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1 Das Argument der Unvollkommenheit Reinhard Junker, Rosenbergweg 29, 72270 Baoersbronn (Stand: 13. 9. 2005) Zusammenfassung: Nach Auffassung vieler Biolo- gen weisen zahlreiche Konstruktionen der Lebe- wesen Mängel auf, sogenannte „Design-Fehler“. Daraus resultiert ein „Unvollkommenheits-Argu- ment“: Ein allmächtiger Schöpfer würde keine feh- lerhaften Konstruktionen erschaffen, daher weisen „Design-Fehler“ auf einen evolutionären Ursprung der Lebewesen hin. Im evolutionären Paradigma wären „Design-Feh- ler dagegen zu erwarten. Denn im Verlaufe einer Evolution könnten bereits vorhandene Konstruk- tionen immer nur umgebaut werden, was zu De- sign-Kompromissen und folglich zu Unzulänglich- keiten führen müsse. Das „Unvollkommenheits-Argument“ kann jedoch von drei Seiten her in Frage gestellt werden. Erstens handelt es sich im Kern um ein theologi- sches und nicht um ein naturwissenschaftliches Argument, da es nur auf der Basis bestimmter Gottesvorstellungen formuliert werden kann. Zweitens stellen Argumente gegen Schöpfung nicht notwendigerweise Argumente für Evolution dar. Und drittens sind Unvollkommenheiten kaum em- pirisch nachweisbar, sondern sind evolutionstheo- retisch begründete Vermutungen, deren Plausibili- tät mit der evolutionstheoretischen Voraussetzung steht oder fällt. Auch das Argument der Kanalisierung von Evolu- tionsvorgängen (als eine Voraussetzung für die Herausbildung von „Design-Kompromissen“) ist anfechtbar. Umgekehrt liest Walter J. REMINE aus dem Bau der Lebewesen sog. „Design-Signale“ heraus und ent- wickelt auf dieser Basis eine „message-Theorie“, wonach die Lebewesen eine „Botschaft“ enthiel- ten, die auf einen schöpferischen Urheber verwei- sen. Biologen vertreten häufig die Auffassung, aus zahl- reichen heutigen Konstruktionen der Lebewesen könne auf einen evolutiven Ursprung geschlossen werden. Neben dem Ähnlichkeits-Argument (vgl. JUNKER 2002, Kap. 2 und 3) werden für diese Auffas- sung vor allem Beispiele von Unvollkommenheiten der Natur angeführt. Zum einen wird auf Rudimen- täre Organe (vgl. JUNKER 2002, Kap. 6 und 7) oder auf scheinbar unverständliche ontogenetische Ent- wicklungsabläufe (vgl. JUNKER & SCHERER 2001, Kap. V.10) verwiesen, zum anderen aber auch auf funk- tionell scheinbar nicht erklärbare Ähnlichkeiten bei Lebewesen und auf regelrechte Konstruktionsfeh- ler. Letzteres ist Thema dieses Artikels. Aus dem (vermeintlichen) Vorkommen von Kon- struktionsfehlern wird häufig ein „Argument auf- grund von Unvollkommenheit“ gemacht. Die Struk- tur dieses in verschiedenen Spielarten und Zusam- menhängen vorkommenden Arguments wird im folgenden dargestellt und kritisiert. Darstellung des Arguments Das Unvollkommenheits-Argument findet sich be- reits ausdrücklich bei Charles DARWIN (1859). In den achtziger Jahren wurde es besonders durch Ste- phen J. GOULDs „Der Daumen des Panda“ in die Diskussion gebracht und stark popularisiert. Da der seltsame Panda-Daumen sozusagen als Kronzeuge für die Existenz von Unvollkommenheiten in der Schöpfung herangezogen wird, wird in diesem Zu- sammenhang auch vom „Panda-Prinzip“ gespro- chen. Der Daumen des Pandabären ist deshalb son- derbar, weil er anatomisch gar kein Daumen ist, sondern aus dem radialen Sesambein der Hand gebildet wird (Abb. 1). Dieser zusätzliche Daumen bildet einen sechsten Finger, mit dessen Hilfe die Pandas sehr geschickt Blätter abstreifen können. Warum aber ist der Daumen nicht so konstruiert wie beim Menschen, weshalb ist diese seltsame Konstruktion eines sechsten Fingers verwirklicht? „Die beste Lösung eines Ingenieurs wird von der Geschichte verhindert. ... Der Sesambein-Daumen gewinnt keinen Preis in einem Ingenieurswettbe- werb“, schreibt GOULD (1989, 24). Der ursprüngliche Daumen sei durch die vorlaufende Evolution auf eine andere Rolle verpflichtet, aus der er nicht entlassen werden konnte, so daß ein vergrößerter Handwurzelknochen als Ersatz verwendet werden mußte. Solche scheinbar nur zweitbesten Lösungen und seltsamen Konstruktionen versteht GOULD als un- trüglichen Hinweis auf eine evolutive Entstehung. Die (mutmaßlich) defekten Konstruktionen sind es, die auf Evolution hinweisen, nicht die perfekten, denn Perfektion lasse sich ebensogut mit einem Schöpfungsglauben vereinbaren (GOULD 1989, 39). Unvollkommenes dagegen sei mit einem Schöp- fungsglauben unvereinbar. „Eine ideale Formge- bung und Gestaltung ist ein schlechtes Argument für die Evolution; denn es äfft nur die vorausgesetz- ten Handlungen eines allmächtigen Schöpfers nach. Sonderbare Anordnungen und komische Lösungen sind der Beweis für die Evolution – also Wege, welche ein vernünftiger Schöpfer niemals einge- schlagen hätte, denen aber natürliche Prozesse un- ter dem Zwang der Entwicklungsgeschichte notge- drungen folgen“ (GOULD 1989, 20f.). „We must look

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Das Argument der UnvollkommenheitReinhard Junker, Rosenbergweg 29, 72270 Baoersbronn (Stand: 13. 9. 2005)

Zusammenfassung: Nach Auffassung vieler Biolo-gen weisen zahlreiche Konstruktionen der Lebe-wesen Mängel auf, sogenannte „Design-Fehler“.Daraus resultiert ein „Unvollkommenheits-Argu-ment“: Ein allmächtiger Schöpfer würde keine feh-lerhaften Konstruktionen erschaffen, daher weisen„Design-Fehler“ auf einen evolutionären Ursprungder Lebewesen hin.Im evolutionären Paradigma wären „Design-Feh-ler dagegen zu erwarten. Denn im Verlaufe einerEvolution könnten bereits vorhandene Konstruk-tionen immer nur umgebaut werden, was zu De-sign-Kompromissen und folglich zu Unzulänglich-keiten führen müsse.Das „Unvollkommenheits-Argument“ kann jedochvon drei Seiten her in Frage gestellt werden.Erstens handelt es sich im Kern um ein theologi-sches und nicht um ein naturwissenschaftlichesArgument, da es nur auf der Basis bestimmterGottesvorstellungen formuliert werden kann.Zweitens stellen Argumente gegen Schöpfung nichtnotwendigerweise Argumente für Evolution dar.Und drittens sind Unvollkommenheiten kaum em-pirisch nachweisbar, sondern sind evolutionstheo-retisch begründete Vermutungen, deren Plausibili-tät mit der evolutionstheoretischen Voraussetzungsteht oder fällt.Auch das Argument der Kanalisierung von Evolu-tionsvorgängen (als eine Voraussetzung für dieHerausbildung von „Design-Kompromissen“) istanfechtbar.Umgekehrt liest Walter J. REMINE aus dem Bau derLebewesen sog. „Design-Signale“ heraus und ent-wickelt auf dieser Basis eine „message-Theorie“,wonach die Lebewesen eine „Botschaft“ enthiel-ten, die auf einen schöpferischen Urheber verwei-sen.

Biologen vertreten häufig die Auffassung, aus zahl-reichen heutigen Konstruktionen der Lebewesenkönne auf einen evolutiven Ursprung geschlossenwerden. Neben dem Ähnlichkeits-Argument (vgl.JUNKER 2002, Kap. 2 und 3) werden für diese Auffas-sung vor allem Beispiele von Unvollkommenheitender Natur angeführt. Zum einen wird auf Rudimen-täre Organe (vgl. JUNKER 2002, Kap. 6 und 7) oderauf scheinbar unverständliche ontogenetische Ent-wicklungsabläufe (vgl. JUNKER & SCHERER 2001, Kap.V.10) verwiesen, zum anderen aber auch auf funk-tionell scheinbar nicht erklärbare Ähnlichkeiten beiLebewesen und auf regelrechte Konstruktionsfeh-ler. Letzteres ist Thema dieses Artikels.

Aus dem (vermeintlichen) Vorkommen von Kon-struktionsfehlern wird häufig ein „Argument auf-grund von Unvollkommenheit“ gemacht. Die Struk-tur dieses in verschiedenen Spielarten und Zusam-

menhängen vorkommenden Arguments wird imfolgenden dargestellt und kritisiert.

Darstellung des Arguments

Das Unvollkommenheits-Argument findet sich be-reits ausdrücklich bei Charles DARWIN (1859). In denachtziger Jahren wurde es besonders durch Ste-phen J. GOULDs „Der Daumen des Panda“ in dieDiskussion gebracht und stark popularisiert. Da derseltsame Panda-Daumen sozusagen als Kronzeugefür die Existenz von Unvollkommenheiten in derSchöpfung herangezogen wird, wird in diesem Zu-sammenhang auch vom „Panda-Prinzip“ gespro-chen.

