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CYRUS OVERBECK WOMEN, DOGS & ORNAMENTS GALERIE BRUNO KEHREIN

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D ie frühen Arbeiten von Cyrus Overbeckwaren dominiert von Schwarz und Grautö-

nen und von Monumentalität. Sie handelten vonTotenschädeln, manchmal auch von schablonen-haftem Kriegsgerät, die durch ihren sich voreinem als Leere ausweitenden Hintergrund ihreBedrohlichkeit entfalteten: Jenseits der Texturdes Papiers war nichts mehr. Das Leben aus derSicht von Cyrus Overbeck: Es schien reduziertauf die Monotonie einer Bedrohung und das Leere.Mehr gab es nicht. In der aktuellen Serie tauchenanstelle der Totenschädel Menschen auf. Wassind das für Menschen?

In der aktuellen Serie dominieren die Por-traits, meist Gesichtsportraits, seltener Ganzkör-perportraits. Kunsthistorisch wurden Portraitseher als geringwertige Kunstgattung angesehen:schien doch das Ziel eines Portraits in erster Liniedie Ähnlichkeit mit dem Portraitierten zu sein,so daß sehr wohl die bloße Kunstfertigkeit desKünstlers im Portrait sichtbar wurde, aber um-gekehrt kaum Raum für sein Kunstwollen zubleiben schien. Da viele Portraits Auftragsarbei-ten waren und sind, war und ist es üblich, daß derPortraitierte den Inhalt des Bildes wesentlichmitbestimmt. Erst mit der Renaissance und derAuf klärung änderte sich diese Bewertung schritt-weise in der abendländischen Welt. Der Menschwurde als Maß aller Dinge entdeckt und über-nahm die Rolle des edelsten Bildgegenstandes. Eswurde nun zu einer besonderen Herausforde-rung für den Künstler, die Seele des portraitiertenMenschen auf der Leinwand abzubilden. Hier

ergab sich viel Interpretationsspielraum, da derKünstler nun auch die Rolle übernahm, Aspekteim Portrait sichtbar zu machen, die dem Portrai-tierten selbst verborgen waren: Es entstand einRaum, der dem Künstler die Möglichkeit derIdealisierung und Dämonisierung ebenso öffnetewie seinen Bestrebungen nach realistischer Dar-stellung und Kunstfertigkeit Rechnung trug. DieArbeit am Portrait wurde und ist auch heute zurSuche nach der individuellen Wahrheit der Por-traitierten geworden. Aber immer noch verrätdas Portrait auch etwas über die Interaktion vonMaler und Portraitierten.

Cyrus Overbeck bricht kompromißlos mitdieser Tradition. Er will die Interaktion vonKünstler und Portraitierten ebenso ausschaltenwie selbst eine Interpretation des Portraitiertenanbieten. Er hat keinerlei Interesse an einer hy-perrealistischen Darstellung, sucht keinen Wett-streit zu naturalistischen Photos, er verschmähtdas lebende Vorbild. Er will gerade nicht das Un-sichtbare, das Innerste dieser Frauen sichtbar ma-chen, was immer dieses Innerste auch sein mag.Wir sehen seine Portraits, aber Overbeck zeigtuns nur perfekt gearbeitete, aber entleerte Gestal-ten. Unverkennbar hat er die Technik des Holz-schnitts weiterentwickelt: Seine Drucke strahleneine Individualität, Tiefe, Farbintensität aus, alshandele es sich um Lithographien oder Radierun-gen. Wir sind irritiert angesichts dieser Dichoto-mie von kunstfertig und künstlerisch-technischinnovativ erstellten Arbeiten, bei denen der An-spruch der Erstellung mit der Leere und Scha blo -

»Women, Dogs and Ornaments«Zuckersüße schwere leichte Kost für Kunstliebhaber

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nenhaftigkeit der Inhalte kontrastiert. Ja, scheintOverbeck seinen Betrachtern zu sagen: Man kannPortraits so malen und drucken, daß diese denCharakter eines Ornamentes annehmen. Mankann dem Betrachter ein Bild einer Frau anbieten,sogar in der Form eines Portraits, ohne daß einCharakterbild, ohne daß ein mensch licher empa-thischer Eindruck zurückbleibt. Was bleibt, ist dieFaszination für die Kunst der Herstellung selbst,die eine seltsame Magie erzeugt. Und so schließtsich der Bogen zu den Totenschädeln seiner frü-heren Serien, die auch nicht mehr erzählen konn-ten, als daß sie tot sind, aber doch eine magischeAnziehungskraft entfalteten und entfalten.

Die Frauen der aktuellen Serie sollen nichtmehr sein als die Abziehbilder einer allgegenwär-tigen Kulturindustrie, die wir in der Regel nichtmehr wahrnehmen, weil wir ihr Bestandteil ge-worden sind. Die geschichtslosen Frauengestaltenvon Overbeck werden so gerade durch den plaka-tiven künstlerischen Vortrag ihrerseits zu einer Be-drohung. Gleich einem Verführten, der noch mitintellektueller Stimme erläutert, warum er nichtverführbar ist. Die Totenschädel seiner früherenArbeiten stehen damit den aktuellen Frauenpor-traits als »Kulturikonen«, die alles zu vereinnah-men drohen, was eigentlich privat sein sollte, innichts nach. An die Stelle der Textur des Papierstreten nun Ornamente: manchmal als Blumen,manchmal als Sterne, manchmal als Linienführungund Mäander vorgetragen. Oder Menschengesich-ter, die durch ihre stempelartige Wiederholungselbst zum Ornament wurden. In der aktuellenReihe haben sich alle Bildelemente in eine voll-ständige Verselbstständigung hinein weiterentwi-ckelt, die den Anspruch erhebt, Zentrum der Ar-beit zu sein. Das Ornament steht für sich undbeansprucht für sich die Interpretationshoheit. Esist im Detail bearbeitet, kein Beiwerk, sondernHauptanteil. Ähnlich wie manche klassischenMalschulen so viel Aufmerksamkeit auf die Ge-staltung der umgebenden Natur legten, daß diezentrale Szene des Bildes dadurch fast in den Hin-tergrund gerückt wurde. Das Ornament bietet fürOverbeck die Referenzfläche für die Inszenierung

