Darlehensvertrag Teil II: Darlehensgeber in Insolvenz · Insolvenzrecht II (Vertiefung):...
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Prof. Dr. von Wilmowsky
Insolvenzrecht II: Vertiefung
(Vorlesung)
Darlehensvertrag
Teil II: Darlehensgeber in Insolvenz
Einleitung 3
I. Vor Valutierung (= nicht valutiertes Darlehen) 4
1. Vorzeitige Beendigung des Darlehensverhältnisses (ohne Mitwirkung der
Insolvenzverwaltung) (vor Valutierung) 4
2. Verwertung des Insolvenzvermögens: Die vertraglichen Rechte des insolventen
Darlehensgebers (vor Valutierung) 5
3. Verteilung des Insolvenzvermögens: Die Befriedigung der vertraglichen
Ansprüche des Darlehensnehmers (vor Valutierung) 5 a) Entscheidung der Insolvenzverwaltung, den Zinsanspruch des
Darlehensgebers geltend zu machen 6 b) Entscheidung der Insolvenzverwaltung, den Zinsanspruch des
Darlehensgebers nicht geltend zu machen 6
4. Ergebnisse zur Insolvenz des Darlehensgebers (vor Valutierung) 7
II. Nach Valutierung (= valutiertes Darlehen) 9
1. Vorzeitige Beendigung des Darlehensverhältnisses (ohne Mitwirkung der
Insolvenzverwaltung) (nach Valutierung) 9
2. Verwertung des Insolvenzvermögens: Die vertraglichen Rechte des insolventen
Darlehensgebers (nach Valutierung) 10 a) Rechtslage 10 b) Kein Recht (des Darlehensgebers oder dessen Insolvenzverwaltung), den
Anspruch( des Darlehensgebers) auf Rückzahlung des Darlehensbetrags sofort fällig zu stellen 11
3. Verteilung des Insolvenzvermögens: Die Befriedigung der vertraglichen
Ansprüche des Darlehensnehmers (nach Valutierung) 12
4. Ergebnisse zur Insolvenz des Darlehensgebers (nach Valutierung) 13
Insolvenzrecht II (Vertiefung): Darlehensvertrag, Darlehensgeber in Insolvenz 2
III. Sonderproblem: Abtretung (oder Verpfändung) der Ansprüche des Darlehensgebers
(Rechte an den Ansprüchen des insolventen Darlehensgebers) 15
1. Problemstellung 15 a) Grundsatz: (Unveränderter) Fortbestand von Rechtshandlungen, die der
Darlehensgeber vor der Insolvenz vornahm 15 b) BGH-Rechtsprechung zum Erlöschen der Rechte, die am Vertragsanspruch
der IVP begründet worden waren 16
2. Rechtslage vor Valutierung 17
3. Rechtslage nach Valutierung 18 a) Ausführliche Darlegung, warum die Novationslehre des BGH keine Geltung
beansprucht 19 b) „Gefühlte“ Rechtsunsicherheit 21 c) Gesetzliche Klarstellung 22
Insolvenzrecht II (Vertiefung): Darlehensvertrag, Darlehensgeber in Insolvenz 3
Einleitung
-- drei Regelungsprobleme, wenn der Darlehensgeber in Insolvenz fällt und
über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird:
(1) vorzeitige Beendigung durch den Darlehensnehmer
(2) Verwertung der Ansprüche des insolventen Darlehensgebers
(3) Verteilung von Insolvenzvermögen zur Befriedigung der Ansprüche
des Darlehensnehmers
-- Gesetzlicher Rahmen:
Insolvenz Darlehensgeber: es gilt das allgemeine Insolvenzvertragsrecht
(§ 103 InsO); zwar eine spezielle gesetzliche Regelung (§ 108 Abs. 2 InsO),
die aber funktionslos ist
-- Differenzierung nach dem Erfüllungsstadium, in dem sich der
Darlehensvertrag bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens befand: vor
Valutierung / nach Valutierung
Insolvenzrecht II (Vertiefung): Darlehensvertrag, Darlehensgeber in Insolvenz 4
I. Vor Valutierung (= nicht valutiertes Darlehen)
in diesem Abschnitt (I) betrachtetes Erfüllungsstadium: vor Valutierung
Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens war dem (nunmehr insolventen)
Darlehensnehmer der Darlehensbetrag noch nicht ausgezahlt worden.
1. Vorzeitige Beendigung des Darlehensverhältnisses (ohne Mitwirkung
der Insolvenzverwaltung) (vor Valutierung)
-- Frage: ob das Darlehensverhältnis wegen der Insolvenz des
Darlehensgebers vorzeitig endet oder seitens des Darlehensnehmers ohne
Mitwirkung der Insolvenzverwaltung des Darlehensgebers vorzeitig
beendet werden kann
-- Gesetz: Das gesetzliche Vertragsrecht (insbesondere der § 490 BGB) sieht
keine vorzeitige Beendigung für den Fall der Insolvenz des
Darlehensgebers vor.
-- Vertrag:
Die Parteien könnten ein außerordentliches Kündigungsrecht des
Darlehensnehmers vereinbaren (Vertragsfreiheit).
allerdings: Anfechtbarkeit
-- Nachteil für die Gläubiger des Darlehensgebers: wenn Marktzins
niedriger als Vertragszins
-- vor Valutierung: wesentliches Lösungsinteresse (und damit nicht
anfechtbar), wenn dem Darlehensgeber vor der Kündigung die Möglichkeit
zur Geltendmachung seines Zinsanspruchs (und damit zur Durchführung
des Darlehensvertrags) gegeben wird.
