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Von Guido Plützer und Richard Kösters Take-off in eine neue Liga ATRA 40 | DLR NACHRICHTEN 115 M it der Beschaffung eines ausgewachsenen Airliners hat das DLR eine Punktlandung in einer neuen Liga der Forschungs- flugzeuge gemacht. Das moderne Verkehrsflugzeug setzt nicht nur größenmäßig einen neuen Maßstab für fliegende Versuchsträger in der europäischen Luftfahrtforschung. Der Airbus A320 „D-ATRA“ wird das neue große Forschungsflugzeug des DLR

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Von Guido Plützer und Richard Kösters

Take-offin eine neue Liga

ATRA

40 | DLR NACHRICHTEN 115

Mit der Beschaffung eines ausgewachsenen Airliners hat das

DLR eine Punktlandung in einer neuen Liga der Forschungs-

flugzeuge gemacht. Das moderne Verkehrsflugzeug setzt nicht nur

größenmäßig einen neuen Maßstab für fliegende Versuchsträger

in der europäischen Luftfahrtforschung.

Der Airbus A320 „D-ATRA“ wird das neue große Forschungsflugzeug des DLR

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Als der Airbus A320 mit der Zulas-sung „D-ATRA“ Anfang Juni 2006auf der Landebahn 25 des Flugha-fens Braunschweig einschwebt, hatdas Projekt ATRA und damit dieBeschaffung eines Nachfolgers fürdie VFW 614 als derzeitigem Ver-suchsträger ATTAS einen vorläufigenHöhepunkt erreicht.

Vorausgegangen war eine aufwändi-ge und langjährige Projektphase, inder die beim DLR involvierten Par-teien – angefangen von einzelnenInstitutsmitarbeitern und Arbeitskrei-sen bis hin zu Flugbetriebsausschüs-sen und Stäben – alles daransetzten,ein nachhaltiges Konzept für dieATTAS-Nachfolge zu formulieren undin die Realität umzusetzen. Der Zeit-punkt für die Beschaffung eines gro-ßen Versuchsträgers für die Luft-fahrtforschung in Europa war perfekt:Der politische Wille war da, finan-zielle Mittel ebenfalls, nicht zuletztauch das Bewusstsein aller Beteilig-ten für die unumgängliche Notwen-digkeit, eine moderne – nutzer- undländerübergreifende – Forschungs-plattform für die Aufgaben der kom-menden Jahrzehnte zu finden.

Nach intensiven Verhandlungenunterschrieb das DLR im März 2006den Kaufvertrag für eine A320 ausdem Besitz des Leasingunterneh-mens GOAL mit Sitz in München.Das Flugzeug Baujahr 1997 war zudiesem Zeitpunkt noch verleast undbei der österreichischen Fluggesell-schaft FlyNiki im Einsatz.

In den beiden Wochen vor dem ge-planten Übergabetermin Mitte 2006wurde das Flugzeug dann, wie beisolchen Besitzerwechseln üblich,durch ein vom DLR beauftragtes War-tungs- und Instandhaltungsunterneh-men einer detaillierten technischenInspektion unterzogen. Dazu gehörteauch die Überprüfung der gesamten

Daten des A320 ATRALänge: 37,57 Meter

Spannweite: 34,10 Meter

Höhe: 11,76 Meter

Max. Abflugmasse: 75,50 Tonnen

Triebwerke: 2 x IAE V2500

Schub: je 111 Kilonewton (22.000 Pounds/Pfund)

Reisegeschwindigkeit: 0,82 Mach

Reichweite: 4.800 Kilometer – 5.700 Kilometer

Quelle: Airbus

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ATRA

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technischen Dokumentation derMaschine – acht Umzugskartons mitAkten und eine Fülle elektronischgespeicherter Daten. Eine perfekteDokumentation ist eine unabdingba-re Voraussetzung für die Ausstellungdes für den Flugbetrieb notwendi-gen Lufttüchtigkeitszeugnisses durchdie zuständige Luftfahrtbehörde.

Die Zulassung des deutschen Luft-fahrt-Bundesamtes mit dem Kenn-zeichen „D-ATRA“ lag rechtzeitig zuroffiziellen Empfangsfeier für dasneueste Mitglied der DLR-Forschungs-flotte in Braunschweig am 12. Juni2006 vor. Spätestens bei ihrer erstenöffentlichen Präsentation war jedemAnwesenden klar, dass das DLR mitder A320 in einer neuen Liga derLuftfahrtforschung spielt. Der Airbusübertrifft die altgediente VFW 614 inallen Dimensionen: eine um mehr als50 Prozent größere Spannweite, fastdie doppelte Länge, eine fast vier-fach so hohe Startmasse und deut-lich bessere Flugleistungen. Nichtzuletzt moderne Systeme und Struk-turen, die auf Jahre eine zeitgemäßeForschung zulassen werden.

Noch am Tag der offiziellen Aufnah-me flog eine Cockpitbesatzung derLufthansa den jüngsten Neuzugangder DLR-Flotte zu einer weiterenZwischenstation am Flughafen Ber-lin-Schönefeld. Bis in den Herbst2006 wurde die Maschine dort vonLufthansa Technik betreut und inStand gehalten. Unter anderem warzur Aufrechterhaltung der Lufttüch-tigkeit eine lückenlose Wartung nacheinem behördlich genehmigten War-tungsprogramm nachzuweisen.

Die nächste Station für die DLR-A320 ist Hamburg, wo der neueVersuchsträger im Rahmen einer For-schungskooperation mit dem Flug-zeughersteller Airbus für Forschungs-projekte in den Bereichen Kabine,Kommunikation/Navigation undFlugsteuerung eingesetzt wird. Biszum Herbst 2008 können dann in

Zusammenarbeit mit Airbus auch dieBasisumbauten zum Forschungsflug-zeug abgeschlossen werden.

Parallel laufen bereits die ersten Aus-bildungsmaßnahmen für das techni-sche Personal des DLR, das die A320betreuen wird. Und die Vorarbeitenfür den Bau eines neuen Hangars amFlughafen Braunschweig laufen eben-falls auf vollen Touren, sodass derFlugbetrieb beim DLR nach aktuellerZeitplanung pünktlich am 1. Oktober2008 aufgenommen werden kann.

