DaF/DaZ - GEW Saarland · DaF und DaZ nicht leicht ziehen. Einwanderer und ihre Kinder lernen...

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63. Jahrgang Zeitung “Erziehung und Wissenschaft im Saarland” des Landesverbandes der GEW im DGB Bildu g. Weiter de ke ! n n n DaF/DaZ

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63. Jahrgang

Zeitung “Erziehung und Wissenschaft im Saarland” des Landesverbandes der GEW im DGB

Bildu g. Weiter de ke !n n n

DaF/DaZ

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INHALT EDITORIAL

Liebe Kolleginnen und Kollgen,

als ich 1999 bei der Katholischen Hoch-schulgemeinde in München meinen erstenJob annahm, der der Vermittlung des Deut-schen galt, nannte sich das Ganze „Deutschfür Flüchtlinge“ (Unterrichtsprojekt vonMünchener Studierenden in Kooperation mitdem Münchener Bildungswerk). Im Jahr 2017mag man sich zunächst an der Bezeichnung„Deutsch für Flüchtlinge“ stoßen - eine zweiteIrritation bereitet dem Einen oder Anderender Themenschwerpunkt „DaF/ DaZ“. Um dengeneigten Leser zu beruhigen: Auch in derRedaktion wurde darüber gefachsimpelt, wasdenn jetzt den genauen Unterschied aus-macht zwischen diesen beiden Bereichen, diehier ganz ungeniert mit Schrägstrich in einemAtemzug zu lesen sind.

„DaF“ bedeutet „Deutsch als Fremdspra-che“, „DaZ“ ist die Abkürzung für „Deutsch alsZweitsprache“. Interessanterweise landen wir indiesem Zusammenhang dann doch auch wie-der bei der Eingangsbezeichnung: „Deutsch für

Flüchtlinge“: Ist das denn nicht alles eins? Derkleinste gemeinsame Nenner beider Fach-richtungen ist der, dass in beiden FällenMenschen mit einer anderen MutterspracheDeutsch lernen. Im Falle des Deutsch-als-Fremdsprachenunterrichtes wird der Unter-richt vornehmlich im eigenen Land stattfinden- so beispielsweise lernt ein US-Bürger an sei-ner Universität Deutsch für einen geplantenAuslandsaufenthalt in Deutschland. Einennicht zu vernachlässigenden, bedeutendenUnterschied macht der Standort insofern aus,als hier außerhalb von Schule bzw. Universitätwenig oder gar kein Kontakt mit der deut-schen Sprache besteht. Ein Deutsch-als-Zweitsprachenkursus hingegen wird im Landder Zielsprache, vor Ort, abgehalten und er-möglicht den Lernenden eine sog. „Sprach-bad“, welches den Zielspracherwerb sehrerleichtern kann und durch den schnellenLernerfolg motivierend wirkt. Um nun jedochdie Verwirrung komplett zu machen: Warumheißt es denn dann so oft, „DaF-Unterricht fürFlüchtlinge“ anstatt „DaZ-Unterricht fürFlüchtlinge“? Diesen und weitere Fragenmöchte diese Ausgabe der EuWiS auf denGrund gehen.

Nicht nur an den saarländischen Schulenbesteht seit einem Anstieg der Flüchtlingszah-len im Jahr 2015 ein erhöhter Bedarf an aus-gebildeten Lehrern, die über die QualifikationDaF bzw. DaZ verfügen; diesem Desiderat wid-

met sich an der Universität des Saarlandesinsbesondere Frau Prof. Dr. Haberzettl, Lehr-stuhlleitung und Geschäftsführende Profes-sorin der Fachrichtung Germanistik mit ihremLehrangebot, das sich insbesondere an Lehr-amtskandidaten aller Schulformen richtet. EinInterview mit Frau Prof. Dr. Haberzettl führtMatthias Römer. Aus dezidiert beruflich Per-spektive schildert Thomas Bock Berufsausbil-dungsmöglichkeiten junger Migrant_innen.

In Saarbrücken-Dudweiler bietet das LPMfortlaufend Veranstaltungen für Pädagogenverschiedener Schulformen an; einen Einblickin die Arbeit und das Angebot des Instituts(nebst konkreter Tipps für den Unterricht insprachlich heterogenen Lerngruppen) gibtHelmut Stoll. Janna Degener widmet sich denHerausforderungen, die im Umgang mitMehrsprachigkeit im Kindergarten auftreten.Der Bericht „Kontinuität der Separation“ be-fasst sich mit den Schwierigkeiten derInklusion von Schüler_innen mit Migrations-hintergrund an Berliner Schulen und leitetdavon mögliche Orientierungspunkte für einenachhaltige Inklusion an Schulen ab.

Ich wünsche eine aufschlussreiche Lektüre!

Dr. Judith Frankhäuser

Gewerkschaft 17 17 GEW Ruheständler_innen besuchen den Wintringer Hof

18 Ein Pilotprojekt macht Schule

Info & Service 20 20 „Forum Schulentwicklung - Anstöße und Aufbrüche“ Seminar

Bücher & Medien 21 21 Die radikalisierte Gesellschaft. Von der Logik des Fanatismus

22 Bildungsstandards moderne Fremdsprachen für die Oberstufe

Geburtstage & Jubiläen 23 23 November 2017

23 Schlusswort

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RedaktionHelmut Bieg,Thomas Bock,

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Namentlich gezeichnete Beiträge geben nichtunbedingt die Meinung der GEW wieder. Für

unverlangt eingesandte Manuskripte wird keineGewähr übernommen.

ImpressumHerausgeber

EuWiS 11/2017 | 2

Editorial 03

Thema: DaF/DaZ 04 04 Sprache als Aufgabe für alle Fächer Interview mit Prof. Dr. Stefanie Haberzettl

06 Die Kontinuität der Separation

07 Sprache, der Schlüssel zur Integration

09 Mehrsprachigkeit im Kindergarten

Jugendhilfe 10 10 Theaterfestival KLATSCHMOHN: „Das macht Spaß“

Berufliche Bildung &Weiterbildung 12 12 Berufsausbildungschancen junger Migrant_innen

13 Ausbildungsqualität endlich verbessern! DGB-Ausbildungsreport 2017

Schule 15 15 „Bildungsrisiko Armut: Was tut Not?“ Herausforderungen und Ansätze für armutssensibles Handeln in frühkindlicher Bildung und Praxis

Thema: DaF/DaZ04

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THEMA: DaF/DaZ

EuWiS 11/2017 | 4 EuWiS 11/2017 | 5

THEMA: DaF/DaZ

Stefanie Haberzettl lebt mit ihrem Mannund ihren drei schulpflichtigen Kindern seit2011 in Saarbrücken und vertritt an der UdSdas Fach Deutsch als Fremd- und Zweitspra-che. Nach dem Studium der Fächer Germa-nistik, Romanistik und Musikwissen-schaftenin München und Erlangen und einem litera-turwissenschaftlichen Abschluss an der fran-zösischen Universität Rennes II sattelte sie aufdas Studium für Lehramt an Gymnasien umund machte schließlich an der UniversitätAugsburg das erste Staatsexamen in Deutschund Französisch.

Durch ihre Arbeit als Hilfskraft im Rahmeneiner Langzeitstudie zum Deutscherwerb vonGastarbeiterkindern - wie man es seinerzeitnoch ausdrückte - wurde ihr Interesse amThema Mehrsprachigkeit geweckt und siearbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterinin zwei entsprechenden Forschungsprojektenan der Universität Potsdam, wo sie 2001 miteiner Arbeit zum Erwerb der deutschen Mor-phosyntax durch Kinder mit den ErstsprachenRussisch bzw. Türkisch promoviert wurde.

2003 wechselte sie auf eine Juniorprofes-sur an der Universität Bremen und 2008 aufeine reguläre Professur an der Universität Ol-denburg, von wo aus sie 2011 ins Saarland be-rufen wurde. Ihrem Interesse für die deutscheGrammatik und den Grammatikerwerb ist sietreu geblieben. Weitere Schwerpunkte sindder Erwerb der deutschen Bildungssprache,die Sprachdidaktik sowie Diagnostik undTesten.

EuWiS:Lehrstuhl für Deutsch als Fremd- und

Zweitsprache lautet die offizielle BezeichnungIhres Arbeitsplatzes. Können Sie unserenLesern kurz erläutern, worin der Unterschiedzwischen beiden Begriffen besteht und in wel-chen Bereichen Ihre Schwerpunkte in For-schung und Lehre liegen?

Prof. Dr. Stefanie Haberzettl:Eine Fremdsprache lernt man im Unterricht

und sie spielt im Alltagsleben keine Rolle, weil

sie in der Umgebung nicht gesprochen wird.Eine Zweitsprache wird erworben, indem manihr im Alltagsleben permanent ausgesetzt ist,und zwar ohne „Steuerung“ durch eine Lehr-kraft und/oder durch ein Lehrwerk. Daher istauch oft von „ungesteuertem“ versus „ge-steuertem“ Zweitspracherwerb die Rede. Ichverwende diese Begriffe, weil sie als Fachter-mini eingeführt und gängig sind - aber eigent-lich scheinen sie mir etwas irreführend. DerAusdruck „ungesteuerter Zweitspracherwerb“könnte die Assoziation aufkommen lassen,dass es sich dabei um einen „ungeordneten“Prozess handelt. Dies ist jedoch nicht der Fall!

Eine bestimmte kognitive Prädispositiondes Menschen und überindividuell gültigeStrategien, mit denen Lerner sich schrittweisedas System der zu lernenden Zielsprache er-schließen, sorgen dafür, dass sich die genann-ten Schritte prinzipiell vorhersagen lassen.Diese Erwerbssequenzen könnte man als soetwas wie ein „natürliches Curriculum“ be-zeichnen, und das passt wiederum zu einemanderen Begriffspaar, in dem der „natürlicheZweitspracherwerb“, eben z.B. von DaZ, vom„unnatürlichen Zweitspracherwerb“, z.B. vonDaF, unterschieden wird. Doch auch das ist einwenig unglücklich, denn im Unterricht wirdder Lerner nicht zu einer Marionette odereinem Roboter, sondern bleibt kognitiv aktivund verarbeitet den zielsprachlichen Inputnicht grundsätzlich anders als im sogenanntenSprachbad. Davon bin ich überzeugt, unddiese Sprachverarbeitungsprinzipien stehenim Zentrum meines wissenschaftlichen unddidaktischen Interesses. Ich möchte dazu bei-tragen, dass der Zweit- und Fremdsprachen-unterricht immer besser wird, indem wirimmer mehr über die Art und Weise derInputverarbeitung herausfinden und die Lehr-Lern-Szenarien immer besser auf die Lernerabstimmen.

Abgesehen von dem in meinen Augen we-sentlichen gemeinsamen Kern beim Erwerbeiner Sprache als Fremd- oder Zweitsprachelässt sich bezogen auf die äußeren Be-dingun-gen im wahren Leben oft die Grenze zwischenDaF und DaZ nicht leicht ziehen. Einwandererund ihre Kinder lernen Deutsch im alltäglichenLeben, auf der Straße, in Geschäften, im Job,in der Schule - aber sie besuchen auch Sprach-kurse, bekommen Förderunterricht, arbeitenautodidaktisch mit Elearning-Programmenoder Youtube-Lehrfilmchen. Und Deutschler-ner im Ausland müssen sich nicht mit ihren

Kursbüchern begnügen, sondern haben heut-zutage mannigfaltigen Zugang zu authenti-schen Sprachdaten und benutzen die Fremd-sprache als Instrument in authentischenKommunikationssituationen.

EuWiS:Angesichts einer hohen Zahl von Migranten

der ersten Generation an den saarländischenSchulen hat Deutsch als Zweit- und Fremd-sprache eine stärkere Bedeutung in der Bil-dungsdiskussion gewonnen. Was sind für siedie wichtigsten qualitativen Voraussetzungenum sich dieser Herausforderung zu stellen?

Prof. Dr. Stefanie Haberzettl:Die wichtigste Voraussetzung wäre (gewe-

sen...), dass die Schulentwicklung auf diegesellschaftlichen Entwicklungen reagiert -und zwar schnell, damit nicht ganze Gene-rationen von Schülerinnen und Schülern dasNachsehen haben und Lehrerinnen und Leh-rer über Jahre hinweg von ihren Arbeits-bedingungen frustriert sind. Denn diese kön-nen noch so gut ausgebildet sein: mit Verant-wortung für zu viele Kinder oder Jugendlichelässt sich auf deren heterogene Vorausset-zungen und Bedürfnisse nicht angemessenreagieren. Aber natürlich ist eine gute(Weiter-) Qualifizierung der Lehrkräfte schondas A und O, wobei es um eine ganze Reihevon Kompetenzen geht, von der interkulturel-len Bildung über profunde Kenntnisse zurdeutschen Sprache bis hin zu den Fähigkeitender Didaktisierung und der Methodenwahl.

Ein Klassenlehrer sollte über die wichtigs-ten Informationen darüber verfügen bzw. inder Lage sein, sich diese zu beschaffen, auswelcher Region der Welt Schüler X kommt,welche Sprache(n) er beherrscht und in etwaauf welchem Niveau, mündlich und schrift-lich. Er muss über Strategien verfügen, wiemit Irritationen über die kulturelle Prägungumzugehen ist, und zwar mit den Irritationenauf Seiten der Schüler, aber auch mit seineneigenen Irritationen den Schülern gegenüber.Auch Lehrkräfte, die nicht Deutsch oder ande-re philologischen Fächer studiert haben, soll-ten die deutschen Sprache nicht nur können,sondern auch kennen, und zwar vor allem imHinblick auf die Frage, was besonders schwie-rig zu lernen ist und wo also mit Geduld aufeinen stellenweise vielleicht sehr langsamenLernfortschritt reagiert werden muss. WelcheTricks es gibt, um den Lernern über solcheStolpersteine zu helfen, und wie man Zweit-

schriftlernern oder Analphabeten das deut-sche Schriftsystem vermittelt, ist natürlich dasAufgabengebiet derjenigen, die Sprachunter-richt im engeren Sinn erteilen und sich darumkümmern, dass Neuankömmlinge/Seitenein-steiger möglichst schnell ihr Fundament in derZweitsprache Deutsch aufbauen können. Aberwelche Methoden geeignet sind, Schülerin-nen und Schülern dabei zu helfen, ihresprachliche Basiskompetenz auszubauen undschriftsprachliche Strukturen beherrschen zulernen, rezeptiv beim Lesen wie produktivbeim Schreiben und im Unterrichtsdiskurs,geht durchaus die Vertreter aller Fächer an.Hier muss wirklich ein Umdenken erfolgen:Sprachförderung kann und muss in jedes Fachintegriert werden.

EuWiS:Glauben Sie, dass die Schulen für diese

Herausforderungen im Moment gut gerüstetsind?

Prof. Dr. Stefanie Haberzettl:Das glaube ich nicht, und ich kann nur den

größten Respekt vor denjenigen haben, diesich tagtäglich darum bemühen, trotz Über-lastung ihren Schülern gute Lehrer zu sein,individuell auf sie einzugehen, spontan aufplötzlich auftretende Notsituationen zu rea-gieren, nebenbei noch das einerseits unüber-schaubar gewordene, andererseits oft enttäu-schende Angebot an Sprachfördermaterialienzu sichten, etc. Die schlechte Ausstattungunserer Regelschulen und die, wie man sohässlich sagt, dünne Personaldecke ist eineSchande für unser reiches Land. Meines Er-achtens wäre ein Team an zwei hauptamtli-chen Lehrkräften für eine Klasse die nötigeGrundausstattung - und wenn durch die Inklu-sion oder die quasi von einem Tag auf denanderen notwendige Integration mehrereKinder aus Kriegsgebieten ein binnendifferen-zierender Unterricht selbst für ein solches ein-gespieltes Team nicht mehr zu bewältigen ist,sollten punktuell zusätzliche Kollegen mithel-fen, die idealerweise besonders gut für diejeweilige „Herausforderung“ qualifiziert sind,sei es durch sonderpädagogische Studienoder durch einen DaF/DaZ-Schwerpunkt.