Insolvenzrecht II (Vertiefung): Darlehensvertrag, Darlehensgeber in Insolvenz 5
2. Verwertung des Insolvenzvermögens: Die vertraglichen Rechte des
insolventen Darlehensgebers (vor Valutierung)
-- Frage: Wie sind die Ansprüche, die dem Darlehensgeber aufgrund des
Darlehensvertrags zustehen und die damit zum Insolvenzvermögen
gehören, in dem Insolvenzverfahren (von der Insolvenzverwaltung) zu
verwerten?
-- Die hierfür maßgeblichen Erwägungen hängen von dem
Erfüllungsstadium ab, in dem sich das Darlehensverhältnis bei Eröffnung
des Insolvenzverfahrens befand.
-- in diesem Abschnitt betrachtetes Erfüllungsstadium: vor Valutierung
-- Entscheidungssituation vor Valutierung: Prüfung, ob es sich wirtschaftlich
lohnt, den Zinsanspruch des Darlehensgebers geltend zu machen und
hierzu den Darlehensbetrag vollständig an den Darlehensnehmer
auszuzahlen.
-- Kriterium: Maßgeblich ist die (relative) Höhe des vertraglich vereinbarten
Zinssatzes. Liegt dieser (im Zeitpunkt der Verwertungsentscheidung) über
dem Marktniveau (für die Laufzeit des Vertrags), lohnt sich die
Geltendmachung. Im umgekehrten Fall (Vertragszins niedriger als
Marktzins) ist es wirtschaftlich günstiger, die Darlehenssumme zum
höheren Marktzins an eine andere Person als Darlehen zu vergeben.
3. Verteilung des Insolvenzvermögens: Die Befriedigung der vertraglichen
Ansprüche des Darlehensnehmers (vor Valutierung)
-- Frage: Wie werden die Ansprüche, die der Darlehensnehmer gegenüber
dem insolventen Darlehensgeber besitzt, in dem Insolvenzverfahren (gegen
den Darlehensgeber) befriedigt?
-- Differenzierung nach Erfüllungsstadium
-- in diesem Abschnitt betrachtetes Erfüllungsstadium: vor Valutierung
Insolvenzrecht II (Vertiefung): Darlehensvertrag, Darlehensgeber in Insolvenz 6
-- vor Valutierung: Anspruch des Darlehensnehmers auf Zahlung des
vereinbarten Darlehensbetrags (§ 488 Abs. 1 Satz 1 BGB)
-- Befriedigung: abhängig von der Verwertungsentscheidung der
Insolvenzverwaltung über den Zinsanspruch des Darlehensgebers
a) Entscheidung der Insolvenzverwaltung, den Zinsanspruch des
Darlehensgebers geltend zu machen
-- Geltendmachungsentscheidung: Der Auszahlungsanspruch des
Darlehensnehmers wird vollständig und gegenständlich (aus dem
Insolvenzvermögen) befriedigt. Dafür sorgt die Einrede des § 320 BGB, die
der Darlehensnehmer dem Zinsanspruch des Darlehensgebers
entgegenhalten kann.
-- außerdem: Der Auszahlungsanspruch wird in den Rang einer
Masseforderung erhoben (§ 55 Abs. 1 Ziff. 2 Alt. 1 InsO).
b) Entscheidung der Insolvenzverwaltung, den Zinsanspruch des
Darlehensgebers nicht geltend zu machen
-- Nichtgeltendmachungsentscheidung: Befriedigung des
Auszahlungsanspruchs des Darlehensnehmers nach § 103 Abs. 2 Satz 1
InsO
-- Bedeutung: Der Zinsanspruch des Darlehensgebers sowie der
Rückzahlungsanspruch des Darlehensgebers werden dazu verwendet, den
Wert des Auszahlungsanspruchs des Darlehensnehmers zu befriedigen.
-- Schritt 1: Verrechnung dieser Ansprüche.
Seite des Darlehensgebers: vertraglich vereinbarter Zinsanspruch;
Rückzahlungsanspruch; jeweils Abzinsung (zum Marktzins) auf
Gegenwartswerte
(Diese Abzinsung erfasst den Zeitraum zwischen der
Insolvenzrecht II (Vertiefung): Darlehensvertrag, Darlehensgeber in Insolvenz 7
Verwertungsentscheidung der Insolvenzverwaltung und den zukünftigen
Terminen der Zinszahlungen und der Rückzahlung.)
Seite des Darlehensnehmers: Wert des Auszahlungsanspruchs
Ergebnis der Verrechnung: Unterschied, der zwischen dem Marktzinssatz
(am Tag der Verrechnung) und dem Vertragszinssatz, jeweils bezogen auf
den Darlehensbetrag und die vereinbarte Laufzeit, besteht.
-- Schritt 2: Auf die Differenzforderung des Darlehensnehmers (die sich aus
der Verrechnung der Anspruchswerte ergibt) wird die Insolvenzquote
ausgeschüttet (§ 103 Abs. 2 Satz 1 InsO).
-- anders h.M.: Verständnis des § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO als
Schadensersatzanspruch des Darlehensnehmers
(Obwohl sich die Konzeptionen stark unterscheiden, führen sie in vielen
Fällen zu demselben Ergebnis.)
4. Ergebnisse zur Insolvenz des Darlehensgebers (vor Valutierung)
Die Regelungsprobleme, die sich in der Insolvenz des Darlehensgebers vor
Valutierung stellen, lassen sich wie folgt bewältigen.
