Credit Suisse Bulletin

40
Männer Anlegen Sind Männer risikofreudig oder fahrlässig? Trinken Wladimir Kaminer warnt vor stillem Wasser USA Alternativer Treibstoff Äthanol im Aufwind Schweiz Damoklesschwert Jugendarbeitslosigkeit China 1,3 Milliarden Konsumenten stehen bereit Kunst Oppenheim-Retrospektive im Kunstmuseum Bern Das Magazin der Credit Suisse Nummer 3 Juli 2006

description

Corporate, Porträts, Dokumentation

Transcript of Credit Suisse Bulletin

Page 1: Credit Suisse Bulletin

MännerAnlegen Sind Männer risikofreudig oder fahrlässig?

Trinken Wladimir Kaminer warnt vor stillem Wasser

USA Alternativer Treibstoff Äthanol im Aufwind

Schweiz Damoklesschwert Jugendarbeitslosigkeit

China 1,3 Milliarden Konsumenten stehen bereit

Kunst Oppenheim-Retrospektive im Kunstmuseum Bern

Das Magazin der Credit Suisse Nummer 3 Juli 2006

Page 2: Credit Suisse Bulletin

Der Zürcher Fotograf Thomas Schuppisser, geboren 1967, fand über einen kleinen Umweg zur Fotogra e: Er wurde zuerst Koch. 1995 tauschte er den Kochlöffel gegen den Lichtmesser und ist seither selbstständiger Porträt-, Landschafts- und Repor tagefotograf. Bulletin zeigt in dieser Nummer eini-ge seiner Männerporträts aus aller Welt. Zu seiner Arbeit sagt Schuppisser:

«Mich fasziniert der Moment der Aufnahme. In einem einzigartigen Augenblick treffen Welten aufeinander, die sich gleichzeitig in stän digem Wandel be nden. Ich foto gra ere der Intuition folgend. Das entstandene Bild zeigt eine Vergangenheit und wird doch bei jedem Hinsehen immer neu wahrgenommen. Als Por trätierte erleben wir uns niemals ganz richtig abgebildet, im Leben nie ganz angekommen. Das treibt uns alle an.» Im Buch projekt «Identity» versammelt Thomas Schuppisser seine besten Porträtarbeiten der letzten Jahre. Mehr zu seinen Arbeiten nden Sie auf www.thomasschuppisser.ch.

Männer

Page 3: Credit Suisse Bulletin

SchweizZürich, 2002

Page 4: Credit Suisse Bulletin

KubaLa Boca, 2001

Page 5: Credit Suisse Bulletin

ChinaPeking, 2002

Page 6: Credit Suisse Bulletin

SeychellenVictoria, 2004

Page 7: Credit Suisse Bulletin

St. VincentKingstown, 2000

Page 8: Credit Suisse Bulletin

ItalienChieti, 2004

Page 9: Credit Suisse Bulletin

EnglandLeeds, 2002

Page 10: Credit Suisse Bulletin

SchweizSoglio, 2002

Page 11: Credit Suisse Bulletin
Page 12: Credit Suisse Bulletin

SchatzkammWelches sind die Schätze der Schweiz? Demokratie,Wohlstand, Neutralität? Oder eher Käse, Uhren, Schokolade?Das Bulletin hat sich auf die Suche gemacht und ist fündiggeworden. Fünf Schweizerinnen und Schweizer präsentierenihren Schatz und erzählen seine Geschichte.

Page 13: Credit Suisse Bulletin

REICHTUM

7Bulletin 6| 01Credit Suisse

■ Die überschüssigen Goldreserven der Schweizerischen Natio-nalbank wiegen rund 1300 Tonnen. Was zählen da 123,18 Gramm?Und doch dürfte der Freudenschrei des Peter Bölsterli, der imAugust 1997 am Vorderrhein oberhalb von Disentis das bishergrösste Schweizer Goldnugget fand, weitherum zu hören gewe-sen sein. Auri sacra fames. Unersättlicher Hunger nach Gold. Alsbedeutendster Goldschatzfund ist indes jener im urnerischenErstfeld zu bezeichnen. Im Schweizerischen Landesmuseum inZürich gibt es aber auch sonst zahlreiche Schätze zu entdecken.Nächsten Frühling etwa in einer grossen Sonderausstellung Her-mann Hesse. Der Nobelpreisträger und literarische Bestseller-autor erhielt bereits mit sechs Jahren den Schweizer Pass undschrieb seine wichtigsten Bücher in der Schweiz. Was hindert unsdaran, sein Werk als Schweizer Schatz zu betrachten?

■ Das Paradies habe er sich immer als eine Art Bibliothek vorgestellt, meinte der argentinische Dichter und Nationalbiblio-thekar Jorge Luis Borges. Trotz seiner Erblindung blieb für ihndas Buch der wertvollste Schatz der Welt. Ob sich dies auch aufdie Schweiz übertragen lässt? Die Weltchronik des Rudolf vonEms, die Manessische Liederhandschrift, die Bilderchronikendes Diebold Schilling. Und natürlich das um 1300 geschriebeneGraduale der Dominikanerinnen von St.Katharinenthal! Diesesfarbenprächtige liturgische Gesangbuch konnte 1958 vom Bun-desrat, von der Gottfried-Keller-Stiftung und vom Kanton Thurgauaus dem Londoner Exil in die Schweiz zurückgeführt werden. DerBuchschätze sind viele, als Prunkstück ist – dank der Elfen-beinschnitzereien des Tuotilo – das in der Stiftsbibliothek aufbe-wahrte Evangelium Longum anzusehen.

■ Die Wandmalereien am Haus des Luzerner Schultheissen Johann Karl Balthasar zeigen die Siegesgöttin Nike. Die Monar-chien liegen ihr und der Republik zu Füssen. Die Zerstörung der nahe gelegenen Kapellbrücke im August 1993 konnte sie jedoch nicht verhindern. NIKE wiederum, die Nationale Informa-tionsstelle für Kulturgüter-Erhaltung, setzt sich mit Erfolg für diebaulichen Schweizer Schätze ein. Beim ISOS handelt es sichnicht etwa um die ägyptische Muttergöttin Isis, sondern um dasInventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz, in welchem

bisher 6000 Ensembles in 3000 Gemeinden dokumentiert wurden.Eine interessante Schatzkarte stellt zudem das vom Bundesamtfür Zivilschutz vorgelegte Schweizerische Inventar der Kultur-güter von nationaler und regionaler Bedeutung mit momentanrund 8300 Objekten dar.