Mir ist klar, dass viele bei solchen Äußerun-gen die Augen verdrehen, weil das von mirskizzierte Szenario an eine Utopie grenzt. Undselbstverständlich könnte auch in den beste-henden Verhältnissen vieles besser laufen,und eine Hand voll zusätzlicher Lehrerstundenmag im konkreten Fall schon den entschei-denden Impuls für eine nachhaltig bessereLehr-Lern-Situation in einer Klasse liefern. Mitist aber wichtig, klar zu machen, als wie ärm-lich mir unsere Schulen oft erscheinen, unddass wir m.E. mit der Arbeitsverdichtung am

Ende der Fahnenstange angekommen sind.Wenn die Anforderungen noch weiter steigen,werden womöglich die Hochleistungssportlerunter den Lehrkräften kollabieren, und dieje-nigen, die nicht zu extrem hohen Leistungenfähig sind (aber trotzdem gute Lehrer seinkönnen!) einen inneren Widerstand entwi-ckeln und die Motivation verlieren, sich selbstweiterzuentwickeln und sich in die Schulent-wicklung einzubringen.

EuWiS:Die Vermittlung der Bildungssprache gilt als

Aufgabe aller Fächer. Inwieweit kann Deutschals Zweit- und Fremdsprache diese Grundauf-gabe des Unterrichts unterstützen?

Prof. Dr. Stefanie Haberzettl:Lehrer und Lehrerinnen, die im Bereich

DaF/DaZ qualifiziert sind, zeichnen sich durcheine erhöhte Sensibilität für die Komplexitätbestimmter sprachlicher Lerngegenständeaus, sei es für Stolpersteine der Grammatik(ich sage hier nur exemplarisch: Genus, Kasus,Numerus...), sei es die sog. konzeptionelleSchriftlichkeit, die sich von der Alltagsspracheunterscheidet und tatsächlich systematisch inder Schule vermittelt werden muss. Mit die-sem Hintergrund und bei entsprechendemEngagement können sie sich für die Schulent-wicklung ihres Standorts einsetzen undÜberzeugungsarbeit leisten. Die DaZ-Lehr-kräfte können auch auf ganz konkreter Ebeneals Multiplikatoren dienen und dazu beitra-gen, dass einzelne Kollegen ein Bewusstseinfür die Sprache in ihrem Fach entwickeln -wobei dies die letztgenannten natürlich nichtdavon enthebt, sich selbst in geeigneten Pro-grammen weiterzubilden.

DaZ-/DaF-Spezia-listen können aber bera-tend tätig sein und punktuell konkrete Hilfe-stellung geben, wenn es um die kritische Prü-fung von Aufgabenstellungen bzw. derenFormulierung geht, die Bereitstellung von Zu-satzmaterialien, die verzahnt mit dem Fach-unterricht im engeren Sinne bildungs- undfachsprachliche Kompetenzen anbahnen odererweitern helfen, etc. Davon profitieren dannübrigens nicht nur die Kinder oder Jugend-lichen, die noch nicht so lange Deutsch ler-nen, sondern auch Kinder, die nur mitDeutsch als Erstsprache aufgewachsen sind,aber aufgrund eines nicht so guten Umfeldsüber einen eingeschränkten Wortschatz undgeringere Formulierungskompetenzen verfü-gen als privilegiertere Altersgenossen, oder inDeutschland geborene Kinder mit Migrations-hintergrund, für die letzteres auch geltenkann - aber nicht zwangsläufig gilt: Eine Studiedes Lehrstuhls mit 350 saarländischen Siebt-klässlern hat gezeigt, dass sich die Probleme,die ein- versus mehrsprachig aufwachsende

Schülerinnen und Schüler mit der Bildungs-sprache haben, weder quantitativ noch quali-tativ unterscheiden.

EuWiS:Wie wirkt der Lehrstuhl und die von ihm

vertretenen Inhalte in die Lehrerbildung ander Universität des Saarlandes? Würden Siesich in diesem Bereich Veränderungen wün-schen?

Prof. Dr. Stefanie Haberzettl:Wir beteiligen uns immer wieder an DaZ-

Weiterbildungsmaßnahmen des LPM und bie-ten einen Teilzeit-Aufbaustudiengang DaF/DaZ an, in dessen Rahmen man berufsbeglei-tend in einer Regelstudienzeit 64 CP Kompe-tenzen sowohl für die Sprachförderung bzw.den Sprachunterricht von Erwachsenen er-werben kann, u.a. für Integrationskurse, aberauch für die Arbeit mit Kindern und Jugend-lichen. Unsere Absolventen arbeiten z.B. auchals Sprachförderlehrer an Regelschulen.

Unseren Hauptauftrag sehe ich jedoch da-rin, dafür zu sorgen, dass angehende Lehre-rinnen und Lehrer sich schon in der erstenAusbildungsphase mit den Themen der Mehr-sprachigkeit (eines zum Teil ja sehr großenTeils) ihrer Schüler, mit Sprachförderungskon-zepten und den Anforderungen des sprach-sensiblen Fachunterrichts auseinandersetzen.Auf dem Weg dahin befinden wir uns nochnicht einmal auf halber Strecke: Zwar müssennun zumindest alle angehenden Deutschleh-rer der Sekundarstufe I und II ein DaZ-Modulbelegen, aber es umfasst nur 3 CP und kannnicht viel mehr leisten, als ein Bewusstseinanzubahnen. Von einem verpflichtenden DaZ-Modul für Sek-Lehramtsstudierenden allerFächer, wie es z.B. in NRW schon seit Jahrenüblich ist, sind wir noch weit entfernt.

Andererseits bieten wir mit einem studien-begleitend absolvierbaren Zertifikat „Sprach-förderung und DaZ“ eine Qualifizierungs-maßnahme an, die durch den Umfang von 24CP schon als substantiell gelten kann, und dassich auch größter Beliebtheit erfreut. Auchwenn der Großteil dieser Zertifikatsstudentenaus philologischen Fächern kommen, habenwir doch immer mehr Kandidaten aus denNaturwissenschaften, was wir natürlich sehrbegrüßen - s.o. die Kommentare zum Themasprachsensibler Fachunterricht!

Leider können wir bei weitem nicht alleInteressenten aufnehmen, die Warteliste istlang und im jetzt anlaufenden Wintersemes-ter müssen wir sogar eine Nullrunde einlegen,weil wir an unsere Grenzen stoßen. Die perso-nelle Ausstattung des Lehrstuhls ist leidernicht groß, und in Zeiten der Schuldenbremse,

Sprache als Aufgabe für alle FächerInterview mit Prof. Dr. Stefanie Haberzettl, Inhaberin des Lehrstuhls für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache ander Universität des Saarlandes

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EuWiS 11/2017 | 6 EuWiS 09/2017 | 7

THEMA: DaF/DaZ THEMA: DaF/DaZ

Sprache, der Schlüssel zur IntegrationDie hohen Zuwanderungszahlen (beson-

ders seit dem Jahr 2015) stellen Gesellschaftund Politik vor Herausforderungen, die vorden Schulen natürlich nicht Halt machen. Dieerfolgreiche Integration derjenigen Schülerin-nen und Schüler mit einer anderen Mutter-sprache als Deutsch in die Schulen und somitin die deutsche Gesellschaft ist eine der wich-tigsten Aufgaben unserer Zeit. Dabei kommtdem Erwerb bzw. dem Erlernen der deut-schen Sprache eine Schlüsselrolle zu, dennnur mit ausreichenden Deutschkenntnissenist es für die zugewanderten jungen Men-schen möglich, ihren Weg über die Schule inden Beruf zu finden und sich somit aktiv in dieGesellschaft einzugliedern. Zwar gab es schonimmer Schülerinnen und Schüler, die Deutschnicht als Muttersprache haben oder in derFamilie andere Sprachen sprechen, jedoch istdie Förderung des Deutschen als Zweitspra-che (DaZ) in den letzten Jahren vor demHintergrund der gestiegenen Zuwanderungs-zahlen verständlicherweise immer wichtigergeworden.

Festzustellen ist, dass die Gruppe der Zuge-wanderten bei weitem nicht homogen ist.Natürlich unterscheiden sich die Menschenhinsichtlich ihrer Herkunft und - damit meistverbunden - auch ihrer Muttersprache, dieeine andere als Deutsch ist. Aktuell spielenvor allem die außereuropäischen LänderSyrien, Afghanistan bzw. der Iran, in dem vieleder afghanischen Jugendlichen aufgewachsensind, sowie einige afrikanische Staaten (vorallem Eritrea) die größte Rolle bezüglich derHerkunft der Jungen und Mädchen, die in denverschiedenen Schulformen beschult werdenmüssen. Doch nicht nur hinsichtlich derHerkunft handelt es sich um keine homogeneGruppe, selbst wenn dies oftmals durch dieallgemeine begriffliche Zuschreibung „Flücht-linge“ intendiert ist. Auch wenn man sich eineGruppe hinsichtlich der Herkunftsregionheraussucht, bedeutet dies nicht, dass alle diegleiche Muttersprache haben müssen. Sosprechen zwar viele Syrer Arabisch in ihrenFamilien, jedoch gibt es auch viele, die kurdi-sche Muttersprachler sind und Arabisch inihrer Heimat z.B. in der Schule gelernt haben.Hinzu kommen viele Sprachkontakte auf derFlucht nach Deutschland. Demnach ist der Be-griff DaZ - Deutsch als „Zweit“sprache zumin-dest dem Namen nach nicht ganz zutreffend.Dennoch ist DaZ - Deutsch als „Ziel“sprachefür die jungen Zugewanderten von enormerBedeutung und kann ihnen manche Tür aufdem Weg in eine gelingende Integration öff-nen.

Die Heterogenität hinsichtlich Herkunft undMuttersprachen führt beim Erlernen derdeutschen Sprache zum Teil zu sehr unter-schiedlichen Voraussetzungen. Teilweise sinddie jungen Menschen ausschließlich in einemanderen Schriftsprachsystem alphabetisiert,manchmal sogar überhaupt nicht, weil sieüber keine oder kaum Schulbesuchsjahre ver-fügen. Andere hingegen haben bereits weite-re Fremdsprachen auf Grundlage der lateini-schen Schrift erlernt oder einen Schulab-schluss in ihrer Heimat absolviert. All diesführt zu einer höchst komplexen Situationinnerhalb der Schülerschaft mit der sich dieLehrkräfte auseinandersetzen und ihren(Sprach-)Unterricht entsprechend der Adres-saten anpassen müssen. Natürlich spielenhier auch persönliche Faktoren ein, wie bei-spielsweise das Verarbeiten von Kriegserleb-nissen oder ein Kulturschock, der je nachHerkunftsland verschieden ausfallen kann.

Bereits 2009 wurde das „BeratungszentrumDeutsch als Zweitsprache “ am Landesinstitutfür Pädagogik und Medien (LPM) eingerichtet,um Sprachfördermaßnahmen in Schulen zuverankern bzw. die Kolleginnen und Kollegenauf dem weitreichenden Feld der Sprachför-derung zu schulen. Es unterstützt Lehrkräftealler Schulformen bezüglich des Unterrichts inDaZ und bei der Umsetzung der durchgängi-gen Sprachbildung im Regelunterricht allerFächer. Einen Schwerpunkt der Fortbildungs-arbeit und somit eine Antwort auf den gestie-genen Förderbedarf im Bereich DaZ stellendie modularisierten Fortbildungsreihen „Bil-dungsoffensive Sprachförderung für jungeFlüchtlinge und Seiteneinsteiger_innen“(FLOSS) dar, die es bereits im dritten Jahr so-wohl für den Grundschulbereich als auch fürdie weiterführenden Schulen gibt. Durch denErwerb eines Zertifikats im Rahmen derFortbildungsreihe und in Kooperation mitdem Lehrstuhl für Deutsch als Fremd- undZweitsprache der Universität des Saarlandeskönnen sich Lehrkräfte für die Arbeit imBereich DaZ professionalisieren. Darüber hi-naus bietet das Beratungszentrum auch Ein-zelveranstaltungen an, die die zunehmendeNachfrage an Fortbildungen in dem Bereichabdecken sollen. Hier können interessierteLehrkräfte Unterstützungsmöglichkeiten undPraxistipps bekommen, wie der DaZ-Unter-richt, aber auch besonders der sprachsensibleUnterricht in allen Fächern gestaltet werdenkann. (siehe Kasten)

Schließlich ist zu erwähnen, dass sich dieFörderung von DaZ aber auch an Kinder und

Jugendliche mit Förderbedarf in der deut-schen Muttersprache richtet. Vor allem derkontinuierliche Aufbau von Kompetenzen inder Bildungs- und Fachsprache muss im schu-lischen Kontext in den Vordergrund treten,denn auch muttersprachlich deutsche Schüle-rinnen und Schüler haben dabei oft Probleme.Daher ist es erforderlich, die Lehrkräfte allerFächer für einen adäquaten Einsatz vonSprache in allen Fächern zu sensibilisieren,denn es kann nicht gelingen, die Schülerinnenund Schüler ausschließlich im additiven DaZ-Unterricht im Bereich der Bildungs- undFachsprache zu fördern. „Die Verfügbarkeitüber sprachliche Mittel wird vor allem überFachinhalte aufgebaut, so dass Lerner sprach-liche Formen und kognitive Konzepte vernet-zen können. Systematische Wortschatz- undGrammatikübungen, die vom fachlichen Ler-nen losgelöst sind, werden dadurch obsolet.Vielmehr bestimmen Themen und Inhalte, diefür das fachliche Lernen relevant sind, denAufbau sprachlicher Repertoires.“ (VOLLMER& THÜRMANN 2010, S. 128). Der additiveDaZ-Unterricht ist jedoch wichtig, um diegrundlegenden Kompetenzen in der deut-schen Sprache aufzubauen. Damit Sprachbil-dung im Schulalltag aber durchgängig undnachhaltig verankert werden kann, muss derUnterricht in allen Fächern stärker als bisherdie Sprache als Schlüssel zum Lernerfolg imBlick haben. Dies kann gelingen, wenn derFachunterricht sprachsensibel gestaltet wird,denn „Fachlernen ohne Sprachlernen istblind, Sprachlernen ohne Fachlernen ist hohl.“(LEISEN 1994, S. 16).

Prinzipien eines solchen sprachsensiblenUnterrichts sind u.a. die Bereitstellung vongeeigneten Fördermaterialien oder sprachli-chen Hilfen, Ressourcen- statt Defizitorientie-rung, diagnosegestützte individuelle Förde-rung und die Vermittlung eines adäquaten bil-dungs- und fachsprachlichen Niveaus. Additi-ve Sprachförderung in DaZ und integrativeMaßnahmen innerhalb eines sprachsensiblenFachunterrichts müssen viel stärker miteinan-der verzahnt werden. Nur dann kann Sprach-bildung auch durchgängig realisiert werden.Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zu-sammenhang auch die Aus- und Weiterbil-dung von Lehrkräften. Dies muss ein Ziel fürdie Kollegien der einzelnen Schulstandortesein – und zwar aller Schulformen.

