersole“ zur erneu-ten Anreicherung in den Solebe hälterzurückgeführt wird.

Als wesentlicher Einflussfaktor ist je -doch zusätzlich die Tatsache zu berück-

■ Abbildung 1: Abbau an wirksamem Chlor und Entstehung von Chlorat in einer Natriumhypo-chlorit-Lösung bei unterschiedlichen Lagerbedingungen4)

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Monate

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sichtigen, dass die vor Ort gebildeteNa triumhypochlorit-Lösung im Vor rats -be hälter (Produkttank) ebenso altert wiehandelsübliche Chlorbleichlauge im Ge - binde. Eine Möglichkeit zur Vermin-derung der Alterung der bevorratetenHy pochlorit-Lösung könnte u. a. die Ver -wendung zweier Lagerbehälter sein, die wechselseitig im Zuge der Dosie-rung ge leert werden. Insgesamt wäre eswünschenswert, durch geeignete tech-nische Maßnahmen die Chlorat-Bildungwäh rend des Herstellungs- und Lager-prozesses zu reduzieren.

Calciumhypochlorit-LösungBeim Einsatz von Festchlor, in der Regelauf der Basis von Calciumhypochlorit,ist nur dann mit einer Chlorat-Bildungzu rechnen, wenn vor Ort hergestellteLösungen unter ungünstigen Bedingun -gen gelagert werden. Dieses kann durchdirekte und unmittelbare Dosierung desFeststoffes nach kurzfristiger Auflösung

vermieden werden. Gängige Geräte hältder Markt hierzu bereit.

ChlorgasBeim Einsatz von Chlorgas zur Desin-fektion von Wasser ist die Gefahr derBildung von Chloraten nicht gegeben.Hypochlorite bzw. unterchlorige Säurebilden sich unmittelbar bei der Zugabevon Chlorgas in den Aufbereitungs-kreislauf, sodass keine Alterungspro-blematik besteht.

ChlordioxidChlordioxid ist gemäß DIN 19 643 nichtzur Desinfektion von Beckenwasser vor-gesehen. Es kann aber über desinfizier-tes Füllwasser in den Aufbereitungs-kreislauf gelangen. Bei dem hierzu ein-gesetzten Chlor-/Chlordioxid-Verfahrenkann es zur Bildung von Chlorit undChlorat kommen, wobei die Reaktionennach Gleichung (6) und (7) möglich sind.Chlorit entsteht durch Reduktion des

Chlordioxids. Reduktionsmittel könnendabei Wasserinhaltsstoffe wie Schmutz,Huminsäuren etc. sein.7)

2 ClO2- + Cl2 → 2 Cl- + 2 ClO2 (6)

ClO2 + ClO- → Cl- + ClO3- (7)

Toxikologischer HintergrundEbenso wie bei dem besser untersuch-ten Chlorit beruht der toxikologisch vor-rangige Wirkmechanismus von Chloratauf einer Schädigung der roten Blutkör-perchen.8) 9) Starke Oxidationsmittel wieChlorat und Chlorit überführen die Eisen-Ionen im Hämoglobin (Blutfarbstoff),das für den Sauerstofftransport verant-wortlich ist, in eine höhere Oxidations-stufe. Es entsteht Methämoglobin, daskeinen Sauerstoff mehr binden kann.Ab Methämoglobin-Gehalten von15 bis20 % können erste Anzeichen einermangelnden Sauerstoffversorgung wiez. B. Kopfschmerzen und Benommen-heit auftreten, durch die Reaktion mit

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der Magenschleimhaut nach oraler Auf-nahme auch Symptome wie Übelkeit, Ma -genschmerzen, Erbrechen und Durch fall.Hohe Methämoglobin-Gehalte ab ca.40 %,die beim Verschlucken von ge chlortemBadebeckenwasser allerdings nicht zu be - fürchten sind, können infolge einer fort-schreitenden Hämolyse zu Atemnot,Schock und Bewusstlosigkeit führen.

Besonders empfindlich auf Methämo-globin-bildende Substanzen reagierenMenschen mit einem genetisch beding-ten Enzymdefekt, dem Glucose-6-Phos -phat-Dehydrogenase-Mangel (G6PDH-Mangel), der sich vor allem in Malaria-gefährdeten Regionen verbreiten konn -te (z. B. Mittelmeerraum, tropisches Afri-ka, Südasien), weil er Malaria-Infizierteneinen gewissen Überlebensschutz bie-tet. Obwohl der G6PDH-Mangel in Nord -westeuropa vergleichsweise selten vor-kommt, muss er bei einer Risikobetrach-tung für Chlorat und Chlorit zum Schutzaller Bevölkerungsgruppen vorsorglichvorausgesetzt werden, da er den Be trof -fenen selbst oft nicht bekannt ist.

Neben der Methämoglobin-Bildung istfür Chlorate und Chlorite u. a. eine nie-

ren-schädigende Wirkung bekannt. Da - rüber hinaus gibt es Hinweise auf einAllergie-auslösendes Potenzial10). Es lie -gen aber bisher keine toxikologischenDaten vor, die eine Einstufung durchdie IARC (International Agency for Re -search on Cancer) hinsichtlich einer krebs -erzeugenden Wirkung beim Menschenzulassen würden.8) Dies liegt zum einenan der (vor allem für Chlorat) sehr lü -ckenhaften Datenlage, zum anderen annicht eindeutigen Untersuchungsergeb -nissen, die keine klaren Hinweise geben.

Die Frage nach dem GrenzwertDie wissenschaftliche Ableitung ge sund -heitlich begründeter Grenzwerte richtetsich nach international abgestimmtenVorgaben.