■ Der bedeutende Wakker-Preis des Schweizer Heimatschutzesging dieses Jahr an Uster. Gilt diese begehrte Auszeichnung nunvornehmlich der beispielhaften Weiterentwicklung des Ortsbildes,gerade in der Agglomerationslandschaft, so wurden anfänglichinsbesondere die schönsten historischen Städte ausgezeichnet.Einzigartige touristische Schätze. Stein am Rhein, St-Prex,Wiedlisbach und Guarda heissen die ersten von bisher 30 Preis-trägern. 162 durch die Auswirkungen der Zivilisation gefährdeteNaturschätze schützt das Bundesinventar der Landschaften undNaturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN). Mit der RegionJungfrau – Aletsch – Bietschhorn findet Mitte Dezember 2001 –aller Voraussicht nach – erstmals ein Schweizer NaturdenkmalAufnahme in die Unesco-Welterbeliste.

■ Für viele sind die wirklichen Schätze in der Bildenden Kunstzu entdecken. Nicht selten verbergen sich aber gerade die inte-ressantesten Werke in privaten Sammlungen. Immer häufigerkommt es nun aber vor, dass sie später in Museen zugänglichgemacht werden und durch die subjektive Zusammenstellungsogar einen reizvollen Zusatzwert erhalten. Ein attraktives Beispieldafür bilden die Sammlungen von Oskar Reinhart in Winterthur.

Beruht aber der Reichtum der Schweiz letztlich nicht auf demWissen und dem Erfindungsgeist ihrer Bewohner? Ein Blick insEidgenössische Institut für Geistiges Eigentum legt davon ein-drückliches Zeugnis ab. Und wer es trotzdem nicht glaubt, demsei der Besuch der Erfindermesse in Genf empfohlen, die nächs-ten April bereits zum dreissigsten Male stattfindet.

Fünf Schätze nur können von ihren Hüterinnen und Hüternnäher vorgestellt werden. Fünf von Tausenden. Willkür oderZufall? Keineswegs. Kostbare Perlen, goldene Berge? Fraglos.Und doch: Die wahre Schatzsuche ist nie zu Ende, sondern im-mer am Anfang. Die Suche ist der wahre Schatz.

Andreas Schiendorfer

er Schweiz

Page 14: Credit Suisse Bulletin

Der prunkvolle Hauptraum der Stiftsbibliothek St. Gallen

entstand 1758/59. Er gilt als einer der schönsten Barocksäle

der Welt und beherbergt 30000 Bücher.

Page 15: Credit Suisse Bulletin

Stif

tsbi

blio

thek

St.G

alle

nFo

to: T

hom

as S

chup

piss

er

Page 16: Credit Suisse Bulletin

REICHTUM

10 Bulletin 6| 01Credit Suisse

«Ich bin immer wieder erstaunt,wie normal es hier aussieht»,sagt Theres Flury, die wissen-schaftliche Bibliothekarin der St.Galler Stiftsbibliothek.«Eigentlich könnten dieseBücherregale doch ebenso gutbei jemandem zu Hause stehen.» Wirklich dekorativsind die abgewetzten, zumeistledernen Einbände in derHandschriften-Kammer aller-

dings nicht. Trotzdem sind esdie Kronjuwelen der Stifts-bibliothek. Von den rund 2000Handschriften entstanden zirka500 zwischen dem 8. und dem12. Jahrhundert grössten-teils direkt vor Ort im Kloster St.Gallen. Das macht sie zueinem einzigartig zusammen-hängenden Stück Kultur-geschichte. Der Wert ist unschätzbar. «In diesem Zu-

sammenhang ist interessantzu wissen, was eine solcheHandschrift in der damaligenZeit wert war», sagt TheresFlury. «Sie entsprach etwadem Wert eines ganzen Hofsmit allem, was dazu gehört.»Aber nicht nur die monate-lange Schreibarbeit der Mön-che und das darin gesammel-te Wissen machten dieBücher so kostbar, sondernallein schon das Material. DasGrundmaterial von Pergamentist Schafs- oder Kalbshaut.Ein Schaf gab in der Regelzwei schöne Seiten her. «In soeinem Buch steckt also eineganze Herde», sagt die Biblio-thekarin und schlägt vorsichtigeinen Band auf. Wie gedrucktreihen sich die einzelnenBuchstaben zu einem Kunst-

werk aneinander. «Tatsäch-lich war das Ziel bei denersten gedruckten Schriften,so schön und präzise wie diehandgeschriebenen zu wer-den», erzählt Theres Flury.

Die schlichte Handschriften-Kammer verbirgt sich ab-seits des grossen Besucher-stroms hinter einer unschein-baren Tür im ersten Stock der Bibliothek. Nur ein erlese-ner Kreis von Personen hatZutritt. Dagegen schlurfen un-

ten durch den prunkvollenBarocksaal jedes Jahr rund100 000 Leute in Pantoffelnüber den Intarsien-Holz-boden. Neben vereinzeltenHandschriften-Kostbarkeitensind im Hauptsaal vor allemfrühe Drucke ausgestellt.

Als wissenschaftliche Bibliothekarin ist Theres Fluryständig auf der Suche nachneuer Sekundär-Literatur, dieden kulturellen Schatz derStiftsbibliothek einbettet. Der

Stiftsbibliothek St.Gallen

In diesem Raum schlummern unter Ausschluss der Öffentlichkeit die grössten Schätze derStiftsbibliothek: 2000 Handschriften. Es gibt weder Heizung noch Luftbefeuchter. Die dickenSteinmauern und die massiven Holzschränke sorgen Sommer wie Winter für ideale Verhältnisse.

Evangelium Longum: Mönch Tuotilo schnitzte 894 die mitGold und Edelsteinen eingefassten Elfenbeintafeln.

In den Säulen verbergen sich dieKärtchen des Standortkatologs.

Page 17: Credit Suisse Bulletin

Foto

s: T

hom

as S

chup

piss

er

«Im 9. Jahrhundert war eine Handschrift

gleich viel wert wie ein ganzer Hof

mit allem, was dazu gehört», erzählt

Theres Flury, wissenschaftliche

Bibliothekarin der Stiftsbibliothek St.Gallen.

Bücherbestand ist so stetigauf heute 150 000 Stück an-gewachsen. Im Prunksaalselbst stehen 30 000 Werke.Theres Flury ist auch zuständigfür den Kontakt nach aussen.Wie schon ihre Bibliothekar-Kollegen vor 1000 Jahren bestimmt sie, wer die Hand-schriften im Lesesaal aus-gehändigt bekommt odernicht. Geht es einzig um inhalt-liche Forschungen, so müssensich die Bittsteller mit Mikro-filmen begnügen. Will dagegenjemand zum Beispiel die klei-nen, oft witzigen Randnotizen(Glossen) untersuchen, somuss er das teilweise kaumentzifferbare Gekritzel genauerbetrachten können.

