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1 Das Projekt „Ein Blick in die Vergangenheit“ („Das Schicksal eines deutschen Soldaten“) Von Wysozkaja Vika. Klasse 10 „A“, Gymnasium 23, Wladimir, Russland. Betreuerin: Deutschlehrerin Ludmila Mironowa

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Das Projekt „Ein Blick in die Vergangenheit“ („Das Schicksal eines deutschen Soldaten“)

Von Wysozkaja Vika. Klasse № 10 „A“, Gymnasium № 23,

Wladimir, Russland. Betreuerin: Deutschlehrerin Ludmila Mironowa

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Meine Arbeit „Das Schicksal eines deutschen Soldaten” ist die Fortsetzung des Projekts „Ein Blick in die Vergangenheit“.

� Der Anlass zu diesem Thema war das Jubiläum – 65 Jahre des Sieges im

Großen Vaterländischen Krieg. An diesem Fest nahmen auch deutsche Veteranen teil, denn wir sind schon keine Feinde mehr, sondern versöhnte Freunde.

� Ich begann, mich mit diesem Projekt zu beschäftigen, weil Deutsch mein Lieblingsfach in der Schule ist und ich mich zusätzlich mit dieser Sprache befasse.

� Dieses Thema hat mein Interesse erweckt, denn ich interessiere mich für sowohl deutsche als auch russische Geschichte und möchte meine Kenntnisse über die Periode nach dem II. Weltkrieg erweitern.

� Außerdem ist es immer interessanter, Geschichte mit Hilfe von lebendigen Zeugen zu erlernen.

Im Projekt werden der Weg eines der deutschen Kriegsgefangenen Willi Börke nach zwei russischen Lagern und sein Leben dort, seine Beobachtungen und die wichtigsten Ereignisse während und nach der Gefangenschaft präsentiert.

� Den Kernpunkt der Arbeit bilden die schriftlichen Erinnerungen von Willi

Börke an seinen Aufenthalt in den Lagern. � Außerdem standen meine Deutschlehrerin und ich im Laufe von zwei

Jahren im Briefwechsel mit dem Veteranen Willi Börke.

Die Ziele meiner Arbeit sind:

� die menschlichen Berührungen der so genannten Feinde (Deutschen und Russen) nach dem Krieg 1941-1945 zu zeigen; � die Einschätzung des Alltags im damaligen Leben in Russland und den Wandel der Weltanschauung des ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen über Russland zu zeigen;

� dieses Thema – „Das Schicksal eines deutschen Soldaten” - ist auch heute aktuell, weil das Problem der Menschlichkeit und der Versöhnung zur Erhaltung des Friedens beiträgt.

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Willi Börke

Beim Besuch einer Ausstellung im Wladimir-Susdaler Museum, die dem 65. Jahrestag des Sieges gewidmet war, bekam ich folgende Information über den Großen Vaterländischen Krieg. Die Zahlen des schrecklichsten Krieges aller Zeiten waren: über 50 Millionen Tote insgesamt, davon allein fast 30 Millionen unter den Völkern der Sowjetunion. Aus der Region Wladimir waren ca. 300.000 Männer zum Heeresdienst eingezogen worden, und ca. 135.000 Soldaten waren gefallen, vermisst und in Gefangenschaft verstorben…

Von den 3,1 Millionen deutschen Soldaten in sowjetischer Kriegsge-fangenschaft kamen ca. 1,3 Millionen um. Schätzungsweise 30.000 deutsche Kriegsgefangene waren auf die ganze Region Wladimir verteilt. Damals kamen sie als besiegte Feinde in Wladimirer Lager.

Folgen wir dem Weg von einem der deutschen Soldaten, Willi Börke, in die russische Kriegsgefangenschaft

. I. Auf dem Weg in die Gefangenschaft.

Für Willi Börke begann der Armeedienst Anfang

November 1943. Am 10. Oktober 1944 erlitt er durch einen russischen Granatwerfer die zweite Verwundung, die ihn zum Lazarettaufenthalt in Götzendorf und Neumarkt zwang. Am Abend des 8. Mai erfuhr Willi Börke, der zum Jagdregiment 67 gehörte, von der bedingungslosen Kapitulation.

