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Texte aus Mesopotamien 2.14 Therapien gegen von Geistern oder von Hexerei verursachte Leiden Daniel Schwemer Eine wichtige Voraussetzung zur Heilung komplexer Krankheitsbilder bestand nach den Vorstellungen des vorhellenistischen Mesopotamiens in der Identifikation der Krankheitsursache. Diese konnte beim betroffenen Menschen selbst oder in seinem unmittelbaren Umfeld liegen, wenn der Patient durch eigene Vergehen oder Vergehen seiner Vorfahren den Zorn der Götter erregt hatte, der sich nun in seiner Erkrankung manifestierte (vgl. Kapitel 2.15 in vorliegendem Band von S. M. Maul). Symptomatik und Anamnese konnten aber auch Hinweise darauf geben, daß die Ursache der jewei- ligen Krankheit außerhalb des unmittelbaren Umfelds des Kranken zu suchen war. So wurden bestimmte Krankheiten als direkt von bestimmten Gottheiten hervorgerufen diagnostiziert (>Hand der Gottheit.. .<; off in diagnostischen Texten, s. hier Kapitel 1 von N . P. Heeßel). Als die beiden wichtigsten externen Krankheitsverursacher galten aber einerseits Geister und Dämonen sowie andererseits Hexerei, also eine schaden- zauberische Manipulation der Gesundheit des Patienten durch Mitmenschen. Für beide Diagnosegruppen sind zahlreiche therapeutische Texte überliefert, die neben Rezepten für die Herstellung von Heilmitteln und Apotropaia in besonderem Maße auch feierliche Beschwörungsrituale einschließen 265 '. Das Corpus der Therapien von durch Geister verursachten Krankheiten wurde jüngst umfassend von J. A. Scurlock ediert und kommentiert (Magico-Medical Means of Treating Ghost-Induced Iiinesses in Ancient Mesopotamia, AMD 3, Leiden / Bo- ston 2006; im folgenden: Scurlock, MMTGI). Die Rezepte und Rituale des Abwehr- zaubers harren noch einer vergleichbaren Edition 266 '; für eine rezente Darstellung des Textcorpus und der damit verbundenen Vorstellungen s. D. Schwemer, Abwehrzau- ber und Behexung: Studien zum Schadenzauberglauben im alten Mesopotamien. Unter Benutzung von Tzvi Abuschs Kritischem Katalog und Sammlungen im Rah- men des Kooperationsprojektes Corpus of Mesopotamian Anti-witchcraft Rituals, Wiesbaden 2007 (im folgenden: Schwemer, Abwehrzauber und Behexung). 2.14.1 Beschwörungsrituale und Rezepte gegen von Totengeistern und anderen Unheilsgeistern verursachte Leiden Die einkolumnige Tafel VAT 8242 (Vorderasiatisches Museum, Berlin) aus neuassyri- scher Zeit (7. Jh. v.Chr.), die in der Bibliothek des sogenannten >Haus des Beschwö- rungspriester< in Assur gefunden wurde, legte zuerst E. Ebeling als KAR 184 in Kopie vor; Umschrift und Übersetzung folgten in seiner Monographie Tod und Leben nach den Vorstellungen der Babylonier, Berlin / Leipzig 1931 (S. 78-86, Nr. 21). Eine nicht 265. Das ausführlichste Abwehrzauber-Ritual, Maqlü, wurde von T. Abusch und Verf. in TUAT NF 4, 91-149, jüngst in einer neuen deutschen Übersetzung vorgelegt. 266. T. Abusch hat die einschlägigen Texte gesammelt, Editionen vorbereitet und diverse Texte in zahlreichen Beiträgen kommentiert (s. etwa seinen Sammelband Mesopotamian Witchcraft. Towards a History and Understanding of Babylonian Witchcraft Beliefs and Literature, AMD 5, Leiden u.a. 2002). Der erste Band des von T. Abusch und Verf. vorbereiteten Corpus of Mesopotamian Anti-witchcraft Rituals wird in Bälde erscheinen. 123

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  • Texte aus Mesopotamien

    2.14 Therapien gegen von Geistern oder von Hexerei verursachte Leiden

    Daniel Schwemer

    Eine wichtige Voraussetzung zur Heilung komplexer Krankheitsbilder bestand nach den Vorstellungen des vorhellenistischen Mesopotamiens in der Identifikation der Krankheitsursache. Diese konnte beim betroffenen Menschen selbst oder in seinem unmittelbaren Umfeld liegen, wenn der Patient durch eigene Vergehen oder Vergehen seiner Vorfahren den Zorn der Götter erregt hatte, der sich nun in seiner Erkrankung manifestierte (vgl. Kapitel 2.15 in vorliegendem Band von S. M . Maul). Symptomatik und Anamnese konnten aber auch Hinweise darauf geben, daß die Ursache der jewei-ligen Krankheit außerhalb des unmittelbaren Umfelds des Kranken zu suchen war. So wurden bestimmte Krankheiten als direkt von bestimmten Gottheiten hervorgerufen diagnostiziert (>Hand der Gottheit.. .Haus des Beschwö-rungspriester< in Assur gefunden wurde, legte zuerst E. Ebeling als KAR 184 in Kopie vor; Umschrift und Übersetzung folgten in seiner Monographie Tod und Leben nach den Vorstellungen der Babylonier, Berlin / Leipzig 1931 (S. 78-86, Nr. 21). Eine nicht