Kaum hatte die Germanistinim April 2001 ihre Stelle an-getreten, musste sie schon ingrosser Mission nach Londonreisen. Christie’s versteigerteeine bislang unbekannteHandschrift aus den Bestän-den der Klosterbibliothek. 82 000 Franken waren ihr fürden Kauf über einen Sonder-kredit und Gönnerbeiträge zugesichert. Es sollte nichtreichen. Die Handschrift gingfür wenig mehr an einenHändler und wartet nun in irgendeinem dunklen Safe aufeinen Käufer. Der Gedankedaran schmerzt die Bibliothe-karin noch immer. Daniel Huber

Page 18: Credit Suisse Bulletin

Eidg

enös

sisc

hes

Inst

itut f

ür G

eist

iges

Eig

entu

m, B

ernRoland Grossenbacher, Direktor des Eidgenössischen

Instituts für Geistiges Eigentum, ist überzeugt:

«Das geistige Eigentum ist einer der grössten Schätze

der Schweiz.»

Page 19: Credit Suisse Bulletin

«Der Urquell aller technischenErrungenschaften ist die göttliche Neugier und derSpieltrieb des bastelnden undgrübelnden Forschers undnicht minder die konstruktiveFantasie des technischen Erfinders», steht auf einerBronzetafel vor dem Hauptein-gang des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigen-tum in Bern. Das Zitat stammtvon Albert Einstein, der hierzwischen 1902 und 1909 alsPatentprüfer arbeitete. Heuteerinnert nur noch eine Nischeim Dachstock an den genialenSchöpfer der Relativitäts-theorie. «Vor langer Zeitschon haben wir die meisten Erinnerungsstücke dem Albert-Einstein-Haus an derKramgasse übergeben. All die Busse voller Japaner auf den Spuren Einsteins habenzu grosse Unruhe ins Hausgebracht», sagt Roland Gros-senbacher, der Direktor des Instituts.

Heute arbeiten hier rund260 Leute: Naturwissen-schafter, Juristen, Informatiker.Sie prüfen Patente und treffen markenrechtliche Ab-klärungen. In der Schweizwerden pro Jahr 3000 Patenteangemeldet, früher waren es rund 17 500. Sind dieSchweizer plötzlich wenigererfinderisch? «Keineswegs:Die Zahl ist weit grösser, aberdie meisten Patentanmel-dungen laufen heute über das europäische Patentamt inMünchen», erklärt Grossen-bacher. Schliesslich sei dieSchweiz eines der innovativs-ten Länder mit den meisten

Patenten pro Kopf, ergänztder Jurist. Patente, die hierzur Prüfung vorgelegt würden,seien vor allem solche, dieausschliesslich in der Schweizzur Anwendung kämen.

Geprüft werden die Patent-anträge auf rein intellektuellemNiveau; keine Labors also, wo Forscher im weissen Män-telchen geheimnisvolle Kons-truktionen durchchecken. Die Fachleute prüfen, ob dieErfindung technisch machbarist: «Wer das Perpetuum Mobilepatentieren lassen möchte,hat keine Chance. Das würdenmeine Leute schnell heraus-finden», verspricht Grossen-bacher. Aber ob die Erfindungwirklich neu ist, prüft man inder Schweiz nicht. Es wäre also möglich, das Rad paten-tieren zu lassen? «Ja, wer beiuns das Rad anmeldet und eskorrekt beschreibt, erhält am

Schluss eine Patentschrift,auf der ‹Rad› steht.» Aber diesei natürlich nichtig, fügtGrossenbacher verschmitztan. Eine Schweizer Erfindung, die grossen internationalenErfolg verbuchen konnte, ist der Klettverschluss; eine andere – mehr auf den helvetischen Markt ausgerich-tet – die Girolle, eine «Tête de Moines»-Schabvorrichtung.

Der grösste Schatz, dendas Institut für Geistiges Eigentum hütet, ist die gigan-tische technologische Biblio-thek, die Zugriff auf 42 Millio-nen Patentdokumentegewährt. Früher wurden diePatentschriften in Papierformauf Dutzenden von Laufkilo-metern im Archiv aufbewahrt,heute sind sie auf mehrerenServern gespeichert und fürjedermann auch online abruf-bar. Roland Grossenbacher

sieht seine Hauptaufgabedarin, die geistigen Schätzeder Schweiz für alle zugäng-lich zu machen und zu ver-breiten. «Wir können sie nichtin einer Schatzkammer auf-bewahren. Sie müssen hinausin die ganze Welt. Erst durchseine Allgegenwart wird geistiges Eigentum zu einemwirklich wertvollen Schatz.»Ruth Hafen

REICHTUMFo

tos:

Tho

mas

Sch

uppi

sser

Eidgenössisches Institutfür Geistiges Eigentum

Albert Einstein bezeichnete seine Jahre als Patentprüfer in Bern als seine «kreativsten».

Server haben das Papierarchiv abgelöst: Hier werden 42 Millionen Patentdokumente gespeichert.

Page 20: Credit Suisse Bulletin

Gol

dsch

atz

von

Erst

feld

, Sch

wei

zeris

ches

Lan

desm

useu

m, Z

üric

h

«Wir haben allen Grund, stolz auf unsere Vorfahren,

die Helvetier, zu sein. Nur ein Kulturvolk

war fähig, erlesenen Goldschmuck herzustellen,

wie er in Erstfeld gefunden wurde», betont

Andres Furger, Direktor des Schweizerischen

Landesmuseums in Zürich.

Page 21: Credit Suisse Bulletin

«Das Gold der Helvetier? Derwahre Schatz ist der Erkennt-nisgewinn», erklärt Andres Furger. Seine Arbeitszeit ver-bringt der Archäologe gegen-wärtig vor allem mit derPlanung des neuen Landes-museums; aber man spürt,dass er sich – die Pfeifeschnell zur Hand – gerne fürein paar Minuten ablenkenlässt. Die Zeitmaschine wirdzurückgedreht zu den Kelten,denen seine wissenschaftlicheLiebe und Leidenschaft gilt.Seit 1971, als der jungeStudent in Basel die keltischeStadtmauer mit entdeckte.Eine keltische Stadtmauer –nichts Spezielles fürwahr.Wenn man indes weiss, dassBasilea zuvor stets als einerömische Gründung angese-hen wurde: ein wahrer wissen-schaftlicher Goldschatz.

Das Rätsel der Kelten zulösen, den Helvetiern, unserenUrahnen, den ihnen zuste-henden Platz neben WilhelmTell zu verschaffen, das istsein Traum. Kramen wir unserSchulwissen hervor. Die Helve-tier verliessen 58 vor Christusihre Heimat rund um dieHauptstadt Aventicum. Siewurden von Caesar beiBibracte geschlagen und in die«Schweiz» zurückgeschickt.Am Anfang war also, peinlich,peinlich, die bittere Nieder-lage. Was mussten das fürBanausen und Barbaren ge-wesen sein. «Wir tun denHelvetiern unrecht», bedauertFurger. «Trotz des Erfolgsunserer Ausstellung ‹Gold derHelvetier› wird dieser wich-tige Keltenstamm immernoch massiv unterschätzt.»