Ein sinnvoll aufgebauter und zielorientier-ter sprachsensibler Fachunterricht unterstütztdie Schülerinnen und Schüler nicht deutscherMuttersprache beim Spracherwerbsprozess

Die Kontinuität der SeparationIn der Zeitschrift Die Deutsche Schule (DDS)

erschien im Heft 3 ein interessanter Artikelunter dem o. g. Titel, der sich mit der Separa-tion der Vorbereitungsklassen in Berlin in derTradition separierter Beschulung auseinan-dersetzt. Da diese separierte Beschulung keinalleiniges Berliner Phänomen ist, soll derArtikel und seine Kernaussagen hier kurz zu-sammengefasst werden. Wer den ganzen Arti-kel lesen möchte, kann dies im Netz tun, bzw.sich das Heft 3/2017 bestellen.

Der Artikel fußt auf einer an BerlinerGrundschulen durchgeführten Studie ausdem Jahr 2016 und versucht aus organisati-onssoziologischer und -psychologischer Sichtzu zeigen, dass separierte Beschulung in einerhistorischen Tradition steht, deren Begrün-dung eben nicht nur auf den reinen Sprach-erwerb abzielt.

Die Autoren zeigen, dass die separierte Be-schulung für die Schulen eine Möglichkeit ist,eine kurzfristige Lösung für das Problem‚Migration’ zu generieren, die sich durch tra-dierte Weitergabe verstetigt. Dass die sepa-rierte Beschulung in einem historischenKontext steht, belegt der Rückgriff auf dieSeparation in den 70er Jahren in Berlin, indenen eigene Klassen nach Nationalitätengebildet werden mussten, wenn der Auslän-deranteil in den einzelnen Klassen 25 % über-schritten hatte. Begründet wurde die sepa-rierte Beschulung damals zum einen mit einer‚besseren’ Deutschförderung, zum anderenunter Hinweis auf den zu erwartenden gerin-geren Bildungserfolg der ‚leistungsunwilligen’Kinder aus fremden Kulturen. Die Autorenkonstatieren dazu: „Die Institution Schule ent-ledigte sich mit der separierten Beschulungausländischer Kinder der Notwendigkeit, ihreVorschriften, Abläufe und Inhalte der migrati-

onsgesellschaftlichen Realität anzupassen.“Die Regelung der Ausländerregelklassen nachder 25 %-Regel wurde in Berlin erst 1995abgeschafft.

Dennoch bestanden separierte Klassenweiter. Begründung hierfür waren in ersterLinie die mangelnden Sprachkenntnisse unddie Hoffnung einer besseren Beschulung mitDeutsch als Fremdsprache in diesen separier-ten Klassen. Nach einer kurzen Zwischen-phase mit nur wenig Separation wurde ab2011 mit dem vermehrten Zuzug von Migran-ten aus Osteuropa wieder begonnen, diese zuseparieren und so genannte Willkommens-klassen ins Leben zu rufen. 2016 existiertenan Berliner Schulen rund 1.000 solcher Klas-sen.

Die Untersuchung im Jahr 2016 in 18 Will-kommensklassen an 13 Berliner Grundschu-len zeigt folgende Ergebnisse:

n Die Separierung war dauerhaft. Eine Teil-nahme am Regelunterricht ist zwar in Teilenvorgesehen, wurde aber aus organisatori-schen Gründen nur sehr selten umgesetzt.

n Es gibt keinen Fachunterricht, der altersan-gemessen ist. Eine Leistungsdokumentationfand nur in wenigen Fällen statt. Das lag vorallem daran, dass die damit betrauten Leh-rerinnen und Lehrer keine Erfahrung im Re-gelschulbetrieb hatten, vermuten die Auto-ren.

n Es gab kein verbindliches Curriculum. Wasunterrichtet wurde, hing individuell von derLehrkraft ab.

n Die Mehrzahl der befragten Lehrkräftehielt die separierte Beschulung für sinnvoll

und begründeten es u. a. mit einer mangeln-den ‚kulturellen Passfähigkeit’ der Kinder.

Zusammenfassend halten die Autoren fest:„Kinder werden aufgrund mangelnderDeutschkenntnisse sowie einer unterstelltenmangelnden kulturellen Passfähigkeit fürnicht beschulbar im Regelbetrieb erklärt unddie Ausgestaltung der getrennten Beschulungerfolgt weitgehend konzeptlos: Die Organisa-tion ist von großer Kurzfristigkeit gekennzeich-net, und nach wie vor werden Parallelstruk-turen etabliert, anstatt strukturelle Änderun-gen vorzunehmen. Die Praxis der Trennung,aber auch der Charakter des Vorläufigen, derMigration als ein die Schule letztlich nicht tan-gierendes Randphänomen festschreibt, stattdie Strukturen den neuen politisch-gesell-schaftlichen Verhältnissen anzupassen, zeigt,wie stark die Schule der historischen Konti-nuität treu bleibt [...].“

Diese Tradition ungeplanten und ziellosenAgierens ist typisch für den Umgang mit Mi-gration in der Bildungspolitik. Die Forschungspricht von einer so genannten ‚Adhocracy’und umschreibt damit die Unfähigkeit zu lang-fristigen Lösungen, die das Problem umfas-send angehen, sondern das Festhalten an‚administrativ-organisatorischen Ad-hoc-Lö-sungen’.

Dieses spannende Resümee der Autorenfür die Berliner Situation ist sicherlich auch inTeilen auf andere Bundesländer übertragbar.Ob es auch für das Saarland gilt, sollen diedamit befassten Personen am besten selbstentscheiden. n

Matthias RömerFoto: fotolia.de/©magele-picture (geändert)

in denen z.B. die Professur für die deutscheLiteratur des 19. und 20. Jahrhunderts oder -trotz des Europaschwerpunkts unserer Uni -ein Fach wie die Slawistik gestrichen wird, sindPersonalaufstockungen nicht zu erwarten.Allerdings würde ich mir hier auch eine enge-re Zusammenarbeit mit dem Bildungsministe-rium wünschen, etwa in Form einer Lehrer-abordnung. Die Studierenden und der Lehr-stuhl würden sich sehr über einen Dozentenbzw. Kollegen freuen, mit dessen Hilfe die uni-versitäre Ausbildung und die Schulpraxis nochenger aufeinander bezogen würden, als in

dem Maße, in dem uns das uns im Momentgelingt.

Ich möchte allerdings unsere Leistungenauch nicht schlechtreden. Wir bekommen vielpositives Feedback von unseren Studierendenund es gibt ein immer größeres Interesse z.B.an Themen für Staatsexamensarbeiten, dieFachwissenschaft im Bereich von MINT, MINT-Fachdidaktik und Aspekte der Sprachförde-rung miteinander verbinden. Bei unserenStudenten ist das Konzept des sprachsensi-blen Fachunterrichts wirklich schon angekom-

men. Und wenn ich an die Abschlussarbeitenvon den Studierenden des Primarstufen-Lehramts denke, die ich in letzter Zeit gelesenhabe und die oft so hervorragend wissen-schaftlich fundiert und gleichzeitig so kreativbei der Entwicklung von Fördermaterialwaren, macht mich das sehr froh und optimis-tisch. n

Das Interview führte Matthias Römer

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THEMA: DaF/DaZ

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und bei der sprachlichen Anwendung desneuen Sachfachwissens und sorgt nichtzuletzt dafür, die Erweiterung der fremd-sprachlichen Kompetenzen in der deutschenSprache voranzutreiben. In wissenschaftli-chen Studien (z.B. durch die DESI-Studie derKMK am Beispiel der Fremdsprache Englisch)konnte nachgewiesen werden, dass das inte-grierte Lernen von Sprache und Fach signifi-kant zur Stärkung der Fremdsprachenkennt-

nisse beiträgt (vgl. KLIEME 2006, S. 8).Gleichzeitig profitieren aber genausodeutschsprachige Schülerinnen und Schülervon diesem Ansatz, da sie ebenfalls an denUmgang mit Bildungs- und Fachsprache suk-zessive herangeführt werden müssen.

In den letzten Monaten haben auch dieSchulbuchverlage auf die zunehmende sprach-liche Heterogenität in den Schulen reagiert

und Materialien für einen sprachsensiblenFachunterricht entwickelt. Die im Cornelsen-Verlag erscheinende Reihe „Prima ankommenim Fachunterricht“ bietet z.B. Material für dieFächer Deutsch, Mathematik sowie Gesell-schaftswissenschaften (Geschichte, Erdkun-de, Politik) und Naturwissenschaften (Biolo-gie, Physik, Chemie) aller Klassenstufen von 5-10. Alle Schulen des Saarlandes wurdenaußerdem als Akuthilfe des Ministeriums fürBildung und Kultur über das LPM in Zusam-menarbeit mit dem Beratungszentrum DaZmit „Sprachförderboxen“ mit vielfältigemMaterial ausgestattet. Besondere Erwähnungverdient darüber hinaus das Material, wel-ches von der Arbeitsgruppe „GW-Unterrichtdifferenziert und sprachsensibel“ (GUDiS) imAuftrag des Ministeriums erstellt wurde. DieHandreichungen zu unterschiedlichen The-men des GW-Lehrplans an Gemeinschafts-schulen stehen zum kostenlosen Download imInternet zur Verfügung: https://www.saar-land.de/209628.htm. Wünschenswert wärees, wenn sich ähnliche Arbeitsgruppen in denweiteren Fächern bilden würden. Dennzusammenfassend kann man festhalten:„Sprache ist in der Schule konstitutiv für dasLehren und Lernen in jedem Fach, das gilt fürden Physikunterricht ebenso wie für denGeschichts- oder Biologieunterricht. Inhaltewerden primär über Sprache vermittelt undmittels Sprache gelernt. Ohne Sprache istWissenserwerb im Fachunterricht nicht mög-lich - Sprache ist ein zentrales Medium desLernens in jedem Fach.“ (SCHMÖLZER-EIBIN-GER 2013, S. 25). n

Daniel BerghoffLiteratur:KLIEME, E. (2006): Zusammenfassung zentralerErgebnisse der DESI-Studie. Frankfurt am Main. Onlineunter: http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentli-chungen_beschluesse/2006/2006_03_01-DESI-Ausgewaehlte-Ergebnisse.pdf (Zuletzt geprüft am10.10.2017).LEISEN, J. (Hrsg.)(1994): Handbuch des deutschsprachi-gen Fachunterrichts (DFU). Didaktik, Methodik undUnterrichtshilfen für alle Sachfächer im DFU und fach-sprachliche Kommunikation in Fächern wie Physik,Mathematik, Chemie, Biologie, Geographie,Wirtschafts-/Sozialkunde. Bonn.SCHMÖLZER-EIBINGER, S. (2013): Sprache als Mediumdes Lernens im Fach. In: BECKER-MROTZEK, M. et al.(Hrsg.)(2013): Sprache im Fach. Sprachlichkeit undfachliches Lernen. Münster, S. 25-40. (=Fachdidaktische Forschungen Bd. 3).VOLLMER, H. J. & THÜRMANN, E. (2010): ZurSprachlichkeit des Fachlernens: Modellierung einesReferenzrahmens für Deutsch als Zweitsprache. In:AHRENHOLZ, B. (Hrsg.)(2010): Fachunterricht undDeutsch als Zweitsprache. 2., durchgesehene undaktualisierte Auflage. Tübingen, S. 107-132.

Einige grundlegende Tipps für den Unterricht in sprachlich hetero-genen Lerngruppen

LehrerspracheLangsames, deutliches, artikuliertes Spre-

chen auf Hochdeutsch kann oft schon fürdas Verständnis helfen.

Erklärungen bei Nachfragen möglichstparaphrasieren und Synonyme verwenden.Manchmal ist ein synonymes Wort bekannt,aber das von der Lehrkraft verwendete Wortnoch nicht. Auch Gestik, Mimik bzw. aufGegenstände zeigen kann sehr nützlich sein,denn Körpersprache ist oftmals universalverständlich.

TafelanschriebImmer Druckschrift verwenden! Schreib-

schrift wird von Lernenden, die in einem an-deren Schriftsystem alphabetisiert wurden,als eine grundlegend andere Schrift wahrge-nommen und daher oft nicht verstanden.

AufgabenstellungenDer Nominalstil des Deutschen verursacht

oft Probleme. Hilfreich ist es, eine Auf-gabenstellung zu verbalisieren bzw. zu para-phrasieren. So kann erreicht werden, dassdie Lernenden zunächst einmal verstehen,was zu tun ist. Noch besser: Die Lernendenin eigenen Worten erklären lassen, was zutun ist, um das Verständnis abzuprüfen.

Neues (Fach)vokabularNeue Wörter am besten immer nach der

mündlichen Einführung an die Tafel schrei-ben, um so auch die Graphie zu visualisie-ren. Dabei am besten den Artikel (in verkürz-ter Schreibweise) anschreiben und nachMöglichkeit auch den Plural:

-r Stuhl, -``e-e Frau, -en-s Haus, -``er

Feststehende Wendungen (Substantiveder Fachsprache mit dem dazugehörendenVerb) gemeinsam einführen (z.B. „eine Kraftwirkt auf...“, „eine Spannung liegt an…“).

Hilfen hinsichtlich Komposita und trenn-baren Verben geben (z.B. ab|nehmen odernach den einzelnen Bestandteilen eines zu-sammengesetzten Substantivs fragen, z.B.Haus|aufgaben|heft)

Wörter werden teilweise falsch erkannt,besonders Komposita, z.B. Blumentopferdeoder Sprungarten, weil ein Teil des Wortes be-kannt zu sein scheint. Dadurch kann das Text-verständnis extrem beeinträchtigt werden.

Als Verständnishilfe können Wortlisten(Glossare) herausgegeben werden, damitneues, für die Unterrichtseinheit wichtigesVokabular vorab gelernt werden kann.

Auch Worthilfen („Wortgeländer“) für diemethodische Arbeit helfen sehr („Das Dia-gramm zeigt…“, „Die Werte nehmen im Zeit-raum von … bis … zu/ab…“).

VokabelhefteDie Lernenden sollten in allen Fächern ein

Vokabelheft führen. Im Fremdsprachen-unterricht dreisprachig (z.B. Englisch,Deutsch, Herkunftssprache).

TextverständnisTexte können mit einfachen Methoden

aus der Fremdsprachendidaktik den Lernen-den zugänglich gemacht werden. Ggf. bietetes sich auch einmal an, Texte sprachlich zuvereinfachen.

Für viele Übungen (Lückentexte, Buchsta-bensalate etc.) gibt es (kostenlose) Software(z.B. Zarb, Mausklick oder online beimGoethe-Institut: http://www.goethe.de/lhr/prj/usg/deindex.htm).

Lernende mit Herkunftssprachen, die vonrechts nach links geschrieben/gelesen wer-den (z.B. Arabisch) haben oft Probleme beimLesen und Schreiben von Diphthongen bzw.Vokalverbindungen (z.B. ei vs. ie). n

Mehrsprachigkeit im KindergartenDie frühen Jahre eignen sich besonders gut

zum Sprachenlernen. Doch in vielen Einrich-tungen lassen die Rahmenbedingungen nochzu wünschen übrig. In allen Teilen der Weltgibt es Kindergärten und Kindertageseinrich-tungen, kurz Kitas, in denen Kinder vor demSchuleintritt Deutsch als zweite oder dritteSprache lernen können. Einige kommen ohne-hin aus deutschen Familien, andere besucheneinen deutschsprachigen Kindergarten, weilsie zum Beispiel später einmal in einemdeutschsprachigen Land studieren sollen.

