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Eines Tages in Schiras tritt der Kärntner Bauingenieur HansMoser versehentlich auf den Tschador der Farah Kaschoggi.Eine »schicksalhafte Begegnung, wie sie nur wenigen beschie-den ist — außer Tristan & Isolde und Paolo & Francesca wohlnur noch Clark Gable & Vivien Leigh«. Das Ergebnis dieserBegegnung ist eine Tochter: Scheherazade Hedwig Moser, dienicht umsonst den Namen der Erzählerin aus der Kalifenzeitträgt. Unzufrieden mit den Rollen, die ihr angeboten werdenals Ausländerin und als Frau, zieht sie sich auf ein Sofa zurückund erfindet ein neues Leben.

»Lilian Faschingers Erstlingsroman ist brillant geschrieben,

er ist amüsant, er ist witzig und ein bißchen zynisch.« (SFB)

Lilian Faschinger, 1950 in Kärnten geboren, lebt in Wien undParis. Sie hat außer dem vorliegenden drei Romane veröffent-licht: >Lustspiel< (1989), >Magdalena Sünderin< (19) und>Wiener Passion< (1999), außerdem die Erzählungsbände>Frau mit drei Flugzeugen< (1993) und >Paarweise< (2002).

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Lilian Faschinger

Die neue Scheherazade

Roman

Deutscher Taschenbuch Verlag

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Von Lilian Faschingersind im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen:

Frau mit drei Flugzeugen (12353)

Magdalena Sünderin (12430)

Wiener Passion (12925)

Ungekürzte, von der Autorin neu durchgesehene AusgabeDezember 2003

Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG,

München

www.dtv.de

O 1986, 2003 Lilian Faschinger

Erstveröffentlichung: München 1986

Umschlagkonzept: Balk & Brurnshagen

Umschlaggestaltung: Stephanie Weischer unter Verwendung des

Gemäldes >Wollust, Unkeuschheit, Unmäßigkeit< von Gustav Klingt

Satz: Fotosatz Reinhard Amann, Aichstetten

Gesetzt aus der Stempel Garamond 10/12• (QuarkXPress)

Druck und Bindung: Druckerei C. H. Beck, Nördlingen

Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier

Printed in Germany • ISBN 3-423-13148-9

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FürScheherazade Moazedi

undKlaus Hirschmugl

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Es schlug elf. »Es istschon zwölf«, sagte der Graf,

denn er war sehr verlogen.

(Ödön von Horvâth, Der ewige Spießer)

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Nicht aufhören zu reden. Die Artikulationsorgane — Stimm-bänder, Zunge, Lippen — in Bewegung halten, Laute bilden.Es geht um Kopf und Kragen. Mit Hilfe der Oberlippe Lautebilden, mit Hilfe des harten Gaumens Laute bilden, mit Hilfedes Kehlkopfs Laute bilden, mit Hilfe der SchneidezähneLaute bilden. Schweigen ist nicht Gold, Schweigen ist derTod. Die Mutter schweigt seit langem, denn es fehlt ihr einEckzahn. Ich bin keine Mutter, ich bin eine Tochter, ichschweige noch nicht. Obertöne, Untertöne, Zwischentöne.Ich rede/schreibe um mein Leben, an das er mir will, Schah-riar, der König. Die Steine zum Steinigen sind zu einer Pyra-mide aufgeschichtet, die Pferde zum Schleifen sind einge-spannt, das Wasser zum Ersäufen ist eingelassen, die Messerzum Vierteilen sind gewetzt, der Strick zum Aufhängen istgeschlungen. Solange ich rede/schreibe, hört man zu, solangeich rede/schreibe, redet er nicht, erteilt er den Palastwächternnicht den Befehl, mich zu töten mit ihren schönen Krumm-dolchen.