1987 erforschte Furger, nunbereits Direktor des Schwei-zerischen Landesmuseums, imBurgund das zuvor nicht genau lokalisierte Schlachtfeldvon Bibracte, 1993 rekonstru-ierte er den keltischen Streit-wagen essedum. Und dazwi-schen, 1991, entdeckte er den‹Goldschatz von Erstfeld›, wasihm, dem Erstfelder Bürger,natürlich besondere Genug-tuung bereitete.

Bevor Widerspruch auf-kommt: Die sieben goldenenHals- und Armringe wurdenbereits 1962 von den Bagger-führern Virgilio und GoffredoFerrazza bei Bauarbeiten für ein Lawinenstaubeckengefunden. Aber Furger stellte,dreissig Jahre danach, neueFragen. Keine Rede mehr voneinem Schatz, der von antikenHandelsreisenden deponiertund irgendwarum nicht mehrabgeholt wurde. Die Ringezeugen vielmehr von einemkultischen Vorgang. Am End-punkt der Wasserstrasse inRichtung Süden stimmten Mit-glieder der nordalpinen Aristo-

kratie mit diesem Goldopfereine wichtige Gottheit günstig.Geweihtes Gold.

So so, denkt man, währendAndres Furger genüsslich ander Pfeife zieht – und plötzlichsagt: «Der Gotthard war wohlder Olymp der Kelten! ImHospiz-Seelein müsste mangraben…» Nun endlich sehenauch wir sie, die Goldschätzeder Helvetier. Funkeln undglitzern, in Furgers Augen.Das Rheinfallbecken dürfte,nebenbei bemerkt, ebenfallsHort eines Goldschatzes sein,der wohl nie geborgen wird.

Der Wissenszuwachs gehtjedoch weiter: Bei der unbe-kannten, allmächtigen Schutz-

gottheit auf den Ringen han-delt es sich um den «Herrn»oder die «Herrin der Tiere».Und der hochwertige Gold-schmuck wurde um 380vor Christus in einer Werkstattdes schweizerischen Alpen-vorlandes hergestellt – undnicht etwa in der Mittelrhein-gegend, deren prunkvollekeltische Fürstengräber eben-falls eindrücklich sind.

Nix Barbaren, wir warenwer. Die Schweizer ein Kultur-volk, schon damals. Un-schätzbare Erkenntnis, derwahre Schatz der Helvetier.Andreas Schiendorfer

15Bulletin 6| 01Credit Suisse

REICHTUMFo

tos:

Tho

mas

Sch

uppi

sser

Goldschatz von Erstfeld

Der Goldschatz von Erstfeld: vier Hals- und drei Armringe. Frühe Latènekunst, um 380 v.Chr.

Die Schatzkammer der Schweizerhält demnächst einen Anbau.

Ausschnitt eines Halsrings: Sirene,anthropomorphes Doppelwesen

Page 22: Credit Suisse Bulletin
Page 23: Credit Suisse Bulletin

Wel

tnat

urer

be J

ungf

rau

– A

lets

ch –

Bie

tsch

horn

Foto

: Tho

mas

Sch

uppi

sser

«Die schönste Region der Alpen verdient es, dass

wir schonend mit ihr umgehen und einen

sanften Tourismus fördern. Auch die folgenden

Generationen sollen unser Naturdenkmal

geniessen dürfen», erklärt Edith Nanzer, Gemeinde-

präsidentin von Naters und Präsidentin der

IG Kandidatur Unesco-Weltnaturerbe Jungfrau –

Aletsch – Bietschhorn.

Page 24: Credit Suisse Bulletin

REICHTUM

18 Bulletin 6| 01Credit Suisse

Foto

s: T

hom

as S

chup

piss

er

auch aus naturwissenschaft-licher Optik einmalig. Diehüpfenden Gletscherflöhe, diemajestätischen, 1938 wiederangesiedelten Steinböcke, diekleinen Safranäcker in Mund,das erste Naturschutzzentrumder Schweiz auf der Rieder-furka, das Sphinx-Observato-

rium auf dem Jungfraujoch.Und ist nicht die 1912 einge-weihte Jungfraubahn ein wah-res technisches Wunderwerk?

Tatsächlich: Nicht nur derKlosterbezirk von St.Gallen,die Altstadt von Bern, das Benediktinerkloster St. Johannin Müstair und die Tre Castellivon Bellinzona verdienen es,auf der Welterbeliste der Unesco zu stehen, sondernauch die Region Jungfrau –Aletsch – Bietschhorn sowie,vermutlich 2003, der MonteSan Giorgio bei Lugano. Des-sen Schichten enthalten 20Meeressaurierarten aus derMitteltrias, haben also einehrwürdiges Alter von gegen240 Millionen Jahren.

Doch was ist eigentlich dasZiel? Das Gebiet ist bereitsdurch die Aufnahme ins Bun-desinventar der Landschaftenund Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN)geschützt. Dieses verhindertbeispielsweise die umstrittene,von der Gemeinde Ried-Mörel ins Auge gefasste Ver-bindungsbahn quer über denGletscher von der Riederalpzur Belalp. Aber geht es nichttrotzdem in erster Linie um dieAnkurbelung des Tourismus,Die Natur als hervorragende Künstlerin. Im Hintergrund ist das Fusshorn zu erkennen.

Wer Augen hat zu sehen, entdecktfaszinierende Preiselbeerwelten.

Blick auf die Riederalp, die ein attraktiver Ausgangspunktfür Wanderungen ins Aletschgebiet ist.

Der teuerste Schatz derSchweiz sei deren natürlicheVielfalt und Schönheit, erklärt Edith Nanzer, Präsiden-tin der Gemeinde Naters, mitgewinnendem Lächeln. Siedenkt dabei nicht nur, aber vorallem an ihr Oberwallis: «DerAletsch, der längste Gletscherder Alpen, die erholsame Idylleauf der einzigartigen Belalp!»

Trotzdem gilt es der Walli-ser Präsidentin der IG Kandi-datur Unesco-WeltnaturerbeJungfrau – Aletsch – Bietsch-horn die Frage zu stellen, wieso beispielsweise dasBietschhorn ab Dezember aufeiner illustren Liste nebendem Serengeti-Nationalpark,den Galapagos-Inseln, dem

Kilimandscharo oder demMount Everest figurieren soll.

Es gehe weniger um ein-zelne Berge als vielmehr umdie gesamte Region. Dieseumfasse rund 540 Quadrat-kilometer in 13 Walliser undzwei Berner Gemeinden. Sie sei, betont Edith Nanzer,

Weltnaturerbe Jungfrau – Aletsch – Bietschhorn

Page 25: Credit Suisse Bulletin

was das künftige Weltnatur-erbe eher gefährden dennschützen würde?

