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12 TITEL Bunker-Mentalität Der Werbe-Unternehmer und Kunstsammler Christian Boros baut sich auf ein Berliner Weltkriegs-Monster ein Penthouse und richtet darin ein Museum ein. Er möchte damit der Kunst neue Wege öffnen.

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12 TITEL

Bunker-MentalitätDerWerbe-UnternehmerundKunstsammlerChristianBorosbaut sichauf einBerlinerWeltkriegs-Monster einPenthouseund richtet darin einMuseumein. Ermöchtedamit derKunstneueWegeöffnen.

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9. Februar 2007 I Nr. 2913

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entalität Auf Fotos sieht er oft etwasabweisend aus, fast lau-ernd, wie mit im Geiste

erhobenen Fäusten. Und in derTat hat sich der Werber undKunstsammler Christian Borosschon früh geschworen, nie-mals den geraden Weg zu ge-hen, sich nicht durch Anglei-chung, sondern Abgrenzung zuprofilieren. Nötigenfalls ebenmit dem Kopf durch Wände,und seien sie aus Beton.

Vor dreieinhalb Jahren hat ereinen Bunker in Berlin gekauft,

um ihn für seine weit über 400Werke umfassende Sammlungnutzbar zu machen. Und um da-rin zu wohnen – oder vielmehrdarauf. Wie er dasteht, in derverschwenderischen Weite des600 qm großen Penthouses, daser auf das Dach des fünfstöcki-gen Ungetüms aus Stahlbetonhat setzen lassen und das erdem Weekend Journal als erstePublikation überhaupt öffnet,wirkt der kleine, kahlköpfigeMann mit dem durchdringen-den Blick keinesfalls verloren.

Er vibriert fast vor Begeiste-rung, wenn er behände durchdas lichtdurchflutete Gefügeaus Sichtbetonwänden und Mu-schelkalkboden gleitet, dastrotz der schweren Materialienleicht wirkt, offen, warm, wieschwebend.

Kein Haus der Kunst, ein Bun-ker der Kunst. Warum kauftsich ein im unspektakulärenWuppertal beheimateter Werbe-unternehmer einen Bunker immilitärhistorisch so prall gefüll-ten Berlin? Und wenn er es tut,

warum möchte er dann auchnoch darauf wohnen? Und zu al-lem Überfluss: Warum richteter darin ein (sein) Museum ein,dass der Öffentlichkeit nur nachVoranmeldung zugänglich seinsoll?

Es ist Christian Boros’ Freudean ständiger Abgrenzung, diehier sichtbar wird. Er war drei-ßig, als er begann, mit dieserHaltung die Kunstwelt aufzumi-schen. Seine Werbeagentur inWuppertal lief, und er hatte ge-rade seinen ersten DamienHirst gekauft. „Anfang derNeunziger gab es in Deutsch-land eigentlich nur fünf Samm-ler, Vaterfiguren, die den Marktunter sich aufteilten. Ich wolltedas aufbre-chen", erklärter. „Man defi-niert sichselbst, indemman sich gegenandere positio-niert.“ Ganz be-wusst hat er da-mals die Kunst als Positionie-rungstool genutzt, als Alleinstel-lungsmerkmal für die Marke Bo-ros. Sein Marketing in eigenerSache machte ihn zur Frontfi-gur einer neuen deutschenSammlergeneration. Heute bein-haltet seine Sammlung zentralekünstlerische Positionen derletzten zehn Jahre, der einstigeJungsammler ist selbst erwach-sen geworden. „Jugend ist keineQualität. Sich darüber zu posi-tionieren, finde ich schwach",sagt er.

Er meidet den Kunstbetriebinzwischen lieber, geht nichteinmal mehr auf Messen – „einLaufsteg für Models und Schau-spieler, auf dem ich nicht mehrmitlaufen will“.

Mit fast kindlicher Freude re-gistriert Boros die Bewunde-rung seiner Besucher für die ge-waltige Behausung, geduldig po-siert er für den Fotografen, berei-tet zwischendurch Kaffee mitperfekt geformtem Milch-schaumhäubchen und kannsich nicht satt sehen an den flir-renden Lichtmustern, die aufdem Wasserbassin der Terrassetanzende Sonnenstrahlen an dieWände malen.

