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Magazin Dienstag, 16. Juni 2015 Agenda Seite 29 www.bernerzeitung.ch FLEISCH Fleisch ist das ge- fragteste Produkt im Witzwiler Anstaltsladen. Von der Kalbs- bratwurst bis zu Schweinsplätzli oder Trocken- fleisch gibt es alles, was das Karnivorenherz begehrt. Eine Spezialität ist die Baumnuss-Sala- mi. Sie ist mild, aber würzig, erin- nert von der Kon- sistenz her an ei- ne Bauernwurst, und die eingearbei- teten Nussstücke ergeben einen angenehmen Biss. Das Fleisch stammt von Tieren, die in Witzwil in Freilandhaltung aufgezogen und in der eigenen Metzgerei geschlachtet werden. kra HOLZARBEITEN GEMÜSE UND SETZLINGE Auch wer eher dem Gemüse zu- spricht oder eine Beilage zur Kalbsbratwurst sucht, wird im Laden fündig. Wie an einem Marktstand wird im Anstalts- laden Gemüse und Salat ange- boten, das Sortiment variiert je nach Saison. In der dem Laden angeschlossenen Gärtnerei wer- den zudem Setzlinge und Topf- blumen verkauft. So kann man selber entscheiden, ob man ein- fach Tomaten kaufen möchte oder ob man sich gleich eine ei- gene Tomatenstaude zulegt. kra VEREDELTES OBST Witzwil hat eigene Obstplanta- gen. Das Obst wird nicht nur frisch verkauft, sondern zu einem Teil auch weiterverarbeitet. Ein Produkt, welches erst nach der Verarbeitung im Laden landet, sind die gedörrten Apfelringe. Sie sind mit und ohne Schokola- denüberzug erhältlich. Ebenfalls im Angebot sind Süssmost, Si- rup, Konfitüren und Nüsse, aber auch Gemüsechips. Auch diese Produkte werden von den Gefan- genen in der Küche des Werkate- liers hergestellt und verpackt. kra Bilder Beat Mathys (3), Fotolia (1) «Die Zeit geht schneller vorbei, wenn man am Arbeiten ist.» Xherdan Müller, Gefangener Arbeitsmeister Reto Bangerter bespricht mit Xherdan Müller den Zusammenbau des Vogelhäuschens. «Eigentlich weiss er, wie das geht, ihm brauche ich nicht viel zu erklären», sagt Bangerter. Beat Mathys der Arbeitsplätze werde etwas langsamer produziert. Die Ver- langsamung komme auch daher, dass knapp die Hälfte der Ge- fangenen Probleme mit Medi- kamenten, Alkohol oder ande- ren Drogen habe. Gefangene, die in ihrer Arbeitsfähigkeit einge- schränkt sind, arbeiten im Werk- atelier. Unterstützt von einigen voll einsetzbaren Gefangenen wie Xherdan Müller bearbeiten sie dort Holz, dörren Früchte oder stellen saisonale Dekorationen her. Diese Produkte werden ne- ben Fleisch, Früchten, Blumen, Gemüse und Backwaren im Anstaltsladen verkauft. kra Verkaufsladen Anstalten Witzwil Witzwilstrasse, 3236 Gampelen; Montag bis Freitag: 8 bis 12 Uhr und 13.30 bis 17 Uhr, Samstag: 9.30 bis 12 Uhr. Produkte aus den Gefängniswerkstätten Witzwil ist eines von vier Straf- und Massnahmenvollzugs- zentren im Kanton Bern. Wie in Witzwil haben die Gefangenen auch auf dem Thorberg, in St. Jo- hannsen und in der Frauenstraf- anstalt Hindelbank Arbeits- pflicht. Ein Teil der Produkte, die in Gefangenschaft produziert werden, werden in den anstalts- eigenen Läden verkauft. Hans-Rudolf Schwarz, Direk- tor der Anstalt Witzwil, legt aber Wert darauf, dass der Laden nicht die Haupteinnahmequelle ist. «Unser Kerngeschäft, ne- ben dem Vollzug, ist der Land- wirtschaftsbetrieb», sagt Schwarz. Witzwil biete Fohlen- sömmerung an, produziere Milch, Fleisch, Saatgut, Obst und Gemüse. Zwei Drittel der Arbeits- plätze unterschieden sich nicht von «draussen». An einem Drittel BERNER ANSTALTSLÄDEN oder ein freundlicher Umgangs- ton können Ziele sein. Arbeits- agogik nennt sich das Konzept, das durch Arbeit Fortschritte in Selbstkompetenzen erzielen will. Mit Körperhygiene und Um- gangston hat Müller keine Prob- leme. Sein Ziel ist Weiterbildung. 