«Ich könnte mich nie undnimmer hinter diese Kandida-tur stellen, wenn eine Beein-trächtigung der Natur die Folge wäre. Dann wüsste ichmeine Zeit wahrlich sinnvollereinzusetzen», widerspricht Edith Nanzer vehement. «Das Unesco-Label ist die land-schaftsschützerische Gold-medaille und garantiert einenlangfristigen, weltweit abge-stützten Schutz. Deshalb stehen auch das Bundesamtfür Umwelt, Wald und Land-schaft und die Pro Natura hin-ter unserer Kandidatur.»

Sie weiss indes nur zu gut,dass der für die ganze Regionwichtige Tourismus schonbessere Zeiten kannte. «Wirwollen vom Bekanntheitsgradder Jungfrau profitieren, keineFrage», führt die engagierteWalliserin aus. Besonders imSommer sei die Auslastungnoch zu erhöhen. Man wolleaber behutsam vorgehen undhabe im Aletschwald bereitsErfahrungen im Besucher-management gesammelt. Zu-kunftsweisend sei die in derCharta vom Konkordiaplatz –hier treffen sich die verschie-denen Gletscher – besiegelteinterregionale Zusammenar-beit. «Vorher haben die Bergedie Walliser und die Bernervoneinander getrennt. Nun ver-binden sie uns.»Andreas Schiendorfer

Die Aletschregion kennen lernenGewinnen Sie ein Wochenendefür vier Personen auf der Bel-alp. Näheres dazu auf unseremBestell- und Verlosungstalon.

Vor 25 Jahren richtete die Pro Natura in der

historischen Villa Cassel auf der Riederfurka das

erste Naturschutzzentrum der Schweiz ein.

Hier werden die jährlich über 50000 Besucher

des Aletschwalds für die Belange des

Naturschutzes im Berggebiet sensibilisiert.

Page 26: Credit Suisse Bulletin

«Mein Anliegen ist es, den persönlichen

Charakter der Sammlung zu bewahren», sagt

Mariantonia Reinhard, Konservatorin der

Sammlung Oskar Reinhart «Am Römerholz»

in Winterthur.

Sam

mlu

ng O

skar

Rei

nhar

t «A

m R

ömer

holz

», W

inte

rthur

Page 27: Credit Suisse Bulletin

21Bulletin 6| 01Credit Suisse

Foto

s: T

hom

as S

chup

piss

er

Dicht an den Waldrandschmiegt sich die Villa «AmRömerholz», ihr zu Füssen die Stadt Winterthur. Der In-dustrielle Oskar Reinhart lebtehier von 1924 bis zu seinemTod 1965. Er baute eine derbedeutendsten privaten Kunst-sammlungen des 20. Jahrhun-derts auf. Nach seinem Todging sie samt Villa in die Händeder Eidgenossenschaft über.«Diese Sammlung ist einer dergrössten Schätze des Bun-des», erklärt die KonservatorinMariantonia Reinhard-Felicesichtlich stolz. 220 Werke vomMittelalter bis zur Schwelleder klassischen Moderne sindhier versammelt, der Haupt-akzent liegt auf der franzö-sischen Kunst des 19. Jahr-hunderts: Manet, Monet,Renoir, Cézanne.

Im Gegensatz zu seinemVater Theodor, dessen Leiden-schaft der neueren Kunst galt,war Oskar Reinhart ein kon-servativer Sammler. Er richtetesein besonderes Augenmerkauf das Malerische. «Reinhartbeurteilte Kunst durch die Augen des Impressionismus.Diese Ästhetik, die zu Beginndes Jahrhunderts entstand,war in den Zwanzigerjahren, alser den Grundstein für seineSammlung legte, schon nichtmehr aktuell», führt die Kunst-historikerin aus. Ein Glück für die Nachwelt, wurden dochviele Sammlungen, die aufdemselben Konzept basierten,während der Wirtschaftskriseund des späteren Krieges aufgelöst. Der Kunstmarkt wardaher reich an hervorragen-den Werken.

1996 wurde Mariantonia Reinhard zur Konservatoringewählt. Sie hat den 1998abgeschlossenen Umbau derSammlung begleitet und die Werke neu präsentiert. «Ichhabe mich entschieden, dieWerke nach dem Hängungs-konzept von Reinhart anzuord-nen, also nicht chronologisch,sondern nach chromatischenund motivischen Zusammen-hängen.» Es liege ihr daran,den persönlichen Charakter derSammlung zu bewahren. Mit Hilfe des schriftlichen Nach-lasses des Stifters versuchtsie, die originalen Hängungs-pläne nachzuvollziehen. Da Oskar Reinhart schon zuLebzeiten für die Öffentlich-keit sammelte und die Galeriejeweils am Donnerstagnach-mittag für Besucher zugänglichmachte, können auch münd-liche Überlieferungen von damaligen Besuchern in dieDetektivarbeit mit einbezogenwerden.

Seit der Wiedereröffnungkonzentriert sich Reinhard auf die Vorbereitung des wis-senschaftlichen Katalogs der

Sammlung, der 2002 erschei-nen wird. Aber wohl diegrösste Herausforderung, die die Konservatorin zu meisternhat, wurzelt in einer Bestim-mung, die Reinhart 1958 inseinem Stifterwillen festhielt:Die Bilder dürfen nicht aus-geliehen werden. «Wenn ichkönnte, würde ich ihn gernenach dem Grund fragen. Undob er heute immer noch daranfesthalten würde.» Einer per-manenten Sammlung drohedie Erstarrung, die nur durchAusstellungen durchbrochenwerden könne. Das Ausleih-

Sammlung Oskar Reinhart«Am Römerholz»

Paul Cézanne (1839–1906), «Stillleben mit Früchten undFayencekrug», um 1900. Öl auf Leinwand; erworben 1925.

Jeweils donnerstags öffnete Oskar Reinhart die Türen seiner Villa und machte seinen Kunstschatz zugänglich.

Aristide Maillol (1861–1944), «La Méditerranée», 1905. Kalkstein; erworben 1931.

verbot hat für die Konservatorinaber durchaus auch Vorteile,weil Lücken in einer so kleinenund erlesenen Sammlunggravierend wären, «so, wiewenn in einem Gebiss einZahn fehlt». Eine Bestimmung,welche die Arbeit der Konser-vatorin behindert, aber auchspannend macht: «Diese Ein-schränkung ist auch eineHerausforderung: Man mussweiter suchen, findet dannaber vielleicht einen Ideen-Schatz, den man nicht erwar-tet hätte.»Ruth Hafen

Page 28: Credit Suisse Bulletin

Reichen Familienzu Diensten

Page 29: Credit Suisse Bulletin

Will eine Firma ihre Aus- und Weiterbil-dung mit E-Learning umsetzen, müssendie Bedürfnisse aller involvierten Abteilun-gen vorliegen. Im Folgenden bringen fünf frei erfundene Geschäftsleitungsmitglie-der einer international tätigen Firma ihreAnsprüche, Ideen und kritischen Einwändeauf den Tisch. Andrea Back, Professorin an der HSG und Leiterin der interdiszipli-nären Forschungsgruppe «Learning Cen-ter», nimmt dazu Stellung.

