Das Kirchengebäude - Oder: Wo wohnt Gott?€¦ · Maria-Magdalena-Kirche in Freiburg Rieselfeld...

10
Hartmut Rupp Das Kirchengebäude - Oder: Wo wohnt Gott? E-25-0045

Transcript of Das Kirchengebäude - Oder: Wo wohnt Gott?€¦ · Maria-Magdalena-Kirche in Freiburg Rieselfeld...

Page 1: Das Kirchengebäude - Oder: Wo wohnt Gott?€¦ · Maria-Magdalena-Kirche in Freiburg Rieselfeld Manche wirken wehrhaft und burgartig, andere erscheinen mit ihren Türmen und Zinnen

Hartmut Rupp

Das Kirchengebäude -Oder: Wo wohnt Gott?

E-25-0045

Page 2: Das Kirchengebäude - Oder: Wo wohnt Gott?€¦ · Maria-Magdalena-Kirche in Freiburg Rieselfeld Manche wirken wehrhaft und burgartig, andere erscheinen mit ihren Türmen und Zinnen

© Calwer Verlag Stuttgart 2013 – www.calwer.com 1

1. Wahrnehmen: Kirchen heben sich von ihrer Umgebung ab

Die Kirchen stehen meist in der Mitte eines Dorfes, einer Stadt oder eines Stadtteiles. Sie stehen an Markt-plätzen, an der Kreuzung von Straßen. Sie wollen dann einem Gemeinwesen eine Mitte geben. Kirchen prä-gen das Stadtbild. Große Kirchen werden manchmal zu Erkennungszeichen einer ganzen Stadt (Kölner Dom, Freiburger Münster, Frauenkirche in Dresden, Hamburger Michel).

Die Gestalt der Kirchen ist recht unterschiedlich, doch jedes Mal heben sie sich von ihrer Umgebung ab.

Maria-Magdalena-Kirche in Freiburg Rieselfeld

Manche wirken wehrhaft und burgartig, andere erscheinen mit ihren Türmen und Zinnen wie eine mittel-alterliche Stadt. Manche sind imponierend und innen überschwänglich, andere können wie ein antiker Tem-pel aussehen. Manche sehen aus wie eine Scheune (so etliche Dorfkirchen), andere wie eine monumentale Skulptur (moderne Kirchen). In neueren Stadtteilen lassen sich Kirchen fast nicht mehr erkennen. Sie sind dann Teil eines Gemeindezentrums mit Gemeindehaus, Kindergarten, Sozialstation und Pfarrbüro.

Von außen kann man meist gar nicht erkennen, ob es sich um eine evangelische oder eine katholische Kir-che handelt. Beide haben entweder ein Kreuz auf der Turmspitze oder einen Hahn. Beide haben Turmuhren und Glocken. Innen fällt die Unterscheidung leichter. Katholische Kirchen sind in der Regel reicher ausgestat-

Dr. Hartmut Rupp

Das Kirchengebäude – Oder: Wo wohnt Gott?

Page 3: Das Kirchengebäude - Oder: Wo wohnt Gott?€¦ · Maria-Magdalena-Kirche in Freiburg Rieselfeld Manche wirken wehrhaft und burgartig, andere erscheinen mit ihren Türmen und Zinnen

© Calwer Verlag Stuttgart 2014 – www.calwer.com 2

Dr. Hartmut Rupp Das Kirchengebäude – Oder: Wo wohnt Gott?

tet. Evangelische Kirchen sind meist nüchterner. Heiligenfiguren oder Marienstatuen fehlen, doch dafür gibt es Fenster mit Bildern. Beliebt sind Bilder der Reformatoren, von Luther, Melanchthon, Calvin und Zwingli.

Orgel und Kirchenbänke gehören zur gemeinsamen Ausstattung. Allerdings enthält das katholische Ge-stühl Kniebänke. Gemeinsam ist auch das Kreuz ohne und mit dem gekreuzigten Jesus (Kruzifixus). Der Altar steht bei beiden Kirchen eindeutig im Mittelpunkt.

Katholische Kirchen haben häufig zwei Altäre. Einer steht ganz hinten, verbunden mit hochragenden Bil-dern, dem sog. Hochaltar, ein zweiter weiter vorne bei den Kirchenbänken, dem so genannten Zelebrations-altar. Von hier aus wird die Eucharistie, das Abendmahl, gefeiert.

