Das Zetapotential informiert über die Proteinadsorption

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411 BIOspektrum | 04.12 | 18. Jahrgang THOMAS LUXBACHER 1 , BERNHARD SCHUSTER 2 1 ANTON PAAR GMBH, GRAZ 2 DEPARTMENT FÜR NANOBIOTECHNOLOGIE, UNIVERSITÄT FÜR BODENKULTUR WIEN, ÖSTERREICH The zeta potential supports the research on new biomaterials and pro- vides information on the adsorption of proteins and other biomolecules on material surfaces. For macroscopic solids the zeta potential is deter- mined from the measurements of the streaming potential. Applications of the zeta potential for the surface analysis of S-layers and the adsorption kinetics of albumin are demonstrated. DOI: 10.1007/s12268-012-0202-z © Springer-Verlag 2012 Herausforderung Biokompatibilität ó Die Art der Wechselwirkung von Plasma- proteinen mit der Oberfläche eines Implan- tats bestimmt dessen Akzeptanz oder Absto- ßung durch den menschlichen Organismus. Die Adsorption von Proteinen ist Vorausset- zung für Zelladhäsion und Zellwachstum und eine vollständige Osseointegration beispiels- weise eines Zahnimplantats. Andererseits muss durch eine geeignete Oberflächenbe- handlung des Implantats eine Infektion des umgebenden Gewebes verhindert werden. Die Art der Oberflächenbehandlung hängt somit stark von der medizinischen Anwendung eines Implantats ab. Das Verhalten von Implantatoberflächen im menschlichen Kör- per in vitro zu simulieren, ist Ziel der Bioma- terialforschung und benötigt geeignete ober- flächensensitive Messmethoden. Biomimeti- sche Beschichtung einer Implantatoberfläche ist eines von zahlreichen Zielen der For- schungstätigkeit am Department für Nano- Biotechnologie der Universität für Bodenkul- tur Wien (BOKU). Die Grundlage dieser For- schung beruht auf einem – selbstorganisie- renden – zweidimensionalen Proteingitter, dem sogenannten S-Layer [1], das erstmals auf Oberflächen von Bakterienzellen entdeckt wurde [2]. Das S-Layer dient als Träger von Lipidmembranen, die als Modelloberflächen für menschliche Zellmembranen verwendet und zur Untersuchung von Membranprotei- nen und -prozessen, Zellwechselwirkungen sowie der Verarbeitung biologischer Signale eingesetzt werden. Mögliche Anwendungen finden sich im Nachweis von biologischen Substanzen, in der pharmazeutischen Wirk- stoffselektion, in der Diagnostik, für den Transport und in der ortsspezifischen Abga- be von medizinischen Wirkstoffen oder in der Biosensorik. Die Herstellung von Lipid- membranen ist nicht trivial und ihre Stabilität und Eigenschaften hängen stark von der Funktionalität des zugrunde lie- genden S-Layers ab. Forschung nahe an der Realität In der Grundlagenforschung werden bevor- zugt Modelloberflächen unter idealen Umge- bungsbedingungen eingesetzt, die oftmals stark von der Realität abweichen. Zum einen ist es die Komplexität biologischer Systeme, zum anderen sind es die Anforderungen der eingesetzten Messtechniken, die eine Ein- schränkung auf Modellsysteme erforderlich machen. Die Lipidmembranforschung der BOKU bedient sich goldbeschichteter Quarz- sensoren und Glasplättchen als Trägermate- rial zum Aufbau der komplexen Schicht- struktur [3, 4], die verschiedenen komple- mentären Methoden der Oberflächenanaly- se und Adsorptionsmessungen unterzogen werden. Zu diesen Methoden zählen Kontaktwinkelmessungen, Untersuchungen mittels Quarzkristallmikrowaage (QCM) oder Zetapotenzialbestimmungen. Das Zetapo- tenzial gibt Auskunft über die chemische Funktionalität der Materialoberfläche vor und nach den einzelnen Modifikations- schritten. Das Zetapotenzial ist weithin bekannt für die Charakterisierung von Par- tikeldispersionen. Weniger bekannt ist sei- ne Anwendung in der Festkörperanalyse. Das zugrunde liegende Messprinzip des Strö- mungspotenzials verwendet im Allgemeinen eine wässrige Elektrolytlösung und deren Einfluss auf die Oberflächenladung, um Aus- Biokompatible Oberflächen Das Zetapotential informiert über die Proteinadsorption ˘ Abb. 1: Änderung des Zetapotenzials der Goldbeschichtung einer Sensorscheibe für die Quarzkristallmikrowaage (QCM) mit dem pH- Wert einer wässrigen KCl-Lösung (Ionenstärke der Ausgangslösung: 0,001 mol/l) und Vergleich mit dem Zetapotenzial des QCM-Sensors nach Beschichtung mit einem S-Layer. Die isoelektrischen Punkte lie- gen bei pH 3,7 für Gold und pH 4,8 für das S-Layer-Protein.