(1) Der Darlehensvertrag kann eine Regelung enthalten, der zufolge das
Darlehensverhältnis vorzeitig endet oder vom Darlehensnehmer fristlos
gekündigt werden kann, wenn der Darlehensgeber in Insolvenz fällt. Die
Einwilligung, die der Darlehensgeber hierzu gegeben hat, (und damit die
genannte vertragliche Regelung) kann wegen Schuldnerfehlverhaltens
anfechtbar sein (§§ 133, 132 InsO, § 3 AnfG). Sie wirkt nachteilig für die
Gesamtheit der Gläubiger des Darlehensgebers, wenn bei ihrem Eingreifen der
Marktzinssatz (für die noch ausstehende Laufzeit) unter dem vertraglich
vereinbarten Zinssatz liegt. -- Vor Valutierung ist die Klausel für den
beschriebenen Nachteil aber nur dann verantwortlich, wenn dem Darlehensgeber
(bzw. seiner Insolvenzverwaltung) vor der vorzeitigen Beendigung durch den
Insolvenzrecht II (Vertiefung): Darlehensvertrag, Darlehensgeber in Insolvenz 8
Darlehensnehmer keine Gelegenheit gegeben wird, vollständig zu leisten (d.h.
den Darlehensbetrag auszuzahlen) oder Sicherheit hierfür zu leisten.
(2) Wie der Anspruch des Darlehensgebers auf Zinsen und
Rückzahlungssumme im Insolvenzverfahren am besten verwertet wird, hängt
vom Erfüllungsstadium des Darlehensvertrags ab. Vor Valutierung lohnt sich
die Geltendmachung dieser Ansprüche (gegen vollständige Auszahlung des
Darlehensbetrags) nur dann, wenn der Vertragszins über Marktniveau liegt. Ist
er dagegen niedriger, wird eine ordnungsgemäß tätige Insolvenzverwaltung
entscheiden, diese Ansprüche nicht geltend zu machen.
(3) Für die Frage, wie die noch ausstehenden Ansprüche des
Darlehensnehmers befriedigt werden, kommt es gleichfalls auf das
Erfüllungsstadium an. Vor Valutierung ist die Entscheidung maßgebend, die
über die Verwertung der Darlehensgeberansprüche gefällt wurde. Lautet sie,
Zins- und Rückzahlungsanspruch geltend zu machen, sorgt die Einrede des
Darlehensnehmers aus § 320 BGB dafür, dass der Darlehensnehmeranspruch auf
Auszahlung des Darlehensbetrags vollständig befriedigt wird. Flankierend greift
§ 55 Abs. 1 Ziff. 2 Alt. 1 InsO ein, der dem Auszahlungsanspruch des
Darlehensnehmers Massestatus verleiht. Hat die Insolvenzverwaltung dagegen
entschieden, die Darlehensgeberansprüche nicht geltend zu machen, wird der
Anspruch des Darlehensnehmers auf Auszahlung nach § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO
befriedigt. Danach sind die (nicht geltend gemachten) Zahlungsansprüche des
Darlehensgebers (genauer: ihr Wert) zur wertmäßigen Befriedigung des
Zahlungsanspruchs des Darlehensnehmers zu verwenden. In diese Verrechnung
sind die Gegenwartswerte der Ansprüche einzustellen. Soweit Ansprüche erst in
Zukunft fällig werden, sind sie mit dem Marktzinssatz auf den Gegenwartswert
abzuzinsen. Diese Verrechnung bringt den Unterschied zum Ausdruck, der
zwischen dem Marktzinssatz (der den Wert des Auszahlungsanspruchs des
Darlehensnehmers definiert) und dem Vertragszinssatz (der den Wert der
Zahlungsansprüche des Darlehensgebers bestimmt). Auf die Differenz, die nach
der Verrechnung der Anspruchswerte zugunsten des Darlehensnehmers
verbleibt, wird dann die Insolvenzquote ausgeschüttet. (Anders verfährt die
h.M., die den § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO als eine Anspruchsgrundlage für
Schadensersatz deutet.)
Insolvenzrecht II (Vertiefung): Darlehensvertrag, Darlehensgeber in Insolvenz 9
II. Nach Valutierung (= valutiertes Darlehen)
in diesem Abschnitt (II) betrachtetes Erfüllungsstadium: nach Valutierung
Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens (oder bei Eintritt des sonstigen
Insolvenzereignisses) hatte der Darlehensgeber den Darlehensbetrag
bereits an den Darlehensnehmer gezahlt.
1. Vorzeitige Beendigung des Darlehensverhältnisses (ohne Mitwirkung
der Insolvenzverwaltung) (nach Valutierung)
-- Frage: ob das Darlehensverhältnis wegen der Insolvenz des
Darlehensgebers vorzeitig endet oder seitens des Darlehensnehmers ohne
Mitwirkung der Insolvenzverwaltung des Darlehensgebers vorzeitig
beendet werden kann
-- Gesetz: Das gesetzliche Vertragsrecht (insbesondere der § 490 BGB) sieht
keine vorzeitige Beendigung für den Fall der Insolvenz des
Darlehensgebers vor.
-- Vertrag:
Die Parteien könnten ein außerordentliches Kündigungsrecht des
Darlehensnehmers vereinbaren (Vertragsfreiheit).
allerdings: Anfechtbarkeit
-- Nachteil für die Gläubiger des Darlehensgebers: wenn Marktzins
niedriger als Vertragszins
-- nach Valutierung: immer anfechtbar; kein wesentliches Interesse an
vorzeitiger Beendigung
Insolvenzrecht II (Vertiefung): Darlehensvertrag, Darlehensgeber in Insolvenz 10
2. Verwertung des Insolvenzvermögens: Die vertraglichen Rechte des
insolventen Darlehensgebers (nach Valutierung)
-- Frage: Wie sind die Ansprüche, die dem Darlehensgeber aufgrund des
Darlehensvertrags zustehen und die damit zum Insolvenzvermögen
gehören, in dem Insolvenzverfahren (von der Insolvenzverwaltung) zu
verwerten?