Autoren:

Dipl.-Kfm. Guido Plützer arbeitet in

direkter Zuordnung zum Fachvorstand

Luftfahrt und Energie als Investitions-

manager und Projektleiter ATRA.

Dipl.-Ing. (FH) Richard Kösters leitet die

Flugabteilung des DLR in Braunschweig.

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Die Ablösung für ATTAS macht sich bereit: Der neue Versuchsträger ATRA wird – über seine Bedeu-

tung für die Institute des DLR hinaus – auch für die europäische Luftfahrtindustrie ein wichtiges

Instrument sein, um die in den nächsten zwei Jahrzehnten anstehenden Aufgaben zur Erforschung

eines umweltverträglichen und effizienten Luftverkehrs realitätsnah und flexibel erfüllen zu können.

Die technischen Modifikationen des Airbus A320-Serienflugzeugs werden jetzt schrittweise umgesetzt,

um einen möglichst nahtlosen Übergang des Forschungsflugbetriebs in Braunschweig zu gewährleisten.

Vom Ferienflieger zum Forschungsflugzeug

ATRA

Aus einem Airbus A320 wird bis 2008 der neue Versuchsträger ATRA

Von Dr.-Ing. Holger Duda

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Der Einsatz umgerüsteter Verkehrs-flugzeuge als Versuchsträger zurErprobung neuer Technologien imFlug hat beim DLR Tradition. Derderzeitige TechnologiedemonstratorATTAS (Advanced Technologies Test-ing Aircraft System) wurde Ende der80er-Jahre in Braunschweig auf Basisdes Regionalverkehrsjets VFW 614zum Forschungsflugzeug umgerüstetund war seitdem durchschnittlich130 Flugstunden pro Jahr für dieLuftfahrt-Grundlagenforschung imEinsatz. ATTAS ist heute jedoch welt-weit das letzte fliegende Exemplarder VFW 614.

Damit ist die Ersatzteilversorgungauf Lagerbestände beschränkt undsein Einsatzende unvermeidbar. Derneu beschaffte Airbus A320 sollbereits ab 2008 die Aufgaben vonATTAS übernehmen.

Der Projektname ATRA (AdvancedTechnology Research Aircraft) beschreibt das Einsatzprofil des Ver-suchsträgers als flexible Flugversuchs-plattform für die europäische Luft-fahrtforschung der nächsten zweiJahrzehnte. Die A320 als Vertreterineines auch in absehbarer Zukunftweltweit im Einsatz stehenden Flug-zeugtyps bietet dabei den Vorteileiner größtmöglichen Realitätsnäheund sorgt für eine hohe industrielleRelevanz der Forschungsergebnisse.

Die hohen Kosten des neuen Ver-suchsgerätes gebieten es, diesesmöglichst vielen Nutzern für ihreForschung zur Verfügung zu stel-len. Um das Nutzungsprofil desneuen Versuchsträgers zu schärfenund die geforderten Fähigkeitenoptimal definieren zu können,

wurden vorab Arbeitstreffen mitallen relevanten DLR-Instituten so-wie eine abschließende Nutzerklau-sur abgehalten.

Daraus ergab sich für ATRA ein Forderungskatalog mit zwei zentra-len Blöcken:

Aus einer A320wird ATRA

Zum einen soll die A320 als flexible Plattform für Flugmesstechnik und Systemerprobungen dienen. Dies schließt eine Eignung für Untersuchungenauf folgenden Gebieten ein: Innenraumakustik, Umströmungslärmmessung,Laminarisierung, aktive Winglets, Vermessung von Wirbelschleppen, bildge-bende Messverfahren, Validierungskette Simulation-Windkanal-Flugversuch,Atmosphären- und Triebwerksmessungen sowie Systemerprobungen.

Zum zweiten soll ATRA die Möglichkeit bieten, über eine so genannteCockpitschnittstelle durch Eingriff in die Flugsteuerung die Flugzeug-bewegung zu beeinflussen. Hierzu werden eine experimentelle Ansteuerungder Cockpit-Displays, zusätzliche Datenlinks sowie eine experimentelle Flug-steuerung realisiert. Damit ergeben sich Möglichkeiten für Untersuchungenvon lärmarmen An- und Abflugverfahren, von Flugsteuerungsfunktionenfür den Wirbelschleppendurchflug und zur Lastabminderung sowie in denBereichen autonomes Fliegen, Rollverkehrsführung, Pilotenassistenz undDisplaytechnologie.

Die Basisversuchsausrüstung bein-haltet alle dauerhaft installiertentechnischen Modifikationen am Ver-suchsträger sowie die zur Vorberei-tung erforderlichen Bodensysteme.Zunächst wird ein Ausrüstungsstand

Die geforderten Fähigkeiten beiderBlöcke werden stufenweise realisiert,denn der möglichst nahtlose Über-gang vom Experimentalflugbetriebdes ATTAS zum ATRA ist von ent-scheidender Bedeutung.

Die Basisversuchs-ausrüstung

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Kommunikation an Bord steht einemoderne Intercomanlage zur Verfü-gung, die einzelnen Nutzergruppenan Bord separate Kommunikationermöglicht.

Die Spezifikation und Auswahl derMessdatenerfassungsanlage erfolgtsehr sorgfältig, denn die Anlagemuss den stark variierenden Anfor-derungen über 20 Jahre hinweggerecht werden. Durch Nutzungweit verbreiteter Standards bei derAuswahl der Komponenten undStrukturen sollen die Anforderungenhinsichtlich Modularität, Erweiterbar-keit, Einfachheit sowie Zuverlässig-keit und Langlebigkeit erfüllt werden.

Eine netzwerkbasierte Struktur übernimmt alle Aufgaben desDatenmanagements, beispielsweisedas Einsammeln, Zeitstempeln unddie Verteilung der anfallendenDatenströme.

Durch die zahlreichen Flugzeug- undSystemsignale, die sich standardmä-ßig auf den Datenbussen der A320(z. B. ARINC429) befinden, kann fürdie Experimente bereits mit relativgeringem Aufwand eine sehr guteBasis an Messsignalen bereitgestelltwerden. Für einige wissenschaftlicheAnwendungen ist aber eine höhereQualität der Messsignale erforderlich,

beispielsweise im Zusammenhangmit neuen Flugsteuerungsfunktio-nen, bei denen die Zeitverzögerungder Signale möglichst klein seinmuss. Hierfür werden punktuellZusatzsensoren eingerüstet.