seiner Kulturikonen: die »women« sind nichtmehr Frauen aus Fleisch und Blut, sondernFrauen, die wie Frauen wirken sollen. SeineFrauen erscheinen reduziert, zugespitzt und er-weitert zugleich auf eine einzige Wirkung: in ihrerzuckersüßen Konsumierbarkeit haben wir sie alsBildeindruck bereits aufgenommen, verschluckt,ehe uns der Bissen im Hals stecken bleibt. Schnel-ler kann man auf ein Bild nicht »hereinfallen«. Al-lenfalls vergleichbar der Arbeit von Timm Ulrichs,die aus dem Satz besteht: Lesen Sie diesen Satznicht zu Ende! Diese Bilder von Frauen, die durchdas Ornament kommentiert und überhöht sind,stehen den Totenschädeln in ihrer nachhaltigenWirkung in nichts nach. Overbeck präzisiert seineIdee weiter: Die leere Kulturikone, die durch un-endliche Replizierung schon lange verbrauchteFrauengestalt, die Teil unserer Sehgewohnheitenund Teil unser Verführbarkeit durch die Kultur-industrie geworden ist, wird nicht nur durch dasOrnament im Hintergrund überhöht und erhal-ten, sondern auch durch ein »Gegenornament« imVordergrund: die Hunde. Diese »dogs« sind sofortmit Assoziationen belegt: in England gezüchtet,wo sie selbst Stiere und ganze Kuhherden zusam-menhalten können. Geliebt, weil sie ungebändigteKraft, Vitalität und Gefahr ausstrahlen und dochsogar als Schoßhund geeignet scheinen. Im Schoßder Frau platziert scheinen sie bereit, diese zu ver-teidigen und – den Stieren und Kuhherden ver-gleichbar – zu kontrollieren. Aber auch OverbecksHund will nicht den Eindruck eines lebendigenHundes hinterlassen. Es ist eine Hundeschablone.Und die Frau, die es zu verteidigen gilt, gibt esnicht. Es sind Replikationen von Replikationenvon Replikationen.

Der Hund verteidigt nichts mehr. Und dochist durch die kompositorische Anordnung eineornamentale Verteidigungsstruktur aufgebaut.Was verteidigt der Hund? Die Unschuld der Frau?Ein Bildverbot? Ist es der Appell, die Bildikonender Kulturindustrie abzuschütteln? Zu dem Bild-verbot früher Kulturen zurückzukehren, um dieAchtung vor dem Leben wiederzuentdecken, umdie Ehrfurcht vor der Natur und dem Schicksal

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wieder wahrzunehmen und uns nicht in ober-flächlichen Bildinhalten – die gleichzusetzen mitunseren Lebensinhalten wären – zu verlieren.Diese Überlegungen sind angedeutet, aber nichtvon Overbeck künstlerisch ausgeführt. Er ver-zichtet auf jegliche vordergründig aggressiveGeste, sogar die Farbgebung mißbraucht er nichtzu diesem Zweck. Je weniger es zu Inhalten zusagen gibt, desto mehr wird die Verteidigungzum Selbstzweck. Sie wird dadurch sogar nochwichtiger, als wenn sie ein Mittel für einen ein-sehbaren und erkennbaren Zweck wäre. So hatder Hund, die Verteidigung, dieselbe ornamen-tale Gewalt wie die Frauen und die Ornamente.Es gibt keine Geschichten mit Gegenwart undVergangenheit, mit Vorher und Nachher, Vorder-grund und Hintergrund. Alles geht inein anderüber: Formal gleichrangig spielen die Frauen, dieOrnamente und die Hunde ihre Rolle, die immereine Hauptrolle ist. Schaut mich an, folgt mirnach, ich führe euch nirgendwo hin.

Als wir auf dem Rückweg waren, kam die Frageauf, was das denn soll: eine bis an die Zähne be-waffnete Verteidigungskultur, die unsere Wertebewahren und bewachen soll! Aber was sind dasfür Werte, wenn sie sich beim näheren Hinsehenals Leere erweisen? Und das alles vor dem Hin-tergrund einer durch das Ornament zitiertengroßen Kultur des Abend- und Morgenlandes,mit dem alles anfing, was wir sind?

Vielleicht zitiert Cyrus Overbeck seine Sozia-lisierung: Aus Persien kommend und in aktiverAuseinandersetzung mit der deutschen wie derUS-amerikanischen Kultur scheint ihm vielleichtdas Ornament als etwas, das auf unsere Möglich-keit des kultivierten Lebens verweist. In Persienund Griechenland kultiviert, aber schon am An-fang des Menschwerdens Ausdruck eines Kunst-wollens, bildet das Ornament den Hintergrund,vor dem wir leben.

So wahrgenommen kann das Ornament beiOverbeck als ein Hoffnungsträger interpretiertwerden. Wo liegen die Ornamente unserer Kul-tur und auf was verweisen sie? Jenseits der Ab-ziehbilder unserer Kulturindustrie? Welche In-

halte sind uns heute so wichtig, daß sie es wertsind, verteidigt zu werden? Warum verteidigenwir mit großem Aufwand und erheblichen KostenTotenschädel und leere Kulturikonen, die wir fürscheinbare Inhalte unseres selbstbestimmten Le-bens halten? So etwas scheint uns Overbeck fra-gen zu wollen. Wir verteidigen eine Kriegs- undKulturindustrie, die uns nur ein Stück falschesLebens zurückgeben kann! Und das darf nichtge nug sein. Das darf nicht alles gewesen sein.