� Am späten Nachmittag desselben Tages setzte sich der Trupp unter sowjetischer Bewachung in Marsch. Immer wieder wurde die Parole „skoro domoj“ (bald geht’s nach Hause) ausgegeben. Willi Börke beschreibt seine damalige Gefühle so: „Von Hass war wirklich keine Spur… In einem Haus

spielte ein Russe Klavier. Ich legte mich in einen Haufen ausgeschütteter

Bettfedern. Ein russischer Offizier nahm sie dann händeweise, um mich damit zu

berieseln. Das geschah, als ich ein wenig eingenickt war…“ Die Kolonne der hungrigen Gefangenen zog über Danzig in den Süden, nach Dirschau, und allmählich wuchs die Distanz zu den Siegern. Dennoch gab es mehrere Zeichen von Menschlichkeit, wie wir aus Willi Börkes schriftlichen Erinnerungen erfahren: „Es kam öfter vor, dass ein fürsorglicher russischer Bewacher ein

Fahrzeug stoppte und irgendeinen Fußkranken aufsteigen ließ.“ Danach verbrachten die Gefangenen acht Wochen im Sammellager am

Eisenbahnknotenpunkt Deutsch-Eylau, wohin sie zu Fuß gelangt waren. Die lange Zeit nutzte Willi Börke, um zwei Kurse zu belegen: einen für Russisch und einen für Kunst- und Plakatschrift. Über einen Landsmann erfuhren später die

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mittlerweile in Dänemark internierten Eltern, dass der Sohn in Gefangenschaft und am Leben war. Aus den Erinnerungen des Veteranen geht hervor, dass die Soldaten in einem Vorgarten eine Sonnenuhr aus Sand geformt haben. Sie hätten es sich nicht nehmen lassen, mit kleinen Steinchen rundherum zu schreiben: „Die Uhr verschwand zapp zarapp, jetzt ist von mir die Uhrzeit ab“. Für Willi Börke sei das ein „Zeitmesser besonderer Art“ gewesen.

� Am 11. Juli 1945 wurden die Soldaten nach Russland transportiert. Es ging per Bahn durch ein verwüstetes Land. Smolensk und Katyn – Willi Börke konnte die Schilder lesen – lagen schon hinter ihnen, als die Gefangenen nach zweiwöchiger Bahnfahrt im Raum Moskau aussteigen und zur Kljasma marschieren mussten.

Sie gingen bis Wjasniki im Wladimirer Gebiet. Wie Willi Börke schreibt, konnten sie im Fluss endlich baden, und dann schipperten sie fast zwei Tage per Kahn, von einem Schlepper gezogen, Richtung Wladimir. Darauf folgte ein Fußmarsch von 30 km bis ins Hauptlager 165, das Sägewerk. Das war das erste russische Lager, das sich nicht weit von Wladimir befand und heute Talizy heißt (jetzt im Iwanower Gebiet). Aus den Erinnerungen Willi Börkes lässt sich verstehen, dass dies für ihn der „schönste Tag seit dem 8. Mai“ gewesen sei. Nach der Quarantäne wurden die Kriegsgefangenen im Lager 165 bis September zu Torfarbeiten herangezogen.

� Von Talizy aus kamen sie nach Anopino ins Lager 190. Aus den Materialien, die der Veteran später an das Wladimir-Susdaler Museum schickte, erfährt man, dass Willi Börke im Waldkommando, in der Kolchose, beim Be- und Entladen von Waggons und beim Bau der Glasfabrik eingesetzt war. Außerdem sei er im Sägewerk und der Lagerbäckerei tätig gewesen.

� Nach Auflösung des Lagers im September 1948 verbrachte er noch ein Jahr im Hauptlager in Wladimir, zunächst in einer Waggonentladebrigade. Dann war er mit dem Beladen von LKWs mit Baustoffen aller Art beschäftigt. Die letzte Zeit arbeitete er als Handlanger in einer Maurerkolonne im 4. Sektor, welche die neu erbauten Häuser von außen verputzte.

� Am 6. September 1949 traf Willi Börke in seiner neuen Heimat Bayern ein.

