Das menschliche Microbiom: Wie

beeinflussen die uns besiedelnden

Mikroorganismen unser Wohlergehen?

Prof. Dr. Wolfgang SchumannInstitut für GenetikUniversität Bayreuth

1

Zwei wichtige Begriffe

Menschliche Microbiota: Die Gesamtheit der uns

besiedelnden Mikroorganismen

Menschliches Microbiom: Die Gesamtheit aller

Gene der uns besiedelnden Mikroorganismen

2

Der Mensch ist ein Superorganismus

Anzahl der menschlichen Zellen: 1012

Anzahl der uns besiedelnden Mikroben: 1013

Anzahl der menschlichen Gene: 23 000

Anzahl der mikrobiellen Gene: ~ 3 Millionen !

Sind wir Mensch oder nur ein Biotop für

Mikroorganismen ? Oder beides ?

3

4

Microbiota = alle Mikroorganismen, die auf unseren inneren und äußeren

Oberflächen gedeihen

Bakterien Archaea Pilze Amöben Flagellaten Viren und Bakteriophagen

Archaea sehen aus wie Bakterien, aber

Unterschiede Bakterien – Archaea: 1. Aufbau Zellwand 2. Zellmembran 3. Transkription 4. Translation

5

Wer hat die Bakterien entdeckt ?

Antoni van Leeuwenhoek:1676

Wo ?

In seinem Zahnbelag

„Animacules“ = kleine Tiere

6

Leeuwenhoeks erste Zeichnung von

Bakterien

7

Zwei große Forschungsprojekte

widmen sich der Erforschung des

menschlichen Mikrobioms

Das „Human Microbiome Project“

Das Projekt „Metagenomics of the Human Intestine (metaHIT)“

8

9

Das „Human Microbiome Project“

Initiiert vom National Institutes of Heath 2007 Mikroben und deren Funktion von fünf

verschiedenen „Habitaten“ werden analysiert: - Hautoberfläche- Mundhöhle- Gastrointestinal-Trakt - Urogenital-Vaginal-Trakt - Atmungsorgane

http://nihroadmap.nih.gov/hmp

10

Ziele des Mikrobiom-Projekts

1. Identifizierung aller uns besiedelnden Mikroorganismen = Bakterien und Archaeen

2. Funktion dieser Mikroorganismen 3. Medizinische Relevanz: Wie können wir die

Information unseres Mikrobioms zur Vermeidung und Behandlung von Krankheiten nutzen?

11

Metagenomics of the Human Intestine

(metaHIT)

4. März 2010 Dusko Ehrlich

12

Ziele des metaHIT

Erforschung des Zusammenhänge zwischen den bakteriellen Genen und unserer Gesundheit und Krankheiten

Zwei wesentliche Ziele:- Reizdarmsyndrom - Adipositas

www.metahit.eu

EU-Projekt: seit dem 01.01.2008

13

Wichtige Fragen zum Microbiom

Wie stabil ist unser Microbiom ?Alter, Diäten, Antibiotika-Behandlung Wie beeinflusst die Ernährung unsere Darmflora ?Wie beeinflussen Krankheiten unser Microbiom

und umgekehrt ? Kann das Microbiom verändert werden ?

Rolle von Prä- und Probiotika Kann das Microbiom unser Verhalten

beeinflussen ? Autismus Kann das Microbiom für forensische Zwecke

genutzt werden ?

Gliederung

1. Wann und wie werden wir besiedelt ?2. Biotop Haut 3. Biotop Mund 4. Biotop Magen 5. Biotop Darm6. Letzte Meldung 7. Offene Fragen

14

Gliederung

1. Wann und wie werden wir besiedelt ?2. Biotop Haut 3. Biotop Mund 4. Biotop Magen 5. Biotop Darm6. Letzte Meldung 7. Offene Fragen

15

16

Wie werden wir besiedelt ?

Fruchtblase: Fötus ist steril normale Geburt: Baby bedeckt mit Bakterien des Geburtskanals Kaiserschnitt: Baby bedeckt mit Bakterien von der Haut der Hebamme, Schwester, Mutter Stillen: Brustwarzen Nahrung

Unterschiede normale Geburt versus Kaiserschnitt, Teil 1

Normale Geburt: Spezies des Geburtskanals dominierenKaiserschnitt: Spezies der Haut dominieren

Konsequenzen:64 – 82% der MRSA-Infektionen bei Neugeborenen nach Kaiserschnitt → Bakterien des Geburtskanals reduzieren die Wahrschein-lichkeit einer Kolonisierung durch MRSA-Bakterien