Firmenchef: Zügel fest in der Hand

Der Firmenchef weiss, dass das ProjektE-Learning erheblichen finanziellen undpersonellen Aufwand bedeutet. Er willdeshalb wissen, welches die Hauptgründesind, wenn solche Projekte aus dem Ruder laufen und zum Misserfolg führen.

Andrea Back: «Den grössten Fehler bei E-Learning-Projekten machen häufig dieBosse selbst, wenn sie das Zepter ausder Hand geben. Kevin Kelly, verantwort-lich für E-Learning bei Cisco, bringt es aufden Punkt: ‹Neue Technologien rufennach neuen Leadern.› E-Learning gehörtin die Unternehmensstrategie. Überlässtman es den einzelnen Unternehmensbe-reichen, werden Bedürfnisse meist nurpunktuell und isoliert abgedeckt. Hinzukommt, dass es in vielen Betrieben an derTagesordnung ist, sich darum zu streiten,wem das E-Learning-Projekt gehört.Liegt die Führung – zumindest in der Pla-nungsphase – beim CEO, kann er verhin-dern, dass zu viele parallele Projekte vor-angetrieben werden, die später mühsamals Flickwerk integriert werden müssen.Andererseits ist es aber falsch, einen voll

Heinz Deubelbeiss, Redaktion Bulletin Online

E-Learning

«Ich bezweifle, dass virtuelle Lernräume zu Vereinsamung

führen.» Andrea Back, Professorin an der HSG

und Leiterin der Forschungsgruppe «Learning Center».

Page 30: Credit Suisse Bulletin

Neue Stadien brauchtdas LandDie Schweizer Fussball-Nationalmannschaft dümpelt gegenwärtig um Rang 60 der FIFA-Weltrangliste. Der Bau neuer Stadien soll die Wende zum Bessernbringen. Als Investorin ist die Credit Suisse massgeblichan dieser Entwicklung beteiligt.

Andreas Schiendorfer, Redaktion Bulletin

Page 31: Credit Suisse Bulletin

«Ich bin noch nie vor einerschwierigen Aufgabedavongelaufen»

«Ich bin noch nie vor einerschwierigen Aufgabedavongelaufen»

Page 32: Credit Suisse Bulletin

« In Aist ber

Michail Gorbatschow zeigte sich

als Kommunikationsprofi: Nach

einem langen Arbeitstag stand

er nicht nur dem Bulletin souverän

Red und Antwort, sondern nahm

sich auch noch für den Fotografen

Thomas Schuppisser Zeit.

Page 33: Credit Suisse Bulletin

CHRISTIAN PFISTER Wann haben Sie zum ers-

ten Mal von Amerika gehört ?

MICHAIL GORBATSCHOW Ich erfuhr vonAmerika durch die Literatur; ich las alsJunge etwa Jack Londons « KopfloserReiter », aber auch Bücher von Mark Twain.

C.P. War das vor oder nach dem Zweiten

Weltkrieg ?

M.G. Sowohl als auch – ich war zehnJahre alt, als der Krieg ausbrach. MeinWissen über Amerika stammte damals ein-zig aus Büchern; ein anderes Amerika gabes für mich nicht. Ich erinnere mich nochan ein Gedicht von Marschak, das wir inder Schule auswendig lernten: Es hiess« Mister Twister ».

C.P. Wovon handelte es ?

M.G. Mister Twister war ein Inhaber vonFabriken und Dampfschiffen, der sich ent-schloss, eine Weltreise zu machen. Er reis-te überallhin, wohnte in verschiedenenHotels. Doch als er nach Moskau kam,fand sich keine Unterkunft für ihn. Daswar unsere Art, dem Kapitalisten eins aus-zuwischen. (schmunzelt)

C.P. Beeinflusste der Krieg Ihre Vorstellung

von Amerika ?

M.G. Es kam der Krieg – die zweiteFront, Schmorfleisch in Büchsen, dieAmerikaner, die uns humanitäre Hilfe zu-kommen liessen. Das war das erste Mal,dass ich erfuhr, dass es Amerika auch inder realen Welt gab. Dazu muss man wis-sen, dass ich in der tiefsten Provinz auf-wuchs; wir hatten keine Presse, kein Radio und somit kaum Zugang zu dem,was in der Welt lief.

C.P. Wann wurde Amerika für Sie zu mehr als

einer Romankulisse und einem Helfer ?

M.G. Zu begreifen, was Amerika ist, be-gann ich in der Schule und dann später inder Universität. Hinzu kamen viele ameri-kanische Filme, die wir damals zu sehenbekamen. Unser Bildungssystem war sehrgut. Wir studierten nicht nur unsere eige-ne Geschichte systematisch, sondernauch die amerikanische Revolution und Ver-fassung.

C.P. Welche Rolle spielten die Medien ?

M.G. Alles, was über Amerika oder Europa

AMERIKA

21Bulletin 1| 01Credit Suisse

Amerika eine Perestroika reits im Gang»

Michail Gorbatschow tritt heute als scharfer Beobachterder amerikanischen Politik auf. Für ihn ist klar: Eine Weltordnung unter dem Diktat der USA darf es nicht geben. Interview: Christian Pfister, Redaktion Bulletin

Foto

s: T

hom

as S

chup

piss

er

Page 34: Credit Suisse Bulletin

nach dem Jahr 1947 geschrieben wurde,war stark ideologisiert. Ich erinnere michan eine Kolummne auf der Frontseite einerwichtigen Tageszeitung; es war eine Ant-wort auf eine Rede Churchills – sympto-matisch für die Anfänge des Kalten Kriegs:« Churchill rasselt mit dem Säbel » lautetedie Überschrift. In der Folge waren keineobjektiven Informationen mehr zu Amerikaoder Westeuropa zu haben. Zudem fingennach dem Zweiten Weltkrieg Demonstra-tionen gegen den Kolonialismus an; dieersten Kolonien brachen auseinander.

C.P. Warum war das wichtig ?

M.G. Wir werteten diese Ereignisse alsAnzeichen des Zusammenbruchs des ka-pitalistischen Systems.

C.P. Das fiel wahrscheinlich in Ihre Studen-

tenzeit. Was war Ihre Haltung ?