-- Die hierfür maßgeblichen Erwägungen hängen von dem
Erfüllungsstadium ab, in dem sich das Darlehensverhältnis bei Eröffnung
des Insolvenzverfahrens befand.
-- in diesem Abschnitt betrachtetes Erfüllungsstadium: nach Valutierung
a) Rechtslage
-- nach Valutierung: keine Verwertungsfrage
Die Insolvenzverwaltung des Darlehensgebers hat den Zinsanspruch und
den Rückzahlungsanspruch jeweils bei Fälligkeit einzuziehen.
(Anderenfalls machte sie sich gegenüber den Insolvenzgläubigern
schadensersatzpflichtig, § 60 InsO).
Anders als vor Valutierung verursacht die Geltendmachung der
Darlehensgeberansprüche keine Kosten. Ihre Einziehung setzt nicht
voraus, dass noch Leistungen aus dem Insolvenzvermögen an den
Darlehensnehmer erbracht werden.
Es gibt keine Leistung, die der Darlehensnehmer nach Valutierung noch zu
beanspruchen hätte und zu deren Erbringung Vermögen des
Darlehensgebers in Anspruch genommen werden müsste. Das gilt auch
dann, wenn man sich der (verfehlten) Lehrmeinung vom sog.
„Belassungsanspruch“ anschließt. Um diesen „Anspruch“ zu erfüllen,
muss kein Vermögen (des Darlehensgebers) aufgewendet werden. Der
„Belassungsanspruch“ hat zum Inhalt, dass der Darlehensgeber es zu
unterlassen hat, die Rückzahlung vor Fälligkeit einzufordern. Erfüllt wird
Insolvenzrecht II (Vertiefung): Darlehensvertrag, Darlehensgeber in Insolvenz 11
er, indem der Fälligkeitstermin abgewartet wird. Vermögen (des
Darlehensgebers) ist hierzu nicht aufzuwenden.
-- insoweit richtig: Jaeger (Henckel), KO, 9. Aufl., § 17 KO Rn. 12
(„Insolvenzverwalter kann nicht vorzeitig zurückfordern“; § 103 InsO
finde nach Valutierung keine Anwendung), und Münchener Kommentar
zur InsO (Huber), 3. Aufl., Band 2, 2013, § 103 Rn. 69: kein § 103 bei
Valutierung; „der Insolvenzverwalter kann das voll valutierte Darlehen
dem Darlehensnehmer also nicht über die „Erfüllungsablehnung“
entziehen“.
-- Bestätigung dieser Rechtslage durch § 108 Abs. 2 InsO (eingefügt 2007).
b) Kein Recht (des Darlehensgebers oder dessen Insolvenzverwaltung), den
Anspruch( des Darlehensgebers) auf Rückzahlung des Darlehensbetrags
sofort fällig zu stellen
-- bis zur Ergänzung der InsO durch § 108 Abs. 2 InsO im Jahr 2007:
einige Autoren: Die Insolvenzverwaltung habe die Macht, durch die
Entscheidung, den Zinsanspruch nicht geltend zu machen, den Anspruch
auf Rückzahlung des Darlehens sofort fällig zu stellen.
Folge dieser Rechtsansicht: Die Insolvenzverwaltung erlangte ein
„Wahlrecht“. Entweder machte sie den Zinsanspruch geltend; oder sie
erklärte das Darlehensverhältnis für beendet und verlangt sofortige
Rückzahlung des Darlehensbetrags.
-- seit 2007:
Diese Rechtsansicht kann seit 2007 nicht mehr vertreten werden. Indem in
§ 108 Abs. 2 InsO festgestellt wird, dass das valutierte Darlehensverhältnis
(„mit Wirkung für die Masse“) fortbesteht, ist ausgeschlossen, dass das
Darlehensverhältnis durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorzeitig
endet oder durch die Insolvenzverwaltung des Darlehensgebers vorzeitig
beendet werden kann. Die Insolvenzverwaltung kann sich über diese
Festlegung nicht hinwegsetzen. (Die These von der Rechtsmacht der
Insolvenzrecht II (Vertiefung): Darlehensvertrag, Darlehensgeber in Insolvenz 12
Insolvenzverwaltung, den Rückzahlungsanspruch des Darlehensgebers
sofort fällig zu stellen, war bereits vor Einführung des § 108 Abs. 2 InsO
verfehlt. Für eine derartige Rechtsmacht gab es keine Grundlage.)
-- Ergebnis: Über die Beendigung des Darlehensverhältnisses (und damit die
Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs) entscheiden mithin nicht
Maßnahmen der Insolvenzverwaltung, sondern die Regeln des
Vertragsrechts. Das Darlehensverhältnis endet (erst) zu dem Zeitpunkt,
der sich aus dem Darlehensvertrag oder dem BGB-Darlehensvertragsrecht
ergibt.
3. Verteilung des Insolvenzvermögens: Die Befriedigung der vertraglichen
Ansprüche des Darlehensnehmers (nach Valutierung)
-- Frage: Wie werden die Ansprüche, die der Darlehensnehmer gegenüber
dem insolventen Darlehensgeber besitzt, in dem Insolvenzverfahren (gegen
den Darlehensgeber) befriedigt?
-- Differenzierung nach Erfüllungsstadium
-- in diesem Abschnitt betrachtetes Erfüllungsstadium: nach Valutierung
-- nach Valutierung: Es stellt sich keine Verteilungsfrage.
-- Es gibt keine Leistungen mehr, die der Darlehensnehmer vom
Darlehensgeber verlangen könnte und zu deren Erbringung
Insolvenzvermögen in Anspruch genommen werden müsste.