Tolerierbare Tagesdosis (TDI)Die Basis für alle weiteren Berechnungenbildet die tolerierbare Tagesdosis (engl.:Tolerable Daily Intake, TDI), de finiertals die Dosis einer Substanz, die bei le -benslanger täglicher Aufnahme als me -dizinisch unbedenklich betrachtet wird.Der TDI-Wert wird experimentell anVersuchsorganismen ermittelt. Die Do -sis, bei der noch keine erkennbare Schä-

Tolerierbare Tagesdosis (Tolerable daily intake, TDI) für Chlorit und Chlorat

für die akute Wirkung 36 μg/kg Körpergewicht

für die chronische Wirkung 30 μg/kg Körpergewicht

Körpergewicht (Standard-Bezugsgröße 70 kgfür die Berechnung)

■ Tabelle 1: Tolerierbare Tagesdosis (TDI-Werte) für Chlorit und Chlorat nach Angaben der WHO8)

Expositionsszenario 1

■ Aufnahme über Trinkwasser(Annahme: maximal 0,7 mg/l Chlorit und Chlorat im Trinkwasser*)

Exposition: 365 Tage/Jahr lebenslang

Aufnahmemenge: 2 l täglich

■ Aufnahme über Badewasser

Exposition: 365 Tage/Jahr lebenslang

Aufnahmemenge: 100 ml pro Badbesuch

■ Tabelle 2: Expositionsszenario, das 2008 vom Umweltbundesamt zur Ableitung eines toxikolo-gischen Grenzwertes für die Summe aus Chlorit und Chlorat im Schwimm- und Badebeckenwasserherangezogen wurde14)

* Trinkwassergrenzwerte der WHO8)

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digung auftritt (No Observable Ad verse Effect Level, NOAEL),dividiert durch einen Sicherheitsfaktor, ergibt den TDI-Wert.Der Si cherheitsfaktor be rück sichtigt die Übertragbarkeit desExperiments auf andere Individuen der Testspezies und aufden Menschen.

Für Chlorit und Chlorat existieren be reits TDI-Werte8), diezur Kalkulation he rangezogen werden können (Tabelle 1).Dabei ist zu beachten, dass der TDI-Wert für die akute Wir-kung auf zwei Human-Studien beruht, in denen es nach täg-licher Aufnahme von Chlorit- bzw. Chlorat-haltigem Trink-wasser (höchste Kon zentration: 36 μg/kg Körpergewicht) überzwölf Wochen weder zu auffälligen Veränderungen der Blut - parameter noch zu anderen gesundheitlichen Be ein träch ti gun -gen kam.11) Es kann aufgrund des Studiendesigns jedoch nichtausgeschlossen werden, dass möglicherweise auch höhereKonzentrationen noch keine akut-toxische Wirkung erken-nen lassen würden.

ExpositionsszenarioWeil chemische Stoffe in Abhängigkeit von der Dosis, derHäufigkeit, der Dauer und dem Zeitpunkt der Exposition so -wie dem Weg (Expositionspfad), auf dem sie in den mensch-lichen Körper gelangen (z. B. orale Aufnahme, Einatmen,

Hautresorption), ganz unterschiedliche Schädigungen beimMenschen verursachen können, wird im nächsten Schritt einExpositionsszenario entwickelt. Das Expositionsszenario istspezifisch auf ei ne bestimmte Fragestellung abgestimmt (z. B.definierte Personengruppen, Tä tig keiten, Nutzungsbereiche)und hat den Anspruch, alle betroffenen Personen zu berück-sichtigen, auch solche, die möglicherweise besonders emp-findlich sind oder besonders hoch exponiert sind.

Das Expositionsszenario, das zunächst für die Bewertung vonChlorit und Chlo rat im Schwimmbeckenwasser heran ge zo -gen wurde (Tabelle 2), setzt zu nächst voraus, dass es unterden betrachteten Umständen nur zu einer oralen Aufnahme(durch Verschlucken von Badewasser) kommen kann, wäh rendvon einem Einatmen der Zielsubstanzen über die Schwimm-badluft bzw. einer Aufnahme über die Haut abgesehen wer-den kann. Zum einen sind Chlorite und Chlorate als Salzekaum flüchtig, zum anderen werden sie nicht in nennens-wertem Maße über die Haut aufgenommen.

Als durchschnittlich beim Schwimmen oder Baden verschluck -te Wassermenge wurden 100 ml (entsprechend einer Kalku-lationsangabe der WHO12)) angenom men und als maxima-le Exposition der tägliche Badbesuch.

Da Chlorit und Chlorat auf demselben Expositionspfad (oral)auch über ge chlor tes Trinkwasser aufgenommen werden kön -nen, darf folglich in 100 ml Badewasser nur so viel der tole-rierbaren Ta gesdosis enthalten sein, wie nicht be reits überTrinkwasser konsumiert wur de. Die Menge an Trinkwasser,die le bens lang getrunken werden können muss, ohne dasses zu einer Beeinträchtigung der menschlichen Gesundheitkommt, ist in der Trinkwasserverordnung auf 2 l täglich fest-gelegt.

Weil es für die Konzentrationen an Chlorit oder Chlorat imTrinkwasser keinen deutschen Grenzwert gibt, wurde aufeine internationale Empfehlung der WHO (0,7 mg/l) zurück-gegriffen.8) Aus dem Ex positionsszenario ergibt sich, dass80 % der tolerierbaren Tagesdosis an Chlorit und Chloratbereits in 2 l Trinkwasser enthalten sein könnten, sodass mitdem täglich verschluckten Badewasser nur 20 % des TDI auf-genommen werden dürfen. Diese Verteilung der tolerierba-ren Tagesdosis auf die möglichen Ex positionsquellen (Trink-wasser, Badewas ser) bezeichnet man als Allokation.