    265. Das ausführlichste Abwehrzauber-Ritual, Maqlü, wurde von T. Abusch und Verf. in TUAT NF 4, 91-149, jüngst in einer neuen deutschen Übersetzung vorgelegt.

    266. T. Abusch hat die einschlägigen Texte gesammelt, Editionen vorbereitet und diverse Texte in zahlreichen Beiträgen kommentiert (s. etwa seinen Sammelband Mesopotamian Witchcraft. Towards a History and Understanding of Babylonian Witchcraft Beliefs and Literature, A M D 5, Leiden u.a. 2002). Der erste Band des von T. Abusch und Verf. vorbereiteten Corpus of Mesopotamian Anti-witchcraft Rituals wi rd in Bälde erscheinen.

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    überall zuverlässigere Neukopie publizierte F. Köcher als BAM IV 323; eine wegwei-sende Bearbeitung von Rs. 79-88 lieferte W. Farber (Beschwörungsrituale an Istar und Dumuzi. Atti Istar sa harmasa Dumuzi, Akademie der Wissenschaften und der Lite-ratur, Veröffentlichungen der orientalischen Kommission 30, Wiesbaden 1977, 210-17). Der gesamte Text liegt nun in einer alle bekannten Duplikate berücksichtigenden Neubearbeitung von J. A. Scurlock vor, die die einzelnen auf der Tafel versammelten Rituale und Rezepte je einzeln in MMTGI ediert hat (Vs. 1-38: 530-35 Nr. 226; Vs. 39-Rs. 64: 507-9 Nr. 218; Rs. 65-68: 528-29 Nr. 225; Rs. 69: 525 Nr. 223; Rs. 70-74: 549-50 Nr. 236; Rs. 75-78: 605-6 Nr. 289; Rs. 79-88: 537-38 Nr. 228; Rs. 89-107: 305-8 Nr. 91; Rs. 108-9: 658 Nr. 333; Textübersicht mit weiteren Literaturhinweisen: 712-13).

    Der Text bietet eine Sammlung von Therapien gegen von einem Totengeist oder anderen Dämonen verursachte Erkrankungen, deren Symptome meist ausfuhrlich beschrieben werden. Neben feierlichen Ritualen (Vs. 1-38; Vs. 39-Rs. 64; Rs. 79-88; Rs. 89-107) enthält die Sammlung auch knappe Rezepte für Salben und um den Hals zu legende Lederbeutel. Wie dies auch für andere Textgruppen gelegentlich bezeugt ist, wird die Anwendung der Heilmittel ausdrücklich für den Fall vorgeschrieben, daß das feierliche Ritual des Beschwörers keine Wirkung gezeigt hat (Rs. 75).

    ( V s . i)VVenn einen Mann ein Totengeist gepackt hat und ihn ständig verfolgt, oder ein o/[u-Dämon oder ein] go[i/u-Dämon] Woder ein sanghulhaza-Dämon ihn gepackt hat oder >Jegliches Böse< ihn immer wieder pa[ckt] oder [ . . . ] : OErde aus einer auf-gegebenen Stadt, Erde von einem aufgegebenen Haus, Erde von einem aufgegebenen Tempel, Erde von einem Grab, Erde von einer Grund[mauer], WErde von einem auf-gegebenen Kanal (und) Erde von einer Straße nimmst du zusammen, mischst (sie) mit Rinderblut, machst eine Figur von >Jeglichem Bösem