Von den rund drei Millionen Kindern, die inDeutschland Tageseinrichtungen besuchenund noch nicht zur Schule gehen, sprechenlaut Angaben des Statistischen Bundesamtsrund 550.000, circa 18 Prozent, in ihren Fami-lien vorrangig eine andere Sprache alsDeutsch (Stand: März 2016). In Großstädtenwie Berlin oder Hamburg liegt der Anteil beiknapp 30 Prozent. Gerade hier ist der Bedarffür eine frühe Sprachförderung meist hoch.

Sprachbad oder FörderstundenWissenschaftlich belegt ist inzwischen, dass

das kindliche Gehirn auf eine mehrsprachigeSprachentwicklung eingestellt ist und deshalbeine zweite oder auch dritte Sprache schnellaufnehmen kann. Was Kinder dazu benötigen,sind „sprechende Vorbilder.“ Das sogenannteImmersionsmodell, das auch die Basis für dieArbeit vieler bilingualer Kitas darstellt, wirdhäufig als Königsweg zur Mehrsprachigkeitdargestellt. Bei der Immersion (auf Deutsch:Eintauchen) wird in der Kindertagesstätte diezu erlernende Sprache konsequent im gesam-ten Tagesablauf und für alle Anlässe nebender Muttersprache verwendet. „Die Kindertauchen im Alltag in ein Sprachbad ein: Siebekommen im Optimalfall in beiden Sprachenein qualitativ und quantitativ reichhaltigesSprachangebot, indem die Erwachsen ihreeigenen Handlungen sprachlich begleiten undviel mit den Kindern reden. So lernen sie, ver-schiedene Alltagssituationen sprachlich zu

bewältigen“, erklärt die Germanistikprofesso-rin Petra Gretsch von der PädagogischenHochschule Freiburg. Doch die Anzahl derbilingualen Kitas in Deutschland ist mit rund1.000 (Stand 2014) verschwindend gering,auch wenn sie sich laut Angaben des VereinsFrühe Mehrsprachigkeit an Kitas und Schulen(FMKS e.V.) in den Jahren von 2004 bis 2014verdreifacht hat.

Wenn Kinder in einer herkömmlichen Kitaim Ausland Deutsch als Fremdsprache lernen,passiert das gewöhnlich in zeitlich begrenztenSprachfördereinheiten. Dabei werden sie mitLiedern, Reimen, Erzählungen und kleinenSprachroutinen an die neue Sprache herange-führt. Die Kinder sollen sie reproduzieren undimitieren, um sprachsensibler zu werden undFreude am Sprachenlernen zu entwickeln.

Personal und Materialien sind wichtigSowohl der Immersionsansatz als auch der

klassische Fremdsprachenerwerb in Förder-einheiten gehen davon aus, dass neben derdeutschsprachigen Erzieherin pädagogischesPersonal zur Verfügung steht, das die zweiteSprache beherrscht. Die als „native speaker“eingesetzten Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ter sprechen mit den Kindern in der zweitenSprache, wobei sie auch die Kultur des Landesvermitteln. Während sie beim Immersions-modell immer anwesend sind, kommen siebeim klassischen Fremdsprachenlernen in derRegel nur stundenweise mit den Kindern zu-sammen. Außerdem sollten Materialien wieetwa Kinderbücher in beiden Sprachen vor-handen sein.

Die meisten Einrichtungen in Deutschlandsind nicht auf die Vermittlung von Deutsch alsFremdsprache ausgerichtet. Sie werden abervon vielen Kindern besucht, die Deutsch alsZweitsprache lernen. Anders als in denKonzepten der Immersion oder des frühenFremdsprachenunterrichts vorgesehen, wer-den diese Kinder in ihren Familien- oderHerkunftssprachen institutionell in der Regel

überhaupt nicht gefördert – was auch denZweitspracherwerb erschweren kann.

Sprachförderung digital und spielerischDie persönliche Ansprache lässt sich wohl

auch nicht durch den Computer oder dasSmartphone ersetzen. Dennoch wird die Ver-wendung digitaler Medien zur Sprachför-derung in der Kita diskutiert. Der gemeinnüt-zige Verein Zentrum für kindliche Mehrspra-chigkeit etwa bietet seine LernmaterialienKIKUS (Kinder in Kulturen und Sprachen) auchin digitaler Form an. „Mithilfe der Sprach-Lern-Software lassen sich unsere Bildkartenan die Wand projizieren und sogar anhören,was für größere Lerngruppen – zum Beispielin Flüchtlingsunterkünften – interessant ist“,erklärt Mitarbeiterin Eva Götz. Außerdem seies motivierend, wenn sie am PC oder Laptoparbeiten können. Und die Eltern können mit-lernen. Seit der Veröffentlichung der erstenVersion von KIKUS digital 2012 haben sichbereits über 16.000 Nutzer in über sechzigLändern registriert, berichtet Eva Götz.Mittlerweile ist eine achtsprachige Versionverfügbar.

Germanistik-Professorin Heidi Rösch vonder Pädagogischen Hochschule Karlsruhesetzt bei der Deutschförderung auf eineMischung der Methoden: „Man kann Themenwie den Satzbau oder die Verwendung vonFlexionen auch mit jüngeren Vorschulkindernsystematisch einführen. Das sollte spielerischpassieren. Beim Üben der Präpositionen –etwa „auf“ – könnte man also auf einen Tischklettern. Darüber hinaus sollte man mit denKindern auch Bilderbücher ansehen und zumBeispiel über den Zoobesuch sprechen, alsoimmersiv arbeiten.“ Die Expertin betont zu-dem die Bedeutung von sprachbewusstempädagogischen Personal. „Sie sollten eine ho-he Affinität zu Sprache haben, zum Beispielselbst eine Fremdsprache gelernt und diesauch reflektiert haben.“ Und es gelte, in denKitas sprachintensive Situationen zu schaffen:„Die Erzieherin sollte die Sprache als zentralesKommunikationsmedium nutzen und die Kin-der motivieren, sie aktiv und kreativ zu ge-brauchen.“ Eine gezielte Förderung der Mehr-sprachigkeit bereits im Vorschulalter ist in vie-lerlei Hinsicht wichtig: Sie kann das Selbst-wert- und Zugehörigkeitsgefühl, die Schulleis-tungen, auf lange Sicht auch die Berufs- undZukunftsaussicht verbessern. n

Janna Degener Linguistin, arbeitet als freie Journalistin in KönigsWusterhausen bei Berlin

Lizenz.

Foto: fotolia.de/©Robert Kneschke

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JUGENDHILFE JUGENDHILFE

tungen von Stoffen wie der Rocky HorrorPicture Show.

Brüggemann betont: „Für Aufführungenwerden oft fertige Stücke präsentiert, dielange einstudiert wurden. Es soll perfekt sein,gerade für Eltern, die zuschauen. Das ist einFehler, denn diese Stücke haben mit denJugendlichen nichts zu tun. Bei uns muss keinText auswendig gelernt werden, dass ergibtsich automatisch bei den Proben.“ LenchenHolthuis, pädagogische Mitarbeiterin im WPKTheater, lenkt den Blick auf die besondereLeistung der Jugendlichen: „Nicht alle Schülerkönnen Plattdeutsch. Es ist ganz viel Konzen-tration nötig. Jeder bekommt eine Rolle undsteht am Ende des Schuljahres mit dem Stückauf der Bühne.“

Britta Jandt, Leiterin der zwischen Weserund Leine gelegenen Grundschule Duingen,hat für ihre 4. Klasse eine Bühnenfassung desKinderbuches „Die kleine Hexe“ von OtfriedPreußler geschrieben. Einstudiert hat sie esweitgehend außerhalb des Unterrichts. „Wirhaben in der Vergangenheit in Alfeld selbsteinen Theatertag organisiert und das hatteden Kindern so gut gefallen, dass sie michüberredet haben, dass sie dieses Jahr wiedervor Publikum auftreten und wir für dasFestival ‚Klatschmohn“ ein Stück vorbereiten.Das war schon eine sehr große Motivation“,sagt Jandt. Zu den 16 Schülern, die in Hanno-

ver auf der Bühne standen, gehören dreiKinder mit Behinderungen oder Beeinträch-tigungen und zwei Kinder, die noch nichtlange in Deutschland leben. Jandt: „Das Thea-terspielen erhöht den Zusammenhalt einerGruppe. Es geht mir aber nicht vornehmlichdarum, behinderte und nicht-behinderte Kin-der dadurch näher zusammenzubringen, son-dern es ist für alle gleich wichtig, z.B. voreinem Publikum aufzutreten. Ob man sichdafür begeistern kann, hat nichts damit zutun, ob ein Kind behindert ist oder nicht.“

Jandt hat lange an einer Förderschule eineTheater AG geleitet. „Fitte Grundschulkinderkönnen schneller einen Text auswendig ler-nen, einige haben eine größere Auffassungs-gabe. Aber das sagt noch nichts darüber aus,wie sicher sie sich auf einer Bühne bewegen.Bei Förderschülern wird durch das Spielen dasSelbstbewusstsein gefördert, sie wollen zei-gen: ‚Wir können auch was‘“, sagt Jandt.

Neben dem Sprechtheater werden auf demjährlich stattfindenden Festival KlatschmohnTanzaufführungen, Maskentheater, Schwarz-lichttheater und Musiktheater dargeboten.„Musik spielt bei unseren Theaterstücken einegroße Rolle, einige Schüler stehen dann mitInstrumenten auf der Bühne und liefern diemusikalische Begleitung“, sagt AlexandraBruhns. Die Förderschullehrerin leitet seit vie-len Jahren an ihrer Schule in Wunstorf bei

Hannover eine Theater-AG. Sie spricht davon,dass die Arbeit schwieriger geworden ist -durch die Inklusion, also die zunehmendeBeschulung von behinderten Kindern anGrundschulen, sei die Zahl der Lehrerstundenan Förderschulen gesunken. Bruhns: „Diemeisten Arbeitsgemeinschaften können des-wegen bei uns nicht mehr stattfinden. Unserefreiwillige Theater-AG läuft aber noch weiter,weil das Interesse der Schüler daran so großist.“

Bruhns unterstreicht die Vielseitigkeit desTheaterspielens und die Chancen auch fürdiejenigen mit Sprachproblemen: „Wir ma-chen viele Übungen zur Körpersprache, zurMimik und Gestik. Die Schüler lernen dadurchviel über ihren eigenen Körper und sindbegeistert bei der Sache. So entwickelt sicheine besondere Dynamik, bei der die Älterenden Jüngeren und nicht so Erfahrenen helfen.“Die Jugendlichen im Alter von 14 bis 16 Jahrenbestimmen dabei die Themen, die auf derBühne dargestellt werden sollen wie Mob-bing, Krieg, Flüchtlinge. „Wir hatten auchschon mal eine lesbische Prinzessin. Insge-samt ist das Interesse an klassischen Stoffenwie z.B. Romeo und Julia sehr groß. Dabeihaben die Schüler entschieden, dass es einpositives Ende gibt, weil sie jüngeren Zu-schauern nicht zumuten wollten, dass amEnde jemand auf der Bühne stirbt“, sagtBruhns. n

Joachim GöresFotos: Dieter Kempa

"Die andere Prinzessin", Fröbelschule Wunstorf, Leitung Alexandra Bruhn

Das inklusive Theaterfestival KLATSCHMOHN feiert im kommendenJahr sein 20jähriges Jubiläum. Es findetvom 11. bis 13. Juni 2018 im Kulturzen-trum Pavillon in Hannover statt.

Kooperationspartner des inklusivenTheaterfestivals KLATSCHMOHN: Kulturelle Kinder- und Jugendbildungder Landeshauptstadt Hannover(Projektleitung)Institut für Sonderpädagogik der LeibnizUniversität HannoverFröbelschule WunstorfAlice-Salomon-Schule Hannover,Fachbereich HeilerziehungspflegeKulturzentrum Pavillon

Weitere Informationen: www.projekttheater-klatschmohn.de

Theaterfestival KLATSCHMOHN: „Das macht einfach Spaß“

Von Aschenputtel bis zur Rocky HorrorPicture Show: Kinder und Jugendliche mitBehinderungen spielen an Förderschulenund Grundschulen Theater und gewinnen soan Selbstvertrauen. Ein Bericht zum inklusi-ven Theaterfestival Klatschmohn in Hanno-ver.

Auf der Theaterbühne stehen fünf Stühle,auf denen fünf Jugendliche sitzen. Vor ihnenknien fünf Klassenkameraden, mit Blick insPublikum. Nach und nach stellen sich dieLaienschauspieler dem Publikum in ihrenRollen z.B. als schöner Prinz oder hässlichesMauerblümchen vor - immer wenn sie spre-chen stehen sie auf, so dass ihre bunten Kos-tüme voll zur Wirkung kommen. In der Mittesteht die Hauptperson, gespielt von Jannis: „Ikbin de Aschkegremer“, sagt er voller Über-schwang - und bevor die Zuschauer sich fra-gend anschauen können, springt der vorJannis kniende Übersetzer auf und bringt Lichtins Dunkel: „Ich bin Aschenputtel.“

„Aschkegremer - Ostfriesisch für Anfänger“heißt das Theaterstück, dass die 14 bis 19Jahre alten Schüler der Auricher Förderschulefür körperliche und motorische Entwicklungaufführen. Dabei bringen sie dem Publikumauf dem inklusiven Theaterfestival Klatsch-

mohn in Hannover, das zumeist an Platt-deutsch nicht gewohnt ist, viele neue Wörterund Ausdrücke bei. „Antrekken“ ist das platt-deutsche Wort für „anprobieren“, „bitje later“

heißt „etwas später“, „Bring mi mej danzmon-tur“ bedeutet „Bring mir mein Ballkleid“. Dieunterschiedlich stark behinderten Schülerstellen mit viel Spielwitz ihr schauspieleri-sches Talent unter Beweis, nehmen sich selbstauf den Arm („Ist das Russisch? Die Spracheversteht doch kein Schwein!“) und bringen da-mit die vielen Zuschauer immer wieder zumLachen. Am Ende des rund 20-minütigenStückes gibt es viel Beifall, und die Schauspie-ler sind so begeistert, dass sie dem Publikumzuklatschen. „Ich verkleide mich gerne, kannhier Platt sprechen, das macht einfach Spaß.Ich spiele gerne Theater“, sagt Jannis.

Einstudiert wurde das Stück im Wahl-pflichtfachkurs Theater der Förderschule Au-rich. Ab dem achten Jahrgang haben die dor-tigen Schüler die Wahl zwischen wöchentlichzwei Stunden in Musik, Töpfern, Werken odereben Theater. Bislang kam immer ein WPKTheater zustande - das Interesse der Schülerdaran ist groß, nicht zuletzt, weil in jederUnterrichtsstunde auch gespielt wird. „Ichgebe keinen festen Stoff vor. Die Schülerschreiben gerne Sketche, so entwickelt sichmit der Zeit ein Stück und ihre Ideen fließenmit ein“, sagt Förderschullehrer ManfredBrüggemann. Seit zehn Jahren zeigen seineSchüler in Hannover ihre besonderen Bearbei-

Gruppenfoto "Aschkegremer" Schule am Extumer Weg, Aurich, Leitung: Manfred Brüggemann, Lenchen Holthuis

"Die kleine Hexe", Inklusionsklasse Grundschule Duingen, Leitung Britta Jandt

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BERUFLICHE BILDUNG & WEITERBILDUNG

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sein, dass ihre Schulabschlüsse für die Betrie-be eventuell einen geringeren „Signalwert“besitzen: Gute Schulabschlüsse würden dem-nach bei ihnen weniger als Signal für ein ho-hes zu erwartendes Lern- und Leistungs-potenzial anerkannt werden als bei Jugend-lichen ohne Zuwanderungsgeschichte (Becker2011). Es wäre aber auch möglich, dass fürBetriebe andere als unmittelbar leistungsbe-zogene Aspekte bei der Bewerberauswahlrelevant sind. So könnte die Einschätzung, obJugendliche mit Migrationshintergrund vonder Belegschaft oder den Kunden akzeptiertwürden, ein wichtiges Kriterium sein (Imdorf2015). Was letztlich die tatsächlichen Gründefür die Benachteiligung der Migranten undMigrantinnen bei der Besetzung von Ausbil-dungsstellen sind und inwieweit betrieblicheDiskriminierung hierbei eine Rolle spielt (vgl.z. B. Scherr 2014; Scherr 2015), ist derzeitnoch unklar. Hier besteht weiterhin ein erheb-licher Forschungsbedarf.