Der Daumen des Pandabären ist deshalb son-derbar, weil er anatomisch gar kein Daumen ist,sondern aus dem radialen Sesambein der Handgebildet wird (Abb. 1). Dieser zusätzliche Daumenbildet einen sechsten Finger, mit dessen Hilfe diePandas sehr geschickt Blätter abstreifen können.Warum aber ist der Daumen nicht so konstruiertwie beim Menschen, weshalb ist diese seltsameKonstruktion eines sechsten Fingers verwirklicht?„Die beste Lösung eines Ingenieurs wird von derGeschichte verhindert. ... Der Sesambein-Daumengewinnt keinen Preis in einem Ingenieurswettbe-werb“, schreibt GOULD (1989, 24). Der ursprünglicheDaumen sei durch die vorlaufende Evolution aufeine andere Rolle verpflichtet, aus der er nichtentlassen werden konnte, so daß ein vergrößerterHandwurzelknochen als Ersatz verwendet werdenmußte.

Solche scheinbar nur zweitbesten Lösungen undseltsamen Konstruktionen versteht GOULD als un-trüglichen Hinweis auf eine evolutive Entstehung.Die (mutmaßlich) defekten Konstruktionen sind es,die auf Evolution hinweisen, nicht die perfekten,denn Perfektion lasse sich ebensogut mit einemSchöpfungsglauben vereinbaren (GOULD 1989, 39).Unvollkommenes dagegen sei mit einem Schöp-fungsglauben unvereinbar. „Eine ideale Formge-bung und Gestaltung ist ein schlechtes Argumentfür die Evolution; denn es äfft nur die vorausgesetz-ten Handlungen eines allmächtigen Schöpfers nach.Sonderbare Anordnungen und komische Lösungensind der Beweis für die Evolution – also Wege,welche ein vernünftiger Schöpfer niemals einge-schlagen hätte, denen aber natürliche Prozesse un-ter dem Zwang der Entwicklungsgeschichte notge-drungen folgen“ (GOULD 1989, 20f.). „We must look

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Abb. 1: DerDaumen des Panda.(Nach GOULD 1989)

for imperfections and oddities, because any perfec-tion on organic design or ecology obliterates thepaths of history and might have been created as wefind it“ (GOULD 1986, 63).

GOULD spricht geradezu von einer „Botschaft“

des Lebens. Über den Organismus schreibt er: „Inseiner Form und in seinem Verhalten verkörpert ereine allgemeine Botschaft, die wir nur lesen lernenmüssen. Die Sprache, in der seine Lektionen abge-faßt sind, ist die der Evolutionstheorie“ (GOULD 1989,9).Diese Argumentation findet sich auch bei zahlrei-chen anderen Biologen. Beispielsweise meint CHER-FAS (1984, 29, zit. in REMINE 1993, 26): „Wenn eskeine Unvollkommenheiten gäbe, gäbe es auchkeine Hinweise auf die Geschichte und folglichnichts, was die Deutung durch Evolution mittelsnatürlicher Selektion gegenüber Schöpfung favori-sieren würde.“ Oder in jüngerer Zeit KULL (1994):„Der Mensch beispielsweise ist keine mechanischoptimale Konstruktion; sein mechanisches Systemin Bindegewebe und Knorpel hat die Aufrichtungnoch nicht bewältigt – die Folgen sind Plattfüße,Hängebauch, Bandscheibenschäden. ... Die voraus-gegangene Evolution macht es in manchen Fällenunmöglich, das eigentliche Optimum zu erreichen.“1

„Darwins Rätsel“. Nicht nur bei unvollkommenerscheinenden Strukturen wird auf diese Weise ar-gumentiert. So schreibt PENZLIN (1994): „Eine Funk-tion ist erst dann richtig verstanden, wenn sie auchals ein im historischen Prozeß der Evolution Ge-wordenes begriffen wird. Wie wäre es sonst ver-ständlich, daß die Wale ihren Sauerstoff aus der Luftbeziehen und nicht, wie die meisten Bewohner desMeeres, mit Hilfe von Kiemen atmen?“ Dieses Ar-gument findet sich bereits ausführlich bei DARWIN;es wird häufig am Beispiel des Extremitätengerüstsder Landwirbeltiere festgemacht (vgl. FUTUYMA 1998,122; Abb. 2). DARWIN (1859, 415) schreibt: „Whatcan be more curious than that the hand of a man,formed for grasping, that of a mole for digging, theleg of a horse, the paddle of the porpoise, and thewing of the bat, should all be constructed on thesame pattern, and should include the same bones,in the same relative positions?“ Es erscheint nichteinsichtig, weshalb trotz verschiedener Funktionender Extremitäten bei den Wirbeltieren derselbe Bau-plan verwirklicht ist.

REMINE (1993, 15) nennt dieses Argument „Dar-wins Rätsel“: Weshalb sollte ein Schöpfer ähnlicheDesigns für verschiedene Zwecke (z. B. Vorderex-tremitäten der Wirbeltiere) und in anderen Fällenverschiedene Designs für denselben Zweck ver-wenden (Analogie, z. B. Vogelflügel, Fledermaus-flügel, Insektenflügel)? Die Verwendung gleicherBaupläne für verschiedene Zwecke widersprecheder Freiheit eines Schöpfers.

Klassisch formuliert findet sich das „Rätsel Dar-wins“ bei dessen Betrachtungen zur Homologie beiOrchideen (zit. bei NELSON 1996, 511): „Can we feelsatisfied by saying that each Orchid was created,exactly as we now see it, on a certain ‘ideal type’;that the omnipotent Creator, having fixed on one

Abb. 2: Das klassi-sche Beispiel fürBauplanähnlich-keiten: das Kno-chengerüst derVorderextremitä-ten der Landwir-beltiere (von oben:Vogel, Fleder-maus, Mensch,Leopard, Reh).

RadialesSesambein

Abzieh-muskel

Anziehmuskel

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plan for the whole Order, did not depart from thisplan; that he, therefore, made the same organ toperform diverse functions – often of trifling im-portance compared with their proper function –converted other organs into mere purposeless rudi-ments, and arranged all as if they had to standseparate, and then made them cohere? Is it not amore simple and intelligible view that all the Orchi-deae owe what they have in common, to descentfrom some monocotyledonous plant...“

Ein weiteres Beispiel: RIDLEY argumentiert amBeispiel der Abdominalknochen der Walartigen(Abb. 3), daß die Tatsache, daß sie nicht funktions-los seien, nicht gegen ihre Homologie spreche; undin der Homologie mit Becken- und Extremitäten-knochen der Landsäugetiere liege ein Beleg fürMakroevolution. Denn: „Why, if whales originatedindependently of other tetrapods, should they usebones that are adapted for limb articulation tosupport their reproductive organs? If they weretruely independent, some other support would beused“ (RIDLEY 1996, 57).

Ein biochemisches Beispiel dieser Argumentati-onsweise findet sich ebenfalls bei RIDLEY (1985, 10)bezüglich des genetischen Codes: Wenn alle Artengetrennt erschaffen worden wären, sollten wir sehrüberrascht sein, wenn sie alle mit demselben gene-tischen Code erschaffen worden wären.

Die Struktur des Arguments

Das „Unvollkommenheits-Argument“ versteht sichnicht primär als Beleg für Evolution, sondern alsIndiz gegen Schöpfung, denn – so wird argumen-tiert – ein Schöpfer würde keine Unvollkommenhei-ten oder seltsame Konstruktionen in der Natur er-schaffen. NELSON (1996) hat das Argument wie folgtformalisiert:

Voraussetzungen:1. Wenn p ein Beispiel für Design ist, dann

wurde p entweder durch einen weisen Schöpfer(„wise creator“) erschaffen oder entstand durchEvolution.

2. Wenn die Design-Struktur p von einem intel-ligenten Schöpfer erschaffen wurde, dann sollte pperfekt sein (oder keine Unvollkommenheiten auf-weisen).

3. Die Design-Struktur p ist nicht perfekt (oderweist Unvollkommenheiten auf).

Folgerung: Die Design-Struktur p wurde nichtvon einem intelligenten Schöpfer erschaffen, son-dern entstand durch Evolution.

Diese Argumentationsstruktur soll im folgendenanalysiert und kritisiert werden. Die Kritik setzt anden theologischen, wissenschaftstheoretischen undbiologischen Aspekten der Argumentation ein.

Theologische Argumentation

Die ersten beiden Voraussetzungen sind offenkun-dig theologischer Natur, da sie nur im Zusammen-hang mit Mutmaßungen über die Handlungsweiseneines Schöpfers formuliert werden können (vgl. auchSCADDING 1982): Ein Schöpfer würde keine Unvoll-kommenheiten erschaffen oder er würde nicht die-selben Baupläne für verschiedene Funktionen ver-wenden (vgl. Extremitätenknochen der Landwir-beltiere). Es ist erstaunlich, wie unbefangen man-che Autoren in Abhandlungen zur Evolutionstheo-rie und sogar in Lehrbüchern in ihrer Argumentati-on theologische Überlegungen einbringen. Das istsicher nicht verboten, sollte aber als „Grenzüber-schreitung“ kenntlich gemacht werden.