M.G. Ich erinnere mich, als ich in denFünfzigerjahren an der Universität in Mos-kau war. Ich ging mit Kollegen zu den Demonstrationen auf den Roten Platz.Dort, wo heute das Tourismusgebäudesteht, war früher die amerikanische Bot-schaft. Wir schrieen, so wie das eben Stu-denten zu tun pflegen: « Nieder mit demamerikanischen Imperialismus! »

C.P. Warum ?

M.G. Wir taten es, weil es irgendwie da-zugehörte – wir haben uns nicht viel dabeigedacht (schallendes Lachen). Späterwurden wir ernsthafter, wir erfuhren mehrund gelangten zu einem besseren Ver-ständnis dessen, was um uns herum ge-schah. Gleichzeitig realisierten wir, wassich im eigenen Land abspielte.

C.P. Einer, der Ihr Amerika-Bild in späteren

Jahren geprägt hat, war sicherlich Ronald

Reagan. Wie hat er auf Sie gewirkt ?

M.G. Ich erinnere mich, wie ich mich vor15 Jahren, im Spätherbst, zum ersten Malmit Präsident Reagan getroffen habe.Diese Begegnung in Genf war damals dieerste zwischen den USA und der Sowjet-union nach einer sechsjährigen Unterbre-chung. Die Welt befand sich auf dem

Höhepunkt des atomaren Wettrüstens.Alle hatten das Gefühl, man könne nichtsmehr ändern, man könne diesen dämoni-schen Zug des atomaren Wettrüstens nichtmehr bremsen. Die Spannung war sehrgross. Als ich danach zu meinen Kollegenzurückkehrte, fragten sie mich nach mei-nem ersten Eindruck. Ich sagte: « Dino-saurier ! » Später habe ich erfahren, dassman Reagan auch gefragt hatte, welchenEindruck er von Gorbatschow hätte. SeineAntwort war: « Dickköpfiger Kommunist ! »(lacht laut)

C.P. Keine Liebe auf den ersten Blick, so

scheints – dennoch war der Ausgang der

Verhandlungen ein Meilenstein.

M.G. Ja, während der Verhandlungenhaben Präsident Reagan und ich gespürt,eher intuitiv, dass etwas zustande ge-bracht werden konnte. Auf jeden Fall ha-ben wir beide am frühen Morgen in Genfeine Erklärung unterzeichnet, die spätervieles bewirkt hat; wir kamen überein, dassnuklearer Krieg absolut unzulässig ist undes dabei keine Sieger geben könne ! DieseErklärung ist für die Leute, die in der Po-litik Verantwortung tragen, sehr wichtig.Sie besagte: Wenn es im nuklearen Kriegkeine Sieger gibt, dann macht es keinenSinn, das Wettrüsten weiterzuführen. Dasheisst nicht nur, dass das Wettrüsten an-gehalten werden soll, sondern dass manalle nuklearen Waffen liquidieren sollte.Meiner Meinung nach war die Persönlich-

keit von Präsident Reagan von ausschlag-gebender Bedeutung für den Erfolg derGespräche.

C.P. Also nichts mit Dinosaurier und kom-

munistischem Dickschädel ?

M.G. Es war natürlich ein Schock für viele, dass die Sowjetunion die Initiativeergriff, den Bestand der Bodenraketen zureduzieren. Ausgerechnet ich, der « Prole-tarier » (lacht), schlug vor, den ganzenWaffenbestand zu halbieren. Das über-raschte die Öffentlichkeit.

C.P. Was denken die Menschen in Russland

heute über Amerika ?

M.G. Als der Kalte Krieg zu Ende war,herrschte in meinem Land Euphorie. DieLeute waren zur Zusammenarbeit bereit.Heute denkt die Mehrheit, Amerika sei eingrosses Land mit vielen Errungenschaf-ten, das aber zu sehr mit sich selber be-schäftigt sei.

C.P. Das tönt nach Ressentiments.

M.G. Die Euphorie ist einem gewissenAntiamerikanismus gewichen. Demge-genüber wächst unter der Bevölkerungdas Vertrauen in Europa. Ich betone dies,weil die Einstellung des Volks dem Westengegenüber die Basis ist für die weitereZusammenarbeit.

C.P. Können Sie das erklären?

M.G. Russland begreift sich als Teil Euro-

22 Bulletin 1| 01Credit Suisse

Michail Gorbatschow

«Ich erfuhr, dass man auch Ronald Reagan gefragt hatte, was er von

Gorbatschow für einen Eindruck hätte. SeineAntwort war: ‹Dickköpfiger Kommunist!›»

Page 35: Credit Suisse Bulletin

pas. Ein Beispiel: Wenn die Russen unddie Deutschen nicht einen versöhnendenSchritt aufeinander zu gemacht hätten,wenn es keine Reue und keine Versöh-nung gegeben hätte – wäre es nicht zurdeutschen Wiedervereinigung gekommen.Europa muss eine Wahl treffen. Es ist vielzu lange den Weg gegangen, den ihmAmerika vorgezeichnet hatte. Es hat mitdiesem Umdenken aber Schwierigkeiten.Europa muss eigene Ideen finden und sel-ber verstehen, was es will und worüber esverfügt.

C.P. Das wäre ?

M.G. Europa ist ein einzigartiger Konti-nent mit grossem historischem Potenzial.Es hat die Qual der Wahl: Einerseits will esmit Russland eine Beziehung aufbauen,gleichzeitig aber auch mit Amerika weiter-hin auf gutem Fuss stehen.

C.P. Wo sollten die Prioritäten liegen ?

M.G. Von Prioritäten kann keine Redesein, denn Europa braucht beide. Man kanndoch keine ernsthaften Zukunftsperspek-tiven erwägen, wenn Russland nicht mit-einbezogen wird. Und selbstverständlichbestehen wichtige Verbindungen zu denUSA.

C.P. Amerika hat sich in seinen Grundfesten

in den letzten 70 Jahren kaum verändert.

Unlängst mutierte das etwas rustikale,

amerikanische Wahlsystem gar zur Lach-

nummer. Wäre es denn möglich, dass den

USA eine Art Perestroika bevorsteht ?

M.G. Das geschieht nicht von einem Tagauf den anderen. Zumal die Amerikanersehr erfolgreich sind und Veränderungenfürchten. In der Sowjetunion haben wirauch zuerst drei Jahre gebraucht, um denSozialismus zu verbessern. Wir kamendaraufhin zum Schluss, dass wir diesesSystem ersetzen mussten. Meiner Mei-nung nach ist in Amerika die Perestroikabereits heute im Gang.

C.P. Wie bitte ?

