DAS LEISE STERBEN DER SCHWEIZER FLORA · Fotos: Botanischer Garten Fribourg. 22 15/2019 der...

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20 15/2019 PFLANZEN Die biologische Vielfalt der Schweiz ist reich und einzigartig. So gedeihen in den 235 verschiedenen Lebensraumtypen des Alpen- landes unter anderem 88 Farnarten und rund 2500 einheimische Blütenpflanzen. Ein Reichtum, den die Schweiz den beacht- lichen Höhengradienten, der geologischen Vielfalt und der über lange Zeit traditio- nellen Bewirtschaftung des Kulturlandes zu verdanken hat. Die Trockenlegung von Mooren und Sümpfen, die Verbauung von Uferlandschaften, der erhöhte Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und der Klimawan- del sind nur einige Faktoren, die in den vergangenen 100 Jahren zu einem massiven Verlust der Artenvielfalt führten. Die Bestände der Pflanzenarten sanken auf ein erschreckend tiefes Niveau. Die im Juni 2019 veröffentlichte «Rote Lis- te» des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) zeigt auf, dass aktuell 3656 Arten und 98 Lebensräume als national gefährdet gel- ten. Diese machen 34 Prozent der rund 10 700 bewerteten Arten beziehungsweise 59 Prozent der 167 beurteilten Lebens- raumtypen aus. «Im Kanton Fribourg ist mit 700 Pflan- zenarten rund ein Drittel des kantonalen Wildpflanzenbestandes vom Aussterben bedroht», berichtet Gregor Kozlowski. Der Biologe ist wissenschaftlicher Leiter und Kurator des botanischen Gartens Fribourg und kam vor über 25 Jahren in die Univer- sitätsstadt. Im Alpinum, Steingarten oder Arboretum – in 21 Abteilungen gedeihen auf einer Gesamtfläche von gerade ein- mal 1,8 Hektaren weit über 5000 Pflanzen- arten. Das Aufgabenfeld der schweizweit 22 Bo- tanischen Gärten – einst bestaunten die Besucherinnen und Besucher hauptsäch- lich exotische Pflanzen – habe sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend ge- wandelt, meint Kozlowski. So auch im bo- tanischen Garten der Universität Fribourg. «Die Öffentlichkeitsarbeit rücke immer stärker in den Fokus. Wir möchten unsere Besucher für die Welt der Pflanzen und ihre Bedeutung in den Ökosystemen der Erde sensibilisieren», präzisiert der Biologe. Die Erhaltung von Pflanzen, die auf nationaler und internationaler Ebene vom Aussterben bedroht sind, zählt zu einer der bedeutendsten Herausforderungen des botanischen Gartens Fribourg. Dank des grossen Engagements zählt der Botanische Garten Fribourg weit über die Kantons- und Landesgrenzen hinaus zu einem der bedeutendsten Kompetenzzentren für den Artenschutz. DAS LEISE STERBEN DER SCHWEIZER FLORA Sie sind die Letzten ihrer Art – ein Drittel der Wildpflanzen der Schweizer Flora sind gefährdet und davon 111 Arten vom Aussterben bedroht. 55 Arten gelten bereits als ausgestorben oder verschollen. In den botanischen Gärten kämpft man um das Überleben der gefährdeten Pflanzenarten, um die Biodiversität langfristig zu erhalten und zu fördern, so auch im botanischen Garten der Universität Fribourg (FR). Text: Christine Huld Oben: Die Kleine Teichrose Nuphar pumila findet sich im Rahmen eines aktuellen Ex-situ-Erhaltungsprojektes im botanischen Garten der Uni Fribourg. Links: Hochalpine Pflanzen wie das Berner Sandkraut Arenaria bernensis verschwinden aufgrund der Erwärmung des Klimas. Fotos: Botanischer Garten Fribourg

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Die biologische Vielfalt der Schweiz ist reich und einzigartig. So gedeihen in den 235 verschiedenen Lebensraumtypen des Alpen­landes unter anderem 88 Farnarten und rund 2500 einheimische Blütenpflanzen. Ein Reichtum, den die Schweiz den beacht­lichen Höhengradienten, der geologischen Vielfalt und der über lange Zeit traditio­nellen Bewirtschaftung des Kulturlandes zu verdanken hat. Die Trockenlegung von Mooren und Sümpfen, die Verbauung von Uferlandschaften, der erhöhte Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und der Klimawan­del sind nur einige Faktoren, die in den vergangenen 100 Jahren zu einem massiven Verlust der Artenvielfalt führten.

