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Köln, 1933-1937. Die letzten Schuljahre.Präzise und mit einer Portion Humor ver-mittelt Heinrich Böll seine Eindrücke undGefühle, gibt »unverstellte Auskunft überKindheit und Jugend unter der Diktatur.Eine exemplarische Studie über Moral, Listund Versagen« (Die Zeit).

Heinrich Böll, am 21. Dezember 1917 inKöln geboren, war nach dem Abitur Lehr-ling im Buchhandel. Danach Studium derGermanistik. Im Krieg sechs Jahre Soldat.Seit 1947 veröffentlichte er Erzählungen,Romane, Theaterstücke, Hör- und Fern-sehspiele. 1972 erhielt Böll den Nobelpreisfür Literatur. Er starb am 16. Juli 1985 inLangenbroich/Eifel.

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Heinrich Böll

Was soll aus demJungen bloß werden

Oder: Irgendwasmit Büchern

Deutscher Taschenbuch Verlag

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Ungekürzte AusgabeOktober 1983

B. Auflage April 2003Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG,

Münchenwww.dtv.de

1977, 1987 Verlag Kiepenheuer & Witsch, KölnErstveröffentlichung: Bornheim-Merten 1981

Umschlagkonzept: Balk & BrumshagenUmschlagfoto: Archiv Familie Böll

Satz: Steidl, GöttingenDruck und Bindung: Druckerei C. H. Beck, NördlingenGedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier

Printed in Germany • ISBN 3-423-10169-5

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Für Samay, Sara und Boris

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Am 30. Januar 1933 war ich fünfzehn Jahre undsechs Wochen alt, und fast genau vier Jahre spä-ter, am 6. Februar 1937, neunzehn Jahre und sie-ben Wochen alt, bekam ich das »Zeugnis derReife« ausgestellt. Das Zeugnis enthält zweiFehler: mein Geburtsdatum ist falsch angege-ben, und meinen Berufswunsch »Buchhändler«hat der Direktor, ohne mich zu fragen, in »Ver-lagsbuchhändler« abgewandelt, ich weiß nichtwarum. Diese beiden Fehler, die ich preise,geben mir die Chance, auch alle anderen Daten,einschließlich der Noten, anzuzweifeln. Ichhabe die beiden Fehler erst zwei Jahre späterentdeckt, als ich das Zeugnis zum ersten Mal indie Hand nahm, um es zum StudienbeginnSommer-Semester 1939 bei der UniversitätKöln einzureichen, und das fehlerhafte Ge-burtsdatum entdeckte; ich wäre nie auf die Ideegekommen, einen solchen Fehler in einem sogewichtigen amtlichen Dokument korrigierenzu lassen: dieser Fehler erlaubt mir einen gewis-sen Zweifel, ob ich's denn wirklich sei, der da

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für reif erklärt wird. Ob da ein anderer gemeintist? Und wer? Dieses Spiel erlaubt mir auch dieVorstellung, das Dokument könnte möglicher-weise gar nicht gültig sein.

Ein paar weitere Voraussetzungen muß ichnotieren: Sollte es zu den Pflichtübungen deut-scher Autoren gehören, »unter der Schule gelit-ten« zu haben, so muß ich mich wieder einmalder Pflichtvergessenheit zeihen. Natürlich habeich gelitten (Zwischenruf: Wer, ob alt oder jung,leidet nicht?), aber nicht in der Schule. Ichbehaupte: so weit habe ich es nicht kommenlassen, ich habe - wie später manches in mei-nem Leben - »die Sache in die Hand«, habe siezu Bewußtsein genommen. Wie, das wird nochzu erklären sein. Leidvoll war der Übergang vonder Volksschule zum Gymnasium, kurze Zeit,aber da war ich zehn, und es betrifft nicht die zubeschreibende Zeitspanne. Ich habe michmanchmal gelangweilt in der Schule, geärgert,hauptsächlich über den Religionslehrer (dersich natürlich über mich - solche Bemerkungensind - weitere Voraussetzung! - »bilateral« zuverstehen) - aber gelitten? Nein. Weitere Voraus-setzung: Meine unüberwindliche (und bis