M.G. In den USA finden viele Verände-rungen statt. Aber auch die politische

AMERIKA

23Bulletin 1| 01Credit Suisse

MR. PRESIDENT HAT LUST AUF EINEN WITZEs ging gegen acht. Dienstagabend, im Zürcher Hotel Savoy herrsch-te Spannung. Eine Persönlichkeit wie Michail Gorbatschow ist selbstin der Nobelherberge nicht tägliches Brot. «Mister President » kam inkognito und in inoffizieller Mission – zwei Bodyguards und sein per-sönlicher Berater begleiteten ihn. Er nahm die Aufregung um ihn ge-lassen, schenkte hier ein Lächeln, dort einen Händedruck. Und dannhatte er Zeit fürs Bulletin. Die Begegnung mit der Weltgeschichtenahm aber nicht ihren vorgesehenen Lauf. Die Fragen des Journalistenmussten noch warten. Michail Gorbatschow verspürte vorerst keineLust, schnurstracks auf das Frage-Antwort-Spiel einzusteigen. Er erzählte lieber einen Witz: «Ein Arzt, ein Architekt und ein Politikerstreiten, wessen Beruf der älteste sei. Der Arzt sagt: Unser Beruf istbestimmt der älteste, wir haben Eva aus Adams Rippe erschaffen. Der Architekt meint: Das stimmt zwar, aber bevor Adam und Eva erschienen, gab es sieben Tage, in denen die Welt erschaffen wurde; erst dann kamen die Probleme mit Adam und Eva. Schluss-endlich kam der Politiker zu Wort: Ihr beide habt Recht – die Welt wur-de in sieben Tagen erschaffen, aber was war davor? – Chaos! Und ratetmal, wer das Chaos erschaffen hat? »

Weltkarte ist in Bewegung. Der asiatischeBevölkerungsteil und die pazifische Regionerheben sich. Deshalb ist für die Amerika-ner die Zusammenarbeit mit Europa undRussland so wichtig. Zwar hat Amerika invielen Lebensbereichen die Führungsrolleinne. Aber sollten die USA ihre Führerrollein eine Politik der Dominanz umsetzenwollen, so wird ihnen das nicht gelingen.Die Welt hat die politische Vormachtstel-lung der USA bereits zurückgewiesen.China und Russland sind dagegen, Indienebenso. Deshalb habe ich Bill Clintonauch scharf kritisiert, als er verkündete,das 20. Jahrhundert sei das JahrhundertAmerikas geworden – und mit Gottes Hilfe werde es auch das 21. Jahrhundertwerden.

C.P. Was ist daran falsch ?

M.G. Die USA und die westlichen Länderhaben den Ausgang des Kalten Kriegesfalsch eingeschätzt. Sie meinten, sie wür-

den den Sozialismus begraben. Doch dieWerte des Sozialismus werden in Europaund in Amerika an Bedeutung gewinnen.Die politische Kultur Amerikas hat eineRegel: Jeder Präsident muss irgendwo einen Krieg führen, sonst ist er kein Prä-sident. Das amerikanische Volk selber willgar keine Kriege – hier liegt der Wider-spruch. Man sollte nicht sich selber undandere in Versuchung führen, indem manvorgibt, Gewalt und Waffen hätten im 21. Jahrhundert eine ausschlaggebendeBedeutung.

C.P. Also wird nichts mit der unangefochte-

nen Supermacht USA im 21. Jahrhundert ?

M.G. Die Antwort darauf gab John F.Kennedy schon 1963. Vor Universitätsstu-denten sagte er: « Wenn Sie meinen, dassdie zukünftige Welt nur für die Amerikanergut sein wird, dann irren Sie sich. Entwe-der wird es für alle Frieden geben oder eswird für niemanden eine Welt geben.»

Page 36: Credit Suisse Bulletin

Der Champion aller Klassen

«Der Dollar ist heute die wichtigste Verrechnungs-

währung im internationalen Handel, nicht zuletzt,

weil alle Rohwaren und natürlich Erdöl in Dollar

gehandelt werden», sagt Cédric Spahr.

Page 37: Credit Suisse Bulletin

1991 1992 1993

10

8

6

4

2

0

–2

–4

IndustrieproduktionVeränderung gegenüber Vorjahr

%

«Die Stabilität der europäischen

Konjunktur ist ein Lichtblick für die

Schweizer Wirtschaft », versichert

Walter Metzler, Economic Research.

Page 38: Credit Suisse Bulletin

Benutzen, nicht besitzen

«KMU müssen ihr Finanzmanagement

besser in den Griff bekommen, um dem

Wettbewerbsdruck standzuhalten», raten

Cesare Ravara (vorn) und Patrik Weibel

vom Economic Research.

Page 39: Credit Suisse Bulletin

«Wer das Jahr 2002 eurofit beginnen will »,

betont Stefan Fässler vom Economic

Research, «muss jetzt in allen Unterneh-

mensbereichen umfassend planen. »

Euro im Schweizerland – Vorbereitung statt Chaos

Page 40: Credit Suisse Bulletin

Die meisten der rund 700 Millionen Rech-nungen, die jährlich in der Schweiz gestelltwerden, gehen den bewährten Weg: Siewerden geschrieben, ausgedruckt und perPost übermittelt. Auf diese Weise kann allein die Rechnungsstellung bis zu 15 Franken kosten. Electronic Bill Present-ment and Payment EBPP, umgesetzt mitPayNet, senkt auf elektronischem Wegdie Kosten und verspricht eine Vereinfa-chung des gesamten Rechnungs- undZahlungsverkehrs. Und PayNet soll schnellzur Norm werden. Eine Marktanalyse derE-Business-Beratungsfirmen Killen & As-sociates und Ovum behauptet, schon imJahr 2005 seien 70 Prozent der grossenFirmen in Europa in der Lage, ihre Rech-nungen elektronisch auszuliefern.

Schweizer EBPP-Offensive

Auf dem globalen Markt tummeln sich bereits eine ganze Reihe von Firmen, diebislang reine « Bill Presentment »-Lösun-gen anbieten. Ein direkter Zugriff auf dasKonto der Kundinnen und Kunden ist inder Regel nicht möglich. Und die Bill-Pre-sentment-Anbieter bedrängen die Ban-ken. Online-Firmen und Anbieter wie dieUS-amerikanische Checkfree oder e-BXaus Singapur unterlaufen eine der Kern-kompetenzen der Finanzinstitute. Gleich-zeitig sehen sich die Schweizer Bankenimmer öfter mit der Erwartung konfron-tiert, den Zahlungsverkehr gratis abzu-wickeln. Das Interesse, kostengünstigere

«Unsere Lösung wird sich

international durchsetzen»,

unterstreicht Damian Zech,

Projektleiter PayNet Competence

Center bei Credit Suisse

Financial Services.

Pius Schuler, SwissOnline

Finanzchef: «Real lässt sich nur

mit kontinuierlichem Wachstum

Geld verdienen. »

Per Mausclick fordern, ko

Foto

s: T

hom

as S

chup

piss

er