Auf Grund des geplanten Einsatz-spektrums von ATRA mit zahlreichenflugphysikalischen Experimenten sind beispielsweise die Anforderungenan die Messqualität der Anström-geschwindigkeit und -richtung sehrhoch. Für ein Forschungsflugzeuggelten hier deutlich höhere Ansprüchebezüglich Genauigkeit und Dynamik,Datenrate und Messbereich als fürein im Liniendienst operierendes Ver-kehrsflugzeug.

Neben den hohen Anforderungenan die stationäre Genauigkeit wird indiesem Zusammenhang auch einemöglichst gute Dynamik gefordert,die durch die im Airbus eingesetztenStandardsysteme (Druckbohrungenim vorderen Rumpfbereich, Anstell-winkelfahnen) beziehungsweise dasFehlen eines Schiebewinkelsensorsnicht in hinreichender Güte erbrachtwerden kann. Es werden daher 5-Loch-Sonden an verschiedenen Ein-bauorten des Flugzeugs angebracht,die zur präzisen Bestimmung derlokalen Anströmung dienen.

Weitere Bestandteile der Basisver-suchsausrüstung sind Befestigungs-punkte für Anbauten am Flügel

mit ersten Grundfähigkeiten in Zusammenarbeit mit dem Flugzeug-hersteller Airbus hergestellt, ummöglichst zeitnah erste fliegendeExperimente durchführen zu können.Im Laufe der Nutzungsphase wirddiese Grundausstattung weiterent-wickelt und das Einsatzspektrum desVersuchsträgers vergrößert.

Dabei ist schon heute absehbar, dass sich hohe Anforderungen andie Flexibilität und Modularität der in ATRA integrierten Systemkom-ponenten ergeben. Viele zukünftigeEin- und Umbauten am Versuchs-träger werden stark an spezifischewissenschaftliche Experimente ge-koppelt und damit zum Teil nur tem-porär sein. Die Basisversuchsausrüs-tung wird daher in Verantwortungdes Instituts für Flugsystemtechnikmodular und offen für möglichst vieleexperimentspezifische Einbauanfor-derungen ausgelegt. Dazu wird imersten Schritt die Versuchsinfrastruk-tur an Bord integriert.

Die unterbrechungsfreie Stromver-sorgung stellt 28 Volt (Gleichstrom),sowie 115 und 230 Volt (Wechsel-strom) im vorderen Drittel der Kabi-ne für die Experimentatoren bereit.Es wird ein fester Arbeitsplatz fürden Flugversuchsingenieur einge-richtet sowie eine flexible Anzahlweiterer Arbeitsplätze, die den Ver-suchsingenieuren Zugriff auf alleMessparameter ermöglichen. Zur

ATRA

Flugzeug- und Systemsignale

Elektronikbox zur Messdatenaufbereitung

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(Hardpoints), Kameras innen undaußen, Öffnungen für Lufteinlässeund Lasermesstechnik, spezielleAntennen für die Telemetrie undexperimentelle Datenlinks zwischenFlugzeug und Boden.

Zur Erreichung der im zweiten Blockgeforderten Fähigkeiten bekommtATRA eine Cockpitschnittstelle, die eine Ansteuerung der Cockpit-anzeigen und die Beeinflussung derFlugzeugbewegung durch einen

geeigneten Zugang zu den Flugsteu-erungsfunktionen erlaubt. Hierzuwerden zusätzliche Bordrechnerinstalliert, die zur Basisversuchsausrüs-tung gehören und genau definierteSchnittstellen zum Experimentalsys-tem aufweisen. Das Sicherheitskon-zept des ATRA wird wie im ATTASund im Fliegenden HubschrauberSimulator den Einsatz experimentellerSoftware ermöglichen.

Neben den technischen Modifikatio-nen am Flugzeug werden entspre-chende Bodensysteme aufgebaut, diefür eine optimale Vorbereitung der

sehr kostenaufwändigen Flugversu-che ausgelegt sind. Die Anforderun-gen an die Bodensysteme werden mit den zunehmenden Fähigkeitendes Flugversuchsträgers steigen.Während in der ersten Nutzungs-phase nur geringe Anforderungenauftreten, sind bei späteren Experi-menten Hard- und Softwaretests amBoden erforderlich. Die Eigenschaf-ten des Flugzeugs einschließlichMessanlage und Bordrechner müssendurch den Systemsimulator nachge-bildet werden, dieses betrifft alleSchnittstellen zur Messdatenanlageund zu den Bordrechnern. Experi-mente unter Einbeziehung der Cock-pitschnittstelle oder bei Annäherungan den fliegerischen Grenzbereicherfordern neben Softwaretests aucheine Bewertung der tatsächlichenFliegbarkeit der geplanten Versuchedurch die Testpiloten. Hier kannzunächst der A330/A340 Full Flight-Flugsimulator des Zentrums für Flugsimulation in Berlin eingesetztwerden.

Mittelfristig wird am Standort Braun-schweig ein geeigneter Simulator für den ATRA benötigt, um flexibel,zeitnah und effektiv alle Versuchevorbereiten zu können.

Autor:

Dr.-Ing. Holger Duda ist Leiter der Abtei-

lung Simulationstechnik am Institut für

Flugsystemtechnik.

Weitergehende Fähigkeiten

5-Loch-Sonde am Nasenmast zur hochgenauen Messung von Anströmge-schwindigkeit und -richtung

Typischer Operatorarbeitsplatz in der Kabine am Beispiel des derzeitigen Versuchsträgers ATTAS

Anstellwinkel

Statischer Druck

Staudruck

Lufttemperatur

Luftdatensensorik der A320

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ATRA

Wirbelschleppen anfliegender Flugzeuge und die daraus resultierenden Sicherheitsabstände nachfol-

gender Maschinen sind eine der wesentlichen Ursachen für die heutigen Kapazitätsbegrenzungen

an Flughäfen. Das zukünftige, auf dem Airbus A320 basierende Versuchsflugzeug ATRA des DLR ist

ein idealer Versuchsträger zur Erforschung und Verringerung dieses potenziell gefährlichen Phänomens.