Zukünftige HerausforderungenFür die Integration der in den letzten bei-

den Jahren nach Deutschland geflüchtetenjungen Menschen ist es zentral, dass sie –möglichst im Rahmen einer regulären betrieb-lichen Berufs¬ ausbildung – Qualikationenerwerben, die auf dem deutschen Arbeits-markt verwertbar sind. Unter den gemeldetenAusbildungsstellenbewerbern und -bewerbe-rinnen des Jahres 2016 waren sie erst äußerstselten vertreten. Die jungen Gefüchtetenmüssen in der Regel zunächst die deutscheSprache erlernen und oft noch den Erwerbschulischer Qualifikationen nachholen. An-schließend ist es erforderlich, dass Betriebeauch bereit und in der Lage sind, sie auszubil-den. Die Ausbildung von Geflüchteten bedeu-tet für Betriebe eine große Herausforderung.

In den kommenden Jahren bedarf es abernicht nur im Hinblick auf die beruflicheQualifizierung junger geflüchteter Menschen

großer Anstrengungen. Insbesondere müssenauch die Ausbildungsmöglichkeiten im dualenSystem für die große Zahl junger Migrantin-nen und Migranten, die schon in Deutschlandgeboren sind oder bereits längere Zeit hier le-ben, verbessert werden. Vor diesem Hinter-grund erscheint es dringend erforderlich, dassin Betrieben eventuell bestehende Vorbehaltegegenüber jungen Migranten und Migrantin-nen abgebaut und diesen - unabhängig da-von, ob sie der 1., 2. oder 3. Zuwanderungsge-neration angehören - bessere Chancen aufeinen Ausbildungsplatz eröffnet werden. n

Thomas BockFoto: fotolia.de/©Frank Gärtner

Ausbildungsqualität endlich verbessern!DGB-Ausbildungsreport 2017

Über ein Drittel der Auszubildenden leistetregelmäßig Überstunden. Fast genauso vielen(35,4 Prozent) liegt kein betrieblicher Ausbil-

dungsplan vor, eine Überprüfung der Ausbil-dungsinhalte ist ihnen daher nur schwer mög-lich. Mehr als jeder zehnte Azubi (11,5 Pro-zent) übt regelmäßig ausbildungsfremdeTätigkeiten aus. Die Abstimmung zwischenBetrieben und Berufsschulen ist oft schlecht.Das sind einige Ergebnisse des Ausbildungs-reports, den die DGB-Jugend nun zum zwölf-ten Mal in Folge vorstellt.

„Die duale Ausbildung sorgt für die Fach-kräfte von morgen, Probleme bei der Qualitätder Ausbildung bleiben aber ein Dauer-thema“, sagt die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack. Deshalb müsse derGesetzgeber einschreiten: „Die nächste Bun-desregierung muss endlich das Berufsbil-dungsgesetz im Sinne der Auszubildendenreformieren. Jahr für Jahr klagen gerade dieBranchen über Nachwuchssorgen, die für ihreschlechten Ausbildungsbedingungen bekanntsind – da darf die Politik nicht länger weg-schauen. Bund und Länder sollten außerdemeinen Pakt für Berufsschulen schließen, mitdem sie sich verpflichten, die Berufsschulentechnisch zu modernisieren und für die not-wendigen Lehrkräfte zu sorgen.“

Zur Situation auf dem Ausbildungsmarktsagte Hannack: „Die Lage ist nach wie vor an-

gespannt, auch wenn es im letzten Jahr43.000 unbesetzte Ausbildungsstellen gab.Ihnen gegenüber stehen 280.000 junge Men-schen, die im letzten Jahr keinen Ausbil-dungsplatz gefunden haben. InsbesondereHauptschulabsolventen haben es schwer aufdem Ausbildungsmarkt. Die Arbeitgeber müs-sen endlich ihre Bestenauslese beenden. Dieassistierte Ausbildung muss über 2018 hinausbeibehalten und ausgebaut werden.“

Auf die Berufsschulen als diesjährigenSchwerpunkt des Ausbildungsreports gingDGB-Bundesjugendsekretärin Manuela Conteein: „Nur die Hälfte der befragten Auszubil-denden fühlt sich durch den Besuch derBerufsschule gut auf die theoretische Prüfungvorbereitet. Zwar bewerten 58 Prozent diefachliche Qualität der Berufsschule als „sehrgut“ oder „gut“, aber die Abstimmung zwi-schen Betrieb und Berufsschule lässt häufig zuwünschen übrig. Die bessere Verzahnung derbeiden Lernorte muss deshalb im Berufsbil-dungsgesetz festgeschrieben werden.“ Digi-talisierung, Arbeit 4.0 und die gestiegenenAnforderungen an die Auszubildenden erfor-derten jetzt konkrete Maßnahmen, sagteConte. „Wir brauchen einen modernen ge-setzlichen Rahmen und Rechtssicherheit fürAuszubildende, sichere Perspektiven nach der

BERUFLICHE BILDUNG & WEITERBILDUNG

Berufsausbildungschancen jungerMigrant_innen

In ihrem vom Bundesinstitut für Berufsbil-dung (BIBB) jüngst veröffentlichten Beitrag„Ausbildungschancen von Ausbildungsstellen-bewerberinnenn und -bewerbern mit Migra-tionshintergrund“ nimmt die Autorin UrsulaBeicht die Entwicklung der Erfolgsaussichtenjunger Migrant_innen auf dem bundesdeut-schen Berufsausbildungsmarkt in den Blick.Grundlage für ihren Beitrag sind die BA/BIBB-Bewerberbefragungen zwischen 2004 und2016. Was die Chancengerechtigkeit anbe-langt, so kommt die Autorin zu einem sehr er-nüchternden Ergebnis. Hier eine Zusammen-fassung des Beitrags, der im internet unterhttp://dnb.ddb.de abrufbar ist.

Im Zuge der Flüchtlingskrise kam in denletzten beiden Jahren eine hohe Zahl über-wiegend jün-gerer Menschen nach Deutsch-land, von denen viele wahrscheinlich für län-gere Zeit oder auf Dauer bleiben werden(OECD 2017). Zuwanderung fand in Deutsch-land aber auch vorher schon in relativ großemUmfang statt. Eine große Herausforderungbesteht in den kommenden Jahren darin, denjungen Menschen mit einer Zuwanderungs-geschichte ebenso gute Bildungs- und Quali-fizierungschancen zu bieten wie denjenigenohne Migrationshintergrund. Bisher schnei-den allerdings Kinder und Jugendliche ausMigrantenfamilien in der allgemeinbildendenSchule deutlich schlechter ab, der Weg in eineBerufsausbildung ist für sie erheblich schwie-riger und langwieriger, und sie bleiben vielhäufiger ohne einen Berufsabschluss.

Geringere Chancen bei gleicherQualifikation

Wie eine multivariate Analyse für das Jahr2016 ergab, können die schlechteren Einmün-dungschancen der Bewerber_innen mitMigrationshintergrund in duale Ausbildungkeinesfalls allein auf ihre im Schnitt geringe-ren schulischen Qualikationen zurückgeführtwerden. Vielmehr wurde deutlich, dass auchunter Berücksichtigung vieler bedeutenderEinflussfaktoren für sie die Wahrscheinlichkeiteiner erfolgreichen Ausbildungssuche signifi-kant niedriger ist als für die Vergleichsgruppeohne Zuwanderungsgeschichte. Dies bedeu-tet: Selbst unter ansonsten gleichen Voraus-setzungen gelingt es Migranten und Migran-tinnen erheblich seltener in duale Ausbildungeinzumünden als Jugendlichen ohne Migra-tionshintergrund.

Damit bestätigte sich wiederum, was in denvergangenen Jahren viele auf unterschiedli-cher Datenbasis durchgeführte Analysenimmer wieder ergeben haben: Jugendlichemit einer Zuwanderungsgeschichte habenauch unter vergleichbaren Bedingungen weitgrößere Schwierigkeiten beim Übergang inbetriebliche bzw. duale Berufsausbildung alsdiejenigen ohne Migrationshintergrund. Wel-ches die Gründe für diese schlechteren Chan-cen der Migranten und Migrantinnen sind,konnte bisher im Rahmen von BefragungenJugendlicher jedoch nicht geklärt werden.

Mögliche GründeDa nach den bisherigen Studien die

Ursachen für die Chancennachteile der Ju-gendlichen mit Migrationshintergrund wederallein in ihren schulischen Qualifikationen,ihren Such- und Bewerbungsprozessen oderihren Berufsinteressen noch in den Bedin-gungen auf dem Ausbildungsmarkt in ihrerWohnregion liegen, müssen sie noch an ande-rer Stelle gesucht werden. Vieles spricht da-für, dass die Gründe eventuell in den betrieb-lichen Auswahlverfahren bei der Besetzungder Ausbildungsstellen gefunden werden

könnten. So deuten verschiedene Studiendarauf hin, dass es hierbei zu Benachteiligun-gen von Jugendlichen mit Migrationshinter-grund kommt. So ergab beispielsweise eineregionale Betriebsbefragung, dass ein – wennauch nur kleinerer – Teil der Betriebe generellJugendliche ohne Migrationshintergrund be-vorzugte und vor allem muslimische Jugend-liche nicht akzeptieren würde (Scherr/Janz/Müller 2013). Eine andere Studie, in derein umfangreicher schriftlicher Bewerbungs-test bei Ausbildungsbetrieben erfolgte, kamzu dem Ergebnis, dass männliche Bewerbermit türkischem Namen häufiger eine Absageerhielten, seltener zu Vorstellungsgesprächeneingeladen wurden und öfter keinerlei Rück-meldung bekamen als männliche Bewerbermit deutschem Namen; die fiktiven Bewer-bungsschreiben eines Jugendlichen mit gutenschulischen Qualikationen waren dabei – bisauf den Namen – identisch gewesen (Schnei-der/Yemane/Weinmann 2014).

Nach theoretischen Überlegungen könntedie geringere Berücksichtigung von Jugend-lichen mit Migrationshintergrund im betriebli-chen Auswahlverfahren bei der Besetzung derAusbildungsstellen darauf zurückzuführen

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SCHULE

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BERUFLICHE BILDUNG & WEITERBILDUNG

„Bildungsrisiko Armut: Was tut Not?“Herausforderungen und Ansätze für armutssensibles Handeln in frühkindlicher Bildung und Praxis

Wer sich bei der Anmeldung zu dieserVeranstaltung im Rahmen der Reihe AK-THEMA zur Bildungspolitik eine Symbiose auswissenschaftlichem Vortrag und praktischenBeispielen erhoffte, der wurde meinerMeinung nach nicht enttäuscht. Wie imProgramm angekündigt, folgten auf denImpulsvortrag drei thematische Workshops,die das Spektrum von der frühkindlichen Bil-dung bis zur Frage nach der Anschlussfähig-keit Schule-Beruf von Kindern und Jugend-lichen in prekären Lebenssituationen beleuch-teten.

BegrüßungIn seiner Begrüßung dankte Roman Lutz

von der Arbeitskammer zunächst den ver-schiedenen Kooperationspartnern (u.a. demILF, dem LPM, der GEW), begrüßte nebenEugen Roth, dem stellvertretenden Landtags-vorsitzenden und Jürgen Renner, dem bil-dungspolitischen Sprecher der SPD auch dieVertreter_innen der GEW. Schade, dass außerBirgit Jenni, der stellvertretenden Vorsitzen-den der GEW, dann keiner der Genannten fürdie thematischen Workshops Zeit hatte.

Impulsvortrag Der aus Westbevern stammende 30-Jährige

Dr. Fabian van Essen, der heute als Vertre-tungsprofessor für das Fachgebiet „Behin-derung und Inklusion“ an der Hochschule fürGesundheit in Bochum tätig ist, ging imRückgriff auf seine Dissertation aus dem Jahr2013 „Soziale Ungleichheit, Bildung undHabitus“ der Frage nach, in welchem Zusam-menhang diese drei Begriffe stehen. Oderanders formuliert: Warum gibt es den Zusam-menhang zwischen sozialer Herkunft undArmut, der sich auch heute noch darin zeigt,dass von 100 Akademikerkindern 81 in dieSekundarstufe II gelangen (71 von ihnen be-ginnen ein Studium). Von 100 Kindern vonNichtakademikern schaffen es dagegen nur 45in die Sekundarstufe II (24 beginnen ein Stu-dium).

Gleich zu Beginn lud Fabian van Essen seineZuhörerschaft ein, auch während des VortragsFragen zu stellen, wovon dann auch regeGebrauch gemacht wurde. Aber nicht nurdeshalb war es eine Freude, dem Vortrag zu-zuhören. Fabian van Essen erklärte zunächstdie Entstehung sozialer Ungleichheit gemäßder Theorie der Kapitalarten nach PierreBourdieu, dem großen französischen Sozio-logen und Sozialphilosophen. Für diesen istdas kulturelle Kapital (nicht das ökonomische

Kapital, also das, was ein Mensch verdientoder besitzt, und auch nicht das soziale Kapi-tal, also zu welcher Gruppe ein Mensch dazu-gehört) entscheidend bei der Erklärung un-gleicher schulischer Leistungen von Kindernunterschiedlicher sozialer Herkunft. NachBourdieu muss inkorporiertes kulturellesKapital durch Lernen erworben werden,schlägt sich in dem, was wir Bildung nennennieder und zeigt sich für Fabian van Essen inden formalen Bildungsabschlüssen und derErziehung. Diese prägen den Habitus, den einMensch ausbildet, also wie einer/e spricht,tanzt, lacht, was und wie er/sie liest, welcheBekannte und Freunde jemand hat, das allesbeschreibt die eigene Position im sozialenRaum. Der Habitus strukturiert sich durch dieLebensbedingungen, ist also abhängig vomHerkommen, Einkommen und dem Rollenan-spruch einer Person und stellt das sogenannteeinverleibte Orientierungswissen dar. Diesesentsteht durch wiederholte Erfahrungenbezogen auf die Wahrnehmung, das Denkenund das Handeln und entwickelt sich bis zum30. Lebensjahr.

Natürlich, so Fabian van Essen, müssennicht alle Menschen habituell gleich sein, den-noch ist die zentrale Frage, ob eine Gesell-schaft wollen kann, dass der Habitus über dieBildungsmöglichkeiten entscheidet und Bil-dung als Distinktionsgenerator fungiert, wosich die oberen Schichten über Privatschulen,Auslandsaufenthalte und private Universi-täten nach wie vor abgrenzen können.

Jugendlichen immer wieder zu sagen,obwohl es de facto nicht der Fall ist, ‚wenn dudich nur anstrengst, kannst du es schaffen‘,hilft da nicht weiter. Vielmehr sei es immenswichtig, dass Kinder und Jugendliche immerda, wo sie zu Hause kein stabiles Beziehungs-angebot haben, in Kita und Schule ein verläss-liches Angebot erfahren.