Außer den Handtüchern imBad gibt es nichts Weißes, es re-gieren gebrochene Farben. Weildas Bewegung und Spannung er-zeugt. So wie das kleine Stillle-ben auf dem niedrigen Couch-tisch: Die Stillänge der Amaryl-lis muss mit der Vasenhöhe imperfekten Verhältnis stehen, da-mit sie mit aufs Foto darf, aberdie daneben verstreuten Spiel-zeugfiguren seiner Kinder bre-chen die perfekte Inszenierungaugenzwinkernd auf. Den größ-ten Bruch aber bildet der Gegen-satz des Dachgeschosses zu

dem darunter liegenden Korpusdes Bunkers. „Das hier oben istfür mich wie der Deckel zurBüchse der Pandora. Da untenherrscht das Massive, Schwere,Dunkle, hier oben das Lichte,Anheimelnde.“ Letzteres habenPenthouses so an sich, aber beidiesem muss der Erbauer eseben extra betonen, weil er un-ter sich nun mal kein typischesdeutsches Hochhaus hat.

Nach unten gelangt mandurch eine Öffnung in der 3,5mdicken Decke. Es zu bohren hatein halbes Jahr gedauert. ImBauch des Bunkers ist es beklem-mend dunkel und kalt, das Ge-wicht der Decken scheint fastphysisch spürbar. Ein Gewirr

aus unzähligenineinander ver-schränktenTreppenhäu-sern, Gängenund Räumenmacht orientie-rungslos undschwindelig,

als hätte sich eine Vision vonM.C. Escher mit dem JüdischenMuseum von Daniel Libeskindvereint. Immer wieder verfängtsich der Stiefelabsatz in tücki-schen Bodenlöchern, währendder Orientierungssinn versucht,sich an der klaren Stimme desHausherrn festzuhalten, in derBegeisterung und Stolz mit-schwingt und die samt trübemLichtkegel einer Taschenlampeschon wieder lachend um dienächste Biegung verschwindet.

Plötzlich ein Durchbruch inder Wand, der Blick weitet sich– von einer Brüstung geht er ineinen kathedralenartigenRaum. Durch Entfernung vonZwischendecken und Wändenentstehen Sichtachsen auf be-reits durchschrittene Räumevon bis zu sieben Meter Höhe,nur um einen Gang weiter wie-der versperrt zu werden.

Wie kommt man nur darauf,eine Immobilie für die Kunstnutzbar zu machen, wie sie unge-eigneter nicht sein könnte? „Ber-lin muss man neu nutzen, nichtneu bauen. Deshalb habe ich einbestehendes Gebäude gesucht.Und der Bunker war Liebe aufden ersten Blick.“ Der ist anzweckentfremdete Nutzung ge-wöhnt: Nach Kriegsende vonden Russen als Kriegsgefängnisbenutzt, wurde er zu DDR-Zei-ten als Lager für Südfrüchte ausKuba zum „Bananenbunker".Nach der Wende machte ihn dieHardcore-Techno-Szene zum„härtesten Club der Welt“, undselbst Kunst hat er schon beher-bergt. Das Relikt einer Ausstel-lung aus 2003, eine Wandmale-rei des Schweizer Künstlers UgoRondinone, hat der freudig über-raschte Käufer also gleich miter-worben.

„Das ist fürmichwie derDeckel zurBüchse derPandora.UntendasMassive, obendasLichte.“

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ImposanteBetonwohnung: Der

Albrechtsbunker inBerlin (Bild links) ist

majestätischeBasis für das elegante

Penthouse (Bild oben) vonKunstsammler

ChristianBoros (Bild rechts).

DerBunkerwird zur trutzigenHeimstätte von

Museumsräumen (Bild rechtsunten)

umgebaut, einige zeigen schon jetzt Spuren

desalltäglichenLebens (Bild unten).

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VieleUnternehmer sind der Kunst so zugeneigt,dass ihre Sammlerleidenschaft nicht selten imBau vonMuseenmündet. So errichtete etwaReinhold Würth, der seit den sechziger JahrenKunst sammelt undmäzenatisch unterstützt,zweiMuseen inKünzelsau undSchwäbisch

Hall.Würth hat die Schraubengroßhandlung sei-nesVaters vomZweimann-Betrieb zumweltweitgrößtenHandelsunternehmen für Verbindungs-,Montage- undBefestigungstechnik entwickelt.SeineMuseen glänzenmitWerken desSpätim-

pressionismus undExpressionismus,mit zeit-genössischer Kunst und einer intensiven Konzen-tration aufBildhauerei.