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Die Karte des Wladimirer Gebiets.

Talizy

Anopino Wjasniki

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II. Das Leben im Hauptlager 165.

In seinen schriftlichen Erinnerungen beschreibt Willi Börke die ersten fünf Monate seiner viereinhalbjährigen Gefangenschaft in Russland. Den größten Raum nimmt dort das Leben im Hauptlager 165 in Talizy ein. Deshalb möchten wir einige der bedeutendsten und interessantesten Ereignisse aus jener Periode vorstellen.

Als die Gefangenen zum ersten Mal dorthin gerieten, schien die Sonne, obwohl es schon Abend war. Was aber für alle wichtig war: Sie wurden zuerst beköstigt: „Es gab Suppe, Kascha (süßen Haferbrei), 600 g Brot und gesüßten Tee, wovon es nach der langen Durststrecke hätte gerne etwas mehr sein können.“

Die ersten Arbeitstage.

In den ersten Tagen der Arbeit in der menschenarmen Siedlung Talizy geschah der folgende Fall. Während der Spatenausgabe verschwand ein Kriegsgefangener, der gut Russisch sprach. „Aber ebenso wie er fort war, erschien er auch wieder, aber tot. Auf der Flucht erschossen.“ Später erfuhr Willi Börke, dass dies das Schicksal fast aller Ausreißer war. „Das sollte uns bestimmt abschrecken und uns daran erinnern. Hatte man es uns auch warnend erklärt, dass wir in einem undurchdringlichen Sumpf stünden und niemand fort käme – hier lag der Beweis.“

Harte Arbeit.

Willi Börke kam unter das Kommando von „Kamerad Hans“ aus Wien. Im Torflager, zu dem die Gefangenen in Loren gebracht wurden, forderte „Kamerad Hans“ die Übererfüllung des Arbeitsplans. Willi Börkes Brigade sollte mit ungeeignetem Gerät in dem Sumpfgebiet Hauptentwässerungsgräben ziehen und stand tagein, tagaus durchnässt im kalten Wasser. Unmöglich, so auch nur die Norm zu erfüllen und in den Genuss von Vergünstigungen zu kommen - und sei es nur ein zusätzlicher Kanten Brot von 300 g. Als jemand wegen einer Sehnenscheidenentzündung zur Ambulanz gehen wollte, bekam er von „Kamerad Hans“ den Rat, er möge nur fester zupacken, dann werde die Sache von selber vergehen. Erst als durch die Bank alle 150 Männer Wasser in den Beinen hatten, wurde man zu einfachen Handarbeiten eingeteilt. „Wir sollten noch zusätzlich arbeiten, um für den Erlös Musikinstrumente kaufen zu können. Kamerad Hans formulierte es so: Dann werdet ihr geweckt mit Musik, ihr

bekommt eure Morgensuppe mit Musik, ihr marschiert zur Arbeit mit Musik, ihr

kommt vom Tagwerk mit Musik, zum Abend gibt’s Musik, und zum

Schlafengehen wird geblasen. Den ganzen lieben Tag Musik! Sagt Kameraden,

was wollt ihr noch mehr! “

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Nach Willi Börkes Erinnerungen, war „der einzige Lichtblick“ während der unaufhörlichen Arbeit im Lager, „dass es hierbei Moosbeeren gab und <sie> reichlich gesammelt wurden. Das ist eine der Preiselbeere (Kronsbeere) verwandte Frucht, die flach auf dem Boden liegt und roh nicht schmackhaft ist; aber <wenn> es einen Schlag heißer Suppe darauf gab, wurde daraus eine schöne dicke „Stopfsuppe“. Und immer, wenn es zum Essensempfang ging, drängelte ich mich in die Reihe, die von Rudi Beckermann mit Suppe versorgt wurde. Meistens langte er bei mir unauffällig nach. Er hatte das seltene Glück, in der Küche Anstellung gefunden zu haben.“ Obwohl dieses Essen ganz einfach und ungekünstelt war, diente es als Trost in harten Lebensbedingungen.

Das Verhalten zu Kommunismus und Faschismus.