Evangelische Altäre sind häufig als Tisch gestaltet, da und dort als Holzkasten, eher selten als Steinblock. Neben dem Altar fällt in evangelischen Kirchen die Kanzel auf, da und dort ist ein Schalldeckel über dem Kanzelkorb. Hier schlägt das Herz der Evangelischen. Altar, Kanzel und Taufstein stehen in der evangelischen Kirche meist auf einer Linie vor den Augen der versammelten Gemeinde.

Typisch evangelisch ist die geöffnete Bibel auf dem Altar. Sie macht darauf aufmerksam, dass alles, was im Kirchenraum steht und darin geschieht, auf die Bibel bezogen ist und von daher Begründung erfährt.

2. Erklären: Begriffe, Symbole, Stile

BezeichnungenDas Wort Kirche ist abgeleitet von dem griechischen Wort „kyriake“ und heißt übersetzt „dem Herrn (Chris-tus) gehörend“.

Das Wort Dom bezeichnet zunächst einmal eine Bischofskirche. Sein Begriff ist aber von dem Gemein-schaftsgebäude der Priester „domus ecclesiae“ abgeleitet, wörtlich „Haus der herausgerufenen Gemein-schaft“. Von daher können auch Kirchen, die keinen Bischofsrang haben, als Dom bezeichnet werden.

Die Bezeichnung Münster ist abgeleitet von dem lateinischen Begriff „monasterium“ und meint eine Stifts- oder Klosterkirche. Mit einem Münster ist meist ein Kloster verbunden.

Der Begriff Kathedrale bezeichnet die bischöfliche Hauptkirche und ist abgeleitet von „kathedra“ Stuhl, genauer Bischofs- und Lehrstuhl.

Pfarrkirchen sind die Kirchen einer Pfarrei, in der sich sonntäglich die Gemeinde zum Gottesdienst versam-melt.

Das Wort Kapelle kommt von dem lateinischen Wort „cappa“, Mantel. Dies erinnert an jenen Kirchen-raum, in dem die merowingischen Könige den Mantel des Heiligen Martin als Reichskleinodie aufbewahrt haben. Der zuständige Pfarrer heißt deshalb Kaplan. Kapellen bezeichnen rechtlich unselbständige Bet- und Andachtsräume. Sie sind nicht die Kirche einer Gemeinde. Infolgedessen haben Kapellen häufig ganz spezifi-sche Aufgaben, wie z.B. die Friedhofskapellen, in denen weder getauft noch Abendmahl gefeiert wird.

Alle Kirchen haben einen Chorraum, in dem der Altar steht. Das Wort kommt von dem Sängerchor, der ur-sprünglich im hinteren Teil der Kirche sang. Später fanden hier die Ordensgemeinschaften ihren Platz und ver-richtete hier das sog. „Chorgebet“. Der Chor reicht vom Ende des Kirchenschiffes bis zur äußeren (östlichen) Wand.

Page 4: Das Kirchengebäude - Oder: Wo wohnt Gott?€¦ · Maria-Magdalena-Kirche in Freiburg Rieselfeld Manche wirken wehrhaft und burgartig, andere erscheinen mit ihren Türmen und Zinnen

© Calwer Verlag Stuttgart 2014 – www.calwer.com 3

Dr. Hartmut Rupp Das Kirchengebäude – Oder: Wo wohnt Gott?

Heutzutage haben nur wenige Kirchen eine Krypta (wörtlich: Gewölbe). Es handelt sich dabei um eine Unterkirche, die unterhalb des Chores angelegt war. Hier wird das Grab eines Märtyrers, eines Heiligen oder einer geheiligten Person verehrt.

Weitgehend verschwunden ist heutzutage der Lettner (von „lectorium“ Lesepult), der einst in Form einer Mauer oder eines Gitters das Kirchenschiff von dem Chor trennte und damit den Altarraum vom Gemein-deraum abtrennte. Hinter dem Lettner hatten Priester und Mönche ihren Platz. Vor dem Lettner war der sog. Kreuzaltar aufgebaut, über dem Lettner war ein Triumphkreuz errichtet. Chorschranken bezeichnen die Trennwände, die den Chor zur Seite abgrenzen.