Es handelt sich also in meinem Fall nicht um eine krankhafte,nicht eindämmbare Geschwätzigkeit, sondern um eine zwin-gende Notwendigkeit, um reine Notwehr, um eine von mirund meiner Schwester Dunja zur Verhinderung der Ausrot-tung unseres Geschlechts ausgedachte List. Wir haben sie inunserem gemeinsamen Mädchenschlafzimmer ersonnen, aufdem Bauch liegend zwischen den weißen Schleiflackmöbeln,den rosa Batistgardinen, den gerafften Stofflampenschirmenund den vielen großen Plüschtieren, unseren Geliebten, auf

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denen wir reiten und an denen wir uns reiben, bis es knistert.Wir sind aufgestanden, haben unsere Nachthemden gehobenbis zum Brustbein, einander angesehen und gestreichelt. Nein,diese weichen Häute sind nicht dazu da, daß in sie geschnittenwird mit Krummdolchen. Es soll nicht sein, daß weiße Wund-ränder klaffen und der ganze rote Saft ausrinnt wie das Säge-mehl aus Puppen. Dunja und ich, die zwei austropersischenPuppen, mit denen Schahriar und sein Bruder spielen, bisihnen langweilig wird und sie sie aufschlitzen. — Wir haben

auch eine zweite Möglichkeit zu unserer Rettung erwogen,nämlich die uneingeschränkte Hingabe, haben diese Mög-lichkeit aber gleich wieder als unbrauchbar verworfen. DieAnwendung dieser Methode hat unseren tausenden bishergetöteten Geschlechtsgenossinnen nichts genützt. Sie habensich bemüht zu stöhnen, zu wimmern und etwas ekstatischenSchaum vor den Mund zu bekommen, doch Schahriar undSchahseman haben sich nicht täuschen lassen und den Befehlgegeben, den Jungfrauen die Köpfe abzuschlagen. Was dieWollust angeht, lassen sie sich nämlich nichts vormachen. Sieunterscheiden vorgespiegeltes Augenüberdrehen sofort vonaus echter Leidenschaft entstandenem Augenüberdrehen,den Speichel der Ekstase korrekt von mühsam angesammelterSpucke, und wenn sich Fingernägel in ihr männliches Fleischkrallen, spüren sie gleich, ob das seinen Grund in der Hitzedes Geschlechts hat oder in reiner Bosheit. Und wenn ihnenso etwas auffällt (und es fällt ihnen früher oder später immerauf, in Augenblicken, da die Täuschungsbereitschaft der Jung-frauen nachläßt, da sie unachtsam sind, da sie keine Lust mehrhaben, den Brüdern etwas vorzuspielen), verfallen sie in Zorn,rollen ihre großen schwarzen Augäpfel, produzieren Zornes-schaum und lassen den Palast widerhallen von Tötungsbefeh-len. Man töte dieses Weib! MAN TÖTE DIESES WEIB! MANTÖTE TÖTE TÖTE DIESES WEIB WEIB WEIB WEIB (mitlangsam ausklingendem Echoeffekt).

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Meine Schwester Dunjazade Moser und ich, ScheherazadeHedwig Moser, sind Mischlinge, Irano-Österreicherinnen,Austro-Perserinnen. Unser Vater Hans Moser, aus Kirchdorfin Kärnten gebürtig, besuchte die Baufachschule in Villach,nach deren Abschluß er einen Vertrag bei einer Baufirmaunterzeichnete und auf einige Jahre nach Schiras in Persienging, um Bewässerungsanlagen zu bauen. Er entschloß sichdazu, weil Rudi Gutschier, sein bester Freund, kurz vorhernach Australien ausgewandert war (nach Brisbane? nach WaggaWagga?) und auch ihn mit seinen Reden vom Großen Glückund vom Großen Geld angesteckt hatte. Er würde das Landam Fuße des Ayers Rock einzäunen, hatte er gemeint, erwürde eine Schafzucht anfangen, erst mit einem klapprigen,später mit einem neuen Lastwagen an Gruppen staunenderAborigines vorüberfahren und ihnen Bierdosen zuwerfen,die er kistenweise im Lastwagen mitführen und während derFahrt leertrinken würde. Es würde nämlich in Australienkeine Gendarmen geben, die Autofahrer aufhalten und sie zueinem Alkoholtest bewegen konnten. Dann würde er eineschöne Australierin irischer Abstammung — mit einer Haut,weiß wie Schnee, mit Wangen, rot wie Blut, mit Haaren,schwarz wie Ebenholz, und mit violetten Augen — heiraten,die Liz Taylor aufs Haar gleichen würde, und sie würdenglücklich leben bis an ihr seliges Ende. Tatsächlich war dasLand am Fuß des Ayers Rock für die Schafzucht ungeeignet;es hätte sich noch am ehesten zu unebenen Tennisplätzenparzellieren lassen. Tatsächlich arbeitete Rudi Gutschier alsschlechtbezahlter Automechaniker, laborierte an einer chro-nischen Bandscheibengeschichte und heiratete keine irischeLiz Taylor, sondern eine Australierin niederbayrischer Her-kunft mit langen Zähnen und einem fliehenden Kinn, dieihm vier Kinder mit langen Zähnen und fliehendem Kinnschenkte. Auf den Fotos, die die australischen Gutschiers derdaheimgebliebenen Mutter Gutschier schicken, welche ihnen