Die Luftwirbel hinter Flugzeugenentstehen als Folge des an den Tragflächen erzeugten Auftriebs; siekönnen sich als unsichtbare Wirbel-schleppen noch längere Zeit entlangder Flugbahn halten. Daher sind fürdie zivile Luftfahrt genaue Sicher-heitsabstände vorgeschrieben, die

die Start- und Landefrequenzen aufgroßen Flughäfen bestimmen undbei hohem Verkehrsaufkommen zuKapazitätsengpässen führen können.Die unangenehme, bei Passagierenund Airlines gleichermaßen uner-wünschte Folge sind Warteschleifenund Verspätungen.

Prognosen der europäischen Flugsi-cherungsorganisation EuroControlsagen bis zum Jahr 2025 eine Ver-doppelung des Luftverkehrsaufkom-mens voraus, sodass die Erforschungder Auswirkung von Wirbelschleppenauf das Luftverkehrssystem langfristigvon entscheidender Bedeutung sein

Des Wirbels ZähmungWirbelschleppenforschung mit ATRA soll helfen, Kapazitätsengpässe an Flughäfen zu reduzieren

Von Carsten Schwarz und Dr.-Ing. Holger Duda

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DLR NACHRICHTEN 115 | 49

wird. Das DLR sucht daher im Rah-men diverser nationaler und interna-tionaler interdisziplinärer Projektenach Möglichkeiten, die Auswirkun-gen des aerodynamischen Phäno-mens Wirbelschleppe zu reduzieren.

Innerhalb der EU-Projekte AWIATORund FARWAKE werden Möglichkeitenbewertet, mit individuellen Klappen-stellungen des Hochauftriebssystemsden Zerfall der Wirbel zu beschleuni-gen. Im Rahmen des DLR-Projektes„Wirbelschleppe II“ wird unter ande-rem die Flugzeugreaktion beim Ein-fliegen in Wirbelschleppen erforscht.Das auf Basis der Ergebnisse entwi-ckelte Gefährdungsraumkonzeptwurde bereits mit dem VersuchsträgerATTAS, dem Vorgänger des zukünfti-gen ATRA, im Flugversuch unter-sucht.

Basis für alle weiteren Forschungsar-beiten in diesem Umfeld ist die hoch-genaue Vermessung von Wirbel-schleppen im Flugversuch. Das DLRverfolgt hierzu zwei unterschiedlicheAnsätze. Zum einen kann mithilfevon Lasermesstechnik (LIDAR, LightDetection And Ranging) das Ge-schwindigkeitsfeld des Wirbels einesvorausfliegenden Flugzeugs vermes-sen werden. Für diese Anwendungwird der neue ATRA mit einem speziellen Fenster im vorderen Rumpf-bereich ausgerüstet, das eine ent-sprechende Lasermessung erlaubt.

Der zweite Ansatz beruht auf demEinsatz qualitativ hochwertiger

Anströmungssensorik (5-Loch-Mess-sonden) und dem definierten Einflugin die Wirbelschleppe. Eine spezielleAuswertung unter anderem mit Sys-temidentifizierungsmethoden liefertdie Parameter für die Wirbelmodelle,wie Intensität und Alterungsverhal-ten. Dieser Ansatz bietet den Vorteil,dass gleichzeitig die Reaktion deseinfliegenden Flugzeugs auf die Wir-belströmung im Zusammenhang mitden aktuellen Wirbeleigenschaftenmodelliert und bewertet werdenkann.

Der neue ATRA ist hervorragend für diese Aufgabenstellung geeignet,denn er bietet auf Grund seiner Größe die Möglichkeit, auch dieWirbelschleppen größerer Langstre-ckenflugzeuge der Wirbelschleppen-kategorie „Heavy“ zu untersuchen.Der Airbus A320 repräsentiert denweit verbreiteten Typ des Mittelstre-ckenverkehrsflugzeugs der Wirbel-schleppenkategorie „Medium“, derca. ein Drittel aller Flugbewegungenan Verkehrsflughäfen ausmacht.

Basierend auf den Ergebnissen er-geben sich neue Möglichkeiten, denEinfluss der Wirbelschleppen auf dasLuftverkehrssystem im Flugbetrieb zu minimieren. Mit aktuellen Wetter-daten können der Wirbeltransportund die -alterung abhängig von denFlugbahnen mit Modellen beschrie-ben werden, sodass Bereiche mithoher Wirbelschleppengefahr vorher-gesagt werden können (EU-ProjektFLYSafe).

Des Weiteren können Wirbelschlep-pen mithilfe der Lasermesstechnik im Vorfeld erkannt werden, so dassanfliegende Flugzeuge automatischausweichen können. Da ein Umflie-gen der Wirbel aber nicht in allenSituationen möglich ist, ist als weite-rer Schritt die Untersuchung speziel-ler Flugsteuerungsfunktionen zurAbschwächung der Flugzeugreaktionim Wirbeleinflussbereich nötig. Ba-sierend auf Luftdaten- und Inertial-sensorik werden die Steuerflächendabei so angesteuert, dass der Effektder Wirbelströmung auf das Flug-zeug minimiert ist.

Bei allen dargestellten operationellenMaßnahmen wird der entscheidendeFaktor aber letztlich in der Weiter-entwicklung der Mensch-Maschine-Schnittstelle liegen. Denn für nach-haltige Maßnahmen zur Minimierungder Auswirkungen von Wirbel-schleppen wird ein bestmöglichesSituationsbewusstsein der Cockpit-Besatzung benötigt. Die Informa-tionsverarbeitung und Darstellungim Cockpit wird damit weiter an Bedeutung gewinnen.

Autoren:

Dipl.-Ing. Carsten Schwarz ist Mitarbeiter

in der Abteilung Flugzeuge am Institut

für Flugsystemtechnik.

Dr.-Ing. Holger Duda ist Leiter der Abtei-

lung Simulationstechnik am Institut für

Flugsystemtechnik.