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    per des Patienten) setzte, haben dich (nunmehr) aus dem Körper des N.N., des Sohnes des N.N., entfernt!« ( " ) A m dritten Tag, am Nachmittag, richtest du ein Ritualarrangement vor Samas her. 0* )Der Patient hebt die Figur hoch, dann läßt du ihn vor Samas wie folgt sprechen: (")Beschwörung: »Samas, Fürstlichster der Anunnakkü-Götter, Fürst der Igigü-Götter, erhabener Herrschen der die Menschen regiert, ( 2 0)Richter von Himmel und Erde, der seine Weisung nie ändert, ( 2 , )Samas, der die Dunkelheit in Ordnung bringt 2 7 1), den Menschen Licht spendet, ( 2 2 ) Samas, wenn du untergegangen bist, hat sich das Licht der Menschen in Finsternis verwandelt, Samas, wenn du aufgehst, wird die ganze Welt hell. ( 2 3 )D ie Waise, die Witwe, die Obdachlose, die (mittellose) Freundin - ( 2 4)alle Men-schen wärmen sich an deinem Schein. ( 2 5 )Das Vieh, die Lebewesen, die Tiere der Step-pe (2 Ä)pflegen dir ihr Leben . . . zu bringen 2 7 2). ( 2 7 )Das Urteil für den Geschädigten und die Geschädigte gewährst du, triffst die rechte Entscheidung für sie. Ich, N.N., Sohn des N.N., bin von Erschöpfung niedergebeugt, (28>(ich,) den durch den Zorn des Gottes und der Göttin eine Bindung gefangen hält: ( 2 , )e in utukku-Dämon, ein räb/su-Dämon, ein Totengeist, ein Wü-Dämon, Schüttelfrost, Benommenheit, Lähmung des Fleisches, Schwindelgefühl, (30)sossotu-Krankheit (und) Irrsinn haben (mich) gefangen genommen und betäuben mich täglich (mehr und mehr). meine Bindung mich freigelassen hat, aus meinem Körper ge-flohen ist, mögen die Götter wo immer ich (auf deinen Entscheid) vertraue, einig sein mit deiner Weisung. ( 3 5 ) [Der Himmel möge sich] über dich [freu]en, die Erde möge über dich jauchzen!« Beschwörungsformel.

    ( 3 6 ) [So läßt du] ihn sprechen. Du legst s ie 2 7 3 ) in ein Gefäß, dann beschwörst du es 2 7 4 ) : ( 3 7 ) [Bei der Erde sei beschworen], beim Himmel sei beschworen, bei Samas sei be-schworen!« Du sprichst es, dann verschließt du seine Öffnung. ( 3 8 ) [ . . . ] . . . ; in verlassenem Ödland vergräbst du es.

    ( 3 , ) [Wenn ein Toten]geist [einen Mann] gepackt hat und [ihn] ständig verfolgt [oder] der Wö-Dämon oder die ardot-///f-Dämonin ( 4 0 )oder AN.TA.sua.BA-Epilepsie oder jegli-ches Böse< ihn gepackt hat und in seinem Körper [vorhanden ist], läßt du ihn Eselsurin auffangen, ( 4 ,)mischst es mit /nn/nnu-Mehl (und) fertigst (daraus) eine Figur des Toten-geistes oder von >Jeglichem BösemJeglichem Bösen

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    ( 4 S )Beschwörung: 2 7 7 ) »Samas, der König der Gerechtigkeit, möge deinen Plan 2 7 8) umsto-ßen! Der Weise der Götter Marduk, möge deinen Prozeß (mit Finsternis) bedecken! ( 4 7)Ningestinna, die Unreine, die Heroldin mit dem Meßrohr; ( 4 8 )möge dir in der Liba-tionsröhre der Erde dein Wasser abschneiden! ( 4 9)Ningiszida, der Thronträger der wei-ten Unterwelt, möge deine Brust umwenden! ( S 0 )A ra 2 7 9 ) , der Wesir von Eridu, hole dich fort! ( s 1)[S/n, der He]rrder Tiara, mö[ge] gegen dich [ ... ]! (sl)[Ninurt]a, der Herr der Waffe, [möge] deinen Hals [ . . . ] !

    Der Rest des Beschwörungstextes (wohl Vs. 53-56) ist nur in Resten erhalten und scheint von den publizierten Paralleltexten abzuweichen. Die erste Zeile der Rückseite bietet bereits die zugehörige Ritualanweisung:

    (Rs- " ) [ . . . ] legst du [die Figur in ein Kes]selchen von sieben Sekeln Kupfer (Ge-wicht); sein Gesicht 2 8 0) [ . . . ] . . . [ . . . ] . ( 5 8 ) [ . . . ] machst du zu Häupten des Patienten. Du bringst ihn 2 8 1 ) hinein. Drei Tage lang ( 5»)[ . . . ] . . . Tag und ! Nacht die Rezitation, die du vor Samas [ . . . ] , ( < 0) . . . [ . . . ] s/güsu-Mehl streust du über ihn. ( 6 1 )Am dritten Tag öffnest du, wenn die Sonne untergeht, im unbebauten Land ein Loch und vergräbst ihn (darin). («)Sein Gesicht richtest du nach Westen, biegst [sein]e [Arme] zurück. Du umgibst ihn mit einem Mehlkreis aus s/güsu-Mehl. ( 'S)Du schlachtest eine Taube; ihr Blut gießt du über ihn. (* 4)Du [beschwörst ihn mit der z/podü-Beschwörungsformel. (Auf dem Rückweg) darfst du nicht hinter dich blik-ken.