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im Austausch dafür Geld schickt, stehen die vier Kinder derGröße nach aufgereiht vor einem weiß gestrichenen Holz-haus. Die Mutter Gutschier lebt seit Jahrzehnten im Geist beider Familie in Australien, seit einigen Jahren noch intensiver,denn da ist der Vater Gutschier gestorben. Der Rudi ist ihreinziges Kind. Sie hat ihre vier Enkel noch nie gesehen, weilsie sich den Flug nicht leisten kann, da sie ja ihr Geld derFamilie ständig in Briefkuverts schickt. Die alte Gutschierinist eine zarte Frau mit wäßrigen Augen, weißen Haaren undeinem verschlagenen Gesichtsausdruck, der ins Wehmütigespielt, sobald sie von der Familie erzählt. Sie lockt Spaziergän-ger, die sich an ihren Gartenzaun lehnen und ihre Obstbäumemit den großen roten Äpfeln ansehen, mit einem langenkrummen Zeigefinger ins Haus, wo sie sie auf die Polsterbankin der Küche drückt, ihnen einen bitteren Verdauungs-schnaps in giftgrünen kleinen Gläsern hinstellt, Stöße vonFarbfotos mit den vier die langen Zähne beim Lachen blek-kenden Enkeln vor ihnen auftürmt, von der Familie erzähltund dabei weint. Es kann wohl vorkommen, daß sie mit ihrerweichen Hand die Hände der Spaziergänger nimmt und dieKnöchelchen befingert. Knusper knusper knäuschen, werweiß, mit wie vielen Leichen Küche und Kammer bereitswohlgefüllt sind? Mein Vater, der im Herbst die großen rotenÄpfel der Gutschierin holt und sie bei uns den Winter übereinkellert, behauptet, er habe einmal, auf der Suche nacheinem Eimer, eine Kastentür auf dem Gang geöffnet, und dasei ihm eine noch gut erhaltene Leiche wie ein Brett entge-gengefallen. Mit einem großen roten Apfel im Mund. Aberich habe mir gedacht, sagte er, daß die Gutschierin eine armeeinsame Haut ist und nicht mehr lang zu leben haben wird.Und deshalb habe ich die Leiche wieder aufgestellt, gegen diehintere Kastenwand gelehnt, die Tür zugemacht und keinWort mehr darüber verloren. Dann bin ich wieder auf denBaum gestiegen und habe weiter Äpfel geklaubt.

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Atemholen.Atemholen.Atemschöpfen.Und die Stimmbänder schonen, leise reden, Milch trinken.

Das Erzählen strengt an, und die Könige mögen keine krach-zenden Stimmen. Sie wollen keine Maultrommeltöne, keinMilchkannenscheppern, kein Asthmarasseln — was sie wollen,ist Grasmückengezwitscher, Windraunen, sind Äolsharfen-klänge. Krächzt es ihnen zu sehr, werden sie unwirsch und

rufen den Palastwächter mit dem Krummen Tod.Um bei meinem Vater anzuknüpfen: Durch einen Zufall

lernte er in Schiras meine Mutter kennen. Er spazierte durchdas Stadtzentrum und trat aus Versehen auf ihren Tschador,ihr langes Gewand. So abrupt angehalten, fällt meine Mutterhin. Da sie den Tschador mit den Zähnen festhält, wie es ein-kaufende Perserinnen, die keine Hand frei haben, für ge-wöhnlich tun, bricht sie sich im Fallen einen Eckzahn aus. Sobeginnt eine große Liebe. Hans Moser hilft Farah Kaschoggi,geborene Einami, auf die Beine, und als er seinen blauen Blickin ihre schwarzen Augen taucht, ihn zögernd wieder heraus-zieht und über das Näschen, die Purpurwänglein, den halb-offenen Kirschenmund mit der Perlenreihe der Zähne unddas rote Rinnsal gleiten läßt, das aus ihrem Mundwinkelsickert, ist es vollends um ihn geschehen. Und auch Farah, diesich dankbar auf seinen starken, blondbeflaumten Armstützt, weiß sofort, daß es sich um eine schicksalhafte Begeg-nung handelt, wie sie nur wenigen beschieden ist — außer Tri-stan & Isolde und Paolo & Francesca wohl nur noch ClarkGable & Vivien Leigh. Schnell rechnet sie nach, wann ihr Ei-sprung fällig ist. Sie ist froh, daß sie sich ein neues Jungfern-häutchen hat einsetzen lassen. Ein kleiner Eingriff, der für