-- sog. „Belassungsanspruch“: Um diesen Anspruch zu erfüllen, ist kein
Vermögen (und damit auch kein Insolvenzvermögen) aufzuwenden. Der
„Belassungsanspruch“ richtet sich auf ein Unterlassen: Der
Darlehensgeber hat es zu unterlassen, seinen Anspruch auf Zahlung der
Rückzahlungssumme vor Fälligkeit gegenüber dem Darlehensnehmer
geltend zu machen. Erfüllt wird dieser Anspruch, indem der
Darlehensgeber (oder seine Insolvenzverwaltung) Rückzahlung nicht vor
Fälligkeit verlangt. Hierzu müssen keine Gegenstände des
Insolvenzrecht II (Vertiefung): Darlehensvertrag, Darlehensgeber in Insolvenz 13
Insolvenzvermögens aufgegeben werden. Der „Belassungsanspruch“
gehört daher nicht zu den Forderungen, die nach § 38 InsO an dem
Insolvenzverfahren teilnehmen und damit durch das Insolvenzverfahren
vollstreckt werden. Der „Belassungsanspruch“ wird somit nicht nach den
Regeln befriedigt, die die InsO (in ihrem Insolvenzvertragsrecht) für die
Ansprüche von Vertragspartnern des Insolvenzschuldners vorsieht. Die
Befriedigung erfolgt vielmehr außerhalb des Insolvenzverfahrens: Vor
Fälligkeit kann der Darlehensgeber den Rückzahlungsanspruch nicht
geltend machen. Um dies durchzusetzen, steht dem Darlehensnehmer die
Einrede der mangelnden Fälligkeit zur Verfügung.
-- keine Änderung dieser Rechtslage durch den 2007 eingeführten Abs. 2 des
§ 108 InsO:
Der sog. „Belassungsanspruch“ kann keine Masseforderung (im Sinn des
§ 53 InsO) sein. Dazu können nur Forderungen gehören, die zu befriedigen
die Aufwendung von Insolvenzvermögen („Masse“) erfordert. Daran fehlt
es beim „Belassungsanspruch“ – wenn man diese Rechtsfigur trotz ihrer
Funktionslosigkeit überhaupt verwenden möchte.
4. Ergebnisse zur Insolvenz des Darlehensgebers (nach Valutierung)
Die Regelungsprobleme, die sich in der Insolvenz des Darlehensgebers nach
Valutierung stellen, lassen sich wie folgt bewältigen.
(1) Der Darlehensvertrag kann eine Regelung enthalten, der zufolge das
Darlehensverhältnis vorzeitig endet oder vom Darlehensnehmer fristlos
gekündigt werden kann, wenn der Darlehensgeber in Insolvenz fällt. Die
Einwilligung, die der Darlehensgeber hierzu gegeben hat, (und damit die
genannte vertragliche Regelung) kann wegen Schuldnerfehlverhaltens
anfechtbar sein (§§ 133, 132 InsO, § 3 AnfG). Sie wirkt nachteilig für die
Gesamtheit der Gläubiger des Darlehensgebers, wenn bei ihrem Eingreifen der
Marktzinssatz (für die noch ausstehende Laufzeit) unter dem vertraglich
vereinbarten Zinssatz liegt. -- Nach Valutierung (d.h. nach Auszahlung des
Insolvenzrecht II (Vertiefung): Darlehensvertrag, Darlehensgeber in Insolvenz 14
Darlehensbetrags) ist die Klausel für den beschriebenen Nachteil immer
verantwortlich; sie ist daher der Anfechtbarkeit nach § 133 InsO ausgesetzt.
(2) Wie der Anspruch des Darlehensgebers auf Zinsen und
Rückzahlungssumme im Insolvenzverfahren am besten verwertet wird, hängt
vom Erfüllungsstadium des Darlehensvertrags ab. Nach Valutierung sind die
Zahlungsansprüche des Darlehensgebers immer geltend zu machen. Für deren
Fälligkeit sind, wie auch außerhalb der Insolvenz, die Regeln des Vertragsrechts
maßgebend. Dass sich der Darlehensgeber im Insolvenzverfahren befindet, lässt
seine Ansprüche nicht vorzeitig fällig werden. Die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens begründet kein Recht der Insolvenzverwaltung, vorzeitige
Zahlung (der Zinsen oder der Rückzahlungssumme) zu verlangen.
(3) Für die Frage, wie die noch ausstehenden Ansprüche des
Darlehensnehmers befriedigt werden, kommt es gleichfalls auf das
Erfüllungsstadium an. Nach Valutierung ist nichts an den Darlehensnehmer zu
verteilen. Ihm stehen aus dem Darlehensverhältnis keine Ansprüche mehr zu, zu
deren Befriedigung (Insolvenz-) Vermögen aufzuwenden wäre. (Das gilt auch
für den von einigen Autoren vertretenen „Belassungsanspruch“ des
Darlehensnehmers. Um diesem nachzukommen, wird kein (Insolvenz-)
Vermögen benötigt.)
Insolvenzrecht II (Vertiefung): Darlehensvertrag, Darlehensgeber in Insolvenz 15
III. Sonderproblem: Abtretung (oder Verpfändung) der Ansprüche des
Darlehensgebers (Rechte an den Ansprüchen des insolventen
Darlehensgebers)
Sachverhalt: Abtretung (oder Verpfändung) der Zins- und
Rückzahlungsansprüche vor Insolvenz des Darlehensgebers
Bevor der Darlehensgeber insolvent (und gegen ihn das
Insolvenzverfahren eröffnet) wurde, hatte er seine Ansprüche aus dem
Darlehensvertrag (auf Zahlung der Zinsen und Rückzahlung des
Darlehensbetrags) an einen Neugläubiger abgetreten.