2016 möchte er in Witzwil eine Malerlehre beginnen, weil «Gip- ser und Maler zusammengehö- ren». Müller zeichnet mit seinem Bleistift Dreiecke auf ein Blatt Papier. Bei der Frage, warum er im Ge- fängnis ist, lacht er verlegen. Er zögert. Nein, die Frage möchte er nicht beantworten, meint er. Der Prozess laufe seit vier Jahren, und er habe mit dem Opfer zu- sammen versucht, die Strafe zu mindern, sie seien zum Anwalt gegangen. «Das Opfer war auch schockiert über das Strafmass, aber ja, man hat es einfach nicht eingesehen. Also ich will nicht sa- gen, dass ich unschuldig bin, ich bin schon schuldig zu sprechen, das schon. Aber niemand hat mit diesem Strafmass gerechnet, auch mein Anwalt nicht.» Müllers Zukunft ist ungewiss. Noch ist eine Ausschaffung in den Kosovo wahrscheinlich: «Wir sind daran, gegen den Mi- grationsdienst Beschwerde ein- zulegen, und ja», er zögert, «also mein Lehrbetrieb hat jetzt auch einen Brief geschrieben, dass er, also mein Lehrmeister, mich nach der Entlassung sofort fest anstellen würde.» «Die Arbeit bedeutet mir viel» «Müller sagte mir, er wolle einen perfekten Vollzug hinlegen», er- zählt Bangerter: «Dies ist aber extrem anstrengend.» Zwischen Hoffnung und Angst bietet die Arbeit eine Konstante: «Die Ar- beit hier bedeutet mir viel. Ab und zu würde ich auch samstags oder sonntags lieber arbeiten. Weil, stundenlang Billiard spie- len oder Tischfussball», Müller zieht die Luft ein, «das ist auch nicht so, na ja, also, die Zeit geht schneller vorbei, wenn man am Arbeiten ist.» Edith Krähenbühl * Name von der Redaktion geändert Müller ist eine Ausnahme. «Meiner Meinung nach wurden viele der Gefangenen, die hier- herkommen, gar nie sozialisiert», sagt Hans-Rudolf Schwarz, Di- rektor der Anstalten Witzwil, «nur die Minderheit hat vor Strafantritt einen Lehrabschluss und einen festen Arbeitsplatz ge- habt.» Dementsprechend schaf- fen nur wenige nach der Entlas- sung den Sprung auf den freien Arbeitsmarkt. Trotzdem sei die Arbeit wichtig, sie gibt dem Alltag in Gefangenschaft Struk- tur, den Gefangenen Erfolgs- erlebnisse. Entwicklung durch Arbeit Die Gefangenen müssen in Witz- wil Tages- und Etappenziele er- reichen. Diese beschränken sich nicht auf die Arbeit, auch Körper- hygiene, Ordnung in der Zelle Made in Prison «Er» ist in diesem Fall Reto Ban- gerter, Müllers Arbeitsmeister. Während des Interviews sitzt er an der Werkbank nebenan, wirft ab und zu etwas ein. Als die zwei Männer beim Fo- totermin eine Arbeitssituation zeigen sollen, fällt das Posieren beiden schwer. «Müller ist sehr begabt, ihm brauche ich nicht viel zu erklären», sagt Bangerter. Für den Fotografen zeigt Bangerter Müller aber dann doch noch ein- mal, wie man das Vogelhäuschen zusammensetzen muss. Abschlussnote 4,9 beendet: «Als einer der Besten habe ich abge- schlossen», erzählt er, «und dann war ich in Bern an den Swiss Skills, an den Berufs-Schweizer- Meisterschaften. Das war letztes Jahr, im Sommer.» «Es ist einfach so» «Draussen» hat Müller nach der Lehre ein Team von drei bis vier Leuten geführt, hier, im Werkate- lier der Strafanstalt, baut er an ei- nem Vogelhäuschen (siehe Kas- ten). «Es ist schon schwer, damit umzugehen, weil, na