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BIOspektrum | 04.12 | 18. Jahrgang

THOMAS LUXBACHER1, BERNHARD SCHUSTER2

1ANTON PAAR GMBH, GRAZ2DEPARTMENT FÜR NANOBIOTECHNOLOGIE, UNIVERSITÄT FÜR BODENKULTUR WIEN,

ÖSTERREICH

The zeta potential supports the research on new biomaterials and pro-vides information on the adsorption of proteins and other biomoleculeson material surfaces. For macroscopic solids the zeta potential is deter-mined from the measurements of the streaming potential. Applications ofthe zeta potential for the surface analysis of S-layers and the adsorptionkinetics of albumin are demonstrated.

DOI: 10.1007/s12268-012-0202-z© Springer-Verlag 2012

Herausforderung Biokompatibilitätó Die Art der Wechselwirkung von Plasma-proteinen mit der Oberfläche eines Implan-tats bestimmt dessen Akzeptanz oder Absto-ßung durch den menschlichen Organismus.Die Adsorption von Proteinen ist Vorausset-zung für Zelladhäsion und Zellwachstum undeine vollständige Osseointegration beispiels-weise eines Zahnimplantats. Andererseitsmuss durch eine geeignete Oberflächenbe-handlung des Implantats eine Infektion desumgebenden Gewebes verhindert werden. DieArt der Oberflächenbehandlung hängt somitstark von der medizinischen Anwendungeines Implantats ab. Das Verhalten vonImplantatoberflächen im menschlichen Kör-per in vitro zu simulieren, ist Ziel der Bioma-terialforschung und benötigt geeignete ober-flächensensitive Messmethoden. Biomimeti-sche Beschichtung einer Implantatoberflächeist eines von zahlreichen Zielen der For-schungstätigkeit am Department für Nano-Biotechnologie der Universität für Bodenkul-tur Wien (BOKU). Die Grundlage dieser For-schung beruht auf einem – selbstorganisie-renden – zweidimensionalen Proteingitter,

dem sogenannten S-Layer [1], das erstmalsauf Oberflächen von Bakterienzellen entdecktwurde [2]. Das S-Layer dient als Träger vonLipidmembranen, die als Modelloberflächenfür menschliche Zellmembranen verwendetund zur Untersuchung von Membranprotei-nen und -prozessen, Zellwechselwirkungensowie der Verarbeitung biologischer Signaleeingesetzt werden. Mögliche Anwendungenfinden sich im Nachweis von biologischenSubstanzen, in der pharmazeutischen Wirk-stoffselektion, in der Diagnostik, für denTransport und in der ortsspezifischen Abga-be von medizinischen Wirkstoffen oder in derBiosensorik. Die Herstellung von Lipid -membranen istnicht trivial undihre Stabilität undE igenscha f tenhängen stark vonder Funktionalitätdes zugrunde lie-genden S-Layersab.

