Das monastische Charisma im 21. Jh. - ocist. · PDF filedie der „à la...
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BesuchdesGeneralkapitelsOCSO–Assisi,11.September2017
Fr.Mauro-GiuseppeLepori,GeneralabtOCist
DasmonastischeCharismaim21.Jh.Esfreutmich,SienunschonzumdrittenMalanIhremGeneralkapitelbesuchenzudürfen.Es ist fürmich immereineGelegenheit,mirRechenschaftabzulegenübervieleandereBegegnungenmitPersonenundGemeinschaftenunsererOrdenundinderZisterzienserFamilie, denndieseBegegnungenerinnernmich jeweils andas,wasuns inunsererBerufung verbindet. Sichernicht immer inderBerufung,wiewir sie leben, dennwirweichen alle und immer ab von dem,wozu Christus unsruft,aber inderBerufung,zuderChristusunshinziehtundderHeiligeGeistunsdrängt.WennjemandodereineGemeinschaftsichsagt:„Ich lebemeineBerufungrichtig!“,dannheisstdas,dassmanseineBerufungnichtlebt,denndieBerufungistnie ein abgeschlossener, vollendeter Prozess,wennmanwirklich Christus folgenwill,derunsvorangeht,wennmanihnnichthintersich„herschleppen“willwiedieSoldaten, die ihngefesselt zuKaiphasoderPilatus führten.Christus geht frei vorunsher,geradeauchimmonastischenLeben,obwohldieseineBerufungist,inderman leichter Gefahr läuft zu meinen, der Weg sei seit jeher und für immerfestgelegt.Ichmeine, dass wir über unsere Berufung undwie wir ihr folgenwollen in derWeisenachdenkenmüssen,wiederheiligePaulusseineeigeneTreuezurBerufung,dieervonChristusempfangenhat, verstand: „Nichtdass ich (…)schonvollendetwäre;ichjageaberdanach,dassichdasauchergreife,wofürichvonChristusJesusergriffen worden bin. Liebe Brüder, ich bilde mir nicht ein, dass ich selbst esergriffenhätte, eins aber tue ich:Was zurückliegt, vergesse ichund streckemichausnachdem,wasvormir liegt. Ich richtemeinenLaufaufdasZielaus,umdenSiegespreiszuerringen,derunsererhimmlischenBerufungdurchGottinChristusJesus verheissen ist. Lasst uns alle, diewir gereift sind, so gesinnt sein. Falls ihrandererAnsicht seid, sowirdeuchGottauchdarüberKlarheitverschaffen.Doch:Waswirerreichthaben,andemwollenwirunsauchausrichten!“(Phil3,12-16)FürdiesenBesuchhatmirIhreKommission,diemitderVorbereitungdesKapitelsbetrautwar,imNamenIhresGeneralabtesdasThemamitgeteilt,dasSievertiefenwollen:DasmonastischeCharismaim21.Jahrhundert.AlsoauchSieladenmichein,ehernachvornealsnachrückwärtszuschauen.
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Trotzdem,dieVergangenheitistnichtunwichtigfürunserenWeg.Sieträgtuns,wiedieWurzeln den Baum tragen, der sich in der Höhe und Breite entfaltet, um inseinemStrebennachdemHimmelRaumundZeitzuumspannen.Wirsollennichtrückwärtsschauen,aberwirsollenunserinnern.Dasheisst,dassdieVergangenheitnichthinterunsbleibendarf.Siemussunsbegleiten,siemuss inunsbleiben,siemussinunslebendigbleiben.DannwirddieVergangenheitTradition,Weitergabe,Erbe.Dasheisst,dassdieVergangenheitdurchunsweitergehenkannalswirselbst,dass sie uns überholen kann, über unser Leben hinausreichen kann, ja sogarWeitergabeunseresLebens,ZeugungneuenLebenswerdenkann.Esgehtalsodarum,dasswirunsheuteunsererVerantwortungfürdieWeitergabedesLebensbewusstsind,unsererVerantwortungalsVäter,MüttergegenüberdenkommendenGenerationen.Das21.Jahrhundert,jadasganzedritteJahrtausendistnicht so sehr eine Zeitspanne als vielmehr eine Nachkommenschaft. Gott hatAbraham und allen Patriarchen und Königen nicht eine zukünftige Zeitversprochen.DaswärezuabstraktfürdiejüdischeMentalität.ErhateinekünftigeNachkommenschaft versprochen, das heisst eine menschliche Zukunft im tiefenSinndesWortes,einelebendige,persönliche,kulturelleZukunft,eineZukunft,dieauch von dem Bindeglied abhängig ist, das ich zwischen meinen Vätern undMütterneinerseitsundSöhnenundTöchternandererseitsbin.Ich empfinde immer ein Unbehagen, wenn ich feststelle, dass die Sorge fürNachwuchs in unseren Klöstern in erster Linie mehr eine Sorge für denWeiterbestand des Hauses, des Unternehmens, des Denkmals, des Besitzes undwenigereineSorgederFruchtbarkeitist.Esist,alswünschtemansichNachwuchsfürdieStrukturundnicht,umLeben,BerufungalsLebenweiterzugeben.
