Das Kelly-Kriterium M - Institutional Money

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108 N o . 2/2016 | www.institutional-money.com Das Kelly-Kriterium Der für Pferdewetten entwickelte Erfolgsfaktor lässt sich auf den Kapitalmarkt übertragen. M ithilfe dieses aus dem professionel- len Spiel heraus entwickelten An- satzes, der heute bei Wettprofis gang und gäbe ist, lässt sich eine Strategie ermitteln, die die Höhe des (Wett-)Einsat- zes als Prozentsatz des (Spiel-)Risikokapi- tals unabhängig von den (Spiel-)Anlage- ergebnissen der Vorperioden, aber bei positiven Renditeerwartungen so festlegt, dass langfristig optimale (Spiel-)Ergebnisse erzielt werden und der Spieler (Investor) keinen Bankrott erleidet. Am Beispiel von Pferdewetten mit Insiderwissen Kelly hat sein Kriterium 1956 in dem Aufsatz „A New Interpretation of Informa- tion Rate“ am Beispiel von Pferdewetten mit Insiderwissen dargelegt. Das Kriterium ist auf alle Wetten mit einem positiven Erwartungswert anwendbar. Edward O. Thorpe hat bereits 1971 in „Portfolio Choice and the Kelly Criterion“ eine mög- liche Anwendung dieser Methode auf die Portfoliotheorie dargelegt. Für Wetten mit negativen Renditeerwartungen würde die Kelly-Formel einen optimalen Risikokapi- taleinsatz von null Prozent errechnen. Wie hoch sieht nun nach Kelly der optimale Einsatz des Münzwurfs mit im Erfolgsfall Einsatzverdreifachung, ansonsten Einsatz- verlust und dem Erwartungswert von plus 50 Prozent aus? Die Kelly-Formel gibt Aufschluss: Dabei stellt f den optimalen Bruchteil des Risikokapitals dar, der pro Periode als Einsatz fungiert, P die Gewinnwahrschein- lichkeit (hier: 50 Prozent) und B das Ver- hältnis von Gewinn zu Verlust (hier: 3 zu 1). Eingesetzt in diese Formel, ergibt sich ein Wert von 25 Prozent. Dies bedeutet, dass nur ein Viertel des Risikokapitals zum Start eingesetzt wird. Beträgt dieses Risikokapital zehn Prozent der Assets, werden es 2,5 Prozent sein, die in Periode 1 eingesetzt werden. Sollte man gewonnen haben, hat man aus 2,5 nun- mehr wegen der dreifachen Gewinnchan- ce 7,5 gemacht und verfügt insgesamt über 105 Prozent des Anfangskapitals, wovon nunmehr 15 Prozent das Risikoka- pital darstellen, das der Ausgangspunkt für die Ermittlung des Kapitaleinsatzes für Runde 2 ist. Hier kommen nun 25 Prozent von 15, also 3,75, als Einsatz auf den Tisch. Bei Verlust in Runde 1 beträgt das Ge- samtkapital 97,5, das verbliebene Risiko- kapital als Berechnungsgrundlage für das einzusetzende Viertel in Runde 2 nur mehr 7,5. Somit kommen dann nur 1,875 Ein- heiten als Einsatz auf den Tisch. Dieses Prozedere setzt sich Runde für Runde beziehungsweise Investmentperiode für Investmentperiode fort. Dieses Ergebnis ist insofern optimal, weil keine Prognose- möglichkeit für den Münzwurf besteht. Hätte der Investor eine gewisse Prognose- fähigkeit, etwa, dass die Erfolgschancen bei 55 Prozent lägen, verschöbe sich der Wert von P in der Formel, sodass sich ein anderes Optimum errechnet. (Bei 55 Pro- zent Wahrscheinlichkeit und gleichem Aus- zahlungsprofil wäre der optimale Einsatz 30 Prozent des Risikokapitals.) Die erwartete Rendite je Runde ist ab- hängig vom Risikokapitaleinsatz als Pro- zentsatz des verfügbaren Risikokapitals und errechnet sich nach folgender Formel: siehe nächste Seite f = (B + 1) P – 1 B –––––––––– FOTO: © MIT