    (65)Wenn ein Totengeist einen Mann gepackt hat und er (abwechselnd) heiß (und) kalt wird, sein . . . zahlreich ist 2 8 2 ) , ( 4 6 )e r einem Anfall immer nahe ist, Tag und Nacht nicht zur Ruhe kommt, (*7)sein Schrei wie der Schrei eines Esels ist, dann hat ihn ein fremder Totengeist im Ödland gepackt. (* 8)Du reibst seinen Körper mit Bierwürze ab, kühlst ihn. Du zerstößt >Fuchswein

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    chen von Enki (und) (7 2>dem Helden Asalluhi, dem Sohn von Eridu, durch den Befehl der Ningirima, der Herrin der Beschwörungen. ( 7 3 )Beim Himmel sei beschworen, bei der Erde sei beschworen!« ( 7 4 ) Diese Beschwörung rezitierst du für (um den Hals zu legende) Lederbeutel, Sal-be(n) und Tränke.

    (75) Wenn die >Hand eines TotengeistesMenschenkno-chen< (zerstößt du) zusammen; in Öl ( 7 8)salbst du ihn (damit); dann nestelst du es in ein Leder ein, legst es um seinen Hals. Er wird genesen.

    ( 7 , )Wenn einen Mann der Totengeist seines Vaters oder seiner Mutter ständig packt, nimmst du am 27: Tag des Monats Abu ( 8 0 )Ton aus der Tongrube, fertigst die Figur eines Mannes und einer Frau an. Die Figur des Mannes versiehst du mit einer >Augen-braue< aus Gold, die Figur der Frau versiehst du mit >Ohren< aus Gold. ( 8 1 ) Karneol (per-len) reihst du auf einer roten Wollkordel auf, legst es um ihren Hals. Du stattest sie üppig aus, ( 8 2)ehrst sie, richtest sie schön her: Diese Figuren plazierst du drei Tage lang ( 8 3 )zu Häupten des Patienten. Heiße Suppe gießt du ihnen hin. ( 8 4 )Am dritten Tag, dem 29. Tag (des Monats), wenn die Totengeister (für gewöhnlich mit Opfern) versorgt wer-den, fertigst du ein Segelboot an. ( 8 5 )Du teilst ihren Proviant zu; vor Samas richtest du sie. ( 8 6) lhre Gesichter richtest du nach flußabwärts und sprichst wie folgt: ( 8 7 )»Aus dem Körper des N.N., des Sohnes des N.N., entfernt euch 3600 Meilen! Ver-schwindet, verschwindet, entfernt euch, entfernt euch! ( 8 8 )Beim großen Himmel seid ihr beschworen!«

    (89)Wenn ein Mann ständig Kopfschmerzen bekommt, seine Ohren dröhnen, sein Au-genlicht) sich verdunkelt, (»°)seine Nackenmuskeln ihn vor Schmerz verzehren, seine Arme immer wieder an s/mmotu-Lähmung leiden, seine Niere ihm Schmerzen bereitet, ( 9 1)sein Herz >aufgestört< ist, seine Beine immer wieder an rimütu-Bewegungslosigkeit leiden, (' 2)dann verfolgt diesen Mann ein (ihm) nachjagender Totengeist unablässig. Um ihn genesen zu lassen:

    C 3 )Am 15. Tag (des Monats), dem Tag, da S?n und Samas zusammen stehen 2 8 4) , (»^be-kleidest du diesen Mann mit einem Sackgewand. Mit einer Obsidian(klinge) ritzt du sei-ne Schläfen, ( , 5)vergießt sein Blut. Du läßt ihn in einer mit Rohrbündelstandarten um-zäunten Einfriedung sitzen. (")Sein Gesicht richtest du nach Norden. In Richtung auf STn, nach Westen, erstel lst du ein Räuchergefäß mit Wacholder auf, libierst Kuhmilch. In Richtung auf Samas, (nach) Osten, stellst du ein Räuchergefäß mit Zypressenholz auf, C8)libierst Bier bester Qualität. Der Mann spricht wie folgt:

    ( " ) »Zu meiner Linken ist Sin, die Mondsichel des großen Himmels, zu meiner Rechten ist der Vater der Schwarzköpfigen 2 8 5), Samas, der Richter! ( 1 0°)Beide Götter Väter der großen Götter; treffen den Entscheid für die weitverbeiteten Menschen.