Gleichwohl ist diese Art der theologischen Ar-gumentation sehr problematisch, denn woher sollteeinem der Empirie verpflichteten Naturwissenschaft-ler bekannt sein, wie ein Schöpfer bei der Erschaf-fung vorgeht? Warum sollte es – wie RIDLEY meint(s. o.) – sehr überraschend sein, wenn ein Schöpferalle Arten mit demselben genetischen Code aus-stattet? (Nebenei: Es gibt bei zahlreichen Artenverschiedene kleinere Abweichungen vom „univer-salen Code“; vgl. JUNKER & SCHERER [2001], 297f.)Aussagen über die Handlungsweisen eines Schöp-fers könnten nur durch Offenbarung gewonnenwerden.

Wenn also Aussagen über Gottes Handeln zu-grundegelegt werden und somit eine Grenzüber-schreitung begangen wird, so müßte angegebenwerden, was für ein Schöpfungsverständnis undwelches Gottesbild zugrundegelegt werden. Im Rah-men einer an der Bibel orientierten Schöpfungsleh-re ist zu bedenken, daß nach biblischen Aussagendie heutige Schöpfung von einer ursprünglichenunterschieden wird. Während die Schöpfung heuteals „unter der Knechtschaft der Vergänglichkeitseufzend“ geschildert wird (Römer 8,19ff.), gab es inder ursprünglichen Schöpfung keinen Tod. Auf diedamit verbundenen theologischen und biologischenFragen soll an dieser Stelle nicht eingegangen wer-den (vgl. dazu JUNKER 1994; 2001). Wichtig ist für

Abb. 3: Skelett desGrönlandwals(Balaena mystice-tus) mit Becken- undHinterextremitäten-rudiment. (NachMÜLLER 1970)

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den hier diskutierten Zusammenhang lediglich, daß– in biblischer Perspektive – aus der Struktur derheutigen Schöpfung gar nicht unmittelbar auf Gottesursprüngliches Schöpfungshandeln geschlossen wer-den kann.2 Damit ist dem Argument der Unvoll-kommenheit sozusagen der theologische Bodenentzogen, jedenfalls im Rahmen einer biblischenTheologie.

Damit gelangen wir zu einem weiteren Aspekt.Das Unvollkommenheits-Argument setzt eine stati-sche Schöpfung voraus, indem es davon ausgeht,an der heutigen Schöpfung unmittelbar Gottes Schöp-fungshandeln ablesen zu können. Doch wie geradeerläutert, ist dies keine notwendige Vorausetzungfür ein Schöpfungskonzept; vielmehr beinhaltet diebiblische Schöpfungslehre sogar ausdrücklich einedynamische Schöpfungsvorstellung. Dazu gehörtzum einen der erwähnte theologisch begründeteUnterschied zwischen der heutigen und ursprüngli-chen Schöpfung. Zum anderen ist zu berücksichti-gen, daß das Grundtypmodell (JUNKER & SCHERER

2001, Kap. II.3 und VII.17) mikroevolutive Prozesseeinschließt. In deren Rahmen kann es auch zuRückbildungen und auf diese Weise zu „Unvoll-kommenheiten“ kommen.

Wird also theologisch argumentiert, so mußerklärt werden, welches Schöpfungsverständnis zu-grundegelegt wird.

Darüber hinaus muß aber auch dargelegt wer-den, wie die Lebensstrukturen aussehen müßten,die von einem „intelligenten Schöpfer“ erschaffenwurden. Darüber wird gewöhnlich nicht explizitRechenschaft abgegeben. Nach NELSON (1996, 513)kann aus DARWINs Gebrauch des Unvollkommen-heits-Arguments herausgelesen werden, daß ihmdas Schöpfungsverständnis der in England verbrei-teten natürlichen Theologie des 19. Jahrhundertszugrunde lag.3 Doch DARWINs Schöpfungsverständ-nis ist natürlich nicht das Maß dessen, welche Inhal-te einer Schöpfungslehre beigemessen werden kön-nen.

Die eingangs dieses Abschnitts präsentierte Ar-gumentationskette ist also dann anfechtbar, wennkeine klaren Vorstellungen darüber entwickelt undbegründet werden, was im Rahmen eines Schöp-fungsverständnisses der Natur in Bezug auf den Bauund die Merkmalsverteilungen der Lebewesen zuerwarten wäre.

Wissenschaftstheoretische Aspekte

Contra Schöpfung = Pro Evolution? Die Argumentati-on mit „Unvollkommenheit“ beruht des weiterenstillschweigend auf einem „Entweder – Oder“: Ent-weder Schöpfungsglaube oder Evolutionslehre –wobei ein ganz bestimmter Schöpfungsglaube imHintergrund steht, nämlich der Glaube von einerheute perfekten Schöpfung (siehe oben). Es wurdebereits vermerkt, daß diese undifferenzierte Form

der Schöpfungsvorstellung nicht allein maßgeblichist und insbesondere nicht der biblischen entspricht.Aber auch wissenschaftstheoretisch ist die Argu-mentation nicht haltbar. Denn Kritik an einer be-stimmten Ursprungsvorstellung begründet nicht eineandere. Was gegen Schöpfung spricht oder spre-chen soll, paßt nicht automatisch zur Evolutions-theorie. Dies gilt natürlich auch anders herum.

GOULD und andere argumentieren, man könnean den vollkommenen Strukturen keine Geschichteablesen, wohl aber an den unvollkommenen. Dochdas stimmt nicht, denn weshalb müssen Unvollkom-menheiten eine Geschichte haben? Dafür gibt eskeine Notwendigkeit. In diesem Zusammenhang istzu bedenken, daß „Unvollkommenheit“ relativ istund aus einem Design-Kompromiß herrühren kann,der im Rahmen einer Schöpfungsvorstellung ge-nauso zu fordern ist wie im Rahmen von Makroevo-lution (vgl. dazu w. u.). „Unvollkommenheiten“ kön-nen also durchaus in der verwirklichten Form alsgeschaffen interpretiert werden.

Insgesamt fehlt dem „Unvollkommenheits-Ar-gument“ damit auch eine solide wissenschaftstheo-retische Basis.

Ist eine Design-Theorie testbar? Häufig werden schöp-fungstheoretische Überlegungen als unwissenschaft-lich oder pseudowissenschaftlich bezeichnet, da siekeine Testmöglichkeiten böten. Andererseits wirdim Zusammenhang mit dem Unvollkommenheits-Argument behauptet, Erwartungen der Schöpfungs-lehre seien widerlegt worden. Hier liegt eine offen-kundige Inkonsistenz der Kritik vor, denn eine nicht-prüfbare Theorie könnte auch nicht widerlegt wer-den.4

Biologische Kritik

Nachweis von Unvollkommenheit. Das „Unvollkom-menheits-Argument“ ist aber auch biologisch pro-blematisch, weil es nur sticht, wenn die Unvollkom-menheit auch nachgewiesen wird oder wenigstensplausibel gemacht werden kann. Darwins Rätsel(s.o.) beruht auf unserer Unkenntnis über Struktur-Funktions-Beziehungen.5 Bei der Präsentation desArguments anhand des Panda-Daumens stellt GOULD

(1989, 21) selber fest, daß er über die „Geschicklich-keit“ der Tiere erstaunt sei. Das Unvollkommen-heits-Argument steht und fällt mit dem Nachweis,daß die betrachtete Struktur besser konstruiert wer-den könnte. Dieser Nachweis aber gestaltet sich alsäußerst schwierig, wenn nicht als unmöglich.

Ein japanisches Forscherteam (ENDO et al. 1999)hat vor einigen Jahren mit modernsten Forschungs-methoden wie Computertomographie und Magnet-resonanzverfahren die Panda-Tatze erneut unter-sucht. Die Forscher kamen zum Schluß, daß dasverlängerte Sesambein nicht als zusätzlicher Fingerangesehen werden könne, da es nicht unabhängigvon den anderen Fingern bewegt werden kann.

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Vielmehr bildet es mit dem Handwurzelknochenund dem Mittelhandknochen eine Einheit und kannnur zusammen mit diesen bewegt werden. Außer-dem muß die Funktionsweise des Pseudodaumensim Zusammenspiel mit einer weiteren anatomi-schen Besonderheit verstanden werden: „An derAußenkante der Hand liegt ein länglicher, mit derElle verbundener akzessorischer Handwurzelkno-chen, dessen Spitze nach hinten weist. Krümmt derPanda nun alle seine fünf Finger seiner Tatze ein, sowird damit auch der Pseudodaumen bewegt. Schließ-lich liegt er parallel zum akzessorischen Handwur-zelknochen. Es entsteht somit eine zangenartigeStruktur, die sich mit der Greifhand eines Robotersvergleichen läßt: Die fünf gekrümmten Finger ste-hen parallel zueinander und finden in dem Pseudo-daumen und dem akzessorischen Handwurzelkno-chen ein Widerlager. Mit diesem Zangengriff kannder Panda mit großer Geschicklichkeit und Genau-igkeit zu seiner Lieblingsnahrung greifen“ (BISCHOF

1999 in einer Zusammenfassung der Ergebnissevon ENDO et al.; vgl. Abb. 4). ENDO et al. (1999) habendamit gezeigt, daß bei der Panda-Tatze viel feinereGreifmechanismen verwirklicht sind, als in früherenmorphologischen Modellen vermutet worden war.6

Angesichts dieser Ergebnisse und der Tatsache,daß die Pandabären ihre Tatze offenbar sehr ge-konnt und zweckmäßig einsetzen, bleibt wenig Raumfür den Nachweis einer „Unvollkommenheit“. Das„Panda-Prinzip“ steht ausgerechnet im Falle seinesKronzeugen auf schwachen empirischen Füßen.