Frage: Kann die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Darlehensgeber
dazu führen, dass die Abtretungen der Ansprüche aus dem Darlehensvertrag
nunmehr unwirksam sind?
1. Problemstellung
a) Grundsatz: (Unveränderter) Fortbestand von Rechtshandlungen, die
der Darlehensgeber vor der Insolvenz vornahm
-- Da die Abtretungen der Darlehensforderungen zeitlich vor dem
Insolvenzfall erfolgten, steht ihre Wirksamkeit außer Frage: Der
Darlehensgeber war verfügungsbefugt. Für eine insolvenzrechtliche
Anfechtbarkeit gibt es gleichfalls keine Gründe.
-- In den letzten einhundert und mehr Jahren bestanden mithin keinerlei
Zweifel an der Wirksamkeit dieser Abtretungen.
-- Dass die Abtretungen durch das Insolvenzverfahren gegen den
Darlehensgeber ihre Wirkung verlieren, ist nur vorstellbar, wenn hier eine
Rechtsregel, die der BGH zum Insolvenzvertragsrecht aufgestellt hat, zur
Anwendung käme.
Insolvenzrecht II (Vertiefung): Darlehensvertrag, Darlehensgeber in Insolvenz 16
-- Nach dieser Rechtsregel können Rechte, die der Insolvenzschuldner vor
dem Insolvenzverfahren an ihm zustehenden Ansprüchen aus Verträgen
begründet hatte, durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlöschen.
Da diese Rechtsprechung ausdrücklich auch zu Sicherungsabtretungen
entwickelt wurde, ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass sie auch
Abtretungen ohne Sicherungsfunktion erfasst. Dies hätte zur Folge, dass
die Abtretungen, die der Darlehensgeber vor seiner Insolvenz
vorgenommen hatte, im Insolvenzverfahren unwirksam würden.
b) BGH-Rechtsprechung zum Erlöschen der Rechte, die am
Vertragsanspruch der IVP begründet worden waren
-- Rechtsregel des BGH: Für Verträge, die sich in dem Erfüllungsstadium
befinden, an das der § 103 InsO anknüpft (beiderseits noch nicht
vollständig erfüllter Vertrag), hat der BGH folgende Rechtsregel entwickelt,
die er seit 1988 praktiziert: Wenn die Insolvenzverwaltung entscheidet,
den Vertragsanspruch ihres Insolvenzschuldners beim Vertragspartner
geltend zu machen und zu diesem Zweck die dem Vertragspartner noch
zustehende Leistung vollständig zu erbringen (aus dem
Insolvenzvermögen), ändere der Vertragsanspruch des Insolvenzschuldner
seine rechtliche Qualität: Es finde eine Novation statt. Der von der
Insolvenzverwaltung geltend gemachte Anspruch sei nicht identisch mit
dem bisherigen Vertragsanspruch des Insolvenzschuldners; vielmehr
handele es sich um einen neuen Anspruch.1
-- Wirkung der BGH-Rechtsregel: Die vom BGH postulierte Novation
bewirkt, dass die Rechte, die an dem ursprünglichen Vertragsanspruch des
Insolvenzschuldners bestanden haben mögen, an dem nunmehr geltend
1 Die drei Leitentscheidungen sind: BGH, 11.2.1988, IX ZR 36/87, BGHZ 103, 250 (254),
BGH, 20.12.1988, IX ZR 50/88, BGHZ 106, 236 (241-245), und BGH, 21.11.1991, IX ZR
290/90, BGHZ 116, 156 (158). Eine Modifizierung erfolgte 2002, als der BGH
„klarstellte“, dass zwar eine Novation erfolge, ohne dass jedoch der ursprüngliche
Vertragsanspruch erlösche („Qualitätsänderungstheorie“). BGH, 25.4.2002, IX ZR
313/99, BGHZ 150, 354.
Insolvenzrecht II (Vertiefung): Darlehensvertrag, Darlehensgeber in Insolvenz 17
gemachten, neuen Vertragsanspruch des Insolvenzschuldners nicht
fortbestehen. Deutlich wird dies bei der Abtretung. Hatte der
Insolvenzschuldner seinen Vertragsanspruch vor der Insolvenz an einen
Zessionar abgetreten, so verliert diese Abtretung mit der
Geltendmachungsentscheidung der Insolvenzverwaltung ihre Wirkung.
Die Abtretung des ursprünglichen Vertragsanspruchs geht ins Leere. Der
neue Anspruch, der durch die Geltendmachungsentscheidung (nach der
Rechtsregel des BGH) entsteht, kann von der Abtretung des
Insolvenzschuldners nicht erfasst werden: Für ihn, der ja erst nach
Verfahrenseröffnung durch die Novation geschaffen wurde, hatte der
Insolvenzschuldner keine Verfügungsbefugnis mehr (§ 81 Abs. 1 Satz 1
InsO). Folge: Ansprüche aus einem gegenseitigen Vertrag, die der spätere
Insolvenzschuldner vor seiner Insolvenz wirksam (und anfechtungsfrei)
abgetreten hatte, gehören wieder dem Insolvenzschuldner; es ist, als hätte
die Abtretung gar nicht stattgefunden.
2. Rechtslage vor Valutierung
-- Vor Valutierung ist es denkbar, dass die dargelegte BGH-Rechtsprechung
(zu Rechten am Vertragsanspruch der IVP) Geltung beansprucht.
-- Die dargelegte Rechtsprechung knüpft daran an, dass die
Insolvenzverwaltung entscheidet, den vertraglichen Anspruch des
Insolvenzschuldners geltend zu machen, und dass zu diesem Zweck
Leistungen aus dem Insolvenzvermögen an den Vertragspartner
erbracht werden .