Women, Dogs and Ornaments. Und das Or-nament als Hoffnungsträger. Es ist schwer zuentscheiden, ob die zuckersüße Grausamkeit die-ser aktuellen Serie Overbecks oder die unmittel-bare Bedrängung durch die – fast schon musealen –plakativen Totenschädel vor einer leeren Papier-textur seiner früheren Serien schwerer zu ertra-gen sind. Christian Vahl

»Der kleine Wächter«Öl auf Leinwand, 160 × 120 cm, 2012

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»Donna«FarbholzschnittAuflage 300112 × 77 cm2012

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»Grace«Farbholzschnitt

Auflage 300112 × 77 cm

2012

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»Junger Wächter«FarbholzschnittAuflage 300112 × 77 cm2012

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»Kelly«Farbholzschnitt

Auflage 300112 × 77 cm

2012

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»Mary Lou«FarbholzschnittAuflage 300112 × 77 cm2012

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»Vivian«Farbholzschnitt

Auflage 300112 × 77 cm

2012

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»Bella«FarbholzschnittAuflage 300112 × 77 cm2012

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»Kleiner Nachtwächter«Farbholzschnitt

Auflage 300112 × 77 cm

2012

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»Josephine«FarbholzschnittAuflage 300112 × 77 cm2012

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»Cäcilie«Farbholzschnitt

Auflage 300112 × 77 cm

2012

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»Monica«FarbholzschnittAuflage 300112 × 77 cm2012

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»Daisy«Farbholzschnitt

Auflage 300112 × 77 cm

2012

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Eske Nannen (Mitte) im Gespräch mit Cyrus Overbeck (links), Prof. Christian Vahl (2. v. links, Forschungs-schwerpunkt Medienkonvergenz, Uni Mainz), und Dr. Frank Schmidt (rechts, Direktor der Kunsthalle Emden).Im Vordergrund die großformatigen Holzschnitte der aktuellen Serie des Künstlers.

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1) Christian Vahl: Es ist Morgen, Du hast wieder ein-mal die ganze Nacht gearbeitet. Was hast Du eigentlichgemacht, und magst Du mir etwas zu Deinen Arbeitensagen?

Cyrus Overbeck: Jetzt bin ich müde. Ich habe dieNacht lang mit Holzschnitten gearbeitet und gedruckt.Ich habe versucht, dem auf Anonymität und Replika-tion zielenden Medium »Holzschnitt« Individualitätund Expressivität zu geben. Es sind Arbeiten aus derSerie »women, dogs and ornaments«. Wenn ich etwaszu den In halten sagen könnte, würde ich nicht hier stehenund drucken, würde ich nicht die Motive auf 2 × 2Meter große Leinwände in Öl bringen müssen. Viel-leicht hat es etwas damit zu tun, daß ich persische

Ein Morgengespräch mit Cyrus Overbeck

16 Fragen und 16 AntwortenCyrus Overbeck und Christian Vahl

Wurzeln habe. In den aktuellen Arbeiten ist ein wirk-licher Zauber eingewoben. In der persischen Kulturund auch in der jüdi schen Überlieferung ist ein »Bil-derverbot« für Gottheiten tief verwurzelt. Ornamen -te treten an die Stelle dessen, von dem man sich keinBild machen darf. Ich bin ver tieft in diese Ornamente.Es war immer eine Leistung des Künstlers, die Kluftzwi schen Bild und Abgebildetem zu überbrücken. ImAltertum wurde dem Künstler ja auch die Fähigkeitzu geschrieben, unsichtbare Geister an sichtbare Ge-genstände zu binden. Darauf beruht die magische Wir-kung vieler Kunstwerke, sowohl in der christlichen alsauch in der außerchristlichen oder heidnischen Kultur.Und diese magische Wirkung der Arbeiten spüre ichauch in meinen Arbeiten, bei mir und bei anderen. Esgeht etwas aus von meinen Arbeiten, das wirkt. Mehrkann ich nicht sagen.

2) C. V.: Eine Deiner Arbeitsstätten ist in Ostfriesland.Du hast in einer Reihe von Interviews auf die beson-dere Faszination der ostfriesischen Landschaft hinge-wiesen, die Dich inspiriert und einen Kontrast gibt zuNew York oder Duisburg. Haben die Arbeiten einenOstfrieslandbezug?

C. O.: Die aktuellen Arbeiten haben keinen Ostfries-landbezug. Müssen sie ja auch nicht. Ich frage umge-kehrt: warum sollten sie? Wenn man die Nordsee erlebt,gesehen, gerochen und gehört hat, ist man von diesemErlebnis geprägt. Das bedeutet aber nicht, daß ich nunauf immer in Ostfriesland leben muß. Karl Jaspers hates von Ostfriesland nach Heidelberg und Basel ver-schlagen, Georg von der Vring ist in Ostfriesland gebo-

»Es geht etwas aus von meinen Arbeiten, das wirkt.«

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ren, war wie ich Lehrer an einer ostfriesischen Schuleund hat seinen Lebensabend in München verbracht. Ra-dziwill kam nach Dangast, erblindete dort und blieb inDangast bis an sein Lebensende. Ich mag Ostfriesland,bin davon geprägt und bin selbst neugierig auf meinenweiteren Lebensweg, der aber nicht nur von mir, son-dern auch von der Kunst bestimmt werden wird.