Die Kanzel (von lat. „cancella“ Schranke) war am Lettner angebracht und erhielt von dort seinen Namen.

Evangelische Pfarrkirche, Stainz. © www.commons.wikimedia.org Foto: Josef Moser

Kirchen sind Räume voller Symbole Im Unterschied zu katholischen haben evangelische Kirchen deutlich weniger Bilder und viel weniger symbo-lische Zeichen. Der Protestantismus ist weniger auf das Sehen, als auf das Hören ausgerichtet. Die Predigt ist deshalb der Mittelpunkt des Sonntagsgottesdienstes. Dennoch gibt es auch in evangelischen Kirchen Symbo-le, die eine Botschaft enthalten.

Der Hahn auf der Kirchturmspitze erinnert daran, dass Petrus drei Mal abgestritten hat, ein Anhänger Jesu zu sein. Dazu hat jedes Mal ein Hahn gekräht. Dieser Hahn sagt: Denkt an Petrus und steht zu Jesus Christus. Die Taube über der Kanzel weist auf den Heiligen Geist. Er verspricht, dass Gottes Geist in der Auslegung der Heiligen Schrift zu uns kommen und uns erfüllen will.

Indem er nach oben zeigt, weist der Turm Menschen darauf hin, dass die Wirklichkeit nicht bloß aus der Erde allein, sondern aus Erde und Himmel besteht. Doch der Turm erzählt noch mehr. Er ist immer auch eine Demonstration kirchlicher Macht und soll das Selbstbewusstsein der christlichen Gemeinde darstellen.

Page 5: Das Kirchengebäude - Oder: Wo wohnt Gott?€¦ · Maria-Magdalena-Kirche in Freiburg Rieselfeld Manche wirken wehrhaft und burgartig, andere erscheinen mit ihren Türmen und Zinnen

© Calwer Verlag Stuttgart 2014 – www.calwer.com 4

Dr. Hartmut Rupp Das Kirchengebäude – Oder: Wo wohnt Gott?

Zugleich weist er aber auf den Turmbau von Babel hin (1. Mose 11), dem zerstörten Sinnbild menschlichen Hochmuts. Er stellt somit auch die Vergeblichkeit menschlicher Anstrengung vor Augen. Die Kirchturmuhr weist darauf hin, dass unsere Zeit in Gottes Händen steht. Die Glocken geben dem Leben Takt und loben Gott mit ihrem Klang. Menschen sind eingeladen, einzustimmen oder einfach inne zu halten.

Die Treppen, die hinauf zum Kirchenportal und innen zu dem Altar führen, erzählen, dass die Begegnung mit Gott immer auch eine Abwendung vom Alltag bedeutet. Zu Gott geht es hinauf auf einen Berg.

Die meisten Kirchen sind geostet. Das Eingangsportal befindet sich im Westen und damit im Land der un-tergehenden Sonne, die auch als Land des Todes angesehen wird. Wer in den Kirchenraum eintritt, geht also unwillkürlich nach Osten, der aufgehenden Sonne entgegen. Im sonntäglichen Morgengottesdienst wird das sinnfällig. Man schaut in der Kirchenbank der aufgehenden Sonne entgegen, die wiederum als Symbol für Christus dem Licht der Welt gedeutet wird. Die Gläubigen werden somit daran erinnert, dass ihr Leben letzt-lich nicht dem Tod entgegengeht (worauf das Kreuz weist), sondern dem Licht. Christen haben den Tod hinter sich (den Westen), vor sich haben sie die Auferstehung. Das gibt ihrem Leben die entscheidende Orientierung (von „Orient“ dem Land der aufgehenden Sonne).

Das Kirchenschiff kann als Schiff, „das sich Gemeinde nennt“ gedeutet werden. Wer hier Platz nimmt, begibt sich mit der ganzen Gemeinde auf die Fahrt durch die Zeit in Richtung Ewigkeit. Das Kirchenschiff ver-spricht dabei mit seinen dicken Mauern Schutz und Sicherheit.

Das Kreuz ist fast so etwas wie ein christliches Kultbild. Es sagt, Gott wohne in Jesus Christus, der für die Menschen gekreuzigt, gestorben und auferstanden ist.