-- Vor Valutierung kann dieser Fall eintreten: Wenn die Insolvenzverwaltung
des Darlehensgebers entscheidet, den Zinsanspruch geltend zu machen,
dann wird zu diesem Zweck der Darlehensbetrag aus dem
Insolvenzvermögen aufgebracht und an den Darlehensnehmer ausgezahlt
werden.
-- Zwar hat der BGH seine These von der Novation zur Sicherungsabtretung
entwickelt. Es ist aber nicht völlig ausgeschlossen, dass er diese These auch
Insolvenzrecht II (Vertiefung): Darlehensvertrag, Darlehensgeber in Insolvenz 18
auf Abtretungen ohne Sicherungsfunktion erstrecken wird. (Allerdings
fehlt der Insolvenzverwaltung bei solchen Abtretungen die Kompetenz,
über die Verwertung der Darlehensgeber-Ansprüche zu entscheiden.)
-- Folge der BGH-Rechtsprechung: Entscheidet die Insolvenzverwaltung, die
Ansprüche des Darlehensgebers gegenüber dem Darlehensnehmer geltend
zu machen und hierzu den Darlehensbetrag an den Darlehensnehmer
auszuzahlen, erfolgt nach dieser Rechtsprechung die Novation: Die
Zinszahlungen des Darlehensnehmers stehen (trotz der Abtretung) allein
dem Darlehensgeber zu.
-- Kritik: Für eine derartige Enteignung des Empfängers der Verfügung (d.h.
des Zessionars oder des Erwerbers des Pfandrechts) gibt es keine
Grundlage. Vorzuziehen ist die Auffassung, dass die Leistungen, die der
Darlehensnehmer als Vertragspartner erbringt, in erster Linie so zu
verteilen sind, dass sie den Aufwand decken, den die Geltendmachung
erforderte und der aus der Auszahlung des Darlehensbetrags bestand. In
diesem Umfang stehen die Leistungen des Darlehensnehmers mithin dem
Insolvenzschuldner (= Darlehensgeber) zu, aus dessen Insolvenzvermögen
der Darlehensbetrag an den Darlehensnehmer ausgezahlt wurde. Was
nach Abzug dieses Aufwands verbleibt – also die Differenz zwischen
Vertragszinsen und Marktzinsen --, gebührt jedoch dem
Verfügungsempfänger (Zessionar oder Erwerber des Pfandrechts).
-- ausführlich: Vorlesungs-Übersicht Allgemeines Insolvenzvertragsrecht:
„Rechte am Vertragsanspruch der IVP“
3. Rechtslage nach Valutierung
-- Nach Valutierung ist es nicht denkbar, dass die dargelegte Novations-
Rechtsprechung zur Anwendung gelangt.
denn: Wenn die Insolvenzverwaltung die abgetretenen oder verpfändeten
Darlehensgeberansprüche beim Darlehensnehmer geltend macht, sind
hierzu keine Leistungen aus dem Insolvenzvermögen an den
Insolvenzrecht II (Vertiefung): Darlehensvertrag, Darlehensgeber in Insolvenz 19
Darlehensnehmer erforderlich. Für dieses Erfüllungsstadium beansprucht
die Novationsthese des BGH keine Geltung.
a) Ausführliche Darlegung, warum die Novationslehre des BGH keine
Geltung beansprucht
-- Die Voraussetzungen, unter denen die dargelegte Rechtsregel des BGH zur
Anwendung kommt, sind nicht gegeben.
-- Die BGH-Rechtsregel setzt voraus, dass die Insolvenzverwaltung trotz der
vorausgegangenen Verfügung über den Vertragsanspruch des
Insolvenzschuldners zur Verwertung befugt ist. Bei Abtretungen ist die
Insolvenzverwaltung nur dann verwertungsbefugt, wenn die Abtretung zu
Sicherungszwecken erfolgte; die Verwertungsbefugnis der
Insolvenzverwaltung ergibt sich dann aus § 166 Abs. 2 InsO. Daran fehlt es
bei Abtretungen ohne Sicherungsfunktion: Wurde die Darlehensforderung
nicht zu dem Zweck abgetreten, Forderungen zu sichern, die dem
Zessionar (Neugläubiger) gegen den Zedenten (Darlehensgeber) zustehen,
besitzt die Insolvenzverwaltung des Darlehensgebers keine
Verwertungsbefugnis.
-- Bei derartigen Abtretungen sind die betroffenen Forderungen vollständig
aus dem Vermögen des Zedenten (Darlehensgebers) ausgeschieden; im
Insolvenzfall erstreckt sich die Verwertungsbefugnis der
Insolvenzverwaltung des Zedenten (Darlehensgebers) nicht auf sie.
-- Die Rechtsregel des BGH kommt allein dort zum Einsatz, wo im Zeitpunkt
der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von beiden Vertragsparteien noch
vertraglich geschuldete Leistungen ausstehen. Daran fehlt es hier. Der
Darlehensgeber hatte mit der Auszahlung des Darlehensbetrags seine
Leistungspflichten aus dem Darlehensvertrag vollständig erfüllt.
-- Allerdings: Teilweise wird im juristischen Schrifttum vertreten, dass ein
Darlehensgeber nicht nur die Auszahlung, sondern auch das fortdauernde
„Belassen“ des Darlehensbetrags als Leistungspflicht aus dem
Darlehensvertrag schulde. Nach dieser Auffassung: Darlehensgeber hat
Insolvenzrecht II (Vertiefung): Darlehensvertrag, Darlehensgeber in Insolvenz 20
noch nicht vollständig erfüllt. Dann – so scheint es – wäre der
Anwendungsbereich der Rechtsregel des BGH eröffnet.