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heute unüberwundene) Abneigung gegen dieNazis war kein Widerstand, sie widerstanden mir,waren mir widerwärtig auf allen Ebenen meinerExistenz: bewußt und instinktiv, ästhetisch undpolitisch, bis heute habe ich keine unterhal-tende, erst recht keine ästhetische Dimensionan den Nazis und ihrer Zeit entdecken können,und das macht mich grausen bei gewissen Film-und Theaterinszenierungen. In die HJ konnteich einfach nicht gehen und ging nicht rein,und das war's.

Noch eine Voraussetzung (und es wird nocheine kommen!): berechtigte Zweifel an meinemGedächtnis; das alles ist jetzt achtundvierzig bisvierundvierzig Jahre her, und mir stehen keineNotizen, Aufzeichnungen zur Verfügung. Siesind verbrannt und zerstoben in einer Man-sarde des Hauses Karolingerring 17 in Köln;auch bin ich unsicher geworden, was die Syn-chronisierung persönlicher Erlebnisse mitgeschichtlichen Ereignissen betrifft: so hätte ichzum Beispiel hoch gewettet, daß es im Herbst1934 war, als Göring in seiner Eigenschaft alspreußischer Ministerpräsident sieben jungeKölner Kommunisten mit dem Handbeil hin-

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richten ließ. Die Wette hätte ich verloren: es warschon im Herbst 1933, da dies geschah. Undmein Gedächtnis trügt mich nicht, wenn ichmich erinnere, daß eines Morgens ein Mitschü-ler, Mitglied der (noch schwarzuniformierten)SS, übermüdet und doch noch mit Jagdfieber-glanz in den Augen erzählte, sie hätten in derNacht in Godesberger Villen Jagd auf den. ehe-maligen Minister Treviranus gemacht. Gott seiDank (wie nicht er, sondern ich dachte) - ver-gebens, und wenn ich dann vorsichtshalbernachschaue und feststelle, daß Treviranusschon 1933 emigriert ist, wir aber 1933 erst sech-zehn Jahre alt wurden, das Mindestalter für dieMitgliedschaft in dieser SS aber achtzehn Jahrewar, so kann diese Erinnerung frühestens imJahr 1935 ihren Platz haben - es müßte also Tre-viranus 1935 oder 1936 noch einmal illegal insDeutsche Reich zurückgekommen sein - oderdie SS war einer Fehlinformation erlegen. Fürdie »story« - diese merkwürdige Mischung ausÜbermüdung und Jagdfieberglanz in denAugen - garantiere ich, ihren Platz finde ichnicht. Letzte Voraussetzung bzw. Warnung: DerTitel »Was soll aus dem Jungen bloß werden?«

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sollte weder falsche Hoffnungen noch falscheBefürchtungen erwecken. Nicht jeder Knabe,dessen Verwandte und Freunde sich und ihmmit Recht diese ewig-bange Frage stellen, wirdnach einigen Aufhaltungen und Um- undAbwegen Schriftsteller, und ich möchte beto-nen, die Frage war, als sie gestellt wurde, so ernstwie berechtigt, und ich weiß nicht, ob meineMutter, lebte sie noch, nicht auch heute nochdie Frage stellen würde: WAS SOLL AUS DEM JUN-

GEN BLOSS WERDEN? Vielleicht sollte man dieFrage sogar bei älteren und erfolgreichen Politi-kern, Kirchenfürsten, Schriftstellern etc. hinund wieder noch stellen.

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Mißtrauisch betrete ich nun den »realistischen«,den chronologisch verwirrten Pfad — miß-trauisch gegenüber autobiographischen Äuße-rungen bei mir und anderen. Für Stimmung

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und Situation kann ich garantieren, auch für diein Stimmungen und Situationen eingewickel-ten Fakten, nicht garantieren kann ich, konfron-tiert mit kontrollierbaren historischen Fakten,für die Synchronisation: siehe die beiden Bei-spiele oben.