Ein Regenbogen erzählt von dem Versprechen Gottes, das er am Ende der Sintflut gegeben hat: So lange die Erde besteht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht (1. Mose 8,22).

In manchen Kirchen ist der Altarbereich vom Kirchenschiff durch einen steinernen Lettner getrennt, eine Art Zwischenmauer mit Türen. Dieser Lettner will das Allerheiligste vor unbefugtem Zutritt schützen, aber zugleich eine Einteilung der Christenheit in Geistliche und Laien vor Augen stellen. Der Reformation war sehr daran gelegen, diese Unterscheidung zurückzunehmen.

Häufig finden sich im evangelischen Kirchenraum griechische Buchstaben: Ein Alpha (Ά) und ein Omega (Ώ) bekennen Jesus als das erste und das letzte Wort der Welt. Ein Chi (X) und Rho (P) sind die Anfangsbuchsta-ben des Christusnamens und bekennen, Jesus ist der Gesalbte, der Messias, der Christus. Er hat diese Welt verändert und Hoffnung in die Welt gebracht.

Die Bibel auf dem Altar ist ein Hinweis darauf, dass in der Verkündigung des geschriebenen Wortes Gottes Gott gegenwärtig wird und zu den Menschen kommt.

Auch die Form des Taufsteines enthält Botschaften. Sieht er wie ein Waschtisch aus, deutet das darauf hin, dass Gott in der Taufe alle Sünden von den Menschen abwäscht und immer wieder abwaschen will. Ist er als Taufbecken gearbeitet, weist er darauf hin, dass in der Taufe der alte Mensch ertränkt wird, ein neuer Mensch aus der Taufe gestiegen ist und Menschen immer wieder vor der Aufgabe stehen den alten Men-schen mit seiner Angst, seinem Egoismus und seiner Gleichgültigkeit „umzubringen“. Dabei kann er mit der Hilfe Gottes rechnen.

Page 6: Das Kirchengebäude - Oder: Wo wohnt Gott?€¦ · Maria-Magdalena-Kirche in Freiburg Rieselfeld Manche wirken wehrhaft und burgartig, andere erscheinen mit ihren Türmen und Zinnen

© Calwer Verlag Stuttgart 2014 – www.calwer.com 5

Dr. Hartmut Rupp Das Kirchengebäude – Oder: Wo wohnt Gott?

Baustile und BauepochenDie ersten christlichen Kirchen waren umgewandelte Wohnhäuser. Als die Christen immer zahlreicher wur-den, benötigte man Hallen, um miteinander Gottesdienst zu feiern. Da man sich von den heidnischen Tempe-lanlagen absetzen wollte, entschied man sich für Markt- oder Königshallen, den so genannten Basiliken (von griech. „basileus“ König). Sie hatten ein erhöhtes Mittelschiff und eine runde Apsis sowie mehrere niedrigere Seitenschiffe. In der Apsis stand dann der Altar, hinter diesem der Sitz des Bischofs. Mit dem Einbau eines Querhauses entstand die Kreuzform. Die Kirchen im Westen zeigten einen gestreckten Kreuzgrundriss (latei-nisches Kreuz). Die Kirchen im Osten hatten ein gleichschenkliges Kreuz als Grundriss (griechisches Kreuz). Über der Führung erhob sich eine Kuppel.

Typisch für den romanischen Kirchenbau (1050–1250) sind die Rundbögen, das wuchtige Mauerwerk, die Doppeltürme im Westen und Osten, der Einbau einer Unterkirche mit Gräbern, die „Krypta“, sowie die Ein-führung eines trutzigen Querriegels am Westportal, dem Westwerk. Der westliche Teil der Kirche konnte jedoch auch als ein zweiter Chorraum gestaltet sein, so dass eine Doppelchoranlage entstand. Der burgartige Bau vermittelt ein Gefühl von Schutz und Geborgenheit.