Wirdürfennichtvergessen,dasswirzueinerjungfräulichenFruchtbarkeitberufensind,unddiesebleibt immereinGeheimnis,weil sienur indemMass inunserenmenschlichen Mitteln liegt, als diese in den Dienst des göttlichen Wirkens, desHeiligenGeistesgestelltwerden;wieMaria,dieihrenLeib, ihreSeele, ihrenGeist,ihrLeben, ihreBeziehungen,auchdiezu Joseph,vollkommenGottzurVerfügunggestellt hat. Sich dessen immer bewusst zu bleiben ist ein Zeichen authentischerFruchtbarkeit.
Die jungfräulicheBeziehungzurRealität lässtGotthandeln,wieerwill.Sie isteinHerz, das sich einer Fruchtbarkeit öffnet, die nicht die unsrige ist, die wir nichtfassenkönnen,unddiedeshalbgrösseristalsunsereeigene.„Amen,ichsageeuch:Da istkeiner,derummeinetwillenundumdesEvangeliumswillenHaus,Brüder,Schwestern,Mutter,Vater,KinderoderÄcker verlässtunddernichthundertfachempfängt, jetzt indieserZeitHäuser,BrüderundSchwestern,MütterundKinderund Äcker inmitten von Verfolgungen, und in der kommenden Welt das ewigeLeben.“(Mk10,29-30)
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Vergessen wir nicht, dass die jungfräuliche Fruchtbarkeit dauerhafter ist als dieleibliche, sie ist unabhängig von unmittelbaren Bedingungen. Eltern ohneKinderwerden keine Nachkommenschaft haben. Unsere Nachkommenschaft dagegenkannsogarGenerationenüberspringen,siekannauchnachunseremTododernachdem Tod unserer Gemeinschaft neues Leben hervorbringen. Wie vieleZisterzienser-KlöstersindausgestorbenundnachJahrzehntenoderJahrhundertenwiederauferstanden.Diese Haltung evangelischer Jungfräulichkeit, diese Überzeugung von derFruchtbarkeit unseres Lebens, unserer Gemeinschaften, unserer Orden und ganzallgemeinunserermonastischenBerufung istmeinerMeinungnachentscheidendfürunserLebenindenkommendenJahrzehnten.Ichsage:„fürunserLeben“,undnicht: „für unser Überleben“, denn Christus hat uns nicht versprochen zuüberleben, sondernzuneuemLebenaufzuerstehen.Überleben ist zuwenig. „Tundas nicht auchdie Zöllner undHeiden?“ (vgl.Mt 5,46-47).UnserGlaube gründetnicht auf der Auferstehung des Lazarus, oder der Tochter des Jaïrus, oder desSohnesderWitwevonNaïn,sondernaufderendgültigenAuferstehungChristi,derdurchdieTaufeunserewigesLebengewordenist.Lebenumzuüberlebenist imGrundegenommeneineEntscheidungfürdenTod,eineEntscheidungausAngst,dieunsdieFreudeamLebennimmt,dieFreude,dasHeutealseinenAugenblickzuleben,indemderewigeGottunsanseinemWesen,an seinem Sein, das Liebe ist, teilhaben lässt. Gibt es also folglich eine grössereFülledesLebens alsdiesenAugenblick, selbstwennesder letzteAugenblick vormeinemTododerdemEndederGemeinschaftseinsollte?WaskönnteunsermonastischesCharismaohnedieseevangelischeJungfräulichkeitderWeltvonheuteNeuesanbieten?DerMenschdes21. JahrhundertshatdenSinn fürdieEwigkeitverlorenund lebtfolglich,umzuüberleben.AllepolitischenundgesellschaftlichenProgramme,auchdie der „à la carte“-Religionen, bieten Massnahmen für das Überleben. Dieökologische Katastrophe überleben, die Krankheiten überleben, die Depressionüberleben,Unfälleüberleben,denTerrorismusüberleben,dasMigrantenproblemüberleben...WasbietetunserCharismadieserWelt,diesemglobalisiertenkulturellenKlimades21. Jahrhunderts, daswirüberall antreffen, inEuropa, indenbeidenAmerika, inAsien,inAfrika,inOzeanien?