eine Reihe von Ärzten der islamischen Welt eine bescheidene

Nebenerwerbsquelle darstellt. Aus diesem ersten, scheinbarunendlich langsam sich vollziehenden gegenseitigen Eintau-

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chen der Blicke, dieser ersten flüchtigen Begegnung folgt vie-les, darunter auch meine Existenz und die meiner SchwesterDunja sowie die Merkwürdigkeit unserer Augenfarben. Meinrechtes Auge ist blau, mein linkes gelb, Dunjas rechtes Augeist gelb, das linke blau. Die beiden blauen Augen sind dasErbe des Kärntner Vaters, die Gelbäugigkeit geht auf meineGroßmutter mütterlicherseits zurück, die eine Kurdin mitmörderischen Raubkatzenaugen und gelbbraunen Haarenwar. Sie stammte aus einem Dorf auf einer Paßhöhe an dertürkisch-persischen Grenze mit flachen Dächern, auf denendas Heu in Ballen zum Trocknen gestapelt lag, schloß sichspäter einer Gruppe der kurdischen Freiheitsbewegung anund wurde von einem Mitglied einer anderen Gruppe derkurdischen Freiheitsbewegung irrtümlich erschossen. Dunjaund ich sind stolz auf unsere verschiedenfarbigen Augen.Noch dazu sind es Komplementärfarben. Man hätte gedacht,die Menschen würden von der Eigenartigkeit dieser Zweifar-bigkeit gefangen sein. Einige ließen sich ja auch betören; imGrunde aber trug mir diese Idiosynkrasie nichts als Schwie-rigkeiten ein. Begonnen hat es auf dem Villacher Paßamt,beim Eintragen meiner Augenfarbe in den österreichischenPaß, den ich bekommen sollte. Revident Raspotnig blicktevon seiner Remington-Schreibmaschine auf, als ich wahr-heitsgemäß rechts blau, links gelb angab. Nicht genug damit,daß sie ein Bastard ist, ein dreckiges Halbblut, ein elendesMischlingswcib; Austro-Perserin, Irano-Österreicherin, dasist ja ärger als Mestize, Mulatte, Kreole oder Zambo, dachte erbei sich, während er lächelte. Da bin ich aber froh, daß meineKinder reinrassig sind, wenn das Brigittele auch den Pseudo-krupp hat und das Peterle eine Hasenscharte. Und da kommtsie mit einem blauen und einem gelben Auge daher undmacht uns Scherereien. Machen Sie keine Scherereien, sagteer in sein Lächeln hinein. Dann zog er mich ans Fenster undrief einige andere Revidenten, Oberrevidenten und Büro-

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kräfte zur Begutachtung meiner Augen herbei. Aber das istdoch nicht möglich! staunte Fräulein Angelika Antonitsch,die Amtssekretärin, und sonderte vor Aufregung eine Flüs-sigkeit ab. Da sehen Sie, von welchem Weitblick es zeugt, daßman an den österreichischen Hochschulen eine Ausländer-sperre eingeführt hat! sagte Oberamtsrat Steiner, setzte sichund verfaßte ein Schreiben in geheimer Sache, ließ von Fräu-lein Antonitsch sechs Kopien anfertigen, heftete das Originalab und schickte je eine Kopie an die Kriminalpolizei, dasBundeskanzleramt, die Heeressanitätsabteilung, die GeheimeStaatspolizei, die Interpol und die Iranische Botschaft inWien. Es wäre gelacht, wenn wir des Ausländerproblemsnicht Herr würden! zischte er zwischen zusammengepreßtenZähnen hervor. Nichts als Schwierigkeiten machen einemdiese Jugos, Muftis und Spaghettifresser. Hier habe ich end-lich etwas in der Hand, woraus ich ihnen den Strick drehenkann. Gelb und blau, lächerlich. — Ich wohnte damals in derLeonhardstraße und war in der folgenden Zeit vielen Repres-salien seitens der Staatsmacht ausgesetzt. Die Herren von derGeheimpolizei scheuten sich beispielsweise nicht, mir aufdem Gehsteig Beine zu stellen und in meine zum Trocknenaufgehängte Wäsche mit den Läufen ihrer DienstpistolenLöcher zu bohren. Ein Herr im graubraunen Trenchcoatzeigte bei der Hausbesorgerin, Frau Christa T., seine Markevor und erkundigte sich nach meinen Gewohnheiten. Frau T.lud ihn auf einen Kaffee ein, den der Beamte trank, währendihre Katze auf dem Tisch auf- und abging und ihm mit demSchwanz über das Gesicht strich. Man weiß nichts Genaues,flüsterte sie. Aber es ist alles sehr mysteriös: Sie züchtet weißeWicken auf ihrem Balkon. Eigenartige Musik dringt aus ihrerWohnung. Manchmal nimmt sie auf der Stiege zwei Stufen aufeinmal. Sie sitzt auf dem Balkon und schaut den Schwalbenbeim Fliegen zu. Sie lacht grundlos, doch anhaltend. Oftdrückt sie im Lift den Halteknopf und hält sich kurz zwi-