Auch auf die Frage, wie Schule zu mehrChancengerechtigkeit verhelfen kann, gehtFabian van Essen in seinem Vortrag ein und erbetont, dass das nicht dadurch geschehe, dassalle die gleiche Aufgabe bekommen. „Wennman Ungleiche gleich behandelt, verstärktman die Ungleichheit“(P. Bourdieu). Es brau-che vielmehr, so Fabian van Essen, eineUnterrichtsgestaltung aus der Perspektive derSchülerinnen und Schüler und vor demHintergrund ihres biographischen Kontextes.Es brauche individuelle (Leistungs-)Rückmel-dungen, da diese für den Lernerfolg wirksa-

mer seien als Ziffernnoten. Und so hat auchdie Frage, wie Schule funktioniert, für Fabianvan Essen ganz viel mit der Vorstellung desjeweiligen politischen Systems zu tun: z.B.:Will ich alles für alle im Gleichschritt? (einge-denk der Tatsache, dass Kinder aus einkom-mensschwachen Familien bis zum Alter vondrei Jahren einen GAP von 30 Millionen Wör-tern haben gegenüber Gleichaltrigen aus ein-kommensstarken Verhältnissen) ; Will ich ander institutionellen Diskriminierung von Schu-le festhalten? Will ich mich einem erweitertenInklusionsbegriff anschließen, der wegführtvon einer Notengebung, die nur der Selektiondient?

Am Schluss seines Vortrags geht Fabian vanEssen noch auf den Zusammenhang zwischender Attestierung eines „Förderbedarfs imFörderschwerpunkt Lernen“ und der sozialenHerkunft dieser Schülerinnen und Schüler ein:80 bis 90% kommen aus einkommensschwa-chen Familien, damit sei diese Schule eineSchule der Armen, der Arbeitslosen undSozialhilfeempfänger. Außerdem sei der Be-griff „Lernbehinderung“ eine soziale Kons-truktion und keine organische Schädigungund zudem das Bildungskapital vielerJugendlicher beim Schulaustritt ausgespro-chen niedrig. Was wiederum konkret bedeu-tet, dass der Zugang zu betrieblichen Ausbil-dungsplätzen für diese Jugendlichen er-schwert und damit Erwerbsmöglichkeiten aufdem ersten Arbeitsmarkt für die meisten blo-ckiert bleiben – damit zementierten sichsoziale Ungleichheiten. Vor dem Hintergrundseiner Dissertation sei die Existenz der För-derschule Lernen mit Blick auf Bildungs-gerechtigkeit und Chancengleichheit nichtlegitimierbar. Damit aber für eben diese Schü-lerinnen und Schüler kein neues Exklusionsri-siko drohe, brauche es eine pädagogisch sinn-voll begleitete und reflektierte Abschaffungdieser Schulform.

Das wird sicher noch ein weiter Weg unddeshalb erscheint es sinnvoll, sich mitMöglichkeiten der Unterstützung auseinanderzu setzen, was im Workshop „SchulischeFörderung von Kindern in schwierigenLebenslagen“, moderiert von Petra Schroeder(LPM), versucht wurde. Drei Impulsgeber ver-schiedener Schulformen stellten die Situation„ihrer“ Kinder vor dem Hintergrund folgenderFragen dar:

n Wie wird in Ihrem Bereich deutlich, dassArmut ein Bildungsrisiko ist?

WENN NIEMAND MEHR ÜBER INHAFTIERTE JOURNALISTEN IN DER TÜRKEI SCHREIBT, SIND DANN ALLE WIEDER FREI?

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Ausbildung und einheitliche Qualitätsstan-dards für die Ausbildung.“

Conte verwies auch auf die mangelhafteAusstattung der Berufsschulen: „Es gibt hiereinen regelrechten Investitionsstau, sowohlwas Gebäude und Lehrmittel, aber auch wasdie personelle Ausstattung betrifft. Auchdarunter leidet letztlich die Qualität derAusbildung. Die Kultusminister müssen end-lich ihre Politik ändern und mehr Geld inves-tieren. Dringend notwendig ist mehr qualifi-ziertes Lehrpersonal und zeitgemäß ausge-stattete Berufsschulen.“

Zwar sind die meisten Auszubildenden(71,9 Prozent) mit ihrer Ausbildung zufrieden– es gibt aber erhebliche Branchenunter-schiede: Mechatroniker, Industriekaufleuteund Industriemechaniker sind über Durch-schnitt zufrieden. Friseurinnen und Friseure,Auszubildende in Teilen des Hotel- und Gast-stättenbereichs und Fachverkäufer des Le-bensmittelhandwerks, bewerten ihre Betriebehingegen mangelhaft. „In diesen Ausbildungs-berufen bleiben in jedem Jahr viele Ausbil-dungsstellen unbesetzt und die Abbruchquo-ten während der Ausbildung sind hoch.Schlechte Ausbildungsqualität bleibt nicht fol-genlos“, sagte Manuela Conte.

An der repräsentativen Befragung habensich 12.191 Auszubildende aus den laut Bun-desinstitut für Berufsbildung 25 häufigstenAusbildungsberufen beteiligt.

Ausbildungsreport 2017: Die wichtigs-ten Ergebnisse im Überblick Auch wenn 71,9 Prozent der Auszubilden-den

ihrer Ausbildung zufrieden sind: n 36,2 Prozent der Auszubildenden müssen regelmäßig Überstunden machen n 4,2 Stunden arbeiten die Auszubildenden, die regelmäßig Überstunden machen müs- sen, durchschnittlich pro Woche mehr n 13,4 Prozent der Auszubildenden bekom- men für ihre Überstunden weder einen Freizeitausgleich noch eine Bezahlung n 11,6 Prozent der Auszubildenden unter 18 Jahren müssen in der Woche mehr als 40 Stunden arbeiten, obwohl das gesetzlich verboten ist. n 35,4 Prozent der Auszubildenden haben keinen betrieblichen Ausbildungsplan obwohl dieser gesetzlich vorgeschrieben ist. n 11,5 Prozent der Auszubildenden müssen „häufig“ oder „immer“ ausbildungsfremde Tätigkeiten ausüben n 10,3 Prozent der Auszubildenden steht ihr_e Ausbilder_in „selten“ oder „nie“ am Ausbildungsplatz zur Verfügung n 10,3 Prozent der Auszubildenden werden „selten“ oder „nie“ von ihrem_ihrer Ausbilder_in betreut n 736 Euro ist die durchschnittliche Ausbildungsvergütung über alle Ausbil- dungsjahre, Berufe und das Geschlecht hinweg (tariflicher Durchschnittswert 854 Euro). In männlich dominierten Berufen liegt die Ausbildungsvergütung mit durch- schnittlich 729 Euro um etwa 17 Prozent über dem der von Frauen bevorzugten Berufen (621 Euro). n 42,6 Prozent der Auszubildenden im letz- ten Ausbildungsjahr wissen noch nicht, ob sie im Anschluss an ihre Ausbildung über-

nommen werden n 24,7 Prozent der Auszubildenden haben „immer“ oder „häufig“ Probleme, sich nach der Ausbildung in der Freizeit zu erholen .

Themenschwerpunkt 2017: Qualitätder Berufsschule n 58 Prozent der Auszubildenden finden die fachliche Qualität des Berufsschulunter- richts „sehr gut“ oder „gut“ n Nur die Hälfte (50,4%) der Auszubildenden fühlt sich durch den Besuch der Berufs- schule gut auf die theoretische Prüfung vorbereitet. n Die Atmosphäre macht´s: 84 % der Auszu- bildenden, die sich „sehr gut“ auf die Abschlussprüfung vorbereitet fühlen, be- werten die Lernatmosphäre in der Berufs- schule „immer“ oder „häufig“ als gut. n Die Abstimmung zwischen Betrieb und Be- rufsschule ist entscheidend: Nach wie vor bewerten nur die Hälfte (49,6%) der Aus-- zubildenden die Abstimmung als „sehr gut“ oder „gut“ mit Auswirkungen auf die Zufriedenheit mit der fachlichen Qualität des Berufsschulunterrichtes und die Vor- bereitung auf die theoretische Prüfung. n Mit 21,5 Auszubildenden im Schnitt pro Klasse ist die durchschnittliche Klassen- größe seit 2012 noch gestiegen.

(red.)Den kompletten Ausbildungsreport gibt es unterwww.dgb.de zum Download.

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GEWERKSCHAFT SCHULE

Am 07.09.2017 trafen sich Ruheständ-ler_innen der GEW Kreisverbände Saar Pfalzund Blies. Nicht ohne Stolz stellte der Vorsit-zende des einladenden Verbandes Saar Pfalzfest, dass dies bereits das 16. Treffen dieserArt sei. Und für gutes Wetter hatte WalterWeber auch gesorgt. Diesmal fanden wir unspünktlich um 9.30 Uhr am Wintringer Hof/Kleinblittersdorf ein.

Hier erwartete uns die Natur- und Land-schaftsführerin Gabi Hoffmann. Sie konnte beiihrer Führung mit einer Menge interessanterDetails über den ökologisch bewirtschaftetenHof aufwarten. Gegründet wurde der Betriebvon einer Initiative aus Eltern und Lehrern alsWerkstatt für Menschen mit Behinderung inTrägerschaft der Lebenshilfe e.V. Obere Saar.Seit 25 Jahren wird nach ökologischen Grund-sätzen Landwirtschaft betrieben. Hier werdendie Pflanzen vom Samenkorn bis zur fertigenFrucht gezüchtet. Besonders interessant wares zu sehen, wie im Gewächshaus Schädlings-bekämpfung ohne Einsatz von Chemie prakti-ziert wird. Dabei erfuhr man so ganz neben-bei, dass beispielsweise Florfliegen über eineVorliebe für die Farbe Rot verfügen. An eini-gen Pflanzen hingen Kästen mit dem myste-riösen Aufdruck: „This is not just a bumblbee“.Wir erfuhren, dass es sich um im Handel er-hältliche Hummelkästen handelt, deren„Bewohner“ zum Bestäuben der Pflanzen ein-gesetzt werden. Dass biologischer Anbaunicht identisch mit Modernitätsferne sein

muss, zeigte der Einsatz von computergesteu-erter Wärmeregulierung im Gewächshaus.

Nicht minder beeindruckende Aspekteergaben sich beim Besuch des BereichesTierhaltung. Das engagierte Plädoyer unsererLandschaftsführerin für den Einsatz sog. Hüh-nermobils (www.hühnermobil.de) war über-zeugend und wird sicherlich unter denTeilnehmern beim nächsten Kauf von Eiernoder Hühnerfleisch seine Wirkung nicht ver-fehlen. Ähnliches gilt auch für die Schweine-zucht auf dem Wintringer Hof. Hier haben diegezüchteten Tiere noch lustige Ringel-schwänzchen, weil sie nicht kupiert sind. Undihre Eckzähne sind auch nicht entfernt; dennSchweine, die über ausreichenden Lebens-raum verfügen sind ihren Artgenossen gegen-über nicht aggressiv und bissig.

Als Nächstes konnten wir die Obstplantagebestaunen und erfuhren u.a., dass hier nichtweniger als 10 Sorten Äpfel angebaut undjährlich 150.000 Liter Apfelsaft produziertwerden.

Von der Obstplantage zur Wintringer Kapel-le waren es nur ein paar Schritte. Mochtenbei der Besichtigung der Landwirtschaft Ge-danken vom friedlichen Landleben aufkom-men, so fühlte man sich beim Betreten derschlichten, sehr würdig restaurierten mittelal-terlichen Prioratskirche, in die Welt der Mystikentführt. Dazu trug der musikalisch umrahm-

te Vortrag des Kulturreferenten des Regional-verbandes Saarbrücken, Peter Michael Lupp,das Seinige bei. So stiftet der KulturOrt Win-tringer Kapelle mit seiner übergroßen Instal-lation eines Weizenhalmes des BildhauersHermann Biglmayr mit Sicherheit nicht nurfromme Pilger auf dem Jakobsweg zum Nach-denken über den Wahn exponentiellenWachstums an.

Dem besinnlichen Abschluss des Vormit-tags folgte dank der Einladung der GEW dasMittagessen im anliegenden Landgasthaus.Danach ließ es sich der GEW Geschäftsführer,Willi Schirra, nicht nehmen, in gewohnt pro-fessioneller Weise über die neuestenEntwicklungen innerhalb der Gewerkschaft zuinformieren. Hiernach führte uns ein kleinerOrtswechsel per PKW nach Gräfinthal, wo unsGEW Mitglied und beliebter Lanschaftsführerim Bliesgau, Sigfried Hess, die Geheimnissedes dortigen Klosters und Gehöftes näherbrachte. Darüber konnte man anschließendim sympathischen Mühlencafé bei hausge-machten Kuchen weiter sinnieren.

Es bleibt ein DANKESCHÖN an Harald Ley,Walter Weber, Helma Wagner und WilliSchirra dafür, dass es immer noch Sinn machtin der GEW organisiert zu sein. n

Armin WalzFoto: Willi Schirra

GEW Ruheständler_innen besuchenden Wintringer Hof

n Welche Unterstützungsangebote gibt esan ihrem System?

n Welche Maßnahmen wären zusätzlichsinnvoll und notwendig?

Für die Bach-Grundschule-Neunkirchenhob Schulleiter Uwe Sander hervor, dass viele„seiner“ Kinder keinen Arbeitsplatz und wenigstrukturgebende Vorbilder zu Hause hätten(viele Kinder stehen morgens alleine auf,haben weder Schulmaterial noch ausreichendEssen dabei; kommen sie nach der Schulenach Hause, ist oft niemand für sie da). Die 80Hortplätze, die der Schule zur Verfügung ste-hen, deckten längst nicht den tatsächlichenBedarf. Es brauche mehr Räume, mehr päda-gogisch ausgebildetes Fachpersonal, Sprach-förderkräfte und fest an der Schule angesie-delte Schulsozialarbeit um einen individuellenLernfortschritt der äußerst heterogenen Schü-lerschaft (mehr als 45% der Kinder habeneinen Migrationshintergrund und/oderFluchterfahrung) zu gewährleisten.

Für die Förderschule am Ludwigsberg inSaarbrücken berichten Irina Boutros-Kriegerund Bettina Kunze von der Stigmatisierung,die den Kindern und Jugendlichen, die dieseSchule besuchen, in der Gesellschaft anhafte.

Mehr als 50% litten unter „sichtbarer Armut“,d.h. sie haben keine witterungsangepassteKleidung und Schuhe, kein Arbeitsmaterial,kein Essen, mangelnde Hygiene (da es zuHause oft keine Waschmaschine gibt) führedazu, dass manche dieser Kinder stinken…

Um diesen Missständen zu begegnen hatdie Schule zwei Projekte ins Leben gerufen:das Frühstücksprojekt soll garantieren, dassalle Kinder und Jugendlichen einmal am Tagein gesundes Essen bekommen. In allenKlassen wird morgens das, was von einerSchülergruppe vorbereitet wird, gemeinsamgegessen; obwohl nicht alle die 2€ dafür auf-bringen können, wird niemand ausgeschlos-sen. Das zweite Projekt, der „Kleiderladen“wird von ca. 15 Schüler_Innen organisiert: guterhaltene Kleidung und Schuhe werden vor-sortiert und zu bestimmten Öffnungszeitenkostenlos an Schülerinnen und Schüler abge-geben. In diesem Zusammenhang sei daraufhingewiesen, dass sich die Schule über guterhaltene (Sport-)Kleidung und (Sport-)Schuhe freut!!!