3) C. V.: In Deinem Atelier hängt eine Leinwand, dieDu über viele Monate hin weg in Deinem Fenster aus-gestellt hast. Diese Leinwand enthält den folgendenText: … Magst Du etwas dazu sagen?

C. O.: Viele Künstler haben sich in der Vergangenheitund Gegen wart immer wieder gezielt des Stilmittelsdes »Manifestes« bedient. Das gilt für Dichter, Sängerund bildende Künstler gleichermaßen. Nicht nur Gün-ter Grass nahm kürz lich Stellung. Auch der später er-mordete Victor Jara, der sich in Chile gegen das men - schenverachtende Regime von Pinochet stellte, tat dasin Form eines Liedes mit dem Titel »Manifiesto«, dasmit den Worten beginnt: »Ich singe nicht, um zu sin-gen, auch nicht, weil ich eine schöne Stimme habe …«.Ein Manifest wird gehört, wenn es eine Botschaft hat.Mit meinem Manifest beziehe ich eine klare öffentlichePosi tion, wie es für einen Künstler richtig ist, der nichterwarten kann, daß er die Me dien hinter sich hat. MeinMedium ist die Kunst mit all ihren Aus drucks mög lich -kei ten. Mein Medium ist die Leinwand. Eine unschein-bare weiße Leinwand mit schwarzer Schrift, in einemAtelierfenster ausgestellt, nimmt Stellung und antwor-tet auf eine Pressekampagne, die in zigtausendmal ver-vielfältigten Exemplaren der lokalen Zeitung verbreitetwurde. Mein Schweigen wäre eine Lüge gewe sen. Sowar es richtig.

4) C. V.: In der gewählten Form des Manifestes nimmstDu in Kauf, daß eine Position gegen »Die Grünen«daraus gelesen werden kann. Ist das so intendiert odernimmst Du diese Interpretation in Kauf?

»Das bedeutet nicht, daß ich nun auf immerin Ostfriesland leben muß.«

»Mein Schweigen wäre ein Form zu lügen gewesen.«»Vielleicht bringe ich so nicht nur die Kunst voran,sondern auch die Grünen.«

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C. O.: Ich habe nichts gegen »Die Grünen«, ich habenichts gegen Stra ßenlaternen, ich habe nichts gegenPositionslichter an Kuttern, nichts gegen Son nen - blumen und Libellen und nichts gegen politische Par-teien. Aber ich war schon seit langem der Überzeu-gung, daß »Die Grünen« als Partei – auch nachdem siesich schon seit so langer Zeit für »politikfähig« halten –das Defizit haben, daß sie keine parteispezifische, ge-wachsene Moral entwickeln konnten. Die SPD stehtnicht nur nach meinem Verständnis für Frieden undsoziale Gerechtigkeit, auch die CDU steht für Friedenund ein christliches, wertkonservatives Weltbild, dieLiberalen für Freiheit und eine wohl am ehesten utili-taristische Ethik usw. »Die Grünen« sind eine histo-risch junge Bewegung, die sich als Partei organisierenmußte, um Politik gestal ten zu können. Dadurch, daßman gegen Atomenergie und gegen das Waldsterbenist, hat man aber noch keine eigene Moralvorstellungentwickelt, die in kritischen Situationen Leitlinie undOrientierung bieten kann. Merkwürdigerweise fühlensich viele »Grüne« dennoch schon allein dadurch mo-ralisch überlegen, daß sie »Grüne« sind. Das Fehlen(oder die allenfalls atavistische Ausprägung) morali-scher Vorstel lungen und bindender parteispezifischermoralischer Werte ist nach meinem Ver ständnis einesder ungelösten Kardinalprobleme der »Grünen«. Re-spekt vor der Natur ist dann kein moralischer Wert,wenn in entscheidenden Situationen der Respekt vorder Selbstbestimmung des einzelnen Menschen fehlt.Die erste – auch in der Stimmtonalität erschreckende– aggressive deutsche Kriegsphilosphie nach 1945stammt von einem »grünen« Außenminister, von JoschkaFischer. Für viele war das überraschend. Das war aberfür mich kein Zufall. Jetzt habe ich selbst erfahren, wiees ist, wenn »Grüne« einen ebenso durchsichtigen wiepersönlich verletzenden Krieg gegen einen Künstlerführen, wenn sie sich davon Stimmen im Wahlkampfverspre chen. Mein Manifest ist notwendig gewesen. Esspricht nicht nur an, daß diese Art von Christenver-folgung Künstlern gegenüber (wie allen anderen Men-schen auch) verwerflich ist und nicht hingenommenwerden darf. Mein Manifest hält den »Grü nen« ausEsens einen Spiegel vor, der diese große moralischeLeerstelle sinnlich er lebbar macht. An der sprechendenLeinwand kam niemand vorbei. Eine Partei ohne bin-

dende Moral hat noch umfangreiche moralische Basis-arbeit zu leisten, die über das Freiheitsbedürfnis wilderWale, atmender brasilianischer Bäume und einem »Zu-rück zur Natur« weit hinausgeht. Ein Künstler ist einKatalysator. Vielleicht bringe ich so nicht nur dieKunst voran, sondern auch »Die Grünen«.

5) C. V.: Welche Rolle spielt die Universität Deiner Mei-nung nach auf dem Weg, die Kunst voranzubringen?