Können nur vorhandene Strukturen umgebaut werden?Eine weitere Voraussetzung, die dem Panda-Prin-zip zugrunde liegt, ist im evolutionstheoretischenKontext ebenfalls fragwürdig, nämlich die Behaup-tung, es könnten nur vorhandene Strukturen umge-baut werden, so daß später Spuren dieses Umbauserkennbar sind. Dies zeigt ein zum Gleitflug befä-higtes ausgestorbenes Reptil (Coelurosauravus jaekeli;Abb. 5), dessen vollständiges Skelett vor ein paarJahren entdeckt wurde. Es besaß einen Gleitschirm,dessen Gerüst nicht wie bei anderen zum Gleitflugund aktiven Fliegen befähigten Wirbeltieren dieübliche Modifikation des Extremitätenbauplans derLandwirbeltiere aufwies. Das Gerüst bestand auchnicht aus umgebildeten Rippen oder anderen sonstbereits vorhandenen Elementen des Skeletts; auchhandelte es sich nicht um ein Duplikat der Extremi-täten. Vielmehr stellte der Flügel eine kompletteNeukonstruktion dar (FREY et al. 1997). Die seitlichansitzende Gleitmembran wurde durch radial ange-ordnete, stark verlängerte hohle Knochenstäbe vondermalem (Haut) Ursprung gestützt, also nicht durchin anderen Reptilien sonst auch vorhandene Kno-chen. Die Stützstäbe waren nicht mit dem Brust-korb verbunden.

Dieser Gleitflieger stellt das Panda-Prinzip inFrage. Interpretiert man diesen Fund im evolu-tionstheoretischen Kontext, so bedeutet dies, daß

eine de novo-Entstehung von Strukturen möglich istund nicht nur auf der Basis des Vorhandenen umge-baut wird. Das Argument, die Evolution konntenicht anders verfahren, als eine bereits vorhandeneStruktur umzubilden (beim Panda-Daumen das Se-sambein), erweist sich zumindest als nicht zwin-gend. Damit fehlt dem Panda-Prinzip eine weitereVoraussetzung, um es als Beleg für das Vorliegeneines Design-Fehlers verwenden zu können.

Abb. 4: Schemati-sche Zeichnung desGreifmechanismusder Panda-Hand. aFinger gestreckt, b,cEinkrümmen derFinger, d Muskelak-tion (Pfeile) beimZangengriff. (NachENDO et al. 1999)

Abb. 5: DerGleitflieger Coeluro-sauravus jaekeli,dessen Gleitmembrandurch hohleKnochenstäbe vondermalem (Haut)Ursprung gestütztwurde. (Nach FREY etal. 1997)

a b

Finger-glieder

Mittelhand-knochen

Pseudo-daumen

Handwurzel-knochen

Speicheund Elle

c d

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Fortbewegung im Wasser, wo sich die Meeres-schildkröten meistens aufhalten, sehr effektiv ge-staltet. GUTMANN & PETERS (1973, 166) sprechen von„Kompromißstrukturen“, die „wegen mehrerer An-forderungen oder angesichts einer Beziehung zuanderen sie einengenden oder behindernden Bau-teilen nicht optimal sein können. Optimale Verhält-nisse stellen sich dann gleichsam durch Integrationüber mehrere Funktionen ein.“

Man könnte freilich spekulieren, daß Lebewe-sen auch so konstruiert sein könnten, daß sie fürjede zu erfüllende Aufgabe ein eigenes Organ besit-zen, so daß keine Überschneidungen der Funktio-nen suboptimale Lösungen erzwingen müßten. Dochhier gilt: Diesen Organismus müßte man erst kon-struieren, um durch einen Vergleich feststellen zukönnen, welche Lösung die bessere ist. Dieser Ver-gleich aber ist nicht möglich. MAYNARD SMITH (zit. inNELSON 1996, 504) hat die Problematik der fehlen-den Vergleichsmöglichkeit erkannt: „It is clearlyimpossible to say what is the ‘best’ phenotypeunless one knows the range of possibilities. If therewere no constraints on what is possible, the bestphenotype would live for ever, would be impregna-ble to predators, would lay eggs at an infinite rate,and so on“ – also im Volksmund gesprochen: dieeierlegende Wollmilchsau. Um noch einmal auf denPanda-Bären zurückzukommen: NELSON (1996, 505)stellt die Frage: „Why couldn’t the creator havegiven pandas the ability to fly?“ Man könnte dieseFrage durchaus auch evolutionstheoretisch formu-lieren. Letztlich wird deutlich, daß es wenig Sinnmacht, solche Spekulationen anzustellen.

Nicht-Vorhersagbarkeit und Plastizität von Evolutions-theorien. Damit ist ein Kennzeichen vieler evolu-tionstheoretischer Hypothesen angesprochen, dasvon Wissenschaftstheoretikern häufig thematisiertwurde: die mangelnde Vorhersagbarkeit von empi-rischen Befunden. Hier liegt zweifellos ein grundle-gendes wissenschaftstheoretisches Problem. Theo-rien über den Ursprung und die Geschichte derLebewesen beinhalten Aussagen über einen ver-gangenen Prozeß; darüber können sie natürlich kei-ne Vorhersagen machen. Man könnte zwar darüberRechenschaft abgeben, welche Beobachtungen imjeweiligen Modell erwartet werden, doch kann keinWissenschaftler unvoreingenommen an diese Auf-gabe herangehen; er hat immer Vorwissen, das ihnbeeinflußt. So ist jeder, der sich mit Ursprungsfra-gen in der Biologie auseinandersetzt, durch seineKenntnisse in der Taxonomie und der Vergleichen-den Biologie und durch seine Ursprungsvorstellun-gen vorgeprägt und wird geneigt sein, seine Kennt-nisse als Vorhersagen seines Modells auszugeben.

So wurde die Anatomie des Panda-Daumensnicht aus evolutionstheoretischen Überlegungenheraus vorhergesagt, so REMINE (1993). Das gelteauch für andere „Unvollkommenheiten“, folglich

Das Beispiel des Panda-Daumens zeigt, daßBehauptungen über Unvollkommenheiten mit Vor-sicht zu betrachten sind. Ohne Rückgriff auf stam-mesgeschichtliche Hypothesen kann zunächst al-lenfalls nur festgestellt werden, daß der Bau einesOrgans unverstanden ist. Die Behauptung einerUnvollkommenheit nimmt Bezug zu einer mutmaß-lichen evolutionären Vorgeschichte. Wenn beimPanda-Bären eine phylogenetische Beziehung zuanderen Bären hergestellt wird, dann kann natür-lich im Nachhinein dessen Tatze im Sinne einesAnbaus gedeutet werden; die Argumentation istalso theorieabhängig.

Entsprechendes gilt für die Behauptung vonFunktionslosigkeit (vgl. JUNKER 2002, Kap. 6). Gut-mann & Peters (1973) stellen hierzu fest: „Die Dis-kussion über «funktionslose» Organe erscheint we-nig sinnvoll, da man nicht weiß, wie man sie fest-stellen soll. Die Suche nach Funktionen ist einsinnvolles Forschungsprogramm, das unsere unzu-länglichen Funktionskenntnisse vorantreiben unddie vielfachen Hinweise auf sogenannte funktions-lose Organe eliminieren wird.“

Vermutlich gibt es zahlreiche Organe, derenFunktionalität – anders als beim Panda-Daumen –nicht hinreichend geklärt ist. Aber auch dann gilt,daß es sich allenfalls um mögliche Hinweise aufSuboptimalität in der Natur handelt; das „Unvoll-kommenheits-Argument“ ist auch dann ein „wei-ches“ Argument, da es jederzeit durch Erweiterungder Funktionskenntnisse des jeweils in Rede ste-henden Organs obsolet werden kann.7

Als Ergebnis kann festgehalten werden: Unvoll-kommenheiten in der Natur können nicht objektivfestgestellt werden und damit nicht als Belege fürEvolution dienen, sondern lediglich im Nachhineinunter Vorgabe der Evolutionstheorie gedeutet wer-den (im Sinne eines evolutiven Umbaus oder einerVerkümmerung).

Der Teil und das Ganze. Organismen sind synorgani-sierte Kreaturen, d. h. viele Organe sind polyfunk-tional. Sie müssen gleichzeitig verschiedene Zwek-ke erfüllen. Das bedeutet notwendigerweise, daßnicht jede einzelne Struktur für jeden Zweck, densie erfüllt, optimal sein kann. Kompromisse sinddaher unvermeidlich. Ein Urteil über die Vollkom-menheit eines Organs kann sinnvollerweise nurgefällt werden, wenn der Organismus als Ganzes,einschließlich seiner Ontogenese, im Blick ist. Dieisolierte Betrachtung einzelner Organe ist verfehlt,erst recht, wenn diese im Hinblick auf nur eine vonevtl. mehreren Funktionen bewertet werden.