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    ablässig. < 1 0 2)Ich bin wahrlich jammervoll, verstört und betrübt! Für euer Urteil (knie ich nieder) - rettet mich, damit ich nicht Schaden nehme!« O 0 3)Siebenmal spricht er (es), dann kommt er aus der Einfriedung heraus und legt sein Gewand ab; ein reines Ge-wand zieht er an. Zu Sin hin spricht er wie folgt:

    (104)Beschwörung: »Nanna 2 8 6 ) , Leuchte des Himmels und der Erde, entffeme] die gar nicht gute Krankheit aus meinem Körper!« ( 1 0 S )Dreimal spricht er es, dann spricht er zu Samas hin wie folgt:

    ( i 0 6 ) »U iu 2 8 7 ) , großer Richter; Vater der Schwarzköpfigen, der böse Wind, der (mich mit der Krankheit) versehen hat, möge wie Rauch zum Himmel aufsteigen, dann will ich dein Lob singen!« 0 0 7 )Dreimal spricht er es und p[rosterniert sich] nicht 2 8 8) . (Dann wird er genesen.)

    (N>8)Kanis-Eiche, nusöbu-Pflanze, [ . . . ]-Pfl[anze], e//kul[/o-Pflanze, ...-Pflanze], (i09)VVurzel eines bo/tu-Dorns, der über einem Grab (wuchs), Tamariskensamen [ . . . ] 2 S 9 ) .

    2.14.2 Eine Salbe gegen >BannHaus des Beschwörungspriesters< in Assur ansässigen Beschwörerfamilie geschrieben. Der Text wurde zuerst von L. Speleers in Keilschriftkopie als Recueil des inscriptions de l'Asie anterieure des Musees Royaux du Cinquantenaire ä Bruxelles (Bruxelles 1925) Nr. 307 veröffentlicht, dann von W. Eilers, Ein verkannter medizinischer Keilschrifttext, AGM 26/4 (1933) 318-28 be-arbeitet. Eine Neukopie legte F. Köcher als BAM II I 199 vor. Die jüngste Bearbeitung, die auch alle verfügbaren Duplikate mit einbezieht, stammt von J. A. Scurlock (MMTGI, 459-61 Nr. 187b). Die Tafel bietet ein Rezept für eine Salbe, das abschlie-ßend als »Geheimnis des Beschwörers« (bzw. »der Beschwörungskunst«) bezeichnet wird. Texte wie der vorliegende zeugen von der Breite des Tätigkeitsfeldes des >Be-schwörers< (äsipu) im 1. Jt. v.Chr., dessen Kunst sich keineswegs auf die Durchfüh-rung >magischer< Rituale beschränkte, sondern auch umfassende Kenntnisse der Dia-gnostik sowie der Drogen- und Heilmittelkunde einschloß.

    0^- Oftormus-Pflanze], >Sie-trat-1000-entgegenSie-trat-20-entgegen

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    geistesEin Geheimnis des Beschwörers. Kolophon: ( 1 5)[Ta]fel des Kisir-Nabü, des Beschwörers, ( 1 6 ) [des Sohnes] des Samas-ibni, des Beschwörers.

    2.14.3 Rezepte zur Lösung von Schadenzauber

    Die einkolumnige, neuassyrische Tafel VAT 13776 (Vorderasiatisches Museum, Ber-lin) wurde laut dem Kolophon von Assur-säkin-sumi, einem auch als Verfasser ande-rer Tafeln aus dem sogenannten >Haus des Beschwörungspriesters< in Assur bekann-ten Priester, von einer alten Vorlage abgeschrieben. Der Text selbst, der von F. Köcher als BAM I I 190 in Kopie veröffentlicht wurde, bietet eine Sammlung von Rezepten zur Herstellung von Heiltränken gegen verschiedene Formen der Behexung, die teilweise die Verwendung einer großen Anzahl unterschiedlicher Drogen vorschreiben. Tränke sind ein typisches Heilmittel gegen Behexung und sollten off Erbrechen provozieren, damit der Patient auf diese Weise die von ihm aufgenommenen Unheilsstoffe von sich gebe. Die meisten der in VAT 13776 festgehaltenen Rezepte lassen sich auch innerhalb anderer Rezeptsammlungen nachweisen, nach denen sich fragmentarische Passagen ergänzen lassen. Eine Bearbeitung von Vs. 22-26 findet sich bei T. Abusch, Mesopota-mian Witchcraft, AMD 5, Leiden u. a. 2002, 80-82. Eine Gesamtbearbeitung von VAT 13776 mit einer Übersicht über die Duplikate und Kollationen zum Haupttext hat Verf. in KAL I I vorgelegt (Nr. 49).