Evangelische Kirche St. Michael in Hildesheim. © www.commons.wikimedia.org/longbow4u

Typisch für den gotischen Kirchenbau ist das Streben nach oben, die rationale Konstruktion des ganzen Ge-bäudes, der Einbau von großen Fenstern mit reicher Ausstattung, so dass die Wände selber lichtdurchlässig werden. Das einströmende Licht gibt dem Raum eine geheimnisvolle, mystische Atmosphäre. Da alles nach oben strebt, sollen die Herzen der Menschen auf den einen Gott ausgerichtet werden. Möglich wurde diese

Page 7: Das Kirchengebäude - Oder: Wo wohnt Gott?€¦ · Maria-Magdalena-Kirche in Freiburg Rieselfeld Manche wirken wehrhaft und burgartig, andere erscheinen mit ihren Türmen und Zinnen

© Calwer Verlag Stuttgart 2014 – www.calwer.com 6

Dr. Hartmut Rupp Das Kirchengebäude – Oder: Wo wohnt Gott?

Konstruktion durch den Einbau von Strebebögen, die das Gewicht nach außen verlagern und die Wände ent-lasten. Die Portale werden mit Skulpturen reich geschmückt. Innen spielen Reliquien und ihre Verehrung eine bedeutende Rolle. In der Spätgotik wird auf das weit ausladende Strebewerk verzichtet. Statt einer basilikalen Struktur mit unterschiedlichen Schiffshöhen wählt man eine Hallenkirche mit je gleich hohen Schiffen.

Typisch für den barocken Kirchenbau sind die Schauwände, die der eigentlichen Kirche vorangestellt wer-den. Sie enthalten beim katholischen Kirchenraum Heilige, die Apostel, aber auch allegorische Darstellungen von Tugenden. Man hat den Eindruck, als gäbe es nirgends rechte Winkel. Alles ist gebogen, rund (barock heißt „schiefrund“). Der Innenraum ist reich ausgestattet. Dekorative Muster, Gold, Marmor und Lichtkränze spielen eine große Rolle. In den Seitenkapellen findet man hochformatige Bilder sowie Heiligenfiguren und kleine Engelchen (Putten). Alles ist jedoch auf den Hochaltar mit dem Tabernakel ausgerichtet. Über der Vierung erhebt sich eine Kuppel, die den Himmel symbolisiert und somit den Blick in den Himmel öffnet. Die Deckenbilder sind mit Illusionsmalerei versehen. Wer in die Kirche geht, der soll den Eindruck gewinnen, er sei dem Himmel und damit Gott ganz nahe. Die Bilder erzählen, was mit Menschen geschieht, die sich auf den Himmel und Gott einlassen, sie werden hingerissen und wirken deshalb ganz entrückt.

Der protestantische Barockbau fällt in der Regel etwas nüchterner aus. Er will Menschen auf die Predigt konzentrieren und gestaltet deshalb den Raum als Hörsaal (Dresdner Frauenkirche, Hamburger Michel). Der Taufstein, Altar, Kanzel und Orgel werden hinter- und übereinander gruppiert, so dass alles in eine Richtung steht und Menschen eine Orientierung finden. Alles ist gleichwertig.

Der Klassizismus orientiert sich am antiken Tempel und will Antike und Christentum versöhnen. Dies wird im Zeitalter des Historismus jedoch heftig abgelehnt. Dieser favorisiert den christlichen, mittelalterlichen Kirchenbau und baut vor allem den (nur scheinbar) deutschen „gotischen“ Stil. Typisch ist der Triumphbogen zwischen dem Gemeinderaum und dem Altarraum, die Anbringung der Kanzel an diesem Triumphbogen, ein geräumiger Altarbereich zum Empfang des Abendmahles und der Einbau von Chorfenstern mit neutesta-mentlichen Themen. Für die Vorhalle hat man alttestamentliche Themen vorgesehen.

Moderne Kirchen sind ungemein vielfältig, z.T. nehmen sie auch alte Bausubstanz auf und fügen diese in einen neuen Raum oder in neues Ensemble ein (Kaiser Wilhelm Gedächtnis Kirche Berlin). Typisch für die Moderne ist einmal die Verwendung von Beton, Glas, Stahl und Holz, von vorgefertigten Bauteilen sowie der Verzicht auf verdeckende Anstriche, Putz o.ä. Jeder soll sehen, aus welchem Material die Kirche gebaut wur-de. Typisch ist sodann, dass das Gebäude selber als Skulptur aufgefasst wird (z.B. Le Corbusier in Ronchamps). Der Bau selbst ist schon ein Kunstwerk, dessen Form aufgrund des plastischen Materials (Beton) ganz neu erfunden werden kann, sich aber auch an traditionellen Vorstellungen wie dem Zelt oder dem Achteck orien-tiert. Innen sind moderne Kirchen eher zurückhaltend ausgestaltet. Die Ausstattung ist auf das Wesentliche konzentriert. Große Aufmerksamkeit wird jedoch dem Altar, der Kanzel, dem Taufstein und dem Kreuz sowie den Glasfenstern gewidmet. Insgesamt soll der Raum dazu dienen, dass Eintretende die Hektik des Alltags hinter sich zurücklassen, still werden und sich ganz auf Gott und die Transzendenz ausrichten können. Die sich versammelnden Menschen sollen sich als Gemeinschaft erfahren können.