-- Doch auch diese Frage kann hier dahingestellt bleiben. Selbst wenn man –
obwohl das zivilrechtlich nicht sinnvoll wäre – eine „Belassungspflicht“
des Darlehensgebers annähme, fände die Rechtsregel des BGH keine
Anwendung. Das Problem, das die Rechtsregel des BGH zu bewältigen
versucht, liegt in dem Aufwand , der aus dem Insolvenzvermögen
bestritten werden muss, um eine noch ausstehende Leistung des
Insolvenzschuldners zu erbringen und dadurch die Einrede des
Vertragspartners nach § 320 oder § 273 BGB zu überwinden. Wenn die
Insolvenzverwaltung den Vertragsanspruch des Insolvenzschuldners
(erfolgreich) geltend machen will, muss sie diesen Aufwand bestreiten. Mit
der Vernichtung vorausgegangener Verfügungen will der BGH erreichen,
dass dieser Aufwand wirtschaftlich dem Insolvenzvermögen zugute
kommt. Handelt es sich bei der Leistungspflicht, die seitens des
Insolvenzschuldners noch offen steht, um eine „Belassungspflicht“, besteht
dieses Problem gar nicht. Erstens kann die Insolvenzverwaltung des
Darlehensgebers die Rückzahlung des Darlehensbetrags ohnehin erst dann
verlangen, wenn der Rückzahlungsanspruch fällig ist. In diesem Moment
ist dann aber auch die „Belassungspflicht“ des Darlehensgebers vollständig
erfüllt. Folglich steht dem Darlehensnehmer keine hierauf gestützte
Einrede zu, die der Geltendmachung des Rückzahlungsanspruchs im Weg
stehen könnte. Zweitens: Selbst wenn der Darlehensnehmer die Einrede
der noch nicht vollständigen „Belassung“ des Darlehensbetrags besäße,
würde deren Überwindung das Insolvenzvermögen (d.h. das Vermögen
des Darlehensgebers) nicht in Anspruch nehmen. Um die
„Belassungspflicht“ zu erfüllen, sind keine Mittel aus dem
Insolvenzvermögen aufzuwenden. Es handelt sich um eine
Unterlassungspflicht, zu deren Erfüllung kein Vermögen benötigt wird.
Das ist unstreitig.
-- Ergebnis: Das Problem, dass zur Geltendmachung eines vertraglichen
Anspruchs des Insolvenzschuldners Insolvenzvermögen eingesetzt werden
muss (nämlich um die Einrede des Vertragspartners zu überwinden, dass
Insolvenzrecht II (Vertiefung): Darlehensvertrag, Darlehensgeber in Insolvenz 21
eine Leistungspflicht des Insolvenzschuldner noch nicht erfüllt ist), kann
sich beim Darlehensvertrag (in der Insolvenz des Darlehensgebers) nach
Auszahlung des Darlehensbetrags schlicht nicht stellen.
-- Es gibt kein Gerichtsurteil, das dies anders sähe und die BGH-Rechtsregel
zur „Qualitätsänderung und Novation“ vertraglicher Ansprüche des
Insolvenzschuldners auf die Forderung auf Rückzahlung eines valutierten
Darlehens anwendete. Auch das juristische Schrifttum schließt ganz
überwiegend aus, dass die genannte Rechtsregel des BGH auf valutierte
Darlehen Anwendung finden könnte.
b) „Gefühlte“ Rechtsunsicherheit
-- Erstaunlicherweise entwickelten sich Bedenken, dass die Novations-
Rechtsprechung des BGH eines Tages möglicherweise doch Abtretungen
von Rückzahlungsforderungen aus valutierten Darlehen erreichen könnte.
-- Befürchtungen in Bankenkreisen, dass die erwähnte Rechtsregel des BGH
auf (valutierte) Darlehen Anwendung finden und damit der Veräußerung
(Übertragung) von (valutierten) Darlehensforderungen bei Insolvenz des
Darlehensgebers nachträglich die Wirksamkeit entziehen könnte.
-- Rating-Unternehmen: sahen (vor 2007) ein gewisses rechtliches Risiko in
der Abtretung von Darlehensforderungen (wenn hernach der
Darlehensgeber in Insolvenz fällt); dadurch Minderung des Marktwerts
dieser Forderungen; dadurch wiederum wirtschaftliche Belastung von
ABS-Transaktionen (asset backed securities), CDOs (collateralized debt
obligations) und anderen Formen des Handels mit Darlehensforderungen
möglich oder befürchtet
-- hieraus: Druck auf den Gesetzgeber, sicherzustellen, dass die „Novations“-
Rechtsprechung des BGH auf Darlehensverträge nach Valutierung unter
keinen Umständen zur Anwendung gelangen kann
Insolvenzrecht II (Vertiefung): Darlehensvertrag, Darlehensgeber in Insolvenz 22
c) Gesetzliche Klarstellung
Abs. 2 des § 108 InsO (in der Fassung des Gesetzes vom 13.4.2007 zur Änderung
der InsO, in Kraft seit 1.7.2007):
„Ein vom Schuldner als Darlehensgeber eingegangenes
Darlehensverhältnis besteht mit Wirkung für die Masse fort, soweit dem
Darlehensnehmer der geschuldete Gegenstand zur Verfügung gestellt
wurde.“
Kritik:
Regelung ohne Gehalt und ohne Funktion
Sie beruht auf der irrationalen Befürchtung, der BGH könne seine
(verfehlte) Rechtsprechung zur Novation auch auf solche vertraglichen
Ansprüche des Insolvenzschuldners ausdehnen, zu deren Durchsetzung
kein Insolvenzvermögen aufwendet werden muss (wie etwa auf den
Anspruch des insolventen Darlehensgebers auf Rückzahlung des
ausgezahlten Darlehens).
vorläufige Fassung; Änderungen vorbehalten