    0"- Otormus-Fflanze, >Sie-trat-1000-entgegenSie-trat-2[0]-entgegenFuchsweinHundezungeBannSie-trat-1000-entgegenSie-trat-2[0]-entgegen

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    Morjgen läßt du es ihn auf nüchternen Magen trinken. Er wird erbrechen und ge-ne[sen]. ( R s . i)tormus-Pflanze, >Sie-trat-1000-entgegenSie-trat-20-entgegenHundezungeSpucke-des-MeeresLöseholzRöhrricht-Apfek, Fenchel, Gelbwurz, nlnö-Pflanze, (6)asqulö7u-Pflanze, otö'/su-Pflanze, ozo//u-Pflanze: 23 Drogen zur Lösung von Hexerei. ( 7)[Für den Fall, daß einem Mejnschen (Hexereien mit Hilfe von) Kräu-tern) zu essen und zu [tr]inken gegeben wurden, ist es gut. Du gibst (es) ihm in Bier bester Qualität zu trinken, dann wird er genesen. WGegen einen Menschen wurden alle (Methoden der) Hexerei zusammen angewen-det, und (das Leiden) dauert trotz der Behandlung mit der Kühnst des Arztes] Wund der Kunst des Beschwörers an und ist nicht gelöst: >Sie-trat-1000-entgegenSie-trat-[20-entgegenHaus des Beschwörungspriesters< in Assur gefunden. Die Tafel überliefert ein feierliches Abwehrzauber-Ritual, dem eine ausführliche Symptom-beschreibung mit Diagnose vorangestellt ist. Die Krankheit des Patienten wird dann auch innerhalb eines langen, innerhalb des Rituals zu rezitierenden Gebetes an den Sonnengott Samas nochmals weitgehend übereinstimmend mit der einleitenden Symptombeschreibung aus der Sicht des Kranken selbst beschrieben.

    Die Fragmente wurden zuerst von E. Ebeling und F. Köcher als LKA 154 und 155 in

    290. Eine bestimmte Form der Behexung, die sich nicht nur als Aphasie i m engeren Sinne, sondern auch in der Unfähigkeit, seine Interessen etwa bei Hofe oder vor Gericht eloquent durch-zusetzen, manifestierte.

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    Kopie vorgelegt. Eine Teilübersetzung mit gebundener Umschrift findet sich bei T. Abusch, Mesopotamian Witchcraft, AMD 5, Leiden u. a. 2002, 90-92 (zuerst publi-ziert 1998). Eine Neukopie und Bearbeitung des Haupttextes VAT 13609+ wurde von Verf. als KAL II 24 vorgelegt; dort findet sich als Nr. 25 auch eine Neukopie und Be-arbeitung des wichtigsten Duplikates LKA 157 (ebenfalls eine Tafel aus dem >Haus des Beschwörungspriesters< in Assur). Ein weiteres, in manchen Einzelheiten von unserem Haupttext abweichendes Duplikat des Textes wurde auch in der >Assurbanipal-Biblio-thek< in Ninive gefunden (K 3394 [SRT Tf. VII] + unpubl. K 9866). Die Zeilenzäh-lung in vorliegender Übersetzung folgt LKA 154 + 155 = KAL II 24.

    (vs. i)Vvenn einem Menschen das Haupthaar zu Berge ste[ht, wenn . . . ] , (wenn) seine Lippen ( 2)(ihn) schmerzen, [seine] Oh[ren dröhnen], sein Speichel läuft, [ . . . ] , seine Nackenwirbel ( 3)ihm Schmerzen bereiten, seine Brust [ihn] vor Schmerz verzehrt, seine Nackenmuskeln verspannt sind, seine Hände und Fü[ße] H)gelähmt sind (und) [ihn] stechend schmerz[en], er fortwährend würgt, (aber) nicht er[brechen kann], ( 5)[seinen Leib Lähfjmung h[ält, sei]ne [Glieder] hingeschüttet [sind], ( 6 ) [ . . . ] . . . [ . . . ] , er zu schwa[ch] ist, sich zu erheben, zu stehen, zu reden, ( 7)[dann sind gegen diesen Menschen Hex]ereien vollführt worden. Man hat sie ihm [mit Brot] zu essen, mit Bier zu trinken gegeben.

    (8)[ ... ] hat ihn gepackt. Der Zorn seines Gottes (und) seiner Göttin sind gegen ihn entbrannt. ( 9 ) [U]m den Zorn seines Gottes (und) [seiner] Göttin [versch]winden zu lassen, seinen Gott (und) seine Göttin mit ihm zu versöhfnen], ( 1 0 ) [um die Hexereien], die gegen ihn vollführt wurden, zu wenden, um sie dann diejenigen packen zu lassen, die sie vollführt haben, um diesen Menschen zu retten O^und ihn zu schonen, um diese [Hexereien aus seinem Leib zu entfernen:

    ( 1 2 )D ie zugehörigen [Handlungen]: In der [Na]cht fegst du den Boden, versprengst rei-nes Wasser, stellst das Weihwassergefäß auf, legst in das (Wasser des) Weihwasser-gefäß(es) ( 1 3)[Tama]riske, Seifenkraut, salälu-Rohr, Holz von der jungen Dattelpalme, Zedernholz, Zypressenholz, (14)>Süßrohrsobald die Sonne aufgeht, stellst du vor Samas ein Tragealtärchen auf. Ein mit Wacholder gefülltes Räuchergefäß stellst du hin. Bier bester Qualität 0*)[lib]ierst du. Du nimmst einen Lederbeutel. In den Lederbeutel hinein legst du Silber; Gold, Kupfer; Zinn, Bl[ei], ( , 7)[Kar]neol, Lapislazuli, Chalzedon, mussaru-Stein (und) pop-pard/M-Stein. (* 8)[Zwei Bilder] aus Tamariskenholz, zwei Bilder aus Zedernholz, zwei Bild[er] aus Talg, zwei Bilder aus Wachs, zwei Bilder ( , 9 ) [aus Tre]ster, zwei Bilder aus Bitumen, zwei Bilder aus Ton (und) zwei Bilder aus Teig, (Bilder) eines Mannes und einer Frau, fertigst du an. Dann ( 2 0)bindest du ihnen ihre [Ar]me auf den Rücken. Vor Samas stellst du sie auf eine (oder: die) Mauer ( 2 ' ) [ . . . ] . . . . Du bekleidest sie mit Schilf-matte^). Öfen stellst du vor Samas hin. ( 2 2 )Du umgibst s[ie] mit [Zeichnjungen aus ar-suppu-Gerstenmehl, aus s/güsu-Mehl, aus /nn/nnu-Mehl, aus E[mmer]mehl, ( 2 3)aus [Weiz]en[mehl], aus Kichererbsenmehl, aus Linsenmehl und aus k/ssenu-Mehl. ( 2 4)[G/ps (und) Alka]li legst du an ihre Seiten. Einen Wassferschlauch] füllst du mit Ton an. Zwei Bilder [ ( . . . ) ] ( 2 5 ) [ . . . ] legst du hinein. Gips (und) Alkfali legst du] an ih[re] Seiten. ( 2*)[ . . . ] . . . . Zwei Bilder [legs]t [du ... ] ... [ ... ].

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    beutel he[bt] er mit seinen Händen [empor; . . . ] ( 2 9)hebt er [mit seinen Händjen empor Die Beschwörung »Ennab dingirrene« spricht er vor Samas dreimal: 0°)[Beschwörung]: »Ennab dingirrene namankia bitarre - ( 3 1 ) [ . . . ] die Götter, die die Schicksale der Gesamtheit von Himmel und Erde entscheiden, ( 3 2)(die) [dos Leitsei]/ der Gesamtheit von Himmel und Erde halten, ( 3 3 ) [oh]ne dich, Samas, würden die Rohr-hütten des Reinigungsrituals nicht freigegeben, ( 3 4)alle [Götter] der Gesamtheit von Himmel und Erde röchen keine Rauchopfer; ( 3 5 )und die Unterweltsgötter erhielten kei-ne Totenopfer; ( 3*)der Tote würde nicht einem Totengeist seiner Familie anvertraut. ( 3 7 )Du läßt [fjür die Lebenden das Licht aufgehen, ( 3 8)gerecht entscheidest du ihren Prozeß droben und drunten. ( 3 9 ) [ lch] , . . . (Name getilgt), der Sohn des Samas-sumu-eres, dein Diener dessen [Go]tt Nabu ist, dessen Göttin Tasmetu ist - (4 0)[diejenigen, die gegen mich Hexereien, Zau]bereien, magische Manipulationen (und) böse, gar nicht gute Machenschaften v[ollführt haben], ( 4 ,)[(oder) haben vollführen lassen - i]ch kenne (sie) nicht, du aber kennst (sie)! Steifhei[t

  • Texte aus Mesopotamien

    getilgt), ( 1 7)dein Dienen hebe, um meine Hexereien, Zaubereien, [magischen Manipula-tionen] zu lösen, ( 1 S)Silber, Gold, Kupfer, Zinn, Blei, Karneol, Lapislazuli, Chalzedon, 0^)[mussa]ru-Stein und poppordi/ü-Stein empor! Samas, dies diene als mein Ersatz, ( 2 0)Samas, dies diene als mein Stellvertreter! Hexer und Hexe, ( 2 1 ) [die gegen mich He-xerei, Aufjstand und Böses veranlaßt haben, [ . . . ] zum Bösen! ( 2 2 ) Meine Vergehen [ . . . ] vor dir, löse meine Strafen! ( 2 3 ) [ . . . ] , mein Vergehen, meine Schuld, mein Frevel seien getilgt. ( 2 4 ) [ . . . ] , (ebenso) wie Hexereien mich gepackt ha-ben, und des Hexers (2 5>[ . . . , w]eil sie böse Hexereien gegen mich gehext haben, obwohl ich nicht gegen sie g[ehex]t hatte, ( 2 6)[möge] ich, o Samas, sie kennen und wohlbehalten einhergehen!« ( 2 7 ) Wortlaut der Beschwörung, um Hexereien zu wenden und sie diejenigen packen zu lassen, die sie vollführt haben. ( 2 8 ) Du rezitierst [dies]e [Beschwörung dreimal]; und wann immer du rezitierst, [

    ].