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schen zwei Stockwerken auf. Sie bekommt braune Pakete,Briefe mit unbekannten Briefmarken und Besuch von schönenMännern, die aussehen, als gingen sie keiner geregelten Tätig-keit nach und hätten keine Lebensversicherung abgeschlos-sen. Auf ihrer Wäscheleine hängt schwarze Unterwäsche.Und noch etwas: Sie redet/schreibt ununterbrochen. Trägtständig Papier und Kassettenrekorder mit sich herum.Schreibt/redet, als ginge es um ihr Leben. Als dürfe sie nichtaufhören. Als habe sie Angst. Als habe sie ein schlechtes Ge-wissen. Der Herr hat mitnotiert und steckt seinen Kugel-schreiber zufrieden in die Jackettasche. Frau T., Sie waren unseine große Hilfe. Es ist schließlich erste Pflicht des Staates,seine Bürger vor Elementen, vor Zwielicht zu schützen unddafür zu sorgen, daß Zucht, Zucht und nochmals Zucht. FrauT. schlägt züchtig die Augen nieder. Der Herr ereifert sichund spuckt beim Reden. Zucht und Orrdnung. Bürrgerrrund Bürrgerrrinnen. Sicherheit und abermals Sicherheit. Wokämen wir. Was täten wir. Wie stünden wir. Wo wären wir.Vaterrrland und Haimat großer Söhne. Stolz und aufrrrecht.Unerschrrrocken. (Greift sich ans Herz.) Der Ausländerrrr.Der Juuude. Rraus. Rrraus. Volksgut und Volk und Staat undVolk. Der Amerikanerrr. Rrrraus. Volk. (Greift sich noch-mals ans Herz. Vorhang.)

Die Glühbirne über dem Sofa, auf dem ich schreibe, ist ka-putt. Oder die Lampe selbst. Die Zuleitung. Was weiß ich. Füruns Frauen ist es besser, wenn wir von solchen Dingen nicht

mehr als das Allernotwendigste verstehen. Ich verberge ohne-

hin schon einiges, wenn ich männlichen Besuch empfange:alle Bücher, die von anderem handeln als von der Kochkunst,von der Haushaltsführung, von der Liebe im landläufigenSinn, von Blumen, Tieren und Kindern. Das ist weiblicheDiplomatie, sagen die Mütter. Noch besser ist es, wenn über-

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haupt keine Bücher herumstehen und keine Zeitungen her-umliegen. Am besten ist es, wenn alles sauber und gemütlichist, wenn es aus der Küche nach frischgebackenen Kokosbus-serin duftet und aus dem Bad nach einem Deodorant. Esempfiehlt sich, eine Kassette mit angenehmer Musik einzu-schieben, zum Beispiel Händels Wassermusik, auf der Pan-flöte gespielt. Eigentlich alles, auf der Panflöte gespielt. Vorsolchen Besuchen achte ich auch darauf, meinen blaugestri-chenen eisernen Werkzeugkoffer zu verbergen; ich habe