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Lo und sein Mitarbeiter stellten umfang-reiche Regressionsrechnungen an, um zuuntersuchen, ob Tweets künftige Renditenund Volatilitäten prognostizieren können.Dies gelang ihnen auch, selbst wenn sie dieErgebnisse in Bezug auf andere Faktorenkontrollierten. Die abhängige Variable stelltdabei die Überschussren -dite (Excess Return) ge-genüber der Rendite desmarktkapitalisierungsge-wichteten CRSP Index dar.Als unabhängige Variablefanden neben einer Dum-my-Variablen – sie istgleich null außer an jenenTagen, wo FOMC-Mee-tings stattfanden, dann hatsie den Wert 1 –, der (normalisierte) Durch-schnitt der gewichteten Polarität der Tweetsvom Tag vor dem Meeting (Tweet-Pola -rität), sowie die Kontrollvariablen für denValue-, Size- und Momentum-Faktor sowie

die Überschussrendite des Vortags Eingang.Die Tabelle „Tweets haben Prognosekraft“zeigt die Ergebnisse von vier verschiedenenRegressionsrechnungen, bei denen Varia-blen jeweils weggelassen beziehungsweisehinzugefügt wurden. Man erkennt, dass dieÜberschussrenditen signifikant höher – und

zwar um zirka 0,3 Prozent – sind, wennsich der Offenmarktausschuss trifft. Weiterist zu sehen, dass die Tweet-Polarität alsMaßzahl für das Twitter-Sentiment vom Tagvor dem FOMC-Meeting als Prognosein-

strument für die Überschussrendite am Tagdes Treffens funktioniert. Kontrolliert mannach dem Value-, Size- und Momentum-Faktor, dann wird der Effekt des Twitter-Sentiments auf die Überschussrendite ver-nachlässigbar, ausgenommen an Tagen, andenen das FOMC zusammentritt. An diesen

Tagen wird eine Erhöhung des Twitter-Sen-timents um eine Standardabweichung zu einer Renditeerhöhung von 62,5 Basispunk-ten führen. Das zeigt der auf einem Kon -fidenzniveau von 95 Prozent signifikante

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T H E O R I E & P R A X I S : TWITTER-TWEETS

Das Kelly-KriteriumDer für Pferdewetten entwickelte Erfolgsfaktor lässt sich auf den Kapitalmarkt übertragen.

M ithilfe dieses aus dem professionel-len Spiel heraus entwickelten An-satzes, der heute bei Wettprofis

gang und gäbe ist, lässt sich eine Strategieermitteln, die die Höhe des (Wett-)Einsat-zes als Prozentsatz des (Spiel-)Risikokapi-tals unabhängig von den (Spiel-)Anlage -ergebnissen der Vorperioden, aber beiposi tiven Renditeerwartungen so festlegt,dass langfristig optimale (Spiel-)Ergebnisseerzielt werden und der Spieler (Investor)keinen Bankrott erleidet.

Am Beispiel von Pferdewetten mit Insiderwissen

Kelly hat sein Kriterium 1956 in demAufsatz „A New Interpretation of Informa-tion Rate“ am Beispiel von Pferdewettenmit Insiderwissen dargelegt. Das Kriteriumist auf alle Wetten mit einem positiven Erwartungswert anwendbar. Edward O.Thorpe hat bereits 1971 in „Portfolio Choice and the Kelly Criterion“ eine mög-liche Anwendung dieser Methode auf diePortfoliotheorie dargelegt. Für Wetten mitnegativen Renditeerwartungen würde dieKelly-Formel einen optimalen Risikokapi-taleinsatz von null Prozent errechnen. Wie

hoch sieht nun nach Kelly der optimaleEinsatz des Münzwurfs mit im ErfolgsfallEinsatzverdreifachung, ansonsten Einsatz-verlust und dem Erwartungswert von plus50 Prozent aus?

Die Kelly-Formel gibt Aufschluss:

Dabei stellt f den optimalen Bruchteildes Risikokapitals dar, der pro Periode alsEinsatz fungiert, P die Gewinnwahrschein-lichkeit (hier: 50 Prozent) und B das Ver-hältnis von Gewinn zu Verlust (hier: 3 zu1). Eingesetzt in diese Formel, ergibt sichein Wert von 25 Prozent. Dies bedeutet,dass nur ein Viertel des Risikokapitals zumStart eingesetzt wird. Beträgt dieses Risikokapital zehn Prozent