Im Lager, wo Russen und Deutsche zusammen arbeiten mussten, gab es zweifellos Streit über die Folgen des II. Weltkrieges und die beiden verschiedenen politischen Regime. In seinen Erinnerungen an jene Zeit schreibt Willi Börke: „Ein russischer Offizier nannte uns Fritzies (Fritzen). Na, wir nannten die Russen ja Iwans. Er sprach von Hitlerfaschisten, und <dass> wir Wiedergutmachung zu leisten hätten. Diese beiden Wörter wurden zu geflügelten Worten während der gesamten Gefangenschaft. Man brauchte niemals den Ausdruck: Nationalsozialismus, denn dann hätten sie das Wort sozial dafür nennen müssen, und davon gab es doch im Dritten Reich eine ganze Menge… Die Wandzeitung, eine Art schwarzes Brett, diese typische Erscheinung, lernten wir bald kennen. Da konnte jeder einen Artikel verfassen, der vom antifaschistischen Aktiv genehmigt werden musste. Er gab ohnehin nur zwei Themen: ein hohes Lob auf den Sozialismus oder das Verdammen von Faschismus-Hitlerismus und Kapitalismus.“

Die Antifa-Schule

Im Lager gab es sowohl Russen als auch Deutsche, die sich Antifaschisten nannten; Willi Börke erklärt dieses Wort in seinen Erinnerungen so: „Die Antifaschisten sind die, die wie die Russen reden, mit ihnen Propaganda gegen Hitlerfaschisten und westlichen Kapitalismus in ganz plumper Form machen. Nach Kascha, das ist der Brei aus Hafer oder anderen Getreidekörnern, nannte man sie auch Kaschisten, denn die Nachschlagjägerei war auch typisch für diese Gesinnung.“ Im Lager gab es eine Antifa-Schule, auf der diese Leute von russischen und emigrierten deutschen Kommunisten unterrichtet wurden.

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Der Briefwechsel mit Verwandten

Erst Ende Juni 1946 durfte Willi Börke von Wladimir eine Postkarte aus 25 Worten an die alte Adresse schicken. Sie ging an seine Eltern. Die zweite war an die Familie seines Bruders gerichtet.

Der Text, den Willi Börke auf der Rückseite der Postkarte geschrieben hatte.

(Aus den Materialien, die der Veteran 1994 an das Wladimir-Susdaler Museum schickte.)

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Dieses Porträt von Willi Börke, das 1947 der Mitgefangene Kunstmaler Horst

Weidel malte, schickte er, auf einer Postkarte befestigt, nach Hause.

(Aus den Materialien, die der Veteran 1994 an das Wladimir-Susdaler

Museum schickte.)

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Willi Börke schickte uns außerdem das Gedicht, das er selbst verfasst hatte

und das „Für alle, die vor dem Kriege geboren wurden“ heißt. Darin vergleicht er sein Leben mit dem der modernen Jugend: Wir kauften Mehl und Zucker noch in Säcken und Tüten und nicht in

Geschenkpackungen…

Wir haben damals keine Musik vom Tonband, CD´s oder über UKW aus

Transistorradios, oder die New Yorker Symphonie via Satellit gehört…

Wir mussten fast alles selber tun und mit dem auskommen, was wir hatten…

Sein Werk schließt Willi Börke mit dem Gefühl des Optimismus und der Sicherheit: Diese ganze Entwicklung haben wir über uns ergehen lassen müssen.

…Wir haben aber alles überlebt und sind – der Statistik zufolge – die gesündeste

Generation!

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III. Willi Börkes Russlandbesuche

� 1981 nutzte Willi Börke die Gelegenheit, auf einer Reise von Moskau an den Goldenen Ring, Anopino wieder zu besuchen. Früher als viele Mitgefangene hat Willi Börke den Weg zurück nach Wladimir gesucht, entgegen dem einstigen Schwur, nach der Gefangenschaft nie wieder russischen Boden zu betreten. Dem Reiseleiter und Dolmetscher erklärte er, das sei drei Jahre lang seine „Rodina“, seine Heimat, gewesen. Das Wiedersehen erschütterte ihn derart, dass er sich fast an nichts mehr recht erinnern konnte.