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Der heilige Benedikt legt grosses Gewicht auf die lebensbejahende EntscheidungalseigentlicheMotivationfürunsereBerufung.ImPrologderRegelschlägtereineeinzigeWerbungfürBerufungenvor.EsistdieFrage,diewirmitGottdemHerzendesMenschen stellenmüssen, nämlich ob er oder sie „das Leben liebt und guteTagezusehenwünscht"(Prol.15).Undsofortstellterklar,dassdasLebenlieben„wahres und unvergängliches Leben – veram et perpetuam vitam“ wünschenbedeutet (Prol. 17).Alsonicht einTraumlebenodereineinfachesÜberleben, vorallem nicht bloss ein bequemes Leben, das sich in der Immanenz verwirklicht,sonderneinLebenhicetnuncundewig,dasewigeLeben,das imgegenwärtigenLebenbeginnt.DieganzeRegelillustriertdieseswahreundunvergänglicheLeben,sieistder„WegdesLebens“,den„inseinerGütederHerrunszeigt“(Prol.20).Wennwirnichtdasanbieten,wennunsereGemeinschaftennichtdafürleben,wennsienichtSchulefürdaswahreundewigeLebensind,dannbietenwirnichtunserCharismaan,dannsindwirnichtfruchtbar.Dennfruchtbarseinheisst,dasLebenweitergeben,undwir,wirsinddazuberufen,daswahreundewigeLebenzulebenundweiterzugeben,dasderösterlicheChristusunsdurchdieTaufemitteilt.Ich sage das alles, weil diese Einsicht uns erlaubt, auch unser Schwachsein undSterbenalsGelegenheit zu leben, fürdaswahreLeben, fürdas fruchtbareLeben,das in Christus immer möglich ist, Zeugnis abzulegen. Die Fruchtbarkeit derMärtyrerfindetihrenAusdruckinderaussergewöhnlichenArtihresSterbens.
DasisteindirektesErbedesgekreuzigtenChristus:„AlsderHauptmann,derJesusgegenüberstand, ihn auf diese Weise sterben sah, sagte er: Wahrhaftig, dieserMensch war Gottes Sohn!“ (Mk 15,39). Was hat dieser Heide Überzeugendesgesehen im Sterben Christi? Er hatte die Gnade zu erkennen, dass Jesus seinemSterben einen Sinn gab, dass Liebe in diesem Sterben war, die diesen Tod zumZeugnis füreingrösseresLebenwerden liess, füreinLeben,dasmächtiger istalsderTod.
Es istwohlkeinZufall,wennderheiligeBenediktdreiWerkzeugedergeistlichenKunsthintereinandernennt,dievonLebenundTodhandeln:„DasewigeLebenmitallemgeistlichenVerlangenersehnen.DenunberechenbarenTodtäglichvorAugenhaben.DasTundeseigenesLebensjederzeitüberwachen.“(RB4,46-48)In der Sehnsucht nach dem ewigen Leben bekommt alles seinen Sinn: jederAugenblickdeszeitlichenLebenswiederunausweichlicheTod.Undnichts isteinstärkerer Beweis für das ewige Leben als ein Leben und ein Sterben, die in ihmihrenSinnundihreVollendungfinden.