C. O.: Das ist schwer zu beantworten. Ich bin mir nichtsicher, ob in Deutschland an den Universitäten die be-sten Künstler lehren. In anderen Ländern mag das an-ders sein. Ich habe selbst an der Universität DuisburgErfahrungen in der Rolle des Lehrers gesammelt. Ichkann aus dieser Zeit berichten über Intrigen und Ei-fersüchteleien, die einem Außenstehenden gar nicht zuvermitteln sind. Es gibt auch in der Kunst Seilschaftenund einen Machtapparat, der sich nicht an künstleri-scher Qualität orientiert. Man ist als Künstler an derUniversität beständig bedroht von akademischer Ex-kommunikation, wenn man sich nicht konform ver -hält. Ich habe unter diesen Arbeitsbedingungen sehrgelitten und festgestellt, daß ich so nicht arbeiten, nichteinmal lehren kann. Und es gibt hinreichend Beispiele,die zeigen, daß akademische Kunst nicht notwendigzu Qualität und künstlerischer Anerkennung führt.Selbst nach vielen Jahren des Wohlverhaltens droht

„Man ist als Künstler ständig bedrohtvon akademischer Exkommunikation.«

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einem Universitätskünstler die Exkommunikation alsein überraschender Akt von akade mischer Willkür. Ichwill aber nicht undankbar scheinen. Dieses Erlebnisgehört zu meiner Biographie dazu, und ich bleibe trotzallem dankbar für meine Erfahrungen an der Univer-sität und sehe mich in Demut vor meinen Lehrern. Inmeinem Zyklus »Fluß der Asche« habe ich bewußt dasBraun von Joseph Beuys verwendet und habe mit sei-nen Druckern gearbeitet. Das ist auch eine Art, Wert-schätzung und Zugehörigkeit zu zeigen. Ich mag aberkeine verängstigten Kunststudenten mehr. Ich habe zuviele davon gesehen. Ich wünsche mir, daß es heute inder akademi schen Kunst anders aussieht.

6) C. V.: Auf Deiner Internetseite nennst Du DeineKunstrichtung »narrativen Realismus«. Was meint fürDich Realismus, und was meint in diesem Zusammen -hang »narrativ«?

C. O.: Ich bin ja kein Naturalist, der sich zum Zielsetzt, Tiere, Pflanzen und Menschen so zu malen oderzu drucken, daß man sie mit der Natur verwech selt.Ich bin ein einfacher Realist. Für mich heißt das, daßich eine Kunst vertrete, die sich die Aufgabe stellt, dieWirklichkeit zu erforschen und sie erzählend dar zu -stel len. Es ist eine andere Art zu erzählen, als die, dieein Fernsehfilm oder ein Buch verwendet. Denk ein-

fach einmal an Ornamente. Jeder kennt Ornamente,und jeder hat seine Erfahrungen mit Ornamenten.Viele Menschen sind auf Perserteppichen herumgelau-fen. Das sind reine ornamentale Kunstwerke, in Hand-arbeit streng kodi fiziert erstellt. Und man erinnert sichunwillkürlich, daß einem diese Teppiche Halt gegebenhaben, Behagen gespendet haben, daß sie schön undkostbar waren und Teil unserer Kultur sind. Sogar vorAutositze haben manche Autofahrer ihre orna men -talen Teppiche gelegt, die dem Industrieprodukt Autoetwas Menschliches und Behagliches geben. Denk ein-fach mal an die Bilder venezianischer Häuser. Denk anall die Tapeten, die unsere Räume umgeben. Denk andie Stoffmuster auf Stuhl bezügen. Auch der Kleider-stoff enthält Ornamente. Wohin wir auch schauen: Wirleben in einer reichhaltig verzierten Welt. Ornamentesind fast so eine Art Himmel, unter dem wir leben dür-fen. Es ist kein Himmel, der von Gott gemacht wurde,sondern ein Himmel, den sich Menschen im Laufe derJahrhunderte selbst geschaf fen haben. Nicht nur füreinen Perser war und ist es verboten, Gott zu malen.An die Stelle tritt das Ornament. Wenn in meinen ak-tuellen Arbeiten im Holzschnitt, in der Radierung, imÖlbild das Ornament auftaucht, beginnt damit meineErzählung. Und ich lasse den Betrachter ja nicht ein-mal raten. Als Realist habe ich nichts da gegen, das Or-nament auch Ornament zu nennen. Ich verschleierenichts. Ich sage nicht etwa: Das Ornament ist für michTräger von Transzendenz und Ewigkeit. Nein, das Or-nament ist das Ornament. Denn philosophischer Kau-derwelsch würde hier nur stören. Ich sage: Hier ist dasOrnament, und mit ihm beginnt die Geschichte desSchauens meiner Arbeiten. Die Erzählung beginnt.

7) C. V.: Und gibt es spezielle Aspekte über die »wo men«zu berichten, die man kennen müßte?

C. O.: Nein, überhaupt nichts. Es macht Freude, siezu malen. Die Haut auf Leinwand zu bringen ist eineHerausforderung. Die Form in Holz zu schnitzen eineSchöpfung. Über Frauen kann Dir doch jeder Mannund jede Frau tagelang erzählen. Und wiederum bieteich dem Betrachter nicht eine kubistisch zerstückelteFrau an, sondern jeder erkennt sofort: Das Gemalte,das Gedruckte ist eine Frau. Man muß sich einlassen.Das gedruckte Ornament kann zum Bil der rahmen

»Ich bin ja kein Naturalist …«

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werden. Was wird hier eingerahmt? Was ist das für eineFrau? Was erzählt sie? Oder ist es doch kein Rahmen,sondern ein Ornament? Und warum eine Ornament-darstellung für so eine Frau? Und so weiter. Schon bistDu mitten in der Erzählung.

8) C. V.: Nach Hunden wage ich Dich gar nicht mehrzu fragen …

C. O.: Stimmt. Ich muß nicht wirklich über Hundesprechen. Hunde sind nicht nur in der Kunstge-

schichte omnipräsent, sie können auch als Ornamentauftauchen. Aber es sind Hunde, die als lebendigeWesen konkrete Funktionen haben. Sie sind aus gutemGrund vertrautester Begleiter des Menschen. Mantraut Hunden viel zu, vertraut ihnen vieles an. Und sogeht die Geschichte weiter. Ich persönlich male Hähnelieber als Hunde. Aber in diese Serie passen kunstge-schichtlich nur Hunde.