Forschung nahe an der RealitätIn der Grundlagenforschung werden bevor-zugt Modelloberflächen unter idealen Umge-bungsbedingungen eingesetzt, die oftmalsstark von der Realität abweichen. Zum einenist es die Komplexität biologischer Systeme,zum anderen sind es die Anforderungen dereingesetzten Messtechniken, die eine Ein-schränkung auf Modellsysteme erforderlichmachen. Die Lipidmembranforschung derBOKU bedient sich goldbeschichteter Quarz-sensoren und Glasplättchen als Trägermate-rial zum Aufbau der komplexen Schicht-struktur [3, 4], die verschiedenen komple-mentären Methoden der Oberflächenanaly-se und Adsorptionsmessungen unterzogenwerden. Zu diesen Methoden zählen Kontaktwinkelmessungen, Untersuchungenmittels Quarzkristallmikrowaage (QCM) oderZetapotenzialbestimmungen. Das Zetapo-tenzial gibt Auskunft über die chemischeFunktionalität der Materialoberfläche vorund nach den einzelnen Modifikations-schritten. Das Zetapotenzial ist weithinbekannt für die Charakterisierung von Par-tikeldispersionen. Weniger bekannt ist sei-ne Anwendung in der Festkörperanalyse. Daszugrunde liegende Messprinzip des Strö-mungspotenzials verwendet im Allgemeineneine wässrige Elektrolytlösung und derenEinfluss auf die Oberflächenladung, um Aus-

Biokompatible Oberflächen

Das Zetapotential informiert über dieProteinadsorption

˘ Abb. 1: Änderung des Zetapotenzials der Goldbeschichtung einerSensorscheibe für die Quarzkristallmikrowaage (QCM) mit dem pH-Wert einer wässrigen KCl-Lösung (Ionenstärke der Ausgangslösung:0,001 mol/l) und Vergleich mit dem Zetapotenzial des QCM-Sensorsnach Beschichtung mit einem S-Layer. Die isoelektrischen Punkte lie-gen bei pH 3,7 für Gold und pH 4,8 für das S-Layer-Protein.

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sagen über die Funktionalität der Festkör-peroberfläche zu erhalten. Die Oberflächen-ladung und somit das Zetapotenzial sindstark abhängig von der Zusammensetzungder wässrigen Elektrolytlösung, insbesonde-re von deren pH-Wert. Für die Oberflächen-analyse von Festkörpern wird diese pH-Abhängigkeit des Zetapotenzials genutzt, umAussagen über das Ladungsverhalten unddie chemische Funktionalität der Material-oberfläche zu erhalten. Abbildung 1 zeigtbeispielhaft die pH-Abhängigkeit des Zeta-potenzials eines S-Layers im Vergleich zu derzugrunde liegenden Goldschicht einer QCM-Sensorscheibe. Die in der QCM-Methode ein-gesetzten Sensorscheiben sind extrem zer-brechlich. Zudem ist eine zerstörungsfreieMessung gewünscht, um diese Sensoren fürweitere QCM-Messungen verwenden zu kön-nen. Aus diesem Grund wird eine spezielleMesszelle für die Bestimmung des Zetapo-tenzials eingesetzt (Abb. 2). Aus Messungender pH-Abhängigkeit des Zetapotenzialserfährt man den isoelektrischen Punkt (IEP)und die Oberflächenladung bei einembestimmten, für die entsprechende Anwen-dung relevanten pH-Wert (hier ist es z. B. derphysiologische pH-Wert). Der IEP ist jenerpH-Wert, an dem die Oberfläche ungeladenerscheint, und eine charakteristische Größefür die Funktionalität der Oberfläche (eineOberfläche mit einem IEP kleiner als pH 4wird als sauer bezeichnet, bei einem IEP grö-ßer als pH 6 liegt eine basisch reagierendeOberfläche vor, dazwischen spricht man voneinem amphoteren Verhalten). Die Oberflä-che des S-Layers ist aufgrund ihrer Amino-säurezusammensetzung und Proteinstruk-tur amphoter. Gold und andere Edelmetallesind jenen Materialien zuzuordnen, die sichin wässriger Lösung inert verhalten. Dazu

gehört auch die Gruppe der Kunststoffe, anderen Oberfläche eine virtuelle Ladung durchAnlagerung von Hydroxid- und Hydronium-Ionen gebildet wird.