NELSON (1996, 505f.) präsentiert dazu folgendesBeispiel: Die Schwimmflossen von Meeresschild-kröten scheinen schlecht gebaut zu sein, um mitihnen für die Eiablage Löcher im Sand von Strändenzu graben. Dieselben Flossen sind jedoch für die

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könnten sie auch nicht als Belege für Evolutiongelten. Man könnte im evolutionstheoretischenRahmen durchaus auch die Erwartung formulieren,daß der erste Finger der Panda-Tatze wieder in eineopponierbare Stellung hätte gebracht werden kön-nen. Wer evolutionstheoretisch orientiert ist, mußevolutionären Prozessen noch viel gewaltigere Um-bauvorgänge zutrauen. Warum also hätte der Pan-da-Daumen nicht aus seiner mit den anderen Fin-gern fixierten Position wieder herausgelöst werdenkönnen?

Offenbar laufen also evolutionstheoretische Deu-tungen hier nicht nach dem Muster „Vorhersage –Prüfung – Bestätigung/Widerlegung“ ab, vielmehrliegt eine Art Wechselwirkung zwischen den Datenund der jeweiligen Formulierung evolutionstheore-tischer Hypothesen vor. Die Evolutionstheorie wirdden Daten immer wieder neu angepaßt. Auch über-raschende Daten führen nicht zur Hinterfragung derEvolutionstheorie, sondern nur zu ihrer Modifikati-on. Die Option einer Widerlegung scheint dabeiausgeschlossen zu sein. REMINE (1993) spricht indiesem Zusammenhang von der Plastizität der Evo-lutionstheorie.

Ist REMINEs Kritik überzogen? Bevor diese Fragebejaht wird, mache man sich klar, daß wohl kaum jedarüber Rechenschaft gegeben wurde, welche Be-funde a0us der Vergleichenden Biologie die Evoluti-onstheorie falsifizieren oder unplausibel machenwürden. Es wäre eine reizvolle Aufgabe, solcheBefunde zu nennen. Sollte es aber keine Falsifizie-rungsmöglichkeiten aus der Vergleichenden Biolo-gie geben, ist die Behauptung der Plastizität derEvolutionstheorie in diesem Bereich begründet.

Man hätte beispielsweise erwarten können, daßes keine nennenswerten Widersprüche zwischenmorphologisch begründeten und molekularenStammbäumen geben sollte (vgl. HILLIS 1987; PAT-TERSON 1993). Ebenso könnte man aus der Evoluti-onstheorie die Erwartung folgern, daß aufgrund derzugrundeliegenden Zufallsprozesse keine oder al-lenfalls nur sehr ausnahmsweise Konvergenzen auf-treten (vgl. JUNKER 2002, Kap. 3). Beides ist bekannt-lich nicht der Fall, ohne daß Makro-Evolution damitin Frage gestellt wird. Vielmehr führen diese Befun-de dazu, neue evolutionstheoretische Vorstellun-gen zu entwickeln. Genau darin zeigt sich die Plasti-zität der Evolutionstheorie.

Es soll damit nicht behauptet werden, daß Schöp-fungsvorstellungen weniger plastisch wären, son-dern es geht um die Einsicht, daß erst die Vorgabeeiner Ursprungsvorstellung Deutungen erlaubt unddaß die Daten nicht bestimmte Deutungen erzwin-gen. Während Schöpfungsvorstellungen häufig mitdem Einwand konfrontiert werden, daß in derenDeutungsrahmen alles vorhergesagt werden kön-ne, so daß keine Prüfungs- und Widerlegungsmög-lichkeit gegeben sei, seien evolutionäre Deutungenprüfbar und widerlegbar. Die bisherige Diskussion

hat aber gezeigt, daß diese Behauptung in diesereinfachen Form nicht stimmt.

Grundtypen und Mikroevolution. Wenn mutmaßlicheUnvollkommenheiten durch mikroevolutive Pro-zesse im Grundtyprahmen erklärbar sind (vgl. JUN-KER & SCHERER 2001, Kap.VII.17), sind sie auch imschöpfungstheoretisch interpretierten Grundtypmo-dell erklärbar und können in diesem Rahmen durch-aus auch erwartet werden. Entsprechendes gilt fürHomologiefeststellungen innerhalb von Grundty-pen. So kann DARWINs Orchideenbeispiel (s. o.)teilweise in diesem Sinne interpretiert werden, dadie Orchideenfamilie aufgrund unzähliger art- undgattungsübergreifender Kreuzungen in relativ weni-ge Grundtypen eingeteilt werden kann. Bauplange-meinsamkeiten innerhalb von Grundtypen werdenauch in schöpfungstheoretischer Perspektive durchAbstammung von einem gemeinsamen Vorläuferinterpretiert (Grundtypdiversifikation, die meistdurch Spezialisierungen erfolgt).

Als möglicherweise suboptimal im Rahmen ei-ner Mikroevolution angepaßt kann beispielsweisedie Hawaiigans (Abb. 6) betrachtet werden. ImGegensatz zu den anderen Gänsen ist sie weder einSchwimmvogel noch ein Zugvogel. Von Menschenauf Hawaii verschleppt, hat sie sich als Landgansspezialisiert und lebt auf Lavaflächen (BARDELL 1997).Gelegenheit zum Schwimmen gibt es kaum. Pas-send für diesen Lebensraum hat die Hawaiiganslängere Beine und kräftigere Zehen entwickelt. DieSchwimmhäute sind reduziert, jedoch nicht ganzverschwunden. Ideal wäre es auf dem oft rauhenUntergrund vermutlich, wenn sie gar keine

Abb. 6: HawaiigansBranta sandvicen-sis (Foto: R.WISKIN)

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Schwimmhautreste mehr hätte. Alle Gänse gehörenzusammen mit den Enten und Schwänen zu einemGrundtyp (SCHERER 1993). Nach dem Grundtypmo-dell handelt es sich bei der Hawaiigans demnachum eine Spezialisierung innerhalb eines Grundtyps.Das heißt, sie wurde nicht in der jetzt vorliegendenspezialisierten Ausprägung erschaffen, und ihre mut-maßliche „Unvollkommenheit“ kann im Rahmender Grundtypenbiologie nicht auf das Konto derSchöpfung geschlagen werden. Wenn BARDELL (1997)in seinem Beitrag über dieses und ähnliche Beispie-le von „Hinweisen auf Evolution“ spricht, so giltdies nur für Mikroevolution.

Optimalität als Indiz gegen Evolution? In evolutions-theoretischer Perspektive sind optimale Strukturennicht unbedingt zu erwarten. ZOGLAUER (1991) weistdarauf hin, „daß der Vorstellung einer Optimierungdurch Evolution eine falsche Projektion der Struk-tur technischen Handelns auf die Natur zugrunde-liegt“ (S. 194). Technische Werte würden vom Men-schen definiert, weil mit der Konstruktion einesObjekts ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll.Dieses Ziel bestimme den Wert der zu optimieren-den Größe. Da bei der biologischen Evolution die-ses Ziel von vornherein fehle, könne man den Na-turprodukten auch keine Werte oder Qualitätenzusprechen (S. 209). Andernfalls müsse man eineteleologische Biologie voraussetzen. „Jede Warehat einen Wert für den Verbraucher, während dieFitness eines Organismus keinen Wert für irgendje-manden darstellt“ (S. 210). Aufgrund dieser Überle-gungen bezweifelt ZOGLAUER, „daß es in der Evoluti-on Größen gibt, die optimiert werden“ (S. 211).„Optimierung ist an Ziele oder Zwecke gebunden,die es in der Natur nicht gibt. ... Optimalität ist daherkein Wesensmerkmal der Natur, das ihr unabhän-gig von unserem Erkennen und unserem Daseinzukommen würde“ (S. 212).

An diese Argumentation kann sich eine interes-sante Fragestellung anschließen: Können optimalkonstruierte Strukturen nachgewiesen werden, de-ren Optimalität unter evolutionstheoretischen Prä-missen gar nicht zu erwarten wäre? Genau dasbehauptet WEINDEL (2000) für ein biochemischesBeispiel: die Bindestärke der Basenpaarung derDNA. WEINDEL zeigt, daß unter Ursuppenbedingun-gen auf der alleinigen Basis physico-chemischerVorgänge eine maximale, nicht aber eine für diebiologische Funktion optimale Bindestärke der Nuc-leobasen zu erwarten gewesen wäre. Da jedoch diebiochemisch optimale Bindestärke verwirklicht ist,komme man nicht umhin, eine Zielvorgabe zu po-stulieren. Doch genau dies kann evolutionstheore-tisch nicht vorausgesetzt werden. Es könnte einereizvolle Aufgabe sein, weitere Beispiele dieser Artaufzuspüren.

Die Aufgabe kann noch etwas weiter gefaßtwerden: Leisten manche Strukturen des Lebens

mehr, als vom Standpunkt des Überlebensvorteilsund der Nachkommenproduktion zu erwarten wäre?Das wäre sozusagen das umgekehrte Argumentzum Unvollkommenheitsargument.