� Sein zweiter Besuch in Anopino war 1987 anlässlich einer Reise mit der Transsib zum Baikalsee. Jetzt gelang es ihm, Anatolij Kotschnjow wiederzusehen. Er war im Lager als Expeditor tätig, und Willi Börke fuhr mit ihm bis 1948 vier Mal nach Moskau, um Waren für das Lager in Empfang zu nehmen. Eine Einladung nach Deutschland konnte der Russe aber nicht mehr annehmen, er starb bald darauf.

Willi Börke mit seinem russischen Freund Anatolij Kotschnjow.

(Aus dem Photoalbum von Willi Börke 1987.)

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� Im Mai 2010 besuchte Willi Börke zusammen mit seinem Kamerad, Philipp Dörr aus dem Odenwald, der auch in Wladimirer Lagern in Gefangenschaft gewesen war, und anderen vierzig Gästen aus Erlangen wieder Wladimir, und am 9. Mai, am 65. Tag des Sieges, durchlebten sie mit den russischen Gastgebern auf dem Platz des Sieges die Geschichte der vergangenen 70 Jahren.

Ich hatte die Möglichkeit, mich mit der Gruppe der Deutschen, die unsere Stadt besuchten, zu unterhalten. Wir diskutierten über die Geschichte der beiden Staaten, unsere Partnerbeziehungen, und ich war sehr von diesem Treffen beeindruckt.

Nach einigen Tagen kamen die zwei Veteranen in unsere Schule und erzählten uns von ihrem Leben in Lagern. Wir erfuhren auch von ihren Meinungen über unsere Stadt. Sie sagten, Wladimir sei seit ihrem letzten Besuch noch schöner geworden. Aber sie kritisierten andererseits die Zunahme des Autoverkehrs auf allen Straßen. Willi Börke war damit unzufrieden, dass man die alten schönen Holzhäuser mit ihren geschnitzten Fensterumrahmungen in den Dörfern verkommen lässt: man sollte sie pflegen, damit sie ein den schönen typisch russisches Eindruck vermitteln.

Willi Börke erzählte uns außerdem von seiner Jugend. Wir erfuhren davon, dass er Sohn eines Eisenbahnvorarbeiters und das vierte von sechs Kindern in der Familie war. Wie andere Kinder hatte er Freunde, die so alt wie er waren. Der letzte von ihnen ist vor zwanzig Jahren gestorben. „Ich bin noch der einzig Überlebende“, – sagte Willi Börke.

Schon mit sieben Jahren gehörte Willi Börke den „Pimpfen“ an. Für uns war auch interessant, zu wissen, dass Erd- und Naturkunde, Geschichte und Religion Willi Börkes Lieblingsschulfächer waren. Nach seiner Schulentlassung absolvierte er von 1940 bis 1943 eine Lehre als Bäcker und Konditor und legte die Gesellenprüfung mit der Note „sehr gut“ ab.

Aus dem Gespräch mit Willi Börke erfuhren wir von seiner letzten Reise nach Anopino und Wjasniki. Zur Überraschung des ehemaligen Kriegsgefangenen, waren auf dem Gelände von Anopino eine alte Röhre und eine Glashütte der Kriegsgefangenen erhalten geblieben. Außerdem fand Willi Börke dort eine alte Eisenbahnlinie.

Als der Veteran von seinem Besuch in Wjasniki erzählte, standen ihm Tränen in den Augen: dort nämlich hatte er die ersten Schritte auf russischem Boden gemacht.

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Während unseres Treffens mit Willi Börke ließ er uns das Gebäck

ausprobieren, das genauso war, wie das Gebäck, das er in der Gefangenschaft buk. Zum Schluss machten wir ein gemeinsames Photo, und alle waren von diesem Besuch begeistert.

Die Veteranen besuchten außerdem den Deutschunterricht in anderen Klassen, wo die Schüler ihre Sprachkenntnisse vortrugen. Was Willi Börke besonders gefiel, war, dass die Kinder in der Schule, seiner Meinung nach, sehr diszipliniert waren.