schon daran gedacht, ihn als Nähkoffer zu tarnen (die Formist ähnlich), doch könnte ein kluger Besucher das durch-schauen. Ich habe mir die Werkzeuge nach und nach gekauft,weil sie mir gefielen, habe jedoch wohlweislich nicht gelernt,mit ihnen umzugehen; damit würde ich mir ins eigene Fleischschneiden, sagen die Mütter. Also nehme ich die Werkzeugeeinzeln heraus, wenn ich allein bin, wische sie mit einem wei-chen Tuch ab und lege sie nebeneinander auf den Tisch. Einerein ästhetische Angelegenheit. Mein Werkzeugkoffer enthälteinen Gabelschlüsselsatz, eine Stahlsäge, mehrere Schrauben-zieher (darunter einen Kreuzschlitzschraubenzieher, meinliebstes Stück), eine Sägeraspel, eine Holzraspel, einen Ham-mer, eine Kneifzange, eine Kombizange, eine Entisolier-zange, einen Gipsbecher, einen Lötkolben, einen Stechbeitel,einen Körner, einen Zollstock, einen Anschlagwinkel, einenMalerspachtel, Nägel, Schrauben, Dübel und Kaltleim. Ichstreiche zärtlich über die Sachen und sage: Ihr glänzendenGabelschlüsselchen, du scharfzahniges Säglein, du hilfreichesHämmerchen, du gewissenhaftes Zollstöckchen, du unbe-stechliches Anschlagwinkelchen, ihr braven Näglein, ihr ge-duldigen Schräublein, du strahlend weißer Kaltleim! DenMännern gegenüber bemühe ich mich, keines dieser Fachwör-ter auszusprechen, allenfalls noch Hammer, Nagel und Säge.

Es wäre mein eigener Schaden, sagen die Mütter. Du mußt dirdas Vokabular der Kochbücher aneignen, in die Konversation

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mit dem Mann Zauberworte einflechten, Substantiva wieBrandteig, Nierenbraten, Hinteres Ausgelöstes, Tafelspitz,Verba wie blanchieren, legieren, flambieren, dressieren, gla-cieren, sautieren, Sätze wie Statt Brösel können fallweise auchgeriebene Mandeln oder geriebene Haselnüsse verwendetwerden, Gewürze sollen den Eigengeschmack eines Gerich-tes erhöhen und ihn nicht überdecken, Rote Rüben lassen

sich leichter schälen, wenn sie nach dem Kochen kalt abge-schreckt werden, Salz entzieht dem Fleisch den Saft oder DasFett muß den richtigen Hitzegrad erreicht haben, bevor mandas Backgut einlegt. Wörter einflechten, Kochvorgänge an-deuten, aber nie vollständige Informationen geben. Wörterwie Backgut auf der Zunge zergehen lassen. Hier, in diesemCode, liegt unsere Überlegenheit, sagen die Mütter. Unterkeinen Umständen wichtige Geheimnisse ausplaudern, damitsie sich nicht auch noch dieser Domäne bemächtigen können.Kochrezepte werden ausnahmslos auf dem Totenbett von denMüttern an die ältesten Töchter weitergegeben, die ihrerseitsdas, was sie für überlieferungswürdig halten, ihren Schwe-stern weitervermitteln. Den Männern auf gezielte, das Ko-chen betreffende Fragen ausweichende, irreführende odergeistesabwesende Antworten geben, die Küchenschwelle ge-gen ihr Eindringen verteidigen. Meine Tante Steffi weiß vieleGeschichten, Exempla, die den Frauen als Mahnung dienenund sie davon überzeugen sollen, daß es das weibliche Ge-schlecht ins Verderben stürzen wird, wenn es die Männer in

die Geheimnisse der Kochkunst einweiht. Eines ihrer plausi-

belsten Beispiele handelt von Georg, ihrem Sohn, und davon,wie es ihm gelang, sein Elternhaus einzuäschern. Georg, eingeselliger junger Mann, habe während der kalten Jahreszeiteinige Kommilitonen und Kommilitoninnen zu sich, dasheißt, in das Zimmer, das er im Haus seiner Eltern bewohnte,auf eine Feuerzangenbowle, ein heißes, belebendes Getränk,eingeladen. Und ich habe ihm das Rezept in einem unbedach-