17

Unterschiede normale Geburt versus Kaiserschnitt, Teil 2

Beobachtung:Kaiserschnitt-Kinder empfänglicher gegenüber Allergien und Asthma

18

Verteilung der verschiedenen Bakterien-Klassen

19

Gliederung

1. Wann und wie werden wir besiedelt ?2. Biotop Haut 3. Biotop Mund 4. Biotop Magen 5. Biotop Darm6. Letzte Meldung 7. Offene Fragen

20

21

Die Aufgaben unserer Haut

Wichtige Barriere

- gegen Austrocknung - Eindringen toxischer Substanzen und vonMikroorganismen

- Produzent von Talg = Fette (Sebum)

Auf unserer Haut ( ~2 m2 ) leben so viele Mikroben wie Menschen auf der Erde

22

Querschnitt durch unsere Haut

Unsere Haut ist - kalt - sauer: pH ~5(Säuremantel)

- trocken

E.A. Grice (2011) Nature Rev. Microbiol. 9: 244

Faktoren, die die Flora unserer Haut beeinflussen

23

24

Haut ist nicht gleich Haut

Die vorherrschenden Bakteriengruppen werden bestimmt durch die Faktoren

- Fettgehalt - Feuchtigkeit - Trockenheit

25

Bakterien aus dem Bauchnabel verschiedener Menschen

www.boingboing.net/2011/01/31/belly-button-bacteri.html

26

Wie helfen uns die Bakterien der Haut ?

Propionibacterium acnes: saures Milieu durch Bildung von freien Fettsäuren (Säuremantel); hemmen die Ausbreitung pathogener Arten

Staphylococcus epidermidis: sekretiert eine Protease, welche die Wirkung eines menschlichen antibakteriellen Peptids verstärkt

T. Iwase (2010) Nature 465: 346

27

Besiedlung unserer Haut

Beobachtung:Etwa 13% der Bakterienarten sind identisch bei allen Individuen, die restlichen 87% sind variabel

Frage:Enthält unsere Haut eine individuell einmalige Zusammensetzung an Bakterienarten?Falls ja, kann dies für forensische Zwecke genutzt werden?

28

Forensik unserer Haut

Experiment:Proben von einzelnen Computer-Tasten und der Computer-Maus analysiert

Ergebnis:Nachweis des Benutzers bis zu 14 Tage nach Berührung (~1.400 verschiedene bakterielle 16S rRNA-Sequenzen) Aber: nur 3 Probanden!

Gliederung

1. Wann und wie werden wir besiedelt ?2. Biotop Haut 3. Biotop Mund 4. Biotop Magen 5. Biotop Darm6. Letzte Meldung 7. Offene Fragen

29

Biotop Mund

Viren, Bakterien (~1000 Arten), Archaea, Pilze und Protozoen: es wimmelt nur so in unserem Mund !

Bakterien besiedeln die Schleimhäute der Zunge, die Wangen, den Gaumen und die Mandeln, also die gesamte schleimige Oberfläche des Mundes

30

Biotop Mund

1 ml menschlicher Speichel enthält etwa 100 Millionen Bakterien-Zellen

Normale Speichelproduktion: etwa 750 ml mit etwa 8 x 1010 Bakterien pro Tag, die sich von unserer Mundoberfläche ablösen; entspricht 5-10 g Nass-Gewicht an Bakterien

31

Biotop Mund

Wichtig: konstanter pH-WertPuffer-Kapazität erschöpft → Mundflora ändert sichStreptococcus mutans und Lactobacillen → Säure-Produktion → Karies

Streptococcus salivarius: produziert ein Toxin, welches das Wachstum nahe verwandter pathogener Spezies hemmt, die für Parodontose verantwortlich sind

32

Gliederung

1. Wann und wie werden wir besiedelt ?2. Biotop Haut 3. Biotop Mund 4. Biotop Magen 5. Biotop Darm6. Letzte Meldung 7. Offene Fragen

33

Biotop MagenLehrmeinung bis vor etwa 30 Jahren: Magen ist steril aufgrund des niedrigen pH-Wertes, der schnellen Peristaltik und der Gallensalze

Barry Marshall

John Warren

Helicobacter pylori

1983 entdeckt2005 Nobelpreis 34

Pathomechanismus

35

36

Bakterien des Magens

2006: 128 verschiedene Arten nachgewiesen in 23 Biopsie-Proben

Was ist die Funktion der anderen 127 Arten ? Wie überleben sie im Magen ?