Page 8: Das Kirchengebäude - Oder: Wo wohnt Gott?€¦ · Maria-Magdalena-Kirche in Freiburg Rieselfeld Manche wirken wehrhaft und burgartig, andere erscheinen mit ihren Türmen und Zinnen

© Calwer Verlag Stuttgart 2014 – www.calwer.com 7

Dr. Hartmut Rupp Das Kirchengebäude – Oder: Wo wohnt Gott?

3. Deuten: Grundideen des christlichen Gotteshauses

„Seine Gestalt hat unser Kirchengebäude vom Bundeszelt und vom Tempel entliehen“, schrieb um 1290 Bi-schof Durandus von Mende. Er will damit das christliche Gotteshaus verstanden wissen als Vollendung und Ablösung des Salomonischen Tempels [vgl. unten die Tempelweihgebet Salomos aus 1. Könige 8] und der Stiftshütte, auch Bundeszelt genannt, eines Heiligtums, das die Israeliten bei ihrer Wanderung durch die Wüs-te mit sich trugen. Moderne Kirchenbauten schließen gern an die Vorstellung vom Bundeszelt an und haben daher oft die Form eines Zeltes, um anzudeuten, dass das christliche Gottesvolk nur „Gast auf Erden“ ist und immer auf Wanderung. Der 587 v.Chr. von den Babyloniern zerstörte Tempel Salomos in Jerusalem wird als Rechteck von 20 x 60 Ellen beschrieben. Auch seine Nachfolgebauten waren rechteckig.

Erst 691 erbauten die Araber an der Stelle des Tempels den achteckigen Felsendom. Seitdem stellte man sich allgemein auch den Salomonischen Tempel als Zentral-(Rund-)bau vor. Sollte eine Kirche in erster Linie als Wiederholung und Steigerung des Tempels verstanden werden, wählte man daher die Form eines Zentralbaus.

An gotischen Kirchen findet die oben angeführte Behauptung des Durandus allerdings keine sichtbare Bestätigung. Hier weisen die baulichen Eigenarten weniger in das Alte Testament zurück als vielmehr in die Endzeit des Reiches Gottes voraus. Nach der Offenbarung des Johannes spielt sie sich in einer herrlichen Stadt ab[vgl. unten die Vision des Propheten Johannes aus Offenbarung 21]. Das „neue Jerusalem“ wird sich vom Himmel herabsenken, von unzähligen Engeln und Heiligen bewohnt, wie Edelsteine glänzend mit hohen Mauern und zwölf Toren, über den Toren zwölf Engel.

Lieder, Predigten und Inschriften hielten nun das ganze Mittelalter hindurch das Bewusstsein gegenwär-tig, dass das Kirchengebäude auf diese himmlische Stadt vorausweisen sollte. Wenn man bei der Weihe von Altären in sie Reliquien einbettete, begrüßte man diese mit den Worten: „Kommt, ihr Heiligen, tretet ein in die Stadt des Herrn“.

In der Zeit der Romanik stellte man sich nördlich der Alpen eine Stadt gewöhnlich als einen burgenartigen, turmbewehrten Komplex vor. Wahrscheinlich sind die romanischen Dome deswegen so reich an Türmen, weil man auf diese Weise versuchte, die Himmelsstadt entsprechend abzubilden.