Ich weiß einfach nicht mehr, ob ich im Januar1933 noch oder schon nicht mehr Mitgliedeiner Marianischen Jugendkongregation war; eswäre auch unzutreffend, wenn ich sagen würde,ich wäre unter der Naziherrschaft vier Jahre lang»zur Schule gegangen«. Vier Jahre zur Schulegegangen bin ich nämlich nicht, es gab, wennauch nicht unzählige, so doch ungezählte Tage,an denen ich - abgesehen von Ferien, Feierta-gen, Krankheiten, die ohnehin abzuziehenwären - keineswegs zur Schule ging. Ich liebtedie (»Buschschule« kann ich nicht sagen, dieKölner Altstadt hat und hatte wenig Gebüsch,nennen wir es also) Straßenschule. Die Straßenzwischen Waidmarkt und Dom, die Nebenstra-ßen des Neu- und Heumarktes, alles, was rechtsund links in Richtung Dom von der HoheStraße abging, ich trieb mich gern in der Stadtherum, nahm manchmal nicht einmal als Alibi

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den Ranzen mit, ließ ihn zu Hause zwischenÜberschuhen und langen Kleidungsstücken inder Garderobe. Schon lange, bevor ichAnouilhs Stück »Der Reisende ohne Gepäck«kannte, war ich gem ein solcher, und es ist bisheute mein (nie erfüllter) Traum, einer zu sein.Hände in der Tasche, Augen auf, Straßenhänd-ler, Trödler, Märkte, Kirchen, auch Museen (jaich liebte die Museen, ich war bildungshungrig,wenn auch nicht bildungsbeflissen), Huren (andenen in Köln kaum ein Weg vorbeiführte) -Hunde und Katzen, Nonnen und Priester,Mönche - und der Rhein, der Rhein, diesergroße und graue Rhein, belebt und lebhaft, andem ich stundenlang sitzen konnte; manchmalauch im Kino, im Schummer der Frühvorstel-lungen, in denen ein paar Bummler und Ar-beitslose saßen. Meine Mutter wußte viel, ahnteeiniges, aber nicht alles. Familiengerüchtenzufolge - die, wie alle Familiengerüchte, mitVorsicht zu genießen sind - bin ich von denletzten drei dieser vier Nazischuljahre nicht diehalbe Zeit »zur Schule gegangen«. Ja, es warmeine »Schulzeit«, aber ich war nicht die ganzeZeit in der Schule, und wenn ich also diese vier

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Jahre zu beschreiben versuche, dann kann dasnur eine Auch-Geschichte werden, denn zurSchule gegangen bin ich auch.

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Achtundvierzig Jahre - von 1981 auf 1933 -zurück und vier - von 1933 auf 1937 - vor: beidieser Springprozession muß einiges auf derStrecke bleiben. Da lächelt der Dreiundsechzig-jährige auf den Fünfzehnjährigen herab, derFünfzehnjährige nicht zum Dreiundsechzigjäh-rigen hoch, und in dieser einseitigen Rückwen-dung, die keine Entsprechung in einem Auf-oder gar Ausblick des Fünfzehnjährigen hat,liegt die erhebliche Fehlerquelle.