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Das 21. Jahrhundert ist schon jetzt das Jahrhundert einer Kultur, inwelcher derMenschwederdemLebennochdemTodeinenSinnzugebenvermag.Es isteineKulturder Immanenz,diedenSinn fürdasewigeLebenverlorenhat.Atmetmanförmlich die Sehnsucht nach dem ewigen Leben in unseren Klöstern, in unserenLiturgien,inunserembrüderlichenLeben,inunsererGastfreundschaft,inunseremSchweigen,inunseremWort?KannmaninunseremLebenundinunseremSterbenwahrnehmen,dassderauferstandeneChristusdenTodbesiegtunddamitunseremLebeneinenSinnfürdieEwigkeitgegebenhat?Wir verstehen, dass wir auf diese Fragen nicht mit moralisierendem Strebenantworten können. Es geht nicht darum, mehr zu tun oder etwas anderes oderBesseres zu tun. Der heilige Benediktmacht uns klar, dass es vielmehr um eineArbeitderSehnsuchtgeht,umeineninnerenBlick,umdasHütendesHerzens,diedem gewöhnlichenmenschlichen Leben, daswir in unseren Klöstern führenwieunsereBrüderundSchwesternüberall,Tiefegeben.Es mangelt nicht an Zeugen, die uns dieses Erbe hinterlassen haben. Wenn wirheuteMöncheundNonnensind,sogutesebengeht,danndoch,weilandereunsdasLebenderBerufungweitergebenhaben,sogutesebenging.Genauso wie ich weiss, dass ich durch eine ununterbrochene Kette derGenerationenmitAdamundEvaverbundenbin,genausoistheutemeineBerufungalsZisterzienserdurcheinegeheimnisvollespirituelleKettemitderBerufungderersten Äbte und Mönche von Cîteaux und durch sie mit dem heiligen Benediktverbunden.Als wir uns im Mai in Cîteaux versammelten, um gemeinsam die MöglichkeiteneinerZusammenarbeitderZisterzienserfamiliefürdenUnterhaltunddieNutzungunseresUrsprungsorteszuprüfen,besondersdesDefinitoriumsundderÜberrestedererstenKirche,dawares fürunsoffensichtlich,dassderHeiligeGeistunsdiefrischeQuellewiederfindenliess,dieunsnochheutezuneuemLebengeneriert.Ichglaube,dasswirindiesemSinnunsüberlegenmüssen,wiewirden900.Jahrestagder Charta Caritatis begehen wollen, mit einer gewissen Pietät von Söhnen undTöchtern, damit dieses Gedenken uns neu belebe, sodass auch wir einezisterzienserischeNachkommenschafthervorbringenkönnen,deresmehrdarumgeht,wieAbrahameinSegenfürdieWeltzuseinalseinGericht,dasunsalsErsteverurteilenwürde.JedesCharismaistzuersteinGeschenk,Gnade,undesbleibteinCharisma,wennesfortan als Gnade empfangen und als Gnadeweitergebenwird. Niemand ist Herreines Charismas. Es gibt manchmal solche, die sich als Hüter eines Charismasausgeben,dieaberinWirklichkeitnurdessenKidnappersind.
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WirhabenunserCharismanichterhalten,umeszurGeiselunseresMachthungers,unserer Eitelkeit oder unserer Angst, das Leben für Christus zu verlieren, zumachen.EinCharismamachtunsvielmehrzuPropheten.UndProphetseinbedeutet,DienereinesGeschenkszusein,dassichschenkt.Es istwiemitdemBesitzeinerQuelle:Ichbewahresie,wennichsiedurchmeinGrundstückdurchfliessenlasse;wennichsiezurückhalte,wirdauchdieQuellezumfaulendenTeich.KürzlichhatmicheinSatzdesProphetenAmosbetroffengemacht,aufden ich inderLesungderVigiliengestossenbin:„Gott,derHerr,spricht–werwirddanichtzumPropheten?“(Amos3,8)InderGeschichteunseresCharismasgibtesviele,diebereitwaren,dasWort,dasGott ihnen anvertraute, weiterzugeben. Unsere geistlichen Schriftsteller, unsereHeiligen,dieMöncheundNonnen,dieesverstandenhaben,besondersspürbardieFlamme unseres Charismas neu zu beleben. Seit ich vor 6 Jahren hier angeregthabe, wir sollten gemeinsam daran arbeiten, dass die heilige Gertrud zurKirchenlehrerinerhobenwird,habenwireinenlangenWegzurückgelegt,vielleichtnicht so sehr im Sinn des Prozesses als … im Prozess des Sinnes. Ichwill damitsagen,dassdiedurchdiesesVerfahrenbedingtenUntersuchungen,Begegnungen,Tagungen uns davon überzeugt haben, dass für uns bereitsWirklichkeit ist, waswir fürdieKirchewünschen:Gertrud ist fürunsProphetineinesGottes,derzumMenschen des 21. Jahrhunderts sprechen und seinem Leben Sinn geben kann ineiner lebendigen und liebenden Beziehung zu Christus und durch ihn mit derDreifaltigkeit.