9) C.V.: Seit Deinen frühen Arbeiten beschäftigst DuDich damit, wie der Kunst betrieb, dem Du selbst an-gehörst und den Du unterhältst, und die von den Mas -sen medien unterhaltene Kulturindustrie Menschen er-reicht und verändert. Auch davon sind Anklänge in»women, dogs and ornaments« zu spüren.

C.O.: Das stimmt und das soll so sein. Das ist ja gleich-zeitig auch der rote Faden zwischen meinen früherenArbeiten und den aktuellen Arbeiten. Zu unse rerWirklichkeit heute gehört nun einmal das schwer inWorte zu fas sende Spannungsverhältnis einer über-mächtigen Kulturindustrie, die uns Menschen erziehtund prägt, weil wir alle – als Instinktmängelwesen, wiees Arnold Gehlen sagte – kulturanfällig und kulturab-hängig sind. Wenn uns nicht mehr Künstler und Men-schen, die andere Menschen lieben, kulturell erziehen,sondern eine an dem wirtschaftlichen Erfolg orien-tierte Kulturindustrie, kann das Sorgen schaffen. Das

»… biete ich dem Betrachter nicht eine kubistischzerstückelte Frau an …«(Detail aus dem Zyklus: Women, Dogs and Ornaments«

»Ich persönlich male Hähne lieber als Hunde.«

»Ich erziehe eher unaufdringlich, ich will die Freiheitmeiner Mitmenschen vermehren.«

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hat Auswirkungen. Der Krieg gegen andere Menschenist heute ein media les Kulturindustrieprodukt wie diegroße Liebe auf den Kinoleinwänden. Wie auch dieWiederholungen der großen Kriege und der großenLieben am heimischen Kü chentisch. Als Künstler binich Bestandteil der kulturellen Selbstentwicklung mei-ner Gesellschaft. Und indem ich weitergebe, was ichsehe, erziehe ich auch. Ich kann diese Verantwortungnicht ablegen. Ich erziehe hoffentlich unaufdringlich,ich will die Freiheit meiner Mitmenschen vermehren,ihr soziales Bewußtsein an sprechen, der Liebe unddem Frieden dienen.

10) C. V.: Das klingt ja fast so, als ob Du eine Botschaftloswerden möchtest.

C. O.: Ach, mein Gott, diese Begriffe! Ich bin keinBotschafter, ich bin Künstler. Ich habe auch keine Bot-schaft, woher sollte ich die nehmen? Ich erzähle, wasich sehe, und ich kämpfe täglich von neuem darum,richtig zu sehen. Ich ver suche es festzuhalten, so gutich kann. Ich halte fest, was kein Photo darstellenkann. Darum ringe ich. Und unabhängig davon, ob anmeinen Produkten Interesse besteht oder nicht, so er-zähle ich in »Fluß der Asche« oder in »Liebe, Glaube,Tod und Hoff nung« und jetzt in »women, dogs andornaments« eigentlich immer eine ähnliche Ge-schichte. Am Anfang einer neuen Reihe kommt es mir

wie etwas ganz Neues vor. Und am Ende sehe ich, wiesich das Geschaffene einreiht, in meine grundsätzli-chen Fragen, in meine Wirklichkeit. Und Wirklichkeitist, was ich als Wirklichkeit in der Kunst vorstelle. Daist nichts Relativistisches drinnen. Meine Bilder undDrucke sagen ja gerade nicht, man kann »a« denken,aber »b« ist auch richtig, und »c« finde ich genauso gut.Meine Arbeiten sagen immer: »So ist es! Das ist die Si-tuation«. Mehr kann ich nicht. Und mehr sagen mußich auch nicht. Ich bin Künstler. Mich relati vierenmüssen die anderen, wenn sie es wollen.

11) C. V.: Damit haben Deine Arbeiten aber nur einensehr individuellen Ansatz. Deine Sichtweise ist einevon vielen, und daraus ließe sich eine gewisse Beliebig-keit ableiten. Ist das so?

C. O.: Nein, überhaupt nicht. Die Vorstellung der Be-liebigkeit quält mich. Ich entwickle meine künstleri-schen Methoden weiter, wie ein Wissenschaftler seineErkenntnisse erweitert. Da ist für Beliebigkeit keinRaum. Ich bin darüber hinaus ja nicht einmal damitzufrieden, daß ich nur die von mir verwendeten künst-lerischen Methoden weiterentwickle und voranbringe.Ich habe tatsächlich den Anspruch, Wirklichkeit dar-zustellen. Ich habe den Anspruch, mehr zu sehen undwahrzuneh men als andere. Vielleicht gibt es viele

»Ich halte fest, was kein Photo festhalten kann.Darum ringe ich.«

»Die Vorstellung der Beliebigkeit quält mich.«

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Wirklichkeiten. Wahrscheinlich sogar. Ich will siesehen und darstellen. Vielleicht wandeln sich die Wirk-lichkeitsformen, die ein Künstler sieht, sogar im Ver-lauf seines Künstlerlebens. Ich bin davon überzeugt,daß es eine Vielfalt von Glaubensvarianten, Wirklich-keitsvarianten, Denkvarianten, Rationalismusvarianten,Emotionalismusvarianten, Religionsvarianten, Phi -lospo phievarianten usw. gibt, die alle ihre Berechti-gung haben.

12) C. V.: Hat das Auswirkungen auf die RezeptionDeiner Arbeiten? Oder mußt Du Dich in Deinen Ar-beiten an dem orientieren, was der Markt erwartet?