Für die Gemeinschaftsschule Sulzbachtal inDudweiler berichtet Barbara Roth, seit vielenJahren an dieser Schule als Förderlehrerintätig, dass in fast jeder Klasse ungefähr fünf

Kinder seien, die von Armut betroffen sind.Zentrales Problem kommt hier beim Ausfüllender Anträge auf „Bildung und Teilhabe“ zuTage: viele Eltern dieser Kinder könnten nurunzureichend lesen und schreiben. BarbaraRoth bemängelt, dass in vielen Fällen dieErziehungspartnerschaften, die in der Grund-schule oft gut funktionierten, mit dem Über-gang in die weiterführende Schule abbrechen.Nicht nur deshalb lautet eine ihrer wesentli-chen Forderungen „eine Schule ohne Brüche“,d.h. eine Schule von der Klasse 1 bis 10.

Auch die Ergebnisse aus den anderen bei-den Workshops wurden verschriftet und sol-len den Entscheidungsträgern des MBK undden Schulträgern unterbreitet werden.

Es bleibt zu hoffen, dass dem BildungsrisikoArmut entschlossen entgegengetreten wird.Denn die Herbeiführung annähernd gleicherChancen und Lebensbedingungen. Ist keinsozialitischer Restposten, kein Sozialklimbimund kein Gedöns, sondern demokratischesGebot, wie es Heribert Prantl in seiner Streit-schrift „Wir sind viele“ zu Recht sagt. n

Anna Haßdenteufel

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GEWERKSCHAFT

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GEWERKSCHAFT

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La Dalia/Matagalpa, Nicaragua - hier isteine Kinderarbeitsfreie Zone entstanden, inder durch Aktivitäten der nationalen Bil-dungsgewerkschaft CGTEN -ANDEN in diesemJahr die Begeisterung für Bildung neu gestärktwerden konnte. Seit Sommer 2017 unter-stützt die GEW-Stiftung fair childhood diesesProjekt finanziell.

Die Vorgehensweise83 Lehrkräfte aus 31 Schulen erhielten eine

Fortbildung zu Themen wie Kommunikations-und Verhandlungstechniken, Führungsquali-täten usw. Außerdem hat die Gewerkschaftmanchen Schulen einige Lehrmittel geliefert(Spiele, Geschichtsbücher, Tonbandgeräte)und Schmuckmaterial für die Klassenräume.

„Dank der Fortbildung habe ich gelernt,mich besser mit den Eltern auszutauschen“,unterstreicht Marling Cardenal Averruz,Lehrer an der Primarschule von Slilmalila. „Ichhabe auch begriffen, warum es wichtig ist, dieKlassenumgebung zu verbessern. Mit denMaterialien, die wir bekommen haben, konn-te ich mit den Kindern die Klasse schmücken.Weil wir gelernt haben, Lernspiele einzuset-zen, konnte ich meinen Unterricht verbes-

sern. Und ich konnte mehr Kontakte zu denVerantwortlichen außerhalb der Schule knüp-fen; gemeinsam versuchen wir den Eltern zuhelfen, die uns Hinderungsgründe nennen,ihre Kinder zur Schule zu schicken.“ SeitBeginn des Projekts Anfang 2016 hat keinSchulkind mehr die Schule von Slilmalila ver-lassen.

Nach Abschluss der Fortbildung besuchendie Lehrkräfte die Elternhäuser derjenigenKinder, die kurz vor einem Schulabbruch ste-hen, um für die Wichtigkeit der Bildung zusensibilisieren. Sie protokollieren, wie jederHausbesuch verlief, zum Beispiel: WelchesEngagement für den Schulbesuch zeigten dieEltern? Welche Gründe nannten sie für dieAbwesenheit ihrer Kinder?

In monatlichen Elternversammlungen derSchule erörtern die Lehrkräfte Themen, diemit Kinderarbeit, Bedeutung von Bildung undWerten (Selbstbewusstsein, Gewaltfreiheitusw.) zu tun haben.

„Die Lehrkräfte haben es leichter, die Elternzu überzeugen, einmal wegen unserer Schu-lung der Lehrer_innen, aber auch, weil wir dasProjekt in der Öffentlichkeit der Region sehrbreit bekannt gemacht haben und dieUnterstützung der Autoritäten bekommen.“,bemerkt Bernarda López, die nationale Pro-jekt-Koordinatorin der Gewerkschaft.

„CGTEN-ANDEN hat Spots gegen Kinderarbeitentwickelt, die breit von den lokalen Radio-sendern ausgestrahlt werden. In den Schulenhaben wir Schilder gegen Kinderarbeit aufge-hängt und den Lehrkräften Caps und Taschenmit Aufdrucken für Bildung gegeben. EtlicheLehrkräfte bemühen sich, zumindest zweiHausbesuche pro Woche zu machen, auch beiKindern, die im Unterricht erscheinen. Siehaben begriffen, dass der direkte Kontakt fürdie Schüler_innen wichtig ist und dass dieEltern das Interesse der Lehrkraft für dasWohlbefinden ihrer Kinder wertschätzen.“,ergänzt López.

Pädagogische Gesprächsrunden sor-gen für Verbreitung unter Lehrkräften

Schüler_innen anderer Schulen, an denen

keine Lehrkraft an der Fortbildung teilgenom-men hat, beantragen inzwischen die Auf-nahme an einer Schule des Projekts; sie habenvon angenehmeren Klassenräumen, spieleri-schem Lernen und dem interessanterenUnterrichtsangebot gehört. Um einen Aus-tausch zwischen den von der Gewerkschaftgeschulten Lehrkräften und denen andererSchulen und um eine Verbesserung derUnterrichtsqualität herzustellen, wurdenpädagogische Runden gebildet. Mancherortsdrängte man das Bildungsministerium, Alpha-betisierungszentren für Erwachsene einzu-richten.

Schulleitungen aus der Region La Dalia be-richten, dass Kinder aus der Kinderarbeit zu-rück an die Schulen kommen und die Ab-bruchrate deutlich zurückgeht.

„Eine bessere Lernumgebung und bessererUnterricht machen Schulkinder glücklicher.Die Lehrkräfte, die in das Projekt eingebundensind, fühlen sich besser geschult und sind des-halb begeistert bei der täglichen Arbeit. Siefordern weitere Unterstützungsmodule zumkorrekten Umgang mit neuerem Unterrichts-material ein, deshalb haben wir einige zusätz-liche Kurssitzungen organisiert.“, berichtet dieProjektkoordinatorin der Gewerkschaft. „Fürmeine Gewerkschaft ist dies ein Pilotprojekt.Auf längere Sicht wollen wir gerne weiteresolche Projekte in anderen Regionen Nicara-guas durchführen. Wir haben mehrere Artikelund Videos veröffentlicht, um unter denLehrkräften landesweit die Erfolge diesesProjekts bekannt zu machen.“

Mit der Weiterfinanzierung dieser Arbeitfür die Zeit von Sommer 2017 bis Sommer2019 durch die GEW-Stiftung fair childhoodkann die Gewerkschaft CGTEN-ANDEN nundas Projekt auf die Umgebung von Leon aus-dehnen und hat begonnen, 107 weitereLehrkräfte zu schulen. n

Quelle: Bildungsinternationale

Ein Pilotprojekt macht Schule

Bildung

ist ein

Menschenrecht.

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Eine herausragende Schule stellt ihrenAufbruchprozess und ihre Praxis vor: die Eli-sabeth-Selbert-Schule Hameln (Berufsbilden-de Schule), Hauptpreisträger des DeutschenSchulpreises 2017.

Aus der Laudatio der Jury des DeutschenSchulpreises: „Durch das dichte Geflecht vonFörderung und Fürsorge entwickeln sich ander ESS Schülerbiografien, die an anderenSchulen kaum jemand für möglich hielt…Regelmäßig werden die Schülerinnen undSchüler zum Unterricht befragt. Dabei wollendie Lehrkräfte zum Beispiel wissen, ob eineklare Struktur im Unterricht erkennbar istoder ob sich die Schülerinnen und Schülergerecht beurteilt fühlen. Das Feedback ist frei-willig und anonym… Neben der pädagogi-schen Haltung der Lehrkräfte hat die Schul-preis-Jury vor allem die multiprofessionelleTeamarbeit und die konsequente Schulent-wicklung beeindruckt… Die Klage mancherAusbilder, dass die jungen Leute immer weni-ger leistungsfähig wären, kennt man hiernicht. Denn ihren Schülerinnen und Schülern

gegenüber kommuniziert die Schule hoheErwartungen, die kombiniert mit individuellerFörderung jeden Einzelnen veranlassen, daspersönliche Potential vollständig auszuschöp-fen.“

Eingeladen sind: Kollegien der Schulen im Saarland, Schüle-

rinnen und Schüler, Eltern.

Veranstalter: Stiftung Demokratie Saarland und Landes-

elterninitiative für Bildung in Kooperation mitder Deutschen Schulakademie sowie demLandesinstitut für Pädagogik und Medien so-wie der Landesschüler- und Gesamtlandes-elternvertretung.

Mit dem jährlichen Seminar „Forum Schul-entwicklung - Anstöße und Aufbrüche“ wollendie Veranstalter des Saarländischen Schulprei-ses, die Stiftung Demokratie Saarland und dieLandeselterninitiative für Bildung e.V., inKooperation mit anderen den Austausch unddie Verbreitung vorbildlicher reformorientier-ter Schulpraxis fördern. Orientierungsrahmensind die Qualitätsbereiche des Preises: Quali-tät von Unterricht und Lernen, individuelleFörderung und Umgang mit Vielfalt, Verant-wortung für sich und andere, Schulklima,Schule als lernende Organisation und Leis-

tungen der Schülerinnen und Schüler. ImSeminar präsentiert der Hauptpreisträger desDeutschen Schulpreises 2016 seinen Auf-bruchprozess und seine Praxis. Die Teilneh-merinnen und Teilnehmer werden eingela-den, daraus Vorstellungen für die Schul- undUnterrichtsentwicklung in ihrem Wirkungs-kreis abzuleiten. Das Programm orientiert sichaber in erster Linie an den Schlussfolgerungender Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus denInformationen der Preisträgerschule.

Seminarleitung: Bernhard Strube, Programmleiter des

Saarländischen Schulpreises und Sprecher derLandeselterninitiative für Bildung e.V.

Referentin:Gisela Grimme, Leiterin der Elisabeth-

Selbert-Schule Hameln, Hauptpreisträger desDeutschen Schulpreises 2017

Teilnahme kostenlos. Anmeldung erbetenbei Stiftung Demokratie Saarland, ElenaSteinmetz ([email protected]), oder online unterwww.sdsaar.de. Teilnehmende Lehrerinnenund Lehrer erhalten vom Landesinstitut fürPädagogik und Medien eine Fortbildungs-/Teilnahmebescheinigung. n

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Die radikalisierte Gesellschaft.Von der Logik des Fanatismus

Wir werden immer radikaler und fanati-scher, nicht nur in politisch-gesellschaftlichenFragen, sondern auch in ganz alltäglichen Situ-ationen - so die Beobachtung des Sozialpsy-chologen Ernst-Dieter Lantermann. Er ver-weist dabei auf die quantitative wie qualitati-ve Zunahme extremer Dispositionen undHandlungsmuster bei Sozialfiguren in unsererneoliberalisierten Gesellschaft wie z.B. Frem-denhasser, Hass-Poster, Rassisten, Wutbürger,«erschöpfte Wertnostalgiker«, ängstlicheSicherheitsfanatiker, Islamhasser, militanteNatur- und Tierschützer, aggressive Abtrei-bungsgegner, Fitnessfanatiker, Körper- undSelbstoptimierer, Hardcore-Veganer, Impfgeg-ner und Reiche in Gated Communities. SeitJahrzehnten erforscht Lantermann, wie sichMenschen in unsicheren Situationen verhal-ten. In seinem neuen Band möchte er ein tie-feres Verständnis für die zunehmende Radi-kalisierung und Fanatisierung in unserer Ge-sellschaft vermitteln, das Gemeinsame undzugleich Trennende herausarbeiten und überpersönliche, soziale und gesellschaftliche Hin-tergründe und mögliche Konsequenzen dieserRadikalisierung nachdenken.

Der vorliegende Band gliedert sich in dreiHauptkapitel und in einen kommentiertenAnmerkungsapparat. Im ersten Kapitel (derDrang nach Sicherheit) fasst er den aktuellenForschungsstand der sozialwissenschaftlichen

Disziplinen über die unterschiedlichsten radi-kalen und fanatischen Haltungen in unsererGesellschaft zusammen. In den darauffolgen-den Kapiteln werden fünf «selbstwertdienli-che Radikalisierungsphänomene« exempla-risch aus sozio-psychologischer Sicht be-schrieben und analysiert, deren Hintergründeausgeleuchtet und die persönlichen, sozialenund gesellschaftlichen Folgen gezeigt: Feind-seligkeit und Hass gegenüber Fremden/er-schöpfte Wertnostalgie/Sicherheitsfanatis-mus/optimierte Körper und sinnstiftendeMahlzeit. Diese diversen Phänomene derRadikalisierung und Fanatisierung entwickel-ten sich scheinbar weitgehend parallel,höchst widersprüchlich und unabhängig von-einander.

Doch es gebe - so Lantermann - gemeinsa-me Nenner und Ziele. Will man diese begrei-fen, müsse an einer “entscheidenden Stelledes Seelischen“ ansetzen, an dem grundle-genden Bedürfnis nach Überschaubarkeit,Gewissheit, Kontrollierbarkeit und Sicherheit:“Werden diese Bedürfnisse auf Dauer nichterfüllt, erleben Menschen die Unsicherheitenihrer Lebenssituation als gravierende Bedro-hung ihrer Selbstachtung und ihres Selbst-wertgefühls. Um dieser schmerzlichen Erfah-rung nicht länger ausgesetzt zu sein, schaffensie sich dann ihre eigenen Gewiss- und Sicher-heiten“ (S. 17).

Die Menschen unterschieden sich aber inihrem Bedürfnis nach Sicherheit und in ihrenHandlungsoptionen. Radikalismus und Fana-tismus seien daher - so Lantermann - nichteine zwangsläufige Reaktion auf die Zumu-tungen und Anforderungen der Gesellschaft,sondern eine von vielen Optionen, die aberimmer häufiger gewählt werde. Wie ist esaber dazu gekommen? Die westlichen post-materialistischen, neoliberalen Gesellschaftenhätten mit der Auflösung der traditionellenFormen des sozialen und gesellschaftlichenZusammenhalts eine fortschreitende sozialeDesintegration bewirkt; gleichzeitig ginge dieSchere zwischen Arm und Reich immer weiterauseinander. Dadurch würden weitere ambi-valente Unsicherheiten geschaffen werden.Während nicht wenige Menschen dies alseine Chance und als einen produktiven Zuge-winn an Wahlfreiheit und sozialer Teilhabe er-kannt und ergriffen hätten, befürchteten an-dererseits viele Menschen eine weitere sozia-le Spaltung und eine gesellschaftliche Aus-schließung. Nach den Forschungen des Autors

zusammen mit seinem Kollegen Heinz Budehabe dies fatale Folgen. Wer das Gefühl habe,gesellschaftlich ausgeschlossen zu sein, verlie-re auf Dauer jede Zukunftszuversicht, jedesVertrauen in sich selbst und in seine sozialeUmwelt: “Er erkennt immer weniger den Sinnund die Bedeutung dessen, was er tut undwas und warum um ihn herum geschieht. Erverliert jede Gewissheit über den weiterenGang der Dinge, sodass er nicht mehr weiß,was er eigentlich in der Welt noch ausrichtenkann“ (S. 32/33).