der Assets, werden es 2,5 Prozent sein, diein Periode 1 eingesetzt werden. Sollte mangewonnen haben, hat man aus 2,5 nun-mehr wegen der dreifachen Gewinnchan-ce 7,5 gemacht und verfügt insgesamtüber 105 Prozent des Anfangskapitals,wovon nunmehr 15 Prozent das Risikoka-pital darstellen, das der Ausgangspunkt

für die Ermittlung des Kapitaleinsatzes fürRunde 2 ist. Hier kommen nun 25 Prozentvon 15, also 3,75, als Einsatz auf denTisch.Bei Verlust in Runde 1 beträgt das Ge-

samtkapital 97,5, das verbliebene Risiko-kapital als Berechnungsgrundlage für daseinzusetzende Viertel in Runde 2 nur mehr7,5. Somit kommen dann nur 1,875 Ein-heiten als Einsatz auf den Tisch. Dieses Prozedere setzt sich Runde für

Runde beziehungsweise Investmentperiodefür Investmentperiode fort. Dieses Ergebnisist insofern optimal, weil keine Prognose-möglichkeit für den Münzwurf besteht.Hätte der Investor eine gewisse Prognose-fähigkeit, etwa, dass die Erfolgschancenbei 55 Prozent lägen, verschöbe sich derWert von P in der Formel, sodass sich einanderes Optimum errechnet. (Bei 55 Pro-zent Wahrscheinlichkeit und gleichem Aus-zahlungsprofil wäre der optimale Einsatz30 Prozent des Risikokapitals.)Die erwartete Rendite je Runde ist ab-

hängig vom Risikokapitaleinsatz als Pro-zentsatz des verfügbaren Risikokapitalsund errechnet sich nach folgender Formel:

siehe nächste Seite

f =(B + 1) P – 1

B––––––––––

»24 Stunden vor dem FOMC-Meeting abge-setzte Tweets haben Informationsgehalt, dersich für Handelsstrategien nutzen lässt.«

Pablo Azar, PhD-Student am Massachusetts Institute of Technology (MIT)

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IM_2_2016_Twitter_XXXk_g 19.05.2016 11:05 Seite 108

Interaktionsterm (Tweet-Polarität × FOMC)an. Auf diesen Erkenntnissen und Nutzen-

funktionen aufbauend, entwickeln Lo undAzar vier verschiedene komplexe Modelleund damit Handelsansätze mit unterschied-lichen Beschränkungen für Leverage undShort Sales, die auf dem Kelly-Kriteriumbasieren. Dieses stellt den optimalen Kapi-taleinsatz dar, mit dem der Gewinn einerHandelsstrategie maximiert und ein Bank-rott vermeidbar wird (siehe Kasten „DasKelly-Kriterium“). Da die hier möglichenDrawdowns sehr hoch sein können, wasviele Investoren nicht wünschen, werdenvon Lo und Azar auch Varianten mit einemfraktionalen Kelly-Faktor von 50 und 25Prozent des Kelly-Werts durchgerechnet. In diesen Simulationsrechnungen sagt die

Profitabilität der Modelle etwas über denInformationsgehalt der Tweets aus. Dasvierte Modell verwendet dabei Tweet-Infor-mation nur vom Tag vor den FOMC-Mee-

tings und zeigt sich unabhängig vom ge-wählten fraktionalen Kelly-Kriterium undLeverage in puncto Rendite, Drawdownsund Sharpe Ratio überlegen.

Kritikpunkt: Kurze Historie

Man kann also nicht mehr von „Noise“sprechen, wenn es um Tweets am Tag vorden Treffen des Offenmarktausschussesgeht. Offensichtlich enthalten diese Twitter-Postings Information, die sich gewinnbrin-gend nutzen lässt. Lo sieht den Beitrag sei-ner Arbeit darin, dass Textdaten zu denSigna len, die man zur Messung der Wir-kung der FOMC-Entscheidungen heran-zieht, hinzutreten. Zudem fokussiert er sichauf Textdaten, die von den Investoren stam-men und nicht etwa vom FOMC selbst. Einen Vorteil seines Ansatzes sieht Lo da -rin, dass die von Investoren generierte In-formation vor der Bekanntgabe der FOMC-

Entscheidungen generiert wird und daher inHandelsstrategien implementiert werdenkann, die versuchen, die Reaktionen desMarktes auf die FOMC-Ergebnisse vorweg-zunehmen. Die Autoren geben zu bedenken,dass die Datenhistorie notgedrungen nochrelativ kurz und das analysierte Zeitfenstervon einer historisch unüblichen Zinspolitikgeprägt ist. Interessant werde es sein zu se-hen, ob nach einem Ende der akkomodie-renden Notenbankpolitik und einer Serievon Zinssteigerungen diese Strategie nochimmer zu den Outperformern zählt. Span-nend wäre auch, eine ähnliche Untersu-chung zu den Zinsentscheidungen der Euro -päischen Zentralbank durchzuführen unddabei ebenfalls den Informationsgehalt derSocial-Media-Einträge der europäischen Investoren zu überprüfen, um zu sehen, obes hier Unterschiede dies- und jenseits desGroßen Teichs bezüglich der Prognosekraftvon Tweets gibt.