Gliederung

1. Wann und wie werden wir besiedelt ?2. Biotop Haut 3. Biotop Mund 4. Biotop Magen 5. Biotop Darm6. Letzte Meldung 7. Offene Fragen

37

38

Hohe Einwohnerdichte: Bis zu 1 Billionen (1012) Bakterien pro Gramm

Darminhalt

Unser Darm ist das am dichtesten besiedelte mikrobielle Ökosystem unseres Planeten !

39

Unsere Darmflora wird von zwei Ordnungen dominiert

Firmicutes: Gram-positive mit den Klassen Streptococcus, Lactococcus, Lactobacillus, Bacillus, Clostridium, etc.

Bacteroides: Gram-negativ und obligat anaerob

400-500 verschiedene Bakterien-Arten nachgewiesen

40

Welchen Nutzen erbringen unsere Mitbewohner ?

Unsere Darm-Bakterien• spalten Zuckermoleküle • produzieren kurzkettige Fettsäuren • stellen Vitamine (B1, B2, B6, B12, K2, H) und essentielle Aminosäuren her

• beseitigen Schadstoffe und giftige Stoffwechsel-produkte (z. B. Gallensäure)

• versorgen uns mit Kalorien: bis zu 10% • bekämpfen pathogene Bakterien

41

Abwehrmechanismen

Direkte Hemmung

Konkurrenz um Nährstoffe

Stimulierung der Immunabwehr

B. Stecher (2011) Curr. Opin. Microbiol. 14: 82

42

Bakterien und Übergewicht

Schlank oder dick? Persönliche Darmflora kann über unseren Körperumfang entscheiden

Beobachtung Maus: Darmflora von dicken Mäusen wandelt unverdauliche Ballaststoffe effektiv in Fettsäuren um werden im Fettgewebe angelegt

43

Das Autismus-Syndrom Beobachtung:Kinder mit Autismus-Syndrom leiden oft an Problemen des Gastrointestinal-Trakts

Experiment: Fäkale Flora von Autismus-Patienten verglichen mit - gesunden Verwandten- gesunden Nicht-Verwandten

Ergebnis: Fäkale Flora der Patienten enthält erhöhten Anteil an Bakterien der Clostridium histolyticum Gruppe

H. Parracho (2005) J. Med. Microbiol. 54: 987

44

Unsere Darmflora kann Gene aus Besuchern aufnehmen

Menschen, die Seegras essen, erwerben Gene aus einem marinen Bakterium

J.-H. Hehemann (2010) Nature 464: 908

Abbau von Seegras-spezifischen Polysacchariden durch Prophyranasen und Agarasen

45

Heilung einer Patientin mit schwerem Durchfall

Patientin mit Clostridium difficile infiziert 30 kg Gewicht verloren Darmflora Transplantation mit der ihres

Ehemannes durchgeführt Heilung in wenigen Tagen

Fäkale Transplantation

46

Darmflora Transplantation

Beobachtung:Bereits zweimalige Einnahme des Antibiotikums Ciprofloxacin kann zum Verschwinden wichtiger Darmbakterien führen

Vorschlag:Vor längerfristiger Antibiotikum-Therapie Darmflora lagern

Gliederung

1. Wann und wie werden wir besiedelt ?2. Biotop Haut 3. Biotop Mund 4. Biotop Magen 5. Biotop Darm6. Letzte Meldung 7. Offene Fragen

47

Letzte Meldung: Rheumatische Arthritis (RA)

Menschen mit RA haben mit größerer Wahrscheinlichkeit das Bakterium Prevotella copri im Darm als Menschen ohne RA

Prevotella copri- supprimiert das Immunsystem - metabolisiert Vitamine Experiment mit Mäusen: Infektion mit P. copri- werden sensitiver gegen Kolitis - Anzahl der guten Bakterien nimmt ab

J.U. Scher (2013) eLife 2: e01202 48

Gliederung

1. Wann und wie werden wir besiedelt ?2. Biotop Haut 3. Biotop Mund 4. Biotop Magen 5. Biotop Darm6. Letzte Meldung 7. Offene Fragen

49

Offene Fragen

1. Wie interagieren die uns besiedelnden Mikroorganismen mit unserem Körper und wie profitieren wir voneinander ?

2. Wie interagieren die Myriaden von Mikroorganismen miteinander ?

3. Die individuellen Microbiota können große Unterschiede aufweisen. Haben diese Unterschiede Einfluss auf unsere Gesundheit ?

4. Können wir eines Tages aufgrund der Analyse unserer individuellen Microbiota Krankheiten im Vorfeld erkennen und bekämpfen ?

50