Die Methode des Strömungspotenzials lässtsich nicht nur auf Modelloberflächen, son-dern auch auf reale Proben anwenden. Es istdadurch möglich, Erkenntnisse aus derGrundlagenforschung, die an Modelloberflä-chen gewonnen wurden, direkt an Realpro-ben zu überprüfen. Auch ist die Messung desZetapotenzials nicht auf die Verwendungeiner wässrigen Lösung mit einfacher Zu -sammensetzung beschränkt, sondern es lässtsich in Gegenwart komplexer wässrigerMedien bestimmen. Damit erweitert sich seinAnwendungsbereich auf die Untersuchungvon Adsorptionsvorgängen aus Flüssigkeitenan Festkörperoberflächen. Abbildung 3 zeigtdie Adsorption von Rinderserumalbumin(BSA) auf einer Glasoberfläche. Die Adsorp-tion von Proteinen und anderer Biomolekülewie von Polysacchariden und Polyelektroly-ten (z. B. DNA) an Festkörperoberflächenzeichnet sich durch eine geringe Adsorp-tionsgeschwindigkeit aus, die allerdings starkvom pH-Wert der wässrigen Lösung, aus derdie Adsorption erfolgt, abhängt. Der pH-Wertbeeinflusst die Ladung des Proteins und damitseine tertiäre Struktur und dadurch den Bei-trag elektrostatischer Anziehung oder Absto-ßung zu den Wechselwirkungskräften zwi-schen dem Protein und der Festkörperober-fläche. Elektrostatische Wechselwirkungenwiederum lassen sich anhand der Charakte-risierung der Oberfläche durch das Zeta -potenzial voraussagen.

Umfassende ErkenntnisseDie Kombination von Zetapotenzialmessun-gen unter klassischen Bedingungen (pH-Abhängigkeit und die Bestimmung des isoe-lektrischen Punktes) und der zeitlichen Ver-folgung von Adsorptionsvorgängen erhöht dieZuverlässigkeit der Aussagen zu Protein-Fest-körper-Wechselwirkungen anhand der Strö-mungspotenzial-Methode. Die Vielfalt an Bio-materialien (Metallen, Keramiken, Kunst-stoffen, Hydrogelen) erfordert entsprechen-de Probenträger für die Zetapotenzialmes-sung. Die Strömungspotenzial-Methode unter-liegt wie jede andere Messmethode bestimm-ten Bedingungen, doch bleiben diese in einemüberschaubaren Rahmen. So lassen sichneben flachen Proben auch poröse oder faser-förmige Materialien untersuchen. ó

Literatur[1] Schuster B, Sleytr UB (2009) Composite S-layer lipidstructure (Review). J Struct Biol 168:207–216[2] Sleytr UB (1975) Heterologous reattachment of regulararrays of glycoproteins on bacterial surfaces. Nature 257:400–402[3] Schrems A, Kibrom A, Küpcü S et al. (2011) Bilayer lipidmembrane formation on a chemically modified S-layer lattice.Langmuir 27:3731–3738[4] Schrems A, Larisch VD, Stanetty C et al. (2011) Liposomefusion on proteinaceous S-layer lattices triggered via β-diketo-ne-europium(III) complex formation. Soft Matter 7:5514–5518

˚ Abb. 2: Die Spaltmesszelle des elektro -kinetischen Messgeräts SurPASS (AntonPaar) ist für die zerstörungsfreie Bestim-mung des Zetapotenzials an QCM-Sensorenoptimiert. Die QCM-Sensoren werden dabeinicht zerstört und können daher wieder ver-wendet werden. 1: Spaltmesszelle; 2: Pro-benträger; 3: Mechanismus zur Einstellungdes Messspalts; 4: QCM-Sensoren.

˚ Abb. 3: Zeitliche Änderung des Zetapo-tenzials einer Glasoberfläche während derAdsorption von Rinderserumalbumin (BSA)aus einer wässrigen Pufferlösung (Phosphat-puffer, pH 7,4, Ionenstärke: 0,001 mol/l,BSA-Konzentration: 10 mg/l). Das Adsorp-tionsgleichgewicht ist nach ca. einer Stundeerreicht.

Korrespondenzadressen:Dr. Thomas LuxbacherAnton Paar GmbHAnton-Paar-Straße 20A-8054 GrazTel.: +43-(0)316-257-2730Fax: +43-(0)[email protected]

Prof. Dr. Bernhard SchusterUniversität für BodenkulturWienDepartment für NanoBiotechnologieMuthgasse 11A-1190 WienTel.: +43-(0)1-47654-2213Fax: +43-(0)1-4789112

[email protected]/18293.html

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