ja, aber es ist einfach so», räumt Müller ein und vergleicht seine jetzige Welt mit der Welt draussen: «Es ist ge- nau gleich, wie wenn man den Be- trieb wechselt, dann muss man wieder vorn anfangen und zei- gen, was man kann, damit er Ver- trauen in einen hat, in dem Sinn.» cherte Zone vom Aussenbereich trennen. Antreten ist um 7.35Uhr, am Mittag zum Essen wieder hinein, ausrücken um halb zwei, einrücken um halb sechs. Vor dem Aus- und dem Einrücken bildet sich eine kleine Menschenmenge auf der jeweili- gen Seite des Zauns. Unbedingt die Lehre beenden «Ich war im ersten Lehrjahr, als die Strafe kam, ich war 18 Jahre und vier Monate alt, dazumal.» Müller klopft mit seinem Bleistift auf die Werkbank. Er habe das Urteil ans Obergericht weiterge- zogen, wollte unbedingt noch die Gipserlehre fertigmachen. «Es war schwer, eine schwere Zeit. Weil mit dieser Strafe», er stockt, «erwartet man eigentlich, dass sie einen ausschaffen.» Trotzdem hat Müller seine Lehre mit der «Im Dezember 2014 kam das Aufgebot. Einrücken.» Xherdan Müller presst Luft durch die Lip- pen, «fünf Jahre und drei Mona- te». Dann Stille, man hört nur das Scheppern eines Bleistifts, das Müller aus der Hand und auf den Tisch gefallen ist. Müller heisst nicht wirklich Müller, er trägt einen albani- schen Namen* und kam im Alter von fünf Monaten mit seinen El- tern aus dem Kosovo in die Schweiz. Heute ist Müller 22 Jah- re alt, seit Februar ist sein Zuhau- se eine Zelle in der gesicherten Zone der Strafanstalt Witzwil. Witzwil, die kleine Siedlung im grossen Moos zwischen Neuen- burger-, Murten- und Bielersee, ist der grösste Landwirtschafts- betrieb der Schweiz (siehe Kas- ten). In 26 Berufen bereiten sich hier 166 Gefangene auf das Leben in Freiheit vor, 148 davon im offe- nen Vollzug. Die Gefangenen ha- ben Arbeitspflicht, das Ziel heisst Resozialisierung, Wiedereinglie- derung in die Gesellschaft. Drehtüren im Zaun Mittagspause. Vier Männer sit- zen auf einer Bank im Innenhof der Anstalt, ein fünfter steht vor ihnen und gestikuliert. Rufe schallen über den Hof, Sprachen werden fliegend gewechselt, Deutsch, Französisch, Albanisch, Arabisch. Ab und zu geht eine Frau vorbei. Weiblichkeit ist das einzige Merkmal, das einen Men- schen hier eindeutig als Ange- stellte identifiziert. Der Innen- hof könnte auch ein Schulhaus- platz sein, nur die Schüler sind etwas gross – und ein Zaun erin- nert daran, dass man sich in einer Strafanstalt befindet. Viermal täglich passiert Xher- dan Müller mit seinem Badge die Drehtüren im Zaun, die die gesi- OFFENER VOLLZUG In der Berner Strafanstalt Witzwil werden Vogelhäuschen und Setzlinge produziert. Das wichtigste Produkt aber ist Selbstkompetenz – die Gefan- genen sollen sich nach der Strafe im Alltag und in der Arbeitswelt zurechtfinden. 23 Arbeiten wie dieses Vogelhäus- chen entstehen im Werkatelier, in der Schreinerei oder in der ge- schlossenen Abteilung. Je nach Saison stellen die Gefangenen Gebrauchs- und Dekorationsge- genstände her, die dann im La- den verkauft werden. Vor Ostern werden Osterhasen produziert, vor Weihnachten Schneemän- ner aus Holz. Dekogegenstände kommen auch aus der Gärtnerei, so gibt es zum Beispiel Holz- kränze mit Herzchen und Blu- men zum Valentinstag. kra Riesenerfolg für «Jurassic World» Der Indominus rex (Bild) setzt eine Rekordmarke: «Jurassic World» spielt als erster Film über 500 Millio- nen Dollar am Startwochen- ende ein. SEITE 24 KINO