Zusammenfassung. Fassen wir die Argumentationanhand des eingangs genannten Beispiels der Ab-dominalknochen der Walartigen zusammen. DerenHomologie mit Beckenknochen der Landwirbeltie-re soll Makroevolution belegen – mit der Begrün-dung, daß sie bei unabhängiger Entstehung (alsoauch bei der Annahme einer Schöpfung) andersgestaltet wären. Es ist jedoch nicht beweisbar, daßAbdominalknochen der Wale an eine (ehemalige)Stützfunktion angepaßt waren; das ist vielmehr eineevolutionstheoretisch motivierte Schlußfolgerung.Zum anderen ist keine bessere Konstruktion be-kannt, die man als Vergleich heranziehen könnte.Und schließlich fehlt eine zwingende Begründung,weshalb die Abdominalknochen der Wale nichtdoch unabhängig entstanden sein können, wobei„unabhängig“ in einem Schöpfungskonzept nur Un-abhängigkeit in der Realisierung, nicht aber in der„geistigen Urheberschaft“ bedeutet.

Einzelne Organe dürfen nicht (nur) isoliert be-trachtet werden, sondern müssen im Organismus-ganzen bewertet werden, wenn eine Einschätzungüber mögliche Unvollkommenheiten erfolgen soll.Und schließlich muß geprüft werden, ob die zurDiskussion stehenden Beispiele sich im mikroevo-lutiven Rahmen innerhalb von Grundtypgrenzenbewegen.

Seltsame Konstruktionen als „Design-Signal“?

Eingangs wurde erläutert, inwiefern auch ohne de-finitiven Nachweis von „Unvollkommenheiten“ ausder Vergleichenden Biologie ein „Design-Fehler-Argument“ abgeleitet wird. FUTUYMA (1998, 122)schreibt in seinem Lehrbuch: „Design does notrequire that the same bony elements form the frameof the hands of the primates, the digging forelimbsof moles, the wings of bats, birds, and pterosaurs,and the flippers of whales and penguins.“ Genausomeint FUTUYMA, daß die unterschiedliche Konstruk-tion des Cephalopoden- und Wirbeltier-Linsenau-ges inkonsistent mit der Annahme eines allmächti-gen Schöpfers sei, der optimales Design verwirkli-chen könne.8 RIDLEY sieht gar die Existenz vonHomologien an sich als Argument gegen Schöp-fung: „Probably the most powerful general argu-ment for evolution: the existence of certain kinds ofsimilarities (called homologies) between species –similarities that would not be expected to exist ifeach species had originated independently“ (RIDLEY

1991, 40).Darauf wurde entgegnet, daß zum einen nicht

klar ist, ob es wirklich bessere Konstruktionen gibt

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und daß zum anderen das Argument tief in dieTheologie hineingreift, indem Mutmaßungen überGottes Handeln maßgeblich zugrundegelegt wer-den.

Schon DARWIN hatte dieses Argument in seinemOrchideenbuch und anhand des „Standardbeispiels“der Extremitätenknochen der Landwirbeltiere vor-gebracht (s. o. die unter „Darwins Rätsel“ abge-druckten Zitate DARWINs). (Es wurde bereits daraufhingewiesen, daß das Orchideenbeispiel auch imRahmen des Grundtypmodells interpretierbar ist,da es mikroevolutiv erklärt werden kann.) REMINE

(1993) versucht an dieser Stelle, den Spieß mit dem„Design-Fehler“- bzw. „Unvollkommenheits-Argu-ment“ nochmals umzudrehen, wenn er gerade selt-same Konstruktionen wie den Panda-Daumen oderdie Verwendung einheitlicher Baupläne für ver-schiedene Funktionen (wie bei den Landwirbeltie-rextremitäten) als „Design-Signale“ interpretiert. Umseine Argumentation darzustellen, muß etwas aus-geholt werden: REMINE formuliert eine „message-Theorie“, die er auf verschiedene biologische Phä-nomene anwendet, u. a. auch auf „seltsame“ Kon-struktionen und vermeintliche Unvollkommenhei-ten. Die message-Theorie weist eine einfache gene-relle Struktur auf:

• Einerseits ist die Ähnlichkeit der Lebewesenauf allen biologischen Ebenen derart ausgeprägt,daß der Rückschluß auf einen gemeinsamen Ur-sprung unvermeidlich erscheint. Dieser gemeinsa-me Ursprung kann grundsätzlich entweder durchgemeinsame Abstammung oder durch einheitlichePlanung (Schöpfung) begründet werden. DiesenAspekt nennt REMINE „Botschaft der Gemeinsam-keit“ („unifying message“).

• Andererseits ist die Unterschiedlichkeit derLebewesen dergestalt, daß deren Ursprung durchmakro-evolutionäre Theorien nicht schlüssig er-klärt werden kann („nicht-naturalistische Botschaft“nach REMINE, „non-naturalistic message“).

• Aus beiden „Botschaften“ zusammen hört RE-MINE die „Lebensbotschaft“ heraus, daß das Lebenin einer Weise beschaffen sei, daß es wie das Ergeb-nis eines einzigen Designers aussieht und zu ande-ren Entstehungskonzepten nicht paßt. Sowohl Ähn-lichkeiten als auch Verschiedenheiten spielen in dermessage-Theorie besondere Rollen: Ähnlichkeitenweisen auf einen einzigen Ursprung hin, währenddie Unterschiede eine Erklärung durch natürlicheVorgänge erschweren oder unmöglich machen undsomit auf einen absichtsvoll schaffenden Designerhinweisen.

REMINE glaubt sogar, daß die Lebewesen be-wußt so konstruiert wurden, daß an ihnen dieseLebensbotschaft erkannt werden kann, und machtsich Gedanken darüber, wie die Lebewesen undihre Vielfalt gebaut werden mußten, damit das Ziel,mit ihnen die Lebensbotschaft zu schicken, erreichtwerden kann.

Seine Argumentationsweise soll nun am Phäno-men der Formenvielfalt und der Ähnlichkeit derLebewesen dargestellt werden. REMINE stellt sichdie Frage, wie ein Designer die Merkmale der Lebe-wesen auf die Organismen verteilen muß, damit dasMerkmalsmuster die Lebensbotschaft tragen kann.Würden alle überhaupt nur denkbaren Kombina-tionen von Merkmalen verwirklicht (Matrix-Struk-tur der Ordnung der Lebewesen) oder wäre dieFormenvielfalt der Lebewesen so beschaffen, daßman die Lebewesen der Ähnlichkeit nach geordnetin Form eines Kreises darstellen könnte, würdenKenntnislücken (z. B. ausgestorbene Formen, dienicht gefunden wurden) dieses Muster zerstören, sodaß die dahinterstehende Ordnung nicht mehr er-kannt werden könnte (vgl. Abb. 7). Mit einer hierar-chisch strukturierten Ordnung dagegen kann dieserEffekt vermieden werden, denn eine hierarchischeOrdnung kann auch bei erheblicher Lückenhaftig-keit erkannt werden (Abb. 8). Andererseits könnteeine hierarchische Struktur der Ordnung der Lebe-wesen erheblich leichter durch Evolution gedeutetwerden als eine Matrix-Struktur. Gegen die evoluti-onstheoretische Deutung spricht aber das zahlrei-che Vorkommen von Konvergenzen: Viele Merk-male sind so verteilt, daß sie sich der Anordnung ineinem widerspruchsfreien Stammbaum widerset-zen. Aus diesen Beobachtungen und Überlegungenresultiert für REMINE die „Lebensbotschaft“ im Be-reich der Vergleichenden Biologie:

• „unifying message“: Es gibt eine Reihe vonÄhnlichkeiten, die allen Lebewesen gemeinsam sind(z. B. Struktur der Erbsubstanz, wichtige Stoffwech-selmoleküle). Der Rückschluß auf einen gemeinsa-men Ursprung ist unvermeidlich.

Abb. 7: Ordnungder Lebewesen inForm einesKreises (a).Lückenhaftigkeitder Formenkennt-nis (b) zerstört dasMuster.

a

b

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• „non-naturalistic message“: Die Unterschiedezwischen den Lebewesen können nicht durch be-kannte natürliche Vorgänge überbrückt werden unddie Merkmalsverteilungen entsprechen nicht evo-lutionstheoretischen Erwartungen.

Beides zusammen ergibt die „biotic message“.Die eingangs erwähnten scheinbaren Unvoll-

kommenheiten der Lebewesen wie der Pseudodau-men des Panda oder überraschende Bauplanähn-lichkeiten bei verschiedener Funktion finden imRahmen der message-Theorie eine überraschendeErklärung. Sie dienen als Hinweise darauf, daß esnur einen einzigen Designer gibt und gehören somitzur „unifying message“. Eine Nutzlosigkeit dieserStrukturen kann zwar nicht aufgezeigt werden (imGegenteil: ihre Funktion ist in der Regel bekannt) –seltsam sind sie gleichwohl, aber gerade deshalbkönnen sie die message-Funktion als Hinweisgeberauf denselben Urheber ausüben. Von der Evoluti-onstheorie wurden diese Strukturen andererseitsnicht vorhergesagt, sondern werden allenfalls imNachhinein erklärt (s. o.).