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ten Augenblick verraten, so wie Samson der Delila in einemunbedachten Augenblick verriet, daß das Geheimnis seinerKraft in seinen Haaren begründet lag, sagt Tante Steff1. (DenVergleich mit Samson und Delila stellt sie jedesmal an.) Dannführt sie aus: Georg habe den Rotwein erhitzt und in einenvorgewärmten Krug gegossen. In Ermangelung einer Feuer-zange habe er zwei hölzerne Kochlöffel über den Krug gelegtund einen Zuckerhut daraufgestellt. Diesen habe er reichlichmit Arrak begossen. Vor dem Anzünden des Zuckerhuteshabe er das Licht ausgeschaltet, um eine stimmungsvolleAtmosphäre zu schaffen. (Er sei in eine der Kommilitoninnen

verliebt gewesen und habe gehofft, diese würde, sobald sie dieUmrisse seines Gesichts neben dem blau brennenden Zucker-hut sähe, gleichfalls Feuer fangen.) Da er zuviel Arrak überden Zuckerhut gegossen habe, sei die anfänglich niedrigeblaue Flamme sehr schnell höher geworden, und die Reis-papierlampe, die über dem Tisch hing, habe Feuer gefangen.Dieses Feuer habe rasch auf die leinenen Vorhänge über-gegriffen, und augenblicklich habe alles lichterloh gebrannt.In der darauffolgenden Panik habe niemand mehr genaubeobachten können/wollen, was mit dem Zuckerhut weitergeschah. Darum kann Tante Steffi folgendes auch nicht er-zählen: Der Zuckerhut, der vom Arrak und von der Wärmeaufgeweicht war, begann sich zu verformen und neigte sichgegen die eine Seite hin. Durch diese Verschiebung desGleichgewichts kamen die beiden hölzernen Kochlöffel insRollen, und schließlich stürzte der Zuckerhut langsam in sichzusammen und in den Rotwein, der daraufhin überschwapp-te. Nun wieder Tante Steff i: Als sie und ihr Mann, GeorgsStiefvater — Georgs Vater war bei einem Grubenunglück umsLeben gekommen —, von der Jahreshauptversammlung desSparvereins heimgekehrt seien, habe sich ihnen ein schaurigerAnblick geboten: Das Haus, das sie mit ihrer Hände Arbeiterbaut hatten, sei in Schutt und Asche gelegen. Ein paar

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Rauchschwaden seien noch darüber hinweggezogen. Ein ein-samer Feuerwehrmann sei dagestanden, einen Schlauch in derHand, aus dem kein Wasser floß. Georg und die Kommilito -

nen und Kommilitoninnen hätten sich aus dem Inferno ret-ten können, bis auf die Kommilitonin, in die Georg verliebtgewesen war. Diese habe nur noch verkohlt aus den Trüm -mern geborgen werden können. An dieser Stelle der Erzäh-

lung wird Tante Steffi noch heute, da das Unglück zwölfJahre her ist, von Tränen überwältigt und kann nicht mehrsprechen. Die Tränen kommen ihr nicht wegen des materiel-len Verlusts (das Haus war hoch gegen Feuer und Hagelschlagversichert), sondern aus Mitgefühl mit ihrem Sohn und des-sen unerfüllter Liebe zu der verkohlten Leiche, aus Wut überdie gemeinen Vereitelungen des Schicksals, das auch in ihr Le-ben mehr als einmal auf die hinterhältigste Weise eingegriffenhatte.

Ich nicke zustimmend zu dem, was ich aus Tante Steffis Trä-nen herausgelesen habe. Die Lampe über dem Sofa brenntwieder. Sie war nicht kaputt, ich hatte nur die Glühbirne nichtfest genug hineingeschraubt. K. hat mich darauf aufmerksamgemacht. K. wohnt manchmal hier. K. ist handwerklich sehrbegabt. Die Vereitelungen des Schicksals. Ein weites Feld. DieHobbys des Fatums: vereiteln, vergällen, durchkreuzen, hin -tertreiben, übel mitspielen, zuschanden richten, zu Fall brin-

gen, einen Strich durch die Rechnung machen. In vielen

Bereichen, vorzugsweise auf dem Liebessektor. Die Liiiiebe,

sagt Nina Hagen. Ja was isn des? fragt Nina Hagen. Love is amany-splendor'd thing, vermutet jemand. — Vor mir an derWand hängen hinter Glas drei Bilder. Auf jedem dieser Bilderist je zweimal nahezu das gleiche mit Bleistift gezeichnet:Hals und Schultern einer Frau, darüber (nur angedeutet)schulterlange Haare, der offene Kragen einer Hemdbluse,

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