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MagazinDienstag, 16. Juni 2015 Agenda Seite 29

www.bernerzeitung.ch

FLEISCH

Fleisch ist das ge-fragteste Produktim WitzwilerAnstaltsladen.Von der Kalbs-bratwurst bis zuSchweinsplätzlioder Trocken-fleisch gibt esalles, was dasKarnivorenherzbegehrt. EineSpezialität ist dieBaumnuss-Sala-mi. Sie ist mild,aber würzig, erin-nert von der Kon-sistenz her an ei-ne Bauernwurst,und die eingearbei-teten Nussstücke ergeben einenangenehmen Biss. Das Fleischstammt von Tieren, die in Witzwilin Freilandhaltung aufgezogenund in der eigenen Metzgereigeschlachtet werden. kra

HOLZARBEITENGEMÜSE UND SETZLINGE

Auch wer eher dem Gemüse zu-spricht oder eine Beilage zurKalbsbratwurst sucht, wird imLaden fündig. Wie an einemMarktstand wird im Anstalts-laden Gemüse und Salat ange-boten, das Sortiment variiert jenach Saison. In der dem Ladenangeschlossenen Gärtnerei wer-den zudem Setzlinge und Topf-blumen verkauft. So kann manselber entscheiden, ob man ein-fach Tomaten kaufen möchteoder ob man sich gleich eine ei-gene Tomatenstaude zulegt. kra

VEREDELTES OBST

Witzwil hat eigene Obstplanta-gen. Das Obst wird nicht nurfrisch verkauft, sondern zu einemTeil auch weiterverarbeitet. EinProdukt, welches erst nach derVerarbeitung im Laden landet,sind die gedörrten Apfelringe.Sie sind mit und ohne Schokola-denüberzug erhältlich. Ebenfallsim Angebot sind Süssmost, Si-rup, Konfitüren und Nüsse, aberauch Gemüsechips. Auch dieseProdukte werden von den Gefan-genen in der Küche des Werkate-liers hergestellt und verpackt. kra

BilderBeat Mathys (3),Fotolia (1)

«Die Zeit gehtschneller vorbei,wenn man amArbeiten ist.»

Xherdan Müller, Gefangener

Arbeitsmeister Reto Bangerter bespricht mit Xherdan Müller den Zusammenbau des Vogelhäuschens. «Eigentlich weiss er, wie das geht,ihm brauche ich nicht viel zu erklären», sagt Bangerter. Beat Mathys

der Arbeitsplätze werde etwaslangsamer produziert. Die Ver-langsamung komme auch daher,dass knapp die Hälfte der Ge-fangenen Probleme mit Medi-kamenten, Alkohol oder ande-ren Drogen habe. Gefangene, diein ihrer Arbeitsfähigkeit einge-schränkt sind, arbeiten im Werk-atelier. Unterstützt von einigenvoll einsetzbaren Gefangenenwie Xherdan Müller bearbeitensie dort Holz, dörren Früchte oderstellen saisonale Dekorationenher. Diese Produkte werden ne-ben Fleisch, Früchten, Blumen,Gemüse und Backwaren imAnstaltsladen verkauft. kra

Verkaufsladen Anstalten WitzwilWitzwilstrasse, 3236 Gampelen;Montag bis Freitag: 8 bis 12 Uhrund 13.30 bis 17 Uhr,Samstag: 9.30 bis 12 Uhr.

Produkte aus den GefängniswerkstättenWitzwil ist eines von vier Straf-und Massnahmenvollzugs-zentren im Kanton Bern. Wiein Witzwil haben die Gefangenenauch auf dem Thorberg, in St. Jo-hannsen und in der Frauenstraf-anstalt Hindelbank Arbeits-pflicht. Ein Teil der Produkte,die in Gefangenschaft produziertwerden, werden in den anstalts-eigenen Läden verkauft.Hans-Rudolf Schwarz, Direk-tor der Anstalt Witzwil, legtaber Wert darauf, dass der Ladennicht die Haupteinnahmequelleist. «Unser Kerngeschäft, ne-ben dem Vollzug, ist der Land-wirtschaftsbetrieb», sagtSchwarz. Witzwil biete Fohlen-sömmerung an, produziereMilch, Fleisch, Saatgut, Obst undGemüse. Zwei Drittel der Arbeits-plätze unterschieden sich nichtvon «draussen». An einem Drittel

BERNER ANSTALTSLÄDEN

oder ein freundlicher Umgangs-ton können Ziele sein. Arbeits-agogik nennt sich das Konzept,das durch Arbeit Fortschritte inSelbstkompetenzen erzielen will.