Visualisierung einer Wirbelschleppe desATTAS am Forschungsflughafen

Vektordarstellung der Simulation eines Geschwindigkeitsfeldes einer Wirbelschleppe

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Der Luftverkehr steht vor vielfältigenHerausforderungen. Durch den welt-weiten Anstieg des Luftverkehrsauf-kommens wird eine Steigerung deraerodynamischen Leistungsfähigkeitwährend der Start- und Landephasegemeinsam mit einer Reduktion desFluglärms noch wichtiger werden.Das DLR arbeitet in diversen nationa-len und europäischen Forschungspro-

jekten an diesen Herausforderungen.Einen wichtigen Beitrag zur Reduk-tion des Systemaufwands stellen diein Entwicklung befindlichen Einzel-klappenantriebe dar. Der klassischeStellantrieb verfügt über einen zen-tral im Rumpf des Flugzeugs ange-brachten Hydraulikmotor, dessenLeistung über zwei sich in die Flügel-hälften erstreckende Wellenstränge

Kaum ein Passagier ist nicht

fasziniert von den Verände-

rungen des Flügels während

des Landeanflugs, wenn die

verschiedenen Klappen in ihre

Positionen gefahren werden.

Die Konzeption und Entwick-

lung dieser komplexen Klap-

pen- und Übertragungssysteme,

die weit reichende Auswirkun-

gen auf die Start- und Lande-

eigenschaften sowie auf die

Lärmemission der Flugzeuge

haben, stellt einen Kernfor-

schungsbereich des DLR dar. In

Kooperation mit dem Bereich

High-Lift-Systeme der Firma Air-

bus in Bremen forscht das DLR

an aktuellen Fragestellungen.

ATRA

Die Sache mit den KlappenHochauftriebsforschung mit ATRA für leistungsfähige und Lärm reduzierendeLandeklappenkonzepte

Von Timo Ruprecht und Dr.-Ing. Jochen Wild

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Signalaufnehmer für Steuerkommandos

Steuerungsrechner 2

Steuerungsrechner 1

Vorderkantenklappen

Verzweigungsgetriebe

Umlenkgetriebe

Äußere Klappe

Innere Klappe

Antriebsstrang der Vorderkantenklappen

Hydraulikmotor für Vorderkantenklappen

Hydraulikmotor für Hinterkantenklappen

Stellgetriebe

Sicherheitsbremse

Asymmetriesensor

und so genannte „Rotary Actuators“an einen Hebelmechanismus über-tragen wird. Dieser bewegt dann diedaran befestigte Klappe. Durch denzentralen Antrieb fahren alle Klappen-elemente des Flügels gleichmäßig aus.Bei dem Konzept der Einzelklappen-antriebe erfolgt der Antrieb derKlappen dagegen dezentral überelektromechanische Aktuatoren. Sie bestehen aus einem Elektromo-tor, dessen Drehbewegung über eineKugelumlaufspindel direkt in die Aus-fahrbewegung der Klappe umge-setzt wird.

Elektromechanische Antriebe dieserArt werden unter anderem im EU-Projekt MOET (More Open ElectricalTechnologies) untersucht. Das Insti-tut für Flugsystemtechnik beschäftigtsich dabei mit neuen Methoden derFehlererkennung für diese neuarti-gen Antriebe. Die sich daraus erge-bende Möglichkeit, die verschiede-nen Klappenelemente individuell zuverfahren, eröffnet auch im Bereichder Aerodynamik völlig neue Varian-ten der Klappenansteuerung, unteranderem zur Optimierung der Flug-leistungen. Am Institut für Aero-dynamik und Strömungstechnik wirdseit langem am aerodynamischenEntwurf von Hochauftriebssystemenund ihrer akustischen Bewertunggearbeitet. Im Rahmen des DLR-Pro-

jektes LEISA wirdan neuen Konzep-ten gearbeitet, umein leistungsfähigesund lärmarmes Hochauf-triebssystem zu entwickeln. Hierzu gehören auch vorflügelloseFlügelkonfigurationen – eine Grund-voraussetzung für eine deutliche Ver-ringerung des Luftwiderstands durchLaminarhaltung der Luftströmungam Flügel.

Ein wichtiger Aspekt der Analysevon Hochauftriebssystemen bestehtauch in der Beurteilung und Beein-flussung der so genannten Wirbel-schleppen, welche nachfolgendeFlugzeuge gefährden können unddeshalb die Sicherheitsabstände zwi-schen den Flugzeugen im An- undAbflug bestimmen. Im Rahmen derEU-Projekte AWIATOR und FARWAKEwird unter anderem untersucht, obder Zerfall dieser Wirbel durch dieAnwendung der Einzelklappenan-triebe mit individuellen Klappenstel-lungen beschleunigt werden kann.

Für die Flugerprobung dieser neuenTechnologien ist der neue ATRAdas Gerät der Wahl. Die erwartetenpositiven Effekte könnten damitganzheitlich bei optimaler Realitäts-nähe bewertet werden. Die umfang-reiche Basisversuchsausrüstung des

ATRA bildet eine solide Grundlagefür eine umfassende Gesamtsystem-bewertung. Günstig wirkt sich dabeiauch das Konzept des A320-Hoch-auftriebssystems aus, das mit ge-trennten Klappenelementen ausge-führt ist. Es ermöglicht die volleAusnutzung der Funktionalität desKonzepts, ohne erhebliche Änderun-gen an der Struktur des Flügelsselbst vornehmen zu müssen. Zu-sätzliche Adaptionen der System-technik und Software wären jedochunumgänglich und ließen sich nurim Verbund mehrerer Partner reali-sieren. Durch eine enge Zusammen-arbeit zwischen Airbus, DLR und Systemzulieferern könnte so eineeinmalige Möglichkeit zur Erfor-schung innovativer Hochauftriebs-systeme geschaffen werden.

Autoren:

Dipl.-Ing. Timo Ruprecht ist Mitarbeiter

in der Abteilung Systemautomation am

Institut für Flugsystemtechnik.

Dr.-Ing. Jochen Wild ist Mitarbeiter in der

Abteilung Transportflugzeuge am Institut

für Aerodynamik und Strömungstechnik.