    Es folgt in Rs. 29ff. eine weitere Ritualanweisung, die jedoch unmittelbar mit einer wei-teren, ausführlich zitierten Rezitation einsetzt; nur die letzten Worte dieser Rezitation lassen sich vollständig wiederherstellen:

    ( 3 4 ) [ . . . ] . W ie Flußwasser mögen sie 3 9 3 ) sich auflösen, ( 3 5)[mögen sie zer-gehen], zerfließen. Ihr Leben [möge] erlöschen!« Dreimal sprichst du (dies). [Dann] . . .

  • Daniel Schwemer

    beutel wird ein Passant aufheben [ . . . ] . Assurbanipal-Bibliothek< in Ninive bekannt ist (unpubl. K 8112 + 9666), richtet sich an die imhur-lim-Pflmze, deren Name von den babylonischen Gelehrten als »Sie trat tausend (Krankheiten erfolg-reich) entgegen« gedeutet wurde (in Übersetzungen oft als >Sie-trat-tausend-ent-gegenHeilt-tausend

  • Texte aus Mesopotamien

    ben Knoten ( , 4)[knotest du (in die Kordel)]. W o immer du einen Knoten machst, um-gibst du /mbi/r-/im-Pflanze mit gekämmter Wolle. Die Beschwörung rezitierst du sieben-mal darüber; ( 1 5)[leg]st [sie um seinen Hals]. Hexereien werden ihm nicht nahen 3 0 5) .

    2.15 Rituale zur Lösung des >Banns<

    Stefan M. Maul

    Seit der altbabylonischen Zeit wurden Beschreibungen von Therapien überliefert, die mit dem sumerischen Rubrum nam-erim-bür-ru-da, »(Verfahren, um) einen Bann zu lösen« versehen sind. Durch diese im 1. Jt. v.Chr. zum festen Curriculum eines Beschwörers zählenden Rituale, die auch die akkadische Bezeichnung mämitu ana pasäriia6) trugen, sollten drohendes Unheil, Unglück und vor allem Krankheit, die auf eine grundlegende Störung zwischen einem Menschen und den Göttern zurück-geführt wurden, abgewehrt oder abgewendet werden.

    Der Name des schweren Leidens, das - sofern es unbehandelt bleibt - einen tödli-chen Ausgang nehmen konnte, konfrontiert uns mit altorientalischen Vorstellungen von den Ursachen von Krankheit. Denn nam-erim = mämitu bezeichnet keineswegs allein oder in erster Linie eine Erkrankung. Vielmehr gehört der Begriff zunächst in den Bereich des Rechtswesens. In juristischem Zusammenhang steht der Begriff mämitu für einen bei den Göttern und dem König geleisteten Eid, der mit einer Selbstverfluchung für den Fall der Eidesverletzung verbunden ist. mämitu bezeichnet darüber hinaus auch den Zustand der >Acht< oder des >BannesBann< bezeichneten Krankheit sah man vielmehr in einer massiven Störung im Verhältnis zwischen dem erkrankten Menschen und den Göttern. Eine Tabuüberschreitung, die als Eidesverletzung gegenüber den Göttern verstanden wur-de, führte dieser Sichtweise zufolge zu einem rechtsverbindlichen Götterbeschluß, durch den über den Betroffenen der >Bann< verhängt wurde, der ihm die Sicherheit einer rechtlich garantierten Unantastbarkeit entzog. Erst dieser Zustand der Ban-nung führte zu wahrnehmbaren Symptomen der Krankheit, die mämitu, >Bann< oder auch >Hand des Bannes< genannt wurde. Die Ätiologie für die als >Bann< be-zeichnete Krankheit ist eng mit der Vorstellung von Schuld verbunden. Sie zwingt

    305. Zur Lesung der Ritualanweisung s. die Umschrift bei Schwemer, Abwehrzauber und Behe-xung, 234 Anm. 9.

    306. »(Verfahren, um) einen Bann zu lösen«. 307. Vgl. die Symptombeschreibungen in dem ersten und dritten hier vorgestellten Text.

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