C. O.: Das habe ich noch nie gemacht, das kann ichauch gar nicht. Das wäre Langeweile, und Langeweiletötet die künstlerische Intuition. Ich gebe meinen Ein-satz. Aber dann muß ich die Situation hinnehmen, wiesie ist. Ich schaffe Arbei ten. Manchmal haben meineBilder keine Freunde, keine Verteidiger, keine Abneh -mer und keine Käufer. Das passiert. Das bedeutet abernicht, daß die Bilder nicht richtig sind. Ich vertraue aufmeine Kunst. Umgekehrt bedeutet es nicht, daß derVerkaufserfolg von Bildern dafür spricht, daß die In-halte richtig sind oder besser als die Inhalte nicht ver-kaufter Arbeiten. Ich bin Künstler, und die Wirklich-keit ist das, was ich als Künstler als Wirklichkeit sehen

und darstellen kann. Das ist meine Er zählung. Ichhabe Totenköpfe und Asche gemalt. Jetzt male ichFrauen, Hunde und Ornamente. Die Kraft ist die glei-che. Ich opfere dafür Lebenszeit. Und ich werde solange weitermachen, bis sich das Thema für mich er-schöpft hat, auch wenn es kei nen Interessenten oderLiebhaber fände.

13) C. V.: Du verwehrst Dich zwar dagegen, Deine ei-genen Arbeiten zu interpretie ren. Aber Deine theore-tischen Grundlagen jenseits der aktuellen Arbeitenkönnen mit vielen Kunsthistorikern mithalten.

C. O.: Man muß wirklich nicht dumm oder beschädigtsein, um Künstler zu sein. Ich wußte, seit ich 14 Jahrealt war, daß es meine Berufung ist, Künstler zu sein.Es gab nichts anderes. Kunst war für mich etwas Gro-ßes, so wichtig und so bedeutsam wie eine Religionund auch so ehrfurchtgebietend. Natürlich hattengroße Künstler für mich auch den Charakter vonWahrheitsstiftern, Priestern, Gal lionsfiguren und Vor-bildern. Für mich war es ein erstes und wichtigesInitiations ritual, daß ich im Alter von 22 Jahren meinerstes großes Buch herausgeben konnte, das sich demLeben eines anderen, eines anderen Künstlers unter-ordnete: Otto Pankok. Ich wohnte in seinem Haus,

»Ich habe Totenköpfe und Asche gemalt.Jetzt male ich Ornamente, Frauen und Hunde.«

»Man muß wirklich nicht dumm oder beschädigt sein,um Künstler zu sein.« (Cyrus Overbeck im Gesprächmit Eske Nannen, Kunsthalle Emden, 2012)

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lebte mit seinen Bildern, lebte mit seinen Ange hörigen.Ich war in der Kunst angekommen. Ich hatte studiert:Theologie und Ger manistik. Ich spürte, daß mir dieSprache nicht ausreichte, um das zu sagen, was ichzum Ausdruck bringen wollte und mußte. Ich folgeeiner Berufung. Das versuche ich, anderen zu erklären.Aber ich interpretiere mich nicht selbst.

14) C. V.: Ich zitiere jetzt einmal Kris und Kurz, die sichwissenschaftlich mit der Typisierung von Künstlern, dieja ihrerseits ein Problem darstellt, auseinanderge setzthaben. Sie schreiben: »Das akademische Schulhauptsteht neben dem revolu tionären Neuerer, der Künstlerals Universalgenie oder als Edelmann neben dem Ein-samen und Verkannten …« Sie stellen weiterhin fest,daß es diese Vielfalt von sozialen Erwartungen und Bil-dern ist, die das Künstlerbild im Künstlervolk selbst be-stimmen, »… dem der gefeierte Liebling von Fürst undLand ebenso angehört wie der Bohemien mit demSchlapphut, der in Montmartre, Schwabing oder Green - wich Village, an den Toren der Gemeinschaft, seinerVorstellung vom Genie nach lebt«. Was sagst Du dazu?

C. O.: Die Tatsache, daß Du heute diese Photos vonmir machen darfst, die am Ende nur einen alltäglichenMenschen zeigen werden, ist vielleicht schon eine Ant-wort. Ich spiele nicht Künstler, der sich einen Schlapp-

hut aufsetzt, um überall als ein solcher erkannt zu wer-den. Ich bin Künstler. Sonst ist gar nichts Be sonderesan mir. Ich bin im Leben eher langweilig, bin nicht täg-lich im Theater oder auf Vernissagen, arbeite viel, essevor allem gerne, koche gerne und bewirte meineFreunde, vor allem schlafe ich gerne und bin auch gernemüde, so wie jetzt. Und ich trinke gerne persischenKaffee. Meine Künstlerpersönlichkeit, wenn es sieüberhaupt gibt, finde ich völlig uninteressant. Vielleichthat aber Benedetto Croce etwas richtiges festgestellt,als er sagte, daß nicht die empirische Person des Künst-lers, sondern nur die ästhetische Interesse verdiene.Daß sich also niemand für den Künstler als Alltags-mensch interessieren solle, wohl aber für den Künstlerals Schöpfer eines Kunstwerkes. Die nicht auszurot-tende Vorstellung des Künstlers als Kulturheros, die imklassischen Altertum ihren Ursprung hat, bedient zwarEitel keitsbedürfnisse, aber sie lenkt von den Arbeitenab. Damit habe ich nun aber wirk lich gar nichts zu tun.

15) C. V.: Immer wieder kommt es vor, daß Du Lein-wände, die auch im öffentli chen Raum ausgestellt warenund dort Akzeptanz und Beachtung gefunden haben,übermalst. Steht das nicht im Widerspruch da zu, daß jedeDeiner Arbeiten eine unverwechselbare, von Dir erfah-rene Wirklichkeit erzählt und somit Bestand haben sollte?