Der Fünfzehnjährige liegt am 30. Januar1933, an einer schweren Grippe erkrankt, zuBett, Opfer einer Epidemie, die meines Erach-tens bei Analysen der Machtergreifung zuwenig berücksichtigt wird. Immerhin war das

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öffentliche Leben partiell gelähmt, waren vieleSchulen und Behörden geschlossen, jedenfallslokal und regional. Ein Mitschüler brachte mirdie Nachricht ans Krankenbett. Radio hattenwir noch nicht, und das Detektorgebastel fingbei uns erst später an. Die Mini Ausgabe desVolksempfängers schafften wir mehr widerwilligals notgedrungen erst kurz vor Kriegsausbruchan. Wir wohnten nach einem weiteren Umzuginnerhalb von zwei Jahren in der Maternus-straße Nr. 32, hatten uns gegenüber die tristeRückfront der damaligen Maschinenbauschule,waren immerhin nicht sehr weit vom Rhein ent-fernt, und vom Erkerfenster aus konnten wirdas gotisierte dreigiebelige Lagerhaus der »Rhe-nus« sehen, das ich immer und immer wiederaquarellierte. Gleich um die Ecke den Römer-,nicht weit davon den Hindenburgpark, womeine Mutter an schönen Tagen zwischenArbeitslosen und Frührentnern sitzen konnte.

Ich lag im Bett und las - wahrscheinlich JackLondon, den wir von einem Freund in derBüchergildenausgabe entliehen, es kann aberauch sein, daß ich - oh, ihr gesträubten Haareder Literaturkenner, wie gern würde ich euch

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glätten! — daß ich gleichzeitigTrakl las. Der riesigeKachelofen im sogenannten Erkerzimmerbrannte ausnahmsweise, und ich entnahm ihmmit sehr langen Fidibussen Feuer fair die (ver-botene) Zigarette. Der Kommentar meinerMutter zu Hitlers Ernennung: »Das ist derKrieg«, er mag auch gelautet haben: »Hitler, dasbedeutet Krieg.«

Die Nachricht von Hitlers Ernennung kamnicht überraschend. Nach dem »schnöden Ver-rat« Hindenburgs an Brüning (so nannte esmein Vater), nach Papen und Schleicher warHindenburg alles zuzutrauen, und jene merk-würdige (bis heute nicht so recht geklärte)Geschichte, die man einmal »Osthilfeskandal«nannte, über die sogar unsere höchst zurückhal-tende »Kölnische Volkszeitung« berichtete,hatte dem »ehrwürdigen, greisen Marschall«den letzten ohnehin minimalen Kredit genom-men, keinen politischen, nur eben den Resteines moralischen Kredits, den man seiner»preußischen Korrektheit« zuzusprechen bereitgewesen war.

Meine Mutter haßte Hitler von Anfang an(sein Ende hat sie leider nicht mehr erlebt), sie

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nannte ihn »Rövekopp«, was »Rübenkopf« be-deutet, eine Anspielung auf die aus Zuckerrü-ben grob herausgeschnittenen Martinsfackeln,denen man möglichst einen »Bart« stehen ließ.Hitler — der war undiskutabel, und sein langjäh-riger Statthalter in Köln, ein gewisser Dr. RobertLey (man muß sich das vorstellen: eine Type wieLey herrschte später über die gesamte Arbeits-welt!) — Ley hatte wenig dazu beigetragen, Hit-ler und seine Nazis diskutabel zu machen — diewaren nichts weiter als das »grölende Nichts«,ohne die menschliche Dimension, die man»Gesindel« noch hätte zubilligen können. DieNazis waren »nicht einmal Gesindel«. MeinerMutter mit ihrer Kriegsthese wurde heftigwidersprochen: so lange würde »der« gar nichtbleiben, um einen Krieg anfangen zu können.(Er blieb, wie die Welt inzwischen eindringlicherfuhr, lange genug.)