Mit Körperhygiene und Um-gangston hat Müller keine Prob-leme. Sein Ziel ist Weiterbildung.2016 möchte er in Witzwil eineMalerlehre beginnen, weil «Gip-ser und Maler zusammengehö-ren». Müller zeichnet mit seinemBleistift Dreiecke auf ein BlattPapier.

Bei der Frage, warum er im Ge-fängnis ist, lacht er verlegen. Erzögert. Nein, die Frage möchte ernicht beantworten, meint er. DerProzess laufe seit vier Jahren,und er habe mit dem Opfer zu-sammen versucht, die Strafe zumindern, sie seien zum Anwaltgegangen. «Das Opfer war auchschockiert über das Strafmass,aber ja, man hat es einfach nichteingesehen. Also ich will nicht sa-gen, dass ich unschuldig bin, ichbin schon schuldig zu sprechen,das schon. Aber niemand hat mitdiesem Strafmass gerechnet,auch mein Anwalt nicht.»

Müllers Zukunft ist ungewiss.Noch ist eine Ausschaffung inden Kosovo wahrscheinlich:«Wir sind daran, gegen den Mi-grationsdienst Beschwerde ein-zulegen, und ja», er zögert, «alsomein Lehrbetrieb hat jetzt aucheinen Brief geschrieben, dass er,also mein Lehrmeister, michnach der Entlassung sofort festanstellen würde.»

«Die Arbeit bedeutet mir viel»«Müller sagte mir, er wolle einenperfekten Vollzug hinlegen», er-zählt Bangerter: «Dies ist aberextrem anstrengend.» ZwischenHoffnung und Angst bietet dieArbeit eine Konstante: «Die Ar-beit hier bedeutet mir viel. Abund zu würde ich auch samstagsoder sonntags lieber arbeiten.Weil, stundenlang Billiard spie-len oder Tischfussball», Müllerzieht die Luft ein, «das ist auchnicht so, na ja, also, die Zeit gehtschneller vorbei, wenn man amArbeiten ist.» Edith Krähenbühl

*Name von der Redaktion geändert

Müller ist eine Ausnahme.«Meiner Meinung nach wurdenviele der Gefangenen, die hier-herkommen, gar nie sozialisiert»,sagt Hans-Rudolf Schwarz, Di-rektor der Anstalten Witzwil,«nur die Minderheit hat vorStrafantritt einen Lehrabschlussund einen festen Arbeitsplatz ge-habt.» Dementsprechend schaf-fen nur wenige nach der Entlas-sung den Sprung auf den freienArbeitsmarkt. Trotzdem seidie Arbeit wichtig, sie gibt demAlltag in Gefangenschaft Struk-tur, den Gefangenen Erfolgs-erlebnisse.

Entwicklung durch ArbeitDie Gefangenen müssen in Witz-wil Tages- und Etappenziele er-reichen. Diese beschränken sichnicht auf die Arbeit, auch Körper-hygiene, Ordnung in der Zelle

Made in Prison

«Er» ist in diesem Fall Reto Ban-gerter, Müllers Arbeitsmeister.Während des Interviews sitzt eran der Werkbank nebenan, wirftab und zu etwas ein.

Als die zwei Männer beim Fo-totermin eine Arbeitssituationzeigen sollen, fällt das Posierenbeiden schwer. «Müller ist sehrbegabt, ihm brauche ich nicht vielzu erklären», sagt Bangerter. Fürden Fotografen zeigt BangerterMüller aber dann doch noch ein-mal, wie man das Vogelhäuschenzusammensetzen muss.

Abschlussnote 4,9 beendet: «Alseiner der Besten habe ich abge-schlossen», erzählt er, «und dannwar ich in Bern an den SwissSkills, an den Berufs-Schweizer-Meisterschaften. Das war letztesJahr, im Sommer.»