Die Entstehung der gotischen Kathedrale, deren Bauweise den Eindruck von Schwerelosigkeit erweckt, mit ihren schwebenden Bögen (das ist die wörtliche Bedeutung des alten Wortes „Schwibbogen“), mit Glaswän-den, deren Farbglanz Edelsteine imitiert, mit Gewölben, die wie ein Netz aus Herrscherbaldachinen anmuten, mit der Fülle von Figuren usw. hat man auf die Absicht zurückgeführt, die Himmelsvision aus der Apokalypse möglichst unmittelbar zu vergegenwärtigen.

Auch in einzelnen Teilen der Kirche konnte sich dieser Gedanke baulich auswirken, doch fällt es schwer, das eindeutig nachzuweisen. So bleibt es beispielsweise fraglich, ob im Freiburger Münster die zwölf Engel mit Rauchfässern und Kronen im innersten Bogen über dem Hauptportal als die zwölf Engel über den Toren der Himmelsstadt verstanden sein wollen. Der Apostel Petrus schreibt seiner Gemeinde: „Lasst euch selbst als lebendige Steine aufbauen zu einem geistigen Haus“ (1. Petr 2,5). Das Wort ,,Kirche“ kann schon seit dem 3. Jahrhundert sowohl die Gemeinschaft der Gläubigen als auch den Kirchenbau meinen; so gilt auch das ganze Mittelalter über: „Die aus Stein errichtete Kirche ist nur ein Sinnbild der unsichtbaren Kirche, welche aus See-len besteht“ (Bernhard von Clairvaux).Aus: Konrad Kunze, Himmel in Stein. Das Freiburger Münster. Vom Sinn mittelalterlicher Kirchenbauten. © Verlag Herder GmbH,

Freiburg i.Br. 2007, S. 16f (leicht gekürzt).

Page 9: Das Kirchengebäude - Oder: Wo wohnt Gott?€¦ · Maria-Magdalena-Kirche in Freiburg Rieselfeld Manche wirken wehrhaft und burgartig, andere erscheinen mit ihren Türmen und Zinnen

© Calwer Verlag Stuttgart 2014 – www.calwer.com 8

Dr. Hartmut Rupp Das Kirchengebäude – Oder: Wo wohnt Gott?

Das Tempelweihgebet Salomos (1. Könige 8,22.24.27–30)Und Salomo trat vor den Altar des HERRN angesichts der ganzen Gemeinde Israel und breitete seine Hände aus gen Himmel und sprach: HERR, Gott Israels, es ist kein Gott weder droben im Himmel noch unten auf Erden dir gleich, der du hältst den Bund und die Barmherzigkeit deinen Knechten, die vor dir wandeln von ganzem Herzen; der du gehalten hast deinem Knecht, meinem Vater David, was du ihm zugesagt hast. Mit deinem Mund hast du es geredet, und mit deiner Hand hast du es erfüllt, wie es offenbar ist an diesem Tage.Aber sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?

Wende dich aber zum Gebet deines Knechts und zu seinem Flehen, HERR, mein Gott, damit du hörst das Flehen und Gebet deines Knechts heute vor dir: Lass deine Augen offen stehen über diesem Hause Nacht und Tag, über der Stätte, von der du gesagt hast: Da soll mein Name sein. Du wollest hören das Gebet, das dein Knecht an dieser Stätte betet, und wollest erhören das Flehen deines Knechts und deines Volkes Israel, wenn sie hier bitten werden an dieser Stätte; und wenn du es hörst in deiner Wohnung, im Himmel, wollest du gnädig sein.

Aus: Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

Die heilige Stadt Gottes bei den Menschen (Offenbarung 21, 1–4)Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergan-gen, und das Meer ist nicht mehr.

Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.

Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Men-schen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.

Aus: Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

Sind Kirchen heilige Räume?Viele Menschen haben das Gefühl, dass in Kirchen göttliche Kräfte zu spüren sind, auch dann, wenn gerade kein Gottesdienst stattfindet. Sie sprechen von einem „heiligen Raum“. Für sie wohnt Gott irgendwie doch in dieser Kirche, auch wenn Gott selber viel größer verstanden wird. Solche Menschen treten andächtig in Kirchen und Kapellen. Sie erwarten etwas.