Links: Blick in das Innere des Flügels. Zu sehen sind in der unteren Bildhälfte der Klappenträger mit dem Rotary Actuator,rechts darüber die Antriebswelle. Rechts: Das Hochauftriebssystem des Airbus A320

Strömungssimulation um eine A340 mit differentiell

ausgefahrenen Klappenelementen

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52 | DLR NACHRICHTEN 115

ATRA

Wegweiser durch Raum und ZeitAdvanced Flight Management System erlaubt Flugführung in 4D

Von Dr. Bernd Korn und Alexander Kuenz

Dank Satellitennavigation sind Flug-zeuge heute in der Lage, unabhän-gig von bodengestützten Systemensehr präzise zu navigieren. Um denFlugverkehr optimal planen undsteuern zu können, ist es darüberhinaus aber nötig, die einzelnen Ver-kehrsteilnehmer möglichst zeitgenauim Luftraum zu führen. Die Lösungliegt in Bahnkurven – so genannten4D-Trajektorien –, welche die Routejedes Flugzeugs örtlich und zeitlich

exakt beschreiben und es erlauben,jeden einzelnen Flugabschnitt strate-gisch zu planen. Konflikte im Luft-raum können so besser erkannt undvermieden werden. Letztlich führtdiese Fähigkeit zu einer höherenKapazität der Lufträume und derFlughäfen. Per Datenlink mit derFlugsicherung und anderen Ver-kehrsteilnehmern verbunden, kanndie einzelne Cockpitcrew Positionenund Bahnkurven anderer Flugzeuge

in einem Luftraumsegment abrufen.Diese bordautonome Erfassung derVerkehrssituation nahezu in Echtzeiterlaubt es den Lotsen sogar, die Ver-antwortung für die Einhaltung vonSicherheitsabständen zu anderenVerkehrsteilnehmern an die Pilotenzu delegieren. Für die Umsetzungdieser bahnbrechenden Flugfüh-rungskonzepte spielt das FlightManagement System (FMS) an Borddes Flugzeugs eine zentrale Rolle.

Um den steigenden Anforderungen an Sicherheit und Kapazität gewachsen zu sein, muss das Luft-

verkehrsmanagement der Zukunft kooperativ und verkoppelt zwischen Luft und Boden ablaufen.

Voraussetzung dafür ist ein leistungsfähiges Advanced Flight Management System (AFMS) an Bord

der Flugzeuge. Ein solches System, das es erlaubt, die Flugbahnen räumlich und zeitlich – also in 4D –

zu berechnen und darzustellen, befindet sich beim DLR bereits in der fortgeschrittenen Entwicklung.

Für die Flugversuche wird in absehbarer Zukunft auch der neue ATRA bereitstehen.

© Zentrum für Flugsimulation Berlin

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DLR NACHRICHTEN 115 | 53

Es dient sowohl zur Eingabe derFlugroute vor dem Start als auch zurautomatischen Führung der Maschi-ne entlang der aktuellen Flugbahnwährend des Flugs bis hin zur Lan-dung. Das Institut für Flugführungdes DLR hat bereits Mitte der 1990er-Jahre ein Advanced Flight Manage-ment System (AFMS) entwickelt underprobt, das diese exakte 4D-Pla-nung und -Führung ermöglicht. DasSystem wurde seitdem kontinuierlichverbessert. Hinzugekommen sindunter anderem Kommunikationsele-mente, welche die Module der Ver-kehrsplanung am Boden per Datenlinkmit den Flugroutenplanungs-Modulenim Flugzeug verbinden.

Das AFMS verfügt über eine ganzeReihe neuer Leistungsmerkmale.Zunächst erfolgt hier die bordseitigeBerechnung von 4D-Trajektorien.Dabei berücksichtigt das Systemeinerseits die Vorgaben der Flug-sicherung (ATC) beziehungsweisedes Air Traffic Managements (ATM),aber auch Faktoren wie aktuelleWettervorhersagen. In die Kalkula-tion fließen zudem das Leistungs-profil des jeweiligen Flugzeugs undwirtschaftliche Kriterien ein. Überden Datenlink mit der Flugsiche-rung erfolgt schließlich eine Abstim-mung des Flugplans. Im Betriebübernimmt das AFMS dann die 4D-Flugführung entlang der aktiviertenBahnkurve, wobei auch lärmarmeAnflugverfahren wie der „CurvedApproach“ oder der „AdvancedContinuous Descent Approach“möglich sind.

Heute werden Anflüge als Continu-ous Descent Approach nach Freigabedurch die Anflugkontrolle noch weit-gehend nach Ermessen der Pilotendurchgeführt, was größere Schwan-kungen der Ankunftszeiten zur Folgehat und somit auch größere Lande-intervalle. Diese nachteiligen Aus-wirkungen auf die Landekapazität derFlughäfen können jedoch mit einemkooperativen 4D-Anflugmanagementmit einer Vorgabe von Zielankunfts-zeiten und einer genauen 4D-Bahn-führung verringert werden. In derKombination aus Raum und Zeiteröffnet ein solches 4D-trajektorien-basiertes Management viele neueMöglichkeiten und kann beispiels-weise auch die Grundlage für eineoptimierte Synchronisation von An-und Abflügen sein.

Mit dem DLR-ForschungsflugzeugATTAS hat das AFMS bereits in zahl-reichen Flugversuchen seine viel ver-sprechenden Fähigkeiten nachgewie-sen. Außerdem wurde das Systemerfolgreich in den A330-Simulatordes Zentrums für Flugsimulation inBerlin (ZFB) integriert. Nach Einrüs-tung des AFMS in den neuen DLR-Flugversuchsträger ATRA werden dieoben angeführten zukünftigen Kon-zepte in absehbarer Zeit auch miteinem repräsentativen Flugzeugmus-ter getestet werden können. DerFokus wird hierbei auf neuen Verfah-ren im Flughafennahbereich wie bei-spielsweise der Durchführung neuerund flexibler Anflugverfahren zurVermeidung von Verspätungen inZeiten hoher Verkehrsdichte liegen.

Autoren:

Dr. Bernd Korn ist Leiter der Abteilung

Pilotenassistenz des DLR-Instituts für

Flugführung in Braunschweig.

Alexander Kuenz ist wissenschaftlicher

Mitarbeiter der Abteilung Pilotenassistenz.