Von toxikologischen Leit- und Maßnahmewerten zum „oberen Wert“ der DIN 19 643In der Fachsprache der Toxikologen gibt der gesundheitli-che Leitwert (Besorgniswert) an, ab wann eine wissenschaft-lich begründbare „Besorgnis“ für die Ge sundheit der in Be -tracht gezogenen Zielgruppe beginnt. Bei Überschreitung desMaßnahmewertes (Gefahrenwertes), der auch mit Hilfe eines

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Interpolationsfaktors aus dem Leitwert berechnet werdenkann, besteht dagegen sehr wahrscheinlich Anlass zu ge -sundheitlicher Besorgnis. Im Gegensatz dazu sind Grenz -werte politisch festgelegte Höchstkonzentrationen, die nichtunbedingt allein auf toxikologischen Ableitungen beruhen,sondern z. B. zusätzlich auch das Vorsorgeprinzip oder dietechnischen Möglichkeiten zur Minimierung unerwünsch-ter Stoffe berücksichtigen.13)

Auf der Grundlage der tolerierbaren Ta gesdosis (TDI) für dieakute und die chronische Wirkung von Chlorit und Chlorat(Tabelle 1) sowie des beschriebenen Expositionsszenarios(Tabelle 2) wurden beim Umweltbundesamt die folgendenLeit- und Maßnahmewerte berechnet:■ Lebenslang gesundheitlich duld barer Beckenwasser-

Leitwert BWLW (chronisch) = 4,2 mg/l■ Beckenwasser-Maßnahmewert zum Schutz empfindli-

cher Personen vor akut-toxischer Wirkung BWMW (e, akut) = 8,4 mg/l; gerundet 10 mg/l

■ Beckenwasser-Maßnahmewert zum Schutz durchschnitt-lich empfind licher Personen vor akut-toxischer Wir-kung BWMW (akut) = 58,8 mg/l; gerundet 60 mg/l

Aufgrund einer entsprechenden Empfehlung der Schwimm-und Bade be cken wasserkommission wurden 10 mg/l als obe-rer Wert für Chlorit und Chlorat im Beckenwasser zunächstin den Entwurf der DIN 19 643 aufgenommen, da auf dieseWeise auch Menschen mit einem genetisch bedingten G6PDH-Mangel aus reichend geschützt wären.14)

Anpassung an nationale GegebenheitenDie vom UBA zunächst vorgeschlagene Ableitung der Leit-und Maßnahmewerte für Chlorit und Chlorat (siehe Ab schnitt„Die Frage nach dem Grenzwert“) berücksichtigt ein Ex -positionsszenario, das auch unter der unwahrscheinlichenVoraussetzung Sicherheit gibt, dass ein Mensch mindestens70 Jahre lang täglich schwimmen geht, dabei täglich 100 mlBadewasser verschluckt und zusätzlich 2 l Trinkwasser trinkt.Dabei wurde mit Chlorit- und Chlorat-Konzentrationen kal -kuliert, die typisch für ein verhältnismäßig stark gechlortesTrinkwasser sind (wie im internationalen Ausland häufigüblich), jedoch nicht die Wirklichkeit in Deutschland wider-spiegeln.

Um dem Expositionsszenario bei gleichbleibender Sicher-heit einen realistischen Rahmen zu geben, hat eine Arbeits-gruppe der DGfdB versucht, spezifische, deutsche Gegeben-heiten in die Berechnungen zu integrieren. In diesem Zu -sammenhang musste zunächst geklärt werden,■ mit welchen Chlorit- und Chlorat-Konzentrationen im

deutschen Trinkwasser maximal zu rechnen ist und■ von welchem lebenslangen Nutzungsverhalten im

Extremfall tatsächlich ausgegangen werden kann.

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Geringe Chlorit- und Chlorat-Konzentrationen im deutschen TrinkwasserDa das Trinkwasser in Deutschland vie-lerorts nicht oder nur geringfügig ge -chlort wird und seitens der Trinkwas-serverordnung keine Überwachung derChlorit- und Chlorat-Konzentration ge -fordert wird, war es nicht möglich, aufrepräsentative Messwerte zurückzugrei-fen. Aufgrund der Anforderungen an dieChlorung (Trinkwasserverordnung) undan die Beschaffenheit der chlorhaltigenDesinfektionsmittel ist jedoch eine rech-nerische Abschätzung der resultieren-den Chlorit- und Chlorat-Konzentratio-nen möglich. Weil die oxidativen Be -dingungen in desinfiziertem Wasser eineschnelle Weiterreaktion von Chlorit zuChlorat begünstigen, beziehen sich diezur weiteren Kalkulation gemachten An -gaben im Folgenden auf die jeweils re -sultierenden Chlorat-Konzentrationen.

Anforderungen der Trinkwasserverordnung an dieChlorung gemäß der „Liste der Aufbereitungsstoffe und Desinfektionsverfahren zum § 11 TrinkwV“15)

Wenn zur Desinfektion von Trinkwas-ser Chlorgas, Calciumhypochlorit oderNatriumhypochlorit eingesetzt wird, gilteine zulässige Zugabe von 1,2 mg/l frei -em Chlor und eine Höchstkonzentration

Altersgruppe Besuche/ Wochen/ Jahre Besuche/Woche Jahr Zeitraum

0 - 9 Jahre* 2,00 52 10 1040

10 - 19 Jahre 1,69 52 10 877

20 - 29 Jahre 1,28 52 10 668

30 - 39 Jahre 1,33 52 10 690

40 - 49 Jahre 1,38 52 10 716

50 - 59 Jahre 1,62 52 10 845

60 - 69 Jahre 1,75 52 10 910

0 - 70 Jahre (d. h. „lebenslang”) 5746

Jahresdurchschnittswert bei lebenslanger Exposition 82

■ Tabelle 3: Kalkulation der maximalen Anzahl an Schwimmbadbesuchen im lebenslangenDurchschnitt auf der Basis von Angaben aus einer statistischen Untersuchung der UniversitätWuppertal zum Sportverhalten der Bevölkerung* aus der Altersgruppe 10 - 19 übertragen

Expositionsszenario 2

■ Aufnahme über TrinkwasserAnnahme: ca. 0,25 mg/l Chlorit und Chlorat im deutschen Trinkwasser(siehe Tabelle 5)