Ich weiß nicht, wie lange ich noch bettlägerigwar. Die Grippeepidemie brachte den Schnaps-läden einen bescheidenen Auftrieb, Rum-Ver-schnitt war gefragt, als Grog versprach er angeb-lich Heilung oder Vorbeugung. Wir kauften be-scheidene Mengen davon in einem Geschäft

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Ecke Bonner und Darmstädter Straße: derBesitzer hieß, glaube ich, Volk, und sein flam-mend rothaariger Sohn war auf unserer Schule.Ich weiß nicht mehr, ob der Reichstagsbrand,dessen »Promptheit« durchaus bemerkt wurde,noch in die Zeit der Krankheit, in die Schulzeitoder gar in die Ferien fiel (irgendwann muß daauch Karneval gewesen sein!). Vor den März-wahlen jedenfalls war ich wieder auf dem Schul-weg, und erst nach diesen Wahlen - man vergißtso leicht, daß sie knapp zu einer Koalition zwi-schen Nazis und Deutschnationalen reichten -,im April, Mai, tauchten die ersten Jungvolk-und HJ-Blusen auf, in den oberen Klassen dieeine oder andere SA-Uniform. Es fand -- wann,weiß ich nicht mehr genau - eine Bücherver-brennung statt, ein nicht nur peinliches, auchein klägliches Unternehmen; die Naziflaggewurde gehißt, aber ich erinnere mich nicht, daßda einer eine Rede gehalten, Titel für Titel,Autor für Autor verfluchend, Bücher ins Feuergeworfen hätte; sie müssen - ein kleines Häuf-chen - vorher dorthin gelegt worden sein, undseit dieser Bücherverbrennung weiß ich: Bücherbrennen schlecht. Es hatte wohl einer verges-

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sen, Benzin darüber zu gießen. Ich kann mit -

auch nur schwer vorstellen, daß in der Biblio-thek dieses Gymnasiums, das zwar StaatlichesKaiser-Wilhelm-Gymnasium hieß, aber extremkatholisch war - daß in der bescheidenen Schul-bibliothek viel »dekadente« Literatur enthaltengewesen sein könnte. Das Milieu, aus dem dieSchüler kamen, war durchgehend kleinbürger-lich, mit wenigen »Auswüchsen« nach untenoder oben - möglich, daß der eine oder andereLehrer privat seinen Remarque oder Tucholskygeopfert hat, um den Scheiterhaufen zu fiittern.Im Unterricht waren alle diese Autoren jeden-falls nicht vorhanden, und nach den handgreif-lichen, nach den licht- und hörbaren Barba-reien zwischen dem 30. Januar und dem Reichs-tagsbrand, verstärkt zwischen Reichstagsbrandund Märzwahlen, war dieser Akt symbolischerBarbarei vielleicht nicht so eindrucksvoll.

Die nichtsymbolischen Säuberungen warensichtbar und hörbar, waren spürbar: Sozialde-mokraten verschwanden (Sollmann, Görlingerund andere), Zentrumspolitiker, Kommunistenohnehin, und es war kein Geheimnis, daß inden Kasematten rings um den Kölner Militär-

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ring von der SA Konzentrationslager eingerich-tet wurden: die Wörter »Schutzhaft« und »aufder Flucht erschossen« waren geläufig, es trafauch Freunde von uns, die später stumm undsteinern wiederkamen; Bekannte meines Vaters;Lähmung breitete sich aus, Angst ringsum, unddie Nazihorden, brutal und blutrünstig, sorgtendafür, daß der Terror nicht nur Gerücht blieb.Die Straßen links und rechts der Severinstraße,über die mein Schulweg führte (Alteburger-,Silvan-, Severinstraße, Perlengraben) — das wardurchaus kein »national zuverlässiges« Gelände.Es gab Tage, nach dem Reichstagsbrand, vorden Märzwahlen, in denen das Viertel ganzoder teilweise abgesperrt war; die am wenigstenzuverlässigen Straßen lagen rechts von derSeverinstraße: welche Frau schrie da im Achter-gäßchen, welcher Mann in der Landsberg-, werin der Rosenstraße? Vielleicht lernen wir nichtin der Schule, aber auf dem Schulweg fürs Le-ben? Da wurde offenbar geprügelt, aus Hausflu-ren gezerrt. Nach Reichstagsbrand und März-wahlen wurde es stiller, still noch lange nicht.Immerhin war die KPD nach den Wahlen imNovember 1932 in dem so katholischen Köln

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