www.museum-wuerth.de

Der Inhaber der FirmengruppePPR (Pinault-Printemps-Redoute),François Pinault,besitzteine der größten Sammlungen zeitgenössischerKunst. Der Konzernchef, zu dessen ImperiumdieMarkenGucci,Yves Saint Laurent,Bottega

Veneta, die Pariser Luxuskaufhäuser Prin-temps-Redoute und die Elektromarktkette Fnacgehören, hatte denBau einesMuseums auf der„Ile Seguin“, der Seine-Insel an derwestlichenPe-ripherie vonParis, geplant. Dieser kamnach jah-

relangenQuerelenmit der StadtverwaltungvonBoulogneBillancourt aber nicht zu Stande.Kurzerhand erwarb er in Venedig den „Pa-

lazzo Grassi“ für 29MillionenEuro und ließihn vom japanischenArchitektenTadao Ando

zumMuseumumbauen. Gezeigt werdenWerke vonMark Rothko, PieroManzoni undDo-nald Judd , PierreHuygue, DamienHirst,Mauri-zio Cattelan, Bernard Frize, Cindy Sherman,Piotr Uklanski, Rudolf Stingel undUrs Fischer.www.palazzograssi.it

In Zürich hat der GroßindustrielleStephan

Schmidheinydie Sammlung seinesBrudersAlexander im ehemaligenGärkeller auf dem Lö-

wenbräu-Arealuntergebracht. Die Sammlungträgt den erfundenenNamen „Daros Col-

lection“. Alexander Schmidheiny hatte seineUnternehmensanteile an der Zement-Dynastiean dieBrüder verkauft und stattdessen Kunstgesammelt. Als er 1992 imAlter von 41 Jahrenstarb, erbte sein Bruder die Sammlung und ver-größerte sie. Zu sehen sindWerke vonAndy

Warhol, Cy Twombly oder Louise Bourgeois,aber auch viel lateinamerikanische Kunst.www.daros.ch

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1964wird ChristianBoros am4. Dezember alsSohn eines Ingenieurs inOberschlesien gebo-

ren.Nachder Flucht seiner Familie aus Polenwächst er in Köln auf. 1984 beginnt er seinDe-

sign-Studium an der GesamthochschuleWup-pertal.

1990 gründetBoros als junger Student derWerbung undÄsthetik beiBazon Brock undMartin Kippenberger,um sein Studiumzu fi-nanzieren, seine eigeneWerbeagentur.Seineersten beidenKunden, CompuNet, damals einjunges IT-Unternehmen, und Viva, brachtenBo-ros auf denWeg zuunerwartetemErfolg. 1994macht er seinDesign-Diplom.

Heute ist ergeschäftsführender Gesell-

schafterdesUnternehmens. Die Agentur hatmehr als 30Mitarbeiter, und zu ihrenKunden ge-hörenKonzernewie Siemens, Coca-Cola,Mu-seenundmittelständische Firmen. Gleichzeitigmit der Formengründung beginnt er, zeitgenös-

sische Kunst zu sammeln. Heute ist er einerder bedeutendsten Sammler aktueller Kunst inDeutschland.

Werbeagentur-Chef undbegeisterterKunstsammler

TitelstoryText:Annika vonTaubeFotos:MauriceWeissDasWeekend Journal trafdenUnternehmer undKunstsammlerChristianBoros in seinemPenthouseauf einemBunker in derAlbrechtstraße inBerlin.Dieser ist zumGeheimtippgeworden, und sein Besitzerwill das für seine Kunst-sammlung ausnutzen.

Sachverstand undLeidenschaft:

Unternehmer und ihre eigenenMuseen

Vielleicht mag der Bau, wennLicht gelegt und die Wände ge-weißt sind, etwas einladenderanmuten. Aber bleibt ange-sichts seiner ursprünglichenNutzung nicht immer ein be-klemmendes Gefühl, bleibt einBunker nicht immer ein Bun-ker? „Er ist auch ein Denkmal.Deshalb soll trotz der Umgestal-tung seine ursprüngliche Funk-tion immer ablesbar bleiben.Ich habe zwei Kinder, undwenn die durch Berlin gehen,sollen sie wissen, es gab Krieg,und so was brauchen wir niewieder. Der Bunker wird jetztfür die größte Freiheit in Formder bildenden Kunst geöffnet.Darüber bin ich froh.“

Seit dreieinhalb Jahren arbei-tet Boros daran, sich seine„3 000 qm Darkroom“ gefügigzu machen, während die sper-rige Masse ihn und sein Bau-team immer wieder an die Gren-zen führt. Aber diese Herausfor-derung reizt ihn. Und auchseine Künstler will er dafür be-geistern. Dafür ist er bereit, ih-nen alle Freiheit zu geben, auchwenn er sie dem Bau erst müh-sam abringen muss.