»Und ich trinke gerne persischen Kaffee.«

»Manchmal ist es gut, wenn es keine Bilder gibt.«(Detail eines Holzschnittes aus der Serie: Women,Dogs and Ornaments.«

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C. O.: Ich übermale die Arbeiten ja nicht, weil sie nichtgut sind. Mit wie vielen Menschen muß eine Arbeitvon mir »gesprochen« haben, ehe sie eine kleine Spurin unserer unendlichen Welt hinterlassen kann? Ichweiß es nicht. Manche meiner Arbeiten landen nochmit feuchtem Öl oder direkt aus der Druckpresse beimSammler oder Liebhaber. Sie sind dann auch weg. Ichweiß nicht, wie sie dann wirken, was dann passiert. InMainz hat eine Helena-Version sechs Monate lang auseinem großen Galeriefenster auf die Rheinallee undihre Besucher geblickt. Nachts war sie angestrahlt.Sechs Monate sind eine lange Zeit. Ich hatte Dich da-mals gebe ten, das Bild zu beschreiben. Als ich DeinenText hatte, habe ich das Bild, das zu gleich Titelbildeiner Ausstellung war, mit Vergnügen und ohne Trauerübermalt. Es hatte für mich seinen Auftrag erfüllt,unter der neuen Farbe lebt es weiter. Ich weiß nicht,wie meine Arbeiten wirken. Manchmal müssen 10.000Menschen ein Kunstwerk aufgenommen haben, bis eszum Symbol einer Massenbewegung wird. Manchmalwerden Kunstwerke erst wichtig im kulturellen Wan-del als Opfer der Zerstörung und Bilderstürmer. Auchdie Wiedervereinigung Deutschlands war begleitet voneinem kulturell glattgebügelten »Bildersturm«. DieGeschichte zeigt umgekehrt, daß sogar Künstler, vondenen gar keine Werke mehr erhalten sind, bis heuteBestand haben können: Zeuxis und Apelles aus derhellenistischen Zeit sind bis heute der Inbegriff fürgroße Künstler aus dieser Epoche, da ihr Wirken inKünstlerbiographien gut belegt worden ist, obwohlman von ihrem künstlerischen Schaffen überhauptkeine Vorstellung hat. Manchmal ist es gut, wenn eskeine Bilder gibt.

16) C. V.: Manifeste und übermalte Arbeiten. Eineletzte Frage: Wo siehst Du Dei nen Ort in der Kunst?

C. O.: Das ist ohne Augenzwinkern nicht zu beant -worten. Aber was ich glaube, ist folgendes: Kunstschafft Verbindungen zwischen Menschen. Als ich 17war, wohnte ich in Dornum in einem Haus ohneKunst. Ich bin dann mit dem Fahr rad nach Emden insMuseum gefahren und habe dort gefunden, was ichsuchte: Kunst, die mich ansprach, und Kunst, die auchKontakte zu anderen Menschen schuf. Es stimmt, daßder Kunst- und Künstlerbegriff von Menschen, die

selbst nicht Künstler sind, etwas inflationär verwendetwird. Man darf nie vergessen, daß vom klassischenGriechentum bis in die Renaissance hinein die Bild-hauerei, die Architektur und die Malerei bloßes Hand-werk waren. Auch Platon spricht von Architekten,Bildhauern und Schustern als Handwerkern. Auch imMittelalter bleibt die Malerei noch unter den Gilden,während manche mittelalterliche Universitäten Musikund Poesie unter die liberalen Künste aufnehmen. DerÜberlieferung nach ist Giotto der erste Maler und Ar-chitekt, dessen Kunst man den gleichen Rang wie derMusik und Poesie zugestand. Das ist die Tradition, inder wir Künstler stehen. Wir können unser Handwerkvoranbringen, wie ich es mit der Holzschnittkunst imRahmen des aktuellen Zyklus »women, dogs and or-naments« versuche. Wir können als Realisten von un-serer Wirklichkeit erzählen und das Genre, in dem wirarbeiten, so vollkommen zu gestalten versuchen, wiees in unseren Kräften steht. Wenn wir das alles ernst-haft betrieben, können wir die Hoffnung haben, dieKunstgeschichte ein paar Zentimeter voranzubringen.Ob das gelingt, müssen und werden aber andere ent-scheiden.

C. V.: Ich danke Dir für dieses Gespräch und die ehrli-chen, offenen Antworten. Die persönlichen Fragen zielten– wie Du es wolltest – auf Deine ästhetische Künstlerper-sönlichkeit und nicht auf die biographische Persönlichkeit.

»Das ist ohne Augenzwinkern nicht zu beantworten.«

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Arbeiten in Museen und Sammlungen

Museum Mülheim an der Ruhr/Alte Post; B’nai B’rith Museum, Washington D.C. (USA); Kunst-sammlung der Stadt Köln; Wilhelm Lehmbruck Museum, Duisburg; Spendhaus Reutlingen;Kunsthalle Emden / Stiftung Henri und Eske Nannen; Sammlung Buhr, Bonn; Sammlung vanAlmsick, Gronau; Stadtmuseum Düsseldorf; Staatliche Graphische Sammlung München; Samm - lung Brüggemann, Duisburg; Privatsammlung Dr. Doris König, Duisburg; Städtische GalerieKarlsruhe.

Herstellung: Grupello Verlag Düsseldorf · ISBN 978-3-89978-177-9Bildrechte: Cyrus Overbeck · Galerie Bruno Kehrein · Fotos der Holzschnitte: Thilo KöpselGalerie Bruno Kehrein · Schwerinstraße 55 · 40476 Düsseldorf · Tel.: 0211-498 10 10