DR. KURT BECKER

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Formel der erwarteten Rendite:

Im gegenständlichen Beispielfall kommtman damit auf den Wert von 6,066 Pro-zent, der den Scheitelpunkt in der Grafik„Erwartete Rundenrenditen“ darstellt. Höhere oder geringere Einsätze als Pro-

zentsatz des Risikokapitals führen zu sub -optimalen Ergebnissen, wie leicht ersichtlichist. Eine wichtige Erkenntnis dieseseinfachen Falls ist, dass die Linea-rität zwischen Risiko und Renditeim Mehrperiodenfall nicht mehrgegeben ist und im Vergleich zurMean-Variance-Portfoliooptimie-rung eine gänzlich andere Dyna-mik zwischen diesen beiden Para-metern herrscht. Das Optimum(hier: 25 Prozent Einsatz des je-weils vor Rundenbeginn verfügba-ren Investitionskapitals) ist die ein-zig rationale Investmentregel, un-abhängig vom individuellen Risiko-appetit des Spielers/Investors.Transponiert in die Wertpapier-

welt, bedeutet dies, dass ein neuer,mehrperiodiger Portfolioalloka -tionsansatz jenseits des CAPM-Standards versuchen muss, diegeometrische Rendite als Zielfunk-

tion für Investmententscheidungen zu eta-blieren.In Bezug auf

den Kapitalmarktverschiebt sich die Kernaussage insbeson-dere bezüglich der Wahrscheinlichkeitsver-teilung der Renditen und der Höhe des Er-wartungswerts. In seiner ursprünglichen Publikation war

Kelly von einem durch Kommunikations-fehler beeinträchtigten Insiderwissen ge-

genüber dem Buchmacher ausgegangen,um eine Wette mit einem positiven Erwar-tungswert zu kreieren. Der Kapitalmarkt bietet hingegen – zu-

mindest in der Theorie und langfristig –positive Risikoprämien gegenüber der risikolosen Geldmarktanlage an. Dadurcherhält der Portfoliomanager Zugang zuvielen unterschiedlichen Wetten, die alleauf lange Sicht eine Überrendite zumGeldmarkt generieren. Kapital unterwegs

herauszunehmen, also eine Ge -winn sicherung zu betreiben, ist beiKelly nicht vorgesehen. Nichtsde-stotrotz wird man diese im Portfo-liokontext sehr wohl als strategi-sches Element definieren, selbstwenn man sich damit vom Opti-mum entfernt. Oder man investiert nicht voll-

umfänglich, wie es das Kelly-Krite-rium vorgibt, sondern folgt einemfraktionellen Kelly-Faktor von bei-spielsweise 50 oder 25 Prozent mitentsprechend geringeren Draw-downs, aber auch reduzierter unddamit suboptimaler Upside, wie esder Risikopräferenz eines Investorseher entspricht. Genau dies istauch Teil der Handelsstrategien,wie sie Andrew Lo und Pablo Azaruntersuchten.

Erwartete RundenrenditenDas Ziel ist, so viel einzusetzen, dass man im Spiel bleibt

und langfristig das Optimum erreicht.

Wer nach dem Kelly-Kriterium nur einen gewissen Anteil seines Risiko -kapitals Runde für Runde investiert, erhält ein optimales Ergebnis. Im gegen-ständlichen Beispiel liegt dies bei 25 Prozent als Einsatz des in der jeweiligenRunde verfügbaren Risikokapitals, der Erwartungswert der Rundenrendite liegtbei 6,066 Prozent pro Runde. Dies entspricht dem Scheitelpunkt der Kurve.

Quelle: PMIM

Rundenrenditeerwartet

= √ Einsatz% – 2 Einsatz%2 + 1 – 1–––––––––––––––––––––––

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