Test der message-Theorie. REMINE bemüht sich,die message-Theorie in einer prüfbaren Form zupräsentieren. Er gibt Prüfkriterien an, anhand dererseine Theorie bestätigt oder verworfen werden kann.Die Botschaft der Gemeinsamkeit und die nicht-naturalistische Botschaft müssen durch Daten be-legt werden. Da im Bereich der Gemeinsamkeiten(„unifying message“) zwischen der message-Theo-

rie und der Evolutionstheorie keine besonderenUnterschiede bestehen, läuft die Prüfung der mes-sage-Theorie auf den Nachweis hinaus, daß dieUnterschiede zwischen den Lebewesen nicht durchnatürliche Prozesse zu überbrücken sind. DieserTest ist prinzipiell möglich, und durch Nachweiseeiner solchen Überbrückung würde die message-Theorie geschwächt werden. Die message-Theoriemacht somit die Voraussage, daß die Unterschiedezwischen den Lebewesen auch künftig nicht durchnatürliche Prozesse (Evolution) erklärt werden kön-nen.

Der entscheidende Knackpunkt der Bewertungder Erklärungskraft der message-Theorie ist dieexakte Erfassung der „non-naturalistic message“.Auf der analytischen Ebene ist sie sehr schwer zugreifen. Dazu sollten folgende Voraussetzungengegeben sein: Alle natürlichen Evolutionsprozessesowie die Struktur-Funktions-Beziehungen des frag-lichen Systems müssen hinreichend gut verstandensein. Weil dies eine kaum zu erfüllende Forderungist, läuft ein nicht unwesentlicher Teil der Erken-nung der „nicht-naturalistischen Botschaft“ auf derintuitiven Ebene ab und ist dementsprechend vonpersönlichen Meinungen mitbestimmt. Aber Anre-gungen für Forschung gibt das REMINEsche Konzeptallemal, und das alleine ist schon Grund genug,dieses Konzept in der Interpretation von Naturphä-nomenen zu berücksichtigen.

Design-Fehler, Forschungsanreizeund Testbarkeit

Weiter oben wurde gezeigt, daß das Unvollkom-menheits-Argument auf konkreten theologischenVorstellungen über den Schöpfer aufbaut. Denn einunbekannter Schöpfer könnte schließlich ebenso-gut sehr gute als auch fehlerhafte Konstruktionenerschaffen, wenn es ihm beliebt. Ohne konkreteVorstellungen über die Attribute des Urhebers kön-nen also keine Erwartungen an die Qualität derlebendigen Konstruktionen abgeleitet werden.

Daraus folgt aber auch, daß ohne Konkretisie-rungen des Gottesbildes auch nichts darüber gesagtwerden kann, ob Design-Fehler erwartet werdenkönnen. Einem Schöpfer steht es ja frei, Unvollkom-menes, Fehlerhaftes zu erschaffen. Wenn aber De-sign-Fehler die Existenz eines intelligenten Urhe-bers nicht in Frage stellen könnten, wäre das Intel-ligent-Design-Konzept auf diesem Wege auch nichtprüfbar. Sowohl das Fehlen als als auch das Vor-kommen von Design-Fehlern wäre mit der Existenzeines Urhebers bzw. mit dem Intelligent Design-Konzept kompatibel.

Wird jedoch konkret vom christlichen Gottes-bild ausgegangen, das sich auf die biblische Über-lieferung stützt, können daraus allgemeine Attribu-te des Schöpfers abgeleitet werden. Wenn etwa der

Abb. 8: Hierarchi-sche Ordnung derLebewesen. DasOrdnungsmuster(a) kann auch beierheblicherLückenhaftigkeitder Formenkennt-nis (b) erkanntwerden.

a

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Prophet Jeremia auf die „Kraft“, „Weisheit“ und„Einsicht“ der Schöpfers hinweist (Jeremia 10,12;vgl. Kapitel 1), so folgen kaum beliebige Erwartun-gen an die geschaffenen Konstruktionen der Lebe-wesen. Vielmehr kann man folgende Erwartungformulieren:

Eine primäre (schöpfungsbedingte) Funktionslo-sigkeit, die weder als Rückbildung noch als Luxus-struktur plausibel gemacht werden kann, ist imRahmen des Schöpfungsparadigmas nicht zu er-warten.

Mutmaßliche Design-Fehler als For-schungsanreiz. Im Rahmen des Evolutionspara-digmas ist der Verweis auf Konstruktionsmängeleher dazu angetan, Forschung zu verhindern als zufördern. Denn wenn bestimmte Organe als evoluti-onsbedingt funktionslos oder funktionsschwach be-urteilt werden, kann diese Deutung kaum die Erfor-schung funktioneller Zusammenhänge anregen.Wenn die Suche nach Funktionen trotzdem voran-getrieben wird, dann ist dies kaum durch das Evolu-tionsparadigma motiviert, sondern eher durch dieVorstellung von der Zweckhaftigkeit der Organe.Die oben formulierte biblisch motivierte Voraussetzung,ein Schöpfer werde nichts Fehlerhaftes erschaffen, bietetjedenfalls einen starken Forschungsanreiz, vermeintli-chen Fehlern auf den Grund zu gehen und auf diesemWege neue Erkenntnisse zu gewinnen.

Evolutionstheoretisch könnte man allenfalls an-nehmen, daß Diskrepanzen zwischen Struktur undFunktion im Laufe der Zeit selektiv eliminiert wer-den. Das heißt: Funktionslos gewordene Strukturenwerden solange abgebaut (durch Verlustmutatio-nen), bis eine vorübergehende Diskrepanz zwischenStruktur und Funktion wieder ausgeglichen ist. Sol-che Diskrepanzen wären evolutionstheoretisch da-her nur in einer vorübergehenden Phase als Aus-nahmen zu erwarten. Aufgrund der Selektionsdrük-ke sollten Diskrepanzen zwischen Struktur und Funk-tion nach einiger Zeit verschwinden. Findet mandennoch Beispiele vermeintlicher Diskrepanzen,könnte man daher auch unter evolutionstheoreti-schen Prämissen motiviert sein, die Kenntnisse überStruktur-Funktions-Beziehungen zu erweitern, umdie nicht erwartete Diskrepanz als nur scheinbar zuentlarven.

Als in den letzten Jahren häufig diskutiertesBeispiel kann hier die Deutung scheinbar funktions-loser DNA als „Junk-DNA“ bzw. als evolutionärerMüll erwähnt werden. Die Suche nach Funktionender nicht protein-codierenden DNA ist sicher nichtdurch die Vorstellung motiviert, daß es sich dabeium evolutiven Müll handelt. Auch hier können spe-zielle Evolutionstheorien die Suche nach Funktio-nen motivieren; diese Suche ist aber von vornherein imRahmen des Schöpfungsparadigmas motiviert, wenneine intelligente Schöpfung vorausgesetzt wird.

Wichtig für die Frage nach der heuristischenFruchtbarkeit des Schöpfungsparadigmas ist dieFeststellung, daß in dessen Denkrahmen Forschung

stark motiviert ist, wenn Konstruktionen mangelhafterscheinen. Zunächst vermutete Diskrepanzen zwi-schen Struktur und Funktion können nur durchweitere Forschungen aufgelöst werden. Forschungkönnte aber auch dazu führen, daß diese Diskrepan-zen umso deutlich hervortreten und zunehmendplausibler werden. Damit aber würde die biblischeSicht vom Intelligenten Design an Plausibilität ver-lieren. Wie immer in naturhistorischen Fragen kannes auch hier nur um Plausibilitäten gehen, doch istklar, daß bei weitem nicht jeder Befund gleicherma-ßen zum Ansatz der biblischen Schöpfungslehrepaßt.

Nachträgliche Veränderungen der ur-sprünglichen Designs. Weiter oben wurde er-wähnt, daß ursprüngliche Designs nach ihrer Er-schaffung durch mikroevolutive Prozesse im Grund-typrahmen verändert worden sein könnten. Diesgilt insbesondere, wenn die biblische Schöpfungs-lehre vorausgesetzt wird, denn nach biblischemVerständnis ist die heutige Schöpfung nicht mit derUrsprungsschöpfung identisch. Während die Schöp-fung heute als „unter der Knechtschaft der Ver-gänglichkeit seufzend“ geschildert wird (Römer8,19ff.), gab es in der ursprünglichen Schöpfungkeinen Tod (vgl. Junker 1994). In biblischer Per-spektive kann aus der Struktur der heutigen Schöp-fung daher nicht unmittelbar auf Gottes ursprüngli-ches Schöpfungshandeln geschlossen werden.

Daraus folgt, daß Degenerationen und damiteinhergehende Konstruktionsmängel als nachträg-liche Veränderungen ursprünglicher Designs mög-lich und sogar zu erwarten sind. Denn auch imRahmen des Schöpfungsparadigmas gibt es eineGeschichte der Lebewesen; die Schöpfung ist nichtstatisch. Die geschaffenen Lebewesen befinden sichnicht mehr im Originalzustand.

Einwand: Perfektes Design ist das, was geschaffenist, Konstruktionsmängel dagegen Produkt natürlicherVorgänge nach der Erschaffung. Daraus könnte eineImmunisierung gegen Kritik resultieren, denn wasimmer man auch beobachtet – perfektes oder „min-derwertiges“ Design –, es würde immer passen;Testbarkeit und Falsifikation wären ausgeschlos-sen. Doch so einfach ist die Sachlage nicht. Denn imRahmen des hier vorausgesetzten Grundtypmodellskönnen nur mikroevolutive Prozesse herangezogenwerden, um sekundäre Konstruktionsmängel zu er-klären (zum Beispiel bei blinden Höhlenfischen).Eine genauere Analyse muß also im Einzelfall zei-gen, ob ein „Design-Fehler“ überhaupt als nachträg-lich eingestuft werden kann. Daß es sich also nichtum eine primäre (schöpfungsbedingte) Funktionslo-sigkeit handelt, muß im Einzelfall plausibel gemachtwerden und darf selbstverständlich willkürlich be-hauptet werden.