Santiago Sierra will eine Ar-beit installieren, die größer istals der dafür vorgeseheneRaum? Dann bricht man ebenLöcher in die Wände. Auchwenn die Bohrung jedes einzel-nen zwei Tage dauert und die da-für benötigten DiamantbohrerUnsummen verschlingen.

Einem so mächtigen Boll-werk kann man wohl nur mit ei-ner ebenso kraftvollen Haltunggegenübertreten, um sich anihm zu messen, an ihm zu wach-sen. Das ist wie mit dem Kunst-sammeln. „Ich sammle, was ichnicht verstehe“, betont Borosimmer wieder. „Sammeln darfkein affirmativer Prozess sein.Man sollte offen sein gegenüberDingen, die man nicht versteht.

Hässlichkeit bedeutet auch He-rausforderung.“

Aber wie erklärt er sich, dassso viele Künstler in seinerSammlung heute keinesfalls alsunverstandene Außenseiter,sondern als bedeutende Positio-nen der Gegenwartskunst aner-kannt sind? „Als mir in Londonein kleiner, pickliger englischerJunggalerist so einen komi-schen Alkoholkünstler für klei-nes Geld gezeigt hat, war nichtklar, dass aus Jay Jopling mit sei-ner Galerie White Cube einmaleiner der einflussreichsten Gale-risten werden würde und ausDamien Hirst einer der teuers-ten Künstler“, antwortet er.„Ich habe vielleicht einen Blickfür Qualität. Aber ich handlenach keiner Strategie.“

Für einen Unternehmer für-wahr eine mutige Devise. SeineEntscheidungen sind getriebenvon Subjektivität. Gerade auchals Unternehmer. „Erfolgreichwird nur, wem es egal ist, wasdie Marktforschung sagt. Unter-nehmer, die entgegen allen Un-kenrufen aus eigener Überzeu-gung etwas geschaffen haben,sind Künstler. Wir brauchenmehr Subjektivität in der Wirt-schaft.“ In diesem Punkt wer-den der Unternehmer und derSammler Boros eins. „Was ichaus der Kunst lerne, beeinflusstauch meine Entscheidungspro-zesse in der Wirtschaft: Ich willnicht hinterherhecheln. Diemeisten Werber machen esfalsch, indem sie die richtigenWege gehen und nicht die Ab-wege.“

Christian Boros freut sichüber das Interesse an seinemProjekt. Selbst das Müllwegbrin-gen wird zu einem Abenteuer,wenn er aus seinem Bunker trittund auf entgeisterte Blicke vonMenschen trifft, die nicht glau-ben können, dass jemand in sowas wohnt. Aber dieser Bau istfür ihn auch ein Refugium, gibtihm die Möglichkeit, sich zu ver-schanzen in der großen Stadt.

Boros will die Sammlungschon öffentlich zugänglich ma-chen. Aber der Privatmenschgibt damit auch einen Teil vonsich selbst preis. Deshalb ver-langt er von Besuchern, dass sieehrliches Interesse für das mit-bringen, was er selbst spannendfindet. „Einfach mal so rein-schauen“, das wird es bei ihmnicht geben, stattdessen „kon-zentriertes Arbeiten“, nämlichFührungen durch die Samm-lung nur nach telefonischer Vor-anmeldung.

Einen Eröffnungstermin magder Bauherr nicht nennen, zuoft haben die Tücken des Gebäu-des seinen Zeitplan schondurcheinander gebracht.

Er nimmt für ein letztes Fotodie Hilti in die Hand. Ein schwe-res Schlagbohrgerät, dem Werk-zeugliebhaber fast göttlicheKräfte zuschreiben, aber gegendie Wände des Bunkers hat esdie Kraft eines Zahnstochers.Macht nichts. Die eigentlicheKraft, mit der Christian Borossich durch seinen Bunker bohrt,heißt Enthusiasmus.

DieFreudedesUnternehmersundKunstsammlers an seinemMuseum: François Pinault, Chef

des französischenKonzernsPPR, vor demPalazzoGrassi in Venedig. Foto: Micheline Pelletier

Wurde schon in jungen Jahren zum

Kunstfreund:ChristianBoros. Foto: Privat