Eine wesentliche Ursache der Unsicher-heitserfahrung sei die prekäre Lebenssitua-tion, die als Gefährdung der Bedürfnisse,Werte und Überzeugungen und als Angriff aufdas Selbstwertgefühl erfahren werde. In unsi-cheren gesellschaftlichen Verhältnissen neig-ten die Menschen dazu, ihre Selbstsicherheitdurch eine «Selbst-Radikalisierung« zu vertei-digen und zurückzuerobern: “AbweichendeMeinungen werden nicht mehr toleriert, eige-ne Überzeugungen für absolut gesetzt. Manwird egozentrisch und empfindet keinerleiEmpathie für andere, die nicht zu einemgehören, man identifiziert sich völlig mit dereigenen Truppe, Mitglieder aus anderenGruppen werden bekämpft. Verhandlungenoder Kompromisse werden strikt abgelehnt,das Heil in der starken Führungspersönlichkeitgesucht. Pluralismus und Multikulturalitätwerden als Bedrohungen empfunden unddaher verächtlich gemacht“ (S. 55/56).

So erkenne der Fremdenhasser, Rassistoder Nationalist dank seiner neu gewonnenenWeltanschauung und klaren Haltung, werFreund und wer Feind sei; der Fitness- undWellnessfanatiker ebenso wie der militanteVeganer finde sein Heil in der Selbstoptimie-rung seines Körpers; allen sei gemeinsam seidie Gewissheit, den anderen Menschen mora-lisch überlegen zu sein. Doch was kann mantun gegen die weitere Ausbreitung dieser Ten-denzen zur Radikalisierung und Fanatisie-rung? Die Motivationspsychologie habe fol-gende Zusammenhänge empirisch belegt:“Ein Zuviel an Unsicherheit beantwortenMenschen mit dem verstärkten Wunsch nachSicherheit, und dies sehenden Auges aufKosten ihrer Bedürfnisse nach Unabhängigkeitund Autonomie. Und umgekehrt…UnsereBedürfnisse, Gefühle und Handlungen entfal-ten sich in diesem Spannungsverhältnis vonSicherheit und Wagnis“ (S. 43).

Seminar

„Forum Schulentwicklung - Anstöße und Aufbrüche“Samstag 18. November 2017, 9 bis ca. 16 Uhr | Politische Akademie derStiftung Demokratie Saarland, Saarbrücken (Europaallee 18)

Page 12: DaF/DaZ - GEW Saarland · DaF und DaZ nicht leicht ziehen. Einwanderer und ihre Kinder lernen Deutsch im alltäglichen Leben, auf der Straße, in Geschäften, im Job, in der Schule

GEBURTSTAGE UND JUBILäEN NOVEMBER 2017

Herzlichen Glück wunsch zum Ge burtstagggggggDie GEW gratuliert allenJubilar_innen, die 50, 55, 60, 65 Jahre oder älter werden.

Liebe Jubilar_innen, wir freuen uns, dass Ihrso lange dabei seid.Die GEW bedankt sich für die langjährige Mitgliedschaft!

Elfriede GottschallPaul SchlickerRudolf WeisangChrista PreiserHerwig SchaumHeide SchneiderUrsula DengelDoris SteidelDetlev GranzHanneliese HilbigVolker WolfKarl Heinz HuppertCornelia Glesner-LiellHansgeorg LorsonMartin MathiasKurt BenderNorbert WalleGuenther KrausReiner BraunWalter KleinMelanie SteinmetzGaby MiethMonika BeckerElke HofmannKlaus GrausKlaus SchwarzRudolf HahnGudrun HinsbergerJoachim FrenzelHelge Troester-IllyJosef BodewigBarbara GerdesUwe HansonMariette LandauPetra BeckerMarietta Becker-DoebritzElke Renkes-LöwenbrückNora RoedelstuertzArmin EmanuelBarbara RothBéatrice ThiryCornell RachBirgit BrittnacherAndrea LouisSusanne Rehse-PaulssenMichael FaustRüdiger FlöhlPatrick Marquitz

93 J.79 J.77 J.76 J.75 J.75 J.74 J.74 J.74 J.73 J.72 J.71 J.70 J.70 J.70 J.69 J.69 J.69 J.69 J.68 J.68 J.68 J.67 J.67 J.67 J.67 J.66 J.66 J.66 J.65 J.65 J.60 J.60 J.60 J.60 J.60 J.60 J.60 J.60 J.60 J.55 J.55 J.55 J.55 J.55 J.50 J.50 J.50 J.

Sigrid BuddeRuth BreuerLothar KieferChrista BarthDorothea Essig-BruchKarin MoroKlaus-Werner SchorrGerd SeibelStefanie BeckerGudrun WelzelUrsula RubyChristel ModrowChristine FuhrmannIlse KuhnenHans-Walter JobBirgit GrannemannSabine MannebachUte Krebs-MuellerChristel ZimmermannWolfgang ScholerVibeke FeitAnnegret SiggelkowWilli KräuterEllen KünekeGabi MirshakkehMaria LeidingerMartina BostDagmar SchererBirgit GessnerHilla HaßdenteufelMonika Becker

37 J.36 J.36 J.35 J.35 J.35 J.35 J.34 J.33 J.33 J.33 J.32 J.31 J.31 J.31 J.30 J.30 J.30 J.29 J.29 J.29 J.28 J.28 J.27 J.27 J.27 J.26 J.26 J.25 J.25 J.25 J.

Christa PreiserHartmut BiehlPeter JungGerd WagnerUrsula BlattElfriede NikodemusKlaus VoelkerSigrid MeiserUlrich SeeligerArmin WalzLutz GerlachVolker WolfBalthasar BraunWolfgang StümperWalter BreiterNorbert KönigHans-Joachim SchmidtWilhelm RussyMichaele JoaDorothee HenschelRainer OsterothGudrun RenneissenKlaus HirtzGustav WolterMarianne DjurakiIrene Thielen-UrmetzerIngrid Ullrich-SchäferHildegard ThielRüdiger F. CwielongHans-Bernd WibbeltWerner KönigAlfons Matheis

55 J.55 J.52 J.50 J.49 J.48 J.48 J.48 J.47 J.46 J.46 J.45 J.45 J.45 J.44 J.44 J.44 J.43 J.42 J.42 J.40 J.40 J.40 J.39 J.39 J.39 J.39 J.38 J.38 J.37 J.37 J.37 J.

SchlusswortDenkzettel

"Ich möchte dieses Land, wie wir es von unseren Vätern ererbt haben. Und so soll es bleiben." Alexander Gauland, AfD | „Ich nicht!“ Harald Ley, GEW

EuWiS 11/2017 | 23

BÜCHER & MEDIEN

EuWiS 11/2017 | 22

Nicht einmal 100 Jahre sind vorbeiDa es doch 1000 hätten werden sollenNach jenem Denkzettel, den die RechtenDem so geschmähten Staat verpasstenAuf die politische Korrektheit pfiffenMit Hassparolen Köder legtenUm niederste Instinkte anzulockenDer rohen Sprache folgte die GewaltUnd sie begannen Anderssein zu jagen Die reine Rasse wollte sich befreienVon Sozis, Kommunisten, Juden, SchwulenDiesen Menschenschund entsorgenUnd bald darauf fegte der Feuersturm 70 Millionen Tote und verbranntes LandDas Land der Dichter und der Denker

Vererbte mir Erinnerungskultur Wo nicht Helden mahnen, sondern HenkerDas Land der Väter, nach dem das braune PackSich heut so brennend heiß zurück sehntDas will ich nicht, ich will die Grenzen nichtNicht die am Boden und nicht die im KopfNicht einmal 100 Jahre sind vorbeiNach denen ich mir heut noch 1000 wünscheIn Frieden und in Freiheit, ohne FurchtFür uns, für unsre Kinder, unsre EnkelDas geht nicht mit der engen StirnNicht mit der Angst vor Neuem, FremdemDas geht nur, wenn wir nie vergessenUnd braunem Anfang, sei er noch so kleinFür alle Zukunft ganz entschieden wehren

Harald Ley

2017 wurden die ersten Abiturprüfungenauf der Basis der bundesweiten Bildungsstan-dards für die Allgemeine Hochschulreifegestellt. Solch weitreichende Innovationen imBildungssystem erfordern entsprechendedidaktische Unterstützung und Fortbildung.So ist es bedauerlich, dass im Falle der Fremd-sprachen erst so spät nach Veröffentlichungder Bildungsstandards im Jahr 2012 entspre-chende Literatur erscheint. Dennoch sinddiese Publikationen auch jetzt noch für alleFremdsprachenlehrer/innen eine willkomme-ne Hilfestellung.

Dabei ist der bei Westermann erschieneneBand Bildungsstandards aktuell: Englisch/Französisch in der Sekundarstufe II Pflichtlek-türe für alle Fort- und Ausbilder_innen, Fach-berater_innen und Fachkoordinator_innen. Erkommt aus dem Institut zur Qualitätsentwick-lung im Bildungssystem (IQB) und vereintnamhafte Autor_innen und Herausgeber_in-nen aus Universität und Praxis.

Die drei Teile des Bandes widmen sich dentheoretischen Grundlagen eines modernenFremdsprachenunterrichts in der Sekundar-stufe II; sie erläutern das Kompetenzstruktur-modell der Bildungsstandards, gehen imDetail auf alle Kompetenzbereiche ein undstellen dar, wie Lernaufgaben in der Sekundar-stufe II umgesetzt und weiterentwickelt sowiefür die Leistungsfeststellung und Diagnoseherangezogen werden können. Im Rahmendieser Kapitel werden viele Begrifflichkeitengeklärt und Fragen wie zum Beispiel auch derStellenwert von Inhalten und Themen imFremdsprachenunterricht diskutiert.

Die theoretischen Ausführungen nehmendabei immer Bezug zu Lernaufgaben, die demBand auf einer DVD beigefügt sind. Diesezwanzig Lernaufgaben sind ein Fundus für allein der Sekundarstufe II Unterrichtenden; inkomplexen Arrangements umfassen sie je-weils mehrere Kompetenzbereiche und zei-gen modellhaft auf wie die Unterrichtspraxisden Anforderungen der Bildungsstandards ge-recht werden kann. Sie decken Kernthemendes Fremdsprachenunterrichts in der Ober-stufe ab und können als editierbare Word-Vorlagen mit zughörigen mp3s, Videodateien,didaktischer Kommentierung und Zusatz-materialien ohne viel Aufwand gewinnbrin-gend im Unterricht eingesetzt werden.

Auch der von Engelbert Thaler veröffent-lichte Band Standardbasierter Englischunter-richt zielt darauf ab, die Umsetzung der Bil-dungsstandards in der Unterrichtspraxis zubegleiten. Zu jedem der 100 Einzelstandardsfindet sich ein illustrierendes Aufgabenbei-spiel, hinzu kommen die Beispiele für Prü-fungsaufgaben aus der Aufgabensammlungdes IQB (https://www.iqb.hu-berlin.de/bista/abi) sowie Unterrichtsszenarien zu den einzel-nen Kompetenzbereichen.

Dieser Band hat eine hohe Alltagstauglich-keit, da er knapp und anschaulich einen gutenÜberblick bietet. Allerdings verbleibt er inVielem an der Oberfläche und den Unter-richtsszenarien fehlt es an Komplexität,Situierung und Adressatenbezug. n

Claudia Bubel

Bernd Tesch, Xenia von Hammerstein, Petra Stanat undHenning Rossa (Hrsg.): Bildungsstandards aktuell:Englisch/Französisch in der Sekundarstufe IIWestermann Verlag 2017, ca. 340 SeitenISBN: 978-3-425-04538-2Preis: 24,95 Euro

Engelbert Thaler: Standardbasierter Englischunterricht– die neuen Abitur-Bildungsstandards in die Praxisumsetzen.Cornelsen Verlag 2016, ca. 140 SeitenISBN: 978-3-589-15008-3Preis: 19,99 Euro

Bildungsstandards moderneFremdsprachen für die Oberstufe

Solange es gelänge, das Verhältnis vonSicherheit und Risiko in einer dynamischenBalance zu halten, seien die Menschen in derRegel widerständig gegen das Ungewisse undUnsichere. Das gibt Hoffnung für gesellschaft-liches Umsteuern. Lantermann zeigt in seinemknappen Resümee auf, wie wir alle miteinan-der umgehen sollten: tolerant, humorvoll undmit großem Vertrauen in unsere aktiveZivilgesellschaft, die größer und stärker sei alsalle radikalisierten Gruppen; er verweist aufdie vorbildlichen Maßnahmen und Initiativender zivilisierten Stadtgesellschaft in Kassel.

Vor allem müsse man aber einen beharrlichenDialog auch mit den Radikalisierten und mitden Fanatikern führen und auf ein tolerantes,aber entschiedenes Verhalten mit Humorbauen: “In der Konfrontation mit Fanatikernhilft es wenig, die eigene moralische Überle-genheit auszuspielen, die unüberbrückbarenDifferenzen zu beschwören und jeden Dialogzu verweigern“ (S. 187/188).

Lantermanns Band gibt einen tiefgreifen-den und erhellenden Einblick in die Hinter-gründe und Ursachen für die zunehmende

Radikalisierung und Fanatisierung in unsererGesellschaft; er ist wegen des klaren und ver-ständlichen Schreibstils und der beispielhaf-ten Argumentation flüssig zu lesen und bietetreichlich Stoff zur weitergehenden Reflexioneines gesellschaftlich brisanten Themas. n

Klaus Ludwig HelfErnst-Dieter Lantermann: Die radikalisierteGesellschaft. Von der Logik des FanatismusKarl Blessing Verlag, München 2016, 224 SeitenISBN: 978-3-89667-577-4Preis: 19,99 Euro

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Gewerkscha�Erziehung und Wissenscha�

Saarland

Gewerkscha� Erziehung und Wissenscha� | Landesverband Saarland | Mainzer Str. 84 | 66121 Saarbrücken | Tel.: 0681/66830‐0 | E‐Mail: info@gew‐saarland.de

Angst ‐ ein ZeitgeistphänomenSymptoma'k und Bedeutung eines populären Gefühls

11. Dezember 2017 | LPM‐Nr.: K4.861‐2678von 14.00 Uhr bis 17.00 Uhr Bildungszentrum der Arbeitskammer, KirkelReferent: Wolfgang Bensel, Dipl. Sozialarbeiter

Die Angst gehört zur menschlichen Existenz. Sie ist von der Evolu)on dem Individuum als sinnvoller Schutzmechanismus gegeben worden.Sie kann aber in ihrer krankha�en Ausprägung auch ein Leben leidvoll überscha*en. Und nicht zuletzt ist Angst ein sozialpsychologischesPhänomen, von dem zu Recht zu sagen ist, es sei kein guter Ratgeber. Die Fortbildung befasst sich mit dieser Bandbreite des PhänomensAngst. In einem einleitenden Vortrag werden zunächst die klinischen Aspekte der Angst, deren Symptoma)k, Diagnose und Therapie dargestellt.Des Weiteren gilt die Aufmerksamkeit der kollek)ven Bedeutung des Gefühls, das uns im Zusammenhang mit der hohen Veränderungsge-schwindigkeit und den vielfäl)gen Herausforderungen unserer Zeit, an vielen Stellen begegnet.Im Anschluss daran ist ausreichend Raum vorgesehen, um über eigene Erfahrungen mit Ängsten gemeinsam ins Gespräch zu kommen. DieTeilnehmenden sind eingeladen, sich persönlich einzubringen und im offenen Austausch mit den anderen nach konstruk)ven Wegen aus derAngst Ausschau zu halten.Teilnehmerzahl ist auf 12 begrenzt!

Anmeldung nur online unter www.lpm.uni‐sb.de

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