«Es ist einfach so»«Draussen» hat Müller nach derLehre ein Team von drei bis vierLeuten geführt, hier, im Werkate-lier der Strafanstalt, baut er an ei-nem Vogelhäuschen (siehe Kas-ten). «Es ist schon schwer, damitumzugehen, weil, na ja, aber es isteinfach so», räumt Müller einund vergleicht seine jetzige Weltmit der Welt draussen: «Es ist ge-nau gleich, wie wenn man den Be-trieb wechselt, dann muss manwieder vorn anfangen und zei-gen, was man kann, damit er Ver-trauen in einen hat, in dem Sinn.»

cherte Zone vom Aussenbereichtrennen. Antreten ist um7.35 Uhr, am Mittag zum Essenwieder hinein, ausrücken umhalb zwei, einrücken um halbsechs. Vor dem Aus- und demEinrücken bildet sich eine kleineMenschenmenge auf der jeweili-gen Seite des Zauns.

Unbedingt die Lehre beenden«Ich war im ersten Lehrjahr, alsdie Strafe kam, ich war 18 Jahreund vier Monate alt, dazumal.»Müller klopft mit seinem Bleistiftauf die Werkbank. Er habe dasUrteil ans Obergericht weiterge-zogen, wollte unbedingt noch dieGipserlehre fertigmachen. «Eswar schwer, eine schwere Zeit.Weil mit dieser Strafe», er stockt,«erwartet man eigentlich, dasssie einen ausschaffen.» Trotzdemhat Müller seine Lehre mit der

«Im Dezember 2014 kam dasAufgebot. Einrücken.» XherdanMüller presst Luft durch die Lip-pen, «fünf Jahre und drei Mona-te». Dann Stille, man hört nur dasScheppern eines Bleistifts, dasMüller aus der Hand und auf denTisch gefallen ist.

Müller heisst nicht wirklichMüller, er trägt einen albani-schen Namen* und kam im Altervon fünf Monaten mit seinen El-tern aus dem Kosovo in dieSchweiz. Heute ist Müller 22 Jah-re alt, seit Februar ist sein Zuhau-se eine Zelle in der gesichertenZone der Strafanstalt Witzwil.

Witzwil, die kleine Siedlung imgrossen Moos zwischen Neuen-burger-, Murten- und Bielersee,ist der grösste Landwirtschafts-betrieb der Schweiz (siehe Kas-ten). In 26 Berufen bereiten sichhier 166 Gefangene auf das Lebenin Freiheit vor, 148 davon im offe-nen Vollzug. Die Gefangenen ha-ben Arbeitspflicht, das Ziel heisstResozialisierung, Wiedereinglie-derung in die Gesellschaft.

Drehtüren im ZaunMittagspause. Vier Männer sit-zen auf einer Bank im Innenhofder Anstalt, ein fünfter steht vorihnen und gestikuliert. Rufeschallen über den Hof, Sprachenwerden fliegend gewechselt,Deutsch, Französisch, Albanisch,Arabisch. Ab und zu geht eineFrau vorbei. Weiblichkeit ist daseinzige Merkmal, das einen Men-schen hier eindeutig als Ange-stellte identifiziert. Der Innen-hof könnte auch ein Schulhaus-platz sein, nur die Schüler sindetwas gross – und ein Zaun erin-nert daran, dass man sich in einerStrafanstalt befindet.

Viermal täglich passiert Xher-dan Müller mit seinem Badge dieDrehtüren im Zaun, die die gesi-

OFFENER VOLLZUG In derBerner Strafanstalt Witzwilwerden Vogelhäuschen undSetzlinge produziert. Daswichtigste Produkt aber istSelbstkompetenz – die Gefan-genen sollen sich nach derStrafe im Alltag und in derArbeitswelt zurechtfinden.

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Arbeiten wie dieses Vogelhäus-chen entstehen im Werkatelier,in der Schreinerei oder in der ge-schlossenen Abteilung. Je nachSaison stellen die GefangenenGebrauchs- und Dekorationsge-genstände her, die dann im La-den verkauft werden. Vor Osternwerden Osterhasen produziert,vor Weihnachten Schneemän-ner aus Holz. Dekogegenständekommen auch aus der Gärtnerei,so gibt es zum Beispiel Holz-kränze mit Herzchen und Blu-men zum Valentinstag. kra

Riesenerfolg für«Jurassic World»Der Indominus rex (Bild)setzt eine Rekordmarke:«Jurassic World» spielt alserster Film über 500 Millio-nen Dollar am Startwochen-ende ein. SEITE 24

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