Evangelische Christen tun sich damit in der Regel schwer. Sie weisen dann darauf hin, dass für Luther die Kirchen keine heiligen Räume waren. Sie waren für ihn Gehäuse, die nur einen Zweck haben, nämlich „dass Christus darin zu uns spricht und wir ihm antworten in Gebet und Lobgesang“. Heilig geht es erst dann zu, wenn die Menschen von dem Evangelium angesprochen werden und sie diesem dankbar und gern antwor-ten. Der Kirchenraum ist dafür selber gleichgültig. Gott wohnt also in der Person Jesu Christi in der gottes-dienstlichen Gemeinde.

Page 10: Das Kirchengebäude - Oder: Wo wohnt Gott?€¦ · Maria-Magdalena-Kirche in Freiburg Rieselfeld Manche wirken wehrhaft und burgartig, andere erscheinen mit ihren Türmen und Zinnen

© Calwer Verlag Stuttgart 2014 – www.calwer.com 9

Dr. Hartmut Rupp Das Kirchengebäude – Oder: Wo wohnt Gott?

Die Frage aber ist, ob die Räume nicht doch etwas Göttliches haben. Manche sagen: Kirchen sind an heili-gen Orten erbaut, die göttliche Kräfte ausströmen. Andere aber sagen, die Gebete und die Lieder, der Glaube der Menschen, steckte in den Mauern, in den Bänken, im Altar, in den Bildern oder in den Geräten, wie z.B. im Abendmahlskelch. Hier haben sich Menschen und Gottes Geist verbunden. Und das könne man auch spüren. Man gehe einmal in eine alte Klosterkirche.

Katholische Christen sagen: Gott ist gegenwärtig in der geweihten Hostie, die nach dem Gottesdienst im Tabernakel (wörtlich: Zelt) aufbewahrt werden. Das ist im Übrigen der Grund, warum katholische Christen beim Betreten einer Kirche eine Verbeugung oder einen Knicks machen.

Kirchen sind Orte der Besinnung und Ermutigung„Die Kirche soll nicht nur im öffentlichen Stadtbild erkennbar sein, sie soll die Öffentlichkeit der Stadt in sich selber aufnehmen und sie verwandeln – die Leiden einer Stadt, die großen Fragen einer Stadt, den Diskurs einer Stadt, das Gewissen einer Stadt. Wir haben hier in Leipzig an der Nicolaikirche und an anderen ein wun-dervolles Beispiel. Hier haben sich Menschen versammelt, die Kirche war nicht mehr nur Gottesdienstkirche, sie war ein Ort der Klärung, der Entscheidung und des Erbarmens. Die Kirche wurde geheiligt, indem sie den Nöten der Menschen einen Raum und Sprache und Lieder gegeben hat. Auch die Gottesdienste gewinnen neues Feuer, wo sie genährt werden von der Glut der alltäglichen Sorgen. (…) Eine Kirche verengt, wenn sie nur Ort des Gottesdienstes ist, und das sonntags von 10 bis 11 Uhr. Die Kirche gehört sich nicht selber, sie gehört den Leiden und den großen Fragen des Gemeinwesens. Kirche in der Stadt heißt Kirche für die Stadt. So sehr die Stadt in die Kirche geladen werden soll, so bleibt doch der Kirchenraum ein Raum der Würde. (…)“Fulbert Steffensky, in: Kirchenamt der EKD (Hg.), Der Seele Raum geben – Kirchen als Orte der Besinnung und Ermutigung. Texte zum

Sachthema der 1. Tagung der 10. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), 22–25. Mai 2003, Leipzig, 2003

4. Gestaltungsvorschläge

1. Entwerfe deine eigene Traumkirche mit Bauklötzen oder mithilfe einer Zeichnung.2. Heutzutage werden immer mehr Kirchen aufgegeben oder umgewidmet. Manche werden zu einer Biblio-

thek, zu einem Altersheim, zu einem Columbarium, in dem die Urnen Verstorbener aufbewahrt werden, aber auch zu einer Kneipe. Nimm Stellung: Was darf man, was nicht?

3. Unternimm einen virtuellen Spaziergang durch den Kölner Dom www.koelner-dom.de 4. Finde weitere Spaziergänge und erzähle anderen davon, z.B. www.dom-speyer.de; www.frauenkirche-dres-

den.de

Buchempfehlung

Hartmut Rupp (Hg.), Handbuch der Kirchenpädagogik. Kirchenräume wahrnehmen, deuten und erschließen,Stuttgart 22007.