Die Bestände der Pflanzenarten sanken auf ein erschreckend tiefes Niveau. Die im Juni 2019 veröffentlichte «Rote Lis­te» des Bundesamtes für Umwelt (Bafu)

zeigt auf, dass aktuell 3656 Arten und 98 Lebensräume als national gefährdet gel­ten. Diese machen 34 Prozent der rund 10 700 bewerteten Arten beziehungsweise 59 Prozent der 167 beurteilten Lebens­raumtypen aus.

«Im Kanton Fribourg ist mit 700 Pflan­zenarten rund ein Drittel des kantonalen Wildpflanzenbestandes vom Aussterben bedroht», berichtet Gregor Kozlowski. Der Biologe ist wissenschaftlicher Leiter und Kurator des botanischen Gartens Fribourg und kam vor über 25 Jahren in die Univer­sitätsstadt. Im Alpinum, Steingarten oder Arboretum – in 21 Abteilungen gedeihen auf einer Gesamtfläche von gerade ein­mal 1,8 Hektaren weit über 5000 Pflanzen­arten.

Das Aufgabenfeld der schweizweit 22 Bo­tanischen Gärten – einst bestaunten die

Besucherinnen und Besucher hauptsäch­lich exotische Pflanzen – habe sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend ge­wandelt, meint Kozlowski. So auch im bo­tanischen Garten der Universität Fribourg. «Die Öffentlichkeitsarbeit rücke immer stärker in den Fokus. Wir möchten unsere Besucher für die Welt der Pflanzen und ihre Bedeutung in den Ökosystemen der Erde sensibilisieren», präzisiert der Biologe.

Die Erhaltung von Pflanzen, die auf natio naler und internationaler Ebene vom Aussterben bedroht sind, zählt zu einer der bedeutendsten Herausforderungen des botanischen Gartens Fribourg. Dank des grossen Engagements zählt der Botanische Garten Fribourg weit über die Kantons­ und Landesgrenzen hinaus zu einem der bedeutendsten Kompetenzzentren für den Artenschutz.

DAS LEISE STERBEN DER SCHWEIZER FLORA Sie sind die Letzten ihrer Art – ein Drittel der Wildpflanzen der Schweizer Flora sind gefährdet und davon 111 Arten vom Aussterben bedroht. 55 Arten gelten bereits als ausgestorben oder verschollen. In den botanischen Gärten kämpft man um das Überleben der gefährdeten Pflanzen arten, um die Biodiversität langfristig zu erhalten und zu fördern, so auch im botanischen Garten der Universität Fribourg (FR). Text: Christine Huld

Oben: Die Kleine Teichrose Nuphar pumila findet sich im Rahmen eines aktuellen Ex-situ-Erhaltungsprojektes im botanischen Garten der Uni Fribourg.Links: Hochalpine Pflanzen wie das Berner Sandkraut Arenaria bernensis verschwinden aufgrund der Erwärmung des Klimas. Fotos: Botanischer Garten Fribourg

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Erhaltung gefährdeter WildpflanzenIn der «Globalen Strategie zum Schutz der Pflanzen» (Global Strategy for Plant Con­servation, GSPC) hat sich die Schweiz mit 193 anderen Vertragspartnern im Rahmen der Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen dazu verpflichtet, die Hälfte aller für die pflanzliche Artenvielfalt bedeuten­den Gebiete der Erde zu sichern. Der Schutz der Lebensräume ist die wichtigste Mass­nahme, um das Aussterben von seltenen und bedrohten Pflanzenarten zu verhindern.

Neben der Ex­situ­Erhaltung – der Kultur von Pflanzen ausserhalb ihres natürlichen Lebensraumes – zähle die Wiederansied­lung in geeigneten Habitaten zu den be­deutenden Massnahmen, um seltene und gefährdete Pflanzenarten zu erhalten. In der Schweiz verfolgen vor allem die grösse­ren und universitären botanischen Gärten

wie der Botanische Garten der Universität Fribourg eigene Ex­situ­Erhaltungsprojek­te. «Kleineren Gärten fehlen meistens die entsprechenden finanziellen, personellen und baulichen Möglichkeiten», ergänzt der Biologe und fügt hinzu: «Denn selbst die Erhaltungskulturen kleinwüchsiger Arten benötigen ausreichend Platz – um die ge­netische Vielfalt nicht allzu sehr verarmen zu lassen, müssen möglichst viele Pflanzen mit unterschiedlichen Genotypen kultiviert werden.» Das Team von Gregor Kozlowski zählt 15 Mitarbeitende. Diesem gehören neben Forschern ein achtköpfiges Gärt­nerteam, Mitarbeitende der technischen Abteilung und der Öffentlichkeitsarbeit sowie Studierende der Universität an. In der täglichen Arbeit sei, so der Biologe, die Zusammenarbeit mit der kantonalen Na­turschutzfachstelle, dem Bundesamt für