Auch hier gilt: 1. Diese Klärungen sind nur durchForschung möglich und diese Forschung ist ergeb-nisoffen. 2. Es können wie immer in historischenFragen nur Plausibilitäten abgewogen werden.

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Design und Constraints

Gegen die Falsifizierbarkeit des Intelligent-Design-Konzepts durch Aufweis von Konstruktionsmän-geln könnte man weiter einwenden, daß man sol-che Mängel einfach als constraints („strukturelleZwänge“, die keine andere Konstruktion erlauben,wenn die Funktion gewährleistet werden soll) erklä-ren könnte. Damit könnte man behaupten, einSchöpfer sein nun mal an gewisse Rahmenbedin-gungen gebunden; damit seien Mängel kein Beweisfür schlechtes Design, sondern lägen sozusagen inder Natur der Sache.

Doch der Hinweis auf constraints darf nicht alsad hoc-Erklärung für Konstruktionsmängel heran-gezogen werden. Vielmehr muß gezeigt oder we-nigstens plausibel gemacht werden, daß gewisseAnforderungen an die Konstruktionen des Lebensdie vorliegenden Konstruktionen verständlich bzw.sogar erforderlich machen, wenn sie denn funktio-nieren sollen. Wenn also ein Verdacht vorliegt,bestimmte Organe seien mangelhaft, kann dies nichteinfach mit dem Verweis auf mögliche constraintserledigt werden, vielmehr sollte (durch Forschung!)herausgefunden werden, worin die constraints be-stehen. Sonst wäre der nicht weiter begründete Ver-weis auf constraints eine Immunisierungsstrategiegegen Kritik.

Es wäre jedoch ein falsches Verständnis von derSchöpfermacht Gottes, wenn man annehmen woll-te, er könne sich doch über contraints bzw. funktio-nelle Erfordernisse hinwegsetzen, was hin und wie-der behauptet wird. Das wäre widersinnig. Ob cons-traints vorliegen, muß durch eingehende Untersu-chungen plausibel gemacht werden. Damit wirdgleichzeitig auch die Behauptung geprüft, das be-treffende Organ sei mangelhaft. Wieder wird deut-lich, daß der Design-Ansatz Forschung fördern kannstatt sie zu verhindern.

Ein Beispiel aus JUNKER (2002, 111): Die Über-kreuzung von Speise- und Luftröhre bei Säugetierenwird oft als Konstruktionsmangel angeführt. Wegender Gefahr des Verschluckens sei diese Konstrukti-on nicht optimal und als stammesgeschichtlich be-dingte Fehlkonstruktion anzusehen. Doch davonkann nicht die Rede sein, denn bei Nicht-Überkreu-zung würde die Speiseröhre vor dem Herzen liegen,was z. B. bei einer Vergrößerung des Herzens zueinem Abdrücken der Speiseröhre führen würde.Die Überkreuzung hat zudem einige Vorteile: In derLuftröhre hinaufbeförderter Schleim kann in dieSpeiseröhre abgeleitet werden. Außerdem machtdiese Konstruktion Atmung durch den Mund mög-lich, was bei Anstrengung, beim Heraushusten vonFremdkörpern oder auch bei starkem Schnupfeneine dankenswerte Einrichtung ist. Außerdem istdiese Konstruktion platzsparend.

Als weiteres Beispiel sei der genetische Codeangeführt. FREELAND & HURST (2004, 90) machen

dazu folgende interessante Bemerkung: „Der Stan-dardcode, der sich vor Urzeiten entwickelte undüber Milliarden Jahre erhalten blieb, ist demnachkein Zufall – im Gegenteil: Er wurde darauf opti-miert, die Auswirkungen biochemischer Zufälle zuminimieren.“ Wenn es tatsächlich zutreffen würde,daß der Standardcode der beste denkbare Code ist,könnte man auch im Rahmen des Schöpfungspara-digmas argumentieren, daß der Code optimal „aus-gedacht“ sein könnte. Gott hätte nicht beliebigeCodes verwenden können, wenn der Code optimalsein sollte. Auch hier könnte man eine Bindung anconstraints sehen, die sich darin äußert, daß einoptimales Produkt gefertigt werden soll. Es wäreeine sehr seltsame Argumentation, wenn man sa-gen wollte, daß sich ein allmächtiger Schöpfer übersolche Zusammenhänge hinwegsetzen würde. Dennweshalb sollte er das tun?

Bei allen diesen Mutmaßungen dieser Art mußman sich allerdings darüber im Klaren sein, daßÜberlegungen über Motivationen des Schöpfersimmer problematisch sein müssen.

Größere Teile dieses Beitrags sind überarbeitete Ab-schnitte des 4. Kapitels von R. Junker (2002) Ähnlichkei-ten - Rudimente - Atavismen. Design-Fehler oder De-sign-Signale? Holzgerlingen. Gegenüber dieser Publi-kation ergänzend hinzugekommen sind die beiden letz-ten Abschnitte „Design-Fehler, Forschungsanreize undTestbarkeit“ und „Design und Constraints“.

Anmerkungen

1 Diese Einschätzung ist allerdings höchst fragwürdig,da es sich hierbei offenkundig um Zivilisationskrank-heiten handelt, die durch ungesunde Lebensweiseauftreten.

2 PAULUS stellt in Römer 1,19ff. allerdings heraus, daßGottes „ewige Macht und göttliche Größe“ an seinenWerken erkennbar ist. Dies ist aber sehr allgemeinformuliert und bedeutet nicht, daß aus den heutigenPhänomenen des Lebens auf die Struktur der ur-sprünglichen, im Bibeltext als „sehr gut“ charakteri-sierten Schöpfung geschlossen werden kann. Denndie Bibel berichtet auch von einem Bruch in derSchöpfung durch den Einbruch des Todes, der dieganze Welt in Mitleidenschaft gezogen hat.

3 „Many arguments in the Origin make sense only if onepresupposes the creator of early nineteenth centuryEnglish natural theology – and DARWIN does not chal-lenge this conception“ (NELSON 1996, 513).

4 Der Wissenschaftstheoretiker SOBER (1993, 46; zit. inNELSON 1996, 494) stellt dazu fest: „[Many biologists]have taken pains to point out how the hypothesis ofevolution by natural selection makes predictions thatdiffer dramatically from those that flow from designhypothesis. ... At the same time and often in the samebook, some biologists and philosophers have pursueda quite different line of attack. They have argued thatcreationism is not a scientific hypothesis because it is

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untestable. ... If creationism cannot be tested, thenwhat was one doing when one emphasized the imper-fection of nature? Surely it is not possible to test andfind wanting a hypothesis that is, in fact, untestable.“

5 In diesem Sinne äußert sich CAIN (1957-58, 213) zum„Rätsel Darwins“: „Now while there may be truth inthis remark, it must be pointed out that its cogencyrests in large part on our ignorance. Because weourselves have failed in the attempt to see any functio-nal reason why certain animals have a particularstructure in common, we conclude that there can benone. ... We know too little about all the selectiveforces acting upon a single organ from its first de-velopment ...“ (Hervorhebung im Original).CAIN (1989, 4) bestreitet auch, daß die Grundbaupläneder Organismen an sich nicht Ausdruck der Anpas-sung sind. Vielmehr müßten sie aufgrund ihrer Anpas-sung verstanden werden. Dafür nennt er vier Gründe:1. Diese Meinung habe sich aus früheren, nicht zutref-fenden Ideen „fortgepflanzt“; 2. Wenn wir die adapti-ve oder funktionelle Bedeutung eines Organs nichtkennen würden, läge das viel wahrscheinlicher anunserer Unkenntnis als an einer tatsächlichen Funk-tionslosigkeit; 3. evolutionstheoretisch gesehen wäregenug Zeit, um Form-Funktions-Mißverhältnisse aus-zugleichen; insbesondere wenn man an die gewalti-gen Umbauten denkt, die evolutiv bereits abgelaufensein sollen; 4. es gibt heute mehr direkte Nachweisevon Funktionalitäten (Anpassungen) von Eigenschaf-ten, die die größeren Taxa charakterisieren. Daherstellt CAIN folgende These zur Diskussion: „The thesisI wish to put forward therefore, is that broadly spea-king, the major plans of construction shown by theolder groups are soundly functional and retained me-rely because of that“ (CAIN 1989, 4).

6 „We have shown that the hand of the giant panda hasa much more refined grasping mechanism than hasbeen suggested in previous morphological models“(ENDO et al. 1999).

7 Beim Unvollkommenheitsargument muß außerdemnoch bedacht werden, worauf sich die mutmaßlicheUnvollkommenheit bezieht: „unvollkommen“ im Hin-blick auf welche Funktion oder Umwelt? So können z.B. veränderte Umweltbedingungen zu „Unvollkom-menheiten“ führen. Oder ein polyfunktionales Organmag in Bezug auf eine Nebenfunktion nicht optimalsein.

8 Man beachte, daß einmal eine Homologie, dann aberKonvergenz als Argument gegen Design vorgebrachtwird.

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