Hauptmerkmale des AFMS

Bordseitige Berechnung von 4D-Bahn-kurven unter Berücksichtigung

- der Vorgaben von Air Traffic Control(ATC) bzw. des Air Traffic Manage-ments (ATM),

- des Leistungsprofils des Flugzeugs,

- der Wettervorhersagen sowie

- wirtschaftlicher Kriterien etc.

Abstimmung des Flugplans per Datenlink mit ATC/ATM, z. B. mit demAnflugplaner 4D-CAMA (CooperativeArrival Manager)

Fähigkeit zur 4D-Flugführung entlangder aktivierten Trajektorie inklusiveneuer Anflugverfahren wie dem „Curved Approach“ oder dem„Advanced Continuous DescentApproach“

ASAS-Funktionalitäten (Airborne Separation Assurance Systems) für„Free Flight“-Szenarien und erweiterte„Merging and Sequencing“-Verfahren

Erprobung des AFMS in einerExperimentalinstallation

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ATRA

Das „Follow-me“ fürs Cockpit

Im EU-Projekt EMMA wird ATRA zur realistischen Forschung mit einem Rollführungs-Assistenzsystem genutzt werden

Von Michael Röder und Sven Kaltenhäuser

Die weltweite Zunahme des Luftverkehrs stellt immer höhere Anforderungen an das Luftverkehrs-

system, auch den Verkehrsfluss am Boden. Ein elektronisches Assistenzsystem zur Rollführung

trägt zu mehr Sicherheit und zu einem höheren Flughafendurchsatz bei sowie zu einer Umweltentlas-

tung und einer sinkenden Zahl von Verspätungen. Zukünftige Forschungsvorhaben mit dem neuen

DLR-Versuchsträger ATRA werden Meilensteine auf dem Weg zu einer europaweiten Einführung des

Systems sein.

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DLR NACHRICHTEN 115 | 55

Selbst nach einer automatischenLandung bei ungünstigen Wetterbe-dingungen werden Rollbewegungenam Boden heute von der Cockpit-besatzung fast immer noch aus-schließlich nach Sicht und Papierkar-te durchgeführt. Die Fluglotsen derVorfeldkontrolle sind ihrerseits starkauf den visuellen Sichtkontakt mitden Luftfahrzeugen angewiesen, die Kommunikation zwischen Lotsenund Piloten findet ausschließlich überSprechfunk statt.

Abhilfe kann hier ein modernes Roll-führungssystem wie das A-SMGCS(Advanced Surface Movement Guid-ance and Control System) schaffen.Ein solches System unterstützt Lot-sen und Piloten, aber auch Fahr-zeugführer auf dem Rollfeld, in denwesentlichen, für die Rollkontrolleam Boden notwendigen Bereichen.Dazu wird der gesamte Rollverkehrzur Überwachung der aktuellen Ver-kehrssituation am Flughafen durchSensoren erfasst. So wird eine exak-te räumliche und zeitliche Planungder Bewegungen möglich; Lotsenund Piloten steht eine Führungshilfezur Verfügung, die sie sicher bei derPlanungsumsetzung unterstützt.

Die praktische Erprobung des „Roll-führungs-Assistenten“ wurde im 6.Rahmenprogramm der EuropäischenKommission als Projekt EMMA (Euro-pean Airport Movement Manage-ment by A-SMGCS) gestartet. Unterder Federführung des DLR hat einTeam von 24 europäischen Partnern

aus zehn Ländern bereits die erstenbeiden Basisdienste eines A-SMGCSan den Flughäfen Prag Ruzyne, Mai-land Malpensa und Toulouse Blagnacimplementiert. Diese erlauben demLotsen, wetterunabhängig – das heißtohne Außensicht – den Rollverkehram Bildschirm zu kontrollieren.

Zurzeit läuft die zweite Phase(EMMA2) mit dem Schwerpunkt aufder operationellen Einbindung derhöheren A-SMGCS-Dienste, wie bei-spielsweise der Rollwegplanung undderen Überwachung. Hinzu kommenboden- und bordgestützte Führungs-systeme, bestehend beispielsweiseaus einem „Moving Map Display“,das dem Piloten seine Position sowiesein Ziel auf einer grafischen Karten-darstellung zeigt. Als weitere Neue-rung kommen elektronische Datenlinkszum Einsatz, die den Sprechfunkver-kehr zwischen Lotsen und Pilotenverringern sollen. Diese Bord-Boden-Kommunikation wird auch mit demBegriff Controller Pilot Data LinkCommunication (CPDLC) bezeichnet.

Ende 2008 sollen im Rahmen vonEMMA2 mit dem neuen DLR-Flug-versuchsträger ATRA Rollversuche in Braunschweig, Prag, Mailand undToulouse durchgeführt werden, dieden gesamten Ablauf vom Anflugüber das Gate bis zum Abflug ein-schließen. Durch den Wechsel aufdiesen modernen Versuchsträgerergeben sich neue Chancen undHerausforderungen bei der Erpro-bung neuer Datenlinktechnologien

sowie deren Einsatzverfahren. Mitdem Airbus A320 steht ein aktuellesund etabliertes Flugzeugmuster zurVerfügung, mit dem sich getesteteVerfahren und Technologien schnel-ler auf die tägliche Praxis übertragenlassen.

Bei Versuchen in der Luft und amBoden können neben einer demStand der Technik entsprechendenDatenlinkausrüstung auch neuartigeTechnologien erprobt werden. ZumBeispiel lassen sich die Funktionenheutiger Verkehrsflugzeuge mit denenzukünftiger Neuentwicklungen direktvergleichen und bewerten. Der Ein-satz des ATRA liefert hierbei be-sondere Möglichkeiten, da mit ihmder gesamte Flugbereich heutigerVerkehrsflugzeuge genutzt werdenkann. Dies gilt auch für das Rollver-halten.

So kann mithilfe des ATRA eine neue Qualität bei der Bewertungvon Entwicklungen im Bereich derRollverkehrsführung beziehungs-weise des A-SMGCS erreicht wer-den. Voraussetzung hierfür sindErweiterungen der bisherigen Stan-dardausrüstung der A320 um expe-rimentelle Cockpitsysteme undDatenlink-Einbauten, deren Vorbe-reitung in konkreter Planung ist.