Umwelt oder auch staatlichen Stellen im Ausland sehr eng. Das nationale Daten­ und Informationszentrum der Schweizer Flora Info Flora, das die Botanischen Gärten bei Arterhaltungsprojekten berät, erarbeitet Empfehlungen zu Ex­situ­Programmen und verlinkt die beteiligten Fachstellen.

Vermehrung und WiederansiedlungDie Sumpf­ und Wasserpflanzen sind in der Schweiz die vom Aussterben am stärksten bedrohten Arten. «Mit der Trockenlegung von Mooren und Sümpfen wurde das lei­se Sterben unzähliger Pflanzenarten schon sehr früh eingeläutet», erklärt Kozlowski. Neben der Kleinen Teichrose Nuphar pumila findet sich das Berner Sandkraut Arenaria bernensis im Rahmen der aktuellen Ex­situ­Erhaltungsprojekte im Botanischen Garten Fribourg. «Die Kleine Teichrose ist eines

Oben: Im Alpinum, Steingarten oder Arboretum – in den 21 Abteilungen des botanischen Gartens gedeihen

auf einer Gesamtfläche von gerade einmal 1,8 Hektaren weit über 5000 Pflanzenarten.

Rechts: Der Biologe Gregor Kozlowski sammelt mit seinem Team Pflanzenteile oder Samen der gefährdeten

Pflanzenarten am natürlichen Wuchsort. Fotos: Botanischer Garten Fribourg

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der beispielhaftesten Glazialrelikte Mittel­europas», betont der Biologe. Sie wächst im stehenden, nährstoffarmen und leicht sauren Wasser von Seen und Teichen wie beispielsweise im Lac des Joncs (FR), dem Gräppelensee (SG) und dem Kämmoos­teich (ZH). Mit ihren millimeterdünnen Schwimmblättern bildet die gelbblühende Teichrose auf der Wasseroberfläche einen einzigartigen Lebensraum. «Trockenlegung, Wasserverschmutzung und ein zu hoher Nährstoffgehalt haben der feuchtliebenden Pflanzenart heute weitgehend die Lebens­grundlage geraubt», zeigt Kozlowski auf.

Auch hochalpine Pflanzen wie das Ber­ner Sandkraut verschwinden, so Kozlow­ski, aufgrund der Erwärmung des Klimas. Das Berner Sandkraut wurde vom Neuen­burger Botaniker Claude Favager 1955 auf dem Leiterenpass im Gantrischgebiet (BE)

entdeckt. Das weiss blühende Sandkraut gedeiht fast ausschliesslich in kühlen, nördlich exponierten Hängen oberhalb von 2000 Metern. Zur Erhaltung der sel­tenen und gefährdeten Pflanzenarten wer­den Pflanzenteile oder Samen der Raritäten am natürlichen Wuchsort gesammelt, im botanischen Garten vermehrt und in den natürlichen Lebensräumen wiederangesie­delt. Das Monitoring der Wiederansied­lungsprogramme bildet die Grundlage für die Empfehlungen, welche die Forscher den Behörden aussprechen, um künftige Mass­nahmen, wie beispielsweise die Einrichtung genügend grosser Pufferzonen zum Schutz der Populationen, einzuleiten.

Es beschäftigt Kozlowski, dass nur ein geringer Anteil der gefährdeten Pflanzen­arten – jährlich sind dies im Botanischen Garten Fribourg nur zwei bis drei Arten –

den Schutz ihrer Art erfahren. Die finanziel­len Mittel, die den botanischen Gärten für den Artenschutz zur Verfügung gestellt wer­den, würden bei Weitem nicht ausreichen, um dem leisen Verschwinden unzähliger Pflanzenarten entgegenzuwirken. «Pflan­zen sind die Grundlage des Lebens – eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit und der politischen Entscheidungsträger ist wichti­ger denn je, um die gefährdeten Arten mit gezielten Massnahmen vor dem Aussterben zu schützen», betont Gregor Kozlowski.

Die Erhaltung von Pflanzen, die auf nationaler und internationaler Ebene vom Aussterben bedroht zählt zu einer der bedeutendsten Herausforderungen des botanischen Gartens Fribourg. Foto: Christine Huld