Willi Börke mit der Angestellten des Museums in Wjasniki

Natalja Schtschurij. (Aus dem Photoalbum Willi Börke 2010.)

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Willi Börke und Philipp Dörr im Wladimirer Gymnasium № 23 mit den Lehrerinnen

Mironowa Ludmila Gennadjewna und Baranowa Nina Wladimirowna und den

Schülern aus den 11. und 10. Klassen.

(Aus dem Photoalbum von Willi Börke 2010.)

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Willi Börke und Philipp Dörr während des Deutschunterrichts im

Gymnasium № 23. (Aus dem Photoalbum von Willi Börke 2010.)

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Willi Börke und der russische Veteran Nikolaj

Schtschelkonogow am 9. Mai 2010 auf dem Platz des Sieges.

(Aus den Materialien der Website über die

Partnerbeziehungen zwischen Wladimir und Erlangen.)

Der Oberbürgermeister der Stadt Erlangen, Siegfried Balleis, äußerte in seinen Gesprächen nach der Feier des Jubiläums des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg seine Gefühle, besonders mit seiner Rede auf dem Fürst-Wladimir-Ehrenfriedhof, einer Ansprache vor mehr als 5.000 Zuhörern, die anschließend mit ihm Kränze und Blumen für die Gefallenen niederlegten. Das Motto jenes Tages war „Wir vergessen nicht, aber wir verzeihen“.

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Zum Schluss möchten wir den Brief des deutschen Soldaten Helmut Plößl, der Führer der Hitlerjugendorganisation war, aus der Zeitschrift „Politik und Unterricht“ zitieren, der 1944 an seine Eltern schrieb: „Wie schön es doch auf der Welt wäre, wenn die verblödete Menschheit diesen fürchterlichen Krieg nicht führen würde.“ Dieser Meinung war offensichtlich auch Willi Börke, der schon mit 19 Jahren zum Wehrdienst einberufen wurde. Und es gab noch eine ungeheure Zahl einfacher Menschen, die zu Gewalttaten gezwungen wurden. Mit Hilfe von Erinnerungen dieses Veteranen haben wir den Krieg und die Nachkriegszeit von Innen erforscht: wir haben erfahren, wie sich die so genannten Feinde zueinander verhielten, wir haben das Leben einfacher Menschen miterlebt. Wir haben gesehen, wie man auf historisch wichtige Ereignisse reagierte und daran teilnahm. Als Beispiel diente uns der Lebenslauf von Willi Börke. Auf solche Weise, haben wir einen kleinen Teil der Geschichte der beiden Länder durch das Leben eines einzelnen Menschen untersucht.

Die Lebensgeschichte von Willi Börke muss für unsere Generation eine Lehre sein. Obwohl niemand von unserer Generation erleben muss, was Krieg bedeutet, müssen wir von den Ereignissen der Vergangenheit lernen, um die Fehler nicht zu wiederholen.

Wie Fritz Wittmann, Veteran aus Erlangen, der als einer der ersten das Leben der deutschen Kriegsgefangenen beschrieben hat und Autor des Buches „Rose für Tamara“ ist, formuliert hat, ist der Krieg „der Ausnahmezustand des Menschen. Er verändert die Menschen. Er macht aus ihnen nicht nur Helden.“ Mit Hilfe von Willi Börke, einem Teilnehmer des Kriegs, seinen Beschreibungen jener Ereignisse stellen wir uns die Tragödie, die im XX. Jahrhundert stattgefunden hat, deutlicher und greifbarer vor.

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Quellenangaben 1. Materialien des Wladimir-Susdaler Museums für die

Ausstellung zum 60. , 65. Jubiläum des Großen Vaterländischen Krieges.

2. Zeitschrift „Politik und Unterricht“, 1993. 3. http: ⁄⁄www.erlangenwladimir.wordpress.com. 4. Briefe von W. Börke.

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МОУ «Лингвистическая гимназия №23 им. А. Г. Столетова» г. Владимира

Проект по немецкому языку

«Судьба немецкого солдата Вилли Бёрке»

Выполнила ученица 10 «А» класса Высоцкая Виктория

Научный руководитель – Миронова Л.Г.

Владимир 2010