Autoren:

Michael Röder und Sven Kaltenhäuser

arbeiten am DLR-Institut für Flugführung

in Braunschweig.

Eingebautes Display im ATTAS-CockpitDas vom DLR entwickelte Rollführungssystem TARMAC (Taxi and RampManagement and Control) wurde bereits real getestet

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Steigende Treibstoff- und

Rohstoffpreise, Betriebs-

und Verwertungsvorschriften

und an die Umweltverträglich-

keit gekoppelte Steuern und

Gebühren stellen immer neue

Anforderungen an die Flug-

zeugbauer. Mit einem hochinte-

grierten aeroelastisch optimier-

ten Flugzeugentwurf lassen sich

neue Leistungs- und Sparpoten-

ziale im Flugzeugbau erschlie-

ßen – ein weiterer Forschungs-

schwerpunkt, bei dem der neue

Versuchsträger ATRA zum Ein-

satz kommen kann.

Eine Schlüsseltechnologie zukünfti-ger Verkehrsflugzeuge ist das geziel-te Zusammenwirken aerodynami-scher Lasten mit der Reaktion derFlugzeugstruktur. Wesentlicher Fak-

tor beim Entwurf einer leichten Flug-zeugstruktur sind die zu erwarten-den maximalen Lasten im Fluge, wiesie beispielsweise bei Böen oderFlugmanövern auftreten. Flugzeugewerden üblicherweise nach dimen-sionierenden Lastfällen ausgelegt,welche die realen Belastungen einesFlugzeuglebens nicht exakt wider-spiegeln. Die Folge sind dann zuschwere und dynamisch suboptimaleStrukturen.

Eine wesentliche Verbesserung ver-spricht das Konzept einer integrier-ten Last- und Leistungssteuerung amFlügel, bei der sich das Flugzeugselbst den momentanen Anforderun-gen anpasst. Dazu sollen sowohlpassive Maßnahmen wie die aero-elastische Optimierung der Struktu-ren als auch aktive aeroelastischeSysteme genutzt werden.

„Aeroelastische Optimierung“bedeutet, den Steifigkeitsaufbau der

Flugzeugstruktur gezielt so zugestalten, dass sich die umströmteGeometrie unter den Luftlasten ineiner für Flugleistungen und Steuer-barkeit günstigen Art und Weise ver-formt. Dies kann durch Einsatzanisotroper Kohlefaserverbundwerk-stoffe erreicht werden, deren Festig-keit und Steifigkeit sich gerichteteinsetzen lässt.

Ergänzend kommen aktive Regel-systeme zum Einsatz. Als Steuerflä-chen für diese aeroelastischen Steuer-systeme werden unter anderem sehrkleine Klappen an der Flügelhinter-kante (Trailing Edge Devices) erwogen.Diese so genannten MiniTEDs ermög-lichen in Kombination mit Querrudernund Landeklappen eine optimaleUmverteilung der Last über nahezudie gesamte Flügelspannweite undeine Reduktion kurzfristiger Lastspit-zen. Diese Steuerflächen konntenbereits im EU-Projekt AWIATOR ihreEinsatzreife demonstrieren.

ATRA

Die intelligentere Strukturgibt nach Von Dr. Wolf Krüger und Dr. Henning Rosemann

Mit aeroelastischer Optimierung und Steuerung zu mehr Leistung

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Die Nutzung neuer Aktuatorsystemeist aber nur sinnvoll, wenn sich dieVerformung der Struktur auch exaktmessen lässt – nur so ist die Rege-lung in der Lage, für das Gesamtsys-tem optimale Klappenausschlägeanzusteuern. Deshalb soll der Flügelmit einem Netz von Sensoren ausge-stattet werden, die eine genaue ört-liche Bestimmung sowohl der stati-schen Verformung als auch derdynamischen Strukturbewegungenerlauben.

Gleichzeitig sollen die Sensoren undSteuerflächen auch für die Optimie-rung der Flugleistungen außerhalbdes Auslegungspunktes eingesetztwerden. Dadurch kann für jedenFlugzustand eine optimale Konfigu-ration erreicht werden, die vierwesentliche Einflussfaktoren berück-sichtigt: Die Einhaltung des zulässi-gen Biegemoments an der Flügel-wurzel, eine Minimierung desGesamtwiderstands, die Einhaltung

komfortabler Beschleunigungswertesowie die Gewährleistung der flug-mechanischen und aeroelastischenStabilität.

An Konzepten für den so genanntenintelligenten aeroelastischen Flügelwird in Europa und den USA gear-beitet. Viele der Projekte konzentrie-ren sich auf einzelne Bausteine wiezum Beispiel innovative Steuerflä-chenkonzepte. Im geplanten DLR-Projekt iGREEN sollen nun übergrei-fende Methoden entwickelt werden.Mehrere DLR-Institute arbeiten zu-sammen: Die Institute für Aeroelastik,für Aerodynamik und Strömungs-technik, für Robotik und Mechatronikund das Institut für Antriebstechniksind beteiligt. Weiterhin wird diebewährte Kooperation mit der fran-zösischen GroßforschungseinrichtungONERA weitergeführt. Die geplantenArbeiten finden in enger Abstimmungmit dem bereits erwähnten EU-Pro-jekt AWIATOR und dem geplanten

7. Forschungsrahmenprogramm der EU statt.

Die Umsetzung der Ideen in techni-sche Lösungen erfolgt in iGREENschrittweise. Zunächst muss dasneue Konzept in der Simulationerprobt werden. In einem zweitenSchritt werden Komponenten inHardware und Software in Windka-nalversuchen getestet. Zum Nach-weis der Funktions- und Leistungs-fähigkeit des neuen Systems sindschließlich Flugversuche geplant –eine ideale Aufgabe für das neueATRA.

Autoren:

Dr. Wolf Krüger ist Abteilungsleiter für

Aeroelastische Simulation im DLR-Institut

für Aeroelastik.

Dr. Henning Rosemann ist Abteilungslei-

ter für Hochgeschwindigkeitskonfigura-

tionen im DLR-Institut für Aerodynamik

und Strömungstechnik, Göttingen.

r

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