Exposition: 365 Tage/Jahr lebenslang

Aufnahmemenge: 2 l täglich

■ Aufnahme über Badewasser

Exposition: 260 Tage/Jahr

Aufnahmemenge: 100 ml pro Badbesuch

■ Tabelle 4: Expositionsszenario zur Ableitung eines toxikologischen Grenzwertes für die Summeaus Chlorit und Chlorat im Schwimm- und Badebeckenwasser, das 2011 von der DGfdB im Rah-men eines Einspruchs zur Entwurfsfassung der DIN 19 643 vorgeschlagen wurde

Annahme Chorat Allokation Allokation Besucher BWLW BWMW* BWMWNr. TW TW BW (chron.) (e., akut) (akut)

[mg/l] [%] [%] [1/a] [mg/l] [mg/l] [mg/l]

1 0,47 53 47 260 14 20 72

2 0,12 13 87 260 26 31 83

3 0,25 29 71 260 21 27 79

4 0,07 8 92 260 27 33 85

5 0,35 40 60 260 18 24 76

6 0,20 23 77 260 23 29 81

■ Tabelle 5: Berechnung von toxikologischen Leit- und Maßnahmewerten für die Summe an Chlorit und Chlorat im Schwimm- und Badebecken -wasser für die Gegebenheiten in DeutschlandGrundlage der Berechnung sind Allokationen für Trinkwasser (TW) und Badewasser (BW), die sich aus der Abschätzung von Höchstwerten für dieChlorat-Konzentration im Trinkwasser ergeben, sowie die Annahme von max. 260 Schwimmbadbesuchen pro Jahr im lebenslangen Durchschnitt.BWLW (chronisch): lebenslang gesundheitlich duldbarer Beckenwasser-LeitwertBWMW (e, akut): Beckenwasser-Maßnahmewert zum Schutz empfindlicher Personen vor akut-toxischer WirkungBWMW (akut): Beckenwasser-Maßnahmewert zum Schutz durchschnittlich empfindlicher Personen vor akut-toxischer Wirkung * Alle Werte nicht aufgerundet

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von 0,3 mg/l freiem Chlor nach Ab -schluss der Aufbereitung.15) Würde dasvorhandene, freie Chlor vollständig zuChlorat umgewandelt, so wäre maximalmit 0,47 mg/l Chlorat nach Zugabe (An -nahme 1) bzw. 0,12 mg/l Chlorat nachAufbereitung (Annahme 2) zu rechnen.Untersuchungen haben allerdings ge -zeigt, dass unter den Bedingungen derTrinkwasserdesinfektion keine messba-re Chlorat-Bildung erfolgt.7)

Bei Verwendung von Chlordioxid wirdgefordert, dass der Höchstwert von0,2 mg/l Chlorit nach Abschluss der Auf-bereitung eingehalten werden muss.15)

Diese Konzentration entspricht 0,25 mg/lChlorat (Annahme 3).

Anforderungen an Natriumhypochlorit-Lösung zur Desinfektion von Trinkwasser gemäß DIN EN 90116)

Um bei Chlorung von Trinkwasser denEintrag von Chlorat zu begrenzen, darfdie verwendete Natriumhypochlorit-Lö -sung maximal 5,4 % Chlorat bezogenauf den Aktivchlor-Gehalt aufweisen,d. h. ca. 8,1 g/l Chlorat in einer han-delsüblichen Chlorbleichlauge mit ca.150 g/l Aktivchlor. Wenn 1,2 mg/l frei-es Chlor dosiert wird, ergibt sich folg-lich eine Konzentration von 0,07 mg/lChlorat im Trinkwasser (Annahme 4).Weil Messungen unter realen Bedingun-gen gezeigt haben, dass eine für einenMonat gelagerte Natriumhypochlorit-Lösung (hell, 22 °C) bereits einen Chlo-rat-Gehalt von 27 mg/l (bei 93 mg/lAktivchlor) aufweist, kann bei Zugabevon 1,2 mg/l freiem Chlor maximal miteiner Konzentration von 0,35 mg/l Chlo-rat im Trinkwasser (Annahme 5) ge -rechnet werden (längere Lagerzeiten sindfür ein Wasserversorgungsunternehmeneher unwahrscheinlich).

Internationale Anforderungen anChlorat im Trinkwasser im VergleichInternational werden – abweichend vonden Vorgaben der WHO – von einigenLändern eigene Grenzwerte für Chloratim Trinkwasser festgelegt. Beispielswei-

se strebt die USA einen Maximalwertvon 0,2 mg/l an.7) Auch in der Schweizgibt es eine entsprechende Vorgabe fürChlorat im Trinkwasser von 0,2 mg/l17)

(Annahme 6).

Häufigkeit der SchwimmbadbesucheDie Annahme eines lebenslang täglichenBesuches eines Schwimmbades ist si -cher lich kaum realistisch und wird selbstvon Leistungs- und Frühschwimmern

■ Abbildung 2: Chlorat-Konzentrationen im Beckenwasser öffentlicher Bäder aus Deutschlandund der SchweizDie Daten wurden stichprobenartig und unsystematisch im Rahmen von Sonderuntersuchungen imZeitraum 2001 - 2011 ermittelt.

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■ Abbildung 3: Chlorat-Konzentrationen im Beckenwasser öffentlicher Bäder aus Deutschlandund der Schweiz in Abhängigkeit vom verwendeten DesinfektionsmittelDie Daten wurden stichprobenartig und unsystematisch im Rahmen von Sonderuntersuchungen imZeitraum 2001 - 2011 ermittelt.

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Anzahl der Messwerte prozentual (Gesamtauswertung; n = 383)

Anzahl der Messwerte prozentual (berechnet für jede Kategorie)

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Wasseraufbereitung · Bädertechnik | AB Archiv des Badewesens 03/2012 174

nicht erreicht. Um auch extreme Ein-zelfälle zu berücksichtigen, wurde imhier vorgestellten Ansatz alternativ mitlebenslänglich maximal fünf Schwimm-badbesuchen pro Woche gerechnet, d. h.mit 260 Schwimmbadbesuchen pro Jahr.

Dabei ist davon auszugehen, dass sichauch diese Annahme nicht mit der rea-len Besuchshäufigkeit der meisten Men-schen in Deutschland deckt. Pressemit-teilungen gehen häufig von etwa 300 Mio.Schwimmbadbesuchen pro Jahr aus, wasbei einer Bevölkerung von ca. 80 Mio.rund vier Besuche pro Jahr ausmacht.

In Studien der Universität Wuppertalüber das Sportverhalten der Bevölkerungbefanden sich unter den insg. 48 000Befragten 4014 Schwimmbadbesucher,von denen wiederum lediglich etwa 6 %fünfmal oder häufiger pro Woche schwim -men gingen, während etwa 60 % maxi-mal einmal pro Woche das Schwimm-bad aufsuchen. Das bedeutet, dass mit derAnnahme von maximal fünf Besuchenpro Woche etwa 97 % aller Schwimm -badbesucher abgedeckt sind.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass essich nicht um Angaben zum bisher le -benslangen Nutzungsverhalten handel -te. Auch Leistungsschwimmer trainie-ren nicht ein Leben lang auf demselbenhohen Niveau. Sie stellen somit eineSondergruppe dar, wie bei jeder Hoch-leistungssportart.

Versucht man auf Basis der o. g. Befra-gungen für Schwimmbadbesucher ver-schiedener Altersgruppen eine reale Be -suchshäufigkeit abzuleiten und darauseinen Durchschnittswert bis zum 70. Le -bensjahr (d. h. per Definition „lebens-

■ Abbildung 4: Chlorat-Konzentrationen im Beckenwasser öffentlicher Bäder, die mit Chlorgasdesinfizieren. Gezeigt ist der Einfluss der Sonneneinstrahlung in Freibädern im Vergleich zu Hal-len- und Kombibädern.Die Daten wurden stichprobenartig und unsystematisch im Rahmen von Sonderuntersuchungen imZeitraum 2001 - 2011 in deutschen Bädern ermittelt.

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■ Abbildung 5: Chlorat-Konzentrationen im Beckenwasser öffentlicher Bäder, die mit Natrium -hypochlorit-Lösung aus der Sole-Elektrolyse desinfizieren. Gezeigt ist der Einfluss der Sonnenein-strahlung in Freibädern im Vergleich zu Hallen- und Kombibädern.Die Daten wurden stichprobenartig und unsystematisch im Rahmen von Sonderuntersuchungen imZeitraum 2001 - 2011 in deutschen Bädern ermittelt.

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AB Archiv des Badewesens 03/2012 | Bädertechnik · Wasseraufbereitung175

lang“) zu berechnen, so ergeben sich auchfür Menschen, die gern ins Schwimm-bad gehen, maximal 82 Besuche proJahr und Person (siehe Tabelle 3).

Heraufsetzung des „oberen Wertes“ nachalternativer toxikologischer AbleitungAuf der Basis eines zweiten Exposition -szenarios (Tabelle 4) ergeben sich aus denunterschiedlichen Annahmen für diemaximale Chlorat-Konzentration imdeutschen Trinkwasser neue Allokatio-nen der tolerierbaren Tagesdosis an Chlo -rit und Chlorat (Tabelle 5). Unter Be rück -sichtigung von lebenslang 260 Schwimm -badbesuchen pro Jahr konnten alterna-tive Leit- und Maßnahmewerte berech-net werden.

Um eine Gefährdung von Personen mitG6PDH-Mangel auszuschließen, wurdeseitens der DGfdB ein alternativer Wertvon 30 mg/l als oberer Wert für die Sum -me aus Chlorit und Chlorat in der Neu-fassung der DIN 19 643 vorgeschlagen,der sich aus den neu berechneten Be -ckenwasser-Maßnahmewerten zum Schutzempfindlicher Personen vor akut-toxi-scher Wirkung BWMW (e, akut) ergibt(Tabelle 5). Der zuständige Normenaus-schuss ist im Rahmen der Einspruchs-behandlungen der dargelegten Argu-mentation gefolgt und hat den Wertvon 30 mg/l bestätigt.

Mit welchen Konzentrationen ist inöffentlichen Bädern zu rechnen?Mit dem Ziel einer ersten Abschätzung,welche Auswirkungen der neue obereWert für die Summe an Chlorit undChlorat von 30 mg/l für Schwimmbad-betreiber haben könnte, wurde bei Un -tersuchungslaboren und Badbetreibernangefragt, ob Messdaten für Chlorat imBeckenwasser vorliegen. Auf diese Wei -se konnten 383 Messwerte aus zumeistgroßen öffentlichen Bädern in Deutsch-land und der Schweiz in anonymisierterForm gesammelt werden (Abbildung 2).Die Daten stammen aus dem Zeitraumzwischen 2001 und 2011.

■ Abbildung 6: Beispielhafte Darstellung der Chlorat-Anreicherung im Beckenwasserkreislauf inAbhängigkeit von der FüllwassernachspeisungFür die rechnerische Abschätzung wurden folgende Bedingungen zugrunde gelegt: Nichtschwim-merbecken (16,66 x 25 m) mit einem Aufbereitungsvolumenstrom von 309 m3 und einer durch-schnittlichen Chlordosierung von 0,2 g/m3 über einen Zeitraum von zwölf Stunden. Weiterhin wur deeine Natriumhypochlorit-Lösung angenommen, die einen Aktivchlor-Gehalt von 90 g/l und einenChlorat-Gehalt von 28g/l aufweist. Diese Werte entsprechen der Charakteristik einer zwei Monatealten handelsüblichen Natriumhypochlorit-Lösung4)

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■ Abbildung 7: Theoretische Entwicklung der Chlorat-Konzentration im Beckenwasserkreislaufbei Verwendung von handelsüblicher, zwei Monate alter Natriumhypochlorit-Lösung (Gebinde) inAbhängigkeit von den Lagerbedingungen (a - d: hell gelagert bei 36 °C; e - h: dunkel gelagert bei 22 °C) sowie der Art und Menge des Füllwasseraustauschs (FW: primäres Füllwasser, d. h. 100 % Trinkwasser; BW: Betriebswasser, d. h. 20% Trinkwasser, 80 % sekundäres Füllwasser aus der Betriebswasseraufbereitung)Für die Berechnung wurde eine Natriumhypochlorit-Lösung mit einem Aktivchlor-Gehalt von 90 g/l und einem Chlorat-Gehalt von 28 g/l angenommen.

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Weil sie nicht mit der Routineüberwa-chung, sondern im Rahmen stichproben-artiger Sonderuntersuchungen er mit teltwurden, können sie lediglich einen Trendwiedergeben. Trotzdem wird deutlich,dass der Richtwert von 30 mg/l Chloratin den meisten Bädern eingehalten wer-den dürfte, da er in der vorliegendenAuswertung nur in etwa 5 % der Fälleüberschritten wurde.

Abhängigkeit vom verwendeten DesinfektionsmittelWie Abbildung 3 zeigt, ist zunächst klarerkennbar, dass die Chlorat-Werte ausBädern, die das Wasser mit Chlorgasdes infizieren (ca. 60 % der Daten), weitun ter 30 mg/l liegen. Höhere Werte(> 30 mg/l Chlorat) traten nur bei Ver-wendung von Natriumhypochlorit-Lö -sung auf. Während Messwerte aus Bä -dern, die Natriumhypochlorit-Lösungaus Gebinden verwenden, nur einengeringen Anteil der Gesamtdaten aus-machen, stammen ca. 30 % der Mess -werte aus Bädern, die Natriumhypo-chlorit-Lösungen elektrolytisch vor Ortherstellen.

Auch beim Einsatz von Hypochlorit-Lösungen aus Salzelektroyse-Anlagenlagen mehr als 80 % der Messwerteunterhalb von 30 mg/l. Welche betriebs -technischen Bedingungen vereinzelt zuhohen Werten (> 50 mg/l) geführt ha -ben und wie sie langfristig vermiedenwerden können, muss im Rahmen vonEinzelfallbetrachtungen geklärt werden.

Einfluss der Sonnenbestrahlung imFreibadWie die weitere Analyse der Messdatenzeigte, kann es aufgrund der Sonnen -einstrahlung in Freibädern zu einer deut -lichen Erhöhung der Chlorat-Konzentra -tion kommen. Abbildung 4 macht deut -lich, dass dies offensichtlich auch beiVerwendung von Chlorgas eine wich ti geEinflussgröße ist, wo Konzentrationenvon bis zu 22 mg/l gemessen wurden.

Bei Verwendung von Natriumhypochlo-rit-Lösung in Freibädern besteht da ge -

gen ein erhöhtes Risiko, den Richtwertvon 30 mg/l Chlorat zu überschreiten(Abbildung 5).

Möglichkeiten der MinimierungDa Chlorate Salze bilden, die ausnahms-los eine sehr gute Wasserlöslichkeit auf-weisen, gibt es keine Möglichkeit, diesedurch die üblichen Aufbereitungsmaß-nahmen (z. B. Fällungsreaktionen, Fil-terung) dem Wasserkreislauf zu entzie-hen. Die einzigen praktikablen Mög-lichkeiten zur Minimierung der Chlo-ratkonzentration sind daher■ die Verminderung des Eintrags

über chlorathaltige Desinfektions-Lösungen und

■ die Verdünnung durch einen ent-sprechenden Füllwasser-Zusatz.

Abbildung 6 zeigt modellhaft den Ein-fluss der Wasseraustauschrate auf dieEntwicklung der Chlorat-Gehalte im Be -ckenwasserkreislauf über ein Jahr. Je hö -her der Chlorat-Eintrag und je geringerder Frischwasseraustausch ist, desto stei-ler verläuft die Anreicherungs-Kurve

und umso später wird ein Plateau er -reicht, auf dem sich die Konzentrationnicht mehr ändert. Maßnahmen zur Was-sereinsparung, z. B. die Verlängerung derFilterlaufzeiten, die Reduzierung derSpülwassermengen bei den Filterspü-lungen oder der Einsatz von Betriebs-wasser („sekundäres Füllwasser“) kön-nen zu einer erhöhten Chlorat-Konzen-tration führen.

Demgegenüber steht das Bestreben vie-ler Badbetreiber, durch geeignete Maß -nah men den Einsatz von Frischwasserzu re duzieren. Schließlich kostet nichtnur die Beschaffung von Wasser Geld,sondern vielmehr auch dessen Erwär-mung und die Beseitigung des Abwas-sers. Es stellt sich also die Frage, wiehoch der Wasser austausch sein muss,damit eine An rei cherung von Chloratim Beckenwasser über das von derDIN 19 643 gegebene Maß hinaus ver-mieden werden kann.

Abbildung 7 zeigt modellhaft am Bei-spiel einer handelsüblichen Natrium -

■ Abbildung 8: Theoretische Entwicklung der Chlorat-Konzentration im Beckenwasserkreislaufbeim Einsatz von Natriumhypochlorit-Lösung aus dem Produkttank einer Membranzellenelektro -lyse-Anlage (MZE) in Abhängigkeit vom Füllwasseraustausch (2 %, 10 %, 20 %) und von der Artdes Füllwassers (FW: primäres Füllwasser, d. h. 100 % Trinkwasser; BW: Betriebswasser, d. h. 20 % Trinkwasser, 80 % sekundäres Füllwasser aus der Betriebswasseraufbereitung)Für die Berechnung wurde eine Natriumhypochlorit-Lösung mit einem Aktivchlor-Gehalt von 25 g/l und einem Chlorat-Gehalt von 2 g/l angenommen, die im Produkttank bei 22 °C dunkelgelagert wird.

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hy pochlorit-Lösung den Einfluss derLa gerung und des Frischwasseraus-tauschs. Zusätzlich wurde die Verwen-dung von sekundärem Füllwasser be -rücksichtigt. Im Gegensatz zu pri mä -rem Füllwasser (Trinkwasser) handeltes sich dabei um Spülabwasser, dasgemäß DIN 19 64518) zu Betriebswasser(Typ 1) aufbereitet wurde und einen Chlo -rat-Gehalt von maximal 5 mg/l auf-weisen darf. Dabei dürfen 80 % desFüllwassers aus der Aufbereitung vonSpülabwasser stammen („sekundäres Füll -wasser“, Betriebswasser, BW), während20 % primäres Füllwasser (FW) zuge-geben werden muss.

Wie Abbildung 7 veranschaulicht, hatdie Qualität der eingesetzten Natrium-hypochlorit-Lösung, d. h. die auf dieLa gerbedingungen zurückzuführendeAl terung, den größten Einfluss auf dieEntwicklung der Chlorat-Konzentra -

tion im Beckenwasser. Die zweite ent-scheidende Größe ist offensichtlich dieWasseraustauschrate, wohingegen sichdie Verwendung von Füllwasser aus derBetriebswasseraufbereitung vergleichs-weise moderat auswirkt. Möglicherwei-se erfährt so die Aufbereitung von Be -triebswässern eine Renaissance. Gilt esdoch, chemische Belastungsstoffe, dieauf anderem Wege nicht zu beseitigensind, durch ausreichenden Füllwasser-zusatz soweit zu verdünnen, dass siekeine Gefährdung mehr darstellen.

Wie der Einfluss des Frischwasseraus-tauschs und der Füllwasserqualität aufdie Chlorat-Konzentration einzuschät-zen ist, wenn Natriumhypochlorit-Lö -sung verwendet wird, die mittels Mem-branzellenelektrolyse vor Ort erzeugtwur de, zeigt Abbildung 8 am Beispieleiner modellhaften Berechnung. Dabeiwird deutlich, dass auch bei Verwendungvon Natriumhypochlorit-Lösung aus der

Kochsalz-Elektrolyse der vorgegebeneWert von 30 mg/l möglicherweise nichtmehr sicher eingehalten werden kann,wenn die Füllwasseraustauschrate starkreduziert (≤ 2 %) und gleichzeitig nochsekundäres Füllwasser verwendet wird,insbesondere wenn noch weitere Wegeder Chlorat-Bildung, wie z. B. Sonnen -einstrahlungen im Freibecken, zum Tra-gen kommen.

Zusammenfassend veranschaulichen diemodellhaften Berechnungen jedoch, dasses durchaus möglich ist, auch bei Ver-wendung von Natriumhypochlorit-Lö -sung den vorgesehenen oberen Wertvon 30 mg/l Chlorit und Chlorat einzu-halten, wenn Lagerbedingungen, Auf-bewahrungszeit und Wasseraustausch -rate aufeinander abgestimmt sind. Dieaufgeführten Beispiele können aller-dings nur eine Orientierung darstellenund müssen auf die jeweiligen Gegeben -heiten in einem Bad angepasst werden.

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AusblickZusammenfassend kann festgehalten wer - den, dass die Einführung des neuen Sum -menparameters Chlorit und Chlorat eineAuseinandersetzung mit der vor han de -nen Wasseraufbereitung und de ren Rah-menbedingungen erforderlich macht. Einewichtige Rolle spielt dabei das zum Ein-satz kommende Desinfektionsverfahrenund die dazu verwendeten Mittel. Letzt-endlich muss man bei sachgerechter An -wendung kein Verfahren ausschließen,wenn auch unbestritten die VerfahrenVorteile versprechen, die eine Lagerungvon Hypochlorit-Lö sungen vermeiden.Im Lichte dieser Be trachtungen muss si -cherlich der Einsatz von Chlorgas, derbeim Neubau von Bä dern derzeit nichtim Trend zu liegen scheint, neu bewertetwerden. Dies gilt besonders für die Des-infektion von Frei bädern, wo aufgrundder Sonneneinstrahlung mit einer er höh - ten Chlorat-Bildung zu rechnen ist.

Kommen Hypochlorit-Lösungen zumEinsatz – unabhängig davon, ob sie imGebinde geliefert oder vor Ort herge-stellt wurden –, so sollte ein besonde-res Augenmerk auf die Lagerbedingun-gen gelegt werden. Die Aufbewahrungs-zeit sollte sich unbedingt am tatsächli-chen Bedarf orientieren. Bevorratungen,

die über einen Zeitraum von zwei Mo -naten hinausgehen, sollten weitestge-hend vermieden werden. Die Lagerungsollte möglichst kühl und dunkel erfol-gen. Bei der Hypochlorit-Erzeugung durchKochsalz-Elektrolyse sollte seitens derHersteller über Möglichkeiten nachge-dacht werden, die entstehende Reak -tionswärme so abzuführen, dass die Be -günstigung der Chlorat-Bildung wäh -rend des Herstellungsvorganges ver-ringert wird. Darüber hinaus sollte dieLagerung der produzierten Desinfekti-onsmittel-Lösung so gesteuert werden,dass eine Alterung der Lösung vermin-dert werden kann. Eine Möglichkeit da -zu stellt der Wechsel zwischen zwei Vor -ratsbehältern dar.

Da andere Möglichkeiten zur Entfer-nung von Chlorat aus dem Beckenwas-serkreislauf nicht bestehen, muss derWasseraustausch so hoch sein, dass ei -ne ausreichende Verdünnung erreichtwird. In diesem Zusammenhang müs-sen Maßnahmen zur Einsparung vonWasser beleuchtet und ggf. neu abge-stimmt werden. Hierbei sollte geprüft wer -den, ob das jährliche Entleeren von Be -cken nicht beibehalten werden sollte,auch wenn die Neufassung der DIN 19 643hier andere Möglichkeiten offen lässt.

Letztendlich hat das Zusammenspiel dereinzelnen Faktoren einen entscheiden-den Einfluss auf die Bildung und An -reicherung von Chloraten im Becken-wasser, sodass keine allgemein gültigenLösungen präsentiert werden können,sondern dass es immer auf eine Einzel-fallbetrachtung unter Berücksichtigungder gegebenen Rahmenbedingungen an -kommt. Es gilt, das richtige Maß zwi-schen Wasserereinsparung und Becken -wasserqualität auszuloten. Auch Mög-lichkeiten, den Verbrauch an Desinfek-tionsmittel zu reduzieren, sollten in Be -tracht gezogen werden. jh

Literatur■ 1) Strähle, J. (1998): Entstehung anorganischer

Desinfektionsnebenprodukte bei der Aufbe-reitung von Schwimmbeckenwasser. In: ABArchiv des Badewesens 5/98, S. 224 - 229.

■ 2) Strähle, J. (1999): Risikoabschätzung der ge -sundheitlichen Belastung von Schwimmerndurch die bei der Desinfektion von Schwimm-beckenwasser entstehenden Neben reaktions -produkte. Dissertationsarbeit an der Univer-sität Heidelberg. 334 Seiten.

■ 3) Gordon, G., Adam, L., Bubnis, B. P., Hoyt, B.,Gillette, S. J., & Wilczak, A. (1993): Control lingthe formation of chlorate ion in liquid hypo-chlorite feedstocks. In: Journal AWWA, p. 89 - 97.

■ 4) Gabrio, T., Bertsch, A., Karcher, C., Nord-schild, S., & Sacré, C. (2004): Belastung vonSchwimmbeckenwasser mit anorganischenDesinfektionsnebenprodukten. In: AB Archiv des Badewesens 3/04, S. 158 - 163.

■ 5) Gordon, G., Adam, L., & Bubnis, B. P. (1995):Minimizing chlorate ion formation. In: Journal AWWA, p. 97 - 106.

■ 6) Holleman, A. F., & Wiberg, E. (1995): Lehrbuch der anorganischen Chemie, 101. Auflage, Verlag de Gruyter.

■ 7) Schmidt, W., Böhme, U., Sacher, F., & Brauch,H.-J. (1999): Bildung von Chlorat bei derDesinfektion von Trinkwasser. In: Vom Was-ser, S. 109 - 126.

■ 8) WHO (2004): Chlorite and chlorate in drinking-water. Background document for prepara tionof WHO Guidelines for drinking-water quali-ty. Geneva, World Health Organization.

■ 9) WHO (2000): Environmental Health Criteria216: Desinfectants and Desinfectant By-Pro-ducts: Chapter 4: Toxicology of DisinfectantBy-products. Geneva, World Health Orga-nization.

■ 10) Sasseville, D., Geoffrion, G., & Lowry, R. N.(1999): Allergic contact dermatitis fromchlorinated swimming pool water. In: Con -tact Dermatitis, p. 347.

■ 11) Lubbers, J. R., Chauhan, S., & Biachine, J. R.(1981): Controlled clinical evaluations ofchlorine dioxide, chlorite and chlorate inman. In: Fundamental and Applied Toxico -logy, p. 334 - 338.

■ 12) WHO (2006): Guidelines for safe recreationalwaters – Volume 2 – Swimming pools andsimilar recreational-water environments.Chapter 4: Chemical hazards. Geneva, WorldHealth Organization.

■ 13) Dieter, H. (2009): Grenzwerte, Leitwerte, Orientierungswerte, Maßnahmewerte –Aktuelle Definitionen und Höchstwerte. In:Bundesgesundheitsblatt, S. 1202 - 1206.

■ 14) Dieter, H. (2008): Ableitung einiger gesund-heitlicher Höchstwerte für [Chlorit und Chlo-rat] im Badebeckenwasser (BW). Vorlage desUmweltbundesamtes für den Normenaus-schuss Wasserwesen NA 119-04-13 AA„Schwimmbeckenwasser” vom 12./13. No -vember 2008, zuletzt textlich überarbeitetam 11. April 2011.

■ 15) Liste der Aufbereitungsstoffe und Desinfek -tionsverfahren gemäß § 11 Trinkwasser ver -ordnung 2001, 15. Änderung, Stand Juni 2011.

■ 16) DIN EN 901 (2007): Produkte zur Aufberei-tung von Wasser für den menschlichenGebrauch – Natriumhypochlorit; DeutscheFassung EN 901.

■ 17) Fremd- und Inhaltsstoff-Verordnung (FIV) der Schweiz vom 26. Juni 1995 (Stand: 1. Juni 2011).

■ 18) DIN 19 645 (2006): Aufbereitung von Spül-abwässern aus Anlagen zur Aufbereitungvon Schwimm- und Badebeckenwasser.

VortragsankündigungAuf dem von der Deutschen Gesell-schaft für das Badewesen e. V., Essen,organisierten Kongress für das Ba -de wesen, der im Herbst in Stuttgartstattfinden wird (siehe dazu auch denArtikel ab Seite 142 in dieser Aus-gabe), wird der Chlorat-Problematikein Vortragsblock gewidmet. NebenAspekten des Eintrags und der ge -sundheitlichen Relevanz sowie denMöglichkeiten der Minimierung wer-den neue Erkenntnisse zur Optimie-rung von Membranzellenelektroly-se-Anlagen aus derzeit laufendenStudien präsentiert. Dabei geht esum technische Perspektiven der Her-stellung einer möglichst Chlorat-ar men Natriumhypochlorit-Lösungeben so wie um Strategien zur Ver-meidung der Chlorat-